7

Aufgebrachte Stimmen holten Gaius wieder ins Bewusstsein zurück. In seinem Kopf hämmerte es, und er fühlte sich vollkommen kraftlos. Immer wieder breiteten sich Schmerzen wellenartig von seinem Unterleib aus, die von allen Pulsen seines Körpers mit wütendem Pochen beantwortet wurden. Sein Mund war trocken, er konnte weder sprechen noch die Augen offen halten. Die Dunkelheit war rot und weich, er wollte wieder in ihr versinken, weil er sich noch nicht für die Kämpfe des Bewusstseins bereit fühlte.

»Ich habe den durchstoßenen Blinddarm entfernt und die zerschnittenen Adern abgebunden. Er hat viel Blut verloren, und es wird eine Weile dauern, bis es wieder ersetzt ist, aber er ist jung und stark.« Die Stimme eines Fremden ... einer der Ärzte des Gutes? Gaius wusste es nicht, es war ihm auch egal. Wenn er nicht sterben musste, sollten sie ihn doch einfach in Ruhe lassen, damit er wieder gesund werden konnte.

»Der Arzt meiner Frau sagt, du bist ein Scharlatan.« Die unerbittliche Stimme seines Vaters.

»Er hätte eine solche Wunde nicht operiert. Also hast du nichts verloren, oder? Ich habe schon einmal einen Blinddarm entfernt; die Operation muss nicht tödlich verlaufen. Das Problem ist das Fieber, das noch kommen wird und gegen das er alleine ankämpfen muss.«

»Mir wurde gesagt, dieser Eingriff sei stets tödlich. Der Blinddarm schwillt an und platzt. Man kann ihn nicht einfach so entfernen, wie man einen Finger abschneiden würde.« Sein Vater klang müde, dachte Gaius.

»Trotzdem habe ich es getan. Ich habe auch den alten Mann verbunden. Auch er wird sich wieder erholen, auch wenn er wohl nie wieder kämpfen wird, so wie seine linke Schulter zugerichtet ist. Alle werden es überleben. Und du solltest jetzt schlafen.«

Gaius hörte Schritte näher kommen, spürte die warme, trockene Handfläche seines Vaters auf seiner feuchten Stirn.

»Er ist mein einziges Kind, Cabera; wie soll ich da schlafen? Würdest du schlafen, wenn es dein Kind wäre?«

»Ich würde schlafen wie ein Neugeborenes. Wir haben alles getan, was in unserer Macht steht.

Ich werde weiter bei ihm wachen, aber du solltest dich ausruhen.« Die andere Stimme schien freundlich, hatte aber nicht den weichen Tonfall der Ärzte, die sich um seine Mutter kümmerten. Man konnte einen fremden Akzent heraushören, einen wohlklingenden Rhythmus.

Gaius sank wieder in tiefen Schlaf, als läge ein dunkles Gewicht auf seiner Brust. Während er in Fieberträume hinüberglitt und sekundenweise wieder daraus hervordämmerte, konnte er die Stimmen immer gerade noch wahrnehmen.

»Warum hast du die Wunde nicht mit Stichen geschlossen? Ich habe schon viele Wunden von Kämpfen gesehen, aber wir vernähen und verbinden sie .«

»Deshalb gefallen dem Griechen meine Methoden auch nicht. Der Eiter, der sich in der Wunde bildet, wenn das Fieber stärker wird, muss abfließen können. Wenn ich sie fest verschließe, kann der Eiter nirgendwohin und vergiftet sein Fleisch. Dann stirbt er mit Sicherheit, so wie die meisten anderen auch. Meine Methode könnte seine Rettung sein.«

»Wenn er stirbt, schneide ich dir deinen Blinddarm höchstpersönlich heraus.«

Ein meckerndes Lachen ertönte, dann ein paar Worte in einer fremden Sprache, die durch Gaius’ Träume hallten.

»Es würde dir schwer fallen, ihn zu finden. Hier ist die Narbe, die ich habe, seit mein Vater meinen vor vielen Jahren entfernt hat ... mit einem Ablauf für den Eiter.«

»Ich werde deinem Urteil vertrauen«, erwiderte Gaius’ Vater entschlossen. »Wenn er überlebt, gebührt dir mein Dank und noch mehr.«

Gaius erwachte, als eine kühle Hand seine Stirn berührte. Er sah in blaue Augen, die hell in einem walnussfarbenen Gesicht leuchteten.

