Als die ausgeflippte Blubberwasserparty vorbei war, ließ Sophiechen sich wieder auf dem kolossalen Tisch nieder. «Geht's dir jetzt besser?» fragte der GuRie. «Ja, danke: viel besser», sagte Sophiechen. «Immer wenn ich mich ein bißchen schrottig fühle», sagte der GuRie, «laß ich mir ein paar Schluck Blubberwasser reingluckern, und schon bin ich wieder quietschmopsfidel.»
«Ich finde auch: das muß man einfach erlebt haben», sagte Sophiechen.
«Das ist so was Ratzfetziges!» sagte der GuRie. «So was Klassegeiles!» Damit drehte er sich um und klabasterte durch die Höhle, um sein Traumfangnetz zu holen. «Ich galoppier jetzt mal los», sagte er, «und fang mir ein paar neue Schickerschocker Träume für meine Traumothek. Das tu ich jeden Tag. Hast du Lust zum Mitkommen?» «Oh, nein danke: ich doch nicht», sagte Sophiechen. «Draußen lauern doch die anderen Riesen auf mich!» «Ich verkuschel dich ganz, ganz gemütlich in meiner Westentasche», sagte der GuRie. «Dann sieht dich keiner.»
Sophiechen konnte sich gar nicht dagegen wehren, so schnell hatte der Gute Riese sie von der Tischplatte geholt und in seine Westentasche geschoben. Da gab es schön viel Platz. «Hast du Lust auf ein kleines Linse-Loch zum Hinauslinsen?» fragte er sie.
«Ich habe schon eins gefunden», sagte sie. Tatsächlich hatte sie in der Tasche ein winziges Loch entdeckt, durch das sie mit einem Auge sehr gut hinauslinsen konnte. Sie sah, wie der GuRie sich bückte und seinen Koffer mit leeren Gläsern vollpackte. Dann klappte er den Deckel zu, ergriff mit der einen Hand den Koffer, mit der anderen Hand die Stange mit dem Fangnetz und ging zum Höhlenausgang.
Sobald er unter freiem Himmel war, trabte er über das weite, heiße, gelbe Wüstenland mit seinen blauen Felsen und abgestorbenen Bäumen, wo die anderen Riesen herumlungerten.
Sophiechen hockte in der Tasche der Lederweste und preßte ihr eines Auge gegen das kleine Loch. So konnte sie die Horde der kolossalen Riesen in einer Entfernung von ungefähr dreihundert Metern erkennen. «Jetzt halt die Luft an!» flüsterte ihr der GuRie zu. «Drück uns die Flaumen! Jetzt wird's aber hoppla! Denn jetzt gehen wir haarscharf an diesen Riesen vorbei. Siehst du den einen rasend Großen da, der am nächsten ist zu uns?» «Ja, den seh ich», flüsterte Sophiechen zurück, wobei sie zitterte.
«Das ist der Schlimmste von allen. Und der Größte. Er heißt Fleischfetzenfresser.»
«Von dem will ich kein Sterbenswörtlein hören!» sagte Sophiechen.
«Er ist sechzehn Meter dreiundzwanzig groß», murmelte der GuRie, während er weiterzockelte. «Und der putzt menschliche Leberwesen weg, wie andre Leute Würfelzucker essen: immer gleich zwei oder drei auf einmal.»
«Du machst mich nervös», sagte Sophiechen. «Nervös bin ich auch», wisperte der GuRie. «Ich kriege immer das große Hopsen wie eine Heuschrecke, wenn der Fleischfetzenfresser in der Gegend ist.» «Laß ihn bloß nicht zu nahe kommen!» flehte Sophiechen.
«Geht nicht», sagte der GuRie. «Der galoppiert nämlich lässig doppelt so schnell wie ich.» «Und wenn wir umkehren?» bat Sophiechen. «Umkehren ist noch schlimmer», sagte der GuRie. «Wenn die mich wegrennen sehen, dann machen sie erst recht Hetzjagd auf mich und schmeißen mit Felsbrocken.» «Aber fressen würden sie dich nicht, oder?» wollte Sophiechen wissen.
«Riesen essen keine Riesen», sagte der GuRie. «Sie streiten und zanken und hauen sich auch. Aber essen? Nie! Menschliche Leberwesen haben viel besseren Geschmack für sie.»
