Es gab ein fieberhaftes Gerenne und Getrappel bei der Dienerschaft des Palastes, als der Befehl der Königin bekannt wurde, ein acht Meter langer Riese solle mit Ihrer Majestät im Großen Ballsaal zum Frühstück Platz nehmen, und zwar in einer halben Stunde.
Der Oberhofmeister, eine imponierende Persönlichkeit mit Namen Mister Tibbs, hatte den Oberbefehl über alle Diener bei Hofe, und er tat sein Äußerstes, um in dieser kurzen Spanne Zeit den allerhöchsten Wunsch zu erfüllen. Man steigt nicht auf zum Oberhofmeister der Königin, es sei denn, man verfüge über ein ganz außergewöhnliches Maß an Einfallsreichtum, Vielseitigkeit, Geschmeidigkeit, Geschicklichkeit, Gewitztheit, Kultiviertheit, Weisheit, Diskretheit und einen Haufen anderer -heiten und -keiten, die weder du noch ich besitzen. Mister Tibbs aber besaß sie alle. Er befand sich gerade in der Kantine und schlürfte sein erstes Glas Bier, als der Befehl der Königin bei ihm eintraf. Im Bruchteil einer Sekunde hatte er im Kopf folgende Berechnungen angestellt: Wenn ein normaler Mann von einsachtzig eine Tischhöhe von knapp einem Meter braucht, dann braucht ein Acht-Meter-Riese einen Tisch von über vier Meter Höhe.
Und wenn ein Mann von einsachtzig einen Stuhl mit sechzig Zentimeter Sitzhöhe benötigt, dann benötigt ein AchtMeter-Riese einen Stuhl mit zweieinhalb Meter Sitzhöhe.
Alles, sagte sich Mister Tibbs, muß man mal vier nehmen.
Aus zwei Frühstückseiern werden acht. Aus vier Scheiben Speck werden sechzehn. Aus drei Scheiben Toastbrot werden zwölf. Und so weiter. Diese oberhofmeisterlichen Berechnungen über den Bedarf an Speisen wurden unverzüglich an Monsieur Papillion durchgegeben, das war der königliche Küchenchef.
Mister Tibbs schwebte in den Großen Ballsaal (Oberhofmeister laufen nicht, sie schweben), gefolgt von einem Heer von Lakaien. Die Lakaien trugen allesamt Kniehosen und darunter glatte Strümpfe über strammen Waden und feinen Knöcheln. Denn wer keine wohlgeformten Fußknöchel hat, kann niemals ein königlicher Lakai werden. Darauf achtet man zuallererst, wenn einer sich um den Posten bewirbt.
«Schiebt den großen Flügel in die Mitte des Saales», hauchte Mister Tibbs. Oberhofmeister reden nicht, sie hauchen.
Vier Lakaien setzten den Flügel in Bewegung. «Und jetzt holt ihr eine große Kommode und setzt sie oben auf dem Flügel ab», hauchte Mister Tibbs. Drei andere Lakaien schleppten eine kostbare alte Mahagoni-Kommode herbei und stellten sie oben auf den Flügel.
«Das wird sein Stuhl», hauchte Mister Tibbs. «Die Sitzhöhe ist exakt zweieinhalb Meter. Als nächstes kommt der Tisch, an dem der Herr bequem frühstücken kann. Holt mir mal vier sehr hohe Standuhren her. Hier im Palast gibt es ja reichlich davon. Jede Standuhr muß vier Meter hoch sein.»
Sechzehn Lakaien durcheilten in Grüppchen den Palast auf der Suche nach den passenden Standuhren. Zu tragen waren die wirklich nicht leicht, für jede brauchte man vier Mann.
«Stellt die vier Standuhren im Rechteck vor dem Flügel auf», hauchte Mister Tibbs. Die Lakaien taten wie befohlen.
