22 Job hat eine Vorahnung

Am nächsten Morgen gegen neun Uhr trat Job, immer noch ängstlich und verschreckt dreinblickend, in meine Kammer, um mich zu wecken und zugleich seiner Erleichterung darüber Ausdruck zu verleihen, daß er uns noch lebend in unseren Betten vorfand, was er anscheinend stark bezweifelt hatte. Als ich ihm von dem schrecklichen Ende der armen Ustane berichtete, freute er sich um so mehr, war jedoch zugleich zutiefst entsetzt, obwohl er sich mit ihr nicht gerade gut verstanden hatte. Sie hatte ihn in ihrem verstümmelten Arabisch >Schwein< genannt, und er sie in seinem guten Englisch >Weibsbild<, doch diese Freundlichkeiten waren angesichts ihres Todes von der Hand ihrer Königin vergessen.

»Ich möchte nichts Ungebührliches sagen, Sir«, äußerte Job, als er sich einigermaßen beruhigt hatte, »doch meiner Meinung nach ist diese >Sie< der Beelzebub in Person, oder vielleicht seine Frau, falls er eine hat, was aber wohl so sein muß, denn er allein kann nicht so böse sein. Die Hexe von Endor war harmlos gegen sie, Sir. Dies ist ein Land voller Teufel, Sir, und sie ist der Oberteufel, und es sollte mich sehr wundern, wenn wir je von hier fortkommen. Meiner Seel, ich wüßte wahrhaftig nicht, wie. Ich kann mir nicht vorstellen, daß diese Hexe einen so hübschen jungen Mann wie Mr. Leo ziehen lassen wird.«

»Immerhin«, sagte ich, »hat sie ihm doch das Leben gerettet.«

»Ja, und dafür wird sie ihm die Seele nehmen! Zu einer Hexe wird sie ihn machen, wie sie's selbst ist. Ich kann nur sagen, es ist von Übel, sich mit solchen Leuten einzulassen. Gestern abend, Sir, las ich vor dem Schlafengehen in der kleinen Bibel, die meine arme alte Mutter mir mit auf den Weg gegeben hat, und da drin standen Dinge über Zauberinnen und solches Pack, daß sich mir die Haare sträubten. Mein Gott, was würde meine Mutter für Augen machen, wenn sie sähe, wo ihr Job hingeraten ist!«

»Ja, es ist ein seltsames Land, und auch ein seltsames Volk, Job«, erwiderte ich seufzend, denn obgleich ich nicht gleich Job abergläubisch bin, hege ich doch eine natürliche Scheu vor dem Übernatürlichen.

»Ganz recht, Sir«, antwortete er, »und halten Sie mich bitte nicht für gar zu dumm, wenn ich Ihnen jetzt, wo Mr. Leo nicht da ist« - Leo war früh aufgestanden, um einen Spaziergang zu machen -, »etwas sage: Ich weiß, daß dies das letzte Land ist, das ich auf Erden gesehen habe. Ich hatte nämlich heute nacht einen Traum. Mir träumte von meinem alten Vater, und er hatte ein Art Nachthemd an, so ein Ding, wie es die Leute hier als Galauniform tragen, und in der Hand hielt er ein Büschel Federgras, das er vielleicht unterwegs gepflückt hatte - ich habe gestern große Mengen davon ein paar hundert Meter vom Eingang dieser gräßlichen Höhle gesehen ...

>Job<, sagte er ganz feierlich zu mir und schmunzelte dabei so merkwürdig, ganz wie ein Methodistenprediger, der seinem Nachbarn ein krankes Pferd verkauft und bei dem Geschäft zwanzig Pfund eingeheimst hat, >Job, deine Stunde hat geschlagen; doch ich hätte nie gedacht, daß ich dich an so einem Ort suchen müßte, Job! Was mußte ich bloß alles durchmachen, um deine Spur zu finden; es war wirklich nicht schön von dir, deinen armen alten Vater so weit laufen zu lassen, ganz abgesehen von all diesem Gesindel, von dem es in diesem Kor nur so wimmelt.<«

»Er wollte dich eben zur Vorsicht mahnen«, warf ich ein.

