12

»Rom - die größte Stadt der Welt«, sagte Marcus und schüttelte verwundert den Kopf, als sie die weite, gepflasterte Fläche des Forums betraten. Riesige Bronzestatuen blickten auf die kleine Gruppe herab, die ihre Pferde durch die geschäftigen Passanten lenkte.

»Man merkt erst wirklich, wie groß das alles ist, wenn man ganz nah dran ist«, meinte Cabera, dessen übliches Selbstvertrauen einen Dämpfer erhalten hatte. Die Pyramiden in Ägypten hatte er größer in Erinnerung, doch die Menschen dort schienen mit ihren Grabmälern immer nur in die Vergangenheit zu schauen. Hier waren die großen Bauten für die Lebenden bestimmt, und er spürte den Optimismus, der darin lag.

Auch Alexandria sah überwältigt aus, obwohl das zum Teil daran lag, wie sehr sich alles in den fünf Jahren verändert hatte, seit sie Gaius’ Vater für die Arbeit in der Küche gekauft hatte. Sie fragte sich, ob der Mann, dem ihre Mutter gehört hatte, immer noch irgendwo in der Stadt lebte, und schauderte, als sie sich an sein Gesicht erinnerte und daran, wie er sie behandelt hatte. Ihre Mutter war nie frei gewesen und als Sklavin gestorben, nachdem sie und einige andere in den Sklavenverschlägen unter einem der Verkaufshäuser Fieber bekommen hatten. Solche Seuchen kamen recht häufig vor; die großen Sklavenauktionshäuser waren gewohnt, jeden Monat einige Leichen für ein paar Münzen an die Aschenmacher zu verkaufen. Doch sie erinnerte sich daran, und in ihren Träumen drückte die wächserne Stille ihrer Mutter immer noch gegen ihre Arme. Sie schauderte erneut und schüttelte den Kopf, als wolle sie ihn so freibekommen.

Ich werde nicht als Sklavin sterben, dachte sie insgeheim, und Cabera drehte sich zu ihr um, als hätte er ihren Gedanken gehört. Er nickte und zwinkerte, und sie lächelte ihm zu. Er war auch einer, der nirgendwo richtig hinzugehören schien, ganz gleich, wo er sich befand.

Ich werde etwas Nützliches erlernen, damit ich Dinge herstellen und verkaufen kann, um mich dann später selbst freizukaufen, dachte sie und kümmerte sich nicht darum, dass die Pracht des Forums auch auf sie einen großen Eindruck machte. Wer würde an einem solchen Ort, der aussah, als sei er von Göttern errichtet worden, nicht ins Träumen geraten? Wenn man eine Hütte ansah, konnte man sich vorstellen, wie sie gebaut worden war, aber wer konnte sich vorstellen, wie diese Säulen errichtet worden waren? Alles strahlte und war unberührt von dem Dreck, an den sie sich erinnerte: enge schmutzige Straßen und hässliche Männer, die ihre Mutter stundenweise mieteten, während das Geld an den Besitzer des Hauses ging.

Auf dem Forum gab es weder Bettler noch Huren, nur wohlgekleidete, saubere Männer und Frauen, die kauften, verkauften, aßen und tranken und über Politik und Geld diskutierten. Auf jeder Seite sprangen dem Auge gewaltige Tempel aus prächtigem Stein entgegen; riesige, an beiden Enden vergoldete Säulen; große Bögen, die zu Ehren militärischer Triumphe errichtet worden waren. Hier schlug das wahre Herz des Imperiums. Jeder von ihnen spürte das. Hier herrschten Selbstsicherheit und Arroganz; während der größte Teil der Welt noch im Dreck lebte, verfügten diese Menschen hier über Macht und unglaublichen Reichtum.

Das einzige Anzeichen für die jüngsten Unruhen war die unübersehbare Anwesenheit grimmig dreinblickender Legionäre, die an jeder Ecke auf Posten standen und die Menge mit kalten Augen beobachteten.

»Das alles hier dient nur dazu, dass die Menschen sich klein vorkommen«, murmelte Renius. »Aber es wirkt überhaupt nicht so!«, fuhr Cabera fort und blickte sich staunend um. »Es erfüllt mich mit Stolz, dass der Mensch so etwas bauen kann. Was für ein wunderbares Geschlecht wir doch sind!«

Alexandria nickte schweigend. Dies hier war ein Beweis dafür, dass man alles erreichen konnte; vielleicht sogar die Freiheit.

Aus Hunderten von kleinen Läden rings um den Platz priesen kleine Jungen die Waren und Dienstleistungen ihrer Herren: Barbiere, Tischler, Fleischer, Steinmetze, Gold- und Silberschmiede, Töpfer, Mosaikmacher, Teppichweber - die Liste war endlos, ein tosendes Durcheinander aus Farben und Geräuschen.

»Das dort oben auf dem Kapitolshügel ist der Tempel des Jupiter. Nachdem wir bei deinem Onkel Marius waren, kommen wir hierher zurück und bringen ihm ein Opfer dar«, sagte Tubruk weltmännisch und lächelte in die Morgensonne. Er führte die Gruppe an und brachte sie mit erhobenem Arm zum Halten.

»Wartet. Der Weg dieses Mannes wird den unseren kreuzen. Er ist ein hoher Staatsbeamter und darf nicht aufgehalten werden.«

Die anderen hielten an.

»Woher weißt du, wer das ist?«, fragte Marcus.

»Siehst du den Mann neben ihm? Das ist ein Liktor, ein besonderer Bediensteter. Siehst du das Bündel auf seiner Schulter? Das sind hölzerne Ruten zum Auspeitschen und eine kleine Axt für Enthauptungen. Wenn, sagen wir mal, eines von unseren Pferden mit dem Magistrat zusammenprallen würde, könnte er auf der Stelle ein Todesurteil aussprechen. Er braucht dazu weder Zeugen noch Gesetze. Am besten geht man ihnen aus dem Weg, wo immer es möglich ist.«

Schweigend beobachteten sie, wie der Mann und sein Diener den Platz überquerten, anscheinend ohne sich der ihnen gewidmeten Aufmerksamkeit bewusst zu sein.

»Ein gefährlicher Ort für Unwissende«, flüsterte Cabera.

»Meiner Erfahrung nach ist das überall so«, knurrte Renius von hinten.

Jenseits des Forums kamen sie in kleinere Straßen, die nicht mehr der schnurgeraden Ausrichtung der Hauptstraßen folgten. Hier standen weniger Namen an den Kreuzungen. Die Häuser waren oft vier oder sogar fünf Stockwerke hoch, und vor allem Cabera bestaunte sie.

