20 Triumph

Es folgte ein Moment des peinlichsten Schweigens, das ich je erlebte. Ayesha brach es, indem sie Leo ansprach.

»Nein, mein Gast und Gebieter«, sagte sie in sanftestem Ton, der dennoch einen ehernen Klang hatte, »schau nicht so zerknirscht drein. Es war ein reizender Anblick - der Leopard und der Löwe!«

»Ach, zum Henker!« sagte Leo auf englisch.

»Und dich, Ustane«, fuhr sie fort, »hätte ich wahrhaftig nicht erkannt, wenn nicht das Licht auf das Weiß in deinem Haar gefallen wäre«, und sie deutete auf den hellen Rand des Mondes, der eben über den Horizont stieg. »Gut! Gut! Der Tanz ist aus - sieh, die Fackeln sind niedergebrannt, und alles endet in Schweigen und in Asche. Du dachtest, dies sei die rechte Zeit für die Liebe, Ustane, meine Dienerin -und ich, die ich mir nicht hätte träumen lassen, daß man mir den Gehorsam verweigern könnte, wähnte dich schon weit fort von hier!«

»Spotte meiner nicht«, stöhnte die Unglückliche; »töte mich und mache ein Ende.«

»Nein, warum? Es ist nicht gut; von der Lippen Liebesglut so rasch dem kalten Mund des Grabes sich zuzuwenden«, und sie gab den Stummen ein Zeichen, worauf diese vortraten und das Mädchen an den Armen ergriffen. Mit einem Fluch stürzte Leo sich auf den ihm nächsten, schleuderte ihn zu Boden und blieb mit düsterer Miene und geballten Fäusten über ihm stehen.

Wieder lachte Ayesha. »Gut gemacht, mein Gast; für einen, der vor so kurzer Zeit noch krank war, hast du einen starken Arm. Doch jetzt ersuche ich dich, schone diesen Mann und lasse ihn meinen Befehl ausführen. Er wird dem Mädchen nichts tun; die Nachtluft ist kalt, und meine Gemächer stehen ihr zur Verfügung. Jemandem, dem du so gewogen bist, gehört natürlich auch meine Gunst.«

Ich packte Leo am Arm und zog ihn von dem am Boden liegenden Stummen weg. Widerspruchslos ließ er es geschehen. Darauf begaben wir uns zur Höhle. Auf dem Plateau, über das wir gingen, war von dem Feuer, das zum Tanz geleuchtet hatte, nur noch ein Haufen weißer Menschenasche übrig, und die Tänzer selbst waren verschwunden.

Bald traten wir in Ayeshas Boudoir - nur allzubald, wie es mir schien, denn eine düstere Vorahnung dessen, was nun geschehen würde, bedrückte mein Herz.

Ayesha nahm auf ihren Kissen Platz, befahl ihren Dienerinnen, nach den Lampen zu sehen, und schickte sie - bis auf ihre Lieblingsdienerin - zusammen mit Job und Billali hinaus. Wir drei blieben stehen, die unglückliche Ustane ein wenig abseits zu unserer Linken.

»Nun, o Holly«, begann Ayesha, »wie kommt es, daß du hörtest, wie ich dieser Missetäterin« - sie deutete auf Ustane - »gebot, von hier fortzugehen, du, auf dessen Bitten ich ihr törichterweise das Leben schenkte - wie kommt es, frage ich, daß du teilnahmst an dem, was ich heute abend sah? Antworte, und um deiner selbst willen, merke, sprich die Wahrheit, denn ich bin nicht gewillt, in dieser Sache Lügen zu dulden!«

»Es war ein Zufall, o Königin«, erwiderte ich. »Ich wußte nichts davon.«

»Ich will dir glauben, o Holly«, sagte sie in eisigkaltem Ton, »und dies ist, sei versichert, zu deinem Besten. Somit liegt die ganze Schuld bei ihr.«

