31

Die durch die Straßen ziehende Bande war bereits in teure Stoffe gehüllt, die sie aus einem Laden oder von einer Näherin gestohlen hatten. Aus den Tongefäßen, die sie bei sich trugen, spritzte roter Wein auf das Straßenpflaster, wenn sie sie torkelnd durch die Luft schwenkten.

Alexandria spähte mit finsterer Miene aus dem verschlossenen Tor von Marius’ Stadthaus nach draußen.

»Der Abschaum von Rom«, murmelte sie. Nachdem sämtliche Soldaten der Stadt in die Kämpfe verwickelt waren, hatte es nicht lange gedauert, bis diejenigen, die das Chaos liebten, sich offen auf den Straßen zeigten. Wie immer hatten die Armen am meisten zu leiden. Ohne Wachen oder sonstigen Schutz wurde in Häuser eingebrochen und alles, was irgendwie von Wert war, von johlenden Plünderern davongetragen.

Alexandria sah, dass eine der Tuchbahnen mit Blut bespritzt war, und in ihren Fingern zuckte es. Am liebsten hätte sie dem Mann einen Pfeil in seinen betrunkenen Rachen gejagt.

Als sie vorbeigingen, duckte sie sich hinter den Torpfosten und zuckte zusammen, als eine kräftige Hand am Tor rüttelte und es auf Schwachstellen überprüfte. Sie packte den Hammer, den sie aus Bants Werkstatt mitgenommen hatte. Falls die Kerle auf die Idee kamen, über das Tor zu steigen, war sie bereit, jemandem den Schädel einzuschlagen. Mit klopfendem Herzen lauschte sie auf jedes gelallte Wort, das draußen nach dem ersten Versuch gewechselt wurde.

»Drüben auf der Via Tantius ist ein Bordell, Leute«, krächzte eine raue Stimme. »Da wird man heute bestimmt kostenlos bedient.«

»Die haben bestimmt Wachen, Brac. So einen Posten würde ich nicht verlassen. Du vielleicht? Und ich würde auch zusehen, dass ich für meine Dienste bezahlt werde. Diese Huren sind bestimmt froh, wenn sie von einem starken Mann beschützt werden. Was wir brauchen, ist noch so ein nettes kleines Eheweib mit ein paar jungen Töchtern. Denen können wir anbieten, dass wir uns um sie kümmern, solange der Gemahl weg ist.«

»Aber nur, wenn ich als Erster dran bin. Beim letzten Mal hab ich nicht viel davon gehabt«, sagte die erste Stimme.

»Aber nur, weil sie an mir schon genug hatte. Nach mir will keine Frau noch einen anderen.«

Das Gelächter war grob und brutal, und Alexandria erschauerte, als die Männer sich entfernten. Dann hörte sie leise Schritte hinter sich und fuhr mit erhobenem Hammer herum.

»Schon gut, ich bin es«, sagte Metella. Ihr Gesicht war blass. Sie hatte den Schluss der Unterhaltung ebenfalls gehört. Beide Frauen hatten Tränen in den Augen.

»Ist es dir ganz gewiss ernst damit, Herrin?«

»Aber ja, Alexandria, aber du musst dich beeilen. Wenn du hier bleibst, wird es nur noch schlimmer. Sulla ist ein rachsüchtiger Mann, und es gibt keinen Grund, dass du seiner Gehässigkeit zum Opfer fällst. Geh und suche diesen Tabbic. Hast du das Schreiben, das ich unterzeichnet habe?«

»Selbstverständlich. Es ist das Wertvollste, was ich besitze.«

»Bewahre es sorgsam auf. Die nächsten Monate werden schwierig und gefährlich sein. Du brauchst einen Beweis dafür, dass du eine freie Frau bist. Leg das Geld, das Gaius für dich zurückgelassen hat, gut an, und bleib so lange verborgen, bis die Stadtlegion die Ordnung wiederhergestellt hat.«

»Wenn ich ihm nur dafür danken könnte.«

»Ich hoffe, dass du eines Tages die Gelegenheit dazu bekommst.« Metella ging zu dem vergitterten Tor, entriegelte es und spähte nach links und rechts die Straße hinab. »Jetzt rasch.

Die Straße ist im Augenblick leer, aber du musst schnell zum Markt hinunter. Halte dich nirgendwo auf, hast du mich verstanden?«

Alexandria nickte steif. Nach allem, was sie gehört hatte, brauchte sie keine Ermahnungen mehr. Sie schaute in Metellas dunkle Augen, sah ihre bleiche Haut und spürte, wie sie die Angst überfiel.

