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»Als Offiziere werdet ihr in den Kampf reiten, aber vom Pferderücken aus zu kämpfen ist nicht unsere größte Stärke. Obwohl wir die Kavallerie für schnelle Vernichtungsangriffe nutzen, sind es die Fußsoldaten der achtundzwanzig Legionen, die den Feind schlagen. Jeder einzelne unserer hundertfünfzigtausend aktiven Legionäre ist dazu im Stande, zu jeder Tages- oder Nachtzeit in voller Rüstung dreißig Meilen zu marschieren. Er trägt dabei zusätzliches Marschgepäck, dessen Gewicht ein Drittel seines eigenen Körpergewichtes beträgt, und nach einem solchen Marsch stellt er sich noch ohne Müdigkeit und ohne Murren dem Feind.«

Renius beäugte die beiden Jungen, die in der heißen Nachmittagssonne vor ihm standen. Sie waren gerade von einem Lauf zurückgekehrt und versuchten, ihre Atmung wieder unter Kontrolle zu bekommen. Mehr als drei Jahre hatte er ihnen gegeben, diesen letzten Schülern, die er je unterrichten sollte. Und sie hatten noch so viel zu lernen! Er schritt um sie herum und schnauzte sie an.

»Es ist nicht das Glück der Götter, das die Länder dieser Welt in die Hände Roms gelegt hat. Es ist nicht die Schwäche der fremden Stämme, die sie sich in unsere Schwerter stürzen lässt. Es ist unsere Stärke, die größer und tiefgreifender ist als alles, was sie je ins Feld führen können. Das ist unsere allerwichtigste Taktik. Schon bevor unsere Männer das Schlachtfeld überhaupt erreichen, sind sie in ihrer Stärke und ihrem Kampfgeist unzerstörbar. Mehr noch! Sie legen eine Disziplin an den Tag, gegen die alle Armeen der Welt wirkungslos anrennen können.

Jeder unserer Männer weiß, dass seine Brüder neben ihm ihn nur dann verlassen, wenn sie getötet werden. Dieses Wissen macht ihn stärker als es die heldenhaftesten Angriffe oder die törichten Schlachtrufe wilder Stämme je könnten. Wir gehen zu Fuß in die Schlacht. Wir stehen aufrecht, und sie sterben.«

Gaius’ Atmung beruhigte sich, seine Lunge rang nicht mehr verzweifelt nach Sauerstoff. In den drei Jahren, die seit Renius’ Ankunft auf dem Landgut seines Vaters vergangen waren, war er größer und stärker geworden. Mit jetzt beinahe vierzehn Jahren zeigte er die ersten Anzeichen des Mannes, der er eines Tages sein würde.

Von der römischen Sonne braun gebrannt wie helles Eichenholz, stand er vor Renius. Eine schlanke, athletische Gestalt mit kräftigen Schultern und Beinen. Er konnte stundenlang um die Hügel laufen und hatte immer noch Reserven für einen Sprint übrig, wenn das Anwesen seines Vaters wieder in Sicht kam.

Auch Marcus hatte sich verändert, sowohl körperlich als auch geistig. Die unschuldige Fröhlichkeit des Knaben, der er einmal gewesen war, zeigte sich nur noch sporadisch. Ohne auch nur ein einziges freundliches Wort hatte Renius ihn in den drei langen Jahren mit der Peitsche gelehrt, seine Gefühle und Reaktionen zu beherrschen. Auch er hatte gut entwickelte Schultern und Arme, die in blitzschnellen Fäusten endeten, mit denen Gaius nicht mehr mithalten konnte. Der Wunsch, endlich alleine bestehen zu können, ohne die Hilfe seiner Verwandten oder der Gönnerschaft anderer, fraß von innen an ihm wie eine ätzende Säure.

Weil Renius sie beobachtete, beruhigten sich die beiden Jungen, nahmen Haltung an und musterten ihn aufmerksam. Es war durchaus nicht ungewöhnlich für ihn, urplötzlich in einen schutzlosen Bauch zu boxen, denn er stellte ihre Schwächen immer wieder auf die Probe.

