27

Gaius Julius Cäsar lächelte, trotz des Anflugs von nervöser Schwäche, der seinen Magen flattern ließ. Mithilfe von Marius’ Näherin hatte er fast den ganzen Abend Diener zum Einkaufen und mit anderen Aufträgen ausgesandt. Er wusste, dass die Zeremonie einfach sein musste und staunte, dass so viele Angehörige der Nobilitas an diesem kalten Morgen erschienen waren. Die Senatoren waren mit ihren Familien und Sklaven zum Tempel des Jupiter gekommen, und jedem Blick, dem er begegnete, folgte ein Lächeln. Das Aroma von Blüten und brennendem Duftholz lag schwer in der Luft. Marius und Metella standen am Eingang des Marmortempels; Metella tupfte sich Tränen aus den Augen. Gaius nickte beiden nervös zu, während er auf die Ankunft seiner Braut wartete. Er zupfte an den Ärmeln seines Hochzeitsgewandes, dessen tiefer Halsausschnitt einen einzelnen Amethyst an einer dünnen Goldkette sehen ließ.

Er wünschte, Marcus wäre hier. Es hätte ihm sehr geholfen, jemanden bei sich zu haben, der ihn wirklich kannte. Alle anderen gehörten zu der Welt, in die er erst hineinwachsen sollte: Tubruk, Cabera, Marius, sogar Cornelia selbst. Mit einem Stich wurde ihm bewusst, dass er, damit das alles um ihn herum wirklich erscheinen konnte, jemanden brauchte, der ihm in die Augen blickte und die ganze Reise bis zu diesem Punkt kannte. Stattdessen weilte Marcus in fremden Landen, als der wilde Abenteurer, der er schon immer hatte sein wollen. Wenn er irgendwann zurückkehrte, war der Hochzeitstag nicht mehr als eine Erinnerung, an der er niemals würde teilhaben können.

Im Tempel war es kühl. Einen Augenblick lang erschauerte Gaius und spürte, wie er eine Gänsehaut bekam. Er war in einem Raum voller Leute, die ihn überhaupt nicht kannten.

Wäre sein Vater noch am Leben, hätte er gemeinsam mit ihm auf Cornelia warten können. Sie hätten ein Lächeln oder ein Augenzwinkern austauschen und damit sagen können: »Sieh dir an, was ich getan habe.«

Gaius spürte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen, und blickte hinauf zur Deckenwölbung, weil er nicht wollte, dass sie ihm über das Gesicht liefen. Mit der Beerdigung seines Vaters hatte seine Mutter ihren Frieden vollends verloren. Als Gaius gefragt hatte, ob es ihr möglich sei zu kommen, hatte Tubruk den Kopf geschüttelt. Der alte Gladiator liebte sie so sehr wie sonst niemand, das wusste er. Vielleicht war es schon immer so gewesen.

Gaius räusperte sich und holte seine Gedanken wieder in die Gegenwart zurück. Er musste die Kindheit hinter sich lassen. Auch hier waren viele Freunde versammelt, sagte er sich. Tubruk mit seiner knurrigen Zuneigung war ihm wie ein Onkel, und Marius und Metella schienen ihn ohne Vorbehalte akzeptiert zu haben. Marcus hätte da sein sollen. Das schuldete er ihm.

Gaius hoffte, dass sich Cinna einigermaßen wohlwollend zeigen würde. Seit er offiziell um Cornelias Hand angehalten hatte, hatte er mit dem Mann kein Wort mehr gewechselt. Es war kein fröhliches Zusammentreffen gewesen, obwohl der Senator um ihretwillen seine Würde bewahrt hatte. Zumindest war er hinsichtlich der Mitgift für Cornelia nicht knauserig gewesen. Cinna hatte ihm die Urkunden für ein großes Stadthaus in einem gefragten Viertel der Stadt überschrieben. Da zu dem Geschenk auch Sklaven und Wachpersonal gehörten, hatte sich Gaius von einer großen Last befreit gefühlt. Was auch geschah, jetzt würde Cornelia in Sicherheit sein. Er runzelte die Stirn. Jetzt musste er sich auch an den neuen Namen gewöhnen und den alten mit all den anderen Fesseln der Jugend abwerfen. Julius. Der Name seines Vaters. Er hatte einen guten Klang, obwohl er vermutete, dass er für diejenigen, die ihn schon als Knaben gekannt hatten, immer Gaius bleiben würde. Es machte ihn traurig, dass sein Vater nicht miterleben konnte, wie er seinen Erwachsenennamen annahm. Er fragte sich, ob der alte Mann seinen einzigen Sohn sehen konnte und wünschte sich, nur in diesem einen Augenblick seinen Stolz und seine Liebe mit ihm zu teilen.

