KAPITEL 5

Bruder Wulfila wartete im Gang, um Fidelma zurück zur Stube des Abts zu führen.

»Ich habe ihn rufen hören«, erklärte er ungehalten. »Sein Geist irrt in der Wahnvorstellung, seine Widersacher könnten ihm immer noch etwas anhaben, selbst hier in der Abtei. Wir tun alles für ihn, was in unserer Macht steht. Bruder Ruadán genießt hier große Anerkennung. Leider ist sein Zustand besorgniserregend.«

»Ja«, erwiderte Fidelma einsilbig.

»Hat er dich erkannt?«

»Ja, das war aber auch fast alles.«

Der Verwalter schien noch etwas sagen zu wollen, überlegte es sich jedoch anders und ging ihr voran.

Abt Servillius und Magister Ado waren immer noch im Gespräch vertieft. Ein dritter Mann hatte sich hinzugesellt. Er war älter als die beiden anderen, hatte silbergraues Haar, wirkte schlank, aber nicht hager, die Haut von frischer Bräune, alles in allem eine gutaussehende Erscheinung. Er hielt sich gerade und aufrecht, wie es nur Jüngere tun. Erst bei genauerem Hinsehen verrieten seine Züge, dass er jenseits der siebzig war. Als Fidelma den Raum betrat, blickten alle drei auf.

»Ah, Schwester Fidelma«, begrüßte sie der Abt. »Ich darf dir den Ehrwürdigen Ionas vorstellen, unseren größten Gelehrten.«

Der Ehrwürdige Ionas verzog peinlich berührt das Gesicht, doch sie spürte sofort, wie seine dunklen, durchdringenden Augen sie prüfend musterten. »Pax tecum, Schwester. Ich bin nur einer von vielen Gelehrten in unserer Gemeinschaft. Magister Ado gebührt eine ebenso große Anerkennung.«

»Der Ehrwürdige Ionas hat ein vielgerühmtes Werk über das Leben unseres Gründervaters geschrieben«, erläuterte Abt Servillius.

Fidelma gab sich alle Mühe, unbekümmert zu wirken, doch dem Ehrwürdigen Ionas entging nicht, dass sie mit den Gedanken woanders war. »Dich bedrückt doch etwas?«, fragte er.

»Ich komme gerade von Bruder Ruadán. Er war mein Lehrer, als ich noch Kind war.«

»Ich habe dich vorgewarnt«, versuchte der Abt sich zu verteidigen.

»Nach den Worten von Bruder Hnikar zu urteilen, wird unser armer Bruder Ruadán nicht mehr lange unter uns weilen.« Der der Ehrwürdige Ionas seufzte. »In welchem Zustand hast du ihn vorgefunden?«

»In einem denkbar schlechten«, erwiderte sie und ließ sich auf einen Stuhl sinken, den ihr der Abt wies.

»Ich werde nachher bei ihm vorbeischauen«, sagte Magister Ado. »Ich möchte ihn noch einmal sehen, ehe es zu spät ist.«

In Fidelma bäumte sich alles auf, jeder hier schien den bevorstehenden Tod von Bruder Ruadán als gegeben hinzunehmen. »Vielleicht sollten wir nicht so tun, als stünden wir schon an seinem Grab«, sagte sie.

»Nichts liegt uns ferner als das«, entgegnete der Abt rasch. »Aber wir dürfen die Augen nicht vor den Tatsachen verschließen.«

»Vor welchen Tatsachen?«, fragte Fidelma.

»Außerhalb der Klostermauern braut sich einiges zusammen«, gab der Abt zur Antwort. »Deshalb haben wir im Augenblick den jungen Prinzen Romuald hier zu Gast.«

Magister Ado war verblüfft. »Du wolltest uns gerade Näheres zu seiner Ankunft berichten.«

»Man hat ihn zu seiner Sicherheit hergebracht. Von Tag zu Tag verdichten sich die Gerüchte, dass Perctarit aus dem Exil zurückgekehrt sei und sich die Abwesenheit des Königs zunutze macht.« Abt Servillius lächelte Fidelma entschuldigend an. »Unser König Grimoald hat Perctarit in die Verbannung getrieben und …«

»Ich bin über den Machtwechsel in eurem Königtum unterrichtet«, fiel sie ihm ins Wort.

»Grimoald hält sich im Süden auf. Für die Dauer seiner Abwesenheit hat er Herzog Lupus von Friuli zum Regenten hier im Norden bestimmt. Romuald, der Sohn des Königs, wurde in die Obhut einer Amme gegeben und unter den Schutz von Lupus gestellt.«

»Und weshalb ist er nun hier?«, drängte Magister Ado.

»Der Freifrau Gunora, der Amme des Knaben, sind wohl an der treuen Ergebenheit von Lupus Zweifel gekommen. Sie nahm den Jungen und verließ im Schutze der Nacht die Festung von Lupus und eilte hierher, wo sie wusste, dass die Bruderschaft Prinz Romuald Zuflucht gewähren würde. Auf den Schultern des Knaben lastet eine schwere Bürde.«

»Dann ist Perctarit offenbar aus dem Exil zurückgekehrt, weil sich der König gerade im Süden des Landes aufhält?«, überlegte Magister Ado laut.

»Ich würde das auch so sehen«, bestätigte Abt Servillius.

Magister Ado runzelte die Stirn. »Wenn es an dem ist, befindet sich dann nicht die Abtei in Gefahr, Vater Abt? Wenn der Junge in Gefahr ist, ist es doch gewiss auch die Abtei?«

Der Ehrwürdige Ionas beugte sich auf seinem Stuhl vor. Ernst blickte er den Abt an. »Magister Ado trifft die Feststellung zu Recht, mein alter Freund. Wer weiß außerhalb der Klostermauern, dass Prinz Romuald sich hier aufhält?«

Der Abt brauchte einen Moment, ehe er antwortete. »Außer Seigneur Radoald niemand sonst, denn der Knabe erreichte die Abtei mit seiner Begleiterin erst vor zwei Nächten. Und da der Lord von Trebbia unser Freund und Beschützer ist, musste man ihn in Kenntnis setzen.«

»Die Sache ist schwerlich geheim zu halten«, gab Magister Ado zu bedenken. »Hast du dir Gedanken gemacht, wie wir uns verhalten sollen, falls Lupus von Friuli über die Abtei herfällt?«

Abt Servillius schüttelte den Kopf. »Wir sind ein Gotteshaus und keine kriegerische Festung«, entgegnete er. Völlig unvermutet für die anderen erhob er sich, denn ihm war aufgegangen, dass Fidelma unter ihnen saß und Zeugin ihres Gesprächs geworden war. »Wie konnte ich unsere guten Sitten vergessen? Ich habe unserer Freundin hier, Fidelma von Hibernia, noch nicht die gebührende Gastfreundschaft erwiesen. Ich werde Bruder Wulfila, unseren Verwalter, anweisen, eine Kammer für dich im Gästehaus herrichten zu lassen, auch ausreihend Wasser für deine Waschungen soll er dir bereitstellen. Das Gästehaus besteht aus einer Reihe von Zimmern, die sich über der Apotheke und der Krankenstube befinden. Du warst ja bei Bruder Ruadán, die Gästeräume liegen im Stockwerk darüber. Du hast von dort einen Blick auf unser herbarium, unseren Kräutergarten, auf den wir mit Recht stolz sind und in dem du gern lustwandeln kannst. Da wir dich als Ehrengast betrachten, setze ich gewisse Regeln außer Kraft; du wirst also in der Abtei bleiben und musst nicht in das Haus für die Nonnen in den Ort hinuntergehen. Die gleiche Ausnahmeregelung habe ich für Freifrau Gunora verfügt, denn sie darf nicht von Prinz Romuald getrennt werden. Dennoch muss ich dich bitten, dich an unsere Regeln zu halten, die vorschreiben, dass die Brüder keinen Kontakt zu den Gästen haben. Begib dich also nicht ohne Erlaubnis oder ohne die Begleitung eines eigens dir zugeteilten Bruders weiter fort. Ich bin sicher, du wirst diese Vorgaben achten.«

Abt Servillius griff nach der Schelle und läutete. Sofort ging die Tür auf, und der Verwalter erschien. Schweigend nahm Bruder Wulfila die Anweisungen zur Kenntnis, beglückt war er über die getroffenen Entscheidungen nicht. Dann wandte sich der Abt Fidelma zu.