»Ich mache mir nur Sorgen um dich, so allein in dem großen Haus. Wer wird für dich sorgen, wo doch das ganze Haus leer ist?«

Metella hob die Hand in einer sanften Geste.

»Hab keine Angst um mich, Alexandria. Ich habe Freunde, die mich heimlich aus der Stadt bringen. Ich suche mir ein warmes, fernes Land und setze mich dort zur Ruhe, weit weg von den Intrigen und Schmerzen einer wachsenden Stadt. Ich könnte mir einen uralten Ort vorstellen, an dem die jugendlichen Machtkämpfe nur eine ferne Erinnerung sind. Bleib auf der Hauptstraße. Ich kann nicht eher ruhen, bis die Letzte meiner Familie in Sicherheit ist.«

Mit Tränen in den Augen erwiderte Alexandria ihren Blick. Dann nickte sie kurz und schob sich durch den Spalt zwischen den Torflügeln nach draußen, zog das Tor fest hinter sich zu und eilte davon.

Metella sah ihr nach und spürte im Vergleich zu den leichtfüßigen Schritten des jungen Mädchens jedes einzelne ihrer Jahre. Sie beneidete die Jugend um die Möglichkeit, noch einmal von vorne anzufangen, ohne sich nach dem Vorangegangenen umzusehen. Metella schaute Alexandria nach, bis sie um eine Straßenecke bog, dann wandte sie sich ihrem leeren, hallenden Haus zu. Endlich waren das große Gebäude und die Gärten leer.

Warum war Marius nicht hier? Es war ein unheimlicher Gedanke. Er war schon so oft lange auf Feldzügen fort gewesen, aber er war immer wieder zurückgekehrt, strotzend vor Leben, Humor und Kraft. Die Vorstellung, dass er diesmal nicht zu ihr zurückkehren würde, war eine hässliche Wunde, an die sie nicht rühren wollte. Es war viel einfacher, sich vorzustellen, dass er mit seiner Legion unterwegs war, neue Länder eroberte oder für fremde Könige gewaltige Aquädukte errichtete. Sie würde einschlafen, und wenn sie aufwachte, würde dieser schreckliche, bohrende Schmerz in ihr verschwunden sein, und Marius würde wieder da sein und sie in den Armen halten.

Sie konnte den Rauch riechen. Seit Sullas Angriff auf die Stadt vor drei Tagen brannten Feuer, deren Flammen ungehindert von Haus zu Haus und von Straße zu Straße übersprangen. Bis jetzt hatten die Brände die Steinhäuser der Reichen noch nicht erreicht, aber schließlich würde das Feuer, das in Rom wütete, sie alle verschlingen und Asche auf Asche häufen, bis von ihren Träumen nichts mehr übrig war.

Metella schaute über die Stadt, die sich den Hügel hinunterzog. Sie lehnte sich an die Marmorwand und empfand die Kühle auf der Haut als Erleichterung von der schweren Hitze. An Dutzenden Stellen stiegen dicke schwarze Qualmsäulen in den Himmel und vereinigten sich zu einer grauen Decke, die Farbe der Verzweiflung. Schreie wurden von dort herangetragen, wo die marodierenden Soldaten ohne jede Gnade kämpften und die Raptores in den Straßen alles, was ihnen über den Weg lief, umbrachten oder schändeten.

Sie hoffte, dass Alexandria sicher durchkam. Die Hauswachen hatten sie am gleichen Morgen verlassen, an dem die Kunde von Marius’ Tod sie erreichte. Wahrscheinlich konnte sie sich glücklich schätzen, dass sie sie nicht in ihrem Bett ermordet und das Haus geplündert hatten. Trotzdem traf der Verrat tief. Waren sie nicht gerecht und gut behandelt worden? Worauf konnte man sich sonst noch verlassen, in einer Welt, in der das Gelöbnis eines Mannes mit dem ersten warmen Windstoß verpuffte?