«Und nun bringt ihr mir den Tischtennistisch des Prinzen», hauchte Mister Tibbs. Da wurde der Tischtennistisch hereingetragen. «Montiert die Beine ab und bringt sie weg», hauchte Mister Tibbs. Gesagt, getan. «Und nun legt ihr die Tischtennisplatte obendrauf auf die Standuhren», hauchte Mister Tibbs. Dazu mußten die Lakaien auf Trittleitern klettern.
Mister Tibbs trat ein paar Schritte zurück und musterte die neu entstandenen Möbelstücke. «Na ja, Stil hat das alles weniger», hauchte er. «Aber für heute muß es reichen.» Er ordnete an, daß ein weißes Tischtuch aus edlem Damast über den Pingpongtisch gebreitet wurde, und so wirkte das Ganze schließlich durchaus elegant.
Als die Vorbereitungen soweit gediehen waren, ließ Mister Tibbs ein Zögern erkennen. Die Lakaien starrten ihn an, als hätten sie den Verstand verloren. Hofmeister - und noch dazu Oberhofmeister - zögern einfach nie, auch nicht, wenn sie sich vor absolut unlösbare Schwierigkeiten gestellt sehen. Es gehört nun einmal zu ihren vornehmsten Pflichten, in jeder Lage zu jeder Zeit vollkommen entschlossen zu handeln.
«Messer ... Löffel ... Gabeln ...» hörte man Mister Tibbs brummeln. «Unser Besteck würde sich ja in seiner Hand wie Streichhölzer ausnehmen.»
Aber der Zustand des Zauderns dauerte bei Mister Tibbs nur ein Augenblickchen. «Bestellt dem Obergärtner», hauchte er, «ich brauche sofort eine Mistgabel und einen Spaten, nagelneu und ungebraucht. Und als Messer nehmen wir das große Schwert von der Wand im Morgen-Salon. Das Schwert aber erst einmal gründlich putzen! Zum letztenmal ist es benutzt worden bei der Enthauptung von König Karl dem Ersten, und davon könnte noch etwas Blut auf der Klinge zurückgeblieben sein.» Als das alles geschafft war, stellte sich Mister Tibbs in die Saalmitte und ließ seinen geschulten Oberhofmeisterblick über den Schauplatz schweifen. Hatte er etwas vergessen?
Aber natürlich hatte er! Woraus sollte der hochgewachsene Herr zum Beispiel trinken?
Er hauchte: «Holt mir mal den größten Krug, den es in der Küche gibt.»
Und schon wurde ein prachtvoller Wasserkrug aus Porzellan herbeigeschleppt, der fünf Liter faßte. Den stellte man auf den Riesentisch neben die Mistgabel, den Spaten und das große Henkerschwert. Das war's für den Riesen.
Als nächstes ließ Mister Tibbs die Lakaien einen kleinen zierlichen Tisch und zwei Stühle neben dem Riesentisch aufbauen. Die waren für die Königin und Sophiechen. Daß der Riesentisch und der Riesenstuhl den kleineren Tisch meterhoch überragten, war einfach nicht zu ändern.
Kaum waren alle diese Vorbereitungen erledigt, als auch schon die Königin den Großen Ballsaal betrat. Sie war jetzt sehr schön angezogen mit einem hübschen Rock und einer Strickjacke aus feiner Kaschmirwolle. An der Hand der Königin trat auch Sophiechen herein. Für sie hatte man ein niedliches blaues Kleidchen ausgesucht, das früher einmal eine der Prinzessinnen getragen hatte. Und um sie noch reizender aussehen zu lassen, hatte die Königin von ihrem Ankleidetisch eine wunderschöne Brosche mit einem Saphir genommen und sie der kleinen Sophia auf der linken Seite angesteckt. Der Gute Riese kam hinterdrein. Er hatte aber größte Mühe, sich durch die Tür zu quetschen. Auf den Knien krabbelte er durch die enge Öffnung, und damit er nicht steckenblieb, haben zwei Diener ihn von hinten geschoben und zwei von vorne gezogen. Und so schaffte er es dann doch. Seinen schwarzen Mantel hatte er ausgezogen und die Trompete beiseite gelegt. Er trug jetzt also nur seine gewöhnlichen, einfachen Sachen. Im Ballsaal konnte er nur gebückt gehen, sonst hätte er sich an der Decke gestoßen. Kein Wunder bei dieser Haltung, daß er den mächtigen Kronleuchter nicht sah, einen herrlichen Kristallüster. Klirrr knallte er mit dem Kopf direkt gegen den Kronleuchter. Ein Hagel von Glasscherben ging auf den armen GuRie nieder. «Potzblitz und Donnerwetter noch mal!» rief er. «Was war das denn?» «Das war einmal ein Rokoko-Leuchter», sagte die Königin eine Spur verstimmt.