»Geh, mach dich frisch und ruhe dich aus. Wenn es Zeit zum Abendessen ist, läutet eine Glocke. Am Eingang zum Gästehaus wird dich jemand erwarten, um dich zum refectorium zu begleiten.«

Fidelma blieb keine andere Wahl, als hinzunehmen, dass man sie fortschickte. Sie konnte sich nicht des Gedankens erwehren, dass die Sorge um eine Ruhepause für sie nach der anstrengenden Reise nur ein Vorwand war, um sie nicht länger bei der Erörterung der politischen Situation dabeizuhaben.

Sie folgte Bruder Wulfila, der sie jetzt einen anderen Weg durch die dunklen Korridore führte und schließlich vor einer Tür stehen blieb. Der Geruch verriet ihr sofort, was sich dahinter verbarg, der Verwalter hätte sich den stummen Hinweis auf das Schild in Latein sparen können. Cloaca las sie und wusste, dass sich das Wort von cluo – ich reinige mich – ableitete. Jeder Kommentar erübrigte sich, der Verwalter stieg nun eine Treppenflucht zum oberen Stockwerk empor, wo er erneut vor einer Tür stehen blieb, sich bückte und sie öffnete. Er trat zur Seite, und sie ging hinein.

Das Fenster gewährte einen Blick auf die im hügeligen Gelände angelegten Gärten. Außer der Bettstatt bestand das Mobiliar aus einem Stuhl, einer Truhe und etlichen Kleiderhaken. In einer Ecke befand sich ein Bottich für Wasser, allerdings leer, daneben lagen weiße Leinentücher zum Abtrocknen.

»Ich lasse sogleich dein Gepäck herschaffen und auch heißes Wasser zum Waschen«, verkündete Bruder Wulfila. Für eine Antwort blieb ihr keine Zeit, denn er hatte bereits die Tür hinter sich zugezogen. Sie schaute sich einen Augenblick in ihrer neuen Bleibe um und setzte sich dann auf die Bettkante. Böses ginge in der Abtei um, hatte Bruder Ruadán verstört gerufen. Sie gestand sich ein, dass sie seit dem Moment, da sie Zeugin des feigen Überfalls auf Magister Ado geworden war und das Trebbia-Tal betreten hatte, ein ungutes Gefühl nicht mehr loswurde. Religiöse Spannungen waren ihr nicht fremd. Schließlich war sie schon bei dem großen Konzil von Streonshalh in der Abtei Hilda dabei gewesen, als die Angeln beschlossen hatten, sich von den kirchlichen Auffassungen ihres eigenen Landes loszusagen, um fortan den neuen Regeln aus Rom zu folgen. Aber der Konflikt hier zwischen der Auffassung des Arius und den Festlegungen auf dem Ersten Konzil von Nicäa war mehr als ein Streit und drohte in Blutvergießen zu enden. Über dem Tal lag eine dunkle Wolke. Aber war es das, was Bruder Ruadán mit dem Bösen gemeint hatte und wovor er sie warnen wollte – oder steckte noch etwas anderes dahinter?

Es blieb ihr nicht viel Zeit. Fidelma hatte sich gerade frisch gemacht und war in saubere Kleidung geschlüpft, da läutete auch schon die Glocke, was sie als Aufforderung zum Abendessen deutete. Sie wartete nur kurz und entschied, sich einigen Mönchen anzuschließen, die an ihrer Kammer vorbeigingen. Aus den wenigen wurden viele, alle hasteten schweigend die Treppe hinunter auf den Haupthof. Dort erblickte Fidelma etwa ein Dutzend Nonnen, die dem Hauptgebäude zustrebten. Sie erkannte Schwester Gisa unter ihnen und ging auf sie zu.

»Hast du Bruder Faro gesehen?«, war deren erste Frage. »Ich hoffe, er ist vorsichtig und pflegt seine Wunde.«

Das Mädchen tat Fidelma leid, denn ihre Gefühle für den jungen Mann waren offenkundig. Sie wusste sehr wohl, dass die Gruppe von Asketen, die Rom bedrängte, ein Edikt zugunsten des Zölibats zu erlassen, sich zunehmend Gehör verschaffte, auch wenn das noch nicht allzu lautstark geschah. Selbst Abt Servillius schien ihren Argumenten erlegen. Noch hatte der Heilige Vater nichts Verbindliches verfügt, noch blieb es offensichtlich den einzelnen Äbten überlassen, wie sie die Sache handhabten.

Wiederum hatte Papst Siricius, nachdem er in Rom auf den Heiligen Stuhl berufen worden war, seine Frau und seine Kinder verstoßen. Er schien durchsetzen zu wollen, dass Priester und andere Geistliche nicht länger mit ihren Ehefrauen das Bett teilten. Schon ein Jahrhundert zuvor hatte auf dem Konzil zu Tours der gleiche Gedanke zur Debatte gestanden, auch da hatte man sich für eine Regelung ausgesprochen, dass Priestern, die zusammen mit ihren Frauen schliefen, nicht erlaubt sein sollte, Gottesdienste abzuhalten. Der Vorschlag hatte sich damals nicht durchsetzen können.

»Du und Bruder Faro, seid ihr …?« Fidelma hielt mitten im Satz inne, denn das Mädchen war hochrot geworden.

»Wir sind Freunde«, sagte sie bestimmt, doch die Errötung strafte sie Lügen. »Das hier ist kein gemischtes Haus, wie es offensichtlich anderswo der Fall ist. Abt Servillius hält es mit denen, die unter den frommen Brüdern und Schwestern das Zölibat predigen. Aber Mönche und Nonnen nehmen bei uns gemeinsam die Speisen ein, und auch die Andachten in der Kapelle finden für alle gemeinsam statt.«

Sie gelangten an eine große Flügeltür aus glänzendem Kastanienholz, in der die Mönche verschwanden. Neben ihr stand Bruder Wulfila, der Fidelma verärgert erwartete.

