Der Oberkommandierende der Landstreitkräfte und der Oberkommandierende der Luftstreitkräfte bauten sich in zackiger Haltung neben dem Frühstückstisch der Königin auf. Sophiechen saß nach wie vor auf ihrem Stuhl, und der GuRie thronte nach wie vor da oben auf seinem komischen Hochsitz.
Die Königin brauchte keine fünf Minuten, um ihren beiden höchsten Generälen die Lage zu erklären. «Wußte ich doch, daß da irgend so etwas passiert ist, Euer Majestät», sagte der Oberkommandierende der Landstreitkräfte. «Seit zehn Jahren bekommen wir Nachrichten herein aus fast sämtlichen Ländern der Welt, daß irgendwo irgendwelche Leute irgendwie verschwinden bei Nacht. Merkwürdige Sache das! Vor kurzem hörten wir aus Spanien ...»
«Wo sie nach Spanferkel schmecken!» rief der GuRie. «Oder wir hörten aus Tunis ...» fuhr der Oberkommandierende der Landstreitkräfte fort.
«Wo sie nach Thunfisch schmecken!» redete der GuRie dazwischen.
«Wovon redet der denn immer?» bemerkte der Oberkommandierende der Luftstreitkräfte.
«Dreimal dürfen Sie raten», sagte die Königin. «Wieviel Uhr ist es? Zehn. Also werden in acht Stunden die neun blutrünstigen Ungetüme aufbrechen, um sich erneut ein paar Dutzend arme Menschen einzuverleiben. Dagegen muß etwas getan werden. Und zwar schnellstens!»
«Wir bombardieren diese Kerle!» verkündete schneidig der Oberkommandierende der Luftstreitkräfte. «Wir mähen sie nieder mit unseren Maschinengewehren!» erklärte forsch der Oberkommandierende der Landstreitkräfte.
«Mord kann ich nicht dulden», sagte die Königin. «Aber das sind doch selber Mörder!» rief der Oberkommandierende der Landstreitkräfte.
«Das ist noch lange kein Grund, ihrem Beispiel zu folgen», sagte die Königin. «Wir müssen sie lebend fangen.» «Aber wie denn?» fragten die zwei Generäle wie aus einem Mund. «Die sind immerhin sechzehn Meter hoch. Die legen uns doch um wie die Gartenzwerge!» «Halt!» rief da der GuRie. «Alle mal querhören! Paßt mal ganz genau auf und zu! Ich glaub, ich weiß, wie wir werden das Kind schon schaukeln!» «Laßt ihn ausreden», sagte die Königin. «Jeden Nachmittag», sagte der GuRie, «sind alle Riesen im Schlafaffenland.»
«Schlaf-affen-land? Ich versteh kein Wort!» meckerte der Oberkommandierende der Landstreitkräfte. «Warum drückt der sich nicht etwas verständlicher aus?» «Er meint natürlich das Land der Mittagsschlaf-Affen», sagte Sophiechen. «Das versteht ja wohl jeder.» «Genau!» rief der GuRie. «Jeden Nachmittag liegen die neun Riesen alle auf der Erde und schnorcheln Löcher in die Luft, so kellertief mittagschlafen die. Die ruhen sich immer so aus, bevor sie losdonnern, um wieder ein paar menschliche Leberwesen wegzuputzen.»
«Weiter, weiter», sagten die Generäle. «Und was nun?» «Deine Soldaten müssen nur an die Riesen rangehen, wenn sie im Mittagsschlafaffenland sind, und müssen ihre Arme und Beine fesseln mit heilen Seilen und fetten Ketten.» «Genial», sagte die Königin.
«Alles schön und gut», warf der Oberkommandierende der Landstreitkräfte ein.
«Aber wie bringen wir die Kerle vom Fleck? Sechzehn Meter dreiundzwanzig lange Riesen können wir schließlich nicht mit dem Lkw transportieren! Deswegen sage ich: gleich erschießen an Ort und Stelle!» Der GuRie blickte von seinem Hochsitz herab und sagte zu dem Oberkommandierenden der Luftstreitkräfte: «Du hast doch Pups-Räuber, oder nicht?» «Will der etwa frech werden?» fragte der Oberkommandierende der Luftstreitkräfte.
«Er meint Hubschrauber», erklärte ihm Sophiechen. «Und warum sagt er das dann nicht? Selbstverständlich haben wir Hubschrauber.»
«So richtig extrasuper große Pups-Räuber?» fragte der GuRie.
«Die größten», gab der Oberkommandierende der Luftstreitkräfte voller Stolz bekannt. «Aber kein Hubschrauber ist groß genug, um einen Riesen von der Größe aufnehmen zu können.»
«Dann mußt du ihn eben nicht aufnehmen», sagte der GuRie. «Hochnehmen mußt du ihn. Du bindest ihn einfach außen an deinem Pups-Räuber fest und fliegst los mit ihm wie mit einer Tapete.» «Wie mit was?» fragte der Oberkommandierende der Luftstreitkräfte.
«Wie mit einer Rakete», sagte Sophiechen.
«Schaffen Sie das, Herr Generalinspekteur?» fragte die Königin.