»Gladii, meine Herren. Holt eure Schwerter.«

Wortlos drehten sie sich um und nahmen die Kurzschwerter von den Haken an der Mauer des Ausbildungshofes. Sie schnallten sich die schweren Ledergürtel um die Taille, an denen lederne »Frösche« als Halterung für das Schwert befestigt waren. Die Schwertscheide passte genau durch den Frosch und wurde mit Schnüren fixiert, damit sie hielt, wenn das Schwert ruckartig gezogen wurde.

Ordnungsgemäß gerüstet kehrten sie auf ihre Plätze zurück, nahmen Haltung an und erwarteten den nächsten Befehl.

»Gaius, du siehst zu. Ich zeige dir an dem Jungen etwas Grundsätzliches.« Renius lockerte mit einem Knacken seine Schultern und grinste, als Marcus langsam sein Schwert zog.

»Erste Position, Junge. Stell dich hin wie ein Soldat, falls du überhaupt weißt, wie das geht.« Marcus entspannte sich und nahm die erste Position ein: die Beine etwa schulterbreit auseinander, den Körper leicht zur Seite gedreht. Das Schwert hielt er in Hüfthöhe, bereit nach den drei Hauptangriffszielen zu schlagen: Unterleib, Bauch und Hals. Unterleib und Hals waren am wichtigsten, weil ein Treffer dort den Gegner innerhalb von Sekunden verbluten ließ.

Renius verlagerte das Gewicht, und Marcus’ Schwertspitze folgte seiner Bewegung.

»Säbelst du wieder in der Luft herum? Wenn du das tust, sehe ich es sofort und erkenne dein Muster. Ich brauche nur eine winzige Öffnung, um dir die Kehle herauszuschneiden, nur einen einzigen Schlag. Wenn ich erraten kann, wohin du dein Gewicht als Nächstes verlagerst, schlage ich dich in zwei Hälften.« Er schritt langsam im Kreis um Marcus herum, der mit hochgezogenen Augenbrauen über einem ansonsten ausdruckslosen Gesicht ruhig stehen blieb. Renius redete weiter.

»Du willst mich töten. Stimmt’s, Junge? Ich kann deinen Hass fühlen. Ich kann ihn fühlen, wie einen guten Wein in meinem Bauch. Ich genieße ihn richtig, Junge. Kannst du dir das vorstellen?«

Ohne jegliche Vorwarnung griff Marcus mit einer plötzlichen Bewegung an. Es hatte ihn Hunderte Stunden harten Drill gekostet, alle seine verräterischen »Anzeichen« auszumerzen, diese winzigen Bewegungen der Muskeln, die seine Absicht preisgaben. Egal, wie schnell er war, ein guter Gegner würde ihn töten, wenn er vor jeder Bewegung seine Gedanken so unbedacht preisgab.

Renius stand nicht mehr da, wo Marcus’ Gladius hinstieß. Renius’ Schwertspitze war an Marcus’ Kehle.

»Schon wieder. Du warst wie immer ungeschickt und langsam. Wenn du nicht schneller wärst als Gaius, wärst du der schlechteste Kämpfer, den ich je gesehen habe.«

Marcus stand noch mit offenem Mund da, als er im Bruchteil einer Sekunde den sonnenwarmen Gladius an der Innenseite seines Oberschenkels spürte, an der Schlagader, durch die sein Leben pulsierte.

Renius schüttelte angewidert den Kopf.

»Niemals dem Gegner zuhören. Gaius schaut zu, und du kämpfst. Du konzentrierst dich auf meine Bewegungen, nicht auf das, was ich sage. Die Worte dienen nur dazu, dich abzulenken. Noch einmal!«

Im Schatten des Hofes umkreisten sie einander erneut.

»Deine Mutter war im Bett zuerst ein wenig ungeschickt.« Renius’ Schwert schlängelte bei diesen Worten nach vorn, wurde aber mit einem metallischen Klirren zur Seite geschlagen. Marcus sprang vor und drückte seine Klinge an die alte, ledrige Haut von Renius’ Kehle. Sein Gesicht war kalt und unnachgiebig.

»Das war vorhersagbar«, murmelte Marcus, trotz aller Selbstkontrolle gereizt. Er hielt dem Blick der kalten, blauen Augen stand.