»Ja, Sir - ganz gewiß, genau das hat er gesagt: >Nimm dich in acht vor diesen Halunken< - und nach allem, was ich hier gesehen und mit diesem heißen Topf erlebt habe, zweifle ich nicht daran, daß er recht hatte«, fuhr Job traurig fort. »Jedenfalls meinte er, meine Stunde hätte geschlagen, und als er fortging, sagte er, wir würden bald mehr Zusammensein, als uns lieb wäre, und dabei dachte er wohl daran, daß mein Vater und ich es nie länger als drei Tage zusammen aushielten, und ich fürchte, wenn wir wieder zusammenkommen, wird's nicht anders sein.«

»Aber du glaubst doch nicht etwa, daß du sterben mußt, nur weil du im Traum deinen alten Vater gesehen hast?« sagte ich. »Wenn man stirbt, weil man von seinem Vater träumt, was geschieht dann deiner Meinung nach erst einem Mann, der von seiner Schwiegermutter träumt?«

»Ach, Sir, Sie lachen über mich«, sagte Job, »aber Sie kennen eben meinen alten Vater nicht. Wenn es jemand anders gewesen wäre - zum Beispiel meine Tante Mary -, dann hätte ich mir nicht so viel daraus gemacht; aber mein Vater war, obwohl er siebzehn Kinder hatte, so faul, daß er bestimmt nicht bloß zum Vergnügen hierhergekommen wäre. Nein, Sir, er hat es ganz sicher ernst gemeint. Nun ja, Sir, ich kann es nicht ändern; früher oder später muß ja jeder dran glauben, es ist nur so schrecklich, an solch einem Ort sterben zu müssen, wo man für alles Gold der Welt kein christliches Begräbnis kriegen kann. Ich habe mir alle Mühe gegeben, ein guter Mensch zu sein, Sir, und rechtschaffen meine Pflicht zu erfüllen, und wenn mein Vater letzte Nacht nicht so herablassend getan hätte, als ob er von meinen Referenzen und Zeugnissen überhaupt nichts hielte, dann würde ich mir weiter keine Gedanken machen. Ich war Ihnen und Mr. Leo - Gott segne ihn! - bestimmt ein guter Diener - beim Himmel, es kommt mir vor, als ob's erst gestern gewesen sei, daß ich mit ihm auf der Straße Fangen spielte -, und wenn Sie je von hier fortkommen, hoffe ich, Sie werden freundlich meiner modernden Knochen gedenken und sich nie wieder mit griechischen Inschriften auf alten Blumentöpfen einlassen, Sir - wenn ich mir herausnehmen darf, das zu sagen.«

»Ich bitte dich, Job«, sagte ich in ernstem Ton, »du weißt doch wohl, daß das alles Unsinn ist. Du kannst doch nicht so dumm sein, so etwas zu glauben. Wir haben einige merkwürdige Ereignisse überlebt und werden es, wie ich hoffe, weiterhin tun.«

»Nein, Sir«, erwiderte Job mit einer Überzeugung, die mich ärgerte. »Das ist kein Unsinn. Ich bin verloren, das fühle ich, und es ist ein überaus unangenehmes Gefühl, Sir, denn man kann nicht anders als sich ständig fragen, wie es wohl sein wird. Wenn man sein Mittagessen verzehrt, denkt man an Gift, und das verschlägt einem den Appetit, und wenn man durch diese finsteren Kaninchenbauten geht, denkt man an Messer, und man bekommt eine Gänsehaut. Ich bin ja nicht wählerisch, Sir - nur schnell soll es gehen, wie bei diesem armen Mädchen. Jetzt, wo es tot ist, tut's mir übrigens leid, daß ich so häßlich von ihr gesprochen habe, wenn ich auch ihre Moral und ihre Art, sich so Hals über Kopf zu verheiraten, nicht gutheißen kann, denn es ist einfach nicht anständig, das so schnell zu tun. Immerhin, Sir«, und der arme Job erbleichte, »hoffe ich, es wird nicht der heiße Topf sein.«

