15 Ayesha hält Gericht

Das nächste, dessen ich mich entsinne, ist, daß ich meine Augen aufschlug und mein Blick auf Job fiel, der sich inzwischen von seinem Fieberanfall fast ganz erholt hatte. Er stand in dem Lichtstrahl, der durch den Schacht in der Höhlendecke hereindrang, und schüttelte meine Kleider aus, da er sie in Ermangelung einer Bürste nicht ausbürsten konnte. Sodann legte er sie wieder säuberlich zusammen und auf das Fußende der Steinbank. Dies getan, holte er das Reisenecessaire aus meinem Koffer und legte es geöffnet für mich bereit. Zuerst legte er es ebenfalls auf das Fußende der Bank, doch dann nahm er es, anscheinend aus Furcht, ich könnte es hinunterstoßen, wieder weg, legte es auf ein Leopardenfell am Boden, trat ein oder zwei Schritte zurück und betrachtete es prüfend. Anscheinend war er nicht zufrieden, denn er verschloß den Koffer, stellte ihn aufrecht ans Fußende des Lagers und legte das Necessaire darauf. Dann warf er einen Blick auf die mit Wasser gefüllten Töpfe, die unsere Waschgelegenheit darstellten. »Ach!« hörte ich ihn brummen, »nicht einmal heißes Wasser gibt's an diesem gräßlichen Ort. Diese armen Kreaturen benützen es wohl nur, um einander zu kochen«, und er seufzte tief. »Was ist denn, Job?« sagte ich.

»Verzeihung, Sir«, sagte er und tippte sich an den Kopf. »Ich dachte, Sie schlafen, Sir; und Sie sehen ganz so aus, als ob Sie es nötig hätten. Nach Ihrem Aussehen zu urteilen, müssen Sie eine schreckliche Nacht verbracht haben.«

Ich stöhnte nur zur Antwort. Bei Gott, ich hatte eine Nacht hinter mir, wie ich sie nie mehr wieder zu erleben hoffte.

»Wie geht es Mr. Leo, Job?«

»Ziemlich unverändert, Sir. Wenn er sich nicht bald erholt, geht's mit ihm zu Ende. Eins muß ich ja sagen

- diese Wilde, diese Ustane, tut wirklich für ihn, was sie kann, fast wie eine getaufte Christin. Sie weicht nicht von seiner Seite und sorgt für ihn, und wenn ich auch mal nach ihm sehen will, wird sie schrecklich wütend und fängt in ihrer Heidensprache zu zetern und zu fluchen an - zumindest schließe ich aus ihrer Miene, daß sie flucht.«

»Und was tust du dann?«

»Ich verbeuge mich höflich und sage: Junge Frau, Ihre Stellung hier ist mir nicht ganz einleuchtend, und ich kann sie nicht anerkennen. Nehmen Sie zur Kenntnis, daß ich gegenüber meinem krank darniederliegenden Herrn Pflichten zu erfüllen habe und daß ich mich davon nicht abhalten lassen werde, bis auch ich krank niedersinke<, doch sie kümmert sich überhaupt nicht darum, sondern flucht und zetert nur noch mehr. Gestern abend fuhr sie mit der Hand unter das komische Nachthemd, das sie anhat, und holte ein Messer mit einer krummen Klinge hervor, doch ich, nicht faul, zog meinen Revolver, und dann schlichen wir beide umeinander herum, bis sie schließlich laut zu lachen anfing. Es ist nicht recht, daß sich ein Christenmensch von einer Wilden, so hübsch sie auch sein mag, derart behandeln lassen muß, doch was kann man denn schon anderes erwarten, wenn man so närrisch ist« (Job hob das Wort >närrisch< mit Nachdruck hervor), »an einen solchen Ort zu reisen und nach Dingen zu forschen, die kein Mensch je finden wird. Es ist die gerechte Strafe, Sir -und ich bin der Meinung, daß es erst die halbe Strafe ist. Wenn die ganze kommt, wird's mit uns vorbei sein, und wir werden für immer und ewig in diesen gräßlichen Höhlen bei den Geistern und Toten bleiben müssen. Doch jetzt, Sir, muß ich nach Mr. Leos Suppe sehen, das heißt, wenn diese wilde Katze mich läßt; und vielleicht möchten Sie auch aufstehen, Sir -es ist schon neun Uhr vorüber.«