Doch im selben Moment spürte er eine leichte Berührung und sah an sich herunter. In der linken Hand hielt Renius einen Dolch, den er leicht gegen Marcus’ Bauch drückte. Renius grinste. »Viele Männer werden dich so sehr hassen, dass sie dich mitnehmen wollen. Sie laufen dir direkt in die Klinge und blenden dich mit ihren Daumen. Ich habe eine Frau gesehen, die das mit einem meiner Männer gemacht hat.«

»Warum hat sie ihn so sehr gehasst?«, fragte Marcus, als er einen Schritt zurücktrat, das Schwert immer noch verteidigungsbereit.

»Die Sieger sind immer verhasst. Das ist der Preis, den wir zahlen müssen. Wenn die Besiegten dich lieben, dann tun sie zwar, was du willst, aber nur dann, wenn sie es selbst auch wollen.

Wenn sie Angst vor dir haben, gehorchen sie deinem Willen, aber dann, wenn du es willst. Was ist also besser? Gefürchtet oder geliebt zu werden?«

»Beides«, antwortete Gaius ernst.

Renius lächelte. »Du meinst bewundert und respektiert zu werden. Das ist so gut wie unmöglich, wenn du ein Land besetzt, das dir nur aufgrund des Rechts der Stärke und des Blutes gehört. Das Leben ist niemals ein einfaches Problem von Frage und Antwort. Es gibt immer viele Antworten.«

Die beiden Jungen blickten ihn verwundert an, und Renius schnaubte verächtlich durch die Nase. »Ich werde euch zeigen, was Disziplin bedeutet. Ich werde euch zeigen, was ihr bereits gelernt habt. Bringt eure Schwerter weg und nehmt wieder Haltung an.«

Der alte Gladiator musterte die beiden von oben bis unten mit einem kritischen Blick, doch urplötzlich schlug die Mittagsglocke. Er runzelte die Stirn und seine Haltung veränderte sich von einer Sekunde auf die andere. Seine Stimme hatte den bellenden Unterton des Ausbilders verloren und er sprach ausnahmsweise ruhig und leise.

»Es gibt Hungeraufstände in der Stadt, habt ihr das gewusst? Ganze Banden zerstören anderer Leute Eigentum, aber sie laufen wie die Ratten, wenn jemand tapfer genug ist, ein Schwert gegen sie zu erheben. Ich sollte dort sein, und nicht hier mit Kindern spielen. Ich habe euch zwei Jahre länger unterrichtet, als es ursprünglich abgemacht war. Ihr seid zwar immer noch nicht fertig, aber ich werde nicht noch mehr von meinen letzten Jahren an euch verschwenden. Heute ist euer letzter Unterricht.« Er ging auf Gaius zu, der weiter starr geradeaus sah.

»Dein Vater hätte sich hier mit mir treffen sollen, um meinen Bericht zu hören. Was sagt mir die Tatsache, dass er zum ersten Mal in drei Jahren zu spät ist?«

Gaius räusperte sich. »Die Aufstände in der Stadt sind schlimmer, als du vermutet hast.«

»Richtig. Dein Vater kann also nicht dabei sein, wenn ich euch diese letzte Lektion erteile. Das ist schade. Wenn er tot ist und ich dich jetzt töte, wer erbt dann das Gut?«

Gaius blinzelte verwirrt. Die Worte des Mannes standen in krassem Gegensatz zu dem ruhigen Tonfall, denn er hörte sich so beiläufig an, als bestellte er eine neue Tunika.

»Mein Onkel Marius, obwohl er bei der Primigenia ist, der Legion der Erstgeborenen. Er ist bestimmt nicht darauf gefasst, dass .«

»Eine gute Standarte. Die Primigenia hat sich in Ägypten gut geschlagen. Dann stelle ich also ihm deine Ausbildung in Rechnung. In Abwesenheit deines Vaters nehme ich mit dir als dem gegenwärtigen Herrn des Hauses vorlieb. Wenn du bereit dazu bist, wirst du im Ernst gegen mich antreten. Das ist keine Übung mehr, kein Kampf bis zur ersten Wunde, sondern ein richtiger Angriff, wie dir einer blühen könnte, wenn du heute zwischen den Aufständischen durch die Straßen von Rom gehst.