»Ich finde keinerlei Schuld darin«, warf Leo ein. »Sie ist keines anderen Mannes Weib, und offenbar hat sie mich nach dem Brauch dieses schrecklichen Landes geehelicht. Was ist also Schlechtes daran? Jedenfalls, Madame«, fuhr er fort, »habe, was immer sie getan hat, auch ich getan, und deshalb muß, wenn sie bestraft wird, ich ebenfalls bestraft werden. Aber ich sage dir«, rief er, sich in Wut redend, »wenn du einem von diesen taubstummen Halunken befiehlst, sie wieder anzurühren, reiße ich ihn in Stücke!« Und man sah ihm an, daß er es ernst meinte.

Ayesha lauschte in eisigem Schweigen und erwiderte nichts. Als er geendet hatte, wandte sie sich jedoch an Ustane:

»Hast du etwas zu sagen, Weib? Du leichtfertiges Ding, du Feder, gedachtest du, dem Sturm meines Willens trotzend, deiner albernen Leidenschaft zu frönen? Sprich doch, damit ich dich verstehe. Warum hast du das getan?«

Und nun wurde ich Zeuge eines Mutes, einer Unerschrockenheit, die fast unglaublich scheinen. Denn das arme Mädchen, das sich wohl bewußt war, was es von seiner schrecklichen Königin zu erwarten hatte, und das aus bitterer Erfahrung die Macht seiner Rivalin kannte, nahm sich zusammen und schöpfte aus seiner tiefen Verzweiflung die Kraft, ihr die Stirn zu bieten.

»Ich tat es, o Königin«, antwortete sie, sich zu ihrer vollen Größe aufrichtend und das Leopardenfell von ihrem Kopf streifend, »weil meine Liebe stärker als der Tod ist. Ich tat es, weil für mich ein Leben ohne diesen Mann, den mein Herz erwählte, nichts als ein lebender Tod wäre. Deshalb setzte ich mein Leben aufs Spiel, und nun, da ich weiß, daß es verwirkt ist, bin ich froh, daß ich dies tat, denn er hat mich noch einmal umarmt und mir gesagt, daß er mich noch liebt.«

Ayesha erhob sich halb von ihrem Ruhebett und sank gleich wieder darauf nieder.

»Mir eignet keine Zauberkraft«, fuhr Ustane mit heller, fester Stimme fort; »ich bin weder eine Königin noch unsterblich, doch das Herz eines Weibes geht nicht leicht unter, so tief das Wasser auch sein mag, o Königin, und die Augen eines Weibes sind scharf -sie sehen sogar durch deinen Schleier, o Königin!

Höre: Ich weiß, du liebst diesen Mann gleich mir, und deshalb willst du mich, die ich dir im Wege stehe, vernichten. Ja, ich bin bereit, zu sterben und in die Finsternis zu gehen, obgleich ich nicht weiß, wohin ich gehen werde. Doch eines weiß ich. In meiner Brust strahlt ein Licht, und im Schein dieses Lichtes sehe ich die Wahrheit, sehe die Zukunft, die nicht mein ist, sich entfalten wie eine Schriftrolle. Als ich meinen Gebieter« - und sie deutete auf Leo - »zum ersten Male sah, da wußte ich, daß sein Brautgeschenk an mich der Tod sein wird - diese Erkenntnis überkam mich ganz plötzlich, doch ich wich nicht zurück, denn ich war bereit, den Preis zu zahlen, und siehe, nun bin ich des Todes! Doch so wie ich dieses wußte, so weiß ich jetzt, auf der Schwelle des Verderbens stehend, daß du die Früchte deines Verderbens nicht ernten wirst. Denn er ist mein, und mein wird er bleiben, mag deine Schönheit auch strahlen wie eine Sonne unter Sternen. Niemals in diesem Leben wird er dir in die Augen schauen und dich seine Gattin nennen. Auch du bist verdammt« - und ihre Stimme klang wie der Schrei einer von Gottes Geist erfüllten Prophetin -, »ich sehe - ah, ich sehe -«