Jobs Bemerkungen waren für jemanden, der eine solche Nacht hinter sich hatte, nicht gerade ermunternd; und was noch schlimmer war: er hatte recht. Wenn ich alles richtig bedachte, so schien es auch mir völlig unmöglich, jemals von hier fortzukommen. Selbst angenommen, daß Leo wieder gesund wurde, daß >Sie< uns (was äußerst unwahrscheinlich schien) ziehen ließ und nicht in einem Zornesausbruch umbrachte und daß die Amahagger uns nicht mit ihren heißen Töpfen brieten, würde es uns doch ganz unmöglich sein, den Weg durch den Wirrwarr von Sümpfen zu finden, die, endlose Meilen sich erstrek-kend, eine stärkere und undurchdringlichere Befestigung um die verschiedenen Amahagger-Haushalte bildeten, als je ein Mensch sie hätte ersinnen oder errichten können. Nein, es gab nur eine Möglichkeit -sich mit dem Ganzen abzufinden und es durchzustehen; und ich für meine Person war an der unheimlichen Geschichte derart interessiert, daß ich trotz meiner zerrütteten Nerven dazu entschlossen war, selbst wenn meine Neugier mich das Leben kosten sollte. Welcher Mann, der eine Vorliebe für die Psychologie hat, hätte der Versuchung widerstehen können, einen Charakter wie den Ayeshas zu studieren, wenn sich eine so gute Gelegenheit dazu bot? Gerade die damit verbundenen Schrecken erhöhten mein Interesse, und außerdem hatte sie, wie ich mir selbst jetzt bei nüchternem Tageslicht eingestehen mußte, Reize, welche ich nicht vergessen konnte. Nicht einmal die grauenvolle Szene, deren Zeuge ich während der Nacht gewesen war, konnte diese Narrheit aus meinem Sinn vertreiben; und ach! ich muß gestehen, sie ist bis zu dieser Stunde nicht daraus verschwunden.

Nachdem ich mich angekleidet hatte, begab ich mich in die Speise- oder besser Einbalsamierungskammer und nahm ein wenig von dem Essen zu mir, welches wieder von den stummen Mädchen serviert wurde. Als ich fertig war, sah ich nach dem armen Leo, der sich in einem ganz wirren Zustand befand und nicht einmal mich erkannte. Ich fragte Ustane, was sie von ihm halte, doch sie schüttelte den Kopf und begann leise zu weinen. Offenbar hatte sie nur wenig Hoffnung, und so beschloß ich, falls irgendwie möglich, >Sie< zu bitten, sich seiner anzunehmen. Wenn sie nur wollte, konnte sie ihn sicherlich heilen -zumindest hatte sie dies behauptet. Während ich noch ins Leos Kammer war, trat Billali ein und schüttelte ebenfalls den Kopf.

»Er wird die nächste Nacht sterben«, sagte er.

»Das verhüte Gott, mein Vater«, entgegnete ich und wandte mich schweren Herzens ab.

»Die Herrscherin >Sie< möchte dich sehen, mein Pavian«, sagte der Alte, sobald wir die Kammer verlassen hatten, »doch, oh, mein teurer Sohn, sei besser auf der Hut. Gestern war ich überzeugt, daß >Sie< dich erschlagen würde, als du nicht auf dem Bauche vor sie krochst. Sie sitzt in der großen Halle über jene, die dich und den Löwen töten wollten, zu Gericht. Komm, mein Sohn, eile dich.«

Ich folgte ihm durch den Gang, und als wir uns der großen Haupthöhle näherten, sahen wir, daß auch viele Amahagger, teils in weiße Gewänder gekleidet, teils nur mit der süßen Einfachheit eines Leopardenfells bedeckt, ihr gleichfalls zustrebten. Wir mischten uns unter sie und schritten durch die ungeheure, fast unabsehbare Höhle. Ihre Wände bedeckten kunstvolle Skulpturen, und in regelmäßigen Abständen zweigten von ihr Seitengänge ab, welche, wie Billali mir sagte, zu Grabkammern führten, die >das Volk, das vor uns war<, aus dem Fels herausgeschlagen hatte. Niemand, so erklärte er, besuchte diese Gräber heute noch; und ich muß gestehen, daß bei dem Gedanken, welche Möglichkeiten zur Altertumsforschung sich mir hier boten, mein Herz höher schlug.

