13 Ayesha entschleiert sich

»Er ist fort, der weißbärtige alte Narr«, sagte >Sie<. »Ach, wie wenig Wissen erwirbt doch der Mensch in seinem Leben.

Wie Wasser sucht er es zu sammeln, doch wie Wasser rinnt es durch seine Finger, und sind seine Finger auch nur ein wenig benetzt, so ruft gleich ein Heer von Narren: >Seht, welch ein Weiser!< Ist es nicht so? Doch sag mir, wie heißt du? Er nennt dich >Pavian<«, fuhr sie lachend fort, »doch das ist bei diesen Wilden, denen es an Phantasie mangelt, so Brauch. Sie geben einander die Namen von Tieren, denen sie ähneln. Wie nennt man dich in deinem eigenen Land, Fremdling?«

»Ich heiße Holly, o Königin«, erwiderte ich.

»Holly«, wiederholte sie ein wenig mühsam, doch mit einem entzückenden Akzent. »Und was bedeutet >Holly

»Holly ist ein stacheliger Baum[10]«, sagte ich.

»Ja, wirklich, du siehst aus wie ein Baum mit Stacheln, stark und häßlich. Doch wenn mich nicht alles täuscht, so bist du durch und durch ehrlich und verläßlich. Und auch ein scharfer Denker. Doch komm, Holly, bleibe nicht dort stehen; tritt ein und setze dich zu mir. Ich möchte nicht, daß du vor mir kriechst wie jene Sklaven. Ihrer Verehrung und ihrer Furcht bin ich müde; manchmal, wenn sie mich belästigen, hätte ich fast Lust, sie umzubringen.« Sie zog mit ihrer elfenbeinweißen Hand den Vorhang weg, und ich trat schaudernd ein. Dieses Weib war schrecklich. Hinter den Vorhängen befand sich ein Alkoven, etwa zwölf Fuß lang und zehn Fuß breit; darin standen ein Ruhebett und ein Tisch mit einer Schale voller Früchte und einem Krug klaren Wassers. Daneben stand ein ebenfalls mit Wasser gefülltes steinernes Becken. Mehrere Lampen in der Form der bereits erwähnten schönen Krüge erfüllten den Raum mit sanftem Licht, und ein zarter Duft hing in der Luft. Auch das herrliche Haar und das weiße Gewand der Herrscherin schienen einen angenehmen Duft auszuströmen. Ich trat in das kleine Gemach und blieb unschlüssig stehen.

»Setze dich«, sagte sie und deutete auf das Ruhebett. »Noch hast du keinen Grund, mich zu fürchten. Und wenn du Grund hast, wird deine Furcht nicht lange dauern, denn ich werde dich töten. Sei also leichten Herzens.«

Ich setzte mich auf das Fußende des Ruhebettes neben das Wasserbecken, und sie ließ sich sanft auf das andere Ende nieder.

»Sag, Holly«, fragte sie, »wie kommt es, daß du Arabisch sprichst? Es ist meine eigene liebe Sprache, denn ich bin von Geburt Araberin, ja sogar >al Arab al Ariba<, eine Araberin der Araber, aus dem Geschlecht unseres Vaters Yarab, dem Sohne Kahtans, geboren in der schönen alten Stadt Ozal in der glücklichen Provinz Jemen. Doch du sprichst die Sprache anders, als wir sie zu sprechen pflegten. Deiner Rede fehlt der süße Wohllaut der Hamyars, die ich meistens sprechen hörte. Auch einige deiner Worte lauten anders als bei den Amahaggern, welche das Arabische entstellt und verunreinigt haben, so daß ich mit ihnen fast in einer mir fremden Sprache reden muß.«[11]

»Ich habe sie viele Jahre lang studiert«, erwiderte ich. »Auch spricht man sie noch in Ägypten und anderen Ländern.«

»Sie wird also noch gesprochen, und es gibt noch ein Ägypten? Welcher Pharao sitzt heute auf dem Thron? Immer noch einer aus der Brat des Persers Ochus, oder sind die Achämeniden dahingegangen?«

