7 Ustane singt

Als die Kußszene vorbei war - übrigens fiel keiner der jungen Frauen ein, mich in gleicher Weise zu liebkosen, doch schlich eine von ihnen um Job herum, was dem Guten überaus peinlich schien -, trat der alte Billali zu uns und bedeutete uns, ihm in die Höhle zu folgen, wobei Ustane ungeachtet meiner Zeichen, daß wir lieber allein sein wollten, sich uns anschloß.

Bereits nach wenigen Schritten erkannte ich, daß die Höhle, in die wir traten, kein Gebilde der Natur, sondern von Menschenhand geschaffen war. Sie schien etwa hundert Fuß lang, fünfzig Fuß breit und sehr hoch zu sein und ähnelte stark einem Kirchenschiff. Von diesem Mittelschiff zweigten alle zehn oder fünfzehn Fuß Gänge ab, welche anscheinend zu kleineren Kammern führten. Ungefähr fünfzig Fuß vom Eingang der Höhle, wo es bereits dunkel wurde, brannte ein Feuer, das riesige Schatten an die umliegenden Wände warf. Vor diesem Feuer blieb Billali stehen, bat uns Platz zu nehmen und sagte, daß man uns gleich Nahrung bringen werde. So hockten wir uns denn auf die ausgebreiteten Felle nieder und warteten. Bald brachten einige junge Mädchen gekochtes Ziegenfleisch, geröstete Maiskolben und einen irdenen Topf mit frischer Milch. Wir waren halb verhungert, und ich habe wohl nie in meinem Leben mit solchem Genuß gegessen. Wir ließen nicht das geringste von den uns vorgesetzten Speisen übrig.

Als wir fertig waren, erhob sich Billali, unser Gastgeber, der uns wortlos zugesehen hatte, und hielt eine Art Begrüßungsrede. Ein Wunder, so sagte er, sei geschehen. Nie habe man gedacht, daß jemals weiße Fremdlinge in das Land der Felsenbewohner eindringen würden. Zuweilen, doch nur selten, seien schwarze Männer zu ihnen gekommen, welche ihnen berichtet hätten, daß es Weiße gebe, die mit Schiffen über das Meer führen, doch nie zuvor sei ein Weißer hier gewesen. Man habe nur beobachtet, wie wir das Boot den Kanal hinaufzogen, und er habe, wie er ganz offen sagte, uns bereits töten lassen wollen, da kein Fremder dieses Land betreten dürfe, doch >Sie<, die Herrscherin, habe befohlen, uns am Leben zu lassen und hierher zu bringen.

»Verzeih, mein Vater«, unterbrach ich ihn an dieser Stelle.

»>Sie<, die Herrscherin, wohnt doch weit von hier entfernt, soviel mir bekannt ist. Woher wußte sie von unserer Ankunft?«

Billali wandte sich um, und als er sah, daß wir allein waren - Ustane hatte sich bei Beginn seiner Rede zurückgezogen -, sagte er mit einem seltsamen leisen Lachen:

»Gibt es in eurem Land denn niemand, der ohne Augen sehen und ohne Ohren hören kann? Fragt nicht - >Sie< wußte es.«

Als ich darauf die Achseln zuckte, fügte er hinzu, er habe keine weiteren Anweisungen erhalten, was mit uns geschehen solle, und deshalb werde er jetzt >Sie<, die Herrscherin - die der Einfachheit halber hinfort >Hiya< oder >Sie< genannt werden soll und die, wie er uns zu verstehen gab, die Königin der Ama-hagger war - aufsuchen und nach ihren Wünschen fragen.

Als ich ihn fragte, wie lange er fortbleiben werde, sagte er, wenn er sich sehr beeile, könne er vielleicht in fünf Tagen zurück sein, denn um dorthin zu kommen, wo >Sie< wohne, müsse er viele Meilen Sumpf durchqueren. Man werde jedoch während seiner Abwesenheit um unser Wohlergehen besorgt sein. Er hoffe, da er uns sympathisch finde, daß >Sie< eine für uns günstige Entscheidung fällen werde, doch wolle er uns nicht verhehlen, daß er dies für sehr zweifelhaft halte, denn solange er lebe und auch zu Lebzeiten seiner Mutter und Großmutter sei noch jeder fremde Eindringling unbarmherzig getötet worden, und dies auf eine Weise, die er, um uns nicht zu beunruhigen, verschweigen wolle. Stets sei dies auf Befehl der Herrscherin selbst geschehen; zumindest habe sie nie etwas getan, um einen Fremden zu retten.