Er drehte sich um und schenkte Cabera ein schwaches Lächeln. Dieser musterte ihn mit säuerlicher Miene, und sein schütteres Haar war vom frühen Aufstehen zu einer nach seinen Worten gottlosen Stunde noch immer ein wenig zerzaust. Auch er trug zu diesem feierlichen Anlass eine neue braune Robe mit einer einfachen Zinnspange, auf deren Antlitz ein fettgesichtiger Mond zu sehen war. Julius erkannte ihn als Alexandrias Werk und lächelte Cabera an, der sich zur Antwort heftig die Achselhöhle kratzte. Julius lächelte einfach weiter, und nach ein paar Sekunden verzogen sich die alten Gesichtszüge trotz aller Bedenken zu einem freundlichen Grinsen.

Die Zukunft war für Cabera verdunkelt, wie immer, wenn er Teil eines besonderen Schicksals war. Der alte Mann ärgerte sich immer wieder darüber, dass er nur die Pfade erahnen konnte, die wenig Einfluss auf sein eigenes Leben hatten, doch sogar der Schatten seiner bösen Ahnung konnte ihn nicht davon abhalten, an der jugendlichen Freude teilzuhaben, die ihm von Julius wie eine warme Woge entgegenschlug.

Eine Hochzeit, sogar eine so eilig arrangierte wie diese hier, war immer etwas Besonderes. Alle waren glücklich, und zumindest für diese begrenzte Zeit konnte man alle bevorstehenden Probleme vergessen oder sie zumindest bis zum Sonnenuntergang beiseite schieben.

Julius hörte Schritte auf dem Marmorboden hinter sich. Er drehte sich um und sah, dass sich Tubruk von seinem Sitz erhoben hatte und auf den Altar zuging. Der Verwalter sah aus wie immer, kräftig, gebräunt und gesund, und Julius ergriff seinen Arm, der ihm wie ein Anker in dieser stürmischen Welt vorkam.

»Du hast hier oben ein bisschen verloren ausgesehen. Wie geht es dir?«, erkundigte sich Tubruk. »Ich bin nervös. Stolz. Erstaunt, dass so viele gekommen sind.«

Tubruk blickte mit neuem Interesse in die Menge und drehte sich mit erhobenen Augenbrauen wieder um.

»Ein Großteil der Macht Roms ist in diesem Raum versammelt. Dein Vater wäre stolz auf dich. Ich bin stolz auf dich.« Er hielt einen Augenblick inne, weil er nicht genau wusste, wie er fortfahren sollte. »Deine Mutter wäre gern gekommen, aber sie war einfach zu schwach.«

Julius nickte, und Tubruk kniff ihm freundschaftlich in den Arm, bevor er sich wieder auf seinen Platz ein paar Reihen weiter hinten begab.

»In meinem Dorf packen wir das Mädchen einfach an den Haaren und schleppen sie in unsere Hütte«, murmelte Cabera und riss damit den glückselig dreinschauenden Priester aus seiner Seelenruhe. Angesichts dessen setzte der alte Mann frohgemut noch einen drauf: »Wenn das nicht klappt, schenkt man ihrem Vater eine Ziege und schnappt sich eine ihrer Schwestern. Mit dieser Lösung sind alle einverstanden. Kein böses Blut und jede Menge kostenloser Ziegenmilch für den Vater. Als ich jung war, hatte ich eine Herde mit dreißig Ziegen, aber die meisten musste ich weggeben, sodass ich am Ende nicht mehr genug hatte, um für meinen Unterhalt zu sorgen. Keine kluge Entscheidung, aber wer möchte sie schon bedauern, was?«

Bei diesen beiläufig hingeworfenen Anspielungen auf barbarische Praktiken war dem Priester die Röte ins Gesicht geschossen, doch Julius lachte nur leise auf.