»Die Perser sind schon seit fast zweitausend Jahren aus Ägypten verschwunden, und nach ihnen haben die Ptolemäer, die Römer und viele andere das Land am Nil beherrscht und sind gestürzt, wenn ihre Zeit reif war«, sagte ich zutiefst erstaunt. »Wie kannst du von dem Perser Artaxerxes wissen?«

Sie lachte, ohne mir zu antworten, und wieder überlief mich ein Schauder. »Und Griechenland?« fragte sie. »Gibt es noch ein Griechenland? Ach, die Griechen habe ich geliebt. Sie waren schön wie der Tag und klug, doch dabei tief im Innern wild und launenhaft.«

»Ja«, sagte ich, »ein Griechenland gibt es, und die Griechen sind auch wieder ein Volk. Doch die Grie-

chen von heute sind nicht mehr die gleichen wie einst, und auch Griechenland ist nur ein Schatten dessen, was es gewesen ist.«

»So! Und die Hebräer? Sind sie noch in Jerusalem? Und steht der Tempel noch, den ihr weiser König baute, und wenn ja, welchen Gott beten sie heute darin an? Ist ihr Messias gekommen, dessen Ankunft sie so laut verkündeten, und regiert er die Welt?«

»Die Juden sind zerfallen und untergegangen, die Reste ihres Volkes über die ganze Welt verstreut, und Jerusalem ist nicht mehr. Der Tempel, den Herodes baute ... «

»Herodes?« sagte sie. »Ich kenne keinen Herodes. Doch sprich weiter.«

»Die Römer brannten ihn nieder, und die römischen Adler flatterten über seiner Ruine, und Judäa ist heute eine Wüste.«

»So, so! Sie waren ein großes Volk, diese Römer, und sie gingen unbeirrt auf ihr Ziel zu - ja sie stürzten sich darauf wie ihre Adler auf die Beute - und nach ihnen kam der Frieden.«

»Solitudinem faciunt, pacem appellant«, warf ich ein.

»Oh, Lateinisch sprichst du auch!« sagte sie. »Es klingt seltsam in meinen Ohren nach all der Zeit, und ich glaube, du sprichst es anders aus als die Römer. Von wem stammt dieser Satz? Ich kenne ihn nicht, doch er paßt ausgezeichnet zu diesem großen Volk. Mir scheint, du bist ein Gelehrter - einer von denen, die das Wasser des Wissens in den Händen halten. Sprichst du auch Griechisch?«

»Ja, o Königin, und auch ein wenig Hebräisch, doch nicht gut. Das alles sind heute tote Sprachen.«

Sie klatschte voll kindlicher Freude in die Hände.

»Wahrhaftig, ein so häßlicher Baum du bist - auf dir wachsen die Früchte der Weisheit, o Holly«, sagte sie. »Doch erzähle mir noch von den Juden, welche ich haßte, denn sie nannten mich eine >Heidin<, als ich sie meine Philosophie lehren wollte. Ist ihr Messias gekommen und regiert er die Welt?«

»Ihr Messias kam«, erwiderte ich ehrfürchtig, »doch er kam arm und niedrig, und sie wollten nichts von ihm wissen. Sie geißelten ihn und schlugen ihn ans Kreuz, doch seine Worte und Werke leben fort, denn er war Gottes Sohn, und heute regiert er die halbe Welt, obwohl sein Reich nicht von dieser Welt ist.«

