17 Eine Wendung

Wir folgten den Lampen der Stummen, die durch das Dunkel schwebten, und erreichten nach einigen Minuten eine Treppe, die uns in Ayeshas Vorzimmer führte, durch welches Billali tags zuvor auf allen vieren gekrochen war. Hier wollte ich mich von der Königin verabschieden, doch sie sagte:

»Nein, tritt nur ein, o Holly, denn wahrlich - ich unterhalte mich gern mit dir. Bedenke, Holly: zweitausend Jahre lang konnte ich mich mit niemandem unterhalten als mit Sklaven und meinen eigenen Gedanken, und obwohl all dieses Denken mich mit viel Weisheit erfüllt und mir viele Geheimnisse enthüllt hat, bin ich seiner doch überdrüssig und verabscheue meine eigene Gesellschaft, denn die Nahrung, welche die Erinnerung zu essen gibt, schmeckt bitter, und nur mit den Zähnen der Hoffnung vermag man sie zu beißen. Und mögen auch deine Gedanken grün und zart sein, wie es bei einem so jungen Mann nicht verwunderlich ist, so sind sie doch die eines denkenden Gehirns, und du erinnerst mich wahrhaftig an einige dieser alten Philosophen, mit denen ich in längst vergangenen Tagen in Athen und im arabischen Becca disputierte, denn deine Miene ist grämlich und du siehst verstaubt aus, als ob du all deine Tage damit zugebracht hättest, schlecht geschriebenes Griechisch zu lesen, und als seist du vom Schmutz alter Manuskripte schwarz gefärbt. So ziehe den Vorhang zurück und setze dich an meine Seite, und wir wollen

Früchte essen und von angenehmen Dingen reden. Siehe, ich entschleiere mich dir wieder. Du selbst bist schuld daran, o Holly; ich habe dich ehrlich gewarnt - doch nun sollst du mich schön nennen, wie es sogar jene alten Philosophen zu tun pflegten. Schande über sie, daß sie so ihre Philosophie vergaßen!«

Und ohne weiteren Aufhebens erhob sie sich, schüttelte das weiße Gewand von sich und schlüpfte gleißend und prachtvoll daraus hervor wie eine schillernde Schlange, die ihre Haut abgestreift hat; dann richtete sie ihre wunderbaren Augen auf mich -tödlicher als die eines Basilisken -, durchdrang mich ganz und gar mit ihrer Schönheit, und ihr helles Lachen klang wie das Geläut von Silberglöckchen.

Eine neue Stimmung erfüllte sie, die ganz von ihr Besitz ergriff. Sie war nicht mehr von Qual und Haß zerwühlt wie in der Nacht, als sie ihre tote Rivalin beim Schein der springenden Flamme verfluchte, nicht mehr düster und prächtig wie ein lyrisches Gewand in den Behausungen der Toten. Nein, ihre Stimmung war jetzt die einer siegreichen Aphrodite. Leben - strahlendes, jubelndes, wundervolles Leben -schien sie jetzt zu verströmen. Leise lachte und seufzte sie, und ihre Augen funkelten. Sie schüttelte ihre schweren Locken, und ihr Duft füllte den Raum; sie stampfte mit ihrem kleinen sandalenbekleideten Fuß auf den Boden und summte ein altes griechisches Hochzeitslied. All ihre Majestät war verschwunden, oder sie war verborgen und flackerte nur leise aus ihren lachenden Augen wie Blitze bei hellem Sonnenschein. Den Schrecken der springenden Flamme, die kalte Macht der Richterin, deren Urteil eben vollstreckt wurde, und die fahle Traurigkeit der Gräber hatte sie von sich, hinter sich geworfen wie das weiße Gewand, das sie getragen, und nun stand sie da wie die Verkörperung lieblicher, verlockender Weiblichkeit, vollkommener - und in gewisser Weise durchgeistigter - als je ein Weib zuvor.