Da ertönte ein Schrei des Zorns und Schreckens. Ich wandte mich um. Ayesha war aufgesprungen und deutete mit ausgestreckter Hand auf Ustane, die plötzlich verstummt war. Während ich das arme Weib ansah, nahm ihr Gesicht den gleichen leidvollen, schreckensstarren Ausdruck an, den ich schon einmal gesehen hatte, als sie ihre wilden Verwünschungen ausstieß. Ihre Augen weiteten sich, ihre Nasenflügel bebten, ihre Lippen erbleichten.

Ayesha sagte nichts, gab keinen Laut von sich; sie richtete sich nur, ihren Arm ausstreckend, auf und starrte, während ihre hohe, verschleierte Gestalt wie Espenlaub zitterte, auf ihr Opfer. Plötzlich fuhren Ustanes Hände hoch zu ihrem Kopf, sie stieß einen gellenden Schrei aus, drehte sich zweimal um sich selbst und stürzte rücklings auf den Boden. Leo und ich eilten zu ihr, doch sie war schon tot - erschlagen durch einen geheimnisvollen elektrischen Strom oder die überwältigende Willenskraft, über welche die schreckliche >Sie< gebot.

Einen Augenblick schien Leo nicht zu begreifen, was geschehen war, doch als er es erfaßte, war sein Gesicht gräßlich anzusehen. Mit einem wilden Fluch sprang er auf und stürzte sich auf Ayesha. Doch sie war auf der Hut und streckte, als sie ihn kommen sah, wieder ihre Hand aus. Taumelnd wich er zurück, und hätte ich ihn nicht aufgefangen, wäre er gefallen. Später erzählte er mir, ihm sei gewesen, als habe er einen heftigen Schlag auf die Brust erhalten und als habe ihn alle Manneskraft verlassen.

Da sprach Ayesha. »Vergib mir, mein Gast«, sagte sie mit sanfter Stimme zu ihm, »wenn mein Gericht dich schreckte.«

»Dir vergeben, du Teufelsweib?« schrie der arme Leo, in seinem Zorn und Kummer die Hände ringend. »Dir vergeben, du Mörderin! Beim Himmel! Töten will ich dich!«

»Nein, nein«, entgegnete sie in dem gleichen sanften Ton, »du weißt ja nichts - doch nun sollst du alles erfahren. Du bist mein Geliebter, mein Kallikrates, mein Schöner, mein Starker! Zweitausend Jahre lang, Kallikrates, habe ich auf dich gewartet, und nun endlich bist du zu mir zurückgekehrt. Und dieses Weib«, sie deutete auf den Leichnam, »stand zwischen dir und mir - deshalb mußte es sterben, Kallikrates.«

»Du lügst!« sagte Leo. »Ich heiße nicht Kallikrates. Ich heiße Leo Vincey; Kallikrates war einer meiner Ahnen - zumindest nehme ich das an.«

»Ja, so ist es - Kallikrates war dein Ahne, und du, ja, du bist der wiedergeborene und zurückgekehrte Kallikrates - und mein teurer Geliebter!«

»Ich bin nicht Kallikrates und nicht dein Geliebter. Da möchte ich schon eher der Geliebte einer Teufelin aus der Hölle sein, denn sie wäre besser als du.«

»Wie kannst du nur so sprechen, Kallikrates? Ach, du hast mich so lange nicht gesehen, daß du dich meiner nicht erinnerst. Sieh doch, wie schön ich bin, Kallikrates!«

»Ich hasse dich, du Mörderin, und ich habe kein Verlangen, dich zu sehen. Was kümmert es mich, wie schön du bist! Ich hasse dich, hörst du?«

