9

Fast wäre alles vorbei gewesen, ehe es richtig begonnen hatte. Wie von Renius vorausgesagt, hatten die Sklaven, die vor den Mauern des Hofes zusammenströmten, keine Ahnung, wie man bewaffnete Verteidiger überwältigte, und liefen stattdessen johlend und schreiend durcheinander. Obwohl das die perfekte Gelegenheit für die Bogenschützen gewesen wäre, hatte Renius mit einem Blick zu Cabera und Lucius den Kopf geschüttelt, woraufhin die beiden mit eingelegten Pfeilen und kaltem Blick zusahen. Es bestand immer noch die Möglichkeit, dass die Sklaven sich ein einfacheres Ziel suchten, und ein paar Pfeile konnten ihren Zorn schnell in blinde Raserei umschlagen lassen.

»Öffnet das Tor!«, schrie jemand aus der Menge der Fackelträger. In dem flackernden Licht sah das Ganze beinahe wie ein Festumzug aus, wenn nicht der brutale Ausdruck in den Mienen der Angreifer gewesen wäre. Renius beobachtete sie und wog die Möglichkeiten ab. Immer mehr potenzielle Angreifer stießen von hinten dazu. Es waren offensichtlich schon jetzt mehr, als auf einem kleinen Landgut leben und arbeiten konnten. Ausgebrochene Sklaven aus Rom, die nichts mehr zu verlieren hatten, ließen die Menge anwachsen und trugen Hass und Gewalt dorthin, wo sonst vielleicht die Vernunft obsiegt hätte. Diejenigen in den vorderen Reihen wurden weiter vorwärts gedrängt, und Renius hob den Arm, bereit, seine beiden einsamen Bogenschützen die ersten Pfeile in die Menge schießen zu lassen. Auf diese Entfernung konnten sie kaum danebenschießen.

Ein Mann trat vor. Er war muskulös und trug einen dichten, schwarzen Bart, mit dem er wie ein Barbar aussah. Vor ein paar Tagen hatte er wahrscheinlich noch geduldig Steine in einem Steinbruch geschleppt oder Pferde für einen nachsichtigen Herren trainiert. Jetzt war seine Brust vom Blut eines anderen Menschen befleckt und sein Gesicht von einem hasserfüllten Grinsen verzerrt. Seine Augen glänzten im Licht seiner Fackel.

»Ihr dort auf den Mauern! Ihr seid Sklaven wie wir. Tötet die, die sich für etwas Besseres halten. Tötet sie alle, und wir heißen euch als Freunde willkommen.«

Renius ließ seinen Arm fallen, und Cabera jagte dem Mann einen gefiederten Pfeil durch den Hals.

In dem Augenblick der Stille brüllte Renius die Sklavenmenge an: »Das bekommt ihr von mir.

Ich bin Renius, und hier kommt ihr nicht herein. Geht nach Hause und wartet auf Gerechtigkeit!« »Gerechtigkeit wie diese?«, schrie jemand wütend. Ein anderer Mann rannte auf die Mauer zu, sprang in die Höhe und versuchte, die Mauerkante zu erreichen. Der Augenblick war gekommen. Die Meute heulte auf und warf sich nach vorne.

Nur wenige waren mit Schwertern bewaffnet, die meisten hatten, wie die Verteidiger, nur das, was sie hatten finden können. Manche hatten nichts als ihre rasende Wut, und Renius erledigte den Ersten von ihnen mit einem glatten Hieb in den Hals, ohne auf die zitternden Finger zu achten, die nach seinem Brustpanzer grabschten. Von überall drangen jetzt Schreie durch den Lärm von Metall auf Metall und Metall auf Fleisch. Renius sah, wie Cabera den Bogen fallen ließ und einen gefährlich aussehenden Dolch zog, mit dem er zustieß und sofort wieder zurücksprang, sodass die Toten auf die Nachdrängenden zurückfielen. Der alte Mann trat auf Finger, die sich immer leichter an der Mauer festhalten konnten, weil die Körper der Toten nun als Stufen für neue Angreifer dienten.

