28

Als sich die Nacht über die Stadt herabsenkte, wurden überall Fackeln angezündet. Julius fragte sich, welches Bild sich wohl den Göttern bot, die von oben herabsahen: Sah die Stadt für sie aus wie ein großes, schimmerndes Auge in der unermesslichen Weite des Landes? Wir blicken hinauf, während sie herabschauen, dachte er.

Er stand mit Cabera am Fuß der Mauer und lauschte den Neuigkeiten, die von den Aussichtsposten auf den Wällen herabgerufen und sofort bis tief in die Stadt weitergegeben wurden, eine Informationsader für diejenigen, die nichts sehen und nichts hören konnten. Durch die Rufe hörte er trotz des Lärms rings herum das Stampfen tausender marschierender bewaffneter Männer und Pferde. Es erfüllte die warme Nacht und wurde immer lauter.

Es bestand kein Zweifel mehr. Sulla führte seine Legion direkt die Via Sacra hinauf vor die Tore der Stadt, offensichtlich ohne versteckten Plan. Die Posten berichteten von einer von Fackeln beschienenen Menschenschlange, die sich meilenweit in die Dunkelheit erstreckte, bis ihr Schwanz hinter den Hügeln verschwand. Es war die Marschformation für befreundetes Territorium, nicht das vorsichtige Heranrücken an einen Feind. Die Kühnheit eines derartig sorglosen Marsches ließ einige Verteidiger die Stirn runzeln; man fragte sich, was um alles in der Welt Sulla vorhatte. Eines war sicher: Marius würde sich nicht durch demonstratives Selbstvertrauen einschüchtern lassen.

Als die Tore und Mauern der befestigten Stadt im Widerschein der Fackeln seiner Legion zu leuchten begannen, ballte Sulla vor Aufregung die Fäuste. Tausende Soldaten und noch einmal halb so viel, die für die Versorgung zuständig waren, marschierten weiter durch die Nacht. Es war ein rhythmisches, ohrenbetäubendes Geräusch, das Krachen der Füße auf der Steinstraße hallte bis in die Stadt und durch die ganze Nacht. Sullas Augen funkelten in den Flammen der Fackeln. Beiläufig hob er die rechte Hand. Das Signal wurde weitergeleitet, große Trompeten dröhnten in die Dunkelheit und lösten eine Kette von Antworten in der lang gezogenen Menschenschlange aus.

Eine marschierende Legion zum Stillstand zu bringen, erforderte Können und viel Übung. Jede Sektion musste auf Befehl hin stehen bleiben, sonst rannte alles ineinander, und die Präzision endete in Chaos. Sulla drehte sich um und blickte den Hügel hinunter; dann nickte er zufrieden, als er sah, wie jede Zenturie zum Stehen kam, die Fackeln ruhig in den festen Fäusten. Vom ersten Signal bis zum Ende verging fast eine halbe Stunde, schließlich jedoch standen sie alle auf der Via Sacra, und die natürliche Stille des Landes schien sie zu umfangen. Seine goldglänzende Legion erwartete seine Befehle.

Sulla ließ den Blick über die Befestigungsanlagen schweifen und stellte sich die gemischten Gefühle der Männer und der Bürger dahinter vor. Sie wunderten sich wahrscheinlich über sein Anhalten, flüsterten nervös und gaben die Nachricht an diejenigen weiter, die zu weit hinten waren, um die große Prozession mit eigenen Augen zu sehen. Die Bürger hörten nur die schallenden Hörnerklänge und erwarteten jeden Augenblick den Angriff.

Er lächelte. Auch Marius würde ungeduldig auf seinen nächsten Zug warten. Er musste warten, das war die größte Schwäche, wenn man hinter den Mauern einer Festung stand. Dort konnte man nur seine passive Rolle spielen und verteidigen.