»Was für eine Aussicht sie dort haben müssen! Sind sie sehr teuer, diese obersten Häuser?« »Wohnungen nennt man das, und nein, das sind die billigsten. In dieser Höhe gibt es kein fließendes Wasser, und sie sind bei Feuer sehr gefährlich. Wenn im Erdgeschoss ein Brand ausbricht, kommen die ganz oben nur selten heraus. Siehst du, wie klein die Fenster dort oben sind? Das dient zum Schutz gegen Sonne und Regen, aber es bedeutet auch, dass man nicht herausspringen kann.«

Sie bahnten sich ihren Weg über die schweren Trittsteine, die, auf Lücke gelegt, die tiefer liegenden Straßen kreuzten. Ohne sie hätten anspruchsvolle Fußgänger in den schlammigen Dreck treten müssen, den Pferde und Esel hinterließen. Die Räder der Karren mussten einen genormten Abstand haben, damit sie durch die Lücken passten, und Cabera nickte vor sich hin, während er das Verfahren beobachtete.

»Das ist eine gut geplante Stadt«, sagte er. »Etwas Vergleichbares habe ich noch nie gesehen.« Tubruk lachte. »Es gibt nichts Vergleichbares. Man sagt, Karthago sei von ähnlicher Schönheit gewesen, aber wir haben es vor mehr als fünfzig Jahren zerstört und Salz auf dem Land verstreut, damit sie sich nie wieder gegen uns erhebt.«

»Du sprichst fast so, als wäre eine Stadt ein Lebewesen«, antwortete Cabera.

»Ist sie das denn nicht? Man kann das Leben spüren. Ich habe gespürt, wie sie mich willkommen hieß, als ich durch das Tor geritten bin. Das hier ist mein Zuhause, so wie es kein anderes Haus sein kann.«

Auch Gaius spürte das Leben um sich herum. Obwohl er nie innerhalb der Mauern gelebt hatte, war sie doch ebenso sehr seine Heimat wie die Tubruks, vielleicht sogar noch mehr, da er zur Nobilitas gehörte, als freier Mann in das großartigste Volk der Welt hineingeboren war. Mein Volk hat das gebaut, dachte er. Meine Vorfahren haben ihre Hände an diese Steine gelegt und sind auf diesen Straßen gegangen. Mein Vater hat vielleicht an dieser Ecke gestanden, und meine Mutter könnte in einem der Gärten aufgewachsen sein, auf die ich von der Hauptstraße aus nur einen flüchtigen Blick werfen kann.

Er hielt die Zügel entspannter. Cabera sah ihn an und lächelte, weil er den Stimmungsumschwung spüren konnte.

»Wir sind fast da«, sagte Tubruk. »Wenigstens liegt Marius’ Haus weitab von dem Gestank des Unrats auf den Straßen. Der fehlt mir nicht, das kann ich euch versichern.«

Sie bogen von der geschäftigen Straße ab und lenkten die Pferde einen steilen Hügel hinauf in eine ruhigere, sauberere Straße.

»Hier stehen die Häuser der Reichen und Mächtigen. Sie besitzen Güter auf dem Land, haben aber hier ihre Stadtvillen, in denen sie Gäste empfangen und Ränke schmieden können, um noch mehr Macht und Reichtum zu gewinnen«, fuhr Tubruk fort, wobei seine Stimme so ausdruckslos klang, dass Gaius ihn verwundert ansah. Die Häuser waren durch mehr als mannshohe eiserne Tore vor den Blicken der Öffentlichkeit geschützt. Jedes hatte eine Nummer und eine kleine Tür, durch die Fußgänger eintreten konnten. Tubruk erklärte ihnen, dass sie nur den kleinsten Teil der Anlagen sahen; die Gebäude erstreckten sich noch endlos nach hinten, mit privaten Bädern und Ställen und Innenhöfen, alles vor den gewöhnlichen Plebejern verborgen.

»In Rom legt man großen Wert auf Privatsphäre«, sagte Tubruk. »Vielleicht gehört das zum Stadtleben. Wenn man auf einem Landgut einfach so mal vorbeikommt, wird das mit Sicherheit kaum jemanden stören, aber hier muss man Termine machen und sich ankündigen und warten und warten, bis sie bereit sind, einen zu empfangen. So, das hier muss es sein. Ich melde dem Torwächter unsere Ankunft.«

»Dann verlasse ich euch hier«, sagte Renius. »Ich muss zu meinem eigenen Haus und nachsehen, ob es bei den Unruhen beschädigt worden ist.«

»Denk an die Ausgangssperre. Schließ die Tür hinter dir, wenn die Sonne untergeht, mein Freund. Sie bringen immer noch jeden um, der sich nach Einbruch der Dunkelheit auf den Straßen herumtreibt.«

Renius nickte. »Ich werde aufpassen.«

Er wendete sein Pferd, und Gaius legte ihm eine Hand auf den gesunden rechten Arm.

»Du willst uns doch nicht verlassen? Ich dachte .«

»Ich muss nach meinem Haus sehen. Außerdem muss ich eine Weile allein nachdenken. Ich bin noch nicht so weit, mich mit den anderen alten Männern zur Ruhe zu setzen; jetzt nicht mehr. Morgen bei Tagesanbruch komme ich zurück, um euch zu treffen und . auf jeden Fall bis morgen Früh bei Tagesanbruch.« Er lächelte und ritt davon.

Als er den Hügel hinuntertrabte, fiel Gaius wieder auf, wie dunkel sein Haar war, welche Energie seinen Körper erfüllte. Er drehte sich um und sah Cabera an, der die Achseln zuckte. »Torwächter!«, rief Tubruk. »Lass uns ein.«

Nach der Hitze in den Straßen Roms boten die kühlen Flure aus Stein, die nach hinten zum eigentlichen Anwesen führten, eine willkommene Abkühlung. Die Pferde und das Gepäck waren schnell fortgebracht worden, und die fünf Besucher wurden von einem älteren Sklaven in das erste Gebäude geführt.

Vor einer Tür aus goldfarbenem Holz blieben sie stehen. Ein Sklave öffnete sie, ehe er sie mit einer Handbewegung zum Eintreten aufforderte.

»Hier findest du alles, was du brauchst, Meister Gaius. Konsul Marius lässt dir Zeit, dich nach deiner Reise zu waschen und umzuziehen. Er erwartet dich nicht vor Sonnenuntergang, in drei Stunden, wenn ihr zu Abend essen werdet. Soll ich deinen Gefährten den Weg zu den Gesindekammern zeigen?«

»Nein. Sie bleiben bei mir.«

»Wie du wünschst, Herr. Soll ich das Mädchen zu den Sklavenunterkünften bringen?«

Gaius nickte langsam und dachte dabei nach.