»Aber wie ist das möglich?« fragte ich. »Du bist ein alter Mann, und die Zeit, von der du sprichst, reicht drei Menschenleben zurück. Zur Zeit deiner Großmutter kann >Sie< doch noch nicht gelebt haben. Wie also konnte sie damals jemanden töten lassen?«

Wieder antwortete er mit jenem seltsamen leisen Lächeln; dann zog er sich mit einer tiefen Verbeugung zurück, und erst fünf Tage später sahen wir ihn wieder.

Als er fort war, sprachen wir über unsere Lage, die mich mit starkem Unbehagen erfüllte. Was wir von dieser geheimnisvollen Königin >Sie<, welche offenbar unbarmherzig jeden Fremdling töten ließ, gehört hatten, gefiel mir gar nicht. Auch Leo war bedrückt, tröstete sich jedoch mit dem Gedanken, daß diese >Sie< zweifellos die Person sei, von der auf der Scherbe und in dem Brief seines Vaters die Rede war. Bil-lalis Anspielung auf ihr Alter und ihre Macht bewiesen das, meinte er. Ich selbst war von den Geschehnissen so überwältigt, daß ich keine Lust verspürte, diesen absurden Behauptungen entgegenzutreten; statt dessen schlug ich vor, hinauszugehen und, wenn möglich, ein Bad zu nehmen, das wir alle dringend nötig hatten.

Nachdem wir unseren Wunsch einem Mann mittleren Alters mit ungewöhnlich finsterer Miene, der offenbar beauftragt war, uns während Billalis Abwesenheit zu bedienen, mitgeteilt hatten, zündeten wir unsere Pfeifen an und verließen die Höhle. Draußen standen eine Menge Leute, die anscheinend auf unser Erscheinen warteten, doch als wir rauchend heraustraten, liefen sie in alle Richtungen davon und riefen einander zu, daß wir große Zauberer seien. In der Tat erregte nichts so großes Aufsehen wie unser Tabaksrauch - nicht einmal unsere Feuerwaffen.[8] Bald fanden wir einen klaren Bach, welcher von einem kräftigen unterirdischen Quell genährt wurde, und nahmen in aller Ruhe ein Bad, obgleich einige der Frauen, darunter auch Ustane, anfangs starke Neigung zeigten, uns ins Wasser zu folgen.

Als wir mit diesem höchst erfrischenden Bad fertig waren, stand die Sonne schon tief am Himmel, und bei unserer Rückkehr in die Höhle war sie bereits untergegangen. Die Höhle war nun voller Menschen, die um mehrere unterdessen entzündete Feuer saßen und bei seinem flackernden Licht und dem mehrerer, teils an der Decke hängender, teils an den Wänden befestigter Lampen ihr Abendbrot einnahmen. Diese Lampen waren aus gebranntem Ton und hatten allerlei, manchmal recht hübsche Formen. Die größeren bestanden aus umfangreichen roten Krügen, welche mit geschmolzenem Fett gefüllt waren, auf dem eine Holzscheibe mit einem Docht aus Schilfrohr schwamm. Man mußte ständig darauf achten, daß diese Lampen nicht ausgingen, denn wenn der Docht niedergebrannt war, gab es keine Möglichkeit, ihn höherzustellen. Auch die kleineren Handlampen waren aus gebranntem Ton, besaßen jedoch einen Docht aus Palmenmark oder dem Stiel einer Farnpflanze, der durch ein geschickt angebrachtes Stück Hartholz hochgezogen werden konnte, wenn er niedergebrannt war.

Wir setzten uns und sahen diesen finsteren Leuten eine Weile zu, wie sie in düsterem Schweigen ihr Abendbrot verzehrten, während die riesigen Schatten über die Wände huschten, und als wir davon genug hatten, sagte ich unserem neuen Wärter, daß wir gern schlafen gehen wollten.