»Ich heiße Cabera, Gaius. Es freut mich, dich endlich kennen zu lernen, und das in einem solchen Augenblick deines Lebens. Ich bin Tausende von Meilen gereist. Dass ich genau in dem Moment angekommen bin, als ich gebraucht wurde, gibt einem den Glauben an die Götter zurück, nicht wahr?«

Gaius konnte nicht antworten. Seine Zunge lag dick und reglos in seinem Mund. Als hätte er seine Gedanken gelesen, beugte sich der alte Mann vor und führte eine flache Schale mit Wasser an seine Lippen.

»Trink ein bisschen. Das Fieber brennt dir die Feuchtigkeit aus dem Leib.«

Die wenigen Tropfen rannen in seinen Mund und lösten den klebrigen Speichel, der sich dort gesammelt hatte. Gaius hustete und schloss die Augen wieder. Cabera sah auf den Jungen hinab und seufzte kurz. Er vergewisserte sich, dass niemand in der Nähe war und legte seine knochigen, alten Hände auf die Wunde, rings um das dünne Holzröhrchen, aus dem immer noch eine zähe Flüssigkeit tropfte.

Diesen Händen entströmte eine Wärme, die Gaius bis in seine Träume fühlte. Er spürte, wie sich die Hitze bis in seine Brust ausbreitete und sich auf seine Lunge legte, wo sie die Flüssigkeit auflöste.

Die Wärme wurde stärker, bis sie fast wehtat. Dann nahm Cabera die Hände weg und blieb regungslos sitzen, nur sein Atem klang plötzlich heiser und stockend.

Wieder schlug Gaius die Augen auf. Er fühlte sich immer noch zu schwach, um sich zu bewegen, aber das Gefühl, dass Flüssigkeit in ihm herumschwappte, war verschwunden. Er konnte wieder atmen.

»Was hast du getan?«, murmelte er.

»Es hat ein wenig geholfen, ja? Du hast etwas Hilfe gebraucht, trotz all meiner Fähigkeiten als Chirurg.« Das alte Gesicht war von der Anstrengung gezeichnet, aber die Augen leuchteten immer noch lebhaft in den dunklen Falten. Die Hand legte sich wieder auf Gaius’ Stirn.

»Wer bist du?«, flüsterte dieser.

Der alte Mann zuckte die Achseln. »Die Antwort auf diese Frage muss ich selbst noch herausfinden. Ich bin ein Bettler gewesen, und das Oberhaupt eines Dorfes. Ich betrachtete mich als jemanden, der nach Wahrheiten sucht, einer neuen Wahrheit an jedem Ort, an den ich komme.«

»Kannst du meiner Mutter helfen?« Gaius hielt die Augen geschlossen, doch er konnte den leisen Seufzer hören, den der Mann ausstieß.

»Nein, Gaius. Ihr Leiden liegt in ihrem Geist, vielleicht auch in ihrer Seele. Bei Verletzungen des Körpers kann ich ein wenig helfen, mehr nicht. Das ist viel einfacher. Es tut mir Leid. Schlaf jetzt, mein Junge. Der Schlaf ist der wahre Heiler, nicht ich.«

Die Dunkelheit kam wie auf Befehl.

Als er wieder erwachte, saß Renius auf dem Bett. Sein Gesicht war so undurchdringlich wie immer. Als Gaius die Augen öffnete, sah er, wie sehr sich sein Lehrer äußerlich verändert hatte. Seine linke Schulter war mit einem großen Verband bedeckt und der Arm eng am Körper festgebunden, und unter der sonnengegerbten Haut war er blass.

»Wie geht es dir, mein Junge? Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr es mich freut, dich auf dem Wege der Besserung zu sehen. Dieser alte Wilde muss Wunder vollbringen können.« Wenigstens seine Stimme klang wie immer, kurz angebunden und schroff.