»Behandle sie gut. Sie ist eine Freundin meines Hauses.«

»Aber natürlich, Herr«, erwiderte der Mann und gab Alexandria ein Zeichen.

Sie warf Gaius einen Blick zu, und der Ausdruck in ihren dunklen Augen war nicht zu deuten. Ohne ein weiteres Wort ging der stille kleine Mann davon. Seine Sandalen machten auf dem Steinfußboden keine Geräusche. Die Zurückgebliebenen wechselten stumme Blicke und jeder von ihnen schöpfte Trost aus der Anwesenheit der anderen.

»Ich glaube, die mag mich«, sagte Marcus in Gedanken versunken.

Gaius sah ihn überrascht an, und Marcus zuckte die Achseln. »Hat auch tolle Beine.« Lachend betrat er ihre Unterkunft und ließ den verblüfften Gaius stehen.

Cabera stieß einen leisen Pfiff aus, als er den Raum betrat. Die Decke lag vierzig Fuß über dem Mosaikboden und wurde von einer Reihe von Messingbalken getragen, die kreuz und quer über dem Raum verliefen. Die Wände waren in den dunklen Rot- und Orangetönen gestrichen, die sie so häufig gesehen hatten, seit sie in die Stadt gekommen waren, aber der Fußboden fesselte ihre Aufmerksamkeit, noch ehe sie zum Deckengewölbe hochblickten. Er bestand aus einer Reihe von Kreisen, die einen Marmorbrunnen in der Mitte des riesigen Raums umfassten. In jedem Kreis waren gehende oder laufende Figuren abgebildet, in dem Versuch erstarrt, den Vordermann zu erreichen. In den äußersten Kreisen waren Gestalten vom Markt abgebildet, die ihre Waren trugen, und wenn das Auge den Kreisen weiter nach innen folgte, konnte man unterschiedliche Teile der Gesellschaft entdecken: Sklaven, Beamte, Mitglieder des Senats, Legionäre, Ärzte. In einem Ring befanden sich nur Könige, bis auf ihre Kronen ausnahmslos nackt. Der innerste Ring, der einen Gürtel um den eigentlichen Brunnen bildete, enthielt Götterbilder; sie und nur sie standen still und richteten die Blicke auf die eiligen Horden, die eifrig im Kreis rannten, jedoch nie von einem Ring in den nächsten springen konnten.

Gaius ging quer über die Kreise zum Brunnen, nahm eine Tasse, die auf dem marmornen Rand stand, und trank von dem Wasser. Eigentlich war er nur müde, und so sehr ihn die Schönheit des Raums auch beeindruckte, war es wichtiger für ihn, dass bei all dem Reichtum weder Liegen noch etwas zu Essen zu sehen waren. Die anderen folgten ihm durch einen Bogen in den nächsten Raum.

»Das gefällt mir schon besser«, meinte Marcus fröhlich. Auf einem polierten Tisch war Essen angerichtet worden: Fleisch, Brot, Eier, Gemüse und Fisch, dazu Obst in goldenen Schalen. Weiche Liegen standen einladend herum, aber noch eine Tür führte weiter, und Gaius konnte der Versuchung nicht widerstehen, einen Blick dahinter zu werfen.

In der Mitte des dritten Raums befand sich ein tiefes Becken. Das Wasser dampfte verlockend, und entlang der Wände standen Holzbänke, auf denen sich weiße, weiche Tücher türmten. An Ständern neben dem Wasser hingen Gewänder, und vier Sklaven standen neben niedrigen Tischen zur Massage bereit, falls das gewünscht wurde.

»Ausgezeichnet«, sagte Tubruk. »Dein Onkel ist ein wundervoller Gastgeber. Ich nehme vor dem Essen erst einmal ein Bad.« Noch während er sprach, fing er an, seine Kleider abzulegen. Einer der Sklaven kam auf ihn zu und hielt ihm einen Arm für die Kleidungsstücke hin, die er auszog. Als Tubruk fertig war, verschwand der Sklave mit ihnen durch die einzige Tür. Kurz darauf kam ein anderer herein und nahm seinen Platz bei den Tischen ein.

Tubruk ließ sich vollständig in das Wasser gleiten und hielt den Atem an, als er unter die Oberfläche tauchte und sich jeder Muskel in der Wärme entspannte. Als er wieder auftauchte, waren Gaius und Marcus aus ihren Sachen gesprungen, hatten sie einem anderen Sklaven zugeworfen und waren nackt und lachend am anderen Ende des Beckens ins Wasser getaucht. Auch vor Cabera stand ein Sklave und hielt ihm einen Arm für seine Sachen hin, doch der alte Mann betrachtete ihn skeptisch. Dann seufzte er und begann, das Gewand von seinem mageren Körper zu streifen.

»Immer neue Erfahrungen«, sagte er, und zuckte zusammen, als er sich vorsichtig ins Wasser ließ.

»Die Schultern, Bursche«, rief Tubruk einem der Diener zu.

Der Mann nickte, kniete sich neben das Becken und drückte seine Daumen in Tubruks Muskeln, wo er mit geübten Bewegungen die Verspannungen löste, die dort seit dem Sklavenangriff auf das Gut gesessen hatten.

»Herrlich«, seufzte Tubruk und döste vor sich hin, von der Wärme wohlig eingelullt.

Marcus war als Erster wieder draußen und legte sich sofort auf den Massagetisch, wo er auf dem glatten Tuch in der kühleren Luft dampfte. Der in der Nähe stehende Sklave nahm einige Instrumente von seinem Gürtel, die fast wie eine Reihe von langen Messingschlüsseln aussahen. Er goss reichlich warmes Olivenöl auf Marcus’ nasse Haut und fing an, sie abzuschaben, fast so, als schuppe er einen Fisch. Damit löste er den Schmutz der Reise und wischte eine erstaunliche Menge an schwarzem Dreck auf ein Tuch an seiner Hüfte. Dann rieb er die Haut trocken und goss etwas Öl für die Massage nach, die er mit langen, gleitenden Bewegungen entlang der Wirbelsäule begann.

Marcus stöhnte zufrieden. »Gaius, ich glaube, es wird mir hier gefallen«, murmelte er durch träge Lippen.