«Na ja, glaube schon», mußte der Oberkommandierende der Luftstreitkräfte, wenn auch widerwillig, zugeben. «Also Marsch!» sprach die Königin. «Sie benötigen neun Hubschrauber, für jeden Riesen einen.» «Und wo liegt unser Zielgebiet?» fragte der Fliegergeneral den GuRie. «Ich nehme doch an, Sie können die Stelle auf der Karte markieren.»
«Karte?» wiederholte der GuRie. «Markieren? Die Wörter hab ich noch nie gehört. Was redet dieser Luft-Affen-General nur für einen Misthaufen zusammen!» Das Gesicht des Generalinspekteurs der Luftwaffe lief rötlich-bläulich an wie eine reife Pflaume. Der Mann war es einfach nicht mehr gewohnt, von jemand gesagt zu bekommen, er rede sich einen Haufen Mist zusammen. Die Königin mit ihrem bewundernswerten Taktgefühl und ihrer raschen Auffassungsgabe schaltete sich hilfreich ein. «GuRie», sagte sie, «kannst du uns wohl so ungefähr sagen, wo dieses Riesenland liegt?»
«Leider nein, Euer Majonese», sagte der GuRie. «Kann ich überhaupt nicht sagen.»
«Da haben wir den Salat!» rief der Oberkommandierende der Landstreitkräfte.
«Schöne Bescherung das!» rief der Oberkommandierende der Luftstreitkräfte.
«Ihr müßt nicht gleich aufgeben», sagte der GuRie sanft. «Schon beim ersten kleinen Hinternis brecht ihr zusammen und schreit, ihr seid angeschmiert worden.» Der Oberkommandierende der Landstreitkräfte war es ebensowenig gewohnt, beschimpft zu werden, wie der Oberkommandierende der Luftstreitkräfte. Sein Gesicht schwoll dick an, seine Backen blähten sich, bis sie aussahen wie zwei pralle reife Tomaten. «Euer Majestät!» rief er. «Der Mann ist wahnsinnig! Ich will mit dieser lachhaften Sache nichts mehr zu tun haben!»
Die Königin kannte solche Wutanfälle bei ihren höchsten Würdenträgern, und deswegen ging sie einfach darüber hinweg. «GuRie», sagte sie, «würdest du wohl bitte diesen etwas schwerfälligen Herrschaften erklären, was genau sie zu tun haben?»
«Mit dem allerschönsten Vergnügen, Eure Majonese», sagte der GuRie. «Also, paßt mal ganz genau auf, ihr beiden Obergeneralkommandierer.»
Die Herren Offiziere zuckten zusammen, bewahrten aber ihre stramme Haltung.
«Ich hab nicht den blauesten Dunst, wo in aller Welt das Riesenland liegt», sagte der GuRie. «Aber hinrennen kann ich ganz leicht. Ich laufe die Strecke hin und zurück jede Nacht, weil ich muß meine Träume in die Kinderzimmer pusten. Also ich kenn den Weg sehr gut. Was ihr tun müßt, ist ganz leicht. Laßt neun von euren Pups-Räubern in die
Luft fliegen, und die sollen mir da oben hinterherfliegen, wenn ich hier unten losrenne.»
«Wie lange wird die Reise dauern?» fragte die Königin. «Wenn wir jetzt gleich abhauen», sagte der GuRie, «dann kommen wir da an, wenn die Riesen grade ihr MittagsSchäfchen halten.»
«Ausgezeichnet», sagte die Königin. Und schon erteilte sie ihren Oberkommandierenden den Befehl: «Alles fertigmachen zum Ausrücken.»
Der Oberkommandierende der Landstreitkräfte, der sich ganz schön auf den Schlips getreten fühlte in dieser verflixten Angelegenheit, mußte natürlich doch noch einmal den Mund aufmachen. «Alles ganz schön und grün, Euer Majestät», sagte er. «Aber wohin mit den Burschen, wenn wir sie erst einmal hier haben?»
«Keine Sorge», beschied ihn die Königin. «Wir lassen uns rechtzeitig etwas einfallen. Und jetzt bitte etwas Beeilung! Wegtreten!»
«Wenn Sie nichts dagegen haben, Euer Majestät», meldete sich Sophiechen, «dann würde ich gerne beim GuRie mitfahren, um ihm Gesellschaft zu leisten.» «Und wie willst du mitfahren?» fragte die Königin. «In seinem Ohr», sagte Sophiechen. «Zeig's mal, GuRie.»
Der GuRie stand von seinem Hochsitz auf. Mit den Fingerspitzen hob er Sophiechen auf. Und dann schwenkte er sein riesengroßes rechtes Segelohr, bis es waagrecht stand wie eine Flugzeugtragfläche. Ganz behutsam setzte er schließlich Sophiechen darauf ab.
Die Oberkommandierenden der Land- und Luftstreitkräfte standen da und guckten blöde aus der Wäsche. Die Königin lächelte. «Du bist schon ein sehr wundersamer Riese, muß ich sagen», bemerkte sie anerkennend. «Eure Majonese», sagte der GuRie, «ich muß dich was ganz Speziales fragen.» «Und das wäre?» sagte die Königin.
«Darf ich bitte, bitte in den Pups-Räubern meine ganze Traumothek mit hierherbringen? Ich hab jahre- und aberjahrelang daran gesammelt, und nun will ich sie auch behalten, verstehst du, Majonese?»
«Aber natürlich», sagte die Königin. «Ich wünsche dir eine gute Reise.»