»Komm, mein Holly, setze dich dorthin, wo du mich sehen kannst. Erinnere dich, es war dein eigener Wunsch - ich sage noch einmal, gib nicht mir die Schuld, wenn du den Rest deines kurzen Lebens mit einer solchen Qual im Herzen zubringst, daß du wünschen wirst, lieber gestorben zu sein, als deinen neugierigen Blick auf mich gerichtet zu haben. Ja, bleibe so sitzen und sage mir - denn, wahrhaftig, mich verlangt nach Schmeicheleien -, sage mir, bin ich nicht schön? Nein, nicht so hastig, überlege es dir gut; prüfe mich Zug um Zug, vergiß meine Gestalt nicht, meine Hände und Füße und mein Haar und die Weiße meiner Haut, und nun sage mir ehrlich, hast du je ein Weib gesehen, das auch nur in einem kleinen Teil ihrer Schönheit, im Schwung einer Augenbraue oder in der Wölbung eines muschelgleichen Ohres, sein Licht neben meiner Schönheit leuchten lassen dürfte? Und nun meine Taille! Vielleicht findest du sie zu weit, doch das ist sie nicht; nur diese goldene Schlange hier ist zu groß und liegt nicht so eng an, wie sie sollte. Es ist eine kluge Schlange, die wohl weiß, daß man die Taille nicht zu fest schnüren darf. Doch jetzt gib mir deine Hände - so - lege sie um mich - ein wenig fester - siehst du, wie deine Finger sich berühren, o Holly!«

Ich ertrug es nicht länger. Ich bin nur ein Mann, doch sie war mehr als ein Weib. Weiß der Himmel, was sie war - ich weiß es nicht! Doch ich sank auf der Stelle vor ihr auf die Knie und gestand ihr in einem kläglichen Sprachengemisch - denn in solchen Augenblicken verwirren sich die Gedanken -, daß ich sie anbetete, wie noch nie ein Weib angebetet wurde, daß ich meine unsterbliche Seele dafür hingeben würde, wenn sie die Meine werden wolle, was ich damals in der Tat zu tun bereit gewesen wäre. Einen Augenblick schien sie ein wenig erstaunt, dann lachte sie und klatschte vergnügt in die Hände.

»Oh, so schnell, o Holly!« rief sie. »Ich habe mich gefragt, wie lange es wohl dauern würde, dich auf die Knie zu bringen. Wie lange ist es her, daß ich einen Mann vor mir knien sah, und glaube mir, süß ist dieser Anblick für ein Weib, ein holdes Glück, welches unseres Geschlechtes einziges Vorrecht ist und das weder Weisheit noch die Länge der Tage mindern können.

Was willst du? - Was willst du? Oh, du weißt nicht, was du tust. Habe ich dir nicht gesagt, daß ich nicht die Deine sein kann? Ich liebe nur einen, und der bist du nicht. Ach, Holly, trotz all deiner Weisheit - und auf deine Art bist du weise - bist du nur ein Tor, der einer Torheit nachjagt. Ins Auge willst du mir schauen, küssen willst du mich! Wohlan, wenn es dich beglückt, so schaue!« Und sie neigte sich mir zu und richtete ihre dunklen, funkelnden Augen auf die meinen; »ja, und küsse mich auch, wenn du willst, denn dank der Welt weisem Plan hinterlassen Küsse keine Spuren, es sei denn im Herzen. Doch merke, wenn du mich küßt, so wird sich dein Herz vor Liebe nach mir verzehren, und du wirst sterben!« Und sie neigte sich noch weiter zu mir vor, bis ihr weiches Haar meine Stirn streifte und ihr duftender Atem über mein Gesicht hauchte und mich lähmte. Schon streckte ich die Arme aus, sie an mich zu ziehen, da richtete sie sich plötzlich auf, und eine rasche Veränderung ging mit ihr vor. Sie hob die Hand und hielt sie über meinen Kopf, und mir war, als ströme irgend etwas in mich, das mir die Sinne kühlte und mir das Bewußtsein von Schicklichkeit und Anstand zurückgab.

»Genug der Tändelei«, sagte sie in ernstem Ton. »Höre mich an, Holly. Du bist ein guter, ehrenhafter Mann, und ich möchte dich schonen; doch, ach! es ist für ein Weib so schwer, barmherzig zu sein. Ich habe dir gesagt, daß ich die Deine nicht sein kann, verscheuche deshalb deine Gedanken, lasse den Staub deiner Phantasie wieder in die Tiefen - nun, der Verzweiflung sinken, wenn es sein muß. Du kennst mich nicht, Holly. Hättest du mich vor nur zehn Stunden gesehen, als meine Leidenschaft mich packte, so wärest du zitternd vor Furcht zurückgewichen. Meiner Launen sind gar viele, und ich spiegle wie das Wasser in jenem Gefäß viele Dinge; doch sie vergehen, mein Holly, sie vergehen und sind vergessen. Nur das Wasser bleibt das Wasser, und ich bleibe ich und kann mich in meinem Wesen nicht ändern. Deshalb lasse dich nicht von dem verlocken, was ich zu sein scheine; sieh ein, daß du nicht wissen kannst, was ich bin. Wenn du mich noch einmal quälst, so werde ich mich wieder verschleiern, und du wirst mein Gesicht nie mehr sehen.«