Endlich kamen wir zum Ende der Höhle, wo sich eine Felsplattform befand, die fast genau jener glich, auf der wir so wütend angegriffen worden waren -was mir zu beweisen schien, daß diese Podeste einst als Altäre gedient hatten, wahrscheinlich zur Abhaltung religiöser Feierlichkeiten oder der mit der Beisetzung der Toten verbundenen Riten. Beiderseits dieser Plattform führten, wie Billali mir zuflüsterte, Gänge zu anderen Höhlen voller Toter. »Der ganze Berg«, sagte er, »ist voller Toter, und sie sind fast alle vollkommen erhalten.«

Vor der Plattform hatte sich eine große Anzahl Menschen beiderlei Geschlechts versammelt, die in ihrer unheimlichen finsteren Art, die selbst den größten Witzbold binnen fünf Minuten in einen Trauerkloß verwandelt hätte, vor sich hinstarrten. Auf der Plattform stand ein massiver Stuhl aus Ebenholz mit Elfenbeinintarsien mit einem aus Grasfasern geflochtenen Sitz, an dem eine Fußbank aus Holz befestigt war.

Plötzlich ertönte der Ruf »Hiya! Hiya!« (»Sie! Sie!«), worauf die ganze Zuschauerschar sich zu Boden warf und regungslos, als ob sie alle der Schlag getroffen hätte, liegenblieb. Nur ich blieb stehen, als sei ich der einzige Überlebende eines Massakers, Gleich darauf trat eine lange Reihe von Wächtern aus einem Gang zur Linken und nahm beiderseits der Plattform Aufstellung. Dann folgten etwa zwanzig stumme Männer und ebenso viele stumme Frauen, die Lampen in den Händen trugen, und schließlich eine schlanke weiße, von Kopf bis Fuß verhüllte Gestalt, in der ich >Sie< erkannte. Sie bestieg die Plattform, nahm auf dem Stuhl Platz und richtete in griechischer Sprache das Wort an mich - vermutlich, damit die anderen Anwesenden sie nicht verstanden.

»Komm zu mir, o Holly«, sagte sie, »setze dich zu meinen Füßen nieder und sieh zu, wie ich jene richte, die dich erschlagen wollten. Verzeih mir, wenn mein Griechisch hinkt wie ein Lahmer; es ist so lange her, seit ich es hörte, daß meine Zunge steif geworden ist und sich den Worten nicht recht fügen will.«

Ich verneigte mich, stieg auf die Plattform und setzte mich zu ihren Füßen nieder.

»Wie hast du geschlafen, mein Holly?« fragte sie.

»Nicht gut, o Ayesha«, erwiderte ich wahrheitsgetreu und mit der inneren Befürchtung, sie wüßte vielleicht, wie ich die Mitternachtsstunde verbracht hatte.

»So«, sagte sie mit leisem Lachen. »Auch ich habe nicht gut geschlafen. Ich hatte letzte Nacht Träume, und mir scheint, du hast sie mir geschickt, o Holly.«

»Wovon hast du geträumt, Ayesha?« fragte ich gleichmütig.

»Ich träumte«, entgegnete sie rasch, »von einem, den ich liebe, und von einer, die ich hasse«, und dann wandte sie sich, das Gespräch abbrechend, an den Hauptmann ihrer Leibgarde und sagte auf arabisch: »Laß die Männer vor mich bringen.«

Der Hauptmann verneigte sich tief - die Wächter und ihre Bedienten hatten sich nicht zu Boden geworfen, sondern waren stehen geblieben - und verschwand mit seinen Untergebenen in einem Gang zur Rechten.

Tiefes Schweigen herrschte. >Sie< stützte den verschleierten Kopf auf die Hand und schien in Gedanken versunken, während die Menge vor ihr auf den Bäuchen liegenblieb und nur hin und wieder einer den Kopf ein wenig hob, um einen verstohlenen Blick auf uns zu werfen. Anscheinend zeigte sich ihre Königin ihnen so selten, daß sie diese Unbequemlichkeit und noch größere Gefahren gern auf sich nahmen, um sie einmal anzusehen, oder besser ihr Gewand, denn kein Lebender außer mir hatte je ihr Gesicht geschaut. Endlich tauchten aus dem Gang Lichter auf, und man hörte Männerschritte; gleich darauf erschien die Leibgarde mit den Überlebenden unserer Angreifer, etwa zwanzig an der Zahl, auf deren Gesichtern der von Natur aus düstere Ausdruck mit der Angst kämpfte, die anscheinend ihre Herzen erfüllte. Sie traten vor die Plattform und schickten sich an, sich gleich den Zuschauern auf den Boden zu werfen, doch >Sie< sagte im sanftesten Ton:

»Nein, bleibt stehen; ich bitte euch, bleibt stehen. Vielleicht wird bald die Zeit kommen, da ihr des langen Liegens müde seid«, und sie lachte melodisch.

