Kapitel 2

Der Rest der Fahrt erschien Rampole später immer wie ein Versinken in den Tiefen der Landschaft; eine Reise in abweisende und geheimnisvolle Regionen, in deren Verlauf die Lichter der Städte nach und nach erloschen und das Pfeifen der Lokomotive immer schwächer zu einem immer leereren Himmel hinaufdrang. Dr. Fell hatte sich über Payne, außer mit einer abschätzigen Bemerkung, nicht mehr weiter geäußert.

»Kümmern Sie sich nicht um ihn«, sagte er und schnaubte verächtlich. »Er ist ein Pedant. Doch das Schlimmste ist, der Mann ist Mathematiker. Pah! Ein Mathematiker«, wiederholte Dr. Fell und starrte seinen Salat an, als lauere zwischen den Blättern versteckt eine binomische Formel. »Der sollte am wenigsten den Mund aufmachen.«

Der alte Privatgelehrte hatte keinerlei Überraschung über Rampoles Bekanntschaft mit der Schwester des unbekannten Starberth gezeigt, wofür der Amerikaner sehr dankbar war. Rampole enthielt sich seinerseits jeglicher Fragen über die seltsamen Bemerkungen, die er an diesem Abend vernommen hatte. Er lehnte sich, vom Wein angenehm benebelt, zurück und lauschte dem Geplauder seines Gastgebers. Obwohl er selbst es mit der Getränkefolge nicht genau zu nehmen pflegte, war er dennoch nicht wenig bestürzt von der Art und Weise, wie Dr. Fell seinem Wein ein Starkbier nachschüttete und beidem gegen Ende des Mahles noch ein großes Helles folgen ließ. Trotzdem hielt er tapfer mit. »Was dieses Getränk angeht, Sir«, meinte der Doktor, und seine mächtige Stimme dröhnte durch den Wagen, »so vernehmen Sie, was das Alvislied dazu zu sagen hat: >Bier bei den Menschen, Heiltrank bei den Alben, Rauschtrank im Riesenland<. Hihi!«

Er sprach mit rotglühendem Gesicht, während er sich kichernd auf seinem Sitz hin und her wälzte und seine Krawatte mit Zigarrenasche bestreute. Erst das diskrete Hüsteln der Kellner, die sich in der Nähe ihres Tisches zu schaffen machten, konnte ihn zum Aufbruch bewegen. Knurrend humpelte er, von Rampole gefolgt, auf seinen zwei Stöcken hinaus. Kurz darauf fanden sie sich auf zwei gegenüberliegenden Eckplätzen eines leeren Abteils wieder. Dieser Ort schien noch düsterer zu sein als die Landschaft draußen, so gespenstisch lag er im Dämmerlicht. Massig in seiner Ecke thronend, wirkte Dr. Fell vor den verblichenen roten Polstern und den kaum zu erkennenden Bildern über den Sitzen wie die Gestalt eines Trolls. Er war in Schweigen versunken, auch er schien die Unwirklichkeit der Atmosphäre zu spüren. Ein frischer Wind kam von Norden, und der Mond war zu sehen. Neben dem eiligen Rattern der Räder wirkten die Berge sehr müde, festverwurzelt und alt, die Bäume wie Trauerbouquets. Schließlich ertrug es Rampole nicht länger und begann zu reden. Der Zug hielt gerade im Bahnhof eines Dorfes. Bis auf einen langen, ersterbenden Seufzer der Lok herrschte Stille.

»Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir zu erklären, Sir«, sagte der Amerikaner, »was Mr. Payne mit dem ganzen Gerede von >einem Stündchen im Hexenwinkel< und... und all dem meinte?«

Dr. Fell schreckte aus seiner Träumerei auf und wirkte verwirrt. Er lehnte sich vor, und der Mond spiegelte sich in seinen Augengläsern. In der Stille hörten sie die heiseren Atemzüge der Lokomotive und das dünne Summen der Insekten. Ein Zittern ging durch den Zug, eine Laterne schaukelte und blinkte.