»Und dennoch wirst du in einer kleinen Weile mir zu Füßen liegen und schwören, daß du mich liebst«, erwiderte Ayesha mit einem süßen, spöttischen Lachen. »Komm, jetzt ist der rechte Augenblick - hier vor jenem toten Mädchen, das dich liebte, will ich's dir beweisen. Sieh mich jetzt an, Kallikrates!« und mit einer raschen Bewegung entledigte sie sich ihres schleierartigen Gewandes und stand in ihrem ausgeschnittenen Kleid mit dem Schlangengürtel in all ihrer strahlenden Schönheit und königlichen Anmut vor uns, emporsteigend aus ihrer Hülle wie Venus aus der Woge oder wie Galatea aus dem Marmor. Sie trat vor und richtete ihre strahlenden Augen auf Leos Augen, und ich sah, wie seine geballten Fäuste sich lösten und sein starres, bebendes Gesicht unter ihrem Blick sich entspannte. Ich sah, wie sein Staunen sich in Bewunderung und dann in Verzückung wandelte, und je mehr er dagegen ankämpfte, um so mehr schien ihre schreckliche Schönheit ihn in ihren Bann zu ziehen und von seinen Sinnen Besitz zu ergreifen, ihn zu betäuben und in sein Herz zu dringen. Kannte ich das nicht allzugut? Hatte nicht ich, doppelt so alt wie er, das gleiche durchgemacht? Erlebte ich es nicht in diesem Augenblick aufs neue, obwohl ihr süßer, leidenschaftlicher Blick gar nicht mir galt? Ach, leider war es so! Ach, ich muß gestehen, daß in jenem Moment eine tolle, wilde Leidenschaft mich zerriß.

Ich hätte mich - Schande über mich - auf ihn stürzen mögen! Das Weib hatte meine Moral ins Wanken gebracht, ja fast vernichtet, wie es die Moral eines jeden Mannes ins Wanken bringen mußte, der seine übermenschliche Schönheit schaute. Allein, es gelang mir, mich - ich weiß nicht, wie - zu beherrschen, und so wandte ich mich den beiden wieder zu, um den Höhepunkt der Tragödie zu betrachten.

»Oh, großer Himmel!« keuchte Leo, »bist du ein Weib?«

»Jawohl, ein Weib - nichts als ein Weib - und ganz die deine, Kallikrates!« erwiderte sie, ihre runden Arme ihm entgegenstreckend und - ach, wie süß - lächelnd.

Er blickte sie hingerissen an, und dann sah ich, wie er sich langsam ihr näherte. Plötzlich fiel sein Blick auf den Leichnam der armen Ustane, und er erschauderte und hielt inne.

»Wie kann ich denn?« sagte er heiser. »Du bist eine Mörderin; sie liebte mich.«

Anscheinend hatte er bereits vergessen, daß auch er sie geliebt hatte.

»Das ist vorbei«, murmelte sie mit einer Stimme, die süß klang wie der Nachtwind, wenn er durch die Bäume streicht, »- vorbei. Wenn ich gesündigt habe, soll meine Schönheit meine Sünde tilgen. Wenn ich gesündigt habe, dann nur aus Liebe zu dir; darum laß meine Sünde vergessen sein«, und wieder streckte sie die Arme aus und flüsterte: »Komm!« - und dann war's binnen weniger Sekunden um ihn geschehen.

Ich sah, wie er mit sich kämpfte, ja gar zur Flucht sich wandte; doch ihre Augen fesselten ihn stärker an sie als eherne Bande, und die Zauberkraft ihrer Schönheit, ihres Willens und ihrer Leidenschaft überwältigten ihn - besiegten ihn angesichts der Leiche des Mädchens, das ihn so sehr geliebt, daß es seinetwegen in den Tod gegangen war. Doch so schrecklich und verworfen es klingen mag, sollte man ihn doch nicht allzusehr tadeln und bedenken, daß er für seine Sünde dereinst büßen wird. Die Versucherin, die ihn zum Bösen verlockte, war mehr als ein Mensch und ihre Schönheit größer als die der Menschentöchter.