»Ich habe jemand zu deiner Kammer geschickt, er sollte dich abholen und herbringen«, empfing er sie in vorwurfsvollem Ton. »Du wurdest ausdrücklich gebeten, nicht ohne Begleitung in der Abtei umherzuwandern.« Ohne eine Antwort abzuwarten, forderte er sie auf, ihr zu folgen. Schwester Gisa schwenkte mit den anderen Nonnen zur einen Seite der Halle, wo ihnen in einer Ecke ein gesonderter Tisch abseits von den Mönchen zugedacht war. Bei ihrem Gang durch den Saal kam Fidelma an einem Tisch vorbei, an dem Bruder Faro saß, und an einem anderen erkannte sie Bruder Hnikar. Etliche Mönche starrten sie teils überrascht, teils neugierig an. Am Ende der Halle, den Tischreihen zugewandt, stand ein auffallend langer Tisch, an dem Abt Servillius Platz genommen hatte, links und rechts von ihm Magister Ado und der Ehrwürdige Ionas. Links neben Magister Ado saß ein Junge, vielleicht zehn oder elf Jahre alt, und neben ihm eine etwas matronenhaft wirkende Frau.

Der Abt erhob sich, als er Bruder Wulfila erblickte, und winkte Fidelma mit einer kleinen Handbewegung zu sich heran.

»Ich darf dich einem besonderen Gast vorstellen – Prinz Romuald der Langobarden.« Dann wandte er sich an den Jungen. »Eure Hoheit, das ist Fidelma von Hibernia, die Tochter eines Königs ihres Landes.«

Der Knabe stand auf und machte eine tiefe Verbeugung. Fidelma musste sich eines Lächelns erwehren, weil sein Verhalten so wenig kindgemäß war.

»Ich heiße dich in unserem Land willkommen, edle Dame. Mein Volk und meine Familie schätzen von jeher deine Landsleute wegen ihres Wissens und ihrer Lehren. Gedenkst du in dieser Abtei zu bleiben?«

»Ich weile hier, um meinen alten Mentor zu besuchen, der die Abtei zu seiner Heimstatt gemacht hat. Sobald wie möglich begebe ich mich auf die Rückreise in mein Land«, erwiderte sie höflich.

Der Abt stellte ihr die neben dem Jungen sitzende Frau als Freifrau Gunora vor, die Begleiterin des Prinzen. Die Frau lächelte zurückhaltend und neigte leicht den Kopf.

Nach den Begrüßungsformalitäten setzte man sich. Fidelma wurde ein Platz neben dem Ehrwürdigen Ionas zugewiesen, während Bruder Wulfila sich auf der anderen Seite von ihr niederließ. Eine Glocke läutete, woraufhin der Abt aufstand und ein Dankgebet anstimmte. Kaum hatte er wieder seinen Platz eingenommen, erklang abermals eine Glocke, und die im refectorium Versammelten durften mit dem Essen beginnen. Fidelma war nicht wenig erstaunt ob des munteren Stimmengewirrs im Saal. In den vorangegangenen Wochen in Rom, wo sie auch gemeinsam mit Mitgliedern der Bruderschaft die Mahlzeiten eingenommen hatte, war es während des Essens meist schweigsam zugegangen. In manchen Abteien las ein Mönch, ein recitator, laut aus dem Neuen Testament oder den Psalmen vor, während die anderen aßen.

Der Ehrwürdige Ionas riss sie aus ihren Betrachtungen; er hatte sie angesprochen.

»Verzeihung, was hast du gesagt?«, fragte sie.

»Ich hatte eine Frage zu Columbanus gestellt«, wiederholte er verlegen. »Sowie jemand aus Hibernia kommt, frage ich nach ihm, könnte ja sein, ich erfahre Neues und könnte es ergänzend in mein Werk über unseren Begründer einfügen.«

»Ich fürchte, ich kann nur wenig dazu beitragen. Er stammte aus dem Königreich Laighin und ging zur Ausbildung in den Norden«, erwiderte Fidelma. »Das Königreich, aus dem ich komme, ist Muman, und das liegt im Südwesten von Hibernia.«

»Hibernia besteht demnach nicht aus nur einem Königreich?«

»Wir haben fünf Königreiche, das fünfte heißt Midhe, was soviel wie das mittlere Königreich heißt, und dort lebt der Hochkönig. Er gebietet über alle Königreiche. Er wird aus einer der führenden Sippen gewählt. Derzeit sind es die Ui Néill aus dem Norden, die die Thronfolge entscheiden.«

»So etwas Ähnliches habe ich schon von anderen deiner Landsleute erfahren, aber so recht verstehe ich das nicht«, meinte der Ehrwürdige Ionas ungläubig. »Wie auch immer, was kannst du mir über Columbanus erzählen?«

»In unserer Sprache lautet sein Name Colm Bán, und das bedeutet ›weiße Taube‹. Ich weiß nur, dass er Abt von Beannchar wurde, einer berühmten Abtei im Norden von Hibernia. Dann soll er die Abtei verlassen haben, um jenseits der Meere unter den Franken und Burgunden Glaubenszentren zu begründen. Das ist alles. Von der Abtei hier wusste ich nichts.«

Der Ehrwürdige Ionas nickte bedächtig, ein zaghaftes Lächeln umspielte die Lippen.

»Es war so, wie du sagst, meine Tochter. Er machte sich viele Feinde unter den fränkischen Adligen, und es kam der Tag, da sie anordneten, Columbanus mitsamt seinen Mönchen aus Hibernia in ihr Heimatland zurückzuschaffen. Doch statt nach Hibernia zurückzukehren, kam Columbanus hierher in den Süden, überwand die Bergpässe und brachte seine Getreuen ins Land der Langobarden. Agilulf, der damalige König, gab ihm das Stück Land hier. So begründete er Bobium und unsere Bruderschaft. Bald konnte er die Mönche aus vielen Ländern für sich gewinnen. Er blieb seinen alten Grundsätzen aus Hibernia treu und legte sich sogar mit dem Heiligen Vater, Gregor dem Großen, an, denn er beharrte darauf, dass es die Hibernianer waren, die sich an das wahre Datum des Osterfestes hielten. Er war ein wahrhaft großer Mann, ein bedeutender Lehrer.«

»Hast du ihn gekannt?«

»Ich kam als junger Mann her, da war er schon drei Jahre tot«, erwiderte der alte Gelehrte mit bedauerndem Kopfschütteln. »Aber ich hatte mit vielen zu tun, die ihn noch gekannt hatten und mir bei meiner Arbeit über sein Leben und Wirken sehr helfen konnten. Als die Zeit nahte, da ich mich für einen Namen als Mönch entscheiden musste, wählte ich die griechische Form des hebräischen Namens Jona, was auch Taube bedeutet.«

Draußen vor dem refectorium war es plötzlich laut geworden, fast im gleichen Moment wurden die Türen aufgerissen. Alle Blicke wanderten in die eine Richtung, und ein erschrockenes Raunen ging durch den Saal. Ein Mönch kam durch den Mittelgang zum Tisch des Abts gehastet, und der reagierte gleichermaßen aufgeschreckt und verärgert. Atemlos und mit hochrotem Gesicht blieb der junge Bruder vor ihm stehen.

»Vater Abt …, ich vermochte sie nicht aufzuhalten, Vater Abt …«

»Du vergisst dich, Bruder Bladulf«, donnerte der Abt los. »Bist du nicht lange genug Torhüter und kennst deine Pflichten und die Regeln unserer Abtei? Während des Abendessens …«

Verzweifelt blickte der junge Mann über die Schulter hinter sich. Zwei Männer hatten soeben das refectorium betreten und schritten schnurstracks und erhobenen Hauptes durch die Reihen der erstaunt, wenn auch schweigend dasitzenden Brüder auf den Tisch an der Stirnseite zu. Gespannt verfolgte Fidelma das Geschehen. Dem Habit und dem Krummstab nach war die vorangehende Person ein Bischof. Der Mann hinter ihm, gleichfalls in religiöser Gewandung, schien nicht von höherem Rang.