«Er ist das erste Mal in einem Haus», sagte Sophiechen. Mister Tibbs' Miene verfinsterte sich. Vier Lakaien schickte er los, um den Scherbenhaufen zu beseitigen. Dem Riesen gab er durch eine ungeduldige kleine Handbewegung zu verstehen, er möge doch endlich Platz nehmen auf der Kommode oben auf dem Flügel. «Was ist denn das für ein wiggelwaggel klipperklapper Stuhl!» rief der GuRie. «Ich sitz ja wie ein Floh im Büro auf dem Klo hier oben.»
«Drückt er sich immer so aus?» fragte die Königin. «Ja, meistens», sagte Sophiechen. «Er verheddert sich in seinen Worten.»
Der GuRie ließ sich auf der Flügelkommode nieder und schaute sich voll Staunen im Großen Ballsaal um. «Ach, du liebe Tüte», rief er. «Jetzt sind wir aber in einer verdampft großen Höhle gelandet! Die ist so riesengroß, daß ich ja einen Felsstecher oder ein Tellerskop brauche, wenn ich sehen will, was am andern Ende los ist!» Da kamen die Lakaien herein und trugen silberne Platten mit Spiegeleiern, Speck, Bratwürsten und Pommes frites. In diesem Augenblick merkte Mister Tibbs plötzlich, wenn er den GuRie an seinem vier Meter hohen Standuhrtisch bedienen wollte, mußte er wohl oder übel auf eine lange Trittleiter hinaufklettern bis oben hin. Und dabei mußte er auch noch eine mächtige heiße Platte in der einen Hand balancieren und in der anderen eine ausladende Kaffeekanne aus Silber tragen. Jeder normale Mensch hätte schon bei dem Gedanken daran weiche Knie bekommen. Aber was ein echter Oberhofmeister ist, der hat keine weichen Knie. Er kletterte höher und höher und immer noch höher, und die Königin und Sophiechen sahen ihm dabei sehr gespannt zu. Möglicherweise wünschten sich beide insgeheim, er würde doch einmal das Gleichgewicht verlieren und aufs Parkett knallen. Aber was ein echter Oberhofmeister ist, der knallt nie.
Oben auf der Leiter angekommen, balancierte Mister Tibbs wie ein Seiltänzer, während er dem GuRie Kaffee einschenkte und die riesige Platte servierte. Auf der Platte lagen acht Spiegeleier, zwölf Würstchen, sechzehn Scheiben Speck und ein Berg Pommes frites. «Wozu ist das denn, Eure Majonese?» fragte der GuRie und schielte auf die Königin herab.
«Er hat in seinem ganzen Leben nie etwas anderes gegessen als Kotzgurken», erklärte Sophiechen. «Die schmecken zum Davonlaufen.» «Sein Wachstum scheinen sie aber nicht behindert zu haben», sagte die Königin.
Der GuRie ergriff den Spaten, schob damit die ganzen Eier, Würstchen, Speckscheiben und Kartoffeln auf einen Haufen und schaufelte sich alles in seinen ungeheuren Mund.