Ich blickte wieder auf, und nun lag ihre herrliche Gestalt in seinen Armen, und ihre Lippen preßten sich auf die seinen; und so, mit der Leiche seiner Geliebten als Altar, verlobte Leo Vincey sich ihrer verruchten Mörderin, verlobte sich ihr auf immer und ewig. Denn jene, die sich auf diese Weise für den Preis ihrer eigenen Ehre verkaufen und ihre Seele in die Waagschale werfen, damit die Waage sich zu dem Niveau ihrer Lüste niedersenke, können weder in diesem noch im jenseitigen Leben auf Erlösung hoffen. Was sie gesät haben, werden sie wieder und wieder ernten, wenn die Mohnblumen der Leidenschaft in ihren Händen längst verdorrt sind, und ihre Ernte sind nur bittere Wicken.

Plötzlich entschlüpfte sie mit einer schlangengleichen Bewegung seinen Armen und stieß wieder triumphierend ihr leises, spöttisches Lachen aus.

»Habe ich dir nicht gesagt, daß du in einer kleinen Weile mir zu Füßen liegen wirst, o Kallikrates? Und siehe, es hat gar nicht lange gedauert!«

Leo stöhnte vor Scham und Qual, denn so sehr er ihr auch verfallen sein mochte, schien er sich doch bewußt, wie tief er gesunken war. Ja, wie ich später deutlich merkte, lehnte sich sogar seine bessere Natur mit aller Kraft gegen sein gefallenes Ich auf.

Ayesha lachte wieder und verschleierte sich rasch. Dann gab sie dem stummen Mädchen, das das Ganze mit neugierigem, furchtsamem Blick beobachtet hatte, einen Wink. Das Mädchen entfernte sich und kam gleich darauf mit zwei männlichen Stummen zurück, denen die Königin gleichfalls einen Wink gab. Daraufhin ergriffen alle drei die arme Ustane bei den Armen und schleppten sie aus der Höhle hinaus. Leo blickte der Leiche nach und bedeckte dann die Augen mit der Hand, und in meiner überreizten Phantasie schien es mir, als blicke die Leiche, als man sie hinaustrug, uns an.

»Da geht sie hin, die tote Vergangenheit«, sagte Ayesha feierlich, als die Vorhänge, nachdem die unheimliche Prozession verschwunden war, sich schlossen. Und dann warf sie in einem jener merkwürdigen Stimmungswechsel, die ich bereits erwähnte, ihren Schleier wieder ab und stimmte nach der alten poetischen Sitte der Araber einen Lobgesang an, welcher, so wild und schön er war, nur überaus schwierig zu übersetzen ist und eigentlich nicht niedergeschrieben und vorgelesen, sondern nach Art einer Kantate gesungen werden sollte. Er bestand aus zwei Teilen - einem allgemeinen und einem persönlichen -und lautete, soweit ich mich erinnern kann, etwa wie folgt:

»Die Liebe gleicht einer Blume in der Wüste.

Sie gleicht der Aloe Arabiens, die einmal nur blüht und stirbt;

sie blüht in der Salzwüste des Lebens und ihre Schönheit strahlt über ihr wie ein Stern über einem Sturm.

Sie hat die Sonne, die der Geist ist, über sich, und der Wind ihrer Göttlichkeit weht über ihr.

Beim Laute eines Schritts erblüht die Liebe und neigt ih-

re Schönheit zu dem Wanderer.

Er pflückt sie, ja, er pflückt den roten Kelch, der voll von Honig ist, und trägt ihn fort; fort durch die Wüste, fort, bis die Blume welkt, fort bis an der Wüste Ende.

Es gibt nur eine schöne Blume in der Wildnis des Lebens. Diese Blume ist die Liebe!

Es gibt nur einen Fixstern über dem Dunkel unseres Weges. Dieser Stern ist die Liebe!

