11 Die Ebene von Kor

Etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang verließen wir zu meiner ungeheuren Erleichterung das Sumpfgebiet und betraten festes, in sanften Wellen ansteigendes Land. Am Fuß des ersten Hügels machten wir halt, um zu übernachten. Ich sah sofort nach Leo. Sein Zustand war eher noch schlimmer als am Morgen, und nun kam noch etwas anderes, überaus Besorgniserregendes hinzu: er begann zu erbrechen und tat dies bis zum frühen Morgen. Ich schloß in jener Nacht kein Auge, denn ich half Ustane, die sich als eine äußerst geschickte und unermüdliche Krankenpflegerin erwies, Leo und Job zu betreuen. Die Luft war hier zum Glück warm und angenehm, und es gab so gut wie keine Moskitos. Außerdem befanden wir uns über dem Sumpfnebel, der zu unseren Füßen lag wie ein da und dort von Irrlichtern durchzucktes Dunstmeer.

Als der nächste Morgen anbrach, phantasierte Leo heftig und bildete sich ein, er sei in zwei Hälften gespalten. Ich machte mir schreckliche Sorgen und fragte mich voll Angst, wie dieser Anfall wohl ausgehen würde. Ich hatte nur gar zu oft davon gehört, wie solche Anfälle endeten! Während ich so bei Leo saß, kam Billali und sagte, wir müßten sofort weiter, vor allem Leos wegen, denn wenn dieser nicht innerhalb der nächsten zwölf Stunden an einen Ort gebracht würde, wo er Ruhe und die erforderliche Pflege fände, habe er möglicherweise nur noch zwei Tage zu leben. Ich konnte nicht umhin, ihm beizustimmen, und so legten wir Leo in seine Sänfte und brachen auf. Ustane ging neben ihm her, um die Fliegen zu verscheuchen und aufzupassen, daß er nicht herausfiel.

Ungefähr eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang erreichten wir den Gipfel des ersten Hügels, und eine wunderschöne Aussicht bot sich uns. Vor uns lag ein fruchtbarer Landstrich mit üppigen Wiesen, Blumen und Bäumen. Dahinter, nach meiner Schätzung etwa achtzehn Meilen entfernt, ragte jäh aus der Ebene ein merkwürdiger, gewaltiger Berg empor. Den Fuß dieses Berges bildete ein grasbedeckter Abhang, der etwa fünfhundert Fuß hoch sein mochte, und aus diesem ragte schroff und steil eine zwölf- bis fünfzehnhundert Fuß hohe nackte Felswand auf. Der Berg, unzweifelhaft vulkanischen Ursprungs, war nahezu rund, doch da für uns natürlich nur ein Abschnitt sichtbar war, ließ sich sein Umfang, der gewaltig sein mußte, nur schwer abschätzen. Später stellte ich fest, daß er eine Fläche von nicht weniger als fünfzig Quadratmeilen bedeckte. Etwas Großartigeres und Imposanteres als diese riesige natürliche Festung, die einsam und erhaben aus der Ebene emporragte, habe ich nie gesehen. Die Einsamkeit erhöhte noch den majestätischen Eindruck, und ihre hochaufragenden, in Wolken gehüllten Zinnen schienen den Himmel zu berühren.

Ich richtete mich in meiner Sänfte auf und starrte über die Ebene hinweg auf dieses imposante, majestätische Bild, und anscheinend bemerkte dies Billali, denn seine Sänfte tauchte sogleich neben mir auf.

»Das, mein Sohn, ist der Palast unserer Herrscherin >Sie

»Er ist wunderbar, mein Vater«, erwiderte ich. »Aber wie kommen wir da hinein? Es dürfte sehr schwer sein, diese Felsen zu ersteigen.«

»Warte nur ab, mein Pavian. Schau einmal auf diesen Weg dort unten. Was, glaubst du, ist das? Du bist doch ein weiser Mann. Komm, sage es mir.«

Ich blickte hinunter und sah eine Art mit Gras bedeckter Landstraße, die direkt auf den Fuß des Berges zuführte. Zu ihren beiden Seiten erhoben sich hohe, da und dort unterbrochene Erdwälle, deren Zweck ich nicht erkennen konnte. Ich konnte mir nicht vorstellen, aus welchem Grund man eine Landstraße eingedämmt hatte.