»Unsinn«, unterbrach ich ihn ärgerlich. »Was für ein Unsinn!«

»Sehr wohl, Sir«, sagte Job, »es steht mir nicht zu, Ihnen zu widersprechen, Sir, aber wenn ich mir eine Bitte erlauben darf: Wenn Sie irgendwohin gehen, Sir, dann nehmen Sie mich doch bitte mit, denn wenn es soweit ist, möchte ich doch gern ein freundliches Gesicht sehen, denn das macht es einem bestimmt leichter. Und jetzt, Sir, werde ich das Frühstück bringen«, und damit ging er hinaus und ließ mich in einer sehr unbehaglichen Stimmung zurück. Ich hing sehr an dem alten Job, welcher einer der besten und ehrenhaftesten Menschen, die ich je gekannt habe, und mir eigentlich mehr Freund als Diener war, und der bloße Gedanke, es könnte ihm etwas zustoßen, ließ meinen Atem stocken. So unsinnig sein Geschwätz auch sein mochte, merkte ich doch, daß er selbst zutiefst davon überzeugt war, daß ihm etwas passieren werde, und wenn sich so etwas auch in den meisten Fällen als pure Einbildung erweist - an welcher in diesem Fall zweifellos die düstere und ungewöhnliche Umgebung schuld war -, erfüllte es mich dennoch mit Unruhe, wie übrigens wohl jede Furcht, die offensichtlich ehrlich ist, mag sie auch noch so absurd sein. Endlich kam das Frühstück, und zugleich er-schien Leo, der - wie er sagte, um einen klaren Kopf zu bekommen - außerhalb der Höhle einen Spaziergang gemacht hatte. Ich war sehr froh darüber, denn ich wurde dadurch von meinen düsteren Gedanken abgelenkt. Nach dem Frühstück unternahmen wir gemeinsam einen Spaziergang und sahen einigen Amahaggern zu, wie sie einen Acker mit dem Getreide besäten, aus dem sie ihr Bier brauen. Sie taten dies auf altbiblische Art: ein Mann, der einen Sack aus Ziegenfell um die Hüften gebunden hatte, schritt auf dem Feld auf und nieder und streute dabei die Saatkörner mit den Händen aus. Einen dieser schrecklichen Menschen eine so friedvolle Arbeit tun zu sehen, erleichterte uns zutiefst - vielleicht weil sie die Ama-hagger irgendwie mit der übrigen Menschheit zu verbinden schien.

Bei unserer Rückkehr trafen wir Billali, der uns mitteilte, daß >Sie< uns zu sehen wünsche, und so begaben wir uns zu ihr - ein wenig ängstlich, wie ich gestehen muß, denn Vertrautheit mit Ayesha erzeugte Leidenschaft und Staunen und Entsetzen, doch ganz gewiß nicht Verachtung.

Wie üblich führten die Stummen uns zu ihr, und nachdem sie sich zurückgezogen hatten, entschleierte sich Ayesha und forderte Leo wiederum auf, sie zu umarmen, was er, trotz seiner Selbstvorwürfe am vorherigen Abend, mit mehr Eifer und Inbrunst tat, als die Höflichkeit erfordert hätte.

Sie legte ihre weiße Hand auf seinen Kopf und sah ihn zärtlich an. »Sicherlich möchtest du wissen, mein Kallikrates«, sagte sie, »wann wir einander ganz angehören werden? Ich will's dir sagen. Zuerst mußt du sein wie ich - nicht unsterblich, denn das bin ich nicht, doch so gefeit und gepanzert gegen die Angriffe der Zeit, daß ihre Pfeile von deines Lebens Rüstung abprallen wie die Strahlen der Sonne vom Wasser. Noch können wir uns nicht verbinden, denn wir sind allzu verschieden, und allein der Glanz meines Wesens würde dich verbrennen, ja vielleicht gar zerstören. Nicht einmal ansehen darfst du mich allzu lange, denn deine Augen würden schmerzen und deine Sinne schwinden. Deshalb«, dies mit einem leisen Nicken, »will ich mich sogleich wieder verschleiern.« Sie tat es jedoch nicht und fuhr fort: »Nein, höre, ich will deine Geduld nicht auf eine allzu harte Probe stellen. Noch heute abend, eine Stunde vor Sonnenuntergang, werden wir aufbrechen und, wenn alles gut geht und ich nicht den Weg verfehle, was, wie ich inbrünstig hoffe, nicht geschehen wird, morgen noch vor Einbruch der Dunkelheit am Platz des Lebens sein. Dort wirst du in dem Feuer baden und stark und schön, wie noch kein Mann vor dir, daraus hervortreten, und dann, Kallikrates, darfst du mich dein Weib und ich dich meinen Gatten nennen.«