»Oh, diese bösen Wölfe«, sagte sie. »Anbeter der Sinnenlust und vieler Götter - gierig nach Gewinn und zerrissen von Zwietracht. Ich sehe ihre dunklen Gesichter noch vor mir. Gekreuzigt haben sie also ihren Messias? Das sieht ihnen ähnlich. Daß er ein Sohn des Lebendigen Geistes war, bedeutete ihnen nichts -falls er es wirklich war, doch darüber wollen wir später reden. Aus einem Gott, der nicht mit Macht und Prunk zu ihnen kommt, machen sie sich nichts. Als auserwähltes Volk Jehovas betrachten sie sich und beten zu Baal, zu Astarte, zu den Göttern der Ägypter - ein hochmütiges Volk, gierig nach allem, was ihnen Macht und Reichtum brachte. So haben sie also ihren Messias gekreuzigt, weil er in schlichter Gestalt kam - und heute sind sie verstreut über die ganze Welt? Soviel ich mich entsinne, hat dies bereits einer unserer Propheten vorhergesagt. Doch sprechen wir nicht mehr von ihnen - sie haben mein Herz gebrochen, diese Juden, sie sind schuld, daß ich mit bösen Augen diese Welt betrachte. Sie trieben mich in diese Wildnis, in diesen Schlupfwinkel eines Volkes, das vor ihnen war. Als ich sie in Jerusalem Weisheit lehren wollte, steinigten sie mich vor dem Tor des Tempels - ja, diese weißbärtigen Heuchler und Rabbis hetzten das Volk auf, mich zu steinigen! Siehe, dieses Mal trage ich noch heute!« Und sie streifte mit einer plötzlichen Bewegung das dünne Gewand von ihrem rechten Arm und deutete auf eine kleine Narbe, welche sich rot von dem makellosen Weiß abhob.

Ich zuckte bestürzt zurück.

»Verzeih, o Königin«, sagte ich, »ich bin verwirrt. An die zweitausend Jahre sind vergangen, seit der jüdische Messias an seinem Kreuz zu Golgatha hing. Wie kannst du die Juden, bevor er kam, deine Philosophie gelehrt haben? Du bist doch eine Frau und kein Geist. Wie kann eine Frau zweitausend Jahre leben? Ich glaube fast, du hältst mich zum Narren, o Königin.«

Sie lehnte sich auf dem Ruhebett zurück, und ich spürte wieder, wie ihre verhüllten Augen mich musterten und mein Herz erforschten.

»O Mann«, sagte sie schließlich langsam und nachdenklich, »mir scheint, es gibt noch Dinge auf Erden, von denen du nichts weißt. Glaubst du etwa immer noch, daß alles sterblich ist - wie es die Juden glaubten? Ich sage dir, nichts stirbt. Es gibt keinen Tod, sondern nur Wandlung. Siehe« - sie deutete auf einige Skulpturen an der Felswand -, »dreimal zweitausend Jahre sind vergangen, seit die letzten des großen Volkes, das diese Bilder schuf, dem giftigen Hauch der Pest erlagen, die sie zerstörte, doch tot sind sie nicht. Sie leben heute noch, und vielleicht sind ihre Geister in dieser Stunde bei uns.« Sie blickte um sich.

»Manchmal scheint es mir, als könnten meine Augen sie sehen.«

»Ja, aber für die Welt sind sie tot.«

»Gewiß, für eine Weile; doch auch für die Welt werden sie immer wieder neugeboren. Ich, ja, ich, Ayesha - denn so, Fremdling, heiße ich - sage dir: ich warte hier auf die Wiedergeburt eines Mannes, den ich einst liebte, ich harre hier aus, bis er mich findet, denn ich weiß ganz sicher, hierher wird er kommen, hier und nur hier wird er mich begrüßen. Warum, glaubst du, daß ich, die ich allmächtig bin, die ich schöner bin als die vielbesungene griechische Helena, deren Wissen größer, ja weit größer und tiefer ist als das Wissen des weisen Salomon - ich, die ich die Rätsel der Erde und alle ihre Schätze kenne und Macht über alle Dinge habe -, ich, die ich sogar für eine Weile die Wandlung, die ihr Tod nennt, überwunden habe - warum, o Fremdling, glaubst du, daß ich hier unter Barbaren hause, welche tiefer stehen als wilde Tiere?«

»Ich weiß es nicht«, sagte ich demütig.