»Ich nehme an, mein Vater, daß es eine Straße ist«, sagte ich, »oder sollte es ein Flußbett sein? Nein«, fügte ich hinzu, denn mir fiel die schnurgerade Richtung auf, »eher ein Kanal.«

Billali, dem übrigens sein unfreiwilliges Bad am Tag zuvor nicht geschadet hatte, nickte weise und erwiderte:

»Ganz recht, mein Sohn. Es ist ein Kanal, den die früheren Bewohner dieses Landes gegraben haben, um Wasser abzuleiten. Innerhalb des kreisrunden Berges, der unser Ziel ist, befand sich einst ein großer See. Die Menschen, die hier lebten, trieben mittels wunderbarer Künste, von denen ich nichts weiß, einen Abfluß durch die Felswand hindurch bis auf den Grund des Sees. Doch zuvor gruben sie diesen Kanal, den du dort siehst, durch die Ebene. Als dann das Wasser heraussprang, strömte es durch den Kanal bis zu dem flachen Land hinter dem Hügel, und auf diese Weise entstand wahrscheinlich der Sumpf, welchen wir durchquert haben. Als der See trockengelegt war, bauten sie auf seinem Grund eine mächtige Stadt, von der heute nur noch Ruinen und der Name Kor übrig sind, und nach und nach, im Laufe vieler Menschenalter, schlugen sie aus dem Felsen jene Höhlen und Gänge heraus, die du sehen wirst.«

»Mag sein«, erwiderte ich, »doch wenn es stimmt, wie kommt es dann, daß Regen und das Wasser der Quellen den See nicht wieder gefüllt haben?«

»Diese Leute waren klug, mein Sohn. Sie bauten, um ihn trockenzuhalten, einen Abfluß. Siehst du dort rechts den Fluß?« Er deutete auf einen recht ansehnlichen Strom, der sich in einigen Meilen Entfernung durch die Ebene wand. »Das ist der Abfluß; er kommt aus der gleichen Stelle der Bergwand, in die der Kanal mündet. Vielleicht floß zuerst das Wasser durch den Kanal ab, doch als es später durch den Graben floß, machten sie aus dem Kanal eine Landstraße.«

»Und es gibt keine andere Stelle, an der man in den Berg hinein kann?« fragte ich.

»Doch, eine gibt es noch, die Vieh und Menschen benützen können, doch sie ist sehr beschwerlich und wird geheimgehalten. Du würdest sie nicht finden, und wenn du ein Jahr danach suchtest. Sie wird nur einmal im Jahr benützt, wenn die Viehherden, die auf den Hängen des Berges und auf dieser Ebene gegrast haben, hineingetrieben werden.«

»Und >Sie< lebt immer dort drinnen?« fragte ich. »Oder verläßt sie zuweilen den Berg?«

»Nein, mein Sohn, wo sie ist, dort bleibt sie.« Inzwischen hatten wir die große Ebene erreicht, und ich betrachtete entzückt die Schönheit der mannigfachen halbtropischen Blumen und Bäume, von denen die letzteren meist einzeln oder höchstens zu dritt oder zu viert beisammenstanden. Die meisten waren sehr groß und stellten anscheinend eine Abart der immergrünen Eiche dar. Auch viele Palmen gab es, einige davon mehr als hundert Fuß hoch, sowie die größten und schönsten Baumfarne, die ich je gesehen habe, umschwärmt von buntschillernden Honigsaugern und großen Schmetterlingen. Zwischen den Bäumen im hohen Gras tummelte sich allerlei Wild. Ich sah ein Rhinozeros, eine große Büffelherde, Elenantilopen, Zebras, eine Rappenantilope sowie eine Unmenge Kleinwild und drei Strauße, die bei unserer Annäherung blitzschnell davonliefen. So zahlreich war das Wild, daß ich nicht länger widerstehen konnte. Da mein Expreßgewehr zu schwer war, hatte ich eine Martinibüchse bei mir in der Sänfte, und als ich eine schöne Elenantilope sah, die ihr Geweih an einem der eichenähnlichen Bäume wetzte, sprang ich heraus und schlich mich so nah wie möglich an sie heran. Als ich etwa achtzig Meter entfernt war, wandte sie den Kopf und starrte mich erschrocken an. Ich hob die Büchse, zielte, da sie mir ihre Seite zuwandte, auf ihre Schulter und feuerte. Während meiner ganzen bisherigen, freilich nicht sehr bedeutenden Jägerlaufbahn hatte ich noch nie einen so guten Schuß getan, denn die Antilope sprang hoch in die Luft und fiel tot zu Boden. Die Träger, die stehengeblieben waren, um mir zuzusehen, ließen ein erstauntes Murmeln hören - ein ungewöhnliches Kompliment von diesen mürrischen Leuten, die nie etwas zu überraschen schien -, und einige Männer rannten sofort los, die Antilope auszuweiden. Obwohl ich mir das Tier gern angese-hen hätte, schlenderte ich gleichgültig, als hätte ich in meinem Leben nie etwas anderes getan als Elenantilopen erlegt, zu meiner Sänfte zurück. Ich merkte, daß die Achtung der Amahagger für mich um einige Grad gestiegen war, denn sie betrachteten das Ganze als einen Beweis dafür, daß ich über mächtige Zauberkraft verfügte. In Wirklichkeit hatte ich noch niemals eine Elenantilope in freier Natur gesehen. Billali empfing mich voll Begeisterung.