Beim Anblick der Eindringlinge hatte sich Abt Servillius entsetzt zurückgelehnt.

»Pax vobiscum«, grüßte der Bischof, blieb vor dem Tisch stehen und musterte feindselig die versteinerten Gesichter vor ihm.

Abt Servillius brachte den traditionellen Willkommensgruß nicht über die Lippen und stieß nur den Namen »Britmund« hervor.

Peinliche Stille.

Der Bischof war klein und stämmig, rotwangig, mit grauem Haar und dunklen Augenbrauen, er hatte Augen wie glänzende, schwarze Murmeln. Die schmalen, blutleeren Lippen waren zu einem boshaften Lächeln verzerrt. Als er neben dem Abt Magister Ado erkannte, verengten sich die Augen, ehe sein Blick weiter zu dem Knaben an dessen Seite wanderte.

»Also ist es wahr.« Er machte eine Andeutung von Verbeugung zu dem Prinzen. »Meine Grüße und Segenswünsche, Prinz Romuald. Deine Freunde von der Festung Friuli vermissen dich.«

Freifrau Gunora entfuhr ein leises Schniefen; mit beschützender Geste zog sie den Jungen an sich.

»Seine Freunde sind hier«, betonte sie.

Bischof Britmund lächelte gereizt.

»Ich fürchte, das ist nicht der Fall.« Er bemerkte Fidelma. »Es ist ungemein aufschlussreich, sehen zu müssen, dass in dieser Ketzerabtei nun sogar Weibern gestattet wird, gemeinsam mit dem Abt zu speisen«, höhnte er. »Schlimm genug, dass du Nonnen erlaubst, ihre Mahlzeiten in ein und derselben Halle mit den Mönchen einzunehmen.«

Abt Servillius beugte sich vor und erklärte in einem Ton, dem seine innere Empörung anzumerken war: »Schwester Fidelma ist unser Gast, sie kommt aus Hibernia und ist Tochter eines Königs in eben dem Lande.«

»Schade, dass du nicht all deinen Gästen den nötigen Respekt erweist«, lautete die spöttische Antwort. »Bruder Godomar und ich haben mehrere Tagesreisen gebraucht, um zur Abtei hier zu gelangen. Aber die Art, wie man uns willkommen heißt, entspricht schwerlich den Gepflogenheiten der Gastfreundschaft.«

»Es ist eher schade, dass dein Verhalten nicht den Gepflogenheiten eines Besuchers entspricht«, erwiderte Abt Servillius, »und du dem Torhüter nicht die Möglichkeit gabst, dich in meine Amtsstube zu geleiten, wo ich dich willkommen geheißen hätte, wie es der Brauch verlangt. Wenn du es vorziehst, unangekündigt in das refectorium einzudringen und in feindseligem Ton daherzureden, darf es dich nicht verwundern, wenn wir etwas Zeit brauchen, uns an unsere guten Sitten zu erinnern.«

»Weshalb sollte ich warten, wo ich doch wusste, dass es die Stunde eures abendlichen Mahls ist, und mein Gefährte und ich nach der beschwerlichen Reise geradezu ausgehungert sind?«

»Wenn das die Gastfreundschaft ist, die du erwartest, Britmund von Placentia, dann sind wir nicht so ketzerisch, sie dir zu verweigern. Am Tisch dort drüben ist Platz für euch.« Der Abt wies auf einen Tisch rechts in der Halle. »Setzt euch. Einer der Brüder wird dich und deinen Gefährten mit Speis und Trank versorgen.«

Herausfordernd blieb Bischof Britmund noch einen Moment vor dem Abt stehen. Natürlich hatte er erwartet, einen Platz an dem Tisch des Abts angeboten zu bekommen. Aber der Klosterherr hatte sich bislang weder erhoben noch dem Eindringling einen förmlichen Gruß entboten, wie er einem Geistlichen von Rang und Würden zugekommen wäre, was Fidelma verwundert zur Kenntnis nahm. Ganz offensichtlich hegten der Abt und der Bischof keinerlei Sympathie füreinander.

»Oder geht es dir um etwas anderes, Britmund?«, fragte der Abt gelassen. »Könnte es sein, du wolltest dich nach dem Befinden von Bruder Ruadán erkundigen?«

»Der alte Tor!«, schimpfte der Bischof. »Lebt er tatsächlich noch?«

Fidelma glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Wie konnte ein Bischof so etwas sagen! Sie verkrampfte die Hände unter dem Tisch und spürte, wie ihr Zornesröte in die Wangen stieg.

Doch noch ehe sie sich vergaß, nahm der Abt das Wort. »Deo favente, er lebt – allen Umständen zum Trotz. Denen, die du mit deinem fanatischen Eifer aufgehetzt hast, über ihn herzufallen, hat er das nicht zu verdanken.« Er klang beherrscht und ruhig, dennoch zeugte seine Wortwahl von seinem Zorn.

»Ich nenne die Dinge beim Namen«, entgegnete der Bischof gleichmütig. »Der alte Starrkopf hat mit seinem Predigen den Überfall selbst provoziert. Warum muss er sich des Langen und Breiten über Vorstellungen äußern, die uns in Plancentia mit Abscheu erfüllen und die wir verwerfen? Er hätte sich unserer Stadt fernhalten sollen.«

»Wenn du sein Predigen so abscheulich findest, Britmund, warum betrittst du dann überhaupt diese Abtei, die in deinen Augen so ketzerisch ist?«

»Nur widerwillig bin ich hier, und das auf Einladung von Seigneur Radoald.«

Alle in der Halle hielten überrascht die Luft an.

»Auf Einladung von Seigneur Radoald von Trebbia?«, fragte Magister Ado unvermittelt.

Bischof Britmund bedachte ihn mit einem höhnischen Lächeln. »Ich kenne nur diesen einen Seigneur hier im Tal … bisher jedenfalls.«

»Und warum sollte Seigneur Radoald dich bitten herzukommen?«, wollte der Abt wissen.

Noch ehe der Bischof antworten konnte, erklärte Magister Ado: »Wir haben erst heute Morgen seine Festung verlassen, haben für die Nacht seine Gastfreundschaft genossen. Er hat mir gegenüber nichts von einer solchen Einladung gesagt.«

»Ich bin nicht in der Lage, Seigneur Radoalds Gedanken zu lesen, und kenne die Beweggründe nicht, die ihn veranlassten, dir nichts davon zu sagen. Ado«, erwiderte Bischof Britmund. »Vielleicht weiß er, wie bestrebt du bist, keine Möglichkeit ungenutzt zu lassen, Anhänger meines Glaubens zu attackieren. Aber als Herrscher dieses Tales betont er immer wieder, dass es ihm um den Frieden zwischen den Menschen beider Glaubensrichtungen geht. Er hat mich hierher gebeten, damit du, Servillius, und ich uns unter ihm als Mittler auf einen gemeinsamen Nenner einigen. Meines Wissens will er morgen bei Tagesanbruch hier sein, damit die nötigen Gespräche zustande kommen.«

»Er hätte uns von deiner bevorstehenden Ankunft und dem Anliegen in Kenntnis setzen sollen«, murmelte Abt Servillius.