Wortlos erhob er sich, nahm mich höflich an der Hand und ging mit einer Lampe zu einem der kleinen Gänge, welche von der Haupthöhle abzweigten. Nach wenigen Schritten erweiterte sich dieser Gang plötzlich zu einer etwa acht Fuß im Quadrat messenden, aus dem Fels herausgehauenen Kammer. Auf der einen Seite befand sich, ungefähr drei Fuß über dem Boden, eine Steinplatte, die sich wie eine Koje in einer Schiffskajüte die ganze Wand entlangzog. Diese Steinplatte wies er mir zum Schlafen an. Die Kammer hatte weder ein Fenster noch ein Luftloch und war gänzlich unmöbliert; als ich mich genauer darin umsah, kam ich zu dem, wie sich später herausstellen sollte, richtigen Schluß, daß sie ursprünglich nicht als Schlafkammer für Lebende, sondern als Grabstätte für Tote gedient hatte und daß die Steinplatte einst eine Totenbahre gewesen war. Dieser Gedanke ließ mich erschaudern, doch da ich ja schließlich irgendwo schlafen mußte, nahm ich mich zusammen und ging in die Höhle zurück, um mir meine Decke zu holen, die man zusammen mit den anderen Sachen aus dem Boot hierhergebracht hatte. Dort traf ich Job, der sich, als man ihn in ein ähnliches Gemach führte, entsetzt geweigert hatte, es zu betreten; ebensogut, meinte er, könnte er sich sofort in seines Großvaters Grab bestatten lassen. Er bat mich, die Nacht bei mir verbringen zu dürfen, was ich ihm nur allzugern gestattete.

Die Nacht verlief völlig ruhig, abgesehen davon, daß ich einen furchtbaren Alptraum hatte und mir einbildete, lebendig begraben zu sein, woran zweifellos die grabesähnliche Umgebung schuld war. Am Morgen weckte uns ein lautes Trompetensignal, welches, wie wir später herausfanden, von einem jungen Amahagger auf einem ausgehöhlten Elefantenzahn geblasen worden war.

Wir errieten sogleich die Bedeutung des Signals, erhoben uns und gingen zu dem Bach, um uns zu waschen. Danach wurde das Frühstück aufgetragen. Während wir es einnahmen, trat plötzlich eine nicht mehr ganz junge Frau zu Job und küßte ihn öffentlich. Es war, von der Unschicklichkeit einmal abgese-hen, die erheiterndste Szene, die ich je gesehen habe. Nie werde ich des ehrbaren Job Widerwillen und Entsetzen vergessen. Er ist, gleich mir, ein ausgesprochener Weiberfeind - wahrscheinlich weil er zusammen mit einer Schar von Schwestern aufgewachsen ist -, und die Gefühle, welche sich auf seinem Gesicht abzeichneten, als ihm bewußt wurde, daß diese Frau ihn nicht nur öffentlich und ohne sein Einverständnis, sondern noch dazu in Gegenwart seiner Herren umarmte, entziehen sich jeder Beschreibung. Er sprang auf und stieß die Frau, eine dralle Person von etwa dreißig Jahren, empört von sich.

»Nein, so etwas!« schrie er, worauf die Frau offenbar in der Annahme, er sei nur schüchtern, ihn wiederum umarmte.

»Scher dich weg! Fort mit dir, freches Frauenzimmer!« schimpfte er, mit seinem hölzernen Löffel vor ihrem Gesicht hin und her fuchtelnd. »Ich bitte vielmals um Verzeihung, meine Herren, doch Sie sind Zeuge, daß ich sie in keiner Weise ermutigt habe! Mein Gott, da kommt sie schon wieder! Halten Sie sie fest, Mr. Holly, bitte, halten Sie sie fest! Ich ertrage es nicht - nein, wirklich nicht! So etwas ist mir noch nie passiert, meine Herren, das schwöre ich. Es ist mir zutiefst zuwider!« Damit rannte er, so schnell er konnte, hinaus, und zum erstenmal sah ich die Ama-hagger lachen. Wer jedoch nicht lachte, war die Frau. Im Gegenteil, sie schäumte vor Wut, und die spöttischen Mienen der anderen Frauen reizten sie noch mehr. Buchstäblich schnaubend und bebend vor Empörung stand sie da, und ich wünschte Job und seine Skrupel zum Teufel, denn ich ahnte, daß er durch sein Benehmen die Gefahr, in der wir ohnedies bereits schwebten, noch vergrößert hatte. Und wie sich bald herausstellte, täuschte ich mich darin nicht.