»Prächtig, mein Pavian!« rief er. »Ganz prächtig! Trotz deiner Häßlichkeit bist du ein großer Mann. Hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, so würde ich es nicht glauben. Und du willst mich wirklich die Kunst, auf diese Weise zu töten, lehren?«

»Gewiß«, prahlte ich, »das ist kinderleicht.«

Insgeheim nahm ich mir jedoch fest vor, mich, wenn >mein Vater< Billali zum erstenmal schoß, zu Boden zu werfen oder hinter einem Baum Schutz zu suchen.

Nach diesem kleinen Zwischenfall geschah nichts Besonderes, bis wir etwa eineinhalb Stunden vor Sonnenuntergang den Schatten des gewaltigen vulkanischen Berges erreichten. Es ist mir ganz unmöglich zu schildern, wie tief mich seine grimmige Erhabenheit beeindruckte, während meine unermüdlichen Träger durch den alten Kanal der Stelle zustrebten, wo die dunkelbraunen Felsen von Gipfel zu Gipfel immer höher emporragten, bis sie sich hoch oben in den Wolken verloren. Ich kann nur sagen, daß ihre einsame und erhabene Größe mich beinahe mit Ehrfurcht erfüllte. Immer höher stiegen wir den sonnigen Abhang hinauf, bis schließlich die von oben hereinbrechenden Schatten seinen Glanz verhüllten, und plötzlich bogen wir in einen in den Fels gehauenen Weg ein. Tiefer und tiefer führte dieses wunderbare Bauwerk, an dem Tausende von Menschen viele Jahre lang gearbeitet haben müssen. Wie es ohne die Hilfe von Sprengpulver und Dynamit überhaupt geschaffen werden konnte, ist mir bis zum heutigen Tage ein Rätsel. Es wird wohl immer eines der Rätsel dieses wilden Landes bleiben. Ich kann nur vermuten, daß diese Gänge und riesigen Höhlen, die aus den Felsen herausgeschlagen wurden, staatliche Unternehmungen jenes uralten Volkes von Kor gewesen sind, das in dunkler Vorzeit hier lebte, und daß sie -wie die ägyptischen Baudenkmäler - im Laufe vieler Jahrhunderte durch den Frondienst vieler Tausender Gefangener und Sklaven geschaffen wurden. Doch was für ein Volk war dies?