»Du alter Aufschneider. Du willst doch nur diese aufrechten römischen Bürger schockieren.« »Vielleicht«, räumte Cabera ein und dachte an den Ärger, den er sich eingehandelt hatte, als er freimütig seine letzte Ziege im Voraus für eine Nacht der Lust angeboten hatte. Damals war ihm das ganz vernünftig vorgekommen, doch der Vater des Mädchens hatte einen Speer von der Wand genommen und den jungen Cabera hinauf in die Berge gejagt, wo er sich drei Tage und drei Nächte verstecken musste.

Der Priester musterte Cabera mit Abscheu. Er selbst gehörte der Nobilitas an, trug jedoch in seiner religiösen Rolle eine cremefarbene Toga mit Kapuze, die nur sein Gesicht frei ließ. Geduldig wartete er mit den anderen auf die Braut. Julius hatte erklärt, dass die Zeremonie so einfach wie möglich gehalten werden müsse, weil sein Onkel zum frühest möglichen Zeitpunkt gehen wollte. Der Priester hatte sich in offenkundigem Missfallen am Kinn gekratzt, bis Julius ihm einen kleinen Beutel voller Münzen als »Opfergabe für den Tempel« ins Gewand geschoben hatte. Sogar die Nobilitas hatte Rechnungen und Schulden zu bezahlen. Die Zeremonie würde kurz ausfallen. Nachdem Cornelia hereingeführt worden war, um von ihrem Vater weggegeben zu werden, würden Gebete an Jupiter, Mars und Quirinus gesprochen werden. Einem Auguren war Gold gezahlt worden, damit er den beiden Glück und Wohlstand weissagte. Danach folgten die Gelübde, und Julius würde ihr einen einfachen goldenen Ring auf den Finger stecken. Dann würde sie seine Gemahlin sein. Und er ihr Ehemann. Er spürte, wie sich Schweiß in seinen Achselhöhlen sammelte, und versuchte seine Nervosität abzuschütteln.

Er drehte sich wieder um und blickte direkt in die Augen von Alexandria, die in einem einfachen Kleid mit einer Silberspange dastand. Tränen glitzerten in ihrem Blick, doch sie nickte ihm zu, und etwas in ihm löste sich.

Leise Musik ertönte im Hintergrund, schwoll an, bis sie die gewölbte Decke ebenso erfüllte wie der Weihrauchduft, der aus den Fässern strömte. Julius sah sich um, hielt den Atem an, und alles andere war vergessen.

Dort stand Cornelia, aufrecht und gerade in einem cremefarbenen Kleid und einem dünnen goldenen Schleier, die Hand auf dem Arm ihres Vaters, der eindeutig nicht in der Lage war, ein strahlendes Lächeln aus seinem Gesicht zu wischen. Ihr Haar war dunkler getönt worden, und ihre Augen schienen die gleiche warme Farbe zu haben. An ihrem Hals hing ein Rubin von der Größe eines Vogeleis; die goldene Fassung hob sich vom helleren Ton ihrer Haut ab. Sie sah schön und zerbrechlich aus. Auf ihrem Kopf saß ein kleiner Kranz aus Verbenen und echten Majoranblüten, deren Duft er roch, als sie und ihr Vater näher kamen. Als die beiden Julius erreicht hatten, ließ Cinna ihren Arm los und blieb einen Schritt hinter ihr stehen.

»Ich übergebe Cornelia in deine Obhut, Gaius Julius Cäsar«, sagte er förmlich.

Julius nickte. »Ich übernehme sie in meine Obhut.« Er wandte sich zu ihr, und sie zwinkerte ihm zu.