Nachdem die Frau verschwunden war, kam Job in höchster Erregung zurück und betrachtete mißtrauisch jede Frau, die in seine Nähe kam. Ich benützte die nächste Gelegenheit, unseren Gastgebern zu erklären, daß Job verheiratet sei und in seiner Ehe sehr schlechte Erfahrungen gemacht habe; dies sei der Grund, weshalb er sich uns angeschlossen habe, und daher rühre seine tiefe Abneigung gegenüber Frauen. Doch meine Erklärungen stießen auf eisiges Schweigen, und mir wurde klar, daß man das Benehmen unseres Dieners als Beleidigung für den ganzen >Haus-halt< empfand, wenn auch die Frauen, dem Beispiel einiger ihrer zivilisierteren Schwestern folgend, sich über die Zurückweisung ihrer Gefährtin belustigten.

Nach dem Frühstück unternahmen wir einen Spaziergang und sahen uns die Viehherden der Ama-hagger und die von ihnen bepflanzten Felder an. Sie haben zwei Arten von Rindvieh; die eine ist groß und mager und ohne Hörner, gibt jedoch vorzügliche Milch, die andere, klein und fett, liefert ausgezeichnetes Fleisch, aber fast keine Milch. Die Ziegen sind langhaarig und werden nur ihres Fleisches wegen gezüchtet; jedenfalls sah ich nie, daß sie gemolken wurden.

Die Landbestellung der Amahagger ist äußerst primitiv, und das einzige Gerät, dessen sie sich dazu bedienen, ist ein eiserner Spaten, denn dieses Volk versteht Eisen zu schmelzen und zu bearbeiten. Dieser Spaten ist ähnlich geformt wie eine große Speerspitze und besitzt keine Fußstütze. Infolgedessen ist das Graben äußerst mühsam und wird ausschließlich von Männern besorgt, während die Frauen, im Gegensatz zu den Bräuchen anderer wilder Völker, von jeder körperlichen Arbeit befreit sind. Doch ich erwähnte ja bereits, daß das schwache Geschlecht bei den Amahaggern eine besondere Vorzugsstellung genießt.

Anfangs waren wir uns über Ursprung und Verfassung dieses merkwürdigen Stammes gänzlich im unklaren, da seine Angehörigen über diese Dinge striktes Stillschweigen bewahrten. Im Laufe der nächsten vier Tage, die ohne besondere Vorkommnisse verliefen, erfuhren wir jedoch einiges von Leos Freundin Ustane, die übrigens dem jungen Mann kaum von der Seite wich. Was ihren Ursprung betraf, so schien ihr nichts darüber bekannt zu sein. Es gab jedoch, wie sie uns berichtete, in der Nähe des Ortes, wo >Sie< wohnte, einen Platz namens Kor, an dem viele alte Mauern und Säulen standen. Dort hatten, wie die Weisen ihres Volkes sagten, einst Menschen gelebt, von denen sie wahrscheinlich abstammten. Niemand wage es, sich diesen Ruinen zu nähern, da sie von bösen Geistern bewohnt seien. Ähnliche Ruinen gebe es, so habe sie gehört, auch in anderen Teilen des Landes - überall dort, wo sich ein Berg über die Sümpfe erhebe. Auch die Höhlen, in denen sie hausten, seien von Menschen aus den Felsen herausgehauen worden, wahrscheinlich von den gleichen, welche die Städte errichtet hatten. Ihr Volk habe kein geschriebenes Gesetz, nur bestimmte Bräuche, die jedoch ebenso bindend seien. Wer gegen diese Bräuche verstoße, werde auf Befehl des Vaters des betreffenden >Haushaltes< hingerichtet. Als ich sie nach der Todesart fragte, lächelte sie nur und meinte, ich würde vielleicht bald Zeuge einer solchen Hinrichtung werden.