Endlich erreichten wir den Felsen selbst und standen vor dem Eingang eines finsteren Tunnels, der mich stark an die Eisenbahntunnel erinnerte, die unsere Ingenieure im neunzehnten Jahrhundert bauten. Diesem Tunnel entfloß ein ansehnlicher Wasserstrom. Es war derselbe, der sich schließlich zu dem von mir bereits geschilderten Fluß entwickelte, und wir waren ihm schon von der Stelle an gefolgt, wo der Einschnitt in den Felsen begann. Die eine Hälfte dieses Einschnitts bildete nämlich einen Kanal für den Strom, und die andere, welche ungefähr acht Fuß höher lag, diente als Straße. Vor dem Eingang der Höhle hielt unsere Karawane an, und die Träger entzündeten einige irdene Lampen, die sie mit sich führten. Billali stieg aus seiner Sänfte und teilte mir höflich, doch bestimmt mit, daß >Sie< befohlen habe, uns nun die Augen zu verbinden, damit wir nicht die geheimen, durch das Innere des Berges führenden Wege kennenlernten. Ich fügte mich bereitwillig, doch Job, der sich inzwischen trotz der strapaziösen Reise recht gut erholt hatte, war gar nicht damit einverstanden; offenbar fürchtete er, man wolle ihn wieder bei lebendigem Leibe braten. Er beruhigte sich jedoch ein wenig, als ich ihm sagte, daß es hier weder Töpfe noch Feuer, auf denen man sie erhitzen konnte, gäbe. Der arme Leo war, nachdem er sich stundenlang ruhelos herumgewälzt hatte, Gott sei Dank endlich in Schlaf oder in eine Art Betäubung versunken, und so brauchte man ihm nicht die Augen zu verbinden. Bei uns tat man dies, indem man uns ein Stück von dem gelblichen Leinen, aus dem die Gewänder der Ama-hagger, soweit sie welche trugen, bestanden, um die Augen legte. Ich stellte später fest, daß sie dieses Leinen nicht selbst herstellten, sondern den Gräbern entnahmen. Das Tuch wurde am Hinterkopf zusammengeknotet und dann, damit es nicht verrutschte, unter dem Kinn verschlungen. Auch Ustane verband man die Augen - wahrscheinlich weil man fürchtete, sie könnte uns die geheimen Wege verraten.

Danach zogen wir weiter, und schon bald erkannte ich am Echo der Schritte und am lauter werdenden Rauschen des Wassers, daß wir uns tief im Innern des Berges befanden. Es war ein unheimliches Gefühl, mitten in das Herz dieses unbekannten Felsens hineingetragen zu werden, doch Unheimliches waren wir indessen schon gewohnt und deshalb auf so ziemlich alles gefaßt. Ich lag also still, lauschte dem Trappeln der Träger und dem Rauschen des Wassers und versuchte mir einzubilden, daß das Ganze recht lustig sei. Plötzlich stimmten die Männer wieder jenen melancholischen Gesang an, den ich schon in der ersten Nacht, als sie uns in unserem Walboot gefangennahmen, gehört hatte, doch diesmal klangen ihre Stimmen ganz merkwürdig. Nach einer Weile wurde die Luft so dick, daß mich ein Gefühl befiel, als müßte ich ersticken, und schließlich wurde die Sänfte um eine Biegung herumgetragen und dann um eine zweite und dritte, und das Rauschen des Wassers verstummte. Nun war die Luft wieder frischer, doch es kamen immer neue Biegungen, die mich mit meinen verbundenen Augen sehr verwirrten. Ich versuchte sie mir für den Fall, daß wir einen Fluchtversuch unternahmen, zu merken, doch gelang mir dies natürlich nicht. Nach etwa einer halben Stunde merkte ich, daß wir uns wieder im Freien befanden. Durch meine Augenbinde fiel Licht, und ich spürte einen kühlen Lufthauch auf meinem Gesicht. Nach wenigen Minuten machte die Karawane halt, und ich hörte, wie Billali Ustane befahl, ihre Binde und sodann die unseren abzunehmen. Ich wartete jedoch nicht auf sie, sondern nahm sie selbst ab und sah mich um.

Wie ich vermutet hatte, waren wir mitten durch den Felsen marschiert und befanden uns jetzt auf seiner anderen Seite. Sofort bemerkte ich, daß er hier etwa fünfhundert Fuß niedriger war - das hieß, daß der Grund des Sees oder besser des alten vulkanischen Kraters, in dem wir standen, hoch über der umgebenden Ebene lag. Wir befanden uns in einem riesigen, von Felsen umsäumten Becher, ähnlich dem Plateau, auf dem Billalis Siedlung lag, nur zehnmal größer. Die düsteren Umrisse der gegenüberliegenden Felsen waren kaum zu erkennen. Ein großer Teil der auf diese natürliche Weise umhegten Ebene war bebaut und von Steinmauern umgeben, damit die zahlreichen Rinder- und Ziegenherden nicht in die Gärten eindringen konnten. Da und dort erhoben sich große grasbewachsenen Hügel, und in einigen Meilen Entfernung zur Mitte hin glaubte ich die Umrisse riesiger Ruinen zu erkennen. Mir blieb im Moment jedoch keine Zeit, weitere Beobachtungen anzustellen, da uns sogleich Scharen von Amahaggern umringten, die sich, ebenso schweigsam wie die uns bereits bekannten, dicht an uns herandrängten, um einen Blick in unsere Sänften zu werfen. Dann lief plötzlich eine große Abteilung bewaffneter Männer auf uns zu, angeführt von Offizieren mit Elfenbeinstäben in den Händen. Sie strömten wie Ameisen aus einer Felsenhöhle hervor und trugen außer den üblichen Leopardenfellen Gewänder. Mir war sofort klar, daß dies die Leibwache der Herrscherin >Sie< sein mußte.