»Ja, das ist gut möglich. Ich bin überrascht, dich noch hier zu sehen, nachdem du mich fast umgebracht hast«, murmelte Gaius. Er spürte, wie sein Herz schneller schlug, als die Erinnerungen zurückkehrten. Er spürte, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat.

»Ich wollte dich nicht so schlimm erwischen. Es war ein Fehler. Tut mir Leid.« Der alte Mann suchte in seinen Augen nach Vergebung und sah, dass sie dort bereits auf ihn wartete.

»Es braucht dir nicht Leid zu tun. Ich lebe noch und du lebst noch. Sogar du machst Fehler.«

»Als ich dachte, ich hätte dich getötet .« Schmerz malte sich auf dem alten Gesicht.

Gaius setzte sich mühsam auf und merkte zu seiner Überraschung, dass er wieder einigermaßen zu Kräften gekommen war.

»Du hast mich nicht getötet. Ich werde immer mit Stolz sagen können, dass du mich ausgebildet hast. Aber jetzt genug der Worte über diese Angelegenheit. Sie ist erledigt.«

Einen Augenblick lang war sich Gaius der Lächerlichkeit der Situation bewusst, in der ein dreizehnjähriger Junge den alten Gladiator tröstete, aber die Worte gingen ihm leichter über die Lippen, als ihm deutlich wurde, dass er echte Zuneigung zu diesem Mann empfand, vor allem jetzt, da er ihn als Menschen ansehen konnte, nicht nur als vollkommenen Kämpfer, der aus irgendeinem unbekannten Stein gehauen zu sein schien.

»Ist mein Vater noch hier?«, fragte er hoffnungsvoll.

Renius schüttelte den Kopf. »Er musste zurück in die Stadt, aber er ist die ersten Tage kaum von deinem Bett gewichen, bis wir sicher sein konnten, dass du gesund werden würdest. Die Aufstände haben sich ausgeweitet, Sullas Legion wurde zurückgerufen, um die Ordnung wiederherzustellen.«

Gaius nickte und streckte die geballte Faust vor sich hin.

»Ich wäre gerne dabei und würde zusehen, wie die Legion durch die Tore zieht.«

Renius lächelte über die Begeisterung des jungen Mannes.

»Dieses Mal nicht, glaube ich, aber du wirst mehr von der Stadt zu sehen bekommen, wenn du wieder gesund bist. Tubruk wartet draußen. Bist du kräftig genug, um ihn zu empfangen?«

»Ich fühle mich viel besser, fast wieder normal. Wie lange hat es gedauert?«

»Eine Woche. Cabera hat dir Kräuter gegeben, damit du schläfst. Trotzdem bist du unglaublich schnell wieder gesund geworden, und ich habe schon viele Wunden gesehen. Der alte Mann nennt sich selbst einen Seher. Ich glaube, dieser Kerl verfügt über magische Kräfte. Aber jetzt werde ich Tubruk rufen.«

Als sich Renius erhob, streckte Gaius die Hand aus. »Bleibst du hier?«

Renius lächelte, aber er schüttelte dabei den Kopf. »Die Ausbildung ist abgeschlossen. Ich ziehe mich in meine eigene kleine Villa zurück und möchte in Frieden alt werden.«

Gaius zögerte einen Augenblick. »Hast du ... eine Familie?«

»Ich hatte einmal eine, früher mal, aber sie sind längst tot. Ich werde meine Abende mit anderen alten Männern verbringen, Lügengeschichten erzählen und guten Rotwein trinken. Dein Leben werde ich aber weiterhin verfolgen. Cabera sagt, du bist etwas Besonderes, und ich glaube, dieser alte Teufel täuscht sich nicht sehr oft.«

»Danke«, sagte Gaius. Bessere Worte fand er nicht, um auszudrücken, was ihm der alte Gladiator gegeben hatte.

Renius nickte und packte Gaius’ Hand und sein Handgelenk mit festem Griff. Dann war er verschwunden, und das Zimmer war plötzlich sehr leer.