Renius wurde ein wenig schwindlig. Als er die plötzliche Wärme der Verbände spürte, die von einem stechenden Schmerz begleitet war, wusste er, dass seine Schulterwunde wieder aufgebrochen war. Er biss die Zähne zusammen und rammte einem Mann seinen Gladius in den Bauch; fast verlor er seine Waffe in den schlüpfrigen Eingeweiden, als der Getroffene nach hinten umfiel. Ein weiterer nahm seinen Platz ein, und noch einer. Renius konnte kein Ende erkennen. Er bekam einen Schlag mit einer Holzlatte ab, der ihn einen Augenblick lang betäubte. Taumelnd stolperte er rückwärts und versuchte die Kraft zu finden, sein Schwert zu heben, um sich dem Nächsten zu stellen. Seine Muskeln schmerzten, und die Erschöpfung, die er bei dem Kampf gegen Marcus gespürt hatte, überfiel ihn wieder.

»Ich bin zu alt für so was«, murmelte er und spuckte Blut über sein Kinn. Links von sich sah er eine Bewegung, und er schwang sein Schwert, um sie abzuwehren, aber zu langsam. Es war Marcus, der ihn angrinste. Er war blutverschmiert und sah aus wie ein Dämon aus den alten Mythen.

»Ich mache mir ein bisschen Sorgen wegen meiner unteren Deckung«, sagte er. »Ob du mal ein Auge darauf haben könntest? Und mir dann sagen, wo das Problem liegt?«

Während er sprach, rammte er einen Mann, der sich gerade aufzurichten versuchte, mit der Schulter. Der Mann stolperte rückwärts, fiel und landete mit einem Schrei auf dem Kopf.

»Ich habe dir doch gesagt, du sollst deinen Posten nicht verlassen«, sagte Renius keuchend und versuchte, seine Schwäche zu verbergen.

»Du wärst fast getötet worden. Diese Ehre gebührt mir. So etwas darf man nicht mutterlosem Abschaum wie diesem hier überlassen, finde ich!« Er deutete mit einer Kopfbewegung zur anderen Seite des Tores, wo Caecilius, den die meisten nur als »den Koch« kannten, breit grinste und wild um sich hieb.

»Nur her mit euch, ihr Schweine! Her mit euch, ihr Ochsen. Ich hack euch in Stücke!« Unter all dem Fett mussten Muskeln lauern, denn er schwang das riesige Beil, als wäre es aus leichtem Holz.

»Der Koch hält sie auch ohne mich auf. Er scheint sich in seinem ganzen Leben noch nie so gut amüsiert zu haben«, fuhr Marcus fröhlich fort.

Drei Männer setzten gleichzeitig von dem Leichenberg aus, der jetzt schon die halbe Höhe der Mauer erreicht hatte, über die Mauer. Der erste schlug mit seinem Schwert nach Marcus, der ihm sein eigenes von der Seite in die Brust stieß. Vom eigenen Schwung mitgerissen, stürzte der Mann auf die Pflastersteine unten im Hof. Den zweiten erledigte Marcus mit einem Rückhandstreich, der den Mann in Augenhöhe traf und durch Fleisch und Knochen drang. Er war augenblicklich tot.

Der dritte Mann griff mit einem Schrei der Begeisterung Renius an. Er hatte den alten Mann erkannt und erzählte in Gedanken offensichtlich schon seinen Freunden von seiner Tat, als Renius ihm das Schwert unter seiner Deckung hindurch in die Brust jagte.

Renius ließ den Mann fallen und zog sein Schwert heraus. Sein linker Arm schmerzte jetzt wieder, diesmal jedoch war es ein tiefer Schmerz. Seine Brust pochte vor Schmerzen, und er stöhnte.

»Bist du verletzt?«, fragte Marcus, ohne den Blick von der Mauer zu nehmen.

»Nein. Zurück auf deinen Posten!«, erwiderte der Ältere barsch, doch mit plötzlich sehr grauem Gesicht.

Marcus sah ihn einen langen Augenblick an. »Ich glaube, ich bleibe noch ein bisschen hier«, sagte er leise. Weitere Männer kamen über die Mauer, und sein Schwert tanzte unaufhaltsam von einer Kehle zur anderen.