«Ich werd verdrückt!» rief er aus. «Das ist ja obertoll, da schmecken ja Kotzgurken dagegen wie Scheisterkleister!» Die Königin warf einen tadelnden Blick nach oben. Mister Tibbs warf einen verzweifelten Blick nach unten auf seine Schuhspitzen, und seine Lippen bewegten sich, weil er unhörbar ein Stoßgebet hauchte.
«Das war aber nur ein winziges Happs-chen», sagte der GuRie. «Hast du noch mehr von diesem schleckerlecker-lichen Fraß in deinem Schrank, Majonese?» «Tibbs», sagte da die Königin und bewies wahrhaft königliche Gastlichkeit, «bringen Sie dem Herrn noch ein Dutzend Spiegeleier und ein Dutzend Würstchen.» Mister Tibbs ruderte aus dem Saal, wobei er Unaussprechliches zu sich selber sprach und seine Stirn mit einem blütenweißen Taschentuch betupfte. Der GuRie hob den bauchigen Krug und nahm einen Schluck. «Baaah!» schrie er und spuckte, was er im Mund hatte, einfach so in den Ballsaal. «Majonese, was ist denn das für ein scheußliches Gluckergully, was ich da trink?» «Das ist Kaffee», erklärte die Königin. «Frisch gerösteter Kaffee.»
«Fisch getrösteter Affe?» rief der GuRie. «Wo ist Blubberwasser?»
«Wo ist was?» fragte die Königin.
«Leckerliches zischiges Blubberwasser», antwortete der GuRie. «Jeder muß Blubberwasser trinken zum Morgenfrühstück, Majonese. Dann können wir hinterher alle zusammen lustige Furzelbäume hochgehen lassen.» «Wovon ist hier die Rede?» fragte die Königin in tadelndem Ton zu Sophiechen. «Was meint er mit Fuchzelbäumen?» Sophiechen verzog keine Miene. «GuRie», sagte sie, «hier gibt es kein Blubberwasser, und Furzelbäume sind hier streng verboten!»
«Was!» schrie der GuRie. «Kein Blubberwasser? Keine Furzelbäume? Keine Leckermusik? Kein Rums-Bums-Rums?»
«Nein, nichts dergleichen», sagte Sophiechen streng. «Wenn er den Wunsch hat zu singen, dann laß ihn doch bitte», sagte die Königin.
«Singen möchte er aber nicht», sagte Sophiechen. «Er hat doch gesagt, er möchte Musik machen», beharrte die Königin. «Soll ich eine Geige kommen lassen?» «Nein, Euer Majestät», sagte Sophiechen. «Er hat nur einen Witz gemacht.»
Über das Gesicht des GuRie huschte ein verschmitztes kleines Lächeln. «Hör mal», sagte er mit einem Blick zu Sophiechen hinunter, «wenn die hier im Ballast kein Blubberwasser haben, schlag ich meine Furzelbäume eben mal ohne, ich muß nur ordentlich Druck machen.» «Nein!» schrie Sophiechen. «Bloß nicht! Das darfst du nicht! Verstanden?»
«Musik ist aber doch sehr gut für die Verdauung», sagte die Königin. «Wenn ich mich da oben in Schottland aufhalte, spielt man draußen vor dem Fenster Dudelsack, während ich zu Tisch sitze. Spiel ruhig etwas!» «Eure Majonese hat gesagt, ich darf!» rief der GuRie und ließ schon im nächsten Moment einen Furzelbaum fliegen, der im Ballsaal wie eine Bombe explodierte. Die Königin fuhr zusammen.
«Rrummbumm!» triumphierte der GuRie. «Das ist besser als Dutteln im Sack spielen wie in Schrottland, oder nicht so gut, Eure Majonese?»
Die Königin brauchte ein paar Sekunden, um über den Schrecken hinwegzukommen. «Dudelsack ist mir doch lieber», sagte sie. Aber dabei gelang es ihr nicht ganz, ein Lächeln zu unterdrücken.