Tubruks Gestalt füllte den Türrahmen. Der Verwalter lächelte. »Du siehst schon viel besser aus. Du hast Farbe auf den Wangen.«

Gaius grinste ihn an und fühlte sich langsam wieder wie er selbst. »Ich bin schon fast wieder bei Kräften. Ich habe Glück gehabt.«

»Nichts da. Das hast du Cabera zu verdanken. Was für ein erstaunlicher Mann. Er muss an die achtzig sein, aber als sich der neue Arzt deiner Mutter über deine Behandlung beschwert hat, ist Cabera mit ihm nach draußen gegangen und hat ihm eine Tracht Prügel verpasst. So habe ich schon lange nicht mehr gelacht. In seinen dünnen Ärmchen steckt eine Menge Kraft, außerdem hat er eine verdammt harte Rechte. Das hättest du sehen sollen!« Bei der Erinnerung lachte er leise in sich hinein, dann wurde sein Gesicht wieder ernst.

»Deine Mutter wollte dich sehen, aber wir dachten, es würde . ihr zu großen Kummer bereiten, ehe es dir wieder besser geht. Ich bringe sie morgen zu dir.«

»Jetzt ginge es auch. Ich bin nicht zu müde.«

»Nein. Du bist immer noch schwach, und Cabera sagt, du sollst nicht mit Besuchern überanstrengt werden.«

Gaius quittierte die Tatsache, dass Tubruk den Rat eines anderen befolgte, mit gespielter Überraschung.

Tubruk lächelte wieder. »Nun, wie gesagt, er ist ein erstaunlicher Mann, und nach dem, was er bei dir vollbracht hat, ist sein Wort Gesetz in allen Belangen, die deine Pflege betreffen. Ich habe Renius nur hereingelassen, weil er heute abreist.«

»Ich bin froh, dass du das getan hast. Es hätte mir nicht gefallen, wenn das unerledigt geblieben wäre.«

»Dachte ich mir.«

»Es wundert mich, dass du ihm nicht den Kopf abgerissen hast«, meinte Gaius fröhlich.

»Ich habe daran gedacht, aber bei einer solchen Ausbildung können Unfälle passieren. Wie dem auch sei, er ist stolz auf euch beide. Ich glaube, der alte Bastard mag dich, wahrscheinlich wegen deiner Dickköpfigkeit. Ich glaube, darin stehst du ihm in nichts nach.«

»Wie geht es Marcus?«, fragte Gaius.

»Er kann es natürlich kaum erwarten, zu dir gelassen zu werden. Du könntest versuchen, ihn davon zu überzeugen, dass es nicht seine Schuld war. Er sagt, er hätte dich zwingen sollen, ihn zuerst kämpfen zu lassen, aber .«

»Es war meine Entscheidung, und ich bereue sie nicht. Schließlich habe ich es überlebt.«

Tubruk lachte kurz auf. »Jetzt werde mal nicht übermütig. Miterlebt zu haben, wie du eine solche Wunde überstanden hast, lässt einen an die Kraft von Gebeten glauben. Und ohne Cabera hättest du sie nicht überlebt. Du schuldest ihm dein Leben. Dein Vater hat versucht, ihn dazu zu bringen, eine Belohnung anzunehmen, aber außer Kost und Obdach will er nichts. Ich weiß immer noch nicht, warum er hier ist. Es sieht so aus, als ob er wirklich daran glaubt .. dass wir von den Göttern so bewegt werden, wie wir Würfel werfen, und sie wollten eben, dass er die ruhmreiche Stadt Rom sieht, ehe er zu alt dafür ist.« Der kantige Freigelassene sah verwirrt aus, und Gaius hielt es für besser, ihm nichts von der seltsamen Erinnerung an die Wärme von Caberas Händen zu erzählen. Dafür war später zweifellos immer noch Zeit.

»Ich lasse dir etwas Suppe bringen. Möchtest du frisches Brot dazu?«

Gaius’ Magen stimmte aus vollem Herzen zu, und Tubruk ging, nun wieder mit einem Lächeln.

Nur mit Mühe erklomm Renius den Sattel seines Wallachs. Sein linker Arm fühlte sich nutzlos an, und der Schmerz war stärker als das Ziehen bereits verheilender Verwundungen, das er schon so oft gespürt hatte.