Ich sah, wie ein Schauder des Entsetzens die verdammten Kreaturen durchzuckte, und Mitleid mit ihnen erfüllte mich, so üble Schurken sie auch waren. Zwei oder drei Minuten vergingen, ohne daß etwas geschah. Nach der Bewegung ihres Kopfes zu schließen - die Augen konnten wir ja nicht sehen - schien sie jeden einzelnen Missetäter langsam und sorgfältig zu mustern.

Endlich fragte sie mich in ruhigem, festem Ton: »Erkennst du, o mein Gast, diese Männer?«

»Ja, o Königin, ich erkenne sie fast alle«, sagte ich und bemerkte, wie sie mich wütend anstarrten.

»Dann berichte mir und dieser großen Versammlung, was geschehen ist.«

Ich kam dieser Aufforderung nach und erzählte mit möglichst wenig Worten von dem Kannibalenfest und dem Versuch, unseren armen Diener auf qualvolle Weise zu töten. Mein Bericht wurde von den Angeklagten wie von den Versammelten und der Königin in tiefem Schweigen aufgenommen. Als ich geendet hatte, rief Ayesha Billali an, und dieser bestätigte, den Kopf vom Boden hebend, doch liegenbleibend, meine Geschichte. Weiteres Zeugnis wurde nicht eingeholt.

»Ihr habt gehört«, sagte >Sie< schließlich mit kalter, klarer Stimme, deren Ton mir ganz fremd war. Es war, nebenbei bemerkt, eine der seltsamsten Eigenschaften dieses merkwürdigen Geschöpfes, ihre Stimme auf wunderbare Weise der jeweiligen Stimmung anpassen zu können. »Was habt ihr aufrührerischen Kinder gegen eure Bestrafung einzuwenden?«

Eine Weile kam keine Antwort, doch schließlich ergriff einer der Männer, ein prächtiger, muskulöser Bursche mittleren Alters mit scharfgeschnittenen Gesicht und Habichtsaugen, das Wort und sagte, man habe ihnen lediglich befohlen, die weißen Männer zu schonen; von ihrem schwarzen Diener sei nicht die Rede gewesen, und deshalb hätten sie, aufgehetzt von einem Weib, das nun tot sei, versucht, ihn nach der alten, ehrwürdigen Sitte ihres Landes mit dem heißen Topf zu töten, um ihn zu verzehren. Was ihren Angriff auf uns beträfe, so sei er in einem plötzlichen Wutanfall erfolgt, und sie bedauerten ihn tief. Zum Schluß bat er demütig um Gnade; oder man möge sie wenigstens nur in die Sümpfe verbannen, damit sie dort, wie es sich fügte, lebten oder stürben. Ich merkte jedoch seiner Miene an, daß er nur wenig Hoffnung auf Gnade hatte.

Eine Pause folgte, in der tiefes Schweigen herrschte, und das Bild, das sich mir im Schein der flackernden, Licht und Schatten auf die Felswände werfenden Lampen bot, war eins der unheimlichsten, die ich je gesehen habe. Auf dem Boden vor der Plattform lagen wie leblos hingestreckt die Zuschauer, in langen Reihen, die sich schließlich im dunklen Hintergrund der Höhle verloren. Vor ihnen standen dicht zusammengedrängt die Missetäter, bemüht, ihre Todesangst hinter gelassenen Mienen zu verbergen, rechts und links flankiert von den weißgekleideten, mit großen Speeren und Dolchen bewaffneten Wächtern und den stummen Weibern und Männern, die sie mit hartem, neugierigem Blick betrachteten. Über ihnen allen saß auf ihrem barbarischen Thron, ich zu ihren Füßen, das weiß verschleierte Weib, dessen Schönheit und grauenhafte Macht es wie ein Glorienschein zu umschweben schienen oder wie der Schein eines unsichtbaren Lichtes. Nie erschien mir ihre verhüllte Gestalt schrecklicher als in diesem Augenblick, da sie auf Vergeltung sann.

Endlich sprach sie.