Gaius’ Vater nahm kaum Notiz von denjenigen, die durch sein Schwert fielen. Er kämpfte so, wie man es ihm beigebracht hatte: Stoß, Deckung, Rückhand. Unten vor dem Tor stapelten sich die Leichen am höchsten, und eine innere Stimme sagte ihm, dass sie inzwischen längst aufgegeben haben müssten. Schließlich waren es nur Sklaven. Sie mussten nicht über die Mauer kommen. Warum gaben sie nicht auf? Wenn das alles vorbei war, würde er die Mauer auf drei Mannslängen aufstocken lassen.

Es schien gerade so, als stürzten sie sich in sein Schwert, das von ihrem Blut nass wurde, die Mauer und die Tore bespritzte und auch ihn durchnässte. Seine Schulter schmerzte und sein Arm war bleischwer. Nur seine Beine bewegten sich immer noch voller Kraft unter ihm. Der Pöbel musste doch bald aufgeben und sich leichtere Opfer suchen, oder? Er bewegte sich im tödlichen Rhythmus der Legionäre - zustoßen, parieren, Rückhand, aber immer mehr Angreifer erkletterten die Berge menschlichen Fleisches, um in den Gutshof zu gelangen. Sein Schwert war inzwischen an den Knochen und Klingen stumpf geworden, und sein erster Schlag fügte einem Mann, der sich auf ihn stürzte, nur einen Kratzer zu. Ein Dolch durchbohrte die harten Muskeln seines Bauchs, und er stöhnte vor Schmerz auf, während er dem Mann sein Schwert in den Rachen trieb. Alexandria stand an einer dunklen Stelle im Hof. Die anderen Frauen weinten leise vor sich hin. Eine betete. Sie beobachtete, wie Renius immer müder wurde und war enttäuscht, als der junge Marcus herbeieilte, um ihn zu retten. Sie fragte sich, warum er das getan hatte, und staunte mit großen Augen, als sie den Unterschied zwischen ihnen sah. Auf der einen Seite der ergraute Krieger, ein Veteran aus tausend Kämpfen, mühsam und von Schmerzen gezeichnet. Marcus dagegen mordete mit besonnenen Bewegungen und brachte den Sklaven lächelnd mit seinem Schwert den Tod. Es spielte keine Rolle, ob sie Schwerter oder Keulen hatten. Er ließ sie unbeholfen aussehen und raubte ihnen dann mit einem Schnitt oder Schlag die Kraft. Einer von ihnen hatte offensichtlich überhaupt nicht bemerkt, dass er starb. Das Blut strömte aus seiner Brust, doch immer wieder schlug er mit einem zerbrochenen Speer zu, sein Gesicht vom Wahnsinn verzerrt.

Neugierig versuchte Alexandria das Gesicht des Mannes zu sehen, und sie erlebte den Augenblick mit, als er den Schmerz spürte und die Dunkelheit nahen sah.

Ihr ganzes Leben lang hatte sie Geschichten von der Kraft und dem Ruhm der Männer gehört, und jetzt schienen sie über diesem Gemetzel zu schweben und irgendwie nicht ganz zur Wirklichkeit zu passen. Sie hielt Ausschau nach Augenblicken der Kameradschaft, nach Tapferkeit im Angesicht des Todes, aber hier unten in der Dunkelheit konnte sie nichts davon entdecken.

Der Koch genoss den Kampf, das war offensichtlich. Er hatte angefangen, ein vulgäres Lied von einem Markttag und hübschen Mädchen zu singen, und er brüllte den Refrain mit mehr Lautstärke als Melodie in die Nacht, während er sein Beil in Schädel und Schultern hieb. Männer starben unter seiner Klinge, und sein Lied wurde immer heiserer, während sie fielen.

Zu ihrer Linken stürzte einer der Verteidiger vom Laufgang in den Hof. Er machte keinerlei Anstalten, sich vor dem Aufprall zu schützen, sein Kopf schlug mit einem nassen Geräusch auf den harten Steinen auf. Alexandria schauderte. In der Dunkelheit tastete sie nach der Schulter einer anderen Frau. Wer immer es auch sein mochte, sie schluchzte leise vor sich hin. Dafür war jetzt keine Zeit.

»Schnell! Sie kommen durch die Lücke!«, zischte sie und zog die andere mit sich, weil sie es sich nicht zutraute, diese Aufgabe allein zu übernehmen.