Er war froh, dass keine Diener oder Sklaven Zeuge seiner Unbeholfenheit wurden. Das große Landhaus schien verlassen.

Endlich gelang es ihm, den Rumpf des Pferdes mit beiden Beinen zu umschlingen; die Muskeln trugen sein Gewicht. Obwohl der Abend bereits hereinbrach, würde er es vor der völligen Dunkelheit bis zur Stadt schaffen. Als er daran dachte, entfuhr ihm ein Seufzer. Was blieb ihm jetzt noch? Er würde sein Stadthaus verkaufen, obwohl die Preise während der Aufstände gefallen waren. Vielleicht sollte er warten, bis auf den Straßen wieder Ruhe eingekehrt war. Sulla führte seine Legion in die Stadt, es würde Hinrichtungen und öffentliche Auspeitschungen geben, aber früher oder später würde die Ordnung wiederhergestellt sein. Die Römer schätzten den Krieg vor der eigenen Haustür nicht. Sie hörten gerne von den vernichteten Armeen der Barbaren, aber niemandem gefielen die brutalen Einschränkungen des Kriegsrechts, mit Ausgangssperren und Lebensmittelverknappung, die unweigerlich .

Er hörte ein Geräusch hinter sich, das seine Gedanken unterbrach.

Dort stand Marcus und betrachtete ihn gelassen. »Ich bin gekommen, um dir Lebewohl zu sagen.«

Fast unbewusst nahm Renius die festen Muskeln des Jungen zur Kenntnis, seine gelöste Haltung. Er würde sich einen Namen machen, in einer Zukunft, die der alte Krieger nicht mehr miterleben würde.

Ein Schauer durchfuhr ihn bei dem Gedanken. Niemand lebte ewig, kein Alexander, kein Scipio oder Hannibal, nicht einmal ein Renius.

»Ich bin froh, dass es Gaius besser geht«, sagte er mit klarer Stimme.

»Ich weiß. Ich bin nicht hier, weil ich wütend auf dich bin, sondern um mich zu entschuldigen«, antwortete Marcus und senkte den Blick auf den Sand vor seinen Füßen.

Renius hob die Augenbrauen.

Marcus atmete tief durch. »Es tut mir Leid, dass ich dich nicht getötet habe, du krankes, böses Stück Dreck. Wenn wir uns in Zukunft noch einmal über den Weg laufen sollten, reiße ich dir die Kehle heraus.«

Renius schwankte im Sattel, als wären die Worte Schläge. Er spürte den Hass, und das heiterte ihn unglaublich auf. Fast hätte er laut aufgelacht, als der kleine Gockel seine Drohungen ausstieß, doch ihm wurde klar, dass er seinem Schüler ein letztes Geschenk machen konnte, wenn er seine Worte mit Bedacht wählte.

»Ein solcher Hass wird dich umbringen, Junge. Und dann wirst du Gaius nicht mehr beschützen können.«

»Ich werde immer für ihn da sein.«

»Nein. Nur wenn es dir gelingt, dein Temperament zu zügeln. Wenn du nicht die Ruhe in dir selbst finden kannst, verreckst du irgendwann bei einer Wirtshausrauferei. Du hättest mich getötet, ja; in meinem Alter schwindet die Ausdauer schneller, als ich zugeben mag. Wären wir uns begegnet, als ich noch jünger war, hätte ich dich schneller erledigt als eine Sichel Getreide mäht. Denk daran, wenn du das nächste Mal einem jungen Mann gegenüberstehst, der sich noch einen Namen machen muss.« Nun grinste Renius, und als die Lippen sich zu einer grausamen Fratze verzogen, sah es aus, als erblickte man die Zähne eines Hais.

»Vielleicht kommt diese Gelegenheit früher als du glaubst«, sagte Cabera und trat aus dem Schatten.

»Was? Hast du etwa zugehört, du alter Teufel?«, fragte Renius, immer noch lächelnd, obwohl seine Miene beim Anblick des Heilers, den er zu schätzen gelernt hatte, sanfter wurde.

»Sieh hinüber zur Stadt. Ich glaube, heute Abend reitest du nirgendwo mehr hin«, fuhr Cabera mit ernstem Gesicht fort.

