13

Unter normalen Umständen hätten die Straßen Roms bei Tagesanbruch verlassen dagelegen. Die meisten Menschen wären erst am späten Morgen erwacht, um dann bis Mitternacht ihren Geschäften nachzugehen. Durch die Ausgangssperre hatte sich der Tagesablauf verschoben. Die Läden öffneten bereits, als Marius und seine Männer sich auf den Weg machten.

Der Legat führte seine Soldaten mit lockerem, selbstbewusstem Schritt an. Passanten stießen Warnrufe aus, und Gaius sah Leute, die sich beim Anblick der bewaffneten Männer rasch in Hauseingänge zurückzogen. Nachdem erst vor kurzem Aufstände stattgefunden hatten, hatte niemand Lust, stehen zu bleiben und dem Zug zuzusehen, der sich den Hügel zum Forum hinunterschlängelte, wo sich die Gebäude des Senats befanden.

Zunächst leerten sich die Hauptstraßen, als die Arbeiter, die früh auf den Beinen waren, zur Seite traten, um den Soldaten Platz zu machen. Gaius spürte ihre Blicke und hörte sie wütend knurren. Ein Wort wurde von den grimmigen Gesichtern ständig wiederholt: »Scelus!« - die Anwesenheit der Soldaten auf den Straßen war ein Verbrechen. Der Morgen war kühl und feucht. Gaius fröstelte ein wenig. Auch Marcus sah im fahlen Licht grimmig aus und nickte, als sich ihre Blicke trafen. Seine Hand lag auf dem Knauf seines Gladius’. Die Atmosphäre wurde durch das Scheppern und Krachen, das die Männer beim Marschieren erzeugten, noch angespannter. Gaius war nicht klar gewesen, wie laut fünfzig Soldaten sein konnten, doch die engen Straßen hallten vom Klirren der eisenbeschlagenen Sandalen wider. Die Fenster der Wohnungen in den oberen Stockwerken gingen auf, als sie vorbeikamen, und jemand brüllte wütend, doch sie marschierten weiter.

»Sulla wird euch die Augen ausstechen!«, schrie ein Mann, ehe er seine Tür zuschlug.

Marius’ Männer ignorierten sowohl den Spott als auch die Menge, die sich hinter ihnen sammelte und sich, angezogen von der Aufregung und Gefahr, in einen rasch anwachsenden Pöbel verwandelte.

Ein Legionär, der Sullas Zeichen auf dem Schild trug, drehte sich um, als er den Lärm hörte, und erstarrte. Sie marschierten auf ihn zu, und Gaius konnte die plötzliche Aufregung spüren, als sich alle Augen auf den einsamen Mann richteten. Dann siegte die Besonnenheit über die Tapferkeit, und er verschwand im Laufschritt um eine Ecke. Ein Mann in der ersten Reihe neben Marius machte Anstalten, die Verfolgung aufzunehmen, doch der Legat hielt ihm eine Hand vor die Brust.

»Lasst ihn laufen. Er soll ihnen sagen, dass ich komme.« Seine Stimme drang durch die Reihen, und Gaius bewunderte seine Ruhe. Niemand sonst sagte etwas, und sie marschierten in schepperndem Gleichschritt weiter.

Cabera schaute sich um und erbleichte, als er sah, wie sich die Straßen hinter ihnen mit Menschen füllten. Es gab keine Möglichkeit zum Rückzug mehr. Eine dicht gedrängte Menschenmenge folgte ihnen auf dem Fuß. Mit vor Aufregung leuchtenden Augen johlten und riefen sie. Cabera zog einen kleinen blauen Stein an einem Lederriemen aus der Tasche, den er küsste, während er ein kurzes Gebet murmelte. Tubruk sah den alten Mann an und legte ihm die Hand auf die Schulter.

Als sie den großen Platz des Forums erreichten, war die Menge so sehr angewachsen, dass sie auch die Parallelstraßen füllte und sich hinter ihnen und um sie herum auf die freie Fläche ergoss. Gaius spürte, wie die Männer, hinter denen er marschierte, nervös wurden, sah, wie sich ihre Muskeln spannten, als sie die Schwerter für alle Fälle in den Scheiden lockerten. Er schluckte und merkte, wie ausgetrocknet seine Kehle war. Sein Herz hämmerte, und ihm war ein wenig schwindlig.