Gaius lag im Wasser und ließ seine Gedanken schweifen. Vielleicht wollte Marius keine zwei großen Jungen hier haben. Er hatte keine eigenen Kinder, und die Götter wussten, dass es eine schwierige Zeit für die Republik war. All die zerbrechlichen Freiheiten, die sein Vater so geliebt hatte, waren in Gefahr, wenn an allen Straßenecken Soldaten standen. Als Konsul war Marius einer der beiden mächtigsten Männer der Stadt, aber jetzt, wo Sullas Legion in den Straßen stand, wurde seine Macht zu einer bloßen Fiktion, sein Leben war von Sullas Launen abhängig. Doch wie sollte Gaius die Interessen seines Vaters ohne die Hilfe seines Onkels schützen? Er musste in den Senat eingeführt werden, mit einer anderen Person als Bürgen. Er konnte nicht einfach den alten Platz seines Vaters einnehmen; man würde ihn hinauswerfen, und damit wäre alles vorbei. Mit Sicherheit waren die Blutsbande zu seiner Mutter ein wenig Hilfe wert, aber Gaius konnte sich nicht völlig sicher sein. Marius war der strahlende Legat, der seine Schwester hin und wieder besuchen kam, als Gaius noch klein war. Aber als sich ihre Krankheit verschlimmerte, waren die Besuche immer seltener geworden; seit dem letzten Besuch waren Jahre vergangen.

»Gaius?« Marcus’ Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. »Komm raus und lass dich massieren. Du denkst schon wieder zu viel nach.«

Gaius grinste seinen Freund an und erhob sich aus dem Wasser. Der Gedanke, sich seiner Nacktheit wegen zu schämen, kam ihm gar nicht erst. Niemand schämte sich deshalb.

»Cabera? Hast du dich schon mal massieren lassen?«, fragte er den alten Mann, dem bereits die Augen zufielen, im Vorbeigehen.

»Nein, aber ich probiere alles aus«, erwiderte Cabera und watete auf die Stufen zu.

»Dann bist du hier in der richtigen Stadt«, lachte Tubruk mit geschlossenen Augen.

Sauber und erfrischt, mit neuen Kleidern und etwas gegen den gröbsten Hunger im Magen, wurden die vier bei Sonnenuntergang zu Marius geführt. Als Sklavin durfte Alexandria sie nicht begleiten, worüber Gaius einen Augenblick lang enttäuscht war. Wenn sie bei ihnen war, wusste er kaum, was er zu ihr sagen sollte, aber wenn sie nicht da war, fielen ihm lauter geistreiche Dinge ein, an die er sich dann später nicht mehr erinnern konnte, wenn er sie aussprechen wollte. Er hatte den Kuss in den Stallungen ihr gegenüber nicht wieder erwähnt und fragte sich, ob sie genau so oft daran dachte wie er. Er verscheuchte die Gedanken an sie aus seinem Kopf, denn er wusste, dass er hellwach und konzentriert sein musste, wenn er einem Konsul von Rom gegenübertrat.

Ein wohlbeleibter Sklave hielt sie vor der Tür zu dem Zimmer auf und nestelte an ihrer Kleidung herum, zog einen geschnitzten Elfenbeinkamm hervor, um Marcus’ Locken zu bändigen und rückte Tubruks Überwurf gerade. Als sich seine fleischigen Finger Cabera näherten, schossen die Hände des alten Mannes vor und schlugen sie zur Seite.

»Nicht anfassen!«, sagte er giftig.

Das Gesicht des Mannes blieb ausdruckslos, und er fuhr fort, die anderen zurechtzumachen. Schließlich war er es zufrieden, auch wenn er sich einen strengen Blick auf Cabera gestattete. »Der Herr und die Herrin sind heute Abend anwesend. Verbeugt euch zuerst vor dem Herrn, während ihr euch vorstellt, und richtet den Blick während der Verbeugung zu Boden. Dann verbeugt euch vor Frau Metella, ein paar Fingerbreit weniger tief. Falls euer barbarischer Sklave es wünscht, kann er auch ein paarmal mit dem Kopf auf den Boden schlagen.«

Cabera öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch der Sklave drehte sich um und stieß die Türen auf.

Gaius trat als Erster ein. Er erblickte einen prächtigen Raum mit einem Garten in der Mitte, der zum Himmel hin offen war. Um das Rechteck des Gartens herum befand sich ein Säulengang, von dem weitere Zimmer abgingen. Weiße Steinsäulen trugen den Überhang des Dachs, und die Wände waren mit Szenen aus der römischen Geschichte bemalt: die Siege Scipios, die Eroberung Griechenlands. Marius und seine Frau Metella hatten sich erhoben, um ihre Gäste zu empfangen, und Gaius, der sich plötzlich sehr jung und verlegen fühlte, zwang sich zu einem Lächeln.

Als er näher trat, sah er, wie ihn der Mann musterte, und fragte sich, zu welchen Schlüssen er wohl gelangen mochte. Marius selbst machte eine eindrucksvolle Figur. Als Legat Hunderter Feldzüge trug er eine lose Toga, die seinen rechten Arm und die Schulter unbedeckt ließ und den Blick auf gewaltige Muskeln und ein schwarzes Geflecht von Haaren auf Brust und Unterarmen freigab. Er trug keinerlei Schmuck oder Ziergegenstände, als wären solche Dinge für einen Mann von seiner Statur nicht vonnöten. Aufrecht stand er da und strahlte Stärke und Willenskraft aus. Sein Gesichtsausdruck wirkte streng; dunkelbraune Augen funkelten unter dichten Brauen hervor. Jeder seiner Gesichtszüge verriet die Stadt seiner Geburt. Er hatte die Hände hinter dem Rücken gefaltet und sagte nichts, als Gaius vor ihn trat und sich verbeugte.

Metella war einmal eine Schönheit gewesen, doch die Zeit und die Sorgen hatten sich in ihr Gesicht eingegraben, die Falten eines namenlosen Kummers hatten sich mit den Krallen einer alten Frau an ihrer Haut zu schaffen gemacht. Sie machte einen angespannten Eindruck; die Sehnen an ihrem Hals standen hervor. Ihre Hände zitterten ein wenig, als sie ihn betrachtete. Sie trug ein einfaches Kleid aus rotem Stoff, dazu Ohrringe und Armbänder aus hellem Gold.

»Der Sohn meiner Schwester ist in meinem Haus stets willkommen«, sagte Marius mit einer Stimme, die den ganzen Raum füllte.

Gaius wäre vor Erleichterung beinahe zusammengesackt, doch er hielt sich gerade.

Marcus trat neben ihn und verbeugte sich geschmeidig. Metellas und sein Blick trafen sich, und das Zittern ihrer Hände wurde stärker. Gaius sah, wie Marius ihr einen besorgten Seitenblick zuwarf, als sie vortrat.

