FÜNF

Sag mal, mag deine Mutter Fisch?«

»Nicht besonders, nein. Warum?«

»Ich denke über die Vorspeise nach. Und ich überlege, ob Balik-Lachs mit Blinis und Crème fraîche gut wäre. Schmeckt super, und man kann es ganz einfach vorbereiten. Noch ein Löffelchen Kaviar, fertig!«

Carolin schüttelt sich.

»Brrr, Fischeier, wie eklig. Nee, selbst wenn meine Mutter das mögen sollte – mir wird schon beim Gedanken daran schlecht.«

Marc seufzt. Hm, ich finde auch, dass schon das Wort »Fischei« nicht besonders lecker klingt. Eben fischig. Da hätte ich ja gleich eine Katze werden können, wenn ich so etwas gerne fressen würde. Wie das wohl aussieht? Ich kann kaum glauben, dass etwas so Großes wie ein Ei in etwas so Kleines wie einen Fisch passt. Oder gibt es auch größere Exemplare als die Goldfische, die bei Luisas Oma im Glas herumschwimmen?

»Mann, ist das momentan schwierig mit dir. Ich hoffe, das gibt sich wieder und du bist irgendwann ganz die Alte.«

Carolin lacht.

»Keine Sorge – noch ein halbes Jahr, dann ist alles überstanden, und ich kann wieder essen, was ich will.«

WUFF! Wenn ich das gerade richtig verstanden habe, sind das die tollsten Nachrichten seit langem. Ach was, die schönsten Nachrichten überhaupt! Sensationelle Nachrichten! Caro ist zwar krank, aber nicht sterbenskrank, sondern in einem halben Jahr wieder gesund! Also hatte Beck tatsächlich Recht, und ich habe da etwas in den falschen Hals bekommen. Eigentlich hasse ich es, dass dieser fette Kater meist richtigliegt, aber in diesem Fall bin ich begeistert. Ich würde jubeln und singen, wenn ich es denn könnte. So belle ich nur kurz und laut.

»Siehst du, Herkules freut sich auch schon darauf, wieder mit der alten Carolin zusammenzuwohnen«, interpretiert Marc meinen Gefühlsausbruch halbwegs richtig.

»Das glaube ich. Als ich ihm neulich eine Dose aufgemacht habe, musste ich mich sogar übergeben. Schön war das nicht.«

»Okay, Dosenfutter scheidet als Vorspeise für unser Weihnachtsmenü demnach auch aus. Neuer Vorschlag: Gefüllte sizilianische Tomaten. Mit Kapern und schwarzen Oliven. Die Zutaten könnte ich noch ganz schnell morgen früh besorgen.« Marc schaut Carolin erwartungsvoll an.

Die schüttelt schon wieder den Kopf.

»Marc, es gibt einen ganz traditionellen Gänsebraten, dessen Hauptdarsteller Gustav Gans schon seit zwei Tagen auf unserem Balkon lagert. Da passt eine sommerliche, mediterrane Vorspeise doch gar nicht. Was ist denn mit einer Rinderkraftbrühe vorweg oder Feldsalat mit Speck? Das kannst du auch alles morgen besorgen.«

»Langweilig ist das. Du weißt doch, wie gerne ich koche. Und gerade, wenn es das erste gemeinsame Weihnachten mit deinen Eltern und meiner Mutter ist, darf es ruhig etwas Besonderes sein.«

»Tja, und wahrscheinlich bist du nachher so gestresst, dass alles in die Hose geht, und dann war es auch das letzte gemeinsame Weihnachten. Marc, bitte mach nicht so eine Welle, sondern einfach eine Dose auf. Ich finde gerade alles anstrengend genug!« Carolin schaut sehr leidend, Marc legt den Arm um sie und zieht sie zu sich heran. Noch vor wenigen Minuten hätte mir das Angst gemacht, aber jetzt bin ich guter Dinge. Carolin wird wieder gesund, das ist alles, was für mich gerade zählt. Meinetwegen soll sie sich ein bisschen schonen, der Rest kommt schon von selbst.