Als wolle sie sich über die herrschende Stimmung lustig machen, brach die Sonne genau in dem Augenblick, als sie das Forum betraten, aus dem Morgendunst hervor und ließ die Statuen und Tempel auf einer Seite golden aufleuchten. Vor sich erblickte Gaius die Stufen des Senatsgebäudes und leckte sich über die mit einem Mal trockenen Lippen, als in weiße Roben gekleidete Gestalten aus dem Inneren traten und sie erwarteten. Auf den Stufen zählte er vier von Sullas Legionären, die Hände an den Schwertern. Weitere würden schon unterwegs sein.

Hunderte von Menschen strömten aus allen Richtungen auf das Forum; aus den nahe gelegenen Straßen hallten spöttische Rufe. Alle Augen schauten auf Marius und seine Männer. Die Menge ließ eine Gasse zum Senat frei. Sie kannte das Ziel, ohne davon unterrichtet worden zu sein.

Gaius biss die Zähne zusammen. So viele Menschen! Sie schienen keinerlei Angst oder Ehrfurcht zu kennen, zeigten auf diesen oder jenen, riefen, drängelten und schubsten sich gegenseitig, um besser sehen zu können. Allmählich bereute Gaius seine Bitte, die Soldaten begleiten zu dürfen. Am Fuß der Stufen ließ Marius seine Männer halten und trat einen Schritt vor. Die Menge drängte näher, besetzte jeden freien Zentimeter. Die Luft roch nach Schweiß und scharf gewürztem Essen. Dreißig breite Stufen führten zu den Türen des Sitzungssaals hinauf. Neun Senatoren standen darauf.

Gaius erkannte das Gesicht Sullas, der auf der obersten Stufe stand. Er blickte Marius unverwandt und ausdruckslos an; sein Gesicht war wie eine Maske. Die Hände hielt er auf dem Rücken, als wolle er gleich einen Vortrag beginnen. Seine vier Legionäre hatten sich auf der untersten Stufe postiert, und Gaius sah, dass zumindest sie nervös darauf warteten, was als Nächstes passieren würde.

Wie auf ein Zeichen schwieg die immer noch anwachsende Menge plötzlich, nur hier und da wurde die Stille vom Murren und Fluchen derer unterbrochen, die um bessere Plätze kämpften. »Ihr kennt mich alle«, brüllte Marius. Seine Stimme war in der Stille weithin zu hören. »Ich bin Marius, Legat, Konsul, Bürger. Hier, vor dem Senat, fordere ich mein Recht ein, einen Triumphzug abzuhalten, in Anerkennung der Eroberungen, die meine Legion in Afrika gemacht hat.«

Die Menge drängte näher heran. Vereinzelt flogen Fäuste, und schrille Schreie durchbrachen die Spannung des Augenblicks. Der Pöbel drückte gegen die Soldaten, und zwei von ihnen mussten die Arme heben und die Leute zurückdrängen, was noch mehr wütendes Geschrei zur Folge hatte. Gaius spürte die hässliche Stimmung der Menge. Sie hatten sich hier auf dem Forum versammelt wie zu einer Vorstellung im Zirkus, um Tod und Gewalt zu sehen und sich unterhalten zu lassen.

Er bemerkte, dass die anderen Senatoren auf eine Antwort von Sulla zu warten schienen. Als einziger anderer Konsul lag die Autorität der Stadt bei ihm.

Er stieg zwei Stufen herab, näher zu seinen Soldaten. Sein Gesicht war vor Zorn gerötet, aber seine Worte klangen besonnen.

»Das, was du tust, ist ungesetzlich. Sag deinen Männern, sie sollen sich zerstreuen. Komm herein, dann können wir darüber reden, wenn der Senat vollzählig zusammengetreten ist. Du kennst das Gesetz, Marius.«

Diejenigen in der Menge, die ihn verstehen konnten, jubelten, während andere Beschimpfungen johlten, in dem Wissen, durch die heftig hin- und herwogende Menschenmasse geschützt zu sein. »Ich kenne das Gesetz! Ich weiß, dass ein Legat das Recht auf einen Triumphzug hat. Ich fordere mein Recht ein. Willst du es mir verweigern?« Auch Marius war einen Schritt vorgetreten, und die Menge wogte schiebend und stoßend mit ihm nach vorne, wobei sie auf die Stufen des Senats zwischen den beiden Männern vordrang.

»Vappa! Cunnus!« Sie schleuderten den Soldaten, die sie zurückhielten, unflätige Ausdrücke an den Kopf, und Marius drehte sich zu der ersten Reihe seiner halben Zenturie um. Seine Augen waren kalt und schwarz.

»Genug. Schafft Platz für euren Legaten!«, sagte er mit grimmiger Stimme.