Marcus und Renius drehten sich um und blickten zu den Hügeln hinüber. Obwohl Rom hinter den Erhebungen des Landes verborgen war, sah man ein orangefarbenes Leuchten, das immer heller wurde, während sie entsetzt zusahen.

»Bei Jupiters Eiern! Sie haben die Stadt in Brand gesteckt!«, entfuhr es Renius. Seine geliebte Stadt!

Einen Augenblick spielte er mit dem Gedanken, seinem Pferd die Sporen zu geben und seinen Platz in den Straßen einzunehmen. Die Menschen kannten sein Gesicht, er konnte helfen, die Ordnung wiederherzustellen. Eine kühle Hand berührte sein Fußgelenk, und er blickte in das Gesicht des alten Cabera hinab.

»Manchmal kann ich in die Zukunft blicken. Wenn du jetzt in die Stadt reitest, bist du noch vor dem Morgengrauen tot. Das ist die Wahrheit.«

Renius verlagerte sein Gewicht, und der Wallach, der seine Stimmung spürte, stampfte mit den Hufen im Sand.

»Und wenn ich bleibe?«, erwiderte er kurz.

Cabera zuckte die Achseln. »Hier stirbst du vielleicht auch. Die Sklaven werden kommen, um den Hof zu plündern. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit.«

Bei diesen Worten stockte Marcus der Atem. Auf dem Gut gab es fast fünfhundert Sklaven.

Wenn sie alle rebellierten, war ein Blutbad unvermeidlich. Ohne ein weiteres Wort rannte er zu den Häusern und rief nach Tubruk, damit er Alarm schlug.

»Darf ich dir beim Absteigen von diesem prächtigen Wallach behilflich sein?«, fragte Cabera mit offenem und unschuldigem Blick.

Renius verzog das Gesicht und konnte nun trotz des fröhlichen alten Mannes wieder wie gewohnt wütend werden.

»Die Götter verraten uns nicht, was geschehen wird«, sagte er.

Cabera lächelte wehmütig. »Das habe ich früher auch geglaubt. Als ich jung und eingebildet war, dachte ich, ich könne irgendwie in den Menschen lesen, ihr wahres Ich sehen und erraten, was sie tun würden. Es hat Jahre gedauert, bis ich demütig genug war, um zu erkennen, dass ich es doch nicht konnte. Es ist nicht so, als würde ich durch ein durchsichtiges Fenster schauen. Ich sehe nur dich und die Stadt an und spüre den Tod. Warum auch nicht? Viele haben Talente, die denjenigen, die sie nicht besitzen, fast wie Magie vorkommen müssen. Betrachte es einfach so, wenn es dir damit besser geht. Komm mit. Du wirst heute Nacht hier gebraucht.«

Renius lachte verächtlich. »Vermutlich hast du mit deinem Talent schon eine Menge Geld verdient?«

»Ein- oder zweimal, ja, aber das Geld bleibt nicht bei mir. Es sucht sich seinen Weg in die Hände von Weinhändlern, leichten Mädchen und Spielern. Mir sind nur meine Erfahrungen geblieben, aber die sind mehr wert als alle Münzen.«

Nach kurzer Überlegung ergriff Renius die ihm angebotene Hand, und ihre Stärke und Festigkeit überraschte ihn nicht, nachdem er gesehen hatte, wie diese schmalen Schultern den schweren Bogen auf dem Übungsplatz gespannt hatten.

»Du wirst meine Scheide für mich halten müssen, alter Mann. Sobald ich mein Schwert gezogen habe, komme ich schon alleine klar.« Dann führte er das Pferd zum Stall zurück, streichelte ihm über die Nüstern und murmelte ihm zu, sie würden später aufbrechen, sobald die ganze Aufregung vorbei sei. Einen Augenblick hielt er inne.

»Du kannst in die Zukunft sehen?«

Cabera grinste und hüpfte vergnügt von einem Fuß auf den anderen.