Sulla ließ die Zeit verstreichen, ließ sich mit einer Handbewegung kühlen Wein bringen. Dabei fiel ihm die ziemlich steife Haltung eines Fackelträgers auf. Warum war der Mann so angespannt?, fragte er sich. Er beugte sich im Sattel vor und sah, dass aus der Fackel ein kleines Rinnsal kochendes Öl entwichen war und auf die ungeschützte Hand des Sklaven zusickerte.

Sulla sah, wie die Augen des Mannes immer wieder zu der brennenden Flüssigkeit hinzuckten. War da ein Hauch der Flamme in dem sickernden Öl? Ja, die Hitze musste schrecklich sein; wahrscheinlich würde sie sich in die Haut des Mannes hineinfressen. Sulla schaute interessiert zu, bemerkte den Schweiß auf der Stirn des Mannes und schloss insgeheim eine Wette mit sich selbst ab, was geschehen würde, wenn die Hitze die Haut erreichte.

Er glaubte an Omen, und wusste, dass die Götter gerade in einem solchen Augenblick, vor den Toren der Stadt Rom selbst, auf die Sterblichen herabsahen. War das hier eine Botschaft von ihnen, ein Zeichen, das Sulla zu interpretieren hatte? Zweifellos liebten ihn die Götter, wie schon seine herausragende Stellung bewies. Seine Pläne standen fest, doch bei einem Mann wie Marius musste man immer mit einer Katastrophe rechnen. Die züngelnden Flammen auf dem Öl erreichten die Haut des Sklaven. Sulla hob eine Augenbraue, sein Mund zuckte vor Verwunderung. Trotz der offensichtlichen Qualen blieb der Mann stehen wie ein Fels, ließ das Öl über die Knöchel rinnen und von dort in den Staub der Straße tropfen. Sulla sah deutlich, wie die Flammen seine Hand mit einem gelblichen Glühen erhellten, und trotzdem rührte sich der Bursche nicht!

»Sklave!«, rief er.

Der Mann wandte seinem Herrn das Gesicht zu.

Angesichts seiner Standfestigkeit lächelte Sulla erfreut.

»Du bist deiner Pflichten entbunden. Versorge deine Hand. Dein Mut ist ein gutes Omen für heute Nacht.«

Der Mann nickte dankbar und erstickte die kleinen Flammen, indem er die andere Handfläche darum legte. Dann trabte er mit rotem Gesicht und vor Erleichterung keuchend davon. Sulla ließ sich einen gekühlten Becher reichen und trank den Mauern der Stadt zu. Mit geschlossenen Augen legte er den Kopf zurück und schmeckte den Wein. Jetzt blieb ihm nichts anderes als zu warten.

Marius legte gereizt die Hand auf den Rand der breiten Mauer.

»Was tut er da?«, murmelte er vor sich hin. Er sah Sullas Legion, die sich bis in weite Ferne erstreckte und nicht mehr als ein paar Hundert Schritte von dem Tor entfernt, das zur Via Sacra hinausführte, stehen geblieben war. Um ihn herum warteten seine Männer, nicht weniger angespannt als er selbst.

»Sie stehen gerade außer Schussweite, Legat«, bemerkte ein Zenturio.

Marius musste sich beherrschen, um nicht aufzubrausen. »Ich weiß. Sobald sie näher kommen, nehmt sie sofort unter Feuer. Lasst alles auf sie niederregnen, was wir haben. In dieser Formation werden sie die Stadt niemals einnehmen.«

Es ergab einfach keinen Sinn! Nur eine breite Front hatte eine Chance gegen einen gut vorbereiteten Feind. Die Marschformation mit der schmalen Spitze war keinesfalls in der Lage, die Verteidigung zu durchbrechen. Zornig ballte er die Fäuste. Was hatte er übersehen?