Während sie liefen, hörte man von einer anderen Stelle der Mauer einen weiteren knirschenden Aufprall. Triumphgeschrei erschallte. Ein Mann kletterte herunter, hing einen Augenblick lang in der Luft, ehe er losließ und sich die letzten paar Fuß fallen ließ.

Er wirbelte herum, wie ein wilder, blutiger Albtraum, und in dem Moment, in dem seine Augen aufleuchteten, weil er keine Verteidiger vor sich sah, rammte ihm Alexandria ihre Klinge ins Herz. Das Leben entwich ihm mit einem Seufzer, und ein weiterer Mann landete ganz in der Nähe auf den Pflastersteinen. Das Brechen seines Knöchels war sogar durch das Geschrei vor den Mauern hindurch zu hören. Die matronenhafte Susanna, die sonst bei Festbanketten den Tisch ihres Herren mit so viel Sorgfalt deckte, schnitt ihm mit einem Abhäutemesser die Kehle durch und ließ ihn einfach liegen, während er hinter ihr im Todeskampf zuckte.

Alexandria blickte hinauf zu dem hellen Ring der Fackeln. Die hatten wenigstens Licht! Wie schrecklich es war, im Dunkeln zu sterben.

»Mehr Fackeln hierher!«, schrie sie, in der Hoffnung, jemand würde antworten.

Hände ergriffen sie von hinten, und ihr Kopf wurde zu einer Seite gerissen. Sie verkrampfte sich in der Erwartung des schrecklichen Schmerzes, der gleich kommen würde, aber plötzlich fiel das Gewicht von ihren Schultern ab, und als sie sich umdrehte, erblickte sie Susanna, deren Messerhand von frischer, roter Nässe bedeckt worden war.

»Nicht den Mut verlieren, Liebes. Die Nacht ist noch nicht zu Ende.« Susanna lächelte, und Alexandrias Panik verging. Sie sah sich wie die anderen auf dem Hof um und erschrak kaum noch, als ein weiterer Verteidiger fiel. Dieser schrie auf, als er auf dem Hof aufschlug. Dieses Mal drangen drei Männer durch die Lücke, die er hinterlassen hatte, und man konnte zwei weitere sehen, die sich über die rutschigen Leichen kämpften.

Alle Frauen zogen ihre Messer. Selbst hier in der Finsternis des Hofs fiel das Licht der Fackeln auf die Klingen. Ehe sich die Männer an die Dunkelheit gewöhnt hatten, hatten sich die Frauen schon auf sie gestürzt, umklammerten sie und stachen auf sie ein.

Gaius schreckte aus dem Schlaf. Seine Mutter Aurelia saß mit einem feuchten Tuch in der Hand an seinem Bett. Die Berührung hatte ihn geweckt, und als er sie anblickte, drückte sie es ihm gegen die Stirn und summte leise vor sich hin. In der Ferne hörte er Schreie und unmissverständlichen Kampflärm. Wie hatte er bei diesem Krach schlafen können? Cabera hatte ihm einen warmen Trunk verabreicht, als der Abend hereinbrach. Da musste wohl etwas drin gewesen sein.

»Was ist denn los, Mutter? Ich höre einen Kampf.«

Aurelia lächelte ihn traurig an.

»Still, mein Liebling. Du darfst dich nicht aufregen. Dein Leben schwindet dahin, und ich bin hier, damit du deine letzten Stunden in Frieden verbringen kannst.«

Gaius wurde ein wenig blass. Nein, er fühlte sich schwach, aber gesund.

»Ich sterbe nicht. Ich werde wieder gesund. Also, was ist da draußen auf dem Hof los? Ich sollte lieber hinausgehen!«

»Psst, psst. Ich weiß, sie haben gesagt, dass es dir besser geht, aber ich weiß auch, dass sie mich anlügen. Jetzt sei still, damit ich dir die Stirn kühlen kann.«

Gaius starrte sie ungläubig an. Sein ganzes Leben hatte sich diese geistlos umherirrende Närrin in den Vordergrund geschoben und die lebhafte, intelligente Frau verdrängt, die ihm fehlte. Schon jetzt fürchtete er den Schreikrampf, der auf ein falsches Wort von ihm folgen würde.