»Was für wunderschöne Knaben«, sagte sie und streckte die Hände aus. Verwirrt ergriff jeder von ihnen eine. »Was ihr während der Aufstände durchgemacht habt! Was ihr gesehen haben müsst!«

Sie hielt eine Hand an Marcus’ Wange. »Hier seid ihr in Sicherheit, versteht ihr? Unser Heim ist euer Heim, solange ihr wollt.«

Marcus hob die Hand, legte sie auf die ihre und flüsterte: »Vielen Dank.« Er schien mit dieser seltsamen Frau besser zurechtzukommen als Gaius. Ihre Intensität erinnerte ihn zu schmerzhaft an seine eigene Mutter.

»Du könntest vielleicht einmal nachsehen, wie weit die Vorbereitungen für das Mahl gediehen sind, meine Liebe, während ich mit den Jungen über geschäftliche Dinge rede«, dröhnte Marius’ Stimme fröhlich hinter ihnen.

Sie nickte und ging hinaus, wobei sie Marcus noch einen Blick über die Schulter zuwarf.

Marius räusperte sich.

»Ich glaube, meine Frau mag euch«, sagte er. »Die Götter haben uns nicht mit eigenen Kindern gesegnet, und ich glaube, ihr werdet ihr Trost spenden.«

Jetzt ließ er den Blick über die anderen wandern.

»Tubruk! Wie ich sehe, bist du immer noch der fürsorgliche Wächter. Ich habe gehört, dass du bei der Verteidigung des Hauses meiner Schwester tapfer gekämpft hast.«

»Ich habe meine Pflicht getan, Herr. Am Ende war es nicht genug.«

»Der Sohn lebt, und die Mutter. Julius würde sagen, das ist genug«, erwiderte Marius. Damit richtete er seinen Blick wieder auf Gaius.

»Ich kann das Gesicht deines Vaters in dem deinen sehen. Es tut mir Leid, dass er uns verlassen hat. Ich kann nicht behaupten, wir wären richtige Freunde gewesen, aber wir hatten Respekt voreinander, und das ist ehrlicher als so manche Freundschaft. Ich konnte nicht zu der Bestattung kommen, doch er war in meinen Gedanken und meinen Gebeten.«

Gaius fing an, diesen Mann zu mögen. Vielleicht ist gerade das sein Talent, warnte ihn eine innere Stimme. Vielleicht ist er deshalb so oft gewählt worden. Er ist ein Mann, dem andere folgen.

»Vielen Dank. Er hat stets gut von dir gesprochen«, sagte er laut.

Marius lachte; ein kurzes Bellen.

»Das bezweifele ich. Wie geht es deiner Mutter? Ist ihr Zustand ... unverändert?«

»Mehr oder weniger, Herr. Die Ärzte verzweifeln.«

Marius nickte, aber sein Gesicht gab nichts preis. »Du musst mich von jetzt an Onkel nennen, glaube ich. Ja. Onkel gefällt mir gut. Und du, wer ist das?« Wieder hatten sich seine Augen und seine Aufmerksamkeit ohne Vorwarnung dem Nächsten zugewandt. Diesmal ruhte sein Blick auf Cabera, der ihn ungerührt erwiderte.

»Er ist ein Priester und Heiler und mein Berater. Sein Name ist Cabera«, erwiderte Gaius.

»Woher kommst du, Cabera? Du hast keine römischen Gesichtszüge.«

»Aus dem fernen Osten, Herr. Meine Heimat ist in Rom unbekannt.«

»Lass hören. Ich bin in meinem Leben mit meiner Legion weit herumgekommen.« Marius musterte ihn unbarmherzig und ohne zu blinzeln.

Cabera schien das nicht weiter zu stören.

»Aus einem Bergdorf tausend Meilen östlich von Aegyptus. Ich habe es als Junge verlassen und seinen Namen vergessen. Auch ich bin seitdem weit gereist.«

Der flammende Blick zuckte schlagartig fort, als Marius das Interesse verlor. Wieder sah er die beiden Jungen an.

»Von jetzt an ist mein Haus euer Zuhause. Ich nehme an, Tubruk wird auf dein Gut zurückkehren?«

Gaius nickte.

»Gut. Sobald ich ein paar eigene Probleme geklärt habe, arrangiere ich deine Einführung in den Senat. Kennst du Sulla?«

Gaius war sich schmerzhaft bewusst, dass er geprüft wurde. »Er hat im Augenblick die Kontrolle über Rom.«

Marius runzelte die Stirn, doch Gaius fuhr fort: »Seine Legion patrouilliert in den Straßen, und das verschafft ihm eine Menge Einfluss.«

»Da hast du Recht. Ich sehe schon, das Leben auf einem Gehöft hat dich über die Geschehnisse in der Stadt nicht vollkommen im Dunkeln gelassen. Kommt und setzt euch. Trinkt ihr Wein? Nein? Dann ist jetzt ein ebenso geeigneter Zeitpunkt wie jeder andere, es zu lernen.«

Als sie sich auf den Liegen um den Tisch niederließen, auf dem sich die Speisen türmten, beugte Marius den Kopf und begann laut zu beten: »Großer Mars. Lass mich in den schwierigen Tagen, die da kommen, die richtigen Entscheidungen treffen.« Er richtete sich wieder auf, grinste sie an, und auf sein Zeichen hin schenkte einer der Sklaven Wein ein.

»Dein Vater hätte ein großer Legat werden können, wenn er gewollt hätte«, sagte Marius. »Er hatte den schärfsten Verstand, dem ich je begegnet bin, aber er hat sich dafür entschieden, sein eigenes Interesse klein zu halten. Er hat die Realität der Macht nicht begriffen, nämlich die, dass sich ein starker Mann über die Regeln und Gesetze seiner Nächsten erheben kann.«

»Er hatte eine hohe Meinung von den Gesetzen Roms«, erwiderte Gaius nach kurzem Nachdenken.

»Ja. Das war sein einziger Fehler. Weißt du, wie oft ich zum Konsul gewählt worden bin?« »Dreimal«, warf Marcus ein.

»Trotzdem erlaubt das Gesetz nur eine Amtszeit. Ich werde wieder und wieder gewählt werden, bis mir das Spiel zu langweilig wird. Ich bin ein zu gefährlicher Mann, als dass man mir etwas verweigern könnte, versteht ihr. Darauf läuft es letztlich hinaus, trotz aller Gesetze und Bestimmungen, die den alten Männern im Senat so viel bedeuten. Meine Legion steht treu zu mir, und nur zu mir. Ich habe den Landbesitz als Voraussetzung zum Eintritt in die Legion abgeschafft, deshalb verdanken mir viele Legionäre ihren einzigen Lebensunterhalt. Es stimmt schon, viele von ihnen stammen aus der Gosse Roms, aber trotz ihrer Herkunft und ihrer niederen Geburt sind sie stark und mir treu ergeben.