»Gib Signal, sobald sich etwas verändert«, befahl er dem Abschnittskommandeur und ging durch die Reihen der Soldaten zurück zu der Treppe, die hinab auf die Straße und in die Stadt führte. Julius, Cabera und Tubruk warteten geduldig auf Marius und sahen zu, wie er sich mit seinen Ratgebern unterhielt, die ihm, dem Kopfschütteln nach zu urteilen, nichts Neues zu berichten wussten. Tubruk löste seinen Gladius in der Scheide und spürte wieder jenes leichte Nervenflattern, das sich immer vor einem Blutvergießen einstellte. Es lag in der Luft, und er war froh, dass er den ganzen heißen Tag über hier geblieben war. Gaius, nein, jetzt hieß er ja Julius, hätte ihn beinahe zum Gut zurückgeschickt, doch etwas im Blick des ehemaligen Gladiators hatte ihn davon abgehalten.

Julius wünschte, die Gruppe von Freunden wäre komplett. Wie gut hätte er jetzt Renius’ Ratschläge und Marcus’ eigenwilligen Humor gebrauchen können. Abgesehen davon gab es wenige, die man sich eher an seiner Seite wünschen könnte, falls es wirklich zum Kampf kam. Auch er löste seine Klinge und ließ sie ein paarmal gegen den Metallrand der Scheide klappern, damit er sie jederzeit ungehindert ziehen konnte. Es war schon das fünfte Mal innerhalb von ebenso viel Minuten, dass er das tat, und Cabera schlug ihm kräftig auf die Schulter, was ihn ein wenig zusammenzucken ließ.

»Soldaten beschweren sich immer über die Warterei. Mir persönlich ist sie lieber als das Gemetzel selbst.« Tatsächlich spürte er, wie ihn die verschlungenen Pfade der Zukunft heftig bedrängten; er war gefangen zwischen dem Wunsch, Julius in Sicherheit zu bringen, und dem Verlangen, auf die Mauer zu steigen, um beim ersten Angriff dabei zu sein! Hauptsache, all die Möglichkeiten lösten sich in einfache Geschehnisse auf!

Julius betrachtete die Mauern, prägte sich die Anzahl und die Positionen der Männer ein, die reibungslosen Wachwechsel und das Überprüfen der Wurfmaschinen und Speerschleudern. In den Straßen war alles ruhig. Rom hielt den Atem an. Trotzdem rührte oder veränderte sich draußen nichts. Marius stapfte hin und her und brüllte Befehle, die er besser seinen verdienstvollen Männern weiter unten in der Befehlskette überlassen hätte. Allem Anschein nach wirkte sich die Anspannung sogar auf ihn aus.

Die endlosen Läuferketten kamen endlich zur Ruhe. Kein Wasser wurde mehr herangeschleppt, sämtliche Vorräte an Pfeilen und anderer Munition befanden sich an Ort und Stelle. Nur die eiligen Schritte eines Boten von einem anderen Mauerabschnitt unterbrachen alle paar Minuten die Stille. Julius sah die Besorgnis in Marius’ Gesicht, die sich bei den Nachrichten, dass auch sonst nirgendwo ein Angriff erfolgt war, fast noch verstärkte. Würde Sulla tatsächlich seinen Hals riskieren, indem er offiziell Zugang zur Stadt forderte? Sein Mut würde sicherlich viele Bewunderer gewinnen, wenn er selbst bis vor das Tor kam, doch Julius war sicher, dass Sulla selbst ziemlich bald tot sein würde, niedergestreckt von einem »versehentlich« abgeschossenen Pfeil. Marius würde eine so gefährliche Schlange nicht am Leben lassen, wenn sie sich bis auf Schussweite heranwagte.

Ein vermummter Bote, der sich an ihm vorbeidrängte, riss ihn aus seinen Gedanken. Genau in diesem Augenblick veränderte sich alles. Mit aufkeimendem Entsetzen sah Julius, wie die Männer auf dem am nächsten gelegenen Mauerabschnitt plötzlich von hinten überwältigt wurden, von ihren eigenen Gefährten. Sie waren so auf die draußen wartende Legion fixiert, dass innerhalb weniger Sekunden Dutzende von ihnen zu Boden gingen. Wasserträger ließen ihre Eimer fallen und bohrten Dolche in die ihnen am nächsten stehenden Soldaten, töteten die Männer, bevor diese überhaupt bemerkten, dass sie angegriffen wurden.