Als sie niederknieten, roch er wieder den Blumenduft und konnte nicht umhin, einen kurzen Blick auf ihren gesenkten Kopf zu werfen. Er fragte sich, ob er sie auch hätte lieben können, wenn er Alexandria nicht gekannt hätte, oder wenn er ihr begegnet wäre, bevor er in die Häuser gegangen war, in denen man Frauen für eine Nacht oder auch nur für eine Stunde kaufen konnte. Damals, ein Jahr und ein ganzes Leben früher, wäre er für das hier nicht bereit gewesen. Die Gebete erhoben sich wie ein friedliches Murmeln über ihren Köpfen, und er war es zufrieden. Cornelias Augen waren sanft wie die Schatten einer Sommernacht.

Die restliche Zeremonie huschte undeutlich an ihm vorüber. Das einfache Gelübde wurde gesprochen: »Wo du hingehst, da werde auch ich hingehen.« Er kniete unter der Hand des Priesters, was ihm wie eine Ewigkeit vorkam, und dann waren sie draußen im Sonnenschein, und die Menge johlte und schrie: »Felicitas!«, und Marius verabschiedete sich mit einem heftigen Schlag auf den Rücken von ihm.

»Jetzt bist du ein Mann, Julius. Oder sie wird sehr bald einen aus dir machen!«, sagte er laut mit einem Augenzwinkern. »Du trägst den Namen deines Vaters. Er wäre stolz auf dich.«

Julius erwiderte seinen Griff ebenso kräftig. »Brauchst du mich jetzt auf den Mauern?«

»Ich denke, wir können dich für ein paar Stunden entbehren. Melde dich heute Nachmittag zur vierten Stunde bei mir. Bis dahin ist Metella wahrscheinlich auch mit Heulen fertig.«

Sie grinsten einander an wie Jungen, dann war Julius einen Augenblick allein mit seiner Braut in einer Meute von Leuten, die sie beglückwünschen wollten. Alexandria kam herbei, und er lächelte, mit einem Mal nervös. Sie trug ihr dunkles Haar mit Draht zusammengebunden, und bei ihrem Anblick schnürte sich seine Kehle zusammen. In diesen dunklen Augen lag so viel Geschichte.

»Du trägst eine sehr hübsche Spange«, sagte er.

Sie hob die Hand und tippte mit der Hand darauf.

»Du würdest dich wundern, wie viele Leute sich heute morgen schon danach erkundigt haben.

Ich habe sogar schon ein paar Bestellungen entgegen genommen.«

»Geschäfte an meinem Hochzeitstag!«, rief er empört, und sie nickte ohne Scham.

»Mögen die Götter dein Haus segnen«, sagte sie förmlich.

Dann wandte sie sich ab, und als er sich umdrehte, sah er, dass Cornelia ihn fragend ansah. Er küsste sie.

»Sie ist sehr schön. Wer ist das?«, fragte sie mit einem leisen Unterton der Besorgnis. »Alexandria. Eine Sklavin im Haus des Marius.«

»Sie benimmt sich nicht wie eine Sklavin«, bemerkte Cornelia zweifelnd.

Julius lachte. »Höre ich da so etwas wie Eifersucht?«

Cornelia lächelte nicht, und er nahm zärtlich ihre Hand.

»Du bist alles, was ich will. Meine wunderschöne Gemahlin. Komm in unser neues Haus, dort werde ich es dir beweisen.«

Als er sie küsste, entspannte Cornelia sich. Doch sie beschloss, alles über dieses Sklavenmädchen mit dem Schmuck in Erfahrung zu bringen.

In dem neuen Haus gab es weder Möbel noch Sklaven. Außer ihnen selbst war niemand da, und ihre Stimmen hallten in den leeren Räumen. Das aus dunklem Holz geschnitzte Bett war ein Geschenk von Metella. Wenigstens lag eine Matratze auf den Bohlen, und darüber war weiches Leinen gespannt.

Im ersten Augenblick kamen sie sich unbeholfen vor, gehemmt durch die Last ihrer neuen Rollen.