Die Riesen hatten den GuRie längst gesichtet. Alle hatten den Kopf nach ihm herumgedreht und beobachteten ihn, wie er da entlangschlenderte. Er legte es darauf an, in weitem Abstand rechts an der Horde vorbeizukommen. Durch ihr winziges Guckloch konnte Sophiechen erkennen, daß der Fleischfetzenfresser sich seitwärts trollte, um dem GuRie den Weg abzuschneiden. Er ließ sich schön Zeit. Ganz gemütlich trabte er ausgerechnet auf eine Stelle zu, an der auch der GuRie vorbeikommen mußte. Und die anderen Riesen trabten hinterdrein. Es waren insgesamt neun, wie Sophiechen zählen konnte. Blutschlucker war auch dabei. Sie langweilten sich. Sie wußten nicht, was sie tun sollten bis zum Dunkelwerden. Etwas Bedrohliches ging von ihnen aus, als sie da so schleppend über das platte Land trabten mit großen, schlaksigen Schritten -genau auf den GuRie zu.
«Da kommt ja unser Schweineknirps!» grölte der Fleischfetzenfresser. «Hey, du da! Schweineferkel, du! Wohin verdrückst du dich? Warum so eilig?» Er streckte seinen gigantischen Arm aus und packte den GuRie bei den Haaren. Der GuRie wehrte sich nicht. Er hielt einfach an, blieb stehen und sagte: «Sei so lieb und laß meine Haare los, Fleischfetzenfresser.»
Da ließ der Fleischfetzenfresser ihn los und trat einen Schritt zurück. Die anderen Riesen standen rundherum und warteten, wann der Spaß endlich losgehen würde. «Also, du kleine Gurkengurgel, du!» brüllte der Fleischfetzenfresser. «Wir wollen wissen, wo du jeden Morgen hingaloppierst. Keiner darf losgaloppieren, bevor es dunkel wird. Die menschlichen Leberwesen können dich leicht entdecken und fangen eine Riesenjagd an, und das haben wir gar nicht gern, oder?»
«Nein, gar nicht!» brüllten die anderen Riesen. «Zurück in deine Höhle, Schweineferkel!»
«Aber ich galoppier doch gar nicht zu den menschlichen Leberwesen», sagte der GuRie. «Ich geh ja ganz woandershin!»
«Ich glaub», sagte der Fleischfetzenfresser, «du fängst dir schnuckelige kleine menschliche Leberwesen und nimmst sie als Haustiere mit in deine Höhle.»
«Richtig!» schrie da der Blutschlucker. «Vorhin hab ich selber gehört, wie er mit einem von ihnen in seiner Höhle gebrabbelt hat!»
«Ihr seid alle herzlich eingeladen und dürft meine ganze Höhle durchwühlen», sprach der GuRie. «Guckt doch selber nach in allen Winkeln und Enkeln! Da sind keine menschlichen Leberwesen und keine unmenschlichen Leberwesen, sondern überhaupt keine Leberwesen!» Sophiechen kauerte mucksmäuschenstill beim GuRie in der Westentasche. Sie wagte kaum zu atmen. Wenn sie jetzt nur nicht niesen mußte! Das leiseste Geräusch oder die geringste Bewegung würde sie verraten. Durch das kleine Guckloch sah sie, wie die Riesen sich um den armen GuRie zusammenrotteten. Wie abscheulich die aussahen! Alle hatten kleine Schweinsäuglein und maßlose Mäuler und wulstige Wurstlippen. Wenn der Fleischfetzenfresser sprach, konnte sie manchmal seine Zunge sehen. Die war kohlrabenschwarz - wie ein riesiges verkohltes Schnitzel. Und alle diese Riesen waren mindestens doppelt so groß wie der GuRie.
Ruckzuck ließ der Fleischfetzenfresser seine gewaltigen Pranken durch die Luft sausen und packte damit den GuRie in der Mitte. Er schleuderte ihn hoch empor und schrie: «Fang ihn, Menschenpresser!» Und der Menschenpresser fing ihn höchst unsanft auf. Die übrigen Riesen stellten sich sofort in einem großen Kreis auf, immer im Abstand von rund zwanzig Metern. So konnten sie ihr Spielchen spielen, das ihnen soviel Freude machte. Und dann schmiß der Menschenpresser den GuRie in hohem Bogen durch die Luft und brüllte: «Los, Knochenknacker, fang ihn!»