»Du willst wissen, ob du überleben oder hier sterben wirst, ja?«, schnatterte er. »Das fragen alle.« Renius spürte, wie ihn seine gewohnte schlechte Laune mit aller Macht wieder übermannte. »Nein. Ich glaube, das will ich gar nicht wissen. Behalte es für dich, Zauberer.« Er führte das Pferd davon, ohne sich umzudrehen, aber seinen Schultern konnte man seine Verstimmung ansehen.

Als er verschwunden war, wurde Caberas Gesicht traurig. Er mochte den Mann und freute sich darüber, dass trotz Geld und Ruhm, die er in seinem Leben angehäuft hatte, immer noch so etwas wie Anstand in Renius’ Herzen zu wohnen schien.

»Vielleicht hätte ich dich einfach losreiten und mit den anderen alten Männern sterben lassen sollen. Aber wenn du gegangen wärst, wären auch die Jungen mit Sicherheit umgekommen, also ist das eine Sünde, mit der ich wohl leben kann.« Seine Augen waren ohne Hoffnung, als er zum großen Tor in der Außenmauer des Gutshofes ging und sich daran machte, es zu schließen. Er fragte sich, ob auch er in diesem fremden Land den Tod finden würde, ohne dass man in seiner Heimat etwas davon erfuhr. Er fragte sich, ob der Geist seines Vaters in seiner Nähe war und ihm zusah; höchstwahrscheinlich jedoch nicht. Sein Vater war wenigstens vernünftig genug gewesen, nicht in der Höhle auf die Rückkehr des Bären zu warten.

Aus der Ferne erklangen die Hufschläge eines galoppierenden Pferdes. Cabera hielt das Haupttor offen und wartete. Kam da ein erster Angreifer, oder war es ein Bote aus Rom? Er verfluchte seine hellseherische Gabe, die ihm nur bruchstückhafte Einblicke in die Zukunft gewährte, allerdings nie auf etwas, das mit ihm selbst zusammenhing. Doch hier stand er nun und hielt dem Reiter das Tor auf, also würde er keine Warnung erhalten. Seine klarsten Visionen waren die, in denen er selbst nicht vorkam. Wahrscheinlich wollten ihm die Götter damit etwas sagen, aber das war ihm letztendlich ziemlich egal. Er hatte erkannt, dass er nicht das Leben eines Beobachters führen konnte.

Ein Schweif aus dunklem Staub folgte dem Reiter, den man in der hereinbrechenden Dunkelheit kaum ausmachen konnte.

»Halt das Tor auf!«, befahl eine Stimme.

Cabera zog eine Braue empor. Was glaubte der Mann eigentlich, was er hier die ganze Zeit tat? Gaius’ Vater Julius kam durch den Torbogen geprescht. Sein Gesicht war gerötet, und seine feinen Gewänder waren mit Ruß befleckt.

»Rom brennt«, sagte er und sprang auch schon aus dem Sattel. »Aber meinen Besitz bekommen sie nicht.« Erst jetzt erkannte er Cabera und klopfte ihm zur Begrüßung auf die Schulter.

»Wie geht es meinem Sohn?«

»Ihm geht es gut. Ich bin .« Cabera verstummte, als jene energische ältere Version von Gaius davonschritt, um die Verteidigung zu organisieren. Tubruks Name hallte durch die Flure des Gutshauses.

Einen Augenblick lang blieb Cabera verwirrt stehen. Die Visionen hatten sich ein wenig verändert. Dieser Mann war eine Naturgewalt und konnte vielleicht den Ausschlag zu ihren Gunsten geben.

Seine Gedanken verflüchtigten sich, als er draußen auf den Feldern Rufe laut werden hörte. Er murmelte frustriert vor sich hin und stieg auf die Mauer des Anwesens, um seine Augen zu benutzen, wenn schon seine hellseherische Gabe versagt hatte.

In allen Himmelsrichtungen herrschte Dunkelheit, doch er konnte kleine Lichtpunkte sehen, die sich durch die Felder bewegten, sich wie Glühwürmchen trafen und zusammenschlossen. Jeder von ihnen war wahrscheinlich eine Lampe oder Fackel, die von einem der aufgebrachten Sklaven getragen wurde, deren Blut von der Hitze in der Luft über der Hauptstadt in Wallung gebracht worden war. Sie marschierten bereits auf das große Gutshaus zu.

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