»Ich möchte die Nachtluft auf meiner Haut spüren, Mutter. Ein letztes Mal. Lass mich bitte allein, damit ich mich ankleiden kann.«

»Aber natürlich, mein Liebling. Ich gehe zurück in meine Gemächer, jetzt, wo ich mich von dir verabschiedet habe, mein wundervoller Sohn.« Sie kicherte einen Augenblick und seufzte, als müsse sie eine schwere Last tragen.

»Dein Vater ist da draußen und lässt sich umbringen, anstatt sich um mich zu kümmern. Er hat sich nie richtig um mich gekümmert. Wir haben jetzt schon seit Jahren nicht mehr miteinander geschlafen.«

Gaius wusste nicht, was er sagen sollte. Er setzte sich auf und schloss die Augen vor Schwäche. Er konnte nicht einmal die Hand zur Faust ballen, doch er musste erfahren, was los war. Oh ihr Götter, warum war denn niemand da? Waren sie alle dort draußen? Tubruk?

»Bitte geh, Mutter. Ich muss mich anziehen. Ich möchte meine letzten Augenblicke draußen verbringen.«

»Das verstehe ich, mein Lieber. Leb wohl.« Tränen traten ihr in die Augen, als sie seine Stirn küsste, dann war das kleine Zimmer wieder leer.

Einen Augenblick war die Versuchung groß, sich einfach wieder auf die Kissen zurückfallen zu lassen. Sein Kopf fühlte sich groß und schwer an. Vermutlich hätte ihn das Mittel, das ihm Cabera verabreicht hatte, bis zum Morgen durchschlafen lassen, wenn seine Mutter nicht einen von ihren wunderlichen Einfällen gehabt hätte. Langsam hob er die Beine aus dem Bett und stellte die Füße auf den Boden. Schwach. Kleidung. Eins nach dem anderen.

Tubruk wusste, dass sie sich nicht mehr lange halten konnten. Er rannte sich die Seele aus dem Leib, um die Lücke zu schließen, die die beiden Männer, die neben ihm gestanden hatten, hinterlassen hatten. Immer wieder gelang es ihm, gerade noch rechtzeitig herumzuwirbeln und den Angriff jener abzuwehren, die sich von hinten heranschlichen, während er die vor ihm Stehenden tötete. Sein Atem ging keuchend, und trotz seines Könnens wusste er, dass der Tod nahe war.

Warum gaben sie nicht auf? Die verdammten Götter sollten zur Hölle fahren, diese Meute musste doch irgendwann einmal aufgeben! Er verfluchte sich selbst, weil er nicht für eine Rückzugsmöglichkeit gesorgt hatte, andererseits gab es auch keine. Die Mauern waren die einzige Verteidigung des Gutes, und sie standen kurz davor, völlig überrannt zu werden.

Er glitt auf dem Blut aus und stürzte hart. Die Luft entwich aus seiner Lunge. Ein Dolch traf ihn in die Seite, und ein dreckiger nackter Fuß versuchte sein Gesicht zu zermalmen, indem er seinen Kopf nach unten presste. Er biss hinein und hörte in der Ferne jemanden schreien. Er kam auf ein Knie hoch, doch zu spät, um zwei krabbelnde Gestalten daran zu hindern, sich in den Hof hinunterfallen zu lassen. Er hoffte darauf, dass die Frauen sie erledigen würden. Vorsichtig betastete er seine Seite und zuckte zusammen, als er Blut spürte. Er untersuchte es auf Luftbläschen. Aber es waren keine zu sehen, und er konnte immer noch atmen, obwohl die Luft nach warmem Zinn und Blut schmeckte.

Einen Augenblick lang griff ihn niemand an, sodass er sich kurz umschauen konnte. Von den ursprünglichen neunundzwanzig waren nur noch weniger als fünfzehn übrig. Sie hatten auf der Mauer Wunder vollbracht, doch das würde nicht reichen.