In den folgenden zwanzig Minuten geriet eine ganze Mannschaft von Lakaien ins Schwitzen beim Hin- und Hergerenne zwischen Küche und Ballsaal und beim Auftischen und Abräumen der dritten Portion und der vierten Portion und der fünften Portion von Spiegeleiern und Bratwürsten für den bärenhungrigen, begeistert reinhauenden GuRie.
Als der GuRie sein zweiundsiebzigstes Spiegelei vertilgt hatte, wagte Mister Tibbs sich zu seiner Königin vor, vollführte eine tiefe Verbeugung aus der Hüfte und flüsterte ihr ins Ohr: «Der Koch bittet um Verzeihung, Euer Majestät, und läßt ausrichten, in der Küche sind die Eier ausgegangen.»
«Stimmt etwas mit den Hühnern nicht?» fragte die Königin.
«Mit den Hühnern ist alles in Ordnung, Euer Majestät», flüsterte Mister Tibbs.
«Dann sagen Sie ihnen doch, sie sollen schleunigst mehr Eier legen», sagte die Königin. Sie warf einen Blick nach oben zum GuRie hinauf. «Nimm doch bitte zwischendurch Toastbrote mit Marmelade», sagte sie zu ihm. «Toast ist auch ausgegangen», flüsterte Mister Tibbs. «Der Koch sagt, das Brot ist alle.»
«Dann sagen Sie ihm doch, er soll neues backen», sagte die Königin.
Während dies geschah, hatte Sophiechen alles, aber auch alles erzählt über ihren Aufenthalt im Lande der Riesen. Und die Königin hatte sich alles voller Entsetzen angehört. Als Sophiechen mit ihrer Geschichte fertig war, sah die Königin zum Guten Riesen empor, der hoch über ihr thronte. Er war gerade dabei, einen Kuchen aufzuessen.
«Guter Riese», sagte sie, «letzte Nacht sind jene Ungeheuer von Menschenfressern nach England eingefallen. Kannst du dich erinnern, wo sie in der Nacht davor gewesen sind?»
Der GuRie schob sich den ganzen großen Kuchen in den Mund und zerkaute ihn schön langsam, während er über diese Frage nachdachte. «Doch, Eure Majonese», sagte er. «Ich glaub, ich weiß, wo sie in der Nacht vor der vorigen hingehen wollten. Sie galopperten los nach Dänemark, weil die Dänemarker immer so markig schmek-ken.»
«Bringt mir ein Telefon», befahl die Königin. Mister Tibbs stellte den Telefonapparat auf den Tisch. Die Königin nahm den Hörer ab. «Verbinden Sie mich mit der Königin von Dänemark», sagte sie.
«Guten Morgen», sagte die Königin. «Ist alles in Ordnung bei Euch da drüben in Dänemark?»
«Hier ist alles in der schlimmsten Unordnung!» antwortete die dänische Königin. «In der Hauptstadt herrscht Panik! Vorletzte Nacht sind sechsundzwanzig meiner getreuen Untertanen verschwunden! Mein ganzes Land ist in Panik!»
«Eure sechsundzwanzig getreuen Untertanen sind allesamt von Riesen aufgegessen worden», sagte die englische Königin. «Wahrscheinlich mundet ihnen der Geschmack von Untertanen des Königreiches Dänemark.» «Warum munden ihnen meine getreuen Untertanen?» fragte die dänische Königin.
«Weil Eure getreuen Untertanen in Dänemark so markig schmecken. So knochenmarkig. Jedenfalls hat das der Gu-Rie gesagt», antwortete die englische Königin. «Welcher Guru? Ich weiß wirklich nicht, wovon Ihr redet», sagte die dänische Königin etwas pikiert. «Es ist kein bißchen komisch, wenn einem die getreuen Untertanen weggegessen werden wie Kartoffelchips.» «Meine haben sie doch auch gegessen», sagte die englische Königin.
«Wer
«Die Riesen», antwortete die englische Königin.
«Sagt mal», fragte die dänische Königin gedehnt, «geht es Euch heute nicht gut?»