»Mein armes Spatzl. Ich verspreche dir, du musst dich um nichts kümmern. Du kannst die ganze Zeit die Füße hochlegen, dich schonen und dich auf ein tolles Weihnachten freuen. Dafür werde ich sorgen, Ehrenwort!«

»Ich weiß nicht. Ich bin mir mittlerweile nicht mehr sicher, ob das mit dem großen Elterntreffen so eine gute Idee war.«

»Doch, war es bestimmt. Du wirst sehen, es wird ein tolles Fest.«

Die beiden küssen sich, und ich beschließe, dass ich mir nun auch ein paar Streicheleinheiten verdient habe. Ich schiebe meine Nase zwischen Marc und Caro.

»Herkules, du sollst doch nicht betteln!«

Wieso betteln? Ich will kuscheln, und zwar pronto! Okay, wir befinden uns in der Küche, und tatsächlich hatte sich Marc gerade ein Brot geschmiert, aber eigentlich bettle ich nur bei Menschen, die diesbezüglich ein gutes Herz haben. Dazu zählt Marc eindeutig nicht, auch wenn er ansonsten ein nettes Herrchen ist, der alte Schlankheitsfanatiker!

»Nun sei doch nicht so streng mit ihm und gib ihm ein Eckchen ab. Du weißt schon, Fest der Liebe und so!«

Marc rollt mit den Augen, lässt sich aber erweichen.

»Na gut. Weil Weihnachten ist« Dann hält er mir das Stückchen vor die Nase. Lecker! Schinken! Schnell schnappe ich zu, nicht, dass er sich das noch anders überlegt. Irgendetwas muss doch dran sein an der Liebe in diesen Tagen, wenn Marc alle Erziehungsprinzipien mich betreffend über Bord wirft.

»Aber jetzt mal im Ernst: Ich gelobe, dass ich mich alleine um ein schönes Dreigangmenü kümmern werde, dass Gustav eine sehr knusprige Gans sein wird – und dass ich vorher meine Mutter einnorde, damit sie nicht allen auf den Keks geht.«

Carolin nickt.

»Ja. Der letzte Punkt – nimm’s mir nicht übel – scheint mir der wichtigste zu sein.«

Marc lacht.

»Das nehme ich dir nicht übel, Spatzl. Ich kenne meine Mutter. Sie meint es immer gut, aber das Gegenteil von gut ist eben gut gemeint.«

Dieser Spruch könnte nun wieder von Herrn Beck stammen. Ein bisschen bösartig. Etwas gut zu meinen ist doch schön! Die meisten Menschen bringen meiner Meinung nach viel zu wenig guten Willen mit. Ständig mäkeln sie an allem und jedem herum, anstatt ihr Leben, das sie schließlich selbst in der Hand haben, zu genießen. Mecker, mecker, mecker. Genau wie jetzt: Ich bin mir sicher, hier leichte Kritik an Marcs Mutter herauszuhören. Dabei ist Hedwig Wagner eine herzensgute Frau, und im Gegensatz zu ihrem Sohn hat sie ein sehr entspanntes Verhältnis zur Fütterung von Haustieren. Im letzten Sommer hat sie Marc eine ganze Zeitlang in der Praxis geholfen. Danach hatte ich einen kleinen Tick zugenommen. Oder, wie Herr Beck es ausdrückte: Ich sah aus wie eine Wurst auf vier Beinen. Stichwort: bösartig. Also, wenn Oma Hedwig kommt, wird Weihnachten auch für mich als Hund eine kulinarische Offenbarung! Über die restlichen Auswirkungen ihres Besuchs maße ich mir kein Urteil an.