»Hunde und Schlangen«, begann Ayesha mit leiser Stimme, die allmählich, als sie fortfuhr, anschwoll und schließlich die ganze Höhle füllte, »Esser von Menschenfleisch - zweierlei habt ihr verbrochen. Erstens habt ihr diese weißen Fremdlinge angegriffen und wolltet ihren Diener töten, und dafür allein gebührt euch der Tod. Doch das ist noch nicht alles. Ihr wagtet, ungehorsam gegen mich zu sein. Befahl ich euch nicht, diese Fremdlinge gut aufzunehmen? Doch ihr versuchtet, sie zu erschlagen, und wären sie nicht übermenschlich tapfer und stark gewesen, so hättet ihr sie grausam gemeuchelt! Hat man euch nicht von Kindheit an gelehrt, daß mein Wort Gesetz ist und daß, wer dieses auch nur im mindestens bricht, des Todes ist? Haben eure Väter euch dies nicht gelehrt, sage ich, als ihr noch Kinder wart? Wißt ihr nicht, daß ihr ebensowenig hoffen könnt, mich von meinem Willen abzubringen oder mein Wort nach Belieben leicht oder schwer zu nehmen, wie es euch gelingen würde, diese Höhlen zum Einsturz zu bringen oder der Sonne in ihrem Laufe Einhalt zu gebieten? Ihr wißt es wohl, ihr Verruchten. Doch ihr seid böse bis ins Mark - die Bosheit sprudelt in eurem Inneren wie ein Quell zur Frühlingszeit. Wäre ich nicht, so würdet ihr schon vor Generationen untergegangen sein, denn in eurer Bosheit hättet ihr euch gegenseitig ausgerottet. Und nun hört das Urteil: Weil ihr dies getan habt, weil ihr versucht habt, diese Männer, meine Gäste, umzubringen, mehr noch, weil ihr gewagt habt, euch meinem Wort zu widersetzen, befehle ich, daß man euch zur Folterhöhle[12] bringt und den Folterknechten übergibt und daß morgen bei Sonnenaufgang jene von euch, die noch am Leben sind, getötet werden, auf die gleiche Weise, wie ihr den Diener dieses meines Gastes töten wolltet.«

Sie verstummte, und ein Murmeln des Entsetzens erhob sich. Die Opfer verließ, als sie sich der Gräßlichkeit ihres Geschicks bewußt wurden, ihr Gleichmut, und sie warfen sich auf den Boden nieder und flehten winselnd um Gnade. Ich wandte mich an Ayesha und bat sie, ihnen das Leben zu schenken oder sie doch wenigstens auf eine weniger schreckliche Weise töten zu lassen, doch sie blieb unerbittlich.

»Mein Holly«, sagte sie wiederum auf griechisch, »mein Holly, es kann nicht sein. Würde ich gegenüber diesen Wölfen Gnade walten lassen, so wäret ihr unter diesem Volk keinen Tag mehr eures Lebens sicher. Du kennst diese Menschen nicht. Sie sind blutrünstig wie Tiger und gieren selbst in diesem Augenblick nach eurem Leben. Wie, glaubst du, daß ich dieses Volk regiere? Da mir nur ein Regiment von Leibwächtern, das Befehle ausführt, zur Verfügung steht, kann ich es nicht durch Gewalt tun, sondern nur durch Schrecken. Ich herrsche durch Phantasie. Vielleicht nur einmal in einem Menschenalter handle ich so wie heute und lasse einige von ihnen durch die Folter zu Tode bringen. Glaube nicht, daß ich grausam bin oder mich an diesen niedrigen Kreaturen zu rächen suche. Was würde mir schon Rache an ihnen nützen? Wer lange lebt, mein Holly, ist frei von Leidenschaft. Vielleicht mag es so scheinen, als strafte ich im Zorn, doch dem ist nicht so. Denke an die kleinen Wolken, die scheinbar planlos über den Himmel dahin und dorthin treiben, doch hinter ihnen fegt der Sturm und wählt sich eine Bahn, wie er will. So ist es auch mit mir, o Holly. Meine Launen und Stimmungen sind die kleinen Wolken, die ziellos zu treiben scheinen; doch hinter ihnen weht unaufhörlich der Sturm meines Willens. Nein, diese Männer müssen sterben - und so, wie ich's befohlen habe.« Dann wandte sie sich plötzlich an den Hauptmann ihrer Leibgarde:

»Tut, was ich euch geheißen habe!«

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