Ich kämpfe fair. Wenn du mich tötest, betrachte deine Ausbildung bei mir als bestanden.« »Warum willst du uns töten, nachdem du uns so lange -«, stieß Marcus aufgeregt hervor. Er verstieß damit gegen die eiserne Regel, nie ohne Aufforderung zu sprechen.

»An einem bestimmten Punkt muss man dem Tod ins Auge blicken. Ich kann euch nicht länger unterrichten. Jetzt gilt es nur noch, eine letzte Lektion über Furcht und Zorn zu lernen.«

Einen Moment lang schien Renius sich seiner selbst nicht sicher zu sein, doch dann hob er energisch den Kopf. Da war sie wieder, die »Schnappschildkröte«, wie ihn die Sklaven nannten; seine Intensität und seine Energie waren überwältigend.

»Ihr seid meine letzten Schüler. Wenn ich mich jetzt zur Ruhe setze, hängt mein Ruf von euch jämmerlichen Gestalten ab. Ich lasse euch nicht halb ausgebildet auf die Welt los, damit mein Name eines Tages von euren Taten besudelt wird. Ich habe mein Leben lang meinen guten Namen in Ehren gehalten. Ich denke gar nicht daran, meinen Ruf jetzt noch zu verlieren.«

»Wir würden dir niemals Schande machen«, murmelte Marcus beinahe zu sich selbst.

Renius fuhr auf ihn los. »Jeder deiner Hiebe beschämt mich. Du hackst drauflos wie ein Metzger, der in einem Wutanfall auf einen Rinderkadaver eindrischt. Du bist nicht in der Lage, dein Temperament zu zügeln. Du fällst auf den einfachsten Trick herein, weil dir das Blut aus dem Gehirn weicht! Und DU ...« Er drehte sich drohend zu Gaius um, der zu grinsen angefangen hatte. »Du kannst deine Gedanken nicht lange genug von deinem Gemächt abwenden, um ein echter Römer zu sein. Bei dem Gedanken, dass Jungen wie ihr mein Erbe, meine Stadt, mein Volk weiterführen, gerinnt mir das Blut in den Adern.«

Bei der Anspielung auf das Sklavenmädchen verging Gaius das Grinsen. Renius hatte es vor den Augen der Jungen ausgepeitscht, weil es sie abgelenkt hatte. Gaius schämte sich noch immer dafür, und langsam stieg Wut in ihm empor, während Renius mit seiner Tirade fortfuhr.

»Gaius, du darfst wählen, wer von euch sich zuerst mit mir duelliert. Deine erste taktische Entscheidung!« Renius drehte sich um und marschierte auf den Kampfplatz zu, der durch ein Mosaik auf dem Boden gekennzeichnet war. Dort, hinter ihren Rücken, dehnte er seine Beinmuskeln und schien ihre verblüfften Blicke nicht einmal zur Kenntnis zu nehmen.

»Er ist verrückt geworden«, flüsterte Marcus. »Er wird uns beide töten.«

»Er spielt immer noch seine Spielchen mit uns«, antwortete Gaius grimmig. »Genauso wie damals am Fluss. Ich werde es mit ihm aufnehmen. Ich denke, ich schaffe ihn. Jedenfalls weiche ich nicht vor seiner Herausforderung. Wenn ich ihm damit beweisen kann, dass er mich gut ausgebildet hat, dann soll es eben so sein. Ich werde es ihm mit seinem eigenen Blut danken.« Marcus blickte seinen Freund an und sah die Entschlossenheit in dessen Gesicht. So sehr er sich auch wünschte, dass keiner von ihnen beiden gegen Renius antreten müsste, so genau wusste er auch, dass er selbst eine größere Chance gegen Renius hatte. Sie konnten ihn beide nicht so einfach besiegen, doch nur Marcus war schnell genug, den alten Mann mit sich in den Tod zu reißen.

»Lass mich zuerst, Gaius«, murmelte er.

Gaius starrte ihn an, als hoffte er, seine Gedanken zu erraten.

»Dieses Mal nicht. Du bist mein Freund. Ich will nicht zusehen, wie er dich tötet.«

»Ich will auch nicht zusehen, wie er dich tötet. Aber ich bin der Schnellere von uns beiden, ich habe bessere Chancen.«

Gaius lockerte die Schultern und lächelte angespannt. »Er ist doch nur ein alter Mann, Marcus. Ich bin gleich wieder da.«

Auf dem Kampfplatz nahm Gaius seine Position ein.