»Bei den Göttern!«, flüsterte er. »Sie sind bereits in der Stadt!«

Als er seinen Gladius zückte und mehr spürte als sah, dass Tubruk dasselbe tat, sah er, wie ein flammender Pfeil, der in aller Ruhe in einer Kohlenpfanne entzündet worden war, fauchend in die Nacht geschossen wurde. Sobald er in hohem Bogen aufstieg, zerriss die mörderische Stille. Vor den Toren brüllte Sullas Legion auf, als wäre die Hölle aufgebrochen, und stürzte sich auf die Stadt.

Marius hatte in der Dunkelheit der Straße mit dem Rücken zur Mauer gestanden, als ihm das Entsetzen im Gesicht eines Zenturios aufgefallen war. Er wirbelte gerade noch rechtzeitig herum, um zu sehen, wie der Mann die gekrümmten Finger in die Luft krallte, aufgespießt auf einem langen Dolch, der ihm in den Rücken gestoßen worden war.

»Was soll das? Beim Blut der Götter ...« Er holte tief Luft, um die Abschnitte links und rechts von ihm zu alarmieren und sah in diesem Augenblick, wie ein flammender Pfeil in die pechschwarze Dunkelheit der sternenlosen Nacht aufstieg.

»Zu mir! Die Erstgeborenen zum Tor! Haltet das Tor! Blast vollen Alarm! Sie kommen!«

Seine Stimme überschlug sich, doch die Trompetenbläser lagen bereits in ihrem eigenen Blut. Einer rang noch immer mit seinen Angreifern, hielt die dünne Bronzeröhre trotz der wütenden Stiche, die auf seinen Körper eindrangen, fest. Marius zückte das Schwert, das sich schon seit Generationen im Besitz seiner Familie befunden hatte. Sein Gesicht war schwarz vor Zorn. Die beiden Männer starben, und Marius setzte das Horn an die Lippen, schmeckte das Blut, das auf das Metall gespritzt war.

Rings um ihn her in der Dunkelheit antworteten weitere Hörner. Sulla hatte die ersten Momente der Schlacht gewonnen, doch Marius schwor, dass es damit noch nicht getan war.

Julius sah, dass die als Boten verkleidete Gruppe gut bewaffnet war und sich an dem Punkt zusammenzog, wo Marius mit der blutigen Trompete stand. Sein gezücktes Schwert war bereits dunkel von Blut. Hinter ihm ragte die Mauer auf, über die zuckende, von den Fackeln geworfene Schatten tanzten.

»Mir nach! Sie haben es in dem Durcheinander auf den Legaten abgesehen!«, knurrte er Tubruk und Cabera zu und fiel mit diesen Worten der sich zusammenrottenden Gruppe in den Rücken. Sein erster Hieb traf einen der rennenden Männer am Hals, gerade als sie langsamer wurden, um an mehreren kämpfenden Grüppchen vorbeizukommen. Endlich schienen Marius’ Leute erkannt zu haben, dass der Feind in Verkleidung auftrat, doch der Kampf gestaltete sich schwierig, weil in der Hitze des Gefechts niemand wusste, wer Freund und wer Feind war. Es war ein verheerender Trick, der die gesamte Organisation hinter den Stadtmauern in Chaos verwandelte. Julius zog seine Klinge über einen Beinmuskel, trampelte im Weiterlaufen auf den Körper des Fallenden und empfand eine tiefe Befriedigung, als er Knochen unter seinen Sandalen brechen und splittern fühlte. Zuerst wunderte er sich darüber, dass die Gruppe sich dem Kampf nicht stellte, doch dann wurde ihm rasch klar, dass sie Befehl hatte, Marius zu töten, und sich nicht um andere Gefahren kümmerte.

Mit einem gewaltigen Satz, der sie beide auf das harte Pflaster warf, brachte Tubruk noch einen der Männer zu Fall. Cabera streckte einen weiteren mit einem Dolchwurf nieder, der Sullas Mann in die Seite traf. Er geriet ins Taumeln, und Julius mähte ihn im Vorbeilaufen mit seiner Klinge nieder, nahm nur noch zufrieden wahr, wie sein Arm den Treffer registrierte und die Klinge wieder freikam.