Julius kämpfte weiter, verzweifelt, weil seine Kraft aus all seinen Wunden strömte. Mit einem Stöhnen zog er den Dolch aus seinem Fleisch und verlor ihn sofort wieder in der Brust des nächsten Mannes, der sich ihm entgegenstellte. Sein Atem brannte in seiner Kehle, und er blickte in den Hof, wo er seinen Sohn aus dem Haus kommen sah. Er lächelte und hatte das Gefühl, als zerrisse ihm vor Stolz die Brust. Eine weitere Klinge drang durch die Lücke zwischen Brustpanzer und seinem Hals tief in die Lunge ein. Er spuckte Blut und jagte seinen Gladius in den Angreifer, ohne sein Gesicht zu sehen. Seine Arme sanken herab, das Schwert fiel ihm aus der Hand und landete scheppernd unter ihm im Hof. Er konnte nur noch zusehen, wie die Meute auf ihn zukam.

Tubruk sah, wie Julius unter einer Masse von Leibern zusammenbrach, die an ihm vorbei über den schmalen Laufgang und hinunter in die Dunkelheit strömten. Er schrie auf vor Wut und Trauer in dem Wissen, ihn nicht mehr rechtzeitig erreichen zu können. Renius war immer noch auf den Beinen, aber nur Marcus’ Fürsorge bewahrte den alten Krieger vor dem Tod, und selbst dieser wilde Klingenwirbel stockte allmählich, weil Marcus aus zahlreichen klaffenden Wunden blutete und sein Leben aus ihm herausrann.

Gaius kam neben Tubruk auf die Mauer geklettert, das Gesicht bleich von der Anstrengung, sich die Treppen hinaufzuquälen. Er hatte sein Schwert gezogen und schwang es, als er oben ankam.

Er traf einen Mann, der sich gerade über den dunklen Leichen hinaufzog. Tubruk stach ihm seine Klinge zwischen die Rippen, als Gaius taumelte, aber trotzdem starb der Sklave nicht. Er fuchtelte mit einem Dolch umher und verletzte Gaius im Gesicht. Gaius versetzte ihm einen weiteren Schlag gegen den Hals, und dann war das Leben ausgehaucht. Weitere Gesichter erschienen, die schrieen und fluchten, während sie sich auf die rutschigen Steine emporkämpften. »Dein Vater, Gaius.«

»Ich weiß.« Gaius’ Schwertarm fuhr ohne zu zittern hoch, um einen Speer abzublocken, ein Relikt aus irgendeinem Kampf. Er machte einen Schritt nach vorne und durchschnitt die Kehle des Manns, aus der sich ein blutiger Sprühregen ergoss. Tubruk warf sich zwei weiteren entgegen und stieß einen über die Mauerkante, rutschte dabei jedoch auf den klebrigen Steinen aus und fiel auf die Knie. Gaius machte den Nächsten nieder, als er gerade mit seinem Messer ausholte, um es in Tubruks Körper zu jagen. Dann stolperte er mit zitternden Knien einen Schritt zurück, das Gesicht bleich unter dem Blut. Gemeinsam warteten sie auf den Nächsten, der über die Kante kommen würde.

Die Nacht wurde plötzlich heller, weil die Futterscheunen in Brand gesteckt wurden, aber trotzdem kam kein neuer Angreifer, um ihn zu erledigen.

»Noch einen«, fluchte Tubruk durch blutige Lippen. »Noch einen kann ich mitnehmen. Du solltest runtergehen, du bist nicht in der Verfassung um zu kämpfen.«

Gaius hörte nicht auf ihn. Sein Mund war ein zorniger Strich. Sie warteten, doch es kam niemand. Tubruk trat an die Außenseite der Mauer heran und spähte hinunter auf die zerstückelten Gliedmaßen und zerfetzten Leichen, die mit glasigen Augen in klebrigem Blut ausgestreckt unter der Mauerkante lagen. Da draußen wartete niemand mehr mit einem Dolch auf ihn, überhaupt niemand.

Vor dem Licht der brennenden Scheunen zeichneten sich springende Figuren ab, die in der Dunkelheit herumtollten. Tubruk begann vor sich hinzulachen und zuckte zusammen, als seine Lippen erneut aufplatzten.

»Sie haben die Weinvorräte gefunden«, sagte er und konnte trotz der höllischen Schmerzen, die es verursachte, nicht mehr aufhören zu lachen.