Ich erhob mich und sank auf die Kissen neben ihr, noch immer zitternd vor Erregung, obwohl die tolle Leidenschaft mich für einen Augenblick verlassen hatte - wie die Blätter eines Baumes noch immer zittern, wenn der Sturm vorüber ist. Ich wagte nicht, ihr zu sagen, daß ich sie in jener unheimlichen, höllischen Laune, Beschwörungen über dem Feuer in dem Grab murmelnd, gesehen hatte.

»So«, fuhr sie fort, »iß jetzt ein wenig Obst; glaube mir, es ist die einzig richtige Nahrung für den Menschen. Oh, erzähle mir von der Philosophie dieses hebräischen Messias, der nach mir kam und der, wie du sagst, heute Rom und Griechenland und Ägypten und auch die Barbarenvölker regiert. Er muß eine seltsame Philosophie haben, denn zu meiner Zeit wollten die Völker nichts von unseren Philosophien wissen. Schwelgerei und Sinnenlust und Zechen, Blut und kalter Stahl und Schlachtgetümmel waren ihre Glaubenssätze.«

Ich hatte mich indessen ein wenig erholt und, meiner Schwäche mich zutiefst schämend, tat ich mein Bestes, ihr die Lehren des Christentums zu erklären, doch merkte ich, daß sie ihnen mit einer Ausnahme -unserer Auffassung von Himmel und Hölle - nur wenig Aufmerksamkeit schenkte und ihr ganzes Interesse auf den Mann richtete, der sie verkündete. Ich erzählte ihr auch, daß in ihrem eigenen Volke, den Arabern, ein Prophet, Mohammed, erstanden war und einen neuen Glauben gepredigt hatte, dem nun viele Millionen Menschen anhingen.

»Ah!« rief sie; »sieh an - zwei neue Religionen! Wie viele habe ich gekannt, und sicherlich hat es noch viel mehr gegeben, seit ich in diesen Höhlen weile. Immer wieder suchen die Menschen zu ergründen, was hinter den Himmeln ist. Der Ursprung aller Religionen ist der gleiche - Angst vor dem Ende und eine verhüllte Form von Ichsucht. Merke dir, mein Holly, jede Religion verheißt ihren Anhängern, oder zumindest den Guten unter ihnen, die Zukunft. Der Ungläubigen, die nichts von ihr wissen wollen und welche das Licht, das die Gläubigen anbeten, nur undeutlich sehen, wie die Fische die Sterne, harrt das Böse. Religionen kommen und gehen, und Kulturen kommen und gehen, und nichts hat Bestand als die Welt und die menschliche Natur. Ach! käme doch der Mensch zur Einsicht, daß die Hoffnung von innen und nicht von außen kommt - daß nur er selbst sich erlösen kann! In ihm ist der Hauch des Lebens und das Wissen um Gut und Böse. Möge er doch darauf bauen und sich stützen und nicht sich niederwerfen vor dem Bildnis eines unbekannten Gottes, der nach seinem armseligen Ich geformt ist, doch mit einem größeren Gehirn, das Böse zu denken, und mit einem längeren Arm, es zu tun.«

Ich dachte bei mir, daß ihre Argumente ganz ähnlich klangen wie einige andere, die ich im neuzehnten Jahrhundert und an anderen Orten als den Höhlen von Kor vernommen hatte und welche ich, nebenbei bemerkt, gänzlich verwerfe, doch mir stand nicht der Sinn danach, mit ihr über diese Fragen zu diskutieren. Mein Geist war viel zu erschöpft von all der Aufregung, die ich durchgemacht hatte, und überdies wußte ich, daß ich den kürzeren ziehen würde. Es ist schon mühsam genug, mit einem gewöhnlichen Materialisten zu streiten, der einem statistische Daten und ganze Haufen geologischer Tatsachen an den Kopf wirft, während man nur mit Deduktionen und Ahnungen und den Schneeflocken des Glaubens parieren kann, die leider in der heißen Glut solcher Scharmützel allzu leicht schmelzen. Wie wenig konnte ich also erst gegen ein Wesen ausrichten, des-sen Geist übernatürlich scharf war, das über eine zweitausendjährige Erfahrung verfügte und um alle Geheimnisse der Natur wußte! Ich hatte das Gefühl, daß eher sie mich bekehren würde als ich sie, und so hielt ich es für das beste, die Sache auf sich beruhen zu lassen und zu schweigen. Wie oft habe ich seither bitter bedauert, daß ich dies tat, denn ich versäumte so die einzige sich mir bietende Gelegenheit, Ayeshas wahren Glauben und ihre >Philosophie< kennenzulernen.