Fünftausend Männer würden diese Stadt auseinander nehmen, würde ich ermordet werden, deshalb kann ich unbehelligt durch die Straßen gehen. Sie wissen, was geschehen wird, wenn ich sterbe, versteht ihr?

Wenn sie mich nicht umbringen können, müssen sie mir gefällig sein, nur dass jetzt endlich auch Sulla bei diesem Spiel mitspielt, mit einer Legion, die nur ihm treu ergeben ist. Ich kann ihn nicht umbringen und er kann mich nicht umbringen, also knurren wir uns im Senat gegenseitig an und warten auf eine Schwäche. Im Augenblick ist er im Vorteil. Seine Männer stehen in den Straßen, wie du gesagt hast, während meine außerhalb der Stadtmauern lagern. Eine Pattsituation. Spielst du Latrunculi? Ich habe hier ein Brett.«

Diese letzte Frage war an Gaius gerichtet, der blinzelte und den Kopf schüttelte.

»Ich werde es dir beibringen. Sulla ist ein Meister darin, ebenso wie ich. Es ist ein gutes Spiel für Generäle. Es geht darum, den gegnerischen König umzubringen oder ihm seine Macht zu rauben, sodass er hilflos ist und aufgeben muss.«

Ein Soldat trat in kompletter, glänzender Rüstung ein und salutierte mit steifem rechtem Arm. »Legat, die Männer, die du verlangt hast, sind hier. Sie haben die Stadt aus verschiedenen Richtungen betreten und sich hier versammelt.«

»Ausgezeichnet! Weißt du, Gaius, ein weiterer Zug in diesem Spiel steht kurz bevor. Fünfzig meiner Männer befinden sich hier in meinem Haus. Falls Sulla nicht an jedem Tor Spione hat, weiß er nicht, dass sie die Stadt betreten haben. Wenn er ahnt, was ich vorhabe, wartet bei Tagesanbruch eine Zenturie seiner Legion vor meinem Haus, aber schließlich ist das ganze Leben ein Spiel, oder nicht?«

Er wandte sich an den Wachtposten.

»Wir brechen im Morgengrauen auf. Sorg dafür, dass sich meine Sklaven um die Männer kümmern. Ich komme bald nach.«

Der Soldat salutierte wieder und ging.

»Was hast du vor?«, fragte Marcus, der völlig verwirrt war.

Marius erhob sich und reckte die Schultern. Er rief einen Sklaven herbei und trug ihm auf, seine Uniform vorzubereiten, damit sie bei Tagesanbruch bereit lag.

»Habt ihr schon einmal einen Triumphzug gesehen?«

»Nein. Ich glaube, es hat seit Jahren keinen mehr gegeben«, antwortete Gaius.

»Es ist ein Recht, das jedem Legaten zusteht, der neue Länder erobert hat: seine Legionen durch die Straßen seiner geliebten Hauptstadt zu führen und die Liebe der Menge und den Dank des Senats entgegenzunehmen.

Ich habe weite Gebiete fruchtbaren Ackerlands in Nordafrika erobert, so wie Scipio vor mir. Trotzdem ist mir von Sulla, der den Senat im Augenblick unter seiner Fuchtel hat, ein Triumphzug verweigert worden. Er sagt, die Stadt hätte zu viel Umwälzungen erlebt, aber das ist nicht der eigentliche Grund. Was aber ist der eigentliche Grund?«

»Er will deine Männer nicht in der Stadt haben, unter welchem Vorwand auch immer«, sagte Gaius schnell.

»Gut. Was soll ich also tun?«

»Sie trotzdem in die Stadt bringen?«, riskierte Gaius eine Antwort.

Marius erstarrte. »Nein. Das hier ist meine geliebte Hauptstadt. Noch nie ist eine feindliche Streitmacht durch ihre Tore eingedrungen. Ich will nicht der Erste sein. Das wäre rohe Gewalt, und die ist immer riskant. Nein, ich werde darum bitten! In sechs Stunden bricht der Tag an. Ich würde vorschlagen, ihr schlaft ein wenig, meine Herren. Sagt nur einem der Sklaven Bescheid, wenn ihr in eure Gemächer gebracht zu werden wünscht. Gute Nacht.« Er lachte trocken auf, ging davon und ließ die vier allein zurück.

»Er ...«:, setzte Cabera an, doch Tubruk hielt warnend einen Finger in die Höhe und machte mit den Augen eine Bewegung zu den Sklaven hin, die unauffällig bereit standen.

»Das Leben hier dürfte nicht langweilig werden«, sagte er leise.

Gaius und Marcus nickten und grinsten sich an.

»Ich würde gerne sehen, wie er darum >bittet<«, meinte Marcus.

Tubruk schüttelte rasch den Kopf. »Zu gefährlich. Das geht bestimmt nicht ohne Blutvergießen ab, und ich habe euch nicht nach Rom gebracht, damit ihr gleich am ersten Tag getötet werdet! Wenn ich gewusst hätte, dass Marius etwas Derartiges plant, hätte ich den Besuch noch eine Weile hinausgezögert.«

Gaius legte ihm eine Hand auf den Arm. »Du warst ein guter Beschützer, Tubruk. Aber das will ich sehen. Das lassen wir uns nicht verbieten.«

Seine Stimme war ruhig, aber Tubruk starrte ihn an, als hätte Gaius geschrieen. Dann entspannte er sich.

»Dein Vater war nie so tollkühn, aber wenn du fest entschlossen bist und Marius zustimmt, komme ich mit, um auf euch aufzupassen, so wie ich es immer getan habe. Cabera?«

»Wo sollte ich denn sonst hingehen? Ich wandele immer noch auf dem gleichen Pfad wie du.« Tubruk nickte. »Dann bei Morgengrauen. Ich würde vorschlagen, dass ihr mindestens ein oder zwei Stunden vor Tagesanbruch aufsteht, um Dehnübungen zu machen und ein leichtes Frühstück einzunehmen.« Er stand auf und verbeugte sich vor Gaius. »Herr?«

»Du kannst gehen, Tubruk«, sagte Gaius mit ausdrucksloser Miene.

Tubruk ging.

Marcus hob eine Augenbraue, doch Gaius ignorierte ihn. Sie waren nicht allein und konnten nicht die gleichen lockeren Beziehungen pflegen wie auf dem Gut. Verwandt oder nicht, Marius’ Haus war kein Ort, an dem man sich gehen lassen konnte. Tubruk hatte sie mit seiner formellen Art daran erinnert.

Marcus und Cabera gingen kurz danach und ließen Gaius mit seinen Gedanken zurück. Er streckte sich auf der Liege aus und blickte in die nächtlichen Sterne über dem offenen Garten.