Weiter vorne stand Marius immer noch allein mehreren dunkel gekleideten Gestalten gegenüber. Als sie erneut auf ihn eindrangen, brüllte er sie trotzig an, und mit einem Mal wusste Julius, dass er zu spät kam. Mehr als fünfzig Mann griffen den Legaten an. Alle seine Soldaten in diesem Abschnitt waren tot oder lagen im Sterben. Einer oder zwei schrieen noch ihre Enttäuschung hinaus, doch auch sie konnten seinen Onkel nicht mehr erreichen.

Marius spuckte Blut und Schleim und hob drohend das Schwert.

»Kommt schon, Jungs. Lasst mich nicht warten«, knurrte er mit zusammengebissenen Zähnen. Sein Zorn hatte immer noch die Oberhand über die Verzweiflung.

Julius spürte, wie ihn eine kräftige Faust energisch am Kragen packte und ihn zum Stehen brachte. Er schrie wütend auf, wirbelte herum und fühlte, wie sein Schwertarm zur Seite geschlagen wurde. Dann blickte er in Tubruks entschlossenes Gesicht.

»Nein, mein Junge. Es ist zu spät. Flieh, solange es noch geht.«

Wild fluchend wand sich Julius in seinem Griff.

»Lass los! Marius ist .«

»Ich weiß. Wir können ihm nicht mehr helfen.« Tubruks Gesicht war kalt und weiß. »Seine Männer sind zu weit weg. Uns haben sie einen Augenblick übersehen, aber es sind zu viele. Du musst am Leben bleiben, um ihn zu rächen, Gaius. Lebe!«

Julius drehte sich unter der Faust zur Seite und sah, wie Marius fünfzig Fuß von ihm entfernt unter einer wogenden Menge Leiber zu Boden ging, von denen einige nach seinen Hieben bereits schlaff und leblos waren. Die anderen schwangen Keulen, und er sah, dass sie wild auf den Legaten einschlugen und ihn mit besinnungsloser Grausamkeit niederknüppelten.

»Ich kann nicht davonlaufen«, sagte Julius.

Tubruk fluchte. »Nein. Aber du kannst dich zurückziehen. Diese Schlacht ist verloren. Die Stadt ist verloren. Sieh doch, Sullas Verräter stehen bereits an den Toren. Wenn wir jetzt nicht verschwinden, fallen wir der Legion in die Hände. Komm schon.« Ohne auf weitere Gegenrede zu warten, packte Tubruk den jungen Mann unter den Armen und zog ihn weg. Cabera schnappte sich den anderen Arm.

»Wir holen die Pferde und reiten durch die Stadt zu einem der anderen Tore. Dann zur Küste und zu einer Galeere der Legion. Du musst schleunigst weg. Nur wenige, die Marius unterstützt haben, dürften den Morgen erleben«, fuhr Tubruk erbittert fort.

Der junge Mann erschlaffte fast in seinem Griff, erstarrte jedoch kurz darauf fast vor Schreck, als in der Nacht immer mehr schwarze Schatten erwachten. Schwerter wurden an ihre Kehlen gedrückt, und Julius versteifte sich gegen den Schmerz, als ein Befehl die Nacht zerriss.

»Die nicht. Die kenne ich. Sulla hat gesagt, wir sollen sie am Leben lassen. Fesselt sie.«

Sie wehrten sich, doch sie konnten nichts dagegen tun.