Die vordersten zehn Männer zogen ihre Schwerter und streckten die ihnen am nächsten stehenden Menschen in der Menge nieder. Innerhalb von Sekunden strömte Blut aus aufgeschlitzten Leibern über die Marmorstufen. Sie hörten nicht auf, sondern töteten mit gefühlloser Konzentration weiter. Frauen und Männer fielen vor ihnen zu Boden. Ein Aufschrei ging durch die Menge, während sie zurückzuweichen versuchte, doch die hinten Stehenden konnten nicht sehen, was passierte, und drängten immer weiter nach vorne. Jetzt zogen alle fünfzig Soldaten ihre Gladii und schlugen um sich, ohne Rücksicht darauf, wer durch ihre Klingen fiel.

Es konnte vom Anfang bis zum Ende lediglich wenige Sekunden gedauert haben, Gaius und Marcus jedoch, die nur voller Schrecken mit ansehen konnten, wie die Menge reihenweise wie Weizen niedergemäht wurde, kam es wie Stunden vor. Die Leichen lagen auf dem Forum verstreut, und die Menge, die die Botschaft nun verstanden hatte, versuchte zu fliehen. Nach ein paar weiteren Sekunden hatte sich ein breiter Ring um Marius und seine Männer gebildet, der breiter wurde, als Bürger und Sklaven vor den roten Schwertern zurückwichen.

Kein Wort war gesprochen worden. Die Klingen wurden an den Toten abgewischt und wieder in die Scheiden gesteckt. Die Männer nahmen ihre Positionen wieder ein, und Marius blickte erneut zu den Senatoren hinauf.

Die Steine des Forums glänzten nass vor Blut. Die anderen Männer auf den Stufen waren bleich geworden und unwillkürlich einige Schritte zurückgewichen, um dem Gemetzel zu entkommen. Nur Sulla war stehen geblieben. Seine Lippen verzogen sich zu einer bitteren Grimasse, als ihm der Geruch von frischem Blut und aufgerissenen Eingeweiden entgegenwehte.

Die beiden Männer sahen sich lange an, als wären sie die Einzigen auf dem Forum. Der Moment dehnte sich aus, und Marius hob die Hand, als wolle er seinen wartenden Männern einen weiteren Befehl erteilen.

»Heute in einem Monat«, stieß Sulla hervor. »Halte deinen Triumphzug ab, Legat, aber denke daran, dass du dir heute einen Feind gemacht hast. Genieße die Augenblicke der Freude, die dir zustehen.«

Marius neigte den Kopf.

»Ich danke dir, Sulla, für deine Weisheit.«

Er wandte den Senatoren den Rücken zu und ließ die Soldaten kehrtmachen, während er durch ihre Reihen schritt, um wieder seine Position an der Spitze einzunehmen. Die Menge hielt sich zurück, aber alle Gesichter waren vor bitterer Wut gezeichnet.

»Vorwärts«, ertönte der Befehl, und wieder war das Klirren von Eisen auf Stein zu hören, als die halbe Zenturie ihrem Legaten über den Platz folgte.

Gaius blickte Tubruk und Marcus an und schüttelte verwundert den Kopf, sagte jedoch nichts. Aus den Augenwinkeln konnte er eine Zenturie von Sullas Männern sehen, die mit den gezückten Schwertern aus einer Seitenstraße heraus auf den Platz gerannt kam. Er erstarrte und wollte gerade einen Warnruf ausstoßen, als er sah, wie Tubruk den Kopf schüttelte.

Hinter ihnen ließ Sulla seine Männer mit einer Handbewegung anhalten. Sie nahmen Aufstellung und sahen mit wütenden Gesichtern zu, wie Marius abrückte. Als Gaius den Rand des Forums erreichte, sah er Sulla mit der rechten Hand eine Kreisbewegung in der Luft machen.

»Ein bisschen zu knapp für meinen Geschmack«, flüsterte Tubruk.

Weiter vorn schnaubte Marius, der die Bemerkung gehört hatte, verächtlich. Er schritt entschlossen voran, und ließ seine laute Stimme vernehmen.

»Marschordnung in den Straßen, Männer. Es ist noch nicht vorbei.«

Die Soldaten bildeten eine dicht gestaffelte Einheit. Marius schaute sich um.

»Behaltet die Seitenstraßen im Auge. Sulla wird uns nicht einfach davonkommen lassen, wenn er es verhindern kann. Bleibt wachsam und haltet die Schwerter griffbereit.«

Gaius war wie betäubt, er wurde von Ereignissen mitgerissen, die außerhalb seiner Kontrolle lagen. Sollte dies die Sicherheit im Schatten seines Onkels sein? Von allen Seiten von Legionären eingeschlossen, ging er mit seinen Freunden im Gleichschritt mit.