»Äh - Was? Lieber Gott, Junge! Ich dachte, Sie kennen Dorothy Starberth. Ich wollte keine Fragen stellen...«

Offenbar die Schwester, also war Vorsicht geboten. Rampole sagte:

»Ich habe sie erst heute kennengelernt. Ich weiß überhaupt nichts.«

»Dann haben Sie auch noch nie vom Gefängnis von Chatterham gehört?«

»Niemals.«

Der Doktor schnalzte mit der Zunge. »Dann haben Sie ja richtig was aus Payne herausgekriegt. Er hielt Sie für einen alten Freund... Chatterham hat heute kein Gefängnis mehr, wissen Sie. Es wird seit 1837 nicht mehr benutzt und verfällt so langsam.«

Ein Gepäckwagen holperte vorbei. Ein kurzes Aufschimmern in der Dunkelheit und Rampole bemerkte einen sonderbaren Ausdruck im fülligen Gesicht des Doktors.

»Wollen Sie wissen, warum man es geschlossen hat?« fragte er.

»Natürlich wegen der Cholera. Die Cholera - und etwas anderes. Aber man sagte, das andere sei schlimmer gewesen.«

Rampole holte eine Zigarette hervor und steckte sie an. Er konnte in diesem Moment sein Gefühl nicht sicher bestimmen, doch es war eindeutig da, beklemmend. Später dachte er immer: als ob ihm etwas die Kehle zugeschnürt hätte. Er sog im Dunkeln einen tiefen Zug der kühlen, feuchten Luft ein.

»Gefängnisse«, fuhr der Doktor fort, » besonders Gefängnisse zu jener Zeit, waren höllische Orte. Unseres wurde außerdem im Hexenwinkel erbaut.«

»Im Hexenwinkel?«

»Dort pflegte man früher die Hexen zu hängen. Und natürlich gewöhnliche Übeltäter. Hm.« Der Doktor räusperte sich mit einem Rasseln. »Ich erwähne die Hexen, weil sie den tiefsten Eindruck auf das allgemeine Bewußtsein gemacht haben... Lincolnshire ist das Land der Moore und Sümpfe, wissen Sie. Die alten Briten nannten Lincoln Llyn-dune, die Stadt der Moore; die Römer machten daraus Lindum Colonia. Chatterham ist zwar ein Stück weit von Lincoln entfernt, und das heutige Lincoln ist recht modern. Wir aber nicht. Wir haben fetten Boden, Marschland, Sumpflöcher, Wasservögel und diese sanfte, schwere Luft, in der die Menschen nach Sonnenuntergang Erscheinungen sehen.«

Der Zug rumpelte wieder hinaus. Rampole zwang sich zu einem kleinen Lachen. Im Speisewagen hatte dieser saufende, glucksende, fettleibige Mensch noch die reine Lebensfreude ausgestrahlt. Jetzt wirkte er bedrückt und ein wenig unheimlich.

»Erscheinungen, Sir?« wiederholte er.

»Man baute das Gefängnis«, fuhr Dr. Fell fort, »rund um einen Galgenhügel... Zwei Generationen der Starberth-Familie waren dort Gouverneure, in Ihrem Land drüben würde man wohl Gefängnisdirektoren dazu sagen. Es ist Tradition, daß die Star-berths sich das Genick brechen. Was ja keine besonders erfreulichen Aussichten sind.«

Fell riß ein Streichholz für seine Zigarre an, und Rampole sah, daß er lächelte.

»Ich versuche durchaus nicht, Sie mit Gespenstergeschichten zu erschrecken«, fuhr er fort, nachdem er eine Weile geräuschvoll an seiner Zigarre gesogen hatte. »Ich will Sie nur vorbereiten. Wir kennen hier nicht Ihre amerikanische Leichtlebigkeit. Bei uns liegt etwas in der Luft, die ganze Gegend steckt voller Aberglauben. Lachen Sie also nicht, wenn Sie von bösen Irrlichtern hören oder vom Gnom der Kathedrale zu Lincoln. Lachen Sie vor allem nicht -und das möchte ich Ihnen besonders ans Herz legen - über irgend etwas, das im Zusammenhang mit dem Gefängnis steht.«

Sie schwiegen eine Weile. Dann meinte Rampole: »Ich hatte nicht vor, darüber zu lachen, Sir. Ich wollte schon immer für mein Leben gern ein Haus sehen, in dem es spukt. Natürlich glaube ich nicht an so was, doch das tut meinem Interesse keinen Abbruch. Wie geht denn nun die Geschichte mit dem Gefängnis?«