Es gibt nur eine Hoffnung in unserer Verzweiflung Nacht. Diese Hoffnung ist die Liebe!

Alles andere ist trügerisch. Alles andere ist Schatten auf dem Wasser. Alles andere ist Wind und Eitelkeit.

Wer vermag zu sagen, was das Gewicht, das Maß der Liebe ist?

Vom Fleisch wird sie geboren, im Geiste wohnt sie. Aus beiden zieht sie ihre Kraft.

Denn die Schönheit ist wie ein Stern.

Vielfältig sind ihre Formen, doch alle sind sie schön, und niemand weiß, wo der Stern aufging, niemand kennt den Horizont, hinter dem er untergehen wird.«

Nun wandte sie sich an Leo, legte ihre Hand auf seine Schulter und fuhr in noch triumphierenderem Ton in abgemessenen Sätzen fort, die sich allmählich aus stilisierter Prosa in reine, majestätische Verse verwandelten:

»Wie lange liebte ich dich, mein Geliebter; und doch hat meine Liebe niemals nachgelassen.

Wie lange habe ich auf dich gewartet, und siehe, nun wird mir mein Lohn zuteil!

In fernen Zeiten bist du einmal schon mein gewesen, doch man entriß dich mir.

Ich säte in ein Grab die Saat der Geduld und ließ die Sonne meiner Hoffnung darauf scheinen und tränkte sie mit den Tränen der Reue und hauchte sie an mit dem Atem meines Wissens. Und nun, siehe, ist sie aufgegangen und trägt Früchte. Siehe! Aus dem Grab ist sie erblüht, zwischen trockenen Gebeinen und der Toten Asche. Darum frohlockte ich, denn schön ist die Zukunft.

Grün sind die Pfade, auf denen über ewig frische Weiden wir schreiten werden.

Dies ist unsere Stunde. In die Täler flüchtete die Nacht. Die Morgensonne küßt die Bergesgipfel.

Sanft ruhen wir, Geliebter, leicht wandeln wir dahin. Man wird uns krönen mit dem Diadem der Könige.

Der Erde Völker werden uns verehren und bewundern, Vor unserer Macht und Schönheit selbst Blinde niedersinken.

Durch Zeit und Ewigkeit soll unsere Größe brausen, Gleich einem Prunkgefährt endloser Straßen Staub durchrollend,

Und lachend eilen wir dahin in Sieg und Pracht,

Lachend wie Sonnenlicht, das auf den morgendlichen Hügeln tanzt,

Voran, von Triumph zu Triumph fliegend.

Voran, stets neuer unerreichter Macht entgegen,

Voran, ohne Müdigkeit, in ein Gewand aus Sonnenglanz gekleidet,

Bis unser Schicksal sich vollendet und Nacht auf uns herniederstürzt.«

Sie hielt inne in ihrem seltsamen und höchst ergreifenden allegorischen Gesang, den ich leider nur sehr unvollkommen wiederzugeben vermag, und sagte:

»Vielleicht glaubst du mir nicht, Kallikrates - vielleicht denkst du, daß ich dich täusche, daß ich nicht all diese vielen Jahre gelebt habe und du mir nicht wiedergeboren wurdest. Nein, blicke nicht so drein -lege diese zweifelnde Miene ab, denn sei gewiß, hier hat der Irrtum keinen Raum! Eher soll die Sonne ihre Bahn verfehlen und die Schwalbe ihr Nest nicht finden, als meine Seele eine Lüge schwören, die mich noch einmal von dir trennte, Kallikrates. Blende mich, nimm mir mein Augenlicht und lasse Finsternis mich umhüllen - dennoch würden meine Ohren den Klang deiner unvergessenen Stimme erkennen, die stärker an die Pforten meiner Sinne schlägt als der Ruf eherner Trompeten; nimm mir auch mein Gehör und lasse tausend Hände meine Stirn berühren - die deine würde unter ihnen allen ich erspüren; ja raube alle meine Sinne mir, auf daß ich taub und blind und stumm bin und meine Nerven keinerlei Berührung fühlen - mein Geist würde dennoch auffahren wie ein aus dem Schlaf geschrecktes Kind und meinem Herzen zurufen: Kallikrates ist hier! Der Nächte Wachen sind beendet! Der, den du suchtest in der Nacht, dein Morgenstern, ist aufgegangen!«