Renius betrachtete ihn mit zusammengekniffenen Augen, weil er gegen die Sonne blinzelte. »Warum hast du dich entschieden, zuerst zu kämpfen?«

Gaius zuckte mit den Schultern. »Jedes Leben endet einmal. Ich habe mich entschieden. Das genügt.«

»Du hast Recht, das genügt. Fang an, Junge. Lass sehen, ob du etwas gelernt hast.«

Langsam und vorsichtig begannen sie einander mit gezogenen Gladii zu umkreisen. Die Klingen glänzten in der Sonne.

Mit einer plötzlichen Schulterdrehung versuchte Renius eine Finte. Doch Gaius erkannte das Täuschungsmanöver und drängte den alten Mann durch einen Ausfall einen Schritt zurück. Die Klingen klirrten aufeinander, der Zweikampf hatte begonnen. Sie schlugen zu, parierten, verkeilten sich in einem Knäuel aus angespannten Muskeln ineinander, doch dann stieß der erfahrene Kämpfer den Jungen plötzlich rückwärts in den Staub.

Dieses Mal verhöhnte ihn Renius nicht. Sein Gesicht blieb völlig ausdruckslos. Gaius stand langsam wieder auf und fand sein Gleichgewicht wieder. Mit Körperkraft würde er diesen Kampf nicht gewinnen.

Er preschte mit zwei schnellen Schritten vor und durchbrach mit seiner Klinge Renius’ Deckung. Der saubere Hieb schnitt tief in die dunkelbraune Haut von Renius’ Brust.

Als der Junge seinen Angriff Schlag um Schlag weitertrieb, grunzte der alte Mann überrascht, parierte jedoch mit kleinen Gewichtsverlagerungen und Bewegungen des Schwertes jeden seiner Hiebe. In der heißen Sonne war es nur eine Frage der Zeit, bis der Junge müde wurde, dann war er bereit für das Schlachtermesser.

Gaius lief der Schweiß in die Augen. Er war verzweifelt und nicht mehr in der Lage, neue Angriffe zu ersinnen, die gegen dieses unbarmherzige Stück Holz Wirkung zeitigten, diesen stoischen Gegner, der ihn so leicht durchschaute und jeden seiner Angriffe mühelos abwehrte. Wild schlug er drauflos und verfehlte sein Ziel immer wieder. Als er plötzlich das Gleichgewicht verlor, streckte Renius blitzschnell den rechten Arm vor und versenkte die Klinge in Gaius’ ungedecktem Unterleib.

Gaius fühlte seine Kräfte schwinden. Er verlor die Kontrolle über seine Beine, die wie kraftlose Stecken einfach unter ihm wegknickten, doch er fühlte keinen Schmerz. Blut spritzte auf den staubigen Boden, aber alle Farbe war aus dem Hof gewichen, war durch das dumpfe Klopfen seines Herzens und die Blitze vor seinen Augen ersetzt worden.

Renius blickte auf ihn herab, und Gaius sah einen feuchten Glanz in seinen Augen. Weinte der alte Mann etwa?

»Nicht . gut . genug«, stieß der alte Gladiator keuchend hervor. Mit einem schmerzvollen Ausdruck in den Augen trat Renius näher.

Die Helligkeit der Sonne wurde von einem dunklen Schatten zerteilt, als Marcus sein Schwert unter die welke Haut unter Renius’ Kinn gleiten ließ. Er stand jetzt einen Schritt hinter ihm und konnte sehen, wie sich der alte Mann vor Überraschung versteifte.

»Hast du mich vergessen?« In diesem Moment wäre es ein Leichtes gewesen, die Klinge einfach durchzuziehen und den niederträchtigen alten Mann zu töten, aber Marcus hatte stattdessen auf den Körper seines Freundes geschaut und erkannt, dass das Leben aus ihm herausströmte. Nur einen Moment lang ließ er die Wut in sich zu, und schon war die Gelegenheit eines raschen Todes vertan. Renius wich seitlich aus und hob sein blutiges Schwert. Sein Gesicht schien versteinert, doch seine Augen glänzten.