Sie hätten jedoch auch eine Königin. >Sie< sei ihre Königin, die sich aber nur sehr selten zeige, vielleicht alle zwei oder drei Jahre, wenn sie über irgendwelche Missetäter zu Gericht sitze. Sie sei in einen großen Mantel gehüllt, so daß niemand ihr Gesicht sehen könne. Ihre Bediensteten seien taub und stumm und könnten deshalb nichts verraten, doch sei sie angeblich schön wie kein anderes Weib auf Erden. Es heiße auch, daß sie unsterblich sei und Macht über alle Dinge habe, doch sie, Ustane, wisse nichts Näheres darüber. Sie glaube, daß die Königin sich von Zeit zu Zeit einen Gatten wähle, den sie, sobald sie ein weibliches Kind zur Welt gebracht habe, töten lasse. Wenn dieses Kind erwachsen sei, so trete es nach dem Tod der Mutter an deren Stelle. Doch über all dies wisse man nichts Genaues. Nur eines sei sicher: >Sie< herrsche über das ganze Land, und jedem, der sich gegen sie auflehne, sei der Tod sicher. Sie halte sich eine Leibgarde, doch gebe es kein stehendes Heer.

Ich fragte, wie groß das Land sei und wie viele Menschen darin lebten. Sie erwiderte, es gebe zehn >Haushalte<, einschließlich des großen, dem die Königin angehöre, und alle >Haushalte< lebten in Höhlen, die sich gleich dieser auf hochgelegenen Landstrichen befänden, welche von riesigen, nur auf geheimen Pfaden zu durchquerenden Sümpfen umgeben seien. Häufig bekriegten die >Haushalte< einander, bis >Sie< befehle, Frieden zu schließen, was dann jeweils unverzüglich geschehe. Diese Kriege sowie das Fieber, das man sich beim Durchschreiten der Sümpfe leicht zuziehe, verhinderten, daß die Bevölkerung allzu stark zunahm. Sie stünden mit keinem anderen Volk in Verbindung, und es lebe auch keines in der Nähe oder könne das ungeheure Sumpfgebiet durchqueren. Einmal habe eine Armee versucht, sie aus Richtung des großen Flusses (vermutlich des Sambesi) anzugreifen, doch sie habe sich in den Sümpfen verirrt, und da sie bei Nacht die Irrlichter fälschlich für feindliche Lagerfeuer gehalten hätte und darauf zumarschiert sei, wäre die Hälfte der gegnerischen Krieger ertrunken. Der Rest sei bald am Fieber gestorben oder verhungert, ohne daß man einen Schlag gegen sie hätte führen müssen. Die Sümpfe seien, wenn man nicht die geheimen Pfade kenne, völlig unpassierbar, und auch wir, erklärte sie, wären niemals ohne fremde Hilfe hierhergelangt.

Dies und manches andere erfuhren wir während der viertägigen Pause, die unseren weiteren Abenteuern vorausging, von Ustane, und man kann sich sicher vorstellen, daß es uns genügend Anlaß zum Nachdenken gab. Das Ganze war äußerst merkwürdig, ja fast unglaublich, und das seltsamste daran schien, daß es mehr oder weniger mit der alten Inschrift auf der Scherbe übereinstimmte. Da gab es also eine geheimnisvolle Königin, umwoben von Legenden, die ihr allerlei schreckliche und wunderbare Eigenschaften zuschrieben; eine Königin mit dem unpersönlichen, mir jedoch reichlich unheimlichen Titel >Sie<. Mir war das alles unbegreiflich, und Leo ebenfalls, obgleich dieser natürlich immer wieder triumphierend darauf hinwies, daß es seine Meinung bestätige. Was Job betrifft, so hatte er es längst aufgegeben, nach einer vernunftgemäßen Erklärung für diese phantastischen Geschehnisse zu suchen; er nahm alles gelassen hin, wie es kam. Mahomed, der Araber, den übrigens die Amahagger höflich, doch mit kühler Verachtung behandelten, schien sich sehr zu ängstigen, doch bekam ich nicht aus ihm heraus, wovor. Er saß den ganzen Tag zusammengekauert in einer Ecke der Höhle und beschwor Allah und die Propheten, ihn zu beschützen. Als ich in ihn drang, sagte er mir schließlich, er fürchte sich, weil diese Leute gar keine Männer und Frauen, sondern Teufel seien und weil wir uns in einem verwünschten Land befänden; und, offen gesagt, ein- oder zweimal in den folgenden Tagen war ich nahe daran, ihm beizupflichten. So verging die Zeit, und endlich kam der Abend des vierten Tages seit Billalis Abreise.