Der Knochenknacker rannte los und schnappte sich den GuRie im Fluge, schleuderte ihn sofort wieder hoch und röhrte dazu: «Fang ihn dir, Kinderkauer!» Und so ging es die ganze Zeit. Die Riesen spielten Ball mit dem GuRie, und sie wetteiferten miteinander, wer ihn wohl am höchsten werfen konnte. Sophiechen krallte sich krampfhaft am Taschenfutter fest, um nicht herauszufallen, wenn sie koppheister durch die Luft flog. Sie hatte das Gefühl, als ob sie in einer Tonne den Rheinfall bei Schaffhausen hinunterpolterte. Und natürlich war jeden Moment zu befürchten, daß mal ein Riese nicht richtig fängt und der GuRie dann ganz übel auf den Boden kracht. «Fang ihn, Hackepeter!» «Fang ihn, Klumpenwürger!» «Fang ihn, Mädchenmampfer!» «Fang ihn, Blutschlucker!» «Fang ihn! ... Fang ihn! ... Fang ihn auf! ...» Und dann hatten sie plötzlich keine Lust mehr zu diesem Ballspiel. Den armen GuRie ließen sie einfach auf die Erde plumpsen. Da lag er nun: ganz benommen und zerzaust. Die Riesen stupsten ihn ein paarmal an und riefen: «Los, steh auf und hau ab, du kleiner Schweineknilch! Laß mal sehen, wie schnell du galoppieren kannst!» Und da rannte der GuRie, so schnell er konnte. Was hätte er denn sonst auch tun sollen? Die Riesen hoben Felsbrocken auf und warfen sie hinter ihm her. Zum Glück konnte er ihnen immer gerade noch ausweichen. «Sauber, sauber, kleiner Saukerl!» johlten sie. «Tricky, tricky, kleiner Trottel! Knallig, krallig, kleine Krabbe! Bedripster Dreckzwerg! Beknack-ter Knallkopp! Behämmerter Hampelmann!» Schließlich kam der GuRie außer Reichweite, und ein paar Minuten später war die Riesen-Meute auch schon hinter dem Horizont verschwunden. Sophiechen streckte ihren Kopf oben aus der Tasche heraus und sagte: «Das hat mir aber gar nicht gefallen.»
«Puh!» keuchte der GuRie. «Das war knapp! Die haben vielleicht eine Laune heute! Ganz böse! Tut mir leid, daß du in so einem Wirbel mitgezwirbelt bist.» «Du hast ja dasselbe durchgemacht», sagte Sophiechen. «Würden die dich denn auch mal richtig fallen lassen, so daß du verletzt wirst?» «Kann man nie wissen», sagte der GuRie. «Wie fangen sie denn eigentlich die Menschen, die sie aufessen?» fragte Sophiechen.
«Meistens langen sie mit einem Arm durch das Schlafzimmerfenster und schnappen sich einen aus dem Bett», sagte der GuRie.
«Genau wie du es mit mir gemacht hast.» «Na ja, aber ich eß dich doch nicht», sagte der GuRie. «Und wie fangen sie sich sonst noch welche?» fragte Sophiechen.
«Manchmal», sagte der GuRie, «schwimmeln sie im Meer wie Fische, nur die Köpfe gucken raus. Und plötzlich taucht eine haarige Pranke auf und grapscht sich einen vom Strand weg.» «Auch Kinder?»
«Kinder sehr oft», sagte der GuRie. «Sogar kleine Kinder, die im Sand spielen und eine Burg bauen. Die Riesen, die im Meer schwimmeln, sind ganz wild darauf. Kleine Kinder, sagt der Kinderkauer, sind nicht so zäh wie alte Omas.»
Während die beiden so miteinander sprachen, galoppierte der GuRie mit hoher Geschwindigkeit dahin. Sophiechen stand jetzt aufrecht in seiner Westentasche und hielt sich mit beiden Händen an der Oberkante fest. Kopf und Schultern schauten heraus, und in ihren Haaren pfiff der Wind.