Der Doktor murmelte nur: »Etwas zu viel Phantasie« und starrte auf die Asche seiner Zigarre. »Das stammt von Bob Melson. Morgen sollen Sie die ganze Geschichte erfahren. Ich habe Abschriften der Papiere aufbewahrt. Der junge Starberth muß sein Stündchen im Gouverneurszimmer verbringen, den Tresor offen und nachsehen, was drin ist. Seit fast zweihundert Jahren, müssen Sie wissen, gehört das Land, auf dem das Gefängnis von Chatterham errichtet wurde, den Starberths. Sie besitzen es bis heute; die Gemeinde hat es niemals übernommen. Es wird in Form eines >Majorats<, wie die Juristen sagen, vom ältesten Sohn der Familie verwaltet und kann nicht verkauft werden. Am Abend seines fünfundzwanzigsten Geburtstages muß der älteste Starberth hinauf zum Gefängnis gehen, den Safe im Gouverneurszimmer öffnen und sein Glück versuchen... «

»Wozu, Sir?«

»Ich weiß es nicht. Niemand weiß, was der Safe enthält. Der Erbe selbst darf nichts darüber sagen, bis er die Schlüssel wiederum seinem eigenen Sohn aushändigt.«

Rampole beugte sich vor. Seine Phantasie entwarf eine graue Ruine, eine eiserne Tür und einen Mann mit Lampe in der Hand, der einen rostigen Schlüssel umdreht. Er sagte: »Du lieber Gott! Das klingt ja wie - «, fand aber nicht die richtigen Worte und lächelte unsicher.

»Das ist England. Na und?«

»Ich mußte nur daran denken, Sir, daß man sich in Amerika bei so einer Gelegenheit vor Reportern, Filmkameras und riesigen Menschenmengen nicht retten könnte.«

Er wußte sofort, daß er etwas Falsches gesagt hatte. Immer wieder stellte er fest: Mit diesen Engländern war es, als ob man einem guten Freund, den man zu kennen glaubte, die Hand schüttelt, um dann festzustellen, daß sich die Hand in einen Nebelfetzen verwandelt hatte. Es gab Bereiche, in denen ihre Anschauungen niemals übereinstimmten, und keine Sprachverwandtschaft konnte diese Kluft überbrücken. Rampole sah, wie ihn Dr. Fell hinter seiner Brille scharf anblickte und dann, zu seiner Erleichterung, zu lachen begann.

»Ich sagte Ihnen ja, das ist England«, erwiderte er. »Niemand wird sich um den Erben kümmern. Es hat alles viel zu viel mit dem Glauben zu tun, daß die Starberths an Genickbruch sterben.«

»Und weiter, Sir?«

»Aber das Eigenartige an der Sache ist«, sagte Dr. Fell und neigte seinen breiten Kopf, »daß ihnen das häufig wirklich passiert. ..«

Sie sprachen nicht weiter davon. Der Wein des Abendessens schien den Geist des Gelehrten eingelullt zu haben, oder er war in Betrachtungen versunken, was man aber höchstens an dem regelmäßigen Aufglühen seiner Zigarre erkennen konnte. Dr. Fell hatte einen abgetragenen großkarierten Schal um seine Schultern gezogen, der stattliche Haarschopf war nach vorne gesunken. Rampole hätte glauben können, er schliefe, wäre da nicht dieses Schimmern unter den Augenlidern gewesen, diese wache, schlaue Aufmerksamkeit hinter dem Kneifer am schwarzen Band.

Als sie Chatterham erreichten, war der Eindruck des Unwirklichen vollends über den Amerikaner hereingebrochen. Die roten Lichter des Zuges verloren sich am Ende des Schienenstranges. Ein Pfiff ertönte und verebbte in der Ferne. Unangenehm kühle Luft lag über dem Bahnsteig. In einiger Entfernung bellte ein Hund, als der Zug vorüberfuhr; ihm antwortete ein ganzer Chor, der nur widerwillig schwächer wurde. Mit überraschender Lautstärke knirschten ihre Schritte auf dem Kies, als Rampole seinem Gastgeber vom Bahnsteig hinab folgte.