Er spürte, wie seine Augen feucht wurden. Sein Vater war tot, und er war bei Fremden. Alles war neu und anders und überwältigend. Jedes Wort musste genau überlegt werden, ehe es den Mund verließ, jede Entscheidung genau bedacht. Es war anstrengend, und nicht zum ersten Mal wünschte er sich, wieder ein Kind und ohne jede Verantwortung zu sein. Wenn er damals einen Fehler gemacht hatte, hatte er sich immer an andere wenden können, doch wer war jetzt noch für ihn da? Er fragte sich, ob sich sein Vater oder Tubruk wohl jemals so verloren vorgekommen waren wie er. Es schien nicht möglich, dass sie die gleichen Ängste gekannt hatten.

Als er sich wieder beruhigt hatte, stand er im Dunkeln auf und verließ leise den Raum, wobei er sich sein Ziel selbst kaum eingestand. Die Flure lagen still und scheinbar verlassen da, doch nachdem er nur ein paar Schritte gegangen war, trat ein Wachtposten auf ihn zu und sprach ihn an.

»Kann ich dir helfen, Herr?«

Gaius erschrak. Natürlich hatte Marius Wachen in seinem Haus und den Gärten aufgestellt.

»Ich habe heute eine Sklavin mitgebracht. Ich würde gerne nach ihr sehen, ehe ich schlafen gehe.«

»Ich verstehe, Herr«, erwiderte der Posten mit einem feinen Lächeln. »Ich zeige dir den Weg zu den Sklavenquartieren.«

Gaius knirschte mit den Zähnen. Er wusste, was der Mann dachte, aber wenn er jetzt noch etwas sagte, würde er seinen Verdacht nur noch verstärken. Schweigend folgte er ihm, bis sie zu einer schweren Tür am Ende des Gangs kamen. Der Soldat klopfte leise, und sie brauchten nicht lange zu warten, bis sie sich öffnete.

Eine ältere Frau funkelte den Wachtposten finster an. Ihre Haare waren fast grau und ihr Gesicht legte sich schnell in missbilligende Falten, ein Gesichtsausdruck, der bei ihr offensichtlich häufig zu sehen war.

»Was willst du, Thomas? Lucilla schläft schon und ich habe dir schon einmal gesagt .«

»Es geht nicht um mich. Dieser junge Mann ist Marius’ Neffe. Er hat heute ein Mädchen mitgebracht.«

Das Verhalten der Frau änderte sich, als sie Gaius erblickte, der still und verzweifelt den Kopf schüttelte und sich fragte, wie viele Leute noch davon erfahren würden.

»Alexandria, nicht wahr? Ein wunderschönes Mädchen. Mein Name ist Carla. Ich bringe dich zu ihrer Kammer. Die meisten Sklaven schlafen schon, also sei bitte leise.« Sie forderte Gaius mit einem Zeichen auf, ihr zu folgen, was er auch tat, Hals und Rücken steif vor Verlegenheit. Er spürte Thomas’ Blick im Rücken, ehe sich die Tür leise hinter ihm schloss.

Dieser Teil von Marcus’ Haus war einfach, aber sauber. Von einem langen Korridor gingen viele Türen ab, und in regelmäßigen Abständen steckten kleine Kerzen in Haltern an der Wand. Nur wenige davon brannten, doch sie gaben genug Licht, damit Gaius sehen konnte, wohin er ging. Carla hatte ihre Stimme zu einem rauen Flüstern gesenkt.

»Die meisten der Sklaven schlafen in mehreren Gemeinschaftsräumen, aber dein Mädchen hat eine von den Einzelkammern bekommen, die wir für Lieblingssklaven reservieren. Du hast doch gesagt, sie soll gut behandelt werden, nicht wahr?«

Gaius errötete. Er hatte vergessen, welche Neugierde Alexandria und er bei Marius’ Sklaven wecken würde. Morgen früh würde jeder wissen, dass er sie in der Nacht besucht hatte.

Sie bogen um eine letzte Ecke und Gaius erstarrte vor Überraschung. Die letzte Tür des Korridors stand offen und gegen das schwache Licht von drinnen sah er Alexandria stehen, wunderschön im flackernden Kerzenlicht. Sie allein hätte ihn schon den Atem anhalten lassen, doch es war jemand bei ihr, der im Schatten an der Wand lehnte.

Carla schoss vor, und sie beide erkannten Marcus gleichzeitig. Er schien ebenso überrascht zu sein, sie zu sehen.

»Wie bist du hier hereingekommen?«, wollte Carla mit gepresster Stimme wissen.

Marcus blinzelte.

»Ich habe mich durchs Haus geschlichen. Ich wollte nicht alle aufwecken«, erwiderte er.

Gaius sah Alexandria an. Die Eifersucht schnürte ihm die Brust ein. Sie sah verärgert aus, doch das Funkeln in ihren Augen verstärkte nur ihr zersaustes Aussehen. Ihre Stimme klang schroff. »Wie ihr beide unschwer erkennen könnt, geht es mir gut, ich habe es hier recht angenehm. Sklaven müssen vor Tagesanbruch aufstehen, deshalb würde ich jetzt gerne schlafen gehen, falls ihr nicht auch noch Cabera oder Tubruk holen wollt.«

Marcus und Gaius sahen sie überrascht an. Sie schien wirklich sehr wütend zu sein.

»Nein? Dann gute Nacht.« Sie nickte ihnen mit zusammengepressten Lippen zu und schloss leise die Tür.

Carla stand mit vor Überraschung weit geöffnetem Mund da. Sie wusste nicht, wie sie es anfangen sollte, sich zu entschuldigen.

»Was machst du hier?«, verlangte Gaius mit leiser Stimme zu wissen.

»Das Gleiche wie du. Ich dachte, sie wäre vielleicht einsam. Ich konnte ja nicht wissen, dass du daraus ein gesellschaftliches Ereignis machen würdest.«

Überall im Korridor gingen Türen auf, und eine leise Frauenstimme rief: »Alles in Ordnung, Carla?«

»Ja, meine Liebe. Vielen Dank«, zischte Carla zurück. »Hört mal. Sie ist zu Bett gegangen. Ich würde vorschlagen, dass ihr beide ihrem Beispiel folgt, ehe das ganze Haus zusammenläuft, um nachzusehen, was hier los ist.«

Sie nickten mit mürrischen Gesichtern und gingen gemeinsam den Korridor wieder hinunter. Carla blieb zurück und presste eine Hand auf den Mund, um nicht loszulachen, ehe die beiden außer Hörweite waren. Fast wäre es ihr gelungen.