«Und wie fangen sie sonst noch welche?» fragte sie. «Jeder hat seine Spezialmethode, wie er sich Leberwesen angelt», sagte der GuRie. «Der Hackepeter zum Beispiel tut am liebsten so, als ob er ein großer Baum wäre, der in einem Park wächst. Wenn es dunkel wird, stellt er sich auf eine Wiese und hält sich viele Äste und Zweige über den Kopf. So wartet er ab, bis ein paar fröhliche Familien anspaziert kommen und unter seiner schönen Baumkrone ein Picknick veranstalten. Der Hackepeter beobachtet genau, wie die da unten all die guten Sachen zum Essen und zum Trinken ausbreiten. Und dann stürzt er sich auf die Leberwesen, und weg sind sie.» «Das ist ja furchtbar!» rief Sophiechen. «Der Klumpenwürger geht gern in die Stadt», erzählte der GuRie weiter. «Hoch oben zwischen den Häuserdächern legt er sich auf die Lauer und glotzt in aller Ruhe nach unten auf die Straße, wo die menschlichen Leberwesen herumlaufen. Und wenn er welche sieht, die appeltitlich aussehen, dann schnappt er sich die. Er streckt einfach den Arm aus und holt sich so ein Leberwesen von der Straße wie Affen eine Kokosnuß aus dem Sand. Er sagt, es macht Spaß, wenn man sich aussuchen kann, was man am liebsten mag. Er nennt das: Allah karrte Essen.» «Sieht ihn denn keiner, wenn er das tut?» fragte Sophiechen.
«Nein, keiner. Du mußt ja denken, daß es dann schon schummrig ist. Außerdem hat der Klumpenwürger einen schnellen Arm. Der zuckt so schnell hin und her wie ein geölter Blitz.»
«Aber wenn jeden Abend so viele Menschen verschwinden, dann fällt das doch auf!» sagte Sophiechen. «Die Welt ist ganz schön groß», sagte der GuRie. «Da gibt es über hundert verschiedene Länder. Und die Riesen sind schlau. Sie passen auf, daß sie nicht zu oft in dasselbe Land gehen. Mal sind sie hier und mal sind sie da.» «Aber trotzdem ...» sagte Sophiechen. «Und nicht vergessen», sagte der GuRie, «die menschlichen Leberwesen verschwinden überall und immerzu, auch wenn die Riesen sie nicht fressen. Die menschlichen Leberwesen machen sich gegenseitig viel öfter tot als die Riesen.»
«Aber dafür essen sie sich nicht gegenseitig auf.» «Riesen tun sich gegenseitig auch nicht auffressen», sagte der GuRie. «Und morden tun die Riesen sich auch nicht. Die Riesen sind wirklich nicht sehr lieb, aber morden tun sie sich nicht. Die Krokodilleriche töten auch keine Kro-kodilleriche. Und die Muschikatzen töten keine Muschikatzen.»
«Aber Mäuse ermorden sie», sagte Sophiechen. «Schon, schon. Aber sie ermorden nicht jemand von ihren eigenen Leuten», sagte der GuRie. «Die menschlichen Leberwesen sind die einzigen Leberwesen, die ihre eigenen Leute morden.»
«Und die Giftschlangen? Töten die sich etwa nicht gegenseitig?» fragte Sophiechen. Sie suchte verzweifelt nach irgendeinem Lebewesen, das sich genauso schlecht benimmt wie der Mensch.
«Auch die giftigsten Schlangen töten keine anderen giftigen Schlangen», sagte der GuRie. «Auch die allerschrecklichsten Tiere tun das nicht - nicht einmal die Löwenzähne und auch nicht die Brennesseln von Loch Ness! Von den eigenen Leuten wird keiner ermordet, das tut kein Tier. Hast du dir das mal überlegt?» Sophiechen sagte nichts.
«Ich versteh nicht die menschlichen Leberwesen», sagte der GuRie. «Du bist doch auch so ein menschliches Leberwesen, und du sagst doch immer, es ist gräßlichhaft und fürchterbar, daß die Riesen menschliche Leberwesen essen. Stimmt's oder hab ich recht?» «Genau», sagte Sophiechen.
«Aber die menschlichen Leberwesen bringen doch andauernd andere menschliche Leberwesen um!» sagte der Gu-Rie. «Sie ballern mit Kanonen und fliegen mit Fliegzeugen und werfen sich gegenseitig Bomben auf den Kopf. Immerzu ermorden die menschlichen Leberwesen andere menschliche Leberwesen.»
