11

Das Licht der Morgendämmerung war kalt und grau, der Himmel stand klar über den Ländereien des Gutes. Der tiefe Klang der Hörner erschallte voller Trauer und übertönte den Gesang der Vögel, der an einem Tag, der das Ende eines Lebens anzeigte, so unpassend erschien. Im Haus war aller Schmuck entfernt worden, bis auf einen Zypressenzweig über dem Haupttor, der die Priester des Jupiters vor dem Betreten warnen sollte, solange der Leichnam noch drinnen lag. Dreimal klagten die Hörner, und schließlich riefen die Menschen: »Conclamatum est« - die Trauer ist erklungen. Innerhalb der Tore sammelten sich die Trauergäste aus der Stadt, die zum Zeichen ihres Kummers unrasiert, ungewaschen und in grobe Wolltogen gekleidet, erschienen waren.

Gaius stand mit Tubruk und Marcus am Tor und sah zu, wie sein Vater mit den Füßen voran hinausgetragen und vorsichtig auf den offenen Wagen gelegt wurde, der ihn zum Scheiterhaufen bringen sollte. Die Menge wartete, die Köpfe im Gebet oder in Gedanken gesenkt, während Gaius ernst zu dem Leichnam schritt.

Er schaute in das Antlitz, das er sein ganzes Leben lang gekannt und geliebt hatte, und versuchte, sich daran zu erinnern, wie es war, als sich die Augen noch hatten öffnen können und die starke Hand ihn an der Schulter berührt oder ihm die Haare zerzaust hatte. Diese Hände lagen jetzt reglos neben dem Körper, die Haut war sauber und glänzte von Öl. Die Wunden aus dem Kampf um die Mauern waren unter den Falten der Toga verborgen, doch es war kein Hauch von Leben mehr in ihm. Kein Atem hob und senkte seine Brust; die Haut sah irgendwie falsch aus, viel zu blass. Er fragte sich, ob sie sich kalt anfühlte, konnte die Hand jedoch nicht ausstrecken. »Lebwohl, mein Vater«, flüsterte er und verlor fast die Fassung, als der Kummer ihn wieder zu übermannen drohte. Doch da er wusste, dass die Menge ihn beobachtete, riss er sich zusammen. Dem alten Mann keine Schande machen. Einige von ihnen waren alte, ihm unbekannte Freunde, andere waren bestimmt Aasgeier, die gekommen waren, um sich ein Bild von seiner Schwäche zu machen. Bei diesem Gedanken verspürte er einen zornigen Stich, der ihm half, seine Trauer zu ersticken. Er ergriff die Hand seines Vaters und neigte den Kopf. Die Haut fühlte sich an wie Stoff, lag rau und kühl in der seinen.

»Conclamatum est«, sagte er laut, und die Menge wiederholte die Worte murmelnd.

Er trat zurück und beobachtete schweigend, wie seine Mutter sich dem Mann näherte, der ihr Gatte gewesen war. Er konnte sehen, wie sie unter dem schmutzigen Wollumhang am ganzen Leibe bebte. Ihr Haar war nicht von den Sklaven hergerichtet worden und stand wirr und unordentlich vom Kopf ab. Ihre Augen waren blutunterlaufen und ihre Hand zitterte, als sie seinen Vater ein letztes Mal berührte. Gaius erstarrte und hoffte, sie würde das Ritual ohne Peinlichkeit zu Ende bringen. Weil er so nahe stand, konnte er als Einziger die Worte hören, die sie sprach, als sie sich dicht zum Gesicht seines Vaters hinunterbeugte.

»Warum hast du mich alleine gelassen, mein Liebster? Wer wird mich jetzt zum Lachen bringen, wenn ich traurig bin, wer wird mich in der Dunkelheit umarmen? Es ist nicht das, wovon wir geträumt haben. Du hast mir versprochen, immer bei mir zu sein, wenn ich müde und wütend auf die Welt bin.«

Sie begann bebend zu schluchzen, und Tubruk gab der Pflegerin, die er für sie angestellt hatte, ein Zeichen. Genau wie die Ärzte hatte auch sie keine Besserung ihrer körperlichen Verfassung bewirkt, doch Aurelia schien bei der römischen Matrone Trost zu finden, vielleicht auch nur der weiblichen Gesellschaft wegen. Für Tubruk war das Grund genug, sie weiterzubeschäftigen. Er nickte, als sie Aurelia sanft am Arm nahm und in das verdunkelte Haus führte.