Marcus griff zuerst an, durchbrach die Deckung und zog sich wieder zurück, bevor der Alte überhaupt darauf hatte reagieren können. Hätte Marcus einen tödlichen Schlag anbringen wollen, dann hätte er getroffen, denn der alte Mann blieb mit konzentriertem Gesicht bewegungslos stehen. Aber Marcus’ Schlag war nur ein Anfang, und plötzlich kam wieder Leben in den alten Gladiator.

»Kannst du mich noch nicht einmal töten, wenn ich still halte?«, fuhr Renius ihn an und fing wieder an, ihn zu umkreisen, wobei er ihm seine rechte Körperseite zuwendete.

»Du warst schon immer ein Narr, und du hast den Stolz eines Narren.« Marcus hätte ihn beinahe angebrüllt, weil Renius ihn zwang, seine Aufmerksamkeit auf ihn zu richten statt auf den Freund, der da allein in der Hitze starb.

Stattdessen griff er wieder an und setzte seine Gedanken in Taten um. Kein Überlegen oder Abwägen, nur unerbittliche Hiebe und Attacken. Auf dem alten Körper rissen rote Wunden auf, aus denen Marcus das Blut wie Frühlingsregen auf den staubigen Boden niederprasseln hörte. Renius hatte keine Zeit, erneut zu sprechen. Er verteidigte sich verzweifelt, auf seinem Gesicht spiegelte sich einen Augenblick lang blankes Entsetzen, ehe er wieder seine undurchdringliche Gladiatorenmaske aufsetzte. Marcus bewegte sich mit außergewöhnlicher Anmut und Gewandtheit. Er war zu schnell, um einen Gegenangriff anzubringen, er war der geborene Kämpfer. Wieder und wieder merkte der alte Mann erst am Klirren des aufeinander prallenden Metalls, dass er einen Schlag überhaupt hatte parieren können. Renius’ Körper reagierte und bewegte sich automatisch, ohne mitzudenken. Sein Geist hatte sich völlig vom Kampf gelöst.

Eine trockene innere Stimme sagte ihm: Ich bin ein alter Narr. Dieser Junge hier ist wahrscheinlich der beste Kämpfer, den ich je ausgebildet habe. Aber den anderen habe ich getötet - der Treffer war tödlich.

Sein linker Arm hing schlaff herunter. Der Schultermuskel war durchtrennt. Der Schmerz traf ihn wie ein Hammerschlag, und plötzlich, als hätten ihn die Jahre endlich doch noch eingeholt, spürte er, wie ihn Erschöpfung übermannte. Der Junge war noch nie zuvor so schnell gewesen, es war, als hätte der Anblick des sterbenden Freundes eine Schleuse in ihm geöffnet.

Renius spürte, wie die Kraft in einem langen, verzweifelten Seufzer von ihm wich. Er hatte schon viele Männer an diesem Punkt gesehen, wenn der Geist den Körper nicht mehr weiter tragen konnte. Kraftlos wehrte er die schartige Klinge des Gladius ab, schlug ihn zur Seite und wusste zugleich, dass dies sein letzter Schlag gewesen war.

»Hör auf, oder ich strecke dich auf der Stelle nieder«, ertönte plötzlich eine neue Stimme. Sie war nicht laut, schien aber trotzdem über den Hof und das gesamte Anwesen zu tragen.

Marcus hörte nicht auf. Er war dazu ausgebildet worden, nicht auf Ablenkungen zu reagieren. Niemand würde ihm diesen letzten tödlichen Schlag nehmen. Er spannte die Schultermuskeln, um die eiserne Klinge in seinem Gegner zu versenken. »Dieser Bogen wird dich töten, Junge. Weg mit dem Schwert.«

Renius blickte in Marcus’ Augen und sah einen Moment lang schieren Wahnsinn darin aufleuchten. Er zweifelte nicht daran, dass der Junge ihn töten würde. Dann war das Aufflackern plötzlich verschwunden, und Marcus hatte sich wieder unter Kontrolle.

Obwohl sein eigenes Blut warm an seinen Gliedern herabrann, kam Renius der Hof kalt vor. Er sah, wie Marcus sich langsam rückwärts aus seiner Reichweite entfernte und sich dann dem Neuankömmling zuwandte. Nur selten zuvor war Renius sich so sicher gewesen, dass sein Tod unmittelbar bevorstand.