Wie es Alexandria vorhergesagt hatte, erwachte Marius’ Haushalt zwei Stunden vor Tagesanbruch plötzlich zum Leben. Die Herde in der Küche wurden angefeuert, die Fenster geöffnet und Fackeln entlang der Wände aufgestellt, bis die Sonne aufging. Sklaven liefen emsig mit Tabletts voll Essen und Handtüchern für die Soldaten umher. Die Stille der dunklen Stunden wurde von rauem Gelächter und Rufen gestört. Gaius und Marcus wachten bei den ersten Geräuschen auf, Tubruk kurz nach ihnen. Cabera weigerte sich aufzustehen.

»Was soll ich denn schon groß machen? Ich werde einfach in mein Gewand schlüpfen und zum Tor laufen! Noch zwei Stunden bis Tagesanbruch klingt für mich sehr verlockend.«

»Du kannst dich waschen und frühstücken«, sagte Marcus mit hellwachen Augen.

»Ich habe mich gestern gewaschen, und vor Mittag esse ich nie viel. Verschwinde.«

Marcus ließ ihn liegen und schloss sich den anderen an, die ein wenig Brot mit Honig zu sich nahmen und es mit heißem, gewürztem Wein hinunterspülten, der ihnen den Magen wärmte. Sie hatten kein Wort über die Geschehnisse der vergangenen Nacht verloren, und beide spürten deutlich eine leise Spannung, die zwischen ihnen lag, und ein Schweigen in den Augenblicken, die sie normalerweise mit Plaudereien gefüllt hätten.

Schließlich holte Gaius tief Luft.

»Wenn sie dich mag, halte ich mich eben raus«, sagte er und betonte jedes Wort sehr deutlich.

»Sehr anständig von dir«, erwiderte Marcus lächelnd. Er trank seinen Becher heißen Wein aus und verließ das Zimmer, wobei er sich mit einer Hand die Haare glatt strich.

Tubruk betrachtete Gaius’ Miene und stieß ein bellendes Lachen aus, ehe er Marcus folgte.

Marius, der frisch und ausgeruht aussah, trat unter dem Poltern eisenbeschlagener Sandalen auf Stein in die Gartenräume. In seiner Legatenuniform wirkte er noch größer, eine imponierende Erscheinung. Marcus merkte, wie er im Gang des anderen nach Schwächen suchte, so wie er jeden Gegner zu beobachten gelernt hatte. Hielt er eine Schulter nach einer alten Verletzung etwas tiefer, oder schonte er ein etwas schwächeres Knie? Da war nichts. Hier war ein Mann, der dem Tode nie nahe gewesen war, der nie die Verzweiflung kennen gelernt hatte. Obwohl ... er hatte keine Kinder. Seine einzige Schwäche. Marcus fragte sich, ob wohl Marius oder seine Frau unfruchtbar war. Die Götter waren bekannt für ihre Launen, doch dass einem Mann so viel gegeben wurde, ohne die Möglichkeit, es weiterzureichen, war ein schlechter Scherz. Marius trug einen Brustpanzer aus Bronze und einen langen roten Umhang über den Schultern. Er hatte den einfachen Gladius eines Legionärs umgeschnallt, obwohl Marcus der silberne Griff auffiel, der ihn von gewöhnlichen Schwertern unterschied. Seine braunen Beine unter dem Lederrock waren größtenteils nackt. Er bewegte sich gut, ungewöhnlich gut für einen Mann seines Alters. Seine Augen funkelten kaum wahrnehmbar vor Aufregung und Erwartung.

»Es freut mich, dass ihr schon alle auf seid. Willst du mit meinen Männern marschieren?« Seine Stimme klang tief und ruhig, ohne eine Spur von Nervosität.

Gaius lächelte und freute sich, nicht fragen zu müssen.

»Das wollen wir alle. Mit deiner Erlaubnis ... Onkel.«

Marius nickte bei diesem Wort mit dem Kopf.

»Natürlich, aber haltet euch im Hintergrund. Dies ist ein gefährliches Morgenvergnügen, ganz egal, wie es ausgeht. Und noch etwas. Du kennst die Stadt nicht, und falls wir getrennt werden, ist dieses Haus vielleicht nicht mehr sicher. Suche Valcinus in den öffentlichen Bädern auf. Sie sind bis zum Mittag geschlossen, aber er wird dich einlassen, wenn du meinen Namen nennst. Seid ihr bereit?«

Marcus, Gaius und Tubruk blickten einander an, wie benommen von dem Tempo der Ereignisse. Wenigstens zwei von ihnen waren zugleich ein wenig aufgeregt. Sie schlossen sich Marius an, der in den Hof hinausmarschierte, wo seine Männer geduldig warteten.

Cabera stieß im letzten Augenblick zu ihnen. Seine Augen blinkten so aufgeweckt wie immer, doch auf Wangen und Kinn zeigten sich weiße Stoppeln. Marcus grinste ihn an, was mit einem finsteren Blick beantwortet wurde. Sie standen fast am Ende des Trupps, und Gaius betrachtete die Mienen der Soldaten um ihn herum. Sie waren alle braun gebrannt, hatten dunkles Haar und trugen rechteckige Schilde an den linken Arm geschnallt. Auf dem Messing der Vorderseite jeden Schilds war das einfache Wappen des Hauses von Marius zu sehen: drei gekreuzte Pfeile.

In diesem Augenblick verstand Gaius, was Marius gemeint hatte. Dies hier waren römische Soldaten, die ihre Stadt bis zum Letzten verteidigen würden, ihre Ergebenheit jedoch galt dem Wappen, das sie trugen.

Alle schwiegen, während sie darauf warteten, dass die Flügel des großen Tores aufschwangen. Metella trat aus der Dunkelheit und küsste Marius, der den Kuss leidenschaftlich erwiderte und seiner Frau mit einer Hand ans Gesäß griff. Seine Männer, die seine aufgekratzte Stimmung nicht teilten, sahen teilnahmslos zu. Dann drehte sie sich um und küsste Gaius und Marcus. Zu ihrer Überraschung sahen sie Tränen in ihren Augen glänzen.

»Kehrt wohlbehalten wieder zu mir zurück. Ich warte auf euch alle.«

Gaius sah sich nach Alexandria um. Er hatte die vage Absicht, ihr von seiner edlen Entscheidung zu erzählen, das Feld für Marcus zu räumen. Er hoffte, dass sie sein Opfer rühren und sie Marcus’ Annäherungsversuche zurückweisen würde. Unglücklicherweise konnte er sie nirgends entdecken, und dann ging das Tor auf, und es blieb keine Zeit mehr.

Gaius und Marcus schlossen sich Tubruk und Cabera an, als Marius’ Soldaten unter großem Lärm in die morgendlichen Straßen Roms hinausmarschierten.

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