»So, mein Holly«, fuhr sie fort, »mein Volk hat also auch einen Propheten gefunden, einen falschen Propheten, wie du sagst, denn er ist nicht der deine, und in der Tat, ich bezweifle es nicht. Doch zu meiner Zeit war es anders, damals hatten wir Araber viele Götter. Da gab es Allat und Saba, den Herrn des Himmels, Al Uzza und Manah, den Steinernen, für den das Opferblut floß; und Wadd und Sawa und Jaghüth, den Löwen der Bewohner von Jemen; Yäük, das Pferd von Morath, und Nasr, den Adler von Hamyar und viele andere. Oh, überall diese Torheit, diese Schande und jämmerliche Torheit! Doch als die Weisheit in mir wuchs und ich von ihr sprach, da wollten sie mich im Namen ihrer erzürnten Götter erschlagen. Nun ja, so ist es stets gewesen; aber, mein Holly, bist du meiner vielleicht bereits müde, daß du so schweigsam dasitzest? Oder fürchtest du, ich könnte dich meine Philosophie lehren? - Denn glaube mir, ich habe eine Philosophie! Was wäre ein Lehrer ohne seine eigene Philosophie?

Und falls du mich ärgerst, hüte dich um so mehr, denn dann werde ich sie dich lehren; du sollst mein Schüler sein, und wir beide werden einen neuen Glauben gründen, der alle anderen verdrängt. Treuloser, du! Vor einer halben Stunde erst lagst du vor mir auf den Knien - eine Haltung, die dir gar nicht gut ansteht, Holly - und schworst, mich zu lieben. Was wollen wir nun tun? - Halt, ich hab's. Ich werde kommen und nach diesem Jüngling, dem Löwen, sehen, wie der alte Billali ihn zu nennen pflegt, nach ihm, der so krank ist. Das Fieber muß ihn indessen verlassen haben, doch wenn er im Sterben liegt, so werde ich ihn heilen. Keine Angst, mein Holly, ich werde keine Magie anwenden.

Sagte ich dir nicht, daß es keine Magie gibt, sondern nur Verstehen und das Wissen, die Kräfte der Natur anzuwenden? Gehe jetzt, und sobald ich die Medizin bereitet habe, werde ich dir folgen[16]

So ging ich denn und traf Job und Ustane in größter Sorge an. Sie erklärten mir, daß Leo in den letzten Zügen liege und daß sie überall nach mir gesucht hätten. Ich eilte an Leos Lager und warf einen Blick auf ihn - kein Zweifel, er lag im Sterben. Er war bewußtlos und sein Atem ging schwer, doch seine Lippen zuckten, und hin und wieder durchlief ein Schauder seinen Körper. Ich verstand genug von der ärztlichen Kunst, um zu sehen, daß es in einer: Stunde keine menschliche Hilfe mehr für ihn geben würde - vielleicht sogar schon in den nächsten fünf Minuten! Wie verwünschte ich meine Selbstsucht und Tor- heit, die mich an Ayeshas Seite hatte verweilen lassen, während mein lieber Junge mit dem Tode rang! Ach, wie leicht kann doch der Glanz von Weiberaugen selbst die Besten unter uns auf den Pfad des Bösen führen! Was für ein jämmerlicher Wicht war ich doch! Ich hatte in der Tat während der letzten halben Stunde Leos kaum gedacht, jenes Menschen - man bedenke! -, der seit zwanzig Jahren mein treuester Gefährte, der Mittelpunkt meines Daseins gewesen. Und nun war es vielleicht zu spät!