Natürlich hatte sie Alexandria angelogen. Es gab keine Möglichkeit für sie, die Stadt zu verlassen. Wenn es schon gefährlich war, eine junge Sklavin nur ein paar Straßen weiter zu schicken, dann war es für eine überall bekannte Frau nachgerade unmöglich, ihren Besitz an den Wölfen vorbeizuschaffen, die durch die Straßen Roms streiften und nur auf solche Gelegenheiten warteten. Vielleicht hätte sie sich als Sklavin verkleiden oder sogar mit einem der Sklaven weglaufen sollen. Mit etwas Glück wären sie vielleicht aus der Stadt herausgekommen, obwohl sie es für wahrscheinlicher hielt, dass man sie aufgehalten, misshandelt und dann irgendwo für die Straßenköter liegen gelassen hätte. Seit drei Tagen gab es kein Gesetz mehr in Rom, und das bedeutete für einige eine berauschende Freiheit. Wäre sie jünger und mutiger gewesen, hätte sie das Risiko vielleicht auf sich genommen, aber Marius war schon zu lange ihr Mut und ihre Zuversicht gewesen.

Mit ihm an ihrer Seite konnte sie die Gehässigkeiten der feinen Damen aushalten, die hinter ihrem Rücken über ihre Kinderlosigkeit tuschelten. Mit ihm konnte sie sich der Welt mit leerem Schoß stellen und trotzdem lachen, ohne dabei laut aufzuschreien. Ohne ihn wagte sie sich nicht auf die Straße hinaus, um ganz allein ein neues Leben als mittelloser Flüchtling zu beginnen. Metallbeschlagene Sandalen trabten am Tor vorbei, und Metella lief ein Schauder von der Schulter aus über den ganzen Leib. Es würde nicht mehr lange dauern, dann würden die Kämpfe auch dieses Viertel erreichen und die Plünderer und Mörder in Sullas Gefolge würden das Eisentor von Marius’ alter Stadtvilla aufbrechen. Während der ersten beiden Tage hatte sie noch Berichte von draußen bekommen, bis auch ihre Boten sie verließen. Sullas Männer waren in die Stadt eingedrungen und nahmen Straße um Straße ein. Sie nutzten den Vorteil, den Marius ihnen eingeräumt hatte, indem er die Erstgeborenen ringsum auf den Stadtmauern postiert hatte, woraufhin es ihnen nicht möglich gewesen war, gleich in den ersten Stunden ihre Kräfte geballt gegen die Eindringlinge einzusetzen. Inzwischen hatte sich Sulla festgesetzt und gab sich mit einer langsam voranschreitenden Schlacht zufrieden, zog seine Belagerungsmaschinen durch die Straßen, zerschmetterte Barrikaden und säumte die Straßen hinter sich mit den Köpfen von Marius’ Soldaten. Angeblich war der große Jupitertempel abgebrannt, und die Flammen seien so heiß gewesen, dass die Marmorplatten gesprungen und zerplatzt seien, was wiederum die Säulen und die schweren Stützpfeiler zum Einsturz gebracht hatte, die mit weithin hallendem Krachen auf den Vorplatz gekracht waren. Die Leute sagten, es sei ein böses Omen, und dass die Götter Sulla zürnten, aber trotzdem sah es nach wie vor so aus, als würde Sulla den Sieg davontragen. Dann waren die Nachrichten versiegt, und in der Nacht hatte sie gewusst, dass die rhythmischen Siegesgesänge, die durch ganz Rom hallten, nicht aus den Kehlen der Erstgeborenen stammten. Metellas Hand wanderte zur Schulter, fand den Träger und schob ihn über die Haut zur Seite. Sie ließ ihn am Arm herabgleiten und griff nach dem anderen. Kurz darauf fiel ihr Gewand in einem kleinen Stoffhaufen auf den Boden, aus dem sie nackt heraustrat. Mit dem Rücken zum Tor schritt sie durch die Bögen und Türen tiefer ins Haus hinein. Auf der unverhüllten Haut fühlte sich die Luft merklich kühler an, und sie erschauerte abermals, diesmal jedoch mit einem Anflug von Lust. Es fühlte sich seltsam an, in diesen formellen Räumen nackt umherzuwandeln!

Beim Gehen schob sie Armreife von ihren Handgelenken und Ringe von den Fingern, legte die Hand voll Edelmetall auf einen Tisch. Marius’ Ehering behielt sie an, so wie sie ihm einst versprochen hatte, ihn nie wieder abzulegen. Sie löste die Bänder in ihrem Haar und ließ es wie eine Kaskade herabstürzen, schüttelte den Kopf, damit die Locken und Wellen sich glätteten. Barfüßig und sauber betrat sie die Badehalle, spürte, wie der Dampf sie mit einem feinen Hauch schimmernder Feuchtigkeit umfing. Sie atmete ihn ein und ließ die Wärme in ihre Lunge.