»Ich glaube, du darfst mir meine Toga ausziehen, Eheweib«, sagte Julius heiter.

»Das werde ich auch tun, mein Gatte. Und du könntest mir vielleicht das Haar lösen.«

Dann überwand ihre vertraute Leidenschaft die Unbeholfenheit und hielt den ganzen Nachmittag an, während es draußen immer heißer wurde.

Julius keuchte. Sein Haar war nass geschwitzt. »Heute Abend bin ich bestimmt völlig erschöpft«, stieß er mühsam hervor.

Cornelia runzelte die Stirn. »Du passt doch auf dich auf?«

»Überhaupt nicht. Ich werfe mich in die Schlacht, und wenn es nicht dazu kommt, dann zettele ich selbst eine an, nur um dich zu beeindrucken!«

Ihre Finger folgten einer Linie auf seiner Brust und bildeten eine kaum sichtbare Kuhle auf der weichen Haut. »Du kannst mich auf ganz andere Weise beeindrucken.«

»Aber nicht gleich jetzt«, stöhnte er. »Lass mir eine Verschnaufpause.«

Ihre Augen glitzerten übermütig, als sie ihre feingliedrigen Finger wieder in Bewegung setzte. »Vielleicht bin ich dafür zu ungeduldig. Und ich glaube, ich weiß auch schon, wie ich dein Interesse wecken kann.«

Kurz darauf stöhnte er wieder und zerknüllte die Laken in seinen geballten Fäusten.

Um vier Uhr hämmerte Julius an das Tor zu den Unterkünften der Stadtlegion. Dort erfuhr er, dass der Legat bereits auf der Mauer sei und dort Abschnitt für Abschnitt inspiziere. Julius hatte seine Toga gegen eine einfache Legionärsuniform aus Tuch und Leder eingetauscht. Sein Gladius hing am Gürtel, den Helm trug er unter dem Arm. Nach den Stunden mit Cornelia war ihm ein wenig schwindlig, doch er stellte fest, dass es ihm durchaus möglich war, dieses Verlangen in einem bestimmten Teil seines Selbst verschlossen zu halten. Er würde als junger Liebhaber zu ihr zurückkehren, im Augenblick jedoch war er Soldat, der Neffe des Marius, ausgebildet von Renius selbst.

Als er Marius fand, unterhielt dieser sich gerade mit einer Gruppe seiner Offiziere. Julius blieb ein paar Schritte entfernt stehen und ließ den Blick ringsum über die Vorbereitungen wandern. Marius hatte seine Legion in kleine, mobile Trupps zu je sechzehn Mann aufgeteilt und jedem von ihnen spezielle Aufgaben zugewiesen. Dadurch waren sie flexibler, als wenn jede Zenturie für sich auf der Mauer stand. Sämtliche Kundschafter berichteten, dass Sulla direkt auf die Stadt zumarschiert kam, ohne Anzeichen für eine Finte oder einen Trick. Es sah ganz so aus, als wolle Sulla einen direkten Angriff riskieren, doch Marius hielt nach wie vor einen anderen Plan für möglich, der erst dann offensichtlich würde, wenn die Armee in Sichtweite kam. Er gab seine letzten Befehle und drückte jedem seiner Offiziere die Hand, bevor dieser sich auf seinen Posten begab. Die Sonne hatte den Zenit längst überschritten. Bis zum Abend blieben nur noch wenige Stunden.

Er drehte sich zu seinem Neffen um und musste grinsen, als er dessen ernste Miene sah.

»Ich möchte, dass du mit mir die Verteidigungsanlagen abschreitest und sie mit unbefangenen Augen betrachtest. Sag mir alles, was du besser machen würdest. Sieh dir die Männer an, ihre Gesichter, die Art und Weise, wie sie sich geben. Beurteile ihre Moral.«

Julius sah immer noch grimmig aus, und Marius seufzte gereizt.