»Und als Zeichen meiner Umsicht und meines guten Willens habe ich meine Mutter bereits davon abgebracht, morgen schon zum Frühstück hier aufzuschlagen. Sie wollte helfen, ich habe ihr gesagt, dass das nicht nötig ist.«

»Gut so!«

»Wann kommen deine Eltern eigentlich?«, will Marc von Carolin wissen.

»Die haben sich schon für das Krippenspiel angekündigt. Wenn Luisa die Maria spielt, wollen sie natürlich dabei sein.«

Marc lächelt.

»Die stolzen Quasi-Großeltern! Das freut mich. Überhaupt finde ich deine Eltern ziemlich nett.«

»Na, Hauptsache, mein Vater fängt nicht wieder mit den bedeutendsten Fällen seiner Strafverteidigerkarriere an.«

»Och, warum nicht? Meine Mutter würde an seinen Lippen hängen. Die liest ja auch Kriminalromane, und bei deinem Vater klingt alles mindestens so dramatisch.«

Carolin nickt.

»Ja, das liegt daran, dass es sich bei seinen Erzählungen in der Regel auch um reine Fiktion handelt. Oder zumindest um starke Übertreibung. Wie dem auch sei – ich glaube, sie kommen um drei. Ich habe ihnen gesagt, dass die Kirche ziemlich voll sein wird und man keinen Fehler macht, eine halbe Stunde vor Spielbeginn da zu sein. Wenn sie eingetrudelt sind, solltet ihr alle um halb vier schon rübergehen.«

»Wieso ihr? Kommst du nicht mit?«

»Doch. Aber als gute Patchworkmutti bin ich natürlich schon eine Stunde vorher zur letzten Kostümanprobe dabei. Ich muss mich um die Heiligen Drei Könige kümmern, Balthasar hat sich beide Arme gebrochen und braucht eine besondere Konstruktion, um die Myrrhe trotzdem möglichst elegant überreichen zu können.«

Krippe? Könige? Myrrhe? Was wird denn hier gespielt? Und apropos gespielt: Luisa spielt die Maria? Hä?

»Beide Arme? Gottogott. Na ja, und macht trotzdem noch mit, das nenne ich Einsatz! Ich hoffe nur, dass wir alle um fünf wieder zu Hause sind, denn um halb sechs kommt der Weihnachtsmann.«

»Schön, dass das doch noch klappt.«

»Jepp! Ich habe noch den perfekten Kandidaten gefunden. Er ist motiviert bis in die Haarspitzen, ich habe heute Vormittag mit ihm telefoniert. Das Goldene Buch hat er auch dabei, Knecht Ruprecht hat allerdings keine Zeit, ich werde also bei der Geschenkübergabe assistieren müssen.«

»Wer ist es denn?«

»Der echte Weihnachtsmann natürlich! Mehr wird nicht verraten.«

Carolin lehnt sich gegen Marc und seufzt.

»Ach, es ist zwar ein tierischer Stress und sehr aufregend, aber irgendwie freue ich mich doch auf morgen!«


In dieser Nacht kann ich kaum schlafen. Unruhig wälze ich mich in meinem Körbchen hin und her, stehe auf, laufe zum Flur, horche nach draußen, laufe wieder zurück und versuche doch noch mal, die Augen zu schließen. Aber das will mir einfach nicht gelingen, zu vieles geht mir durch meinen kleinen Dackelkopf. Etwa die Frage, ob es den Weihnachtsmann nicht etwa doch gibt. Immerhin war sich Beck da so sicher. Und Marc hat nun auch wieder behauptet, dass der echte Weihnachtsmann kommt. War das nur ein Spaß? Oder die Sache mit Maria und dem König. Was hat das alles zu bedeuten? Warum war Weihnachten in den letzten Jahren verglichen damit so komplett unspektakulär? Und was ist das überhaupt für eine ominöse Krankheit, an der Carolin leidet? Immerhin weiß sie jetzt schon, wann sie wieder gesund sein wird. Seltsam, seltsam. Während ich noch hin und her überlege, höre ich tapsige Schritte auf dem Gang. Luisa! Sie ist offenbar auch noch wach.