Als Antwort auf diese erstaunliche Mitteilung murmelte Leo irgend etwas, das ich nicht verstand, doch sie lachte nur leise über seine Verwirrung und fuhr fort:

»Auch du, o Holly, wirst dieser Gunst teilhaftig werden und danach ein wahrhaft immergrüner Baum sein, denn du gefällst mir, Holly, weil du kein ganzer Tor bist wie die meisten Menschensöhne und weil du, obgleich deine Philosophie genauso töricht ist wie die der Weisen früherer Zeiten, dennoch nicht versäumt hast, einer Dame hübsche Schmeicheleien über ihre Augen zu sagen.«

»Holla, alter Junge!« flüsterte Leo mit einem Anflug von Humor mir zu, »hast du ihr Komplimente gemacht? Das hätte ich nie von dir gedacht!«

»Ich danke dir, Ayesha«, erwiderte ich so würdevoll wie möglich, »doch wenn es so einen Platz gibt, wie du ihn beschreibst, und wenn es an diesem seltsamen Platz eine feurige Kraft gibt, die den Tod fernzuhalten vermag, so möchte ich dennoch nichts davon wissen. Mir, o Ayesha, ist die Erde kein so weiches Nest gewesen, daß ich ewig darin liegen möchte. Eine Mutter mit einem Herzen von Stein ist unsere Erde, und Steine sind das tägliche Brot, das sie ihren Kindern gibt. Steine zum Essen und bitteres Wasser zum Trinken und Schläge zur Erziehung. Wer möchte das schon viele Leben lang ertragen? Wer möchte sich seinen Rücken volladen mit Erinnerungen an verlorene Stunden und Lieben, mit dem Kummer seines Nachbarn, den er nicht lindern kann, mit Wissen, das keinen Trost bringt? Das Sterben ist schwer, denn unser schwaches Fleisch zuckt zurück vor dem Wurm, den es gleichwohl nicht fühlen wird, und vor dem Unbekannten, das das Leichentuch unserem Blick verhüllt. Doch schlimmer noch muß es sein weiterzuleben, äußerlich schön und grün belaubt, doch im Kern tot und verrottet, und den Wurm der Erinnerung am Herzen nagen zu fühlen.«

»Überlege es dir gut, Holly«, sagte sie; »bedenke, daß langes Leben und Kraft und strahlende Schönheit Macht bedeuten und alles, was dem Menschen sonst noch teuer ist.«

»Und was, o Königin«, antwortete ich, »sind diese dem Menschen teuren Dinge? Sind sie nicht nur Seifenblasen? Ist der Ehrgeiz nicht nur eine endlose Lei-ter, die niemals höher führt, solange man die letzte unerreichbare Sprosse nicht bestiegen hat? Denn jeder Höhe folgt eine andere; kein Ausruhen gibt es auf dieser Leiter, und ihre Sprossen sind ohne Zahl. Ist man des Reichtums nicht bald satt und überdrüssig, so daß er einen nicht mehr freut; läßt sich mit ihm auch nur eine Stunde des Seelenfriedens erkaufen? Und gibt es eine vollkommene Weisheit, die zu erlangen wir hoffen dürfen? Erkennen wir nicht, je mehr wir lernen, nur um so mehr unsere Unwissenheit? Könnten wir, selbst wenn wir zehntausend Jahre lebten, hoffen, die Geheimnisse der Sonne und des Raumes jenseits der Sonnen und der Hand, die sie dorthin hängte, zu ergründen? Gliche unsere Weisheit nicht einem quälenden Hunger, wären wir uns nicht Tag für Tag des unstillbaren Verlangens unserer Seelen bewußt? Wäre sie nicht wie eine Lampe in einer dieser großen Höhlen, die, so hell sie brennt, dennoch nur die Tiefe des umliegenden Dunkels zeigt? Und was für Gutes gibt es sonst noch, das wir durch ein langes Leben erreichen könnten?«