»Und lächle, mein Junge. Muntere sie auf.« Er beugte sich näher zu ihm. »Viele dieser Männer werden den Morgen nicht mehr erleben. Sie wissen, was sie tun, trotzdem ist ihnen Angst nicht fremd. Manche sind nicht glücklich darüber, dass wir gegen unsere eigenen Leute Krieg führen, obwohl ich versucht habe, die schlimmsten Fälle von der ersten Angriffsmauer abzuziehen.

Sprich mit so vielen du kannst, ein paar Worte nur, keine lange Unterhaltung, sieh einfach hin, was sie tun und zolle ihnen Anerkennung. Frag sie nach ihren Namen und sprich sie dann mit diesen Namen an, wenn du antwortest. Bist du bereit?«

Julius nickte und straffte sein Rückgrat. Er wusste, dass die anderen ihn so sahen, wie er sich ihnen präsentierte. Wenn er mit gereckten Schultern und geradem Rücken daherkam, würden die Männer ihn ernst nehmen. Er erinnerte sich daran, wie sein Vater den Jungen erklärt hatte, wie man Soldaten führt.

»Haltet das Kinn hoch und entschuldigt euch nicht, es sei denn, es ist absolut unumgänglich.

Dann tut es ganz kurz, laut und klar. Nicht wimmern, nicht bitten, niemals ins Schwärmen geraten. Denkt nach, ob ihr mit einem Mann reden wollt, und wenn ihr es tut, dann mit wenigen Worten. Männer respektieren die Schweigsamen; sie verachten die Schwätzer.«

Renius hatte ihm beigebracht, wie man einen Mann so rasch und so sicher wie möglich tötet. Wie man Treue und Vertrauen gewinnt, musste Julius noch lernen.

Langsam schritten sie einen Abschnitt der Mauer ab, blieben bei jedem Soldaten stehen, wechselten ein paar Worte und verbrachten ein paar Minuten länger mit dem für den Abschnitt Verantwortlichen, hörten sich Vorschläge und Anmerkungen an und zollten den Männern Anerkennung für ihre Einsatzbereitschaft.

Julius fing Blicke auf und erwiderte sie nickend. Die Soldaten grüßten ihn, wenn auch mit offensichtlicher Anspannung. Er blieb bei einem Mann mit ausladendem Brustkorb stehen, der gerade eine gewaltige, im Mauerwerk verankerte Armbrust justierte.

»Wie weit schießt das Ding?«

Der Soldat salutierte knapp.

»Mit dem Wind gut dreihundert Schritt, Herr.«

»Hervorragend. Kann man mit dieser Maschine auch zielen?«

»Ein bisschen, aber im Moment nicht sehr genau. In der Werkstatt arbeiten sie noch an einem drehbaren Sockel.«

»Sehr gut. Es sieht wahrhaftig tödlich aus.«

Der Soldat grinste stolz und wischte mit einem Lappen über den Spannmechanismus, mit dessen Hilfe sich die schweren Arme in Abschussposition biegen ließen.

»Sie, Herr. Etwas so Gefährliches kann nur weiblich sein.«

Julius lachte auf und musste unwillkürlich an Cornelia und seine schmerzenden Muskeln denken. »Wie heißt du, Soldat?«

»Trad Lepidus, Herr.«

»Ich werde darauf achten, wie viele Feinde sie niedermäht, Lepidus.«

Der Mann grinste wieder.

»Das dürften schon ein paar werden, Herr. Niemand betritt ohne die Erlaubnis des Legaten meine Stadt, Herr.«

»Guter Mann.«

Mit frisch gewonnenem Selbstvertrauen ging Julius weiter. Wenn alle Männer so standfest waren wie Trad Lepidus, gab es auf der ganzen Welt keine Armee, die Rom einnehmen konnte. Er holte seinen Onkel ein, der einen Schluck aus einer silbernen Flasche annahm und den Inhalt sofort wieder ausspuckte.