Nur kurz verzog Bischof Britmund triumphierend das Gesicht. »Vielleicht befürchtete er, du könntest dich bei einer entsprechenden Vorwarnung einem solchen Gespräch entziehen?«

Abt Servillius biss die Zähne zusammen. »Einer Debatte über den wahren Glauben würde ich mich nie entziehen«, erwiderte er entrüstet.

»Dann dürfen ich und mein Gefährte für die Dauer der Gespräche der Gastfreundschaft deiner Abtei gewiss sein.«

Abt Servillius sah zu Bruder Wulfila, der neben Fidelma saß, ehe er dem Bischof antwortete. »Wir sind gerade beim Essen. Selbstverständlich kannst du daran teilhaben. Nach dem Mahl können wir alles Übrige veranlassen.«

Bischof Britmund machte eine leicht spöttische Verbeugung zum Abt hin und tat, als hätte er das Wortgefecht genossen. Dann begab er sich mit Bruder Godomar zu den ihm zugewiesenen leeren Plätzen. Fidelma bemerkte, dass Schwester Gisa aufgestanden war und die Aufmerksamkeit des Verwalters auf sich zu lenken versuchte. Er kam zu ihr, und sie reichte ihm ein Papier. Der Verwalter las es, rügte sie barsch und ging zum Abt. Der warf einen Blick darauf, und sein Gesicht verfinsterte sich. Mit einer heftigen Handbewegung bedeutete Bruder Wulfila dem Mädchen, sich wieder zu setzen.

Während der Abt angelegentlich mit Magister Ado flüsterte, nutzte Fidelma die Gelegenheit, sich an den Ehrwürdigen Ionas zu wenden. »Wer ist dieser Bischof Britmund?« Zwar hatte sie den Namen schon zuvor gehört, wusste aber nicht mehr, in welchem Zusammenhang.

»Er ist Arianer, ein Anhänger des Arius, und ein Feind unserer Abtei«, erläuterte der Gelehrte; er machte einen sichtlich besorgten Eindruck. »Er ist Bischof von Placentia, einer Stadt jenseits des Tales am großen Fluss Padus. Er und unser Abt sind geradezu eingeschworene Feinde. Viele unserer Brüder hat man überfallen, als sie versuchten, in Placentia zu predigen.«

»Auch Bruder Ruadán?«

»Auch Bruder Ruadán.«

Jetzt wandte sich Abt Servillius an den Ehrwürdigen Ionas, wechselte hastig und ernst einige Worte mit ihm, erhob sich dann, ging zu Freifrau Gunora und raunte auch ihr einiges zu. Als Nächstes kam er zu Bruder Wulfila, der sich ehrfürchtig erhob. Fidelma konnte hinter ihrem Rücken ihr Getuschel hören.

»Sieh zu, dass du für den Bischof und seine Begleitung eine Unterkunft findest. Egal wo, aber nicht im Gästehaus.«

»Nicht im Gästehaus?«

»Es scheint geraten, den Bischof und seinen Begleiter so weit wie möglich von Freifrau Gunora und ihrem Schützling entfernt zu halten.«

»In Ordnung, Vater Abt. Ich werde sie im Westturm unterbringen.« Der Verwalter ließ sein Essen stehen und eilte unverzüglich aus dem refectorium, um seiner Aufgabe nachzukommen. Bischof Britmund hatte den Abt nicht aus dem Auge gelassen und seine Absprachen aus der Entfernung nicht ohne Hohn verfolgt. Fidelma beugte sich zum Ehrwürdigen Ionas.

»Hat dieser Bischof Britmund bei den Verletzungen, die Bruder Ruadán erlitten hat, seine Hand mit im Spiele gehabt?«

»Nicht direkt. Britmund ist ein Mann, der vor allem mit Wortgewalt gegen die zu Felde zieht, die sich an das Glaubensbekenntnis von Nicäa halten. Damit schürt er das Feuer in den Köpfen und überlässt anderen den Rest.«

»Der Abt befürchtet offensichtlich, er könnte dem jungen Prinzen Schaden zufügen.«

»Das könnte durchaus sein«, gab der Ehrwürdige Ionas zögernd zu.

»Der Junge ist doch aber der Sohn auch seines Königs!« Fidelma hielt die Vorstellung für absurd.

»Es geht das Gerücht um, Bischof Britmund würde Perctarit, Grimoalds Feind, unterstützen.«

»Dann glaubst du also, er ist in Wirklichkeit nicht hier, um Fragen des Glaubens zu erörtern?«

Der Gelehrte lächelte traurig. »Genau das befürchte ich. Ich glaube, er wollte nur in Erfahrung bringen, ob der Prinz hier tatsächlich Schutz und Zuflucht gefunden hat.«

»Daraus würde sich aber ergeben, dass Seigneur Radoald da irgendwie mit drinsteckt.« Fidelma dachte an die Begegnung, deren Zeuge sie in der Nacht auf Radoalds Festung geworden war. »Es ist doch seltsam, dass man den Abt nicht zuvor von diesem Treffen verständigt hat, zu dem Bischof Britmund eigens geladen wurde.«

Der Ehrwürdige Ionas nickte. »Er hätte davon erfahren müssen. Augenscheinlich hatte Seigneur Radoald ihm eine diesbezügliche Notiz geschrieben, die er Schwester Gisa anvertraut hatte mit dem Auftrag, sie ihm zu übergeben. Leider hat sie versäumt, das zu tun, erst Britmunds Eintreffen hier hat sie wieder daran erinnert. Eine Unterlassungssünde, die nicht ungestraft bleiben wird. Auf Radoald ist Verlass. Seine Familie hat stets Grimoald und unsere Abtei nach Kräften unterstützt. Radoald selbst ist erst seit einigen Jahren Seigneur von Trebbia. In Grimoalds Kriegen zog er gemeinsam mit seinem Vater, Seigneur Billo, aus, um zu kämpfen. Sein Vater kehrte nicht mehr zurück, und so wurde Radoald hier der Landesherr. Billo zu verlieren, war für uns ein herber Schicksalsschlag. Er war ein äußerst kultivierter Mann, belesen und musikalisch. Wie auch immer, der junge Radoald ist bestrebt, dem Tal ein ebenso guter Herrscher wie sein Vater zu sein.«

Fidelma überlegte kurz. »Der Bischof hat mit einer merkwürdigen Genugtuung die Anwesenheit von Magister Ado in der Abtei wahrgenommen,« bemerkte sie dann.

»Magister Ado zählt nicht gerade zu seinen Freunden«, entgegnete der Ehrwürdige Ionas. »Grund genug für uns und die Klostergemeinde, vor dem Wolf im Bischofsgewand auf der Hut zu sein.«

Abt Servillius hatte den letzten Teil ihrer Unterhaltung mitgehört und mischte sich mit ernstem Lächeln ein. »Es gibt viele Dinge, die ich Britmund zutrauen würde. Er ist ein Fanatiker. Wiederum schürt er nur mit Worten Hass und Gewalt – nie würde er sich zu tätlicher Gewalt hinreißen lassen. Zumindest sind wir vorgewarnt und werden die unliebsamen Gäste nicht aus den Augen lassen.«

Fidelma schaute zu Bischof Britmund und seinem Begleiter hinüber, die ungeachtet der Unruhe, die sie verbreitet hatten, mit herzhaftem Appetit dem Essen zusprachen. Auch sie machte sich daran, ihr Mahl zu beenden. Als sie so weit war, tauchte Bruder Wulfila wieder auf. Er ging zum Abt, und sie hörte ihn leise sagen: »Es ist alles erledigt, Vater Abt. Für den Bischof wurde ein Gemach hergerichtet, und sein Begleiter kann sich im Hauptschlafsaal zur Ruhe betten.«

»Und …?« Der Abt sah ihn erwartungsvoll an.