»Weil ich auf den warte, den ich liebe. Mag sein, daß ich ein sündhaftes Leben geführt habe - ich weiß es nicht, denn wer vermag zu sagen, was gut ist und was böse? Deshalb fürchte ich mich zu sterben, wenn ich sterben könnte - doch ich kann es nicht, bevor meine Stunde kommt, zu gehen und ihn zu suchen; denn zwischen uns, so fürchte ich, könnte sich ein Wall erheben, den zu übersteigen mir nicht möglich wäre. Auch könnte ich leicht den Weg verlieren, wenn ich ihn in jenen ungeheuren Sphären suchte, in denen ewig die Planeten ihre Bahn ziehen. Doch der Tag wird kommen, vielleicht erst, wenn fünftausend weitere Jahre dahingegangen sind, vielleicht schon morgen - der Tag, an dem er, mein Geliebter, wiedergeboren wird, und dann wird er mich, einem Gesetze folgend, das stärker ist als jeder menschliche Plan, hier finden, wo er einst mich kannte, und ich bin sicher, er wird mir, obgleich ich gegen ihn gesündigt, sein Herz wieder schenken; ja selbst wenn er mich nicht mehr kennen sollte, wird er mich lieben, und sei es nur um meiner Schönheit willen.«

Ich war zutiefst verwirrt und wußte keine Antwort. Das Ganze ging über meinen Verstand.

»Selbst wenn es so ist, o Königin«, sagte ich schließlich, »selbst wenn wir Menschen immer wieder neugeboren werden, so trifft es doch nicht auf dich zu, wenn du die Wahrheit sprichst.« Sie blickte plötzlich auf, und wieder traf mich der Blitz ihrer verhüllten Augen. »Du bist«, fügte ich rasch hinzu, »nie gestorben, wie du sagst?«

»So ist es«, sagte sie. »Denn ich habe, halb durch Zufall, halb durch Forschen, eines der großen Rätsel der Welt gelöst. Sage doch selbst, Fremdling: Das Leben ist - warum also sollte es nicht um eine Weile verlängert werden können? Was sind zehn- oder zwanzig- oder fünfzigtausend Jahre in der Geschichte des Lebens? In zehntausend Jahren vermindern Sturm und Regen einen Berggipfel kaum um eine Handbreit. In zweitausend Jahren haben diese Höhlen sich nicht verändert, nichts hat sich verändert, nur die Tiere und die Menschen, die den Tieren gleichen. Wenn du doch nur begreifen würdest, daß daran gar nichts Wunderbares ist! Das Leben selbst ist ohne Zweifel wunderbar, doch daran, daß es ein wenig verlängert werden kann, ist nichts Wunderbares. In der Natur wohnt der Geist des Lebens ebenso wie im Menschen, der ein Kind der Natur ist, und wer diesen Geist findet und ihn einatmet, der lebt von ihrem Leben. Er lebt nicht ewig, denn die Natur ist nicht ewig und muß auch sterben, so wie die Natur des Mondes gestorben ist. Auch sie, sage ich, muß sterben oder besser: sich wandeln und schlafen, bis sie wieder neugeboren wird. Doch wann wird sie sterben? Noch nicht so bald, glaube ich, und solange sie lebt, lebt auch der, der das Geheimnis ihres Lebens ergründet hat. Ganz ist es mir noch nicht gelungen, doch zum Teil - mehr jedenfalls als irgend jemandem vor mir. Ein andermal will ich dir mehr davon erzählen, wenn ich in der rechten Stimmung dazu bin; vielleicht aber auch werde ich nie mehr davon reden. Wundert es dich, woher ich wußte, daß ihr in dieses Land kamt, und so eure Köpfe vor dem heißen Topf retten konnte?«

»Ja, o Königin«, erwiderte ich leise. »Dann blicke auf dieses Wasser«, und sie deutete auf das Wasserbecken, beugte sich vor und hielt ihre Hand darüber. Ich erhob mich und starrte auf das Wasser, welches sich im gleichen Augenblick verdunkelte. Dann wurde es wieder klar, und ich sah ganz deutlich - den schrecklichen Kanal und darauf unser Boot. Leo lag darin auf dem Boden und schlief, einen Mantel über sich gebreitet, der die Moskitos fernhielt und sein Gesicht verbarg; und ich, Job und Mahomed zogen am Ufer das Boot.