Gaius atmete langsam aus und wurde der Menge wieder gewahr. Tränen traten ihm in die Augen, doch er achtete nicht darauf und ließ sie einfach an den Wimpern hängen.

Tubruk kam auf ihn zu und sprach leise zu ihm. »Sie wird wieder gesund«, sagte er, aber sie wussten beide, dass das nicht stimmte.

Einer nach dem anderen traten die Trauernden vor, um dem Toten die letzte Ehre zu erweisen, und nicht wenige wechselten danach ein paar Worte mit Gaius, priesen seinen Vater und forderten ihn auf, sie in der Stadt aufzusuchen.

»Er war immer ehrlich zu mir, auch wenn anderswo mehr Profit zu machen gewesen wäre«, sagte ein grauhaariger Mann in einer groben Toga. »Ihm gehörte ein Fünftel meiner Läden in der Stadt, und er hat mir das Geld geliehen, um sie zu kaufen. Er war einer der seltenen Menschen, dem man in allem trauen konnte, und er war stets gerecht.«

Gaius drückte seine Hand. »Vielen Dank. Tubruk vereinbart einen Termin mit dir, dann reden wir über die Zukunft.«

Der Mann nickte. »Wenn er mich beobachten kann, dann möchte ich, dass er sieht, dass ich ehrlich zu seinem Sohn bin. Das, und noch viel mehr, bin ich ihm schuldig.«

Andere folgten ihm, und mit Stolz sah Gaius die ungespielte Trauer, die sein Vater hinterlassen hatte. In Rom gab es eine Welt, die sein Sohn nie gesehen hatte, doch sein Vater war ein anständiger Mensch gewesen, und das war ihm wichtig: Die Stadt war ärmer geworden, weil sein Vater nicht mehr durch ihre Straßen ging.

Einer der Trauergäste war in eine saubere Toga aus guter, weißer Wolle gekleidet und stach aus der Trauergesellschaft hervor. Er blieb nicht an dem Wagen stehen, sondern kam direkt auf Gaius zu.

»Ich komme als Vertreter des Konsul Marius. Er weilt nicht in der Stadt, aber er hat mich geschickt, um dir zu sagen, dass er deinen Vater nicht vergessen wird.«

Gaius dankte ihm freundlich, während er gleichzeitig fieberhaft nachdachte. »Überbringe Konsul Marius die Nachricht, dass ich ihn aufsuchen werde, sobald er wieder in der Stadt weilt.«

Der Mann nickte. »Dein Onkel wird dich herzlich empfangen, da bin ich sicher. Heute in drei Wochen triffst du ihn wieder in seinem Haus an. Ich richte ihm deine Worte aus.« Der Bote zog sich wieder zurück und schritt durch die Menge zum Tor hinaus. Gaius sah ihm nach.

Marcus trat neben ihn und sagte leise: »Schon jetzt bist du nicht mehr so alleine, wie du warst.« Gaius dachte an die Worte seiner Mutter. »Das stimmt. Er hat hohe Anforderungen an mich gestellt, und ich werde sie erfüllen. Ich werde dereinst kein geringerer Mann sein, wenn ich hier liege und mein Sohn diejenigen begrüßt, die mich gekannt haben. Das schwöre ich.«

In die Stille des Morgens drangen die Stimmen der Praeficae, die leise immer und immer wieder die gleichen Worte des Verlustes sangen. Es war ein trauriger Klang, und er erfüllte die Welt, als die Pferde den Wagen mit seinem Vater langsam aus dem Tor zogen und sich die Menschen mit gesenkten Köpfen anschlossen.