Dort blitzte die Pfeilspitze eines Bogens. Ein alter Mann, älter noch als Renius, hielt den Bogen trotz der offensichtlich starken Spannung ohne jedes Muskelzittern fest in den Händen. Er trug eine einfache braune Robe, und ein Lächeln zog einen fast zahnlosen Mund auseinander.

»Hier stirbt heute keiner. Das wüsste ich. Leg die Waffe weg, damit ich nach den Ärzten rufen und kühle Getränke für euch herbeischaffen lassen kann.«

Mit einem Schlag hatte die Wirklichkeit Marcus wieder eingeholt. Als er zu einer Antwort ansetzte, fiel ihm der Gladius aus der Hand.

»Mein Freund Gaius ist verletzt. Er stirbt vielleicht, er braucht Hilfe.«

Renius konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten und fiel auf die Knie. Das Schwert entglitt seinen gefühllosen Fingern, und der rote Fleck um ihn herum wurde größer, während ihm der Kopf auf die Brust sank. Ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, schritt Marcus an ihm vorbei zu Gaius.

»Ich sehe, dass sein Blinddarm verletzt worden ist«, sagte der alte Mann über die Schulter hinweg zu ihm.

»Dann ist er so gut wie tot. Wenn der Blinddarm anschwillt, ist das immer tödlich. Unsere Ärzte können das geschwollene Ding nicht entfernen.«

»Mir ist das schon mehr als einmal geglückt. Hol die Haussklaven, sie sollen den Jungen ins Haus tragen. Und bring mir Verbandszeug und heißes Wasser.«

»Bist du ein Heilkundiger?«, fragte Marcus den alten Mann und suchte in seinen Augen nach einem Funken Hoffnung.

»Auf meinen Reisen habe ich das eine oder andere aufgeschnappt. Noch ist nicht alles verloren.« Ihre Blicke trafen sich.

Marcus schaute zur Seite und nickte gedankenverloren. Er vertraute dem Fremden, auch wenn er nicht hätte sagen können, warum.

Renius fiel auf den Rücken, seine Brust hob sich kaum noch. Jetzt sah er aus wie das, was er war: Ein morscher, alter, brauner Baumstamm von einem Mann, der in der römischen Sonne hart, aber auch spröde geworden war. Als Marcus’ Blick auf ihn fiel, versuchte er, vor Schwäche zitternd, noch einmal aufzustehen.

Eine Hand legte sich mit sanftem Druck auf Marcus’ Schulter und besänftigte die wieder in ihm aufsteigende Wut. Tubruk stand neben ihm, das Gesicht dunkel vor Zorn. Marcus spürte das leise Zittern in der Hand des ehemaligen Gladiators.

»Ruhig, mein Junge. Der Kampf ist vorbei. Ich habe nach Lucius und dem Arzt von Gaius’ Mutter geschickt.«

»Hast du alles mit angesehen?«, stammelte Marcus.

Tubruk verstärkte den Druck seiner Hand.

»Nur das Ende. Ich habe gehofft, dass du ihn tötest«, sagte er grimmig und sah dabei zu Renius hinüber, der blutend am Boden lag. Dann drehte sich Tubruk zu dem Neuankömmling um.

»Wer bist du, alter Mann? Ein Wilderer? Das hier ist ein privates Anwesen.«

Der alte Mann stand ruhig da und hielt Tubruks Blick stand. »Nur ein Reisender, ein Wanderer«, antwortete er.

»Wird er sterben?«, warf Marcus ängstlich ein.

»Das schon. Aber heute wohl noch nicht«, erwiderte der alte Mann. »Das wäre nicht recht, jetzt, wo ich da bin. Oder bin ich jetzt kein Gast des Hauses?«

Marcus blinzelte verwirrt und versuchte, den vernünftigen Klang dieser Worte gegen den Schmerz und die Wut abzuwägen, die immer noch in seinem Inneren tobten.

»Ich weiß noch nicht einmal, wie du heißt«, sagte er schließlich.

»Ich bin Cabera«, antwortete der alte Mann leise. »Und jetzt gib Frieden. Ich werde euch helfen.«

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