Marius merkte, dass ihm jemand das Schwert aus der Hand riss, hörte wie aus weiter Ferne das Scheppern, mit dem es über die Steine schlitterte. Er spürte die dumpfen Schläge der Keulen nicht als Schmerz, sondern nur als Treffer, die seinen Kopf in dem Gedränge der vielen Körper hin- und herwarfen. Er spürte, wie eine Rippe mit einem eisigen Stich brach, dann wurde sein Arm verdreht, bis das Schultergelenk ausrenkte. Er kam kurz zu sich und versank dann wieder, als jemand auf seine Finger trat und sie brach. Wo waren seine Leute? Bestimmt waren sie schon unterwegs, um sein Leben zu retten. So hatte es nicht kommen sollen, so hatte er sein Ende nicht gesehen. Das war nicht der Mann, der an der Spitze eines großen Triumphzuges in Rom einzog, in Purpur gekleidet und Silbermünzen unter das Volk, das ihn liebte, verstreuend. Das hier war ein geschundenes Wesen, das Blut und Leben auf die scharfkantigen Steine hinauskeuchte und sich fragte, ob seine Männer ihm jemals zu Hilfe kommen würden, der sie alle liebte, wie ein Vater seine Kinder liebte.

Er spürte, wie sein Kopf nach hinten gerissen wurde und wartete darauf, dass ihm jemand eine Klinge durch die Kehle zog. Es geschah nicht, und nach langen Sekunden der Qual konzentrierte sich sein Blick auf die bedrohliche schwarze Masse des Tores zur Via Sacra. Gestalten wimmelten darauf herum, in groteske Verkleidungen gehüllte Gestalten. Er sah, wie eine ganze Gruppe von Männern einen gewaltigen Balken anhoben, und dann das Fackellicht, das durch den Spalt hereinflackerte. Das große Tor schwang auf, und dahinter stand Sullas Legion, der Konsul selbst an ihrer Spitze, mit einem goldenen Reif, der sein Haar zurückhielt, gekleidet in eine weiße Toga und goldene Sandalen. Marius blinzelte Blut aus seinen Augen, und aus der Ferne hörte er das erneute Schmettern des Alarms, als die Erstgeborenen von überall aus der Stadt herbeigeströmt kamen, um ihren Legaten zu retten.

Sie kamen zu spät. Der Feind war bereits in der Stadt, er hatte verloren. Sie würden Rom niederbrennen, das wusste er. Niemand konnte sie jetzt noch aufhalten. Seine Verteidigungstruppen würden überwältigt werden, es würde ein blutiges Gemetzel geben, und die Stadt würde geplündert und zerstört werden. Falls Sulla morgen noch am Leben war, würde er einen Haufen Asche erben.

Der Griff in Marius’ Haar wurde fester und zog seinen Kopf höher, ein entfernter Schmerz unter den vielen anderen. Marius empfand eine kalte Wut auf den Mann, der jetzt im Gefühl seiner Macht auf ihn zugeschritten kam, aber dennoch war diese Wut mit einem gewissen Respekt für einen würdigen Gegner vermischt. Beurteilte man einen Mann nicht nach seinen Gegnern? Dann war Marius fürwahr ein großer Mann. Seine Gedanken, von den schweren Schlägen umnebelt, irrten hin und her. Er verlor das Bewusstsein, nur für ein paar Sekunden, wie er glaubte, und kam wieder zu sich, als ein Soldat mit einem brutalen Gesicht ihn auf die Wangen schlug und angesichts des Blutes, das dabei auf seine Hände spritzte, eine Grimasse zog. Er machte Anstalten, die Hand an seinem schmutzigen Gewand abzuwischen, doch eine kräftige Stimme gebot ihm Einhalt.

»Sieh dich vor, Soldat. Du hast das Blut des Marius an deinen Händen. Ich finde, ein wenig Respekt wäre angemessen.«

Der Mann blickte den Eroberer fassungslos an, dann wich er ein paar Schritte zurück in die immer größer werdende Menge der Soldaten und hielt die Hände steif von sich gestreckt.