»Ich habe dafür Sorge getragen, dass der Bischof und seine Begleitung weit genug von Freifrau Gunora und dem Prinzen untergebracht sind. Darüber hinaus werden Bruder Bladulf und ich die Nacht über vor ihrem Zimmer abwechselnd Wache halten.«

»Gut. Gottes Segen sei mit dir«, murmelte der Abt.

Bruder Wulfila eilte fort, und Fidelma blickte ihm mit sorgenvollem Gesicht hinterher. Der Ehrwürdige Ionas war bemüht, ihre Bedenken zu zerstreuen. »Bruder Wulfila ist ein guter Mann, auch wenn er erst seit kurzem bei uns ist. Er hat früher im Heer gedient und kann sich immer noch nicht von der soldatischen Denkweise lösen, aber vielleicht kommt ihm die sogar in seinem Amt als Verwalter der Abtei zugute.«

»Es klingt bedrohlich«, meinte Fidelma.

»Du bist fremd hier, Prinzessin, und mit den hiesigen Gegebenheiten nicht vertraut. Abt Servillius ist gegenüber dem König, dem Vater des Prinzen, für die Sicherheit des Knaben verantwortlich.«

»Ihr nehmt also die Bedrohung sehr ernst?«, hakte sie nach.

»Wir müssen auf alles gefasst sein«, erwiderte der Gelehrte.

Ohne jede Zeremonie stand der Abt auf und erhob die Hand. Die Mönche verstummten. Abt Servillius erklärte das Mahl für beendet, ein zweimaliges Läuten der Glocke bekräftigte seine Worte.

An sich erwartete man von Fidelma, dass sie die frommen Brüder in die Kapelle zur Abendandacht begleitete. Sie zögerte ein wenig, weil es vielleicht der ideale Zeitpunkt gewesen wäre, Bruder Ruadán ein weiteres Mal aufzusuchen und mit ihm ungestört ohne die Anwesenheit von Bruder Hnikar zu sprechen. Zu gern hätte sie herausgefunden, was er mit seiner Warnung vor dem Bösen gemeint und warum er sie inständig gebeten hatte, die Abtei so rasch wie möglich zu verlassen. Aber man würde ihr Fehlen sofort bemerken und sich darüber Gedanken machen. Zudem gesellte sich Schwester Gisa zu ihr und wollte sie unbedingt zu dem Teil der Kapelle führen, der den Schwestern der Gemeinschaft zugewiesen war. Das Mädchen war sichtlich bedrückt, dass ihr ihre Vergesslichkeit einen so bösen Streich gespielt hatte.

»Ich hatte den Zettel in meinem marsupium«, jammerte sie, »und ich wollte ihn auch unverzüglich übergeben, aber Bruder Wulfila hat mich völlig durcheinandergebracht, als er mich gleich am Einlasstor entließ, und da ist mir die Sache entfallen – bis vorhin eben.«

Fidelma war bemüht, sie mit Fragen über die Kapelle etwas abzulenken. Als sie dann Platz genommen hatte, fiel ihr auf, dass Freifrau Gunora und ihr Schützling nicht anwesend waren. Hingegen sah sie Bischof Britmund, der sich gleichfalls angelegentlich umschaute, als versuchte er, die beiden ausfindig zu machen.

Der eigentliche Ablauf der Andacht war für Fidelma befremdlich. Sie hatte geglaubt, in der berühmten Abtei einige der Riten und Gepflogenheiten, mit denen sie von Haus aus vertraut war, zu erleben. Schließlich war es Columbanus gewesen, der die Abtei begründet hatte, und sie war davon ausgegangen, dass er sich an die Gepflogenheiten gehalten hatte, die ihm von den Fünf Königreichen her vertraut waren. Doch schon bald wurde sie daran erinnert, dass er es mehr mit dem Bußsakrament hielt. Von den Regeln und Vorschriften ihres eigenen Landes war keine Spur. Außerdem hatte ja Magister Ado davon gesprochen, dass die Abtei sich den Benediktinischen Regeln angeschlossen hatte.

Auch andere Unterschiede wurden deutlich. So stand der Abt beim Zelebrieren des Gottesdienstes vor dem Altar und nicht dahinter, und die Liturgie wurde in dem zu der Zeit geläufigen Latein abgehalten und nicht in Griechisch, der ursprünglichen Sprache der Evangelien. Weiterhin war auffällig, dass der Abt eine Mitra aufhatte, einen zeremoniellen Kopfschmuck, dessen Name sich aus dem Griechischen herleitete und den man in den Kirchen in Hibernia nicht trug. Dort setzten sich Äbte und Bischöfe Kronen auf, wenngleich auch sie einen Hirtenstab, die cambutta, trugen. Später erfuhr sie von Schwester Gisa, dass Papst Theodor vor vielen Jahren die Äbte von Bobium als Bischöfe anerkannt und ihnen so unter den Kirchenführern zu Macht verholfen hatte. Kein Wunder also, dass Abt Servillius für das selbstherrliche Auftreten von Bischof Britmund nur Verachtung zeigte.

In den meisten Kirchen und Abteien Hibernias wurde die Messe nicht täglich gelesen, im Allgemeinen nur sonntags, und auch dann eher zum Tagesanbruch als zu einer anderen Zeit. All diese Dinge gingen Fidelma durch den Kopf, und je mehr sie darüber nachdachte, desto fremder fühlte sie sich – eine Fremde in einem fremden Land. Sie vermisste jegliche Zugehörigkeit; noch nie war sie sich so verloren vorgekommen, selbst im Königreich der Angeln nicht oder in der Zeit, als sie in Rom war. Natürlich empfand man immer ein gewisses Heimweh, aber das hier war etwas anderes, es versetzte sie in eine düstere Stimmung, und sie wünschte sich fort von hier.

Überrascht gestand sie sich ein, dass ihr Bruder Eadulf, der angelsächsische Mönch, fehlte, sein Sinn für Humor und seine stets sachdienlichen Kommentare. Mit einem leisen Lächeln dachte sie daran, wie er sich gegen das »angelsächsisch« wehren würde; er hielt sich für einen aus dem Stamm der Angeln und nicht der Sachsen, kam er doch aus dem Land des Südvolks aus Seaxmund’s Ham. In ihren Augen waren beide, die Angeln und die Sachsen, Sasanach, eben Sachsen. Für Eadulf hingegen war es ein Unterschied, und er wies immer darauf hin, dass die verschiedenen Königreiche, die auf der britannischen Insel entstanden waren, just von diesen Unterschieden geprägt waren und dass Angeln und Sachsen sich oft genug kriegerisch gegenüberstanden.