Wir drei und Ustane saßen vor dem Schlafengehen um ein Feuer in der Höhle, als sie, die schweigend vor sich hingestarrt hatte, plötzlich aufstand, ihre Hand auf Leos goldene Locken legte und ihn ansprach. Noch heute sehe ich, wenn ich die Augen schließe, ihre stolze, schöne Gestalt vor mir, wie sie, abwechselnd in dunklen Schatten und den flackernd roten Widerschein des Feuers gehüllt, dastand und ihren düsteren Gedanken und Vorahnungen in einem Lied Ausdruck verlieh, das etwa wie folgt lautete:

»Du mein Erwählter - du bist's, auf den ich wartete von Anbeginn!

Wie schön bist du. Kein anderer hat so goldenes Haar, so weiße Haut.

Keiner kommt dir an Stärke gleich, ist so sehr Mann wie du!

Der Himmel deine Augen sind, das Licht darin die Sterne.

Wie edel bist du und wie heiter dein Antlitz -Als ich dich erblickte, flog sogleich mein Herz dir zu, und ich begehrte dich.

Ich nahm dich zu mir, mein Geliebter,

Und hielt dich fest, daß dir kein Leid geschehe.

Ich deckte mit meinem Haar dein Haupt, um vor der Sonne Glut es zu beschützen,

Und war ganz dein, so wie du mein ganz bist gewesen.

So war es, bis ein böser Tag heranbrach;

Und was geschah an diesem Tag? Ach, mein Geliebter, ich weiß es nicht!

Ich weiß nur, daß du mir entschwandest, daß Dunkel mich umhüllte Und daß dich jene mir entriß, die stärker ist und schöner als Ustane.

Du wandtest dich um und riefst meinen Namen, und deine Augen mühten sich, das Dunkel zu durchdringen. Doch ihre Schönheit siegte, und sie führte dich hinab Pfade des Schreckens, und dann, ach! dann, mein Geliebter -«

Hier brach dieses seltsame Weib seinen uns gänzlich unverständlichen Singsang plötzlich ab und blickte mit funkelnden Augen in das tiefe Dunkel vor sich. Dann nahm ihr Gesicht einen starren, entsetzten Ausdruck an, als sehe sie ein grauenhaftes Bild vor sich. Sie nahm ihre Hand von Leos Kopf und deutete ins Dunkel. Wir alle blickten in die Richtung, in die ihre Hand wies, konnten jedoch nichts sehen. Sie hingegen schien etwas zu sehen, das sie zutiefst erschütterte, denn sie sank ohne einen Laut vor uns zu Boden.

Leo, den eine wirkliche Zuneigung zu dieser merkwürdigen jungen Frau erfüllte, war überaus erschrocken und besorgt, und mich befiel, wie ich ehrlich gestehen muß, eine abergläubische Furcht, denn das Ganze war zutiefst unheimlich.

Nach einer Weile kam Ustane wieder zu sich und richtete sich krampfhaft erschaudernd auf.

»Was sollte das bedeuten, Ustane?« fragte Leo, der dank seiner langjährigen Studien recht gut Arabisch sprach.

»Nichts, mein Geliebter«, erwiderte sie mit einem leisen, gezwungenen Lachen. »Ich habe dir nur, wie es bei uns Brauch ist, ein kleines Lied vorgesungen. Es hatte wirklich nichts zu bedeuten. Wie könnte ich auch von Dingen sprechen, die noch nicht sind?«

»Und was hast du gesehen, Ustane?« fragte ich und sah sie scharf an.

»Nichts«, antwortete sie wiederum. »Gar nichts. Fragt mich nicht danach. Warum soll ich euch erschrecken?« Und dann wandte sie sich mit einem Blick tiefster Zärtlichkeit, wie ich ihn nie noch bei einer Frau, ob zivilisiert oder wild, gesehen hatte, Leo zu, nahm seinen Kopf in ihre Hände und küßte ihn wie eine Mutter auf die Stirn.

»Wenn ich dich verlassen habe, mein Geliebter«, sagte sie, »und wenn du nachts die Hand ausstrecken und mich nicht finden wirst, dann denke daran, wie sehr ich dich geliebt habe, obwohl ich es nicht wert bin, dir die Füße zu waschen. Jetzt aber wollen wir uns lieben und glücklich und zufrieden sein mit dem, was unser ist; denn im Grab gibt es keine Liebe und keine Wärme und keine Küsse - nur bittere Reue über das Versäumte. Diese Nacht ist unser; wer weiß, wem die nächste Nacht gehören wird?«

Загрузка...