Das Becken war tief und das Wasser frisch angewärmt, die letzte Verrichtung der scheidenden Sklaven und Diener. Mit einem leisen Seufzer stieg sie in das klare Nass, das von dem Mosaikboden dunkelblau gefärbt wurde. Sie schloss ein paar Sekunden lang die Augen und dachte an die Jahre mit Marius zurück. Es hatte ihr nie etwas ausgemacht, dass er so oft und so lange mit der Erstgeborenen von zu Hause und von ihr fort gewesen war, aber wenn sie gewusst hätte, wie wenig Zeit ihnen noch blieb, wäre sie mit ihm gezogen. Doch jetzt war nicht der richtige Augenblick für sinnlose Reue. Ohne dass sie es wollte, und ohne dass sie ihr Erleichterung verschafft hätten, rannen neue Tränen unter ihren Lidern hervor.

Sie erinnerte sich an seine erste Beförderung zum Offizier, an seine Freude bei jeder weiteren Beförderung. In seiner Jugend war er prächtig gewesen, ihr Liebesspiel ausgelassen und wild. Als der muskulöse Soldat um ihre Hand angehalten hatte, war sie ein unschuldiges Mädchen gewesen. Sie hatte nichts von den hässlichen Seiten des Lebens gewusst, von dem Schmerz, als ein Jahr nach dem anderen ohne Kindersegen verging. Jede ihrer Freundinnen hatte ein schreiendes Kind nach dem anderen in die Welt gepresst, und einige davon brachen ihr allein durch ihren Anblick das Herz, und sie fühlte sich sofort einsam und leer. Das waren die Jahre gewesen, in denen Marius immer mehr Zeit fern von ihr verbracht hatte, als er unfähig gewesen war, ihren Zorn und ihre Anschuldigungen zu ertragen. Eine Zeit lang hatte sie gehofft, er hätte eine Geliebte, und sie hatte ihm zu verstehen gegeben, dass sie sogar ein Kind aus einer solchen Vereinigung als ihr eigenes annehmen würde.

Er hatte ihren Kopf zärtlich zwischen seine Hände genommen und sie sanft geküsst. »Es gibt nur dich, Metella«, hatte er gesagt. »Wenn das Schicksal uns diese eine Freude genommen hat, dann will ich ihm deshalb nicht ins Gesicht spucken.«

Sie hatte gedacht, sie könnte das Schluchzen, das ihr ständig die Kehle zuschnürte, nie wieder loswerden. Schließlich hatte er sie hochgehoben und ins Bett getragen, wo er so zärtlich mit ihr war, dass sie noch einmal hatte weinen müssen, ganz am Schluss. Er war ein guter Gemahl gewesen, ein guter Mensch.

Ohne die Augen zu öffnen, streckte sie die Hand nach dem Beckenrand aus. Ihre Finger fanden das kleine Eisenmesser, das sie dort hingelegt hatte. Eins seiner Messer, das ihm überreicht worden war, nachdem seine Zenturie eine ganze Woche lang eine Bergfestung gegen eine wimmelnde Armee von Wilden gehalten hatte. Sie nahm die Klinge zwischen zwei Finger und führte sie blind hinunter zu ihrem Handgelenk. Dann holte sie tief Luft. Ihr Geist war wie betäubt und von Frieden erfüllt.

Die Klinge drang ein, und seltsamerweise tat es überhaupt nicht weh. Der Schmerz war irgendwo weit weg, sie nahm ihn kaum wahr, als sie längst vergangene Sommer vor ihrem inneren Auge vorüberziehen ließ.

»Marius.« Sie glaubte, den Namen laut gesagt zu haben, doch es war ruhig und still in dem Raum, und das blaue Wasser war rot geworden.

Cornelia sah ihren Vater wütend an.

»Ich gehe nicht weg! Das hier ist mein Haus, und hier ist es im Augenblick so sicher wie an jedem anderen Ort in der Stadt!«

Cinna sah sich um, sah die schweren Tore, die das Stadthaus zur Straße hin abgrenzten. Das Haus, das er ihr als Mitgift geschenkt hatte, war recht einfach, ein Haus mit nur acht Zimmern, alle auf einem Stockwerk. Es war ein schönes Haus, aber ein hässliches mit einer hohen Backsteinmauer ringsum wäre ihm lieber gewesen.