Eine weiße Landstraße wand sich zwischen Bäumen und flachen Wiesen hindurch. Sumpfiger Boden und aufsteigender Nebel, das Schimmern von schwarzem Wasser im Mondschein. Dann Hecken, die nach Weißdorn dufteten. Das helle Grün des Getreides auf den sanft geschwungenen Feldern. Zirpende Grillen, der Geruch von Tau auf Gras. Und Dr. Fell, der mit einem verwegenen Schlapphut, seinen karierten Schal lässig um die Schultern geworfen, auf zwei Stöcken einherstapfte. Er sei nur für einen Tag in London gewesen, erklärte er. Ohne Gepäck. Rampole schritt, eine schwere Reisetasche schwenkend, neben ihm her. Einen Augenblick lang war er überrascht, vor ihnen eine Gestalt zu entdecken - eine Gestalt mit einer Reisekappe und einem schlichten Mantel, die die Straße entlangstürmte, während Funken aus einer Pfeife hinter ihr herstoben. Dann erkannte er Payne. Trotz seines unsicheren Ganges kam er schnell voran. Ungeselliger Kerl! Rampole glaubte fast hören zu können, wie er beim Gehen vor sich hin knurrte. Doch da war keine Zeit, an Payne zu denken. Denn da ging er selbst, voll Abenteuerlust, unter einem weiten, fremden Himmel, an dem ihm nicht einmal die Sterne vertraut waren. Er fühlte sich sehr klein und verloren in diesem alten England.

»Da liegt das Gefängnis«, sagte Dr. Fell.

Sie hatten den Scheitel einer kleinen Anhöhe erreicht und blieben stehen. Die Landschaft fiel vor ihnen ab und weitete sich zu einer Ebene mit flachen Feldern, die von langen Hecken unterbrochen wurden. In einiger Entfernung konnte Rampole, von Bäumen umgeben, den Kirchturm des Dorfes sehen. Bauernhäuser mit silbrigen Fenstern schliefen im schweren Duft der Nacht. Zu ihrer Linken, jenseits einer Eichenallee und in einem gepflegten Park, stand ein schmuckloses, hohes Haus aus rotem Backstein und mit weißen Fensterrahmen. »Das alte Herrenhaus«, bemerkte Dr. Fell über die Schulter. Doch der Amerikaner starrte auf das bucklige Steingebirge zu seiner Rechten. Völlig unpassend an dieser Stelle, roh und mächtig wie Stonehenge, ragten dort die steinernen Mauern des Gefängnisses von Chatterham gen Himmel.

Es war ein wuchtiger Bau, doch wirkte er, vom Mondlicht verzerrt, noch gewaltiger. »Bucklig«, dachte Rampole, »ist genau der richtige Ausdruck.« An einer Stelle schienen die Mauern über den Kamm eines Hügels zu kriechen. Durch Risse im Mauerwerk reckten sich Weinranken wie Finger dem Mond entgegen. Reihen eiserner Spitzen krönten die Mauern, Schornsteine waren umgestürzt. Der Ort sah modrig und schleimig aus, als ob ihn nur noch Kröten bewohnten. Als sei der Sumpf in das Innere des Gebäudes gekrochen und hätte sich dort ausgebreitet.

Unvermittelt meinte Rampole: »Man meint fast, die Insekten kröchen einem über die Haut. Geht's Ihnen auch so?«

Seine Stimme schepperte. Irgendwo quakten Frösche wie quengelnde Kranke. Dr. Fell deutete mit einem Stock hinüber.

»Sehen Sie diesen Buckel dort oben« - seltsam, daß er dasselbe Wort verwendete - »auf der Seite, wo die Föhren stehen? Man hat ihn genau über den Rand eines Abgrunds gebaut; das ist der Hexenwinkel. In alter Zeit, als am Rand des Hügels die Galgen standen, pflegte man den Zuschauern ein besonderes Spektakel zu bieten. Man legte einen langen Strick um den Hals des Verurteilten und stieß ihn dann in den Abgrund. Auf diese Weise hatte er die faire Chance, daß der Strick riß. Damals kannte man die Einrichtung der Falltür noch nicht, wissen Sie.«

Rampole erschauerte. Wieder begann seine Phantasie, Bilder zu entwerfen. Einen heißen Tag, die üppige Landschaft dunkelgrün glühend, staubig die weißen Straßen, Klatschmohn am Wegrand. Ein murmelndes Gedränge von Menschen mit Zopfperücken und Kniehosen. Eine schwarzgewandete Gruppe, die mit einem Karren den Hügel hinaufholpert - und dann jemand, der wie ein böses Pendel über dem Hexenwinkel baumelt. Zum ersten Mal schien ihm die Landschaft wirklich voll murmelnder Stimmen zu sein. Er wandte sich um und fand den Blick des Doktors auf sich gerichtet.