Die Hände ringend, blickte ich um mich. Ustane saß neben dem Lager, und in ihren Augen glomm düstere Verzweiflung. Job hockte gotterbärmlich schluchzend in der Ecke. Als er meinen Blick auf sich ruhen fühlte, ging er hinaus, um sich auf dem Gang seinem Kummer hinzugeben. Die einzige Hoffnung lag offensichtlich in Ayesha. Sie, nur sie allein konnte ihn retten - es sei denn, sie war eine Betrügerin, was ich indes nicht glauben konnte. Ich beschloß, zu ihr zu eilen und sie zu beschwören, sofort zu kommen. Als ich mich dazu anschickte, stürzte jedoch Job mit buchstäblich in die Höhe gesträubten Haaren in die Kammer.

»O Gott steh uns bei, Sir!« stieß er ängstlich flüsternd hervor, »ein Leichnam kommt durch den Gang geschritten!«

Einen Augenblick war ich verdutzt, doch dann fiel mir ein, daß er Ayesha gesehen haben mußte; in ihrem leichentuchähnlichen Gewand und infolge ihres seltsamen, schwebenden Ganges hatte er sie wohl für einen Geist gehalten. Im gleichen Augenblick löste sich auch schon die Frage, denn Ayesha trat ein. Job wandte sich um, sah ihre verhüllte Gestalt, sprang mit dem Entsetzensschrei »Da kommt es!« in die Ecke und drückte sein Gesicht an die Wand, während Ustane sogleich erriet, wer vor ihr stand, und sich der Länge nach zu Boden warf.

»Du kommst gerade noch zur rechten Zeit, Ayesha«, sagte ich, »denn mein Junge liegt im Sterben.«

»So«, erwiderte sie leise. »Wenn er noch nicht tot ist, ist es nicht zu spät, denn ich kann ihn ins Leben zurückrufen, mein Holly. Ist jener Mann dort dein Diener, und pflegen auf diese Weise in deinem Lande Diener Fremde zu begrüßen?«

»Er fürchtet sich vor deinem Gewand - es ähnelt einem Totenhemd«, erwiderte ich. Sie lachte.

»Und das Mädchen? Ach ja, ich weiß. Sie ist es, von der du mir erzählt hast. Nun, befiehl beiden, uns zu verlassen, und dann will ich nach deinem kranken Löwen sehen. Ich möchte nicht, daß Untergebene Zeugen meiner Weisheit werden.«

Ich gebot Ustane auf arabisch und Job auf englisch, die Kammer zu verlassen; ein Befehl, den der letztere nur allzu gern und schnell befolgte, denn er konnte seine Furcht nicht bezwingen. Anders jedoch Ustane.

»Was will >Sie

»Warum verläßt uns diese Frau nicht, mein Holly?« rief Ayesha vom anderen Ende der Höhle, wo sie flüchtig einige Skulpturen an der Wand betrachtete.

»Sie will Leo nicht verlassen«, antwortete ich, da mir nichts anderes einfiel. Ayesha fuhr herum, deutete mit der Hand auf das Mädchen und sagte ein einziges Wort, welches jedoch genügte, denn der Ton, in dem sie es hervorstieß, sprach Bände.

»Geh!«

Da kroch Ustane auf Händen und Füßen an ihr vorbei zur Kammer hinaus.

»Siehst du, mein Holly«, sagte Ayesha leise lachend, »es war nötig, daß ich diesen Menschen eine Lektion in Gehorsam erteilte. Dieses Mädchen hätte sich mir beinahe widersetzt, aber sie hat wohl heute morgen nicht gesehen, wie ich die Ungehorsamen bestrafe. Nun, sie ist fort; jetzt will ich nach dem Kranken sehen«, und sie trat an das Lager, auf dem Leo ruhte, das Gesicht im Schatten und der Wand zugedreht.

»Welch stattlicher Jüngling«, sagte sie, als sie sich über ihn beugte, um sein Gesicht zu betrachten.

In der nächsten Sekunde taumelte ihre schlanke, biegsame Gestalt durch die Kammer zurück, als hätte ein Schuß oder ein Dolchstoß sie getroffen, und dann entrang sich ihren Lippen der entsetzlichste, unheimlichste Schrei, den ich in meinem ganzen Leben hörte.

»Was ist dir, Ayesha?« rief ich. »Ist er tot?«

Sie wandte sich um und sprang auf mich zu wie eine Tigerin.

»Du Hund!« sagte sie in ihrem schrecklichen Flüstern, das wie das Zischen einer Schlange klang, »warum hast du mir das verschwiegen?« Ich dachte, sie wolle mich erschlagen.