»Nun, mein Holly, die Liebe - die Liebe, die alles verschönt und sogar dem Staub, auf dem wir wandeln, Göttlichkeit einhaucht. Mit Liebe fließt das Leben herrlich von Jahr zu Jahr dahin wie der Klang großer Musik, die des Zuhörenden Herz wie auf Adlerschwingen hinwegträgt über irdische Schmach und Torheit.«

»Mag sein«, erwiderte ich; »doch wenn das geliebte Wesen sich als gebrochenes Rohr erweist, das unser Herz durchbohrt, oder wenn man vergeblich liebt -was dann? Nein, o Ayesha, ich will die mir zugemessene Zeit leben, mit meiner Generation altern, den mir bestimmten Tod sterben und vergessen werden. Denn ich hoffe auf eine Unsterblichkeit, der gegenüber die kleine Spanne Zeit, die du mir vielleicht schenken kannst, nur wie die Länge eines Fingers gegen die Maße der großen Welt sein wird; und merke! die Unsterblichkeit, die meiner harrt, die mein Glaube mir verheißt, wird frei sein von den Banden, die hier meinen Geist fesseln. Denn solange das Fleisch besteht, müssen auch Sorgen und Leid und die Skorpi-onenstiche der Sünde bestehen; nur wenn das Fleisch von uns abfällt, wird der Geist, erfüllt von der Klarheit des ewig Guten, erstrahlen und einen so raren Äther edelster Gedanken atmen, daß der größte menschliche Ehrgeiz, der reinste Weihrauch eines jungfräulichen Gebetes zu grob wären, davor zu bestehen.«

»Du blickst hoch hinauf«, sagte Ayesha leise lachend, »und du sprichst klar wie eine Trompete und ohne das leiseste Schwanken. Doch hast du nicht soeben erst von jenem >Unbekannten< gesprochen, das ein Leichentuch unserem Blick entzieht? Vielleicht siehst du nur mit den Augen des Glaubens, erblickst diese künftige Herrlichkeit durch das bunte Glas deiner Phantasie. Gar seltsam sind die Zukunftsbilder, welche die Menschheit sich mit dem Pinsel des Glaubens und den schillernden Farben der Phantasie malt! Seltsam auch, daß keines davon einem anderen gleicht! Ich könnte dir sagen - doch was würde es frommen -, warum einem Narren seine Schellenkappe rauben? Sprechen wir nicht mehr darüber; ich wünsche nur, o Holly, du wirst es, wenn du das Alter langsam nahen fühlst und das Greisentum deine Sinne verwirrt, nicht bitterlich bereuen, daß du die königliche Gabe, die ich dir anbot, von dir wiesest. Doch so war es schon immer; der Mensch ist nie zufrieden mit dem, was seine Hand pflücken kann. Hat er eine Lampe, im Dunkel ihm zu leuchten, so wirft er sie fort, weil sie kein Stern ist. Das Glück tanzt stets einen Schritt vor ihm her wie die Irrlichter in den Sümpfen, und er muß das Feuer fangen, muß den Stern erheischen! Schönheit ist ihm nichts, denn es gibt noch honigsüßere Lippen; und Reichtum hält er für Armut, weil andere noch mehr Geld besitzen; und Ruhm gilt ihm nichts, weil es noch größere Männer als ihn gegeben hat. Du selbst hast es gesagt, und ich halte dir deine eigenen Worte vor. Wohlan, du träumst, daß du den Stern pflücken wirst. Ich glaube es nicht, und ich heiße dich einen Toren, o Holly, weil du die Lampe fortwirfst.«

Ich schwieg, denn Leos wegen konnte ich ihr nicht sagen, daß ich ihr Gesicht, seit ich es gesehen hatte, nie vergessen würde und daß ich nicht den Wunsch hatte, ein Leben zu verlängern, das stets von der Erinnerung an sie und von der Bitternis unerfüllter Liebe vergiftet sein würde. Doch so war es, und so ist es, ach, bis zu dieser Stunde!