»Beim Mars! Was ist da drin? Essig?«

»Wenn ich so sagen darf, Herr, du bist wohl bessere Weine gewöhnt. Dieses Gebräu ist ein bisschen derb.«

»Derb! Na, wenigstens wird einem warm davon«, sagte Marius und setzte die Flasche noch einmal an. Dann wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund. »Vorzüglich. Schick dem Quartiermeister morgen früh die Rechnung. Ich denke, ein kleines Fläschchen für jeden Offizier dürfte genau das Richtige für eine kalte Winternacht sein.«

»Gewiss, Herr«, antwortete der Mann und zog die Stirn ein wenig kraus, als er versuchte, den Profit auszurechnen, den er als einziger Lieferant für seine eigene Legion einstreichen würde.

Das Ergebnis erfreute ihn sichtlich, denn er salutierte frohgemut, als Julius an ihm vorbeiging. Schließlich erreichte Marius die Steintreppe, die zur Straße hinunterführte und das Ende dieses Abschnitts markierte. Julius hatte mit jedem der an die hundert Soldaten gesprochen oder ihm wenigstens zugenickt. Seine Gesichtsmuskeln fühlten sich steif an, trotzdem empfand auch er etwas von dem Stolz seines Onkels. Dies hier waren gute Männer, und es war gut zu wissen, dass sie bereit waren, auf seinen Befehl hin ihr Leben hinzugeben. Die Macht hatte etwas Verführerisches, und Julius erfreute sich an der Wärme ihres Abglanzes. Er verspürte eine wachsende Erregung, als er mit seiner Stadt auf Sullas Ankunft und das Hereinbrechen der Dunkelheit wartete.

Rings um die Stadt waren in regelmäßigen Abständen schlanke Türme an der Mauer aufgestellt worden. Bei Sonnenuntergang rief ein Posten von einem dieser Türme, und seine Nachricht pflanzte sich mit rasender Geschwindigkeit fort. Der Feind stand am Horizont und kam auf die Stadt zu marschiert. Die Tore wurden geschlossen.

»Endlich! Diese Warterei ging mir allmählich auf die Nerven«, brüllte Marius, der beim ersten warnenden Ton der Trompeten, deren klagender Ruf jetzt weithin über die Stadt schallte, aus seiner Unterkunft gestürmt kam.

Die Reserve ging in Position. Die wenigen Römer, die sich noch auf den Straßen aufhielten, eilten nach Hause und versperrten und verriegelten ihre Türen vor den Eindringlingen. Solange ihre Familien in Sicherheit waren, war es den Leuten ziemlich egal, wer die Stadt regierte.

Die Senatsversammlungen für diesen Tag waren abgesagt worden. Auch die Senatoren hielten sich in ihren hier und dort in der Stadt gelegenen palastartigen Häusern auf. Keiner von ihnen war nach Westen geflohen, obwohl einige ihre Familien auf entlegenere Landsitze geschickt hatten, um sie keinem unnötigen Risiko auszusetzen. Ein paar von ihnen erhoben sich mit angespanntem Lächeln, traten hinaus auf die Balkone und blickten zum klagenden Gesang der Hörner über die dunkler werdende Stadt zum Horizont. Andere lagen im Bad oder in ihren Betten und ließen sich von ihren Sklaven die vor Angst verspannten Muskeln kneten. In seiner gesamten Geschichte war Rom noch nie angegriffen worden. Die Stadt war immer viel zu stark gewesen. Sogar Hannibal hatte es vorgezogen, den römischen Legionen auf freiem Feld zu begegnen und es vermieden, ihre Mauern selbst anzugreifen. Es hatte eines Mannes wie Scipio bedurft, um seinen Kopf zu holen und den seines Bruders. Besaß Marius die gleichen Fähigkeiten, oder würde am Ende Sulla Rom in seiner blutigen Hand halten? Der eine oder andere Senator verbrannte Weihrauch für die Hausgötter auf seinem Privataltar. Sie hatten Marius unterstützt, als er seinen Einfluss auf Rom verstärkt hatte, waren gezwungen gewesen, sich in der Öffentlichkeit auf seine Seite zu schlagen. Viele hatten ihr Leben auf seinen Erfolg gesetzt. Und Sulla war nicht für seine Nachsicht bekannt.

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