»Was?« stieß ich zutiefst erschrocken hervor, »was?«

»Ach!« sagte sie, »vielleicht hast du es nicht gewußt. Höre, mein Holly, höre: dort liegt - dort liegt mein verlorener Kallikrates. Kallikrates ist endlich zu mir zurückgekehrt - ich wußte es ja, ich wußte es, daß er kommen wird!« und sie begann zu schluchzen und zu lachen und sich ganz wie jede andere außer sich geratene Dame aufzuführen, indem sie in einem fort »Kallikrates, Kallikrates!« murmelte.

>Unsinn<, dachte ich bei mir, wagte jedoch nicht, es zu sagen; in diesem Augenblick dachte ich nur an Leos Leben und vergaß in meiner schrecklichen Angst, er könnte sterben, während sie ihren Gefühlen freien Lauf ließ, alles andere.

»Wenn du ihm nicht hilfst, Ayesha«, unterbrach ich sie, »wird dein Kallikrates dich bald nicht mehr hören können. Sieh doch, er stirbt schon.«

»Richtig«, sagte sie zusammenzuckend. »Oh, warum kam ich nicht früher? Ich bin so verwirrt - meine Hand zittert - und doch ist es so leicht. Hier, Holly, nimm diese Phiole«, und sie zog eine kleine Tonflasche aus den Falten ihres Gewandes, »und schütte ihm die Flüssigkeit in den Mund. Sie wird ihn heilen, wenn er noch nicht tot ist. Rasch jetzt! Rasch! Er stirbt!«

Ich warf einen Blick auf ihn; es stimmte, Leo lag im Todeskampf. Sein armes Gesicht färbte sich aschfahl, und ein Röcheln drang aus seiner Kehle. Die Phiole war mit einem kleinen Stück Holz verschlossen. Ich zog es mit den Zähnen heraus, und ein kleiner Tropfen der Flüssigkeit netzte meine Zunge. Sie schmeckte süß, und eine Sekunde lang wurde ich schwindlig und ein Nebel braute sich vor meinen Augen zusammen, doch zum Glück ging dies so schnell vorüber, wie es gekommen war.

Als ich Leos Lager erreichte, lag er in den letzten Zügen - sein goldgelockter Kopf bewegte sich langsam hin und her, und sein Mund stand ein wenig offen. Ich bat Ayesha, seinen Kopf zu halten, und sie tat es, obwohl sie von Kopf bis Fuß zitterte wie Espenlaub. Dann goß ich ihm, seinen Mund ein wenig weiter öffnend, den Inhalt der Phiole hinein. Ein schwacher Dampf stieg auf, wie wenn man eine Flasche mit Salpetersäure öffnet, und dieser Anblick stärkte nicht gerade meine ohnedies zage Hoffnung auf einen Erfolg dieser Behandlung.

Eins jedoch war gewiß: der Todeskampf hörte auf -zuerst dachte ich, es sei aus mit ihm und er habe den dunklen Fluß überschritten. Sein Gesicht wurde leichenblaß, und das Schlagen seines Herzens, das ohnedies schon ganz schwach gewesen war, schien gänzlich aufzuhören - nur die Augenlider zuckten noch ein wenig. Zweifelnd blickte ich zu Ayesha auf, deren Kopfschleier, als sie erschrocken zurücktaumelte, herabgerutscht war. Sie hielt noch immer Leos Kopf und betrachtete, ebenso bleich wie er, sein Gesicht mit einem Ausdruck unsäglicher Todesangst, wie ich ihn noch nie gesehen hatte. Anscheinend wußte auch sie nicht, ob er am Leben bleiben oder sterben würde. Langsam vergingen fünf Minuten, und ich sah, daß sie die Hoffnung aufgab; ihr schönes ovales Gesicht schien einzufallen und sichtlich schmäler zu werden unter ihrer Seelenqual, die schwarze Schatten um ihre Augen zeichnete. Das Korallenrot ihrer Lippen verblich, bis sie weiß waren wie Leos Gesicht und kläglich zuckten. Ihr Anblick war herzzerreißend, und trotz meines eigenen Kummers empfand ich für sie Mitleid.

»Ist es zu spät?« keuchte ich.

Ohne zu antworten, verbarg sie ihr Gesicht in den Händen, und auch ich wandte mich ab. Doch während ich dies tat, hörte ich einen langgezogenen Seufzer, und als ich niederblickte, sah ich, wie Röte Leos Gesicht überhauchte. Wieder seufzte er, und dann -Wunder über Wunder - drehte sich der Mann, den wir für tot gehalten hatten, auf die Seite.