Ich fuhr erschrocken zurück und rief, das sei ja Zauberei, denn diese Szene kannte ich - so hatte sie sich wirklich zugetragen.

»Nein, nein, o Holly«, sprach sie, »das ist nicht Zauberei; das glaubst du nur in deiner Unwissenheit. Es gibt keine Zauberei, sondern nur ein Wissen um die Geheimnisse der Natur. Dieses Wissen ist mein Spiegel. In ihm sehe ich, was geschieht, wenn ich Lust verspüre, die Bilder heraufzubeschwören, was nicht oft vorkommt. Ich kann dir darin alles aus der Vergangenheit zeigen, wenn es etwas ist, was mit diesem Land oder mit meiner oder deiner Vergangenheit zusammenhängt. Wenn du willst, stelle dir ein Gesicht vor, und deine Gedanken werden es auf dem Wasser widerspiegeln. Noch kenne ich nicht das ganze Geheimnis - ich kann nichts sehen, was in der Zukunft liegt. Ich habe dieses Geheimnis jedoch nicht entdeckt, es ist schon sehr alt. In Arabien und Ägypten kannten es die Zauberer schon vor vielen Jahrhunderten. Eines Tages dachte ich zufällig an jenen alten Kanal, auf dem ich vor zwanzig Jahren segelte, und ich wünschte mir, ihn zu sehen. So blickte ich in das Wasser und sah das Boot, drei Männer, die am Ufer gingen, und einen, dessen Gesicht ich nicht erkennen konnte - einen Jüngling von edler Gestalt, der im Boot schlief. Deshalb gab ich Befehl, euch zu retten. Doch jetzt leb wohl. Nein, halt, erzähle mir von diesem Jüngling - dem Löwen, wie der Alte ihn genannt hat. Ich würde ihn gern sehen, doch du sagtest ja, er sei krank, er habe Fieber und sei bei dem Kampf mit den Barbaren verwundet worden.«

»Ja, er ist sehr krank«, erwiderte ich traurig. »Kannst du ihm nicht helfen, o Königin, die du so viel weißt?«

»Gewiß kann ich das. Ich kann ihn heilen; doch warum sprichst du so traurig? Liebst du den Jüngling? Ist er vielleicht dein Sohn?«

»Er ist mein Adoptivsohn, o Königin! Soll ich ihn zu dir bringen lassen?«

»Nein. Wie lange liegt er schon im Fieber?«

»Heute den dritten Tag.«

»Gut; lasse ihn noch einen Tag liegen. Dann wird er es vielleicht aus eigener Kraft überwinden, und das ist besser, als wenn ich ihn heile, denn meine Medizin ist so stark, daß sie das Leben in ihren Grundfesten erschüttert. Ist er jedoch morgen abend, zu der Stunde, da das Fieber ihn befiel, noch nicht gesundet, so werde ich zu ihm kommen und ihn heilen. Sag, wer pflegt ihn?«

»Unser weißer Diener; jener, den Billali das Schwein nennt. Und außerdem«, hier zögerte ich ein wenig, »ein Mädchen namens Ustane, ein sehr hübsches Mädchen aus diesem Lande, welches ihn, als es ihn zum erstenmal erblickte, umarmte und seither, wie es angeblich bei deinem Volke Sitte ist, bei ihm blieb, o Königin.«