«Doch, aber heute morgen ist hier allerhand Aufregendes passiert», erklärte die englische Königin. «Zuerst hatte ich einen scheußlichen Alptraum, dann ließ das Mädchen mein Frühstück fallen, und jetzt sitzt bei mir ein Riese auf dem Flügel.»
«Ihr braucht einen Arzt, und zwar sofort!» rief die dänische Königin.
«Bei mir ist alles durchaus in Ordnung», sagte die englische Königin. «Ich muß jetzt Schluß machen. Vielen Dank für Eure Hilfe.» Damit legte sie den Hörer auf. «Dein GuRie hat recht», sagte die Königin zu Sophiechen. «Diese neun menschenessenden Ungetüme sind tatsächlich in Dänemark zugange gewesen.» «Ist ja grauenvoll», sagte Sophiechen. «Bitte, bitte, Euer Majestät, tun Sie etwas dagegen!»
«Ich möchte gern noch eine Probe machen, bevor ich meine Truppen zu den Waffen rufe», sagte die Königin.
Und dann schaute sie wieder zum GuRie hinauf. Der vertilgte gerade schöne dicke Dampfnudeln, von denen er immer gleich zehn Stück auf einmal in den Mund schob. «Denk mal haarscharf nach, GuRie», sagte sie. «Was haben diese fürchterlichen Riesen gesagt, wohin sie gehen wollten, als sie vor drei Nächten losgezogen sind?» Der GuRie überlegte lange und gründlich. «Aha!» rief er schließlich aus. «Ja, jetzt fällt es mir wieder in den Kopf!»
«Und wohin war das?» fragte die Königin.
«Einer ist nach Backdatt gerattert», sagte der GuRie. «Als sie an meiner Höhle vorbeigeblitzt und gedonnert sind, hat Fleischfetzenfresser mir zugewunkt und geruft:
Sofort nahm die Königin den Telefonhörer ab. «Verbinden Sie mich mit dem Regierenden Bürgermeister von Bagdad», sagte sie. «Wenn man dort keinen Regierenden Bürgermeister hat, dann geben Sie mir irgendeinen anderen Regierenden.»
Es vergingen keine fünf Minuten, und schon war eine Stimme in der Telefonleitung. «Hier spricht der Sultan von Bagdad», sagte die Stimme.
«Passen Sie auf, Sultan», sagte die Königin. «Ist in Ihrer Stadt vor drei Nächten irgend etwas Unangenehmes passiert?»
«Bei uns in Bagdad passiert jede Nacht irgend etwas Unangenehmes», sprach der Sultan. «Wir schneiden hier den Leuten die Köpfe ab, wie Ihr Schnittlauch schneidet.»
«Schnittlauch habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht geschnitten», sagte die Königin. «Ich möchte wissen, ob in letzter Zeit jemand aus Bagdad verschwunden ist.» «Ja, schon. Aber nur mein Onkel Harun al Raschid, der Kalif», sagte der Sultan. «Er saß gerade mit seiner Familie beim Essen, als er verschwand: er selbst, seine Frau und alle zehn Kinder.»
«Und was gab es bei Familie Raschid zu essen?» fragte die Königin.
«Soviel ich weiß: gebackene Datteln», antwortete der Sultan.
«Genau, genau, genau!» rief der GuRie, der mit seinen wundervollen Segelohren ohne weiteres verstehen konnte, was der Sultan von Bagdad der Königin von England durchs Telefon sagte: «Das hat der Fleischfetzenfresser getan! Er ist nach Backdatt gerennt, weil er mag die Backdat-ter so gerne, die nach gebackenen Datteln schmecken und nach gedattelten Backen!»
Die Königin legte den Hörer auf. «Es gibt also keinen Zweifel», sagte sie und warf einen Blick hinauf zum Gu-Rie. «Deine Geschichte stimmt also bis aufs I-Tüpfelchen. Der Oberkommandierende der Landstreitkräfte und der Oberkommandierende der Luftstreitkräfte sollen sofort zur Audienz bei mir antreten!»