»Und nun«, fuhr >Sie<, den Ton und das Thema gänzlich wechselnd, fort, »sage mir, mein Kallikrates - denn bis jetzt weiß ich es noch nicht -, wie ihr dazu kamt, mich hier zu suchen. Du sagtest gestern abend, dieser Kallikrates - dessen Leichnam du sahst - sei dein Vorfahr gewesen? Erzähle mir davon - du bist nicht gerade gesprächig!«

So aufgefordert, erzählte ihr Leo die merkwürdige Geschichte des Kästchens und der Tonscherbe, deren von seiner Ahne, der Ägypterin Amenartas, verfaßte Inschrift uns zu ihr geführt hatte. Ayesha lauschte aufmerksam und wandte sich, als er geendet hatte, an mich.

»Sagte ich dir nicht neulich, als wir vom Guten und vom Bösen sprachen, o Holly - es war, als mein Geliebter so krank war -, daß der Säende nie weiß, wie die Ernte sein wird? Nun siehe: diese Ägypterin Amenartas, diese königliche Tochter des Nils, die mich haßte und die ich noch heute hasse, denn in gewisser Weise hat sie mich besiegt - siehe, wie sie selbst ihren Geliebten in meine Arme getrieben hat! Um ihretwillen tötete ich ihn, und nun ist er durch sie zu mir zurückgekehrt! Sie wollte mir Böses tun, und was sie säte, sollte mir zum Unkraut werden, und siehe, sie hat mir mehr gegeben, als alle Welt mir geben kann. Wahrlich, ein seltsames Viereck, das in deinen Kreis von Gut und Böse so gar nicht passen will, o Holly!

Ihrem Sohn«, fuhr sie nach einer Pause fort, »gebot sie, mich zu töten, weil ich seinen Vater erschlug. Du, mein Kallikrates, bist der Vater und zugleich auch der Sohn - möchtest du nun das vor so langer Zeit dir und deiner Mutter zugefügte Unrecht rächen, o Kal-likrates? Siehe«, und sie kniete nieder und zog das weiße Mieder noch tiefer von ihrem Elfenbeinbusen herab, »siehe, hier schlägt mein Herz, und dort an deiner Seite hängt ein Dolch, groß und lang und stark, wie geschaffen, ein irrendes Weib zu töten. Nimm ihn und räche dich! Stoße zu, fest und tief! -Dann wirst du zufrieden sein, Kallikrates, und glücklich durchs Leben wandeln, denn du hast das Unrecht getilgt und das Vermächtnis der Vergangenheit erfüllt.«

Er blickte sie an; dann streckte er seine Hand aus und zog sie hoch.

»Stehe auf, Ayesha«, sagte er traurig; »du weißt sehr wohl, daß ich dich nicht töten kann - nein, nicht einmal um jener willen, die du gestern tötetest. Ich bin in deiner Macht und ganz dein Sklave. Wie könnte ich dich töten? Eher würde ich Hand an mich selbst legen.«

»Es scheint fast, als ob du mich zu lieben anfängst, Kallikrates«, antwortete sie lächelnd. »Doch nun erzähle mir von deinem Land - ihr seid ein großes Volk, nicht wahr, mit einem Reich, das dem einstigen der Römer gleicht? Bestimmt willst du dorthin zurückkehren, und das ist recht, denn auch ich möchte nicht, daß du in diesen Höhlen von Kor bleibst. Nein, wenn du erst einmal bist wie ich, werden wir von hier fortgehen - sei unbesorgt, ich finde schon einen Weg; wir werden nach diesem deinen England reisen und dort ein uns gemäßes Leben führen. Zweitausend Jahre habe ich auf den Tag gewartet, da ich Abschied von diesen verhaßten Höhlen und diesem düsteren Volk nehmen werde, und nun ist er da, und mein Herz schlägt ihm voll Ungeduld entgegen wie das eines Kindes dem ersten Ferientag. Und du wirst über dieses England herrschen ... «

»Aber wir haben schon eine Königin«, warf Leo hastig ein.

»Man kann sie stürzen«, sagte Ayesha.

Wir stießen einen Entsetzensschrei aus und erklärten ihr, daß wir lieber uns selbst umbringen würden.