»Mein Volk! Nenne es nicht mein Volk«, antwortete sie hastig. »Diese Sklaven sind nicht mein Volk, sie sind nur Hunde, die mir dienen, bis der Tag meiner Befreiung kommt; und mit ihren Sitten will ich nichts zu schaffen haben. Und nenne mich auch nicht Königin - ich bin der Schmeicheleien und Titel müde -, nenne mich Ayesha, der Name klingt süß in meinen Ohren, er ist ein Echo aus der Vergangenheit. Diese Ustane kenne ich nicht. Ob es wohl die ist, vor der ich gewarnt wurde und die ich dann meinerseits warnte? Hat sie - doch halt, ich will selbst sehen«, und sie beugte sich vor, strich mit ihrer Hand über das Wasser und blickte aufmerksam hinein. »Da, sieh«, sagte sie leise, »ist dies das Mädchen?«

Ich schaute ins Wasser und sah, gespiegelt auf seiner glatten Oberfläche, die Umrisse von Ustanes schönem Antlitz. Sie beugte sich mit einem Blick voll unendlicher Zärtlichkeit vor, so daß ihre kastanienbraunen Locken über ihre rechte Schulter fielen, und betrachtete etwas unter sich.

»Ja, das ist sie«, flüsterte ich, zutiefst bestürzt über diesen höchst merkwürdigen Anblick. »Sie bewacht Leos Schlaf.«

»Leo!« sagte Ayesha in nachdenklichem Ton. »Das heißt auf lateinisch >Löwe<. Den Namen hat der Alte gut gewählt.

Seltsam«, fuhr sie fort, als spräche sie zu sich selbst, »höchst seltsam. Diese Ähnlichkeit - doch das ist unmöglich!« Mit einer ungeduldigen Geste strich sie wieder über das Wasser. Es verdunkelte sich, und geheimnisvoll, wie es entstanden war, verschwand das Bild, und nur noch das Licht der Lampe war auf der Oberfläche dieses klaren lebenden Spiegels zu sehen.

»Hast du noch eine Bitte, bevor du gehst, o Holly?« sagte sie nach kurzem Nachdenken. »Das Leben hier muß für euch sehr unbequem sein, denn diese Menschen sind Wilde und wissen nichts von der Lebensart kultivierter Menschen. Mir macht das nichts aus, denn meine Nahrung«, sie deutete auf die Früchte auf dem kleinen Tisch, »besteht nur aus Früchten. Nichts als Früchte kommt über meine Lippen - Früchte, Kuchen und ein wenig Wasser. Ich habe meinen Mädchen befohlen, euch zu bedienen. Sie sind, wie du weißt, stumm, stumm und taub, und deshalb die zuverlässigsten Diener, wenn man in ihren Gesichtern lesen kann und ihre Zeichen versteht. Ich habe sie mir so gezüchtet - es hat Jahrhunderte gedauert und viele Mühe gekostet; doch schließlich ist es mir gelungen. Es gelang mir früher schon einmal, doch die Rasse war gar zu häßlich, und deshalb ließ ich sie aussterben; heute sind sie, wie du siehst, recht annehmbar. Auch ein Geschlecht von Riesen habe ich schon einmal herangezogen, doch nach einer Weile tat die Natur nicht mehr mit, und sie gingen ebenfalls unter. Nun sag schon, hast du irgendeinen Wunsch?«

»Ja, einen, o Ayesha«, entgegnete ich kühn, obwohl ich mich alles andere als kühn fühlte. »Ich möchte dein Gesicht sehen.«

Sie ließ ihr glockenhelles Lachen hören. »Überlege dir das, Holly«, antwortete sie. »Du kennst doch sicher die alten Göttersagen Griechenlands. Erinnerst du dich an Aktäon, der elend zugrunde ging, weil er zuviel Schönheit erblickte?