»Nur so wenige begreifen, worum es letztendlich geht, habe ich Recht, Marius? Was es bedeutet, zu wahrer Größe geboren zu sein?« Sulla trat so vor ihn hin, dass Marius ihm ins Gesicht sehen konnte. Seine Augen sprühten vor einer Zufriedenheit, die Marius niemals wieder zu sehen gehofft hatte. Er wandte den Blick ab, räusperte Blut aus seiner Kehle herauf und ließ es über sein Kinn laufen. Er hatte keine Kraft mehr zum Spucken, und er verspürte auch kein Verlangen danach, kurz vor seinem Tod kluge Sprüche auszutauschen. Er fragte sich, ob Sulla wohl Metella verschonen würde, und wusste, dass er es wahrscheinlich nicht tun würde. Julius ... er hoffte, dass der Junge entkommen war, aber auch er gehörte wahrscheinlich zu den erkaltenden Leichen, die überall herumlagen.

Im Hintergrund schwoll der Schlachtenlärm an, und Marius hörte, wie seine Männer, die immer noch versuchten, sich zu ihm durchzukämpfen, seinen Namen brüllten. Er versuchte, keine Hoffnung in sich aufkeimen zu lassen; es war zu schmerzhaft. Sein Tod stand unmittelbar bevor. Seine Männer würden nur noch seinen Leichnam finden.

Sulla machte ein nachdenkliches Gesicht und klopfte sich mit dem Fingernagel gegen die Zähne. »Weißt du, jeden anderen Legaten würde ich einfach hinrichten lassen und dann mit der Legion über die Einstellung der Kampfhandlungen verhandeln. Schließlich bin ich Konsul und handele im Rahmen meiner Befugnisse. Es dürfte keine große Sache sein, den gegnerischen Truppen zu erlauben, sich aus der Stadt zurückzuziehen und an ihrer Statt meine Männer in die Stadtkaserne zu führen. Ich glaube jedoch, dass deine Männer bis zum letzten Mann weiterkämpfen, was auch Hunderten von meinen Legionären das Leben kosten würde. Bist du nicht der Legat des Volkes, der von den Erstgeborenen so verehrte?« Er tippte sich wieder auf die Zähne, und Marius bemühte sich, sich zu konzentrieren, den Schmerz und die Müdigkeit zu ignorieren, die ihn wieder in die Dunkelheit zu ziehen drohten.

»Bei dir, Marius, bedarf es einer besonderen Lösung. Hier mein Angebot. Kann er mich hören?«, fragte er einen Mann, den Marius nicht sehen konnte. Ein paar Ohrfeigen weckten ihn aus seiner Benommenheit.

»Bist du noch da? Sag deinen Männern, sie sollen meine rechtmäßige Autorität als Konsul von Rom anerkennen. Die Primigenia soll sich ergeben und meine Legion in die Stadt einziehen lassen, ohne Zwischenfälle und ohne neuerlichen Angriff. Wir sind sowieso schon drin, das weißt du. Wenn du das tust, erlaube ich dir, Rom mit deiner Frau zu verlassen, geschützt durch mein Wort und meine Ehre. Wenn du dich weigerst, bleibt keiner deiner Männer am Leben. Ich werde sie Straße für Straße vernichten, von Haus zu Haus, zusammen mit allen, die dir jemals einen Gefallen getan oder dich unterstützt haben, und ihren Frauen, Kindern und Sklaven. Kurz gesagt, ich werde deinen Namen aus den Annalen der Stadt löschen, bis es keinen Lebenden mehr gibt, der dich einmal Freund genannt hat. Verstehst du das, Marius? Stellt ihn hin und stützt ihn. Holt dem Mann Wasser, um seine Kehle zu kühlen.«