»Sie ziehen ab!«, knurrte Marcus verblüfft. Er räusperte sich, spuckte Blut auf den Boden und fragte sich flüchtig, ob es sein eigenes war. Dann drehte er sich um und grinste Renius an, der zusammengesackt und gegen zwei Leichen gelehnt dasaß. Der alte Krieger blickte ihn stumm an, und einen Augenblick lang fiel ihm seine brennende Abneigung wieder ein.

»Ich ...« Er hielt inne und machte zwei schnelle Schritte auf den alten Mann zu. Er lag im Sterben, das war offensichtlich. Marcus presste eine Hand, die schwarz vor Blut und Dreck war, auf Renius Brust und spürte, wie das Herz flatterte und aussetzte. »Cabera! Hierher, schnell!«, schrie er.

Renius schloss die Augen vor dem Lärm und dem Schmerz.

Alexandria keuchte, als läge sie in den Wehen. Sie war erschöpft und mit Blut verschmiert. Nie hätte sie gedacht, dass es so klebrig und widerlich sein könnte. Auch das wurde in den Geschichten niemals erwähnt. Das Zeug war ein paar Augenblicke lang glitschig, dann wurde es auf den Händen zäh, sodass man überall kleben blieb. Sie wartete auf den Nächsten, der in den Hof fiel, und lief wie betrunken umher, das Messer mit steifem Arm an den Körper gepresst.

Sie stolperte über einen Leichnam und sah, dass es Susanna war. Sie würde nie wieder eine Gans ausnehmen oder frische Binsen in der Küche ausstreuen oder beim Einkaufen in Rom streunende Welpen mit Essensresten füttern. Bei dem letzten Gedanken stiegen ihr Tränen in die Augen, rannen durch den Dreck und den Gestank auf ihren Wangen. Alexandria ging weiter lauernd auf und ab, doch es landeten keine neuen Feinde mehr wie Krähen im Hof. Niemand kam, aber sie stolperte trotzdem weiter, weil sie nicht stehen bleiben konnte. Noch zwei Stunden bis Tagesanbruch, und sie hörte immer noch Geschrei auf den Feldern.

»Bleibt auf den Mauern! Niemand verlässt vor Tagesanbruch seinen Posten«, schrie Tubruk über den Hof. »Sie können jederzeit zurückkommen.«

Doch er glaubte nicht daran. Im Weinlager befanden sich fast tausend mit Wachs versiegelte Amphoren. Selbst wenn die Sklaven ein paar zerschlugen, müssten immer noch genug übrig bleiben, um sie bis zum Sonnenaufgang bei Laune zu halten.

Nachdem er diesen letzten Befehl gegeben hatte, wollte er selbst schnell hinuntersteigen und zu der Stelle hinüberlaufen, wo Julius unter den Toten lag, aber jemand musste die Stellung halten. »Geh zu deinem Vater, Junge.«

Gaius nickte kurz und stieg hinunter, wobei er sich an der Mauer abstützte. Der Schmerz war qualvoll. Er spürte, dass der Schnitt von der Operation aufgerissen war, und als er danach tastete, glänzten seine Finger rot. Als er sich die Steinstufen zu der Verteidigungsstellung wieder hinaufschleppte, zerrten seine Wunden an seinem Willen, doch er hielt durch.

»Bist du tot, Vater?«, flüsterte er und blickte auf den Leichnam hinab. Er konnte ihm keine Antwort mehr geben.

»Bleibt auf euren Posten, Leute. Fürs Erste ist es vorbei«, schallte Tubruks Stimme über den Hof. Alexandria hörte es und ließ ihr Messer auf die Pflastersteine fallen. Ein anderes Sklavenmädchen aus der Küche packte sie an den Handgelenken und sagte etwas zu ihr. Sie konnte die Worte bei dem Geschrei der Verwundeten, das jetzt plötzlich in das eindrang, was sie für Stille gehalten hatte, nicht verstehen.

Ich war Ewigkeiten in der Stille und Dunkelheit, dachte sie. Ich habe die Hölle gesehen.

Wer war sie doch gleich? Die Grenzen waren irgendwann im Laufe des Abends verwischt worden, als sie Sklaven tötete, die ebenso sehr frei sein wollten wie sie. Die Last all dessen ließ sie zu Boden sinken, und sie begann zu schluchzen.