»Wenn der Pöbel kommt, oder Sullas Männer, um zu schänden und zu verwüsten .« Seine Stimme zitterte, so bewegt war er, doch Cornelia blieb stur.

»Ich habe Wachen, die sich gegen den Pöbel zur Wehr setzen können, und nichts in ganz Rom wird Sulla aufhalten, wenn es die Erstgeborene nicht kann«, gab sie zurück. Ihre Stimme war ruhig, doch innerlich nagten Zweifel an ihr. Es stimmte, das Haus ihres Vaters war wie eine Festung gebaut, aber dieses Haus hier gehörte ihr und Julius. Hier würde er nach ihr suchen, falls er die Kämpfe überlebte.

Die Stimme ihres Vaters schwoll fast zu einem Kreischen an. »Du hast nicht gesehen, was auf den Straßen vor sich geht! Banden von wilden Tieren suchen nach leichten Opfern. Ohne meine Wache könnte selbst ich nicht mehr hinausgehen. Viele Häuser sind niedergebrannt oder ausgeplündert worden. Das reinste Chaos.« Er rieb sich mit den Händen das Gesicht, und seine Tochter sah, dass er sich nicht rasiert hatte.

»Rom wird auch das überstehen, Vater. Wolltest du nicht schon vor einem Jahr aufs Land ziehen, damals, als die Aufstände ausbrachen? Wäre ich damals gegangen, hätte ich Julius niemals kennen gelernt und wäre jetzt nicht verheiratet!«

»Hätte ich es nur getan!«, knurrte Cinna mit wütender Stimme. »Hätte ich dich damals nur aus der Stadt geholt. Dann wärst du jetzt nicht hier und in Gefahr .«

Sie ging zu ihm und legte ihm die Hand auf die Wange.

»Beruhige dich, Vater, beruhige dich. Mit all deinen Sorgen schadest du dir noch selbst. Die Stadt hat schon so manche Erschütterung überstanden. Auch diese hier geht vorüber. Alles wird gut. Du hättest dich rasieren sollen.«

Ihm standen Tränen in den Augen, und sie umarmte ihn fest.

»Vorsichtig, Vater«, sagte sie. »Du musst jetzt viel Rücksicht auf mich nehmen.«

Der Mann hielt sie mit ausgestreckten Armen von sich und blickte sie misstrauisch an.

»Bist du schwanger?«, fragte er mit vor Rührung belegter Stimme.

Cornelia nickte.

»Mein wunderbares Mädchen«, sagte er und drückte sie wieder an sich, jetzt jedoch sehr behutsam.

»Du wirst Großvater«, flüsterte sie ihm ins Ohr.

»Cornelia«, sagte er. »Du musst jetzt mitkommen. In meinem Haus ist es sicherer als hier.

Warum willst du so ein Risiko auf dich nehmen? Komm nach Hause.«

Das Wort war so verlockend. Wie gerne wollte sie sich von ihm in Sicherheit bringen lassen, wie sehr sehnte sie sich danach, wieder ein kleines Mädchen zu sein, doch sie konnte nicht. Sie schüttelte den Kopf und lächelte tapfer, um den Stachel der Zurückweisung abzumildern.

»Wenn es dich glücklich macht, kannst du ja ein paar Wachen mehr zurücklassen, aber das hier ist jetzt mein Zuhause. Mein Kind wird hier zur Welt kommen, und wenn Julius in die Stadt zurückkehrt, wird er mich hier zuerst suchen.«

»Was ist, wenn er nicht mehr lebt?«

Sie spürte einen schmerzhaften Stich und schloss die Augen. Tränen brannten unter ihren Lidern. »Vater, bitte ... Julius wird zu mir zurückkommen. Da ... da bin ich mir ganz sicher.«

»Weiß er von dem Kind?«

Sie hielt die Augen geschlossen, versuchte, die Schwäche mit reiner Willenskraft zu vertreiben. Sie wollte keinesfalls zu schluchzen anfangen, obwohl ein Teil von ihr sich am liebsten an die Brust des Vaters geworfen und sich von ihm hätte wegbringen lassen.

»Nein, noch nicht.«

Cinna setzte sich auf eine Bank neben einem leise plätschernden Wasserbecken im Garten. Er erinnerte sich an die Unterhaltungen mit dem Architekten, mit dem er die Fertigstellung des Hauses für seine Tochter besprochen