Marius hörte die Worte und versuchte, sie in seinen wirbelnden, bleiernen Gedanken festzuhalten. Er traute Sullas Ehre nicht weiter als er spucken konnte, aber immerhin wäre seine Legion gerettet. Natürlich würde man sie weit von Rom fortschicken und mit einer entwürdigenden Aufgabe betrauen, sie irgendwo im Norden Zinnminen gegen die bemalten Wilden verteidigen lassen, aber seine Männer würden am Leben bleiben. Er hatte viel aufs Spiel gesetzt und verloren. Bittere Verzweiflung erfasste ihn, nahm dem Schmerz die Schärfe, als sich im rohen Griff von Sullas Männern gebrochene Knochen in seinem Leib verschoben, Männern, die es noch ein Jahr zuvor nicht gewagt hätten, auch nur einen Finger gegen ihn zu rühren. Sein Arm hing leblos herab, fühlte sich taub an, als gehöre er nicht zu ihm, doch das spielte keine Rolle mehr. Ein letzter Gedanke hielt ihn davon ab, sofort zu sprechen. Sollte er das Ganze noch eine Weile hinauszögern, in der Hoffnung, dass seine Männer vielleicht doch noch durchbrachen und die Situation zu seinem Vorteil wendeten? Er drehte den Kopf und sah Sullas Männer in sämtliche Straßen ausschwärmen, erkannte, dass die Chance auf eine rasche Vergeltung dahin war. Von nun an gab es nur noch blutigen, verzweifelten Kampf, und ein Großteil seiner Legion stand noch immer auf den Mauern rings um die Stadt, alles andere als darauf vorbereitet, in den Kampf einzugreifen. Nein.

»Ich stimme dir zu. Mein Wort darauf. Lass den nächstbesten meiner Männer zu mir, damit ich den Befehl an sie weitergeben kann.«

Sulla nickte, doch in seinem Gesicht spiegelten sich alle möglichen Zweifel. »Wenn du die Unwahrheit sagst, müssen Tausende sterben. Deine Frau wird zu Tode gefoltert. Mach dem allen ein Ende. Bringt ihn her!«

Marius stöhnte vor Schmerz auf, als er aus dem Schatten der Mauer gezogen wurde, dorthin, wo das Klirren der Waffen am lautesten war.

Sulla nickte seinen Adjutanten zu. »Blast zum Einstellen der Kampfhandlungen«, blaffte er, wobei seine Stimme zum ersten Mal, seit Marius ihn erblickt hatte, einen Hauch von Nervosität verriet. Die Trompeter ließen das Signal ertönen, und sofort wichen die erste und zweite Reihe zwei Schritte vom Feind zurück, wo sie ihre Positionen mit blutigen Schwertern hielten.

Marius’ Legion hatte an der südöstlichen Seite die Mauern verlassen und schwärmte durch die Straßen herbei. Durch jede Gasse, jede Straße kamen sie in Massen heran, mit vor Wut und Blutgier leuchtenden Augen. Hinter ihnen drängten von Sekunde zu Sekunde mehr nach, während sich die Stadtmauern von ihren Verteidigern leerten. Als Marius zum Sprechen aufgerichtet wurde, erhob sich unter den Männern lautes Wutgeheul, ein animalischer Lärm, der nichts als Rache forderte. Sulla wich nicht davor zurück, doch die Muskeln um seine Augen spannten sich. Marius holte zum Sprechen tief Luft und spürte die Spitze eines Dolches im Rücken.

»Erstgeborene.« Marius’ Stimme war nur noch ein Krächzen. Er versuchte es noch einmal, sammelte seine Kraft. »Erstgeborene. Es gibt keine Schande. Wir sind nicht verraten, sondern von Sullas eigenen Männern angegriffen worden, die er zurückgelassen hat. Und jetzt, wenn ihr mich liebt, wenn ihr mich jemals geliebt habt, tötet sie alle und lasst Rom brennen!«

Er achtete nicht auf den Schmerz, als der Dolch in ihn eindrang und stand einen langen Augenblick aufrecht vor seinen Männern, die vor Kampfeslust wild aufbrüllten. Dann brach sein Körper zusammen.

»Feuer der Hölle!«, brüllte Sulla, als die Erstgeborenen vorwärts stürmten. »Bildet Vierer. Nahkampfformation! Sechste Kompanie zu mir. Greift an!« Er zog sein Schwert, und die am nächsten Stehenden drängten sich dichter heran, um ihn zu schützen. Schon roch er Blut und Rauch in der Luft, und dabei würde es noch Stunden dauern, bis der Morgen heraufdämmerte.

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