Sie schwieg einen Augenblick und fuhr dann fort: »Doch halt! Sollte dein Herz der machtvollen Wahrheit sich immer noch verschließen und du, die Seltsamkeit alles dessen nicht begreifend, ein weiteres Unterpfand dafür fordern, so will ich es dir - und auch dir, o mein Holly - sogleich geben. Nehmt jeder eine Lampe und folgt mir, wohin ich euch führe.«

Ohne uns auch nur einen Augenblick zu besinnen -ich für meinen Teil hatte es nahezu aufgegeben nachzudenken, da jeder Gedanke hilflos gegen eine schwarze Mauer des Rätselhaften stieß -, nahmen wir die Lampen und folgten ihr. Am Ende ihres >Bou-doirs< hob sie einen Vorhang in die Höhe und wies auf eine kleine Treppe, wie sie in diesen düsteren Höhlen von Kor so zahlreich sind. Als wir die Treppe hinabstiegen, bemerkte ich, daß die Stufen in der Mitte dermaßen ausgetreten waren, daß sich bei ihnen die mutmaßliche ursprüngliche Höhe von siebeneinhalb Zoll auf etwa dreieinhalb Zoll verringert hatte. Nun waren alle anderen Treppen, die ich bisher in den Höhlen gesehen hatte, so gut wie nicht abgenützt, was auch nicht wunder nimmt, wenn man bedenkt, daß man sich ihrer nur bediente, wenn man Leichen zu den Grabkammern trug. Deshalb machte diese Tatsache auf mich einen seltsam starken Eindruck, so wie uns ja immer Kleinigkeiten dann überaus stark berühren, wenn uns innerlich ein plötzlicher Ansturm mächtiger Gefühle überwältigt.

Am Fuß der Treppe blieb ich stehen und starrte auf die ausgetretenen Stufen, was Ayesha, als sie sich mir zuwandte, bemerkte.

»Du fragst dich wohl, wessen Füße den Fels so ausgetreten haben, mein Holly?« sagte sie. »Die meinen waren es - so leicht sie auch sind! Ich entsinne mich noch, wie glatt und eben diese Stufen dereinst waren, doch ich bin sie zweitausend Jahre lang und mehr Tag für Tag hinabgestiegen, und so haben meine Sandalen den festen Stein abgenützt!«

Ich schwieg, denn nichts, was ich bisher gehört oder gesehen, hatte meinem beschränkten Verstand das überwältigende Alter dieses Geschöpfes so deutlich bewußt gemacht wie dieser von ihren weichen weißen Füßen ausgehöhlte harte Granit. Wie viele hunderttausend Mal mußte sie diese Treppe hinab und hinauf gestiegen sein, um dieses Resultat zu erzielen?

Die Treppe führte zu einem Tunnel, und nach einigen weiteren Schritten gelangten wir zu einer wie üblich mit einem Vorhang verhangenen Tür, in der ich auf den ersten Blick jene erkannte, hinter welcher stehend ich Zeuge der schrecklichen Szene mit der springenden Flamme gewesen war. Das Muster des Vorhangs erinnerte mich so lebhaft an das furchtbare Ereignis, daß ich erschauderte. Ayesha trat in die Gruft, denn eine solche war es, und wir folgten ihr -ich voll Freude, daß das Geheimnis dieses Ortes nun gelüftet werden sollte, und zugleich voll Furcht vor seiner Lösung.

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