Wenn ich dir mein Gesicht zeige, wirst vielleicht auch du elend zugrunde gehen; es kann sein, daß ohnmächtiges Verlangen dein Herz verzehren wird, denn du mußt wissen: Ich bin nicht für dich - ich bin für keinen Mann, außer einen, der einst war, doch noch nicht wieder ist.«

»Wie du willst, Ayesha«, sagte ich. »Ich fürchte deine Schönheit nicht. Eitle Frauenschönheit, die vergeht wie eine Blume, kann mich nicht verwirren.«

»Du irrst«, sagte sie, »sie vergeht nicht. Meine Schönheit bleibt, solange ich bin. Doch du sollst deinen Willen haben, vorwitziger Mann. Tadle mich aber nicht, wenn Leidenschaft deine Vernunft besiegt. Ein Mann, der meine Schönheit einmal nur gesehen, kann sie nie vergessen; deshalb verhülle ich mich sogar vor diesen Wilden, damit sie mich verschonen und ich sie nicht töten muß. Nun sag, willst du mich sehen?«

»Ich will«, erwiderte ich, von Neugier überwältigt. Da hob sie ihre weißen runden Arme - noch nie hatte ich solche Arme gesehen - und löste langsam, ganz langsam ein Band unter ihrem Haar. Dann fiel plötzlich der lange leichentuchähnliche Schleier zu Boden, und mein Blick wanderte an ihr empor, die jetzt nur noch ein weißes enganliegendes Gewand trug, das ihre makellose königliche Gestalt noch mehr hervorhob, eine Gestalt, beseelt von einem Leben, das mehr als Leben war, und erfüllt von einer schlangenhaften Anmut, die mehr als menschlich war. An ihren kleinen Füßen trug sie Sandalen, befestigt mit goldenen Knöpfen. Dann kamen ihre Knöchel, vollkommener, als sie je ein Bildhauer erträumte. Um die Taille war ihr Kleid von einer doppelköpfigen Schlange aus purem Gold umgürtet, und darüber schwoll ihre Gestalt in Linien an, die ebenso rein wie lieblich waren, bis das Kleid auf dem schneeigen Silber ihrer Brust endete, über der sie ihre Arme verschränkte. Mein Blick wanderte nun empor zu ihrem Gesicht, und ich zuckte - ich übertreibe nicht - wie geblendet zurück. Ich hatte von der Schönheit himmlischer Wesen gehört - nun sah ich sie; doch diese Schönheit war trotz all ihrer unsagbaren Lieblichkeit und Reinheit dämonisch - zumindest erschien sie mir in jenem Augenblick so. Wie soll ich sie schildern? Ich kann es nicht -kann es ganz einfach nicht! Den Mann, der das, was ich sah, auch nur annähernd beschreiben könnte, gibt es nicht. Ich könnte reden von den großen schillernden tiefschwarzen Augen, von ihrer zarten Haut, von ihrer breiten, edlen Stirn, von ihren holden, ebenmäßigen Zügen. Doch so schön, so ungemein schön dies alles war, ihre Schönheit lag nicht darin. Sie lag in einer erhabenen Majestät, einer königlichen Anmut, in einem göttlichen Ausdruck der Macht, der dieses strahlende Antlitz wie ein Glorienschein umgab. Ich hatte nie auch nur geahnt, wie erhaben Schönheit sein kann - und dennoch war es eine düstere Erhabenheit, eine Schönheit, die bei all ihrer Pracht keine himmlische war. Obgleich das Gesicht vor mir das einer jungen Frau von höchstens dreißig Jahren von vollkommener Gesundheit war, vom Schmelz gereifter Schönheit überhaucht, trug es doch einen Ausdruck unaussprechlicher Erfahrung und tiefster Vertrautheit mit Leidenschaft und Leid. Auch nicht das liebreizende Lächeln, das um die Grübchen ihres Mundes spielte, konnte diesen Schatten von Sünde und Sorge verbergen. Er verdüsterte sogar das Strahlen ihrer Augen und die Majestät ihrer Züge und schien zu sagen: >Siehe, mich, die ich schöner bin als jedes andere Weib, und unsterblich und halb göttlich, verfolgt die Erinnerung durch alle Zeiten, hält die Leidenschaft gefangen - gesündigt habe ich, und Leid erfüllt mich seit undenklichen Zeiten, und ich werde hinfort sündigen und leiden, bis meine Erlösung kommt.<

Angezogen von einer magnetischen Kraft, der ich nicht widerstehen konnte, blickte ich in ihre schimmernden Augen und spürte, wie ein Strom von ihnen in mich floß, der mich verwirrte und betäubte.