»Sieh doch«, flüsterte ich.

»Ich sehe«, erwiderte sie heiser. »Er ist gerettet. Ich dachte schon, es sei zu spät - noch einen Augenblick - einen kleinen Augenblick -, und er wäre tot gewesen!« Ein schrecklicher Weinkrampf überkam sie, und sie schluchzte, als wollte ihr das Herz brechen, wobei sie schöner aussah denn je zuvor. Endlich kam sie zu sich.

»Verzeih mir, o Holly - vergib mir meine Schwäche«, sagte sie. »Wie du siehst, bin ich trotz allem nur ein Weib. Stelle dir das nur vor! Erst heute morgen sprachst du von diesem Marterplatz deiner neuen Religion. Hölle oder Hades nanntest du ihn - einen Ort, wo die Seele weiterlebt, eingedenk der Vergangenheit, wo all die Irrtümer und Fehler und unbefriedigten Leidenschaften und Schrecken, die sie je erfüllten, das Herz für immer und ewig peinigen und quälen ohne einen Hoffnungsschimmer. So, genau so, habe ich zweitausend Jahre lang gelebt - an die Sechsundsechzig Generationen nach eurer Zeitrechnung - in einer Hölle, wie du sagtest - gequält von der Erinnerung an ein Verbrechen, Tag und Nacht gepeinigt von einem ungestillten Verlangen - ohne Gefährten, ohne Trost, unsterblich, geleitet nur auf meinem dunklen Pfad von den Irrlichtern der Hoffnung, die mich, bald aufflackernd, bald verlöschend, wie meine Kunst mir sagte, dereinst zu meinem Retter führen würden.

Und dann - bedenke es gut, o Holly, nie wieder wirst du eine solche Geschichte hören, nie wieder Zeuge solcher Dinge werden, nicht, wenn ich dir zehntausend Jahre Leben schenkte - und die sollst du, wenn du willst, als Lohn empfangen -, dann endlich kam mein Retter - er, dessen ich all die Zeiten hindurch geharrt - zu der vorherbestimmten Zeit kam er, mich zu suchen, wie ich es gewußt, denn meine Weisheit trügt mich nicht, wenn ich auch nicht wußte, wann und wie. Und dennoch - wie unwissend war ich! Wie klein mein Wissen ist, wie gering meine Stärke! Seit Stunden lag er hier und rang mit dem Tode, und ich ahnte es nicht - ich, die ich zweitausend Jahre lang auf ihn wartete - ich wußte es nicht! Und dann endlich sehe ich ihn, und um Haaresbreite hatte ich ihn verloren, denn er liegt im Rachen des Todes, dem ihn all meine Macht nicht entreißen kann. Und wenn er stirbt, so muß ich diese Hölle noch einmal durchleben - noch einmal all die endlosen Jahrhunderte durchwandern und warten, warten, bis die Zeit erfüllt ist und meinen Geliebten mir zurückbringt. Und dann gabst du ihm die Medizin, und diese wenigen Minuten, in denen ich nicht wußte, ob er leben oder sterben wird, glaube mir, sie waren länger als die sechzig Menschenalter, die ich durchlitt. Doch endlich waren sie vergangen, und noch immer kein Zeichen, und ich wußte, wenn die Medizin jetzt nicht wirkt, dann wirkt sie überhaupt nicht. Ich dachte schon, er ist wieder tot, und all die Qualen aller dieser Jahre vereinten sich zu einem einzigen giftigen Speer, der sich tief in mich bohrte, denn wieder hatte ich Kallikrates verloren! Und dann, als alles schon vorüber schien, da seufzte er - bedenke -er seufzte! Er lebte! Und ich wußte, er würde am Leben bleiben, denn es stirbt keiner, bei dem die Medizin wirkt. Bedenke dies, mein Holly - bedenke dieses Wunder! Er wird nun zwölf Stunden schlafen, und dann hat die Krankheit ihn verlassen und er ist dem Leben und auch mir zurückgegeben!«

Sie verstummte und legte ihre Hand auf sein goldenes Haupt, und dann beugte sie sich nieder und küßte seine Stirne mit einer keuschen Hingabe und Zärtlichkeit, die rührend anzusehen gewesen wäre, hätte der Anblick nicht mein Herz durchbohrt - denn ich war eifersüchtig!

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