»Was wurde daraus, als das Gefängnis gebaut wurde?«

»Der Hexenwinkel blieb erhalten. Aber man war der Meinung, bei diesem Verfahren sei zu leicht eine Flucht möglich. Die Mauern waren niedrig, es gab zahlreiche Türen. Also grub man eine Art Brunnenschacht unterhalb der Galgen; und weil der Boden ohnehin sumpfig war, füllte er sich schnell mit Wasser. Kam nun jemand los und wagte einen Sprung, dann landete er im Brunnen und - nun -man zog ihn nicht wieder heraus. So zu sterben war nicht angenehm, mit all dem Zeug da unten drin.«

Der Doktor schlurfte weiter, und Rampole ergriff die Reisetasche, um mitzugehen. Eine Unterhaltung an dieser Stelle war nicht sonderlich erfreulich. Die Stimmen schallten sehr laut, und man hatte ständig das ungemütliche Gefühl, belauscht zu werden.

»Das war's auch«, fügte Dr. Fell keuchend nach ein paar Schritten hinzu, »was dem Gefängnis den Rest gab.«

»Wieso?«

»Wenn einer abgeschnitten wurde, nachdem man ihn gehängt hatte, dann ließ man ihn einfach in den Schacht fallen. Als dann die Cholera ausbrach...« Rampole spürte ein Unwohlsein im Magen, fast Übelkeit. Er merkte, daß er trotz der kühlen Luft schwitzte. Kaum hörbar lief ein Flüstern durch die Bäume.

»Ich wohne nicht weit von hier«, fuhr der andere fort, als habe er von nichts Ungewöhnlichem geredet. Er sprach ruhig, wie jemand, der auf die Sehenswürdigkeiten einer Stadt hinweist.

»Wir leben am Rand des Dorfes. Sie können die Galgenseite des Gefängnisses von dort sehr gut sehen - und das Fenster des Gouverneurszimmers ebenfalls.«

Nach einer halben Meile verließen sie die Landstraße und bogen in einen Weg ein. Er führte zu einem geduckten, schläfrigen alten Haus mit einem Fachwerk aus Eichenbalken auf efeubewachsenem Steinsockel. In den geschliffenen Scheiben spiegelte sich matt der Mond. Immergrün rankte um die Tür, und der ungepflegte Rasen war weiß von Gänseblümchen. Ein Nachtvogel klagte verschlafen im Efeu.

»Wir wollen meine Frau nicht aufwecken«, sagte Dr. Fell. »Sie wird einen kalten Imbiß in die Küche gestellt haben und viel Bier. Ich - Was ist denn los?«

Plötzlich straffte sich seine gebeugte Gestalt, und Rampole hörte, wie einer der Stöcke durch das feuchte Gras rutschte. Der Amerikaner starrte über die Wiese hinüber, dorthin, wo sich, weniger als eine Viertelmeile entfernt, eine Seite des Gefängnisses von Chatterham über den Föhren rund um den Hexenwinkel erhob.

Rampole spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach.

»Nichts«, sagte er laut. Mit sehr viel Nachdruck begann er zu sprechen. »Hören Sie, Sir, ich möchte Ihnen keine Unannehmlichkeiten bereiten. Ich hätte ja einen anderen Zug genommen, es gab nur keinen, der zu einer anständigen Uhrzeit hier angekommen wäre. Ich könnte einfach nach Chatterham gehen und mir ein Hotel oder einen Gasthof suchen, oder - «

Der alte Gelehrte kicherte. Es war ein beruhigendes Geräusch an solch einem Ort. »Unsinn!« rief er und schob Rampole an der Schulter vorwärts. »Er glaubt wohl, ich fürchte mich«, dachte Rampole und willigte hastig ein. Während Dr. Fell nach dem Hausschlüssel suchte, spähte Rampole ein letztes Mal zum Gefängnis hinüber.

Vielleicht hatten die Spukgeschichten seine Wahrnehmung beeinflußt. Aber er hätte schwören können, daß er einen Augenblick lang gesehen hatte, wie irgend etwas über die Mauern des Gefängnisses blickte. Und er hatte das schreckliche Gefühl, dieses Etwas sei triefend naß gewesen...

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