»Wie seltsam«, sagte Ayesha erstaunt, »... eine Königin, die von ihrem Volk geliebt wird! Wie muß die Welt sich verändert haben, seit ich in Kor wohne!«

Wir versuchten ihr klarzumachen, daß das Wesen der Herrscher sich verändert hatte und daß unsere Herrscherin von allen rechtschaffenen Menschen in ihrem weiten Reich verehrt und geliebt wurde. Wir erzählten ihr auch, daß die wahre Macht in unserem Lande in den Händen des Volkes lag und daß wir eigentlich durch die Stimmen der niedrigsten und ungebildetsten Volksklassen regiert wurden.

»Ei«, sagte sie, »eine Demokratie? Dann gibt es doch sicherlich einen Tyrannen, denn es war schon immer so, daß in Demokratien, da sie keinen klaren Willen haben, am Ende ein Tyrann aufsteht und vom Volk angebetet wird.«

»Ja«, sagte ich, »wir haben unsere Tyrannen.«

»Nun ja«, erwiderte sie resigniert, »diese Tyrannen können wir sicher vernichten, und dann wird Kal-likrates das Land regieren.«

Ich erklärte ihr sogleich, daß >Vernichten< in England kein Vergnügen sei, dem man ungestraft frönen konnte, und daß jeder derartige Versuch gegen das Gesetz verstieß und meistens auf dem Schafott endete.

»Das Gesetz«, lachte sie verächtlich, »... das Gesetz! Begreifst du nicht, o Holly, daß ich über dem Gesetz stehe und daß auch Kallikrates darüber stehen wird? Alle menschlichen Gesetze sind uns nicht mehr als der Nordwind einem Berg. Beugt der Wind den Berg oder der Berg den Wind?

Und nun verlaßt mich bitte, auch du, mein Kal-likrates, denn ich möchte mich zu unserer Reise rüsten, und ihr und euer Diener solltet es mir gleichtun. Nehmt aber nicht allzuviel mit, denn ich glaube nicht, daß wir länger als drei Tage fort sein werden. Dann kehren wir hierher zurück, und ich entwerfe einen Plan, nach dem wir für immer diesen Grüften von Kor Lebewohl sagen werden. Ja, gewiß darfst du meine Hand küssen, Geliebter!«

So zogen wir uns denn zurück - ich tief in Gedanken über das schreckliche Problem versunken, das unser harrte. Die furchtbare >Sie< war offenbar entschlossen, nach England zu reisen, und die Vorstellung, welche Folgen ihre dortige Ankunft haben würde, ließ mich erschaudern. Ich kannte ihre Macht, und es gab für mich keinen Zweifel, daß sie diese voll ausüben würde. Vielleicht würde man sie eine Weile zügeln müssen, doch ihr Stolz und Ehrgeiz würden bestimmt alle Fesseln sprengen und sich für die langen Jahrhunderte der Einsamkeit rächen. Sollte die Macht ihrer Schönheit für ihre Zwecke nicht ausreichen, so würde sie, um ihr Ziel zu erreichen, alle, die sich ihr in den Weg stellten, vernichten, und da sie nicht sterben und, soviel ich wußte, auch nicht getötet werden konnte, war sie nicht daran zu hindern.[19] Am Ende würde sie zweifellos die absolute Herrschaft über England und seine Besitzungen sowie wahrscheinlich über die ganze Erde an sich reißen und unser Land zum größten und reichsten Imperium der Welt machen, doch würde dies schreckliche Opfer an Menschenleben kosten.

Das Ganze erschien mir wie ein Traum, wie die monströse Ausgeburt eines spekulativen Gehirns, und war doch eine Tatsache - eine unfaßbare Tatsache, welche die Welt zur Kenntnis zu nehmen bald gezwungen sein würde. Was war der Sinn alles dessen? Nach vielem Nachdenken kam ich zu dem Schluß, daß dieses seltsame Wesen, das so viele Jahrhunderte lang, von seiner Leidenschaft gewissermaßen gefesselt, verhältnismäßig harmlos gewesen war, nun von der Vorsehung dazu ausersehen war, die Ordnung der Welt umzustoßen und möglicherweise durch Errichtung einer Macht, gegen die es ebensowenig wie gegen die Fügungen des Schicksals eine Auflehnung gab, die Verhältnisse zu verbessern.

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