In wenigen Minuten hatte sich der Hof geleert. Gaius wartete noch auf Tubruk, der hineingegangen war, um nach Aurelia zu sehen.

»Kommst du mit?«, fragte ihn Gaius, als er zurückkehrte.

Tubruk schüttelte den Kopf. »Ich bleibe hier und kümmere mich um deine Mutter. Sie soll in diesem Augenblick nicht allein sein.«

Wieder traten Tränen in Gaius’ Augen, und er ergriff den Arm des älteren Manns.

»Schließe das Tor hinter mir, Tubruk. Ich glaube, ich schaffe es nicht.«

»Du musst. Dein Vater ist unterwegs zur Grabstätte, und du musst ihm folgen, aber zuerst müssen die Tore vom neuen Herrn geschlossen werden. Es steht mir nicht zu, deinen Platz einzunehmen. Verschließe das Anwesen zum Zeichen der Trauer, und dann geh und zünde den Scheiterhaufen an. Das sind deine letzten Aufgaben, ehe ich dich Herr nennen werde. Jetzt geh.«

Gaius, zu keinem weiteren Wort fähig, drehte sich um und zog die schweren Torflügel hinter sich zu. Der Leichenzug war mit seinen gemessenen Schritten noch nicht weit gekommen, und er ging langsam hinter ihm her, mit aufrechtem Rücken und schmerzerfülltem Herzen.

Das Krematorium lag außerhalb der Stadt, in der Nähe der Familiengrabstätte. Seit Jahrzehnten schon waren Begräbnisse innerhalb der Mauern Roms verboten, weil die Stadt allen verfügbaren Platz für neue Gebäude brauchte. Schweigend sah Gaius zu, wie die Leiche seines Vaters auf einen hohen Scheiterhaufen gelegt wurde, in dessen Mitte sie den Blicken entzogen war. Das Holz und das Stroh waren mit parfümierten Ölen getränkt worden, und der Geruch von Blumen hing schwer in der Luft, während die Praeficae ihr Klagelied beendeten und stattdessen eines von Hoffnung und Wiedergeburt anstimmten. Der Mann, der den Leichnam seines Vaters für die Bestattung vorbereitet hatte, brachte Gaius eine fauchende Fackel. Er hatte die dunklen Augen und das ruhige Gesicht eines Mannes, der Tod und Trauer gewohnt war.

Dann trat er an den Scheiterhaufen und spürte die Blicke aller Trauergäste auf sich lasten. Er würde in der Öffentlichkeit keine Schwäche zeigen, schwor er sich. Rom und sein Vater sahen genau hin, ob er schwach werden würde, doch das würde er nicht zulassen.

So dicht am Scheiterhaufen war der Duft der Parfums beinahe überwältigend. Gaius nahm eine Silbermünze, öffnete den Mund seines Vaters und drückte das Metall gegen die kühle, trockene Zunge. Das war der Lohn für den Fährmann Charon; sein Vater würde die stillen Gefilde des Jenseits erreichen. Er schloss dem Toten den Mund, trat zurück und stieß die qualmende Fackel in das ölige Stroh am Fuß des Scheiterhaufens. Wieder musste er an den Geruch verbrennender Federn denken, aber die Erinnerung verflog ebenso rasch, wie sie gekommen war und bevor er sie einordnen konnte.

Die Flammen züngelten rasch höher, das Knacken und Prasseln der Zweige wirkte im Vergleich zu den leisen Liedern der Praeficae unnatürlich laut. Mit gerötetem Gesicht trat Gaius vor der Hitze zurück, die Fackel schlaff in der Hand. Es war das Ende der Kindheit, während er noch ein Kind war. Die Stadt rief ihn, und er fühlte sich noch nicht dazu bereit. Der Senat rief ihn, und er hatte schreckliche Angst. Doch er würde das Andenken seines Vaters nicht enttäuschen und sich den Herausforderungen stellen, wenn sie auf ihn zukamen. In drei Wochen würde er das Gut verlassen und Rom als Bürger betreten, als Mitglied der Nobilitas.

Endlich konnte er weinen.

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