Ihr Anführer trat zu Billali, salutierte, indem er seinen Elfenbeinstab quer über die Stirne legte, und stellte ihm einige Fragen, die ich nicht verstehen konnte. Nachdem Billali sie beantwortet hatte, machte das ganze Regiment kehrt und marschierte, von unserer Karawane gefolgt, die Felswand entlang. Nach etwa einer halben Meile machten wir vor dem Eingang einer riesigen, etwa sechzig Fuß hohen und zwanzig Fuß breiten Höhle halt. Billali stieg aus und forderte Job und mich auf, das gleiche zu tun. Leo war natürlich zu krank, um seine Sänfte zu verlassen. Ich folgte Billali, und wir traten in die große Höhle, die ein Stück weit noch vom Schein der untergehenden Sonne und dahinter von einer endlos scheinenden Reihe Lampen erhellt wurde. Als erstes bemerkte ich, daß die Wände mit Skulpturen in Basrelief be-deckt waren, welche zum größten Teil jenen ähnelten, die ich bereits auf den Vasen gesehen hatte: Liebess-zenen, Jagdstücke, Darstellungen von Hinrichtungen und der Folterung von Verbrechern, denen man glühende Töpfe über den Kopf stülpte. Daher stammte also dieser schöne Brauch unserer Gastgeber! Schlachtenbilder gab es nur wenige, dafür zahlreiche Darstellungen von Zweikämpfen und laufenden und ringenden Männern, woraus ich schloß, daß dieses Volk - sei es wegen der isolierten Lage seines Landes oder wegen seiner Stärke - nicht oft von äußeren Feinden angegriffen worden war. Zwischen den Bildern befanden sich lange Inschriften in mir gänzlich unbekannten Zeichen; sie waren auf keinen Fall griechisch oder ägyptisch, hebräisch oder assyrisch, sondern sahen noch am ehesten wie chinesische Schriftzeichen aus. In der Nähe des Eingangs waren sowohl Bilder wie Inschriften schon stark verwittert und undeutlich, tiefer im Inneren der Höhle jedoch so frisch und klar wie an dem Tag, da sie geschaffen worden waren.

Die Garde begleitete uns nur bis zum Eingang der Höhle. Dort stellte sie sich in Reih und Glied auf und ließ uns hindurch. Als wir eintraten, kam uns ein weißgekleideter Mann entgegen, der sich demütig verneigte, jedoch kein Wort sprach, was aber nicht verwunderlich war, denn er war, wie sich später herausstellte, taubstumm.

Nach etwa zwanzig Fuß zweigten im rechten Winkel von der großen Höhle zwei breite, in den Fels gehauene Gänge ab. Vor dem linken standen Wächter, woraus ich schloß, daß er zu den Gemächern der Königin führte. Der rechte Gang war unbewacht, und der Stumme bedeutete uns, in ihn hineinzugehen. Nach einigen Schritten stießen wir auf eine Kammer, vor deren Eingang eine aus Gras geflochtene Matte hing. Der Stumme schlug sie mit einer neuerlichen tiefen Verbeugung zurück und führte uns in ein ziemlich großes Gemach, das gleichfalls aus dem Felsen herausgeschlagen war und zu meiner großen Freude durch einen in die Decke gebohrten Schacht Licht erhielt. Ausgestattet war der Raum mit einer steinernen Bettstatt, mehreren Krügen mit Wasser zum Waschen und einigen schön gefärbten Leopardenfellen zum Zudecken.

Hier ließen wir den immer noch tief schlafenden Leo zurück, und Ustane blieb bei ihm. Ich bemerkte, daß der Stumme sie mit einem scharfen Blick ansah, als wollte er sagen: »Wer bist du, und wer hat dir befohlen, hierherzukommen?« Sodann führte er uns in einen anderen, ähnlichen Raum, den Job nahm, und darauf zu zwei weiteren, in denen Billali und ich uns niederließen.

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