Fidelma wollte es nicht gelingen, das befremdliche Gefühl des Isoliertseins abzuschütteln. Erst die Worte des Abts »Ite, missa est«, die das Ende der abendlichen Andacht verkündeten, rissen sie aus ihren Träumereien.

Zusammen mit Schwester Gisa verließ sie die Kapelle. Sie kamen an Bischof Britmund und Bruder Godomar, seinem Gefährten, vorbei. Die schwarzen Murmelaugen des Bischofs hefteten sich auf sie, doch wie sie merkte, galt der strenge Blick mehr Schwester Gisa als ihr. Das Mädchen fing auch gleich an zu zittern und sagte nur rasch: »Verzeih, Schwester Fidelma, aber auf mich warten noch Pflichten. Ich wünsche dir eine gute Nacht.« Und schon drehte sie sich um, eilte über den Hof und verschwand durch die Tore der Abtei. Der Bischof aber hatte bereits den Ehrwürdigen Ionas abgefangen, und man hörte sie nicht gerade freundlich miteinander reden. Aus dem ungehaltenen Ton schlussfolgerte Fidelma, dass das Streitgespräch seinen Fortgang nahm.

Langsam wurde ihr klar, dass mit dem Moment, da sie die Abtei betreten hatte, immer die unterschwellige Drohung von Unheil gegenwärtig war, ohne dass sie sie auf irgendetwas Konkretes hätte zurückführen können. In ihrer Tätigkeit als dálaigh, Anwältin bei den Gerichten der Fünf Königreiche, war sie oft genug Bösem begegnet, nie aber hatte sich ihrer ein so banges Gefühl bemächtigt wie hier. Durch beharrliches Wirken in der Rechtspflege hatte sie den Titel eines anruth erworben, den zweithöchsten Grad, den weltliche und geistliche Hohe Schulen in Irland vergeben konnten, und hatte es in dieser Eigenschaft mit bizarren Morden und Verbrechen zu tun gehabt, die sie immer hatte aufklären können, wenn auch manchmal unter lebensbedrohlichen Umständen. Acht Jahre lang hatte sie in Tara an der Schule von Brehon Morann studiert, und nichts hatte sie mehr beglückt, als mit der Klärung mysteriöser Vorgänge betraut zu werden. Aber jetzt – jetzt war sie sich unsicher, wo das Unheilvolle lauerte und zu suchen war. Drohte aus der bloßen Existenz zweier Lager, die sich nicht einigen konnten, ob Gott als Wesenseinheit oder Dreieinigkeit zu verstehen sei, tatsächlich Gewalt?

Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, so bewegte sie die Frage als solche nicht gerade leidenschaftlich, wie es ihr auch ähnlich mit ihrer Haltung zur Religion ging. Wirkliche Leidenschaft hegte Fidelma für Recht und Gesetz, für die Prinzipien der Gerechtigkeit. Weshalb war sie dann überhaupt Nonne geworden? Sie hätte einfach die Tochter von Failbe Flann, König von Muman, sein können, doch ihr Vater starb, als sie noch ein kleines Kind war, und die Königswürde war ihrem Vetter zugesprochen worden. In ihrem Land ergab sich das Königtum sowohl aus der Wahl als auch aus der Blutsverwandtschaft des vorangegangenen Königs. Das erklärte, warum Colgú, ihr Bruder, zunächst gesetzlicher Thronnachfolger und nicht König war. Deshalb hatte sie sich entschieden, ihren eigenen Weg zu gehen und ihre Begabungen dem Rechtswesen zu widmen; ein Amt von ihrem Vetter zu erbitten, war für sie nicht in Frage gekommen.

Ein älterer Vetter, Laisran, Abt von Darú, hatte ihr nahegelegt, in die Abtei Cill Dara, die Abtei der heiligen Brigit, einzutreten, wie es viele, die höhere Bildung genossen hatten, damals taten. Die Gemeinschaft dort brauchte einen Rechtskundigen. Sie war dem Rat gefolgt und hatte es gar bald bereut. Nicht lange, und sie verließ die Abtei und übernahm Aufträge für die Kirchenoberen der Fünf Königreiche, die sich gern ihrer Talente bedienten. Der letzte Auftrag hatte sie nach Rom geführt, wo sie für eine Abteiregel die Zustimmung des Heiligen Vaters einholen sollte. Von dort hatte es sie hierher nach Bobium verschlagen. Bei ihren Reisen hatte sie vor allem auf dem Konzil der Angeln in Streonshalh erlebt, mit welcher Erbitterung in Glaubensdingen gestritten wurde. Dort hatte es zwischen Anhängern der Regeln von Rom und denen, die die Regel von Colm Cille beibehalten wollten, eine heftige Debatte gegeben. Dort war sie auch zum ersten Mal Eadulf begegnet.

Sie presste die Lippen zusammen. Warum kam ihr eigentlich immer wieder Eadulf in den Sinn? Er bekannte sich zu den Regeln von Rom. Im Grunde genommen störte sie das nicht, auch wenn sie in einem anderen Glauben aufgewachsen war. Doch irgendwie ließ ihr die Sache keine Ruhe. Wer in dem Glaubensstreit nun recht hatte oder nicht, berührte sie weniger. Die einen glaubten halt an den alleinigen Gott, der den Sohn und den Heiligen Geist erschuf, und die anderen glaubten an die Dreieinigkeit Gottes. Bitteschön, warum nicht? Wegen unterschiedlicher Auffassungen musste man sich nicht gegenseitig umbringen.

Sie fing plötzlich an zu frieren. Es war spät geworden, und sie hatte, völlig in Gedanken versunken, im Hof auf einer Steinbank gesessen. Fast ein wenig schuldbewusst schaute sie sich um. Man hatte etliche Fackeln angezündet, um den Hof zu erhellen, aber der war menschenleer. Sie hatte doch eigentlich Bruder Ruadán aufsuchen wollen. Würde sie den Weg zu seinem Krankenlager wiederfinden? Wahrscheinlich nur von ihrer eigenen Kammer aus.

Kurz entschlossen eilte sie durch die Gänge und die Stufen hinauf, die zu den Räumen im Gästehaus führten, blieb vor ihrer eigenen Tür stehen, atmete tief durch und ging weiter. Sie hatte etwa die Hälfte des dunklen Ganges hinter sich gebracht, als sich rechts neben ihr eine Tür öffnete. Ein Verbergen war unmöglich, denn das Licht aus dem Zimmer fiel unmittelbar auf sie.

Fast gleichzeitig hörte sie von weiter vorn im Gang jemand rufen: »Wer ist da? Ist alles in Ordnung?«

Sie erkannte Bruder Wulfila, der mit einer Lampe in der Hand aus dem Dunkel auftauchte. Sie hatte völlig vergessen, dass er und der Torhüter vor dem Zimmerr von Freifrau Gunora Wache halten wollten.

»Ja. Kein Grund zur Beunruhigung«, hallte die Stimme der Adligen Gunora unmittelbar über Fidelmas Kopf hinweg. Der Verwalter wandte sich wieder ab und kehrte an seinen Posten am Ende des Ganges zurück. Erleichtert atmete Fidelma auf, denn wäre sie bis nach vorn gegangen, wäre sie in Erklärungsnöte geraten.

»Schwester Fidelma – oder sollte ich besser Prinzessin Fidelma sagen? Ich möchte mit dir sprechen.« Im Türrahmen hinter ihr stand Freifrau Gunora.