Tubruk hielt es nicht länger aus. Er humpelte von seinem Posten auf der Mauer hinunter und dann wieder hinauf zu der Stelle, wo Julius lag. Er und Gaius betrachteten den Leichnam ohne Worte.

Gaius versuchte zu begreifen, dass sein Vater tot war. Doch er konnte es nicht. Vor ihm auf dem Boden lag ein zerstörtes Ding, zerrissen und voller Wunden, in Lachen einer sich ausbreitenden Flüssigkeit, die im Fackellicht mehr wie Öl aussah als wie Blut. Von seinem Vater war nichts geblieben.

Plötzlich wirbelte er herum und seine Hand fuhr hoch, um etwas abzuwehren.

»Da war jemand neben mir. Ich konnte spüren, wie dort jemand stand und mit mir hinabgeblickt hat«, stotterte er.

»Das war bestimmt er. Diese Nacht ist wie für Geister geschaffen.«

Aber das Gefühl war verschwunden, und Gaius zitterte. Er presste die Lippen zusammen, um sich gegen den Kummer zu wappnen, der ihn überkommen würde.

»Lass mich allein, Tubruk. Und vielen Dank.«

Tubruk nickte. Seine Augen waren dunkle Schatten, als er die Stufen in den Hof hinunterhinkte. Müde stieg er wieder zu seinem alten Posten auf der Mauer empor, blickte über die Leichen derer, die er getötet hatte und versuchte, sich an die Einzelheiten jedes Todes zu erinnern. Er erkannte nur wenige und gab schon bald auf, setzte sich hin und lehnte sich an einen Pfosten. Das Schwert zwischen den Beinen haltend, betrachtete er das ersterbende Flackern der Feuer in den Feldern und wartete auf die Morgendämmerung.

Cabera legte seine Handflächen über Renius’ Herz.

»Seine Zeit ist gekommen, glaube ich. Die Wände in ihm sind dünn und alt. Durch manche dringt Blut an Stellen, wo keines sein sollte.«

»Du hast Gaius geheilt. Du kannst auch ihn heilen.«

»Er ist ein alter Mann, Junge. Er war schon schwach, und ich ...« Cabera verstummte, als er eine heiße Klinge an seinem Rücken spürte. Langsam und vorsichtig drehte er den Kopf und blickte Marcus an. In dessen grimmigen Gesichtsausdruck lag nichts Beruhigendes.

»Er lebt. Mach deine Arbeit, sonst bringe ich heute einfach noch jemanden um.«

Bei diesen Worten spürte Cabera, wie sich etwas verschob und andere Zukunftsmöglichkeiten ins Spiel kamen, wie Spielsteine, die mit einem leisen Klicken ihre Stellung einnehmen. Seine Augen wurden groß, doch er sagte nichts, während er seine Energie für die Heilung sammelte. Was für ein merkwürdiger junger Mann, der die Macht besaß, die Zukunft zu seinen Gunsten zu biegen! Offensichtlich war er an den richtigen Ort der Geschichte gekommen. Dies war wirklich eine Zeit der Bewegung und des Wandels, ohne die übliche Ordnung, ohne gesichertes Fortschreiten.

Er zog eine eiserne Nadel aus dem Saum seines Gewandes und fädelte schnell und sicher einen Faden ein. Sorgfältig nähte er die blutigen Ränder des aufgeschlitzten Fleisches zusammen, während er versuchte, sich daran zu erinnern, wie es war, wenn man jung war und alles möglich schien. Unter Marcus’ Augen presste Cabera die braunen Hände gegen Renius’ Brust und massierte das Herz. Er spürte es schneller schlagen und unterdrückte einen Aufschrei, als das Leben in den alten Körper zurückströmte. Lange verharrte er in dieser Stellung, bis der wie eingemeißelt wirkende Ausdruck von Schmerz aus Renius’ Gesicht wich und er nur noch zu schlafen schien. Als sich Cabera, schwankend vor Erschöpfung, wieder erhob, nickte er vor sich hin, als wäre gerade etwas bestätigt worden.

»Die Götter treiben ein seltsames Spiel, Marcus. Sie weihen uns nie in ihre Pläne ein. Du hattest Recht. Er wird vor seinem Ende noch ein paar Morgenröten und Sonnenuntergänge erleben.«

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