Das stimmte. Da hatte er wirklich recht, das wußte Sophiechen. Sie begann sich zu fragen, ob die Menschen eigentlich wirklich besser waren als die Riesen. «Und selbst wenn», sagte sie zur Verteidigung ihrer eigenen Gattung, «ich finde es gemein, wenn diese fiesen Riesen jeden Abend losziehen und Menschen essen gehen. Wir haben denen doch nichts getan!»
«Das sagt auch Ferkelwutz, das Schweinchen», erwiderte der GuRie. «Jedes Schweinchen, das geschlachtet wird, sagt: Den menschlichen Leberwesen hab ich doch nichts getan, warum essen sie dann mich?» «Ach ja», seufzte Sophiechen.
«Die menschlichen Leberwesen tun alles nur für sich selbst», fuhr der GuRie fort. «Aber was gut ist für die menschlichen Leberwesen, ist noch lange nicht gut für die kleinen Ferkelwutze. Stimmt's oder hab ich recht?» «Genau», antwortete Sophiechen.
«Und die Riesen tun auch nur alles für sich selbst. Und das ist nicht gut für die menschlichen Leberwesen. Jeder tut alles nur für sich selbst.» «Aber du bist doch auch dagegen, daß diese tierisch brutalen Riesen jeden Abend Menschen fressen, oder?» fragte Sophiechen.
«Bin dagegen», antwortete der GuRie mit Festigkeit. «Das stimmt, und ich hab recht. Fühlst du dich auch schön gemütlich da unten in meiner Tasche?» «Sehr gemütlich», sagte Sophiechen. Da drehte der GuRie wieder auf und ging in seine Höchstgeschwindigkeit über. Mit ungeheuren Sprüngen schoß er dahin. Sein Tempo war irrsinnig schnell. Die Landschaft zischte nur so vorüber, und Sophiechen mußte bald in Deckung gehen, weil ihr sonst bei dem heulenden Sturm der Kopf von den Schultern geweht worden wäre. Sie kauerte unten in der Tasche und horchte auf das Brausen des Fahrtwindes. Der pfiff durch das winzige Guckloch in die Tasche hinein und zerrte an ihr wie ein Orkan. Aber diesmal blieb der GuRie nicht lange auf Höchstgeschwindigkeit. Es war, als ob er ein Hindernis zu überwinden hätte - ein hohes Gebirge vielleicht oder einen Ozean oder eine gewaltige Wüste. Sobald er das Hindernis hinter sich hatte, wurde er langsamer und ging in seinen normalen Galopp über. Nun konnte Sophiechen wieder ihren Kopf herausstrecken und sich alles anschauen, was es da draußen zu sehen gab.
Sofort fiel ihr auf, daß sie jetzt in einem Land der blassen Farben angekommen waren. Hinter Nebelschleiern war die Sonne im Dunst verschwunden. Die Luft wurde kühler und kühler. Flach war das Land, es gab keine Bäume, und alles schien seine Farbe verloren zu haben.
Von Minute zu Minute wurde der Nebel dichter. Die Luft kühlte noch mehr ab und wurde nun richtig kalt, und alles sah immer noch fahler und bleicher aus, bis sie schließlich eingehüllt waren in weißliches Grau. Sie waren in ein Land gekommen, wo die Nebelschwaden wirbelten und die Dunstwolken geisterhaft wogten. Am Boden keimte ein Rasen, doch das Gras war nicht grün, sondern grau wie Asche. Nichts deutete auf ein lebendiges Wesen hin. Ringsherum herrschte tonlose Stille - bis auf das gedämpfte Wummern der Füße, während der GuRie durch das Dunstgewölk lief.
Plötzlich hielt er an. «Wir sind da - endlich!» verkündete er. Er bückte sich und holte Sophiechen aus seiner Westentasche und stellte sie auf den Boden. Da stand sie nun in ihrem Nachthemdchen mit nackten Füßen. Sie zitterte und schaute um sich in die wirbelnden Nebelschwaden und gespensterhaft wogenden Dünste. «Wo sind wir denn hier?» fragte sie. «Im Traumland sind wir», sagte der GuRie. «Wir sind da, wo die Träume herkommen.»