Fidelma verneigte sich andeutungsweise vor der langobardischen Adligen. »Fidelma genügt«, erklärte sie freundlich lächelnd.

Die Frau warf einen prüfenden Blick nach beiden Seiten des Ganges. »Komm einen Moment herein, damit wir Bruder Wulfila nicht wieder aufscheuchen. Der Abt hält große Stücke auf ihn. Er gehörte zu den Kriegern im Kampf gegen Perctarit und nimmt seine Aufgabe als Wächter sehr ernst.«

Fidelma blieb nichts anderes übrig, als in das Gemach einzutreten. In einem Bett in einer Ecke lag der junge Prinz Romuald und schlief fest. In einer anderen Ecke stand ein weiteres Bett, vermutlich das für Gunora, war aber noch völlig unberührt.

»Kann ich dir irgendwie helfen, edle Dame?« fragte Fidelma leise.

Die Angeredete antwortete nicht sogleich, als müsse sie erst überlegen, wie sie das, was sie auf dem Herzen hatte, am besten zum Ausdruck brachte. »Ich wollte dich nur warnen, Fidelma. Du bist die Tochter eines Königs, und wir aus adligem Geblüt sind einander verpflichtet.«

Fidelma schaute sie überrascht an. »Mich warnen?«

»Du gehörst nicht zu denen hier, Prinzessin. Du solltest das Tal so rasch wie möglich verlassen.«

»Ich verstehe nicht recht. Was die Zugehörigkeit betrifft, so haben meine Landsleute diese Abtei gegründet. Ich bin in erster Linie wegen meines guten Freundes und Mentors, Bruder Ruadán, hier. Er ist hochbetagt und wird, wie man mir sagte, nicht mehr lange auf dieser Welt weilen. Ich werde abreisen, wenn ich es für richtig halte.«

Freifrau Gunora faltete die Hände und versicherte ihr betrübt: »Ich wollte dich nicht verletzen. Aber ich fürchte den heraufziehenden Sturm, der alles hinwegfegen könnte – diese Abtei, das Tal … einfach alles.«

»Ich verstehe immer noch nicht.«

»Es hat in den letzten Jahren in den Bergen und Tälern hier viel Blutvergießen gegeben. Sein Vater« – sie nickte zum schlafenden Romuald hinüber –, »ist kein schlechter König, aber auf seinem Weg zur Macht ist viel Blut geflossen. Gegenwärtig hält er sich im Süden des Landes auf, um unsere Feinde dort zu bändigen. Wie wir hören, ist der frühere Mitkönig Perctarit aus dem Frankenreich über die großen Berge zurückgekehrt und sinnt auf Rache.«

»Magister Ado und andere haben mir davon berichtet«, bestätigte Fidelma.

Freifrau Gunora lächelte kurz. »Magister Ado? Viel Gutes wird über ihn gesagt. Aber traue niemandem. Nicht dem Abt, nicht Ado, auch nicht Ionas. Überall lauert hier Böses, Prinzessin. Und davor wollte ich dich warnen, dich inständig bitten, umgehend abzureisen.«

Fidelma schwieg einen Moment. Was die Frau ihr offenbarte, war mehr oder weniger das, was auch der arme Bruder Ruadán gesagt hatte. Sie musste dahinterkommen, was hier wirklich vor sich ging.

»Kennst du Bruder Ruadán?«, fragte sie unvermittelt.

Gunora nickte. »Die meisten von hier und bis Placentia kennen ihn, denn trotz seines Alters ist er viel umhergewandert, um den wahren Glauben zu verkünden.«

»Du bist also keine Anhängerin des Arius?«

»Du weißt von dieser Zwietracht?« Wieder blickte sie zu dem schlafenden Knaben. »Sein Vater, Grimoald, glaubt an die Lehre, die Arius aus Alexandria vertritt. Er hat aber eine Frau geheiratet, die zu dem Glaubensbekenntnis von Nicäa und zu der Autorität des Heiligen Vaters in Rom steht. Grimoald regiert mit liberaler Hand. Unter seiner Regentschaft bleibt es jedem Einzelnen überlassen, welchem Glauben er folgt. Es wäre für den Jungen gut, wenn er nicht in die Hände von Perctarit fällt.«

»Du befürchtest, dass die Arianer, wenn sie des Knaben habhaft werden, ihn Perctarit ausliefern? Was hat das für einen Sinn, wenn sein Vater selbst ein Anhänger ihres Glaubens ist.«

»Ich weiß, Prinzessin. Aber Religion hat damit nichts zu tun. Es geht hier nur um Macht. Britmund und sein Lakai Godomar sind zu allem imstande, wenn sie nur Perctarit gefällig sein können und so seine Gunst erwerben. Grimoald hat bereits erklärt, er werde weder die eine noch die andere Seite in diesem theologischen Streit unterstützen. Hüte dich vor Bischof Britmund. Er ist von Ehrgeiz besessen.«

»Aber er ist doch ein Mann des Glaubens und hat geschworen, Christus zu folgen, das heißt, Frieden zu halten.«

Gunora lachte böse auf, und Fidelma erschrak.

»Frieden? Ich frage mich oft, wieso wir nichts mehr von den alten Göttern und Göttinnen wissen wollen. Hat nicht Christus, wie es bei Matthäus heißt, selbst gesagt: ›Ihr sollt nicht wähnen, dass ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, den Menschen zu erregen wider seinen Vater und die Tochter wider ihre Mutter und die Schwiegertochter wider ihre Schwiegermutter. … Wer Vater oder Mutter mehr liebt denn mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt denn mich, der ist meiner nicht wert.‹ Frieden? Sind das die Worte eines Friedensstifters? Das sind Worte, die Männer wie Britmund in die Welt schreien und damit Menschen aufhetzen, gegeneinander zu kämpfen.«

Fidelma zögerte. Diese Bibelstelle war ihr bislang nicht bewusst gewesen, und sie nahm sich vor, den Text bei Gelegenheit zu überprüfen.

»Fühlst du dich hier nicht sicher?«, fragte sie

»Ich fürchte um den Prinzen. Seine Mutter hat ihn mir überantwortet, als sie ihn zurückließ, um Grimoald im Süden beizustehen. Ich fürchte um seine Sicherheit, denn ich fühle den blutrünstigen Sturm nahen. Ich wollte dich wirklich nur warnen, Fidelma aus Hibernia, verlasse diesen Ort, so rasch du kannst.«

Arg verstimmt fand sich Fidelma draußen im Gang wieder. Sie hatte das Gefühl, dass sie jedermann warnen wollte. Doch sie war aus gutem Grund hier, vielleicht würde das Anliegen, das sie verfolgte, der Schlüssel zu ihren Fragen sein. Sie spähte in den Gang. An seinem Ende saß Bruder Wulfila auf einem Schemel, die flackernde Laterne zu seinen Füßen. Er hatte die Hände vor dem Bauch gefaltet, der Kopf sackte schläfrig herab. Selbst wenn er fest schlief, würde sie nicht unbemerkt an ihm vorbeikommen. Verärgert presste sie die Lippen zusammen und überlegte. Ihr Vorhaben ließ sich jetzt nicht verwirklichen. Sie würde bis zum Morgengrauen warten müssen in der Hoffnung, dass Bruder Wulfila seinen Wachposten einigermaßen zeitig aufgab.

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