Sie lachte - ach, wie wohlklingend! - und nickte mir mit einer Koketterie zu, die einer Venus Victrix alle Ehre gemacht hätte.

»Vorwitziger!« sagte sie, »wie Aktäon hattest du nun deinen Willen; gib acht, daß du nicht gleich

Aktäon elend zugrunde gehst, zerfetzt von den Hunden deiner Leidenschaft. Auch ich, o Holly, bin eine jungfräuliche Königin, die keinem Manne gehören wird, bis auf einen, und der bist du nicht. Hast du nun genug gesehen?«

»Ich sah die Schönheit, und ich bin geblendet«, sagte ich heiser und hob die Hand, um meine Augen zu bedecken.

»Ich habe dich gewarnt! Schönheit gleicht dem Blitz, sie ist lieblich, doch sie zerstört - vor allem Bäume, o Holly!« - und wieder nickte sie und lachte.

Plötzlich verstummte sie, und ich sah durch meine Finger, wie ihr Gesicht sich schrecklich veränderte. Ihr großen Augen nahmen einen starren Ausdruck an, in dem Entsetzen mit einer aus den Tiefen ihrer dunklen Seele aufsteigenden wahnwitzigen Hoffnung zu kämpfen schien. Das liebliche Antlitz wurde starr, und ihre anmutige, geschmeidige Gestalt richtete sich auf.

»Mann!« sagte sie halb flüsternd, halb zischend und warf den Kopf zurück wie eine Schlange, die sich zuzustoßen anschickt, »woher stammt der Skarabäus an deiner Hand? Sprich, oder beim Geist des Lebens -ich zerschmettere dich auf der Stelle!« Sie trat einen kleinen Schritt auf mich zu, und in ihren Augen flak-kerte ein so furchtbares Licht - es erschien mir fast wie eine Flamme -, daß ich mich vor ihr zu Boden warf und in meinem Schrecken wirre Worte stammelte.

»Friede«, sagte sie, plötzlich wieder mit ihrer früheren sanften Stimme sprechend, »ich habe dich erschreckt! Verzeih mir! Doch zuweilen, o Holly, erfüllt selbst einen fast unendlichen Geist die Langsamkeit des Endlichen mit Ungeduld, und mich überkommt die Versuchung, vor Zorn von meiner Macht Gebrauch zu machen - beinahe hätte ich dich getötet, doch ich besann mich beizeiten. - Aber der Skarabäus - woher hast du ihn?«

»Ich fand ihn«, stieß ich hervor, indem ich mich wieder aufrichtete, und ich war in der Tat so verwirrt, daß ich mich an nichts weiter erinnern konnte, als daß ich ihn in Leos Kammer aufgehoben hatte.

»Überaus seltsam«, sagte sie, und dabei begann sie plötzlich auf echt weibliche Art, die zu dem furchtbaren Wesen gar nicht zu passen schien, zu zittern, »doch ich kannte einst einen Skarabäus wie diesen. Er - hing am Halse eines - den ich liebte«, und sie schluchzte leise, woran ich merkte, daß sie trotz allem doch nur ein Weib war, wenngleich vielleicht auch ein sehr altes.

»Es muß ein Zwilling davon sein«, fuhr sie fort, »doch ich habe noch nie einen zweiten gesehen; es war eine Geschichte mit ihm verknüpft, und der, welcher ihn trug, schätzte ihn sehr hoch. Doch der Skarabäus, den ich kannte, saß nicht wie dieser an einem Ring. Geh jetzt, Holly, geh, und versuche zu vergessen, daß deine Torheit dich trieb, Ayeshas Gesicht anzusehen«, und sich von mir wendend, warf sie sich auf das Ruhelager und vergrub ihr Gesicht in den Kissen.

Ich aber taumelte davon. Wie ich meine Höhle erreichte, weiß ich nicht.

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