Schnell hüpfe ich wieder aus meinem Körbchen, sause raus aus der Küche und ab in den Flur. Tatsächlich, da steht Luisa. Als sie mich sieht, kommt sie und kniet sich neben mich.

»Na, Herkules? Kannst du auch nicht schlafen?«

Ich lecke ihr die Hände ab.

»Weihnachten ist immer so aufregend, nicht? Das spürst du bestimmt auch. Aber du wirst sehen, es ist auch richtig schön, ich freue mich schon so. Ich hoffe nur, dass ich meinen Text morgen nicht vergesse. Ich darf nämlich die Maria sein, weißt du? Eine große Ehre!«

Ich wünschte mal wieder, ich könnte sprechen. Die Frage Wer zum Kuckuck ist die Maria? lässt sich einfach nicht in ein Schwanzwedeln verpacken. Wahrscheinlich werde ich es nie erfahren. Jaul!

»Hast du Hunger?«

Nein. Ausnahmsweise mal nicht.

»Möchtest du ein Stück Wurst?«

Na ja. Vielleicht nicht Hunger. Ein bisschen Appetit allerdings schon. Und jetzt wedle ich doch mit dem Schwanz.

»Ah, sehr gut, Herkules. Wir beide verstehen uns auch ohne Worte!«

Sie hat Recht: Das Gespräch zwischen Mensch und Tier wird manchmal einfach überbewertet, es geht auch prima ohne. Luisa begleitet mich zurück in die Küche und holt mir das versprochene Stück Wurst aus dem Kühlschrank. Dann geht sie zurück in ihr Bett und ich in mein Körbchen.


Als Marc frühmorgens in die Küche stolpert, um einen Kaffee zu kochen, habe ich anscheinend doch noch ganz gut geschlafen, jedenfalls fühle ich mich einigermaßen fit. Entschlossen, diesem offenbar wichtigen Tag die Stirn zu bieten. Und Vorsicht, Tag! Es ist die Stirn eines Jagdhundes!

Marc gähnt und wuschelt sich selbst durch die Haare.

»Morgen, Herkules! Bereit für die große Sause?«

Ich wedele mit dem Schwanz.

»Ah, sehr gut. Weißt du, manchmal würde ich gerne mit dir tauschen. Einfach mal ein Haustier sein. Sich um nichts kümmern müssen. Und von dem ganzen Stress so rein gar nichts mitbekommen. Sich also gar keinen Kopf machen. Na ja.«

Bitte? Der spinnt wohl! Wenn der wüsste, um was ich mir hier alles Gedanken mache. Einfach mal Haustier sein und sich um nichts kümmern – wenn ich das schon höre! Der macht sich offensichtlich überhaupt keine Vorstellung, wie oft ich ihn schon aus seinem eigenen Schlamassel gerettet habe. Wenn ich allein daran denke, wie er sich damals erst mit Nina verabredet hat, die daraufhin später sauer auf Caro war. Also, wenn ich da nicht entschieden und energisch eingegriffen hätte, dann wären Marc und Caro heute mit Sicherheit kein Paar. Oder die Geschichte mit seiner Exfrau. Ich sehe uns noch im Café Violetta sitzen, und sie versucht, sich an ihn ranzumachen. Nur gut, dass ich dabei war und …

Es klingelt an der Tür. Nanu? Das ist ja ungewöhnlich. Wenn es morgens noch dunkel ist, kommen hier eigentlich nie andere Menschen vorbei. Auch Marc scheint sich zu wundern. Jedenfalls guckt er kurz zu mir runter, zuckt dann mit den Schultern und verschwindet Richtung Wohnungstür. Ich renne natürlich hinterher. Vielleicht ist es ja der Weihnachtsmann!

Marc öffnet die Tür – und erstarrt.

»Mutter! Was machst du denn schon hier?«

Tatsächlich. Vor der Tür steht Hedwig Wagner.

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