Hinter ihm erklang ein kurzer, bellender Schrei, und Gaius wirbelte herum, wobei ihn der Soldat, der hinter ihm lief, fast zu Fall brachte. Einer der Männer lag auf den Pflastersteinen, im Dreck der Straße. Blut bildete eine Lache um ihn, und Gaius sah flüchtig, wie drei Männer wie wahnsinnig auf ihn einstachen.

»Sieh nicht hin«, warnte Tubruk und drehte Gaius mit sanftem Druck gegen die Schulter wieder nach vorne.

»Aber der Mann! Sollten wir nicht anhalten?«, rief Gaius verwundert.

»Wenn wir anhalten, sterben wir alle. Sulla hat seine Hunde losgelassen.«

Gaius spähte in die Seitenstraße, die sie gerade passierten und sah eine Gruppe von Männern, die mit gezückten Dolchen auf sie zu gerannt kamen. Ihrer Körperhaltung nach waren es Legionäre, aber ohne Uniform. Gaius zog nahezu gleichzeitig mit allen anderen sein Schwert. Sein Herz begann wieder zu hämmern; er spürte, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat.

»Behaltet die Nerven! Wir bleiben auf keinen Fall stehen«, rief Marius mit angespannten Hals-und Rückenmuskeln nach hinten.

Die Männer mit den Messern fielen über die letzte Reihe her, als sie an ihnen vorbeilief. Einer von ihnen sank mit einem Gladius in den Rippen zu Boden, ehe die anderen ihr Opfer zu Boden werfen konnten. Er schrie vor Angst, als man ihm sein Schwert entriss, doch dann erstarb der Schrei plötzlich.

Während sie weitermarschierten, hörte Gaius hinter sich Triumphgeheul. Er drehte sich kurz um und wünschte sogleich, er hätte es nicht getan, denn die Angreifer hielten einen blutigen Kopf hoch und heulten wie die Tiere. Die Männer um ihn herum fluchten wild, und einer von ihnen blieb plötzlich mit erhobenem Schwert stehen.

»Komm weiter, Vegus, wir haben es fast geschafft«, beschwor ihn ein anderer, doch er schüttelte die Hände auf seinen Schultern ab und spuckte auf den Boden.

»Er war mein Freund«, murmelte er, trat aus dem Glied und rannte auf die blutverschmierte Gruppe zu. Gaius versuchte zu beobachten, was passieren würde. Er konnte den Aufschrei hören, als sie ihn kommen sahen, doch dann schienen immer mehr Männer aus den Gassen zu strömen, und er wurde ohne einen Laut in Stücke gerissen.

»Ruhig«, rief Marius, und Gaius hörte zum ersten Mal Zorn in seiner Stimme. »Ruhig«, rief er noch einmal.

Marcus nahm einen Dolch von dem Mann zu seiner Rechten und ließ sich durch die Reihen zurückfallen. Er war in der letzten Dreierreihe, als sie an der dunklen Öffnung einer Gasse vorbeikamen, aus der vier Männer gesprungen kamen, die Messer zum Töten erhoben. Marcus duckte sich und fing das Körpergewicht eines Angreifers ab, als sie in einer brutalen Umarmung zusammenkrachten. Er zog sein Messer quer durch die Kehle, die er so dicht neben seiner eigenen sehen konnte, und blinzelte, als das Blut über ihn sprudelte. Dann benutzte er den Leib des anderen, um einen weiteren Angriff abzublocken, und warf ihn den restlichen Angreifern entgegen. Während er landete, starben die Männer unter den schnellen, kräftigen Stichen der drei Legionäre, die dann ohne ein Wort die Reihen wieder schlossen. Einer von ihnen schlug Marcus auf die Schulter, und Marcus grinste ihn an. Er schlängelte sich wieder durch die Reihen und nahm, ein wenig außer Atem, seinen Platz an Gaius’ Seite ein. Gaius legte ihm kurz seine Hand ins Genick.

Dann öffneten sich vor ihnen die Tore, und sie waren in Sicherheit. Sie blieben in Formation, bis der letzte Mann im Hof war.

Als die Tore sich schlossen, lief Gaius zurück, um den Hügel hinabzublicken, den sie gemeinsam heraufgekommen waren. Er lag verlassen da, kein Mensch war zu sehen. Rom schien so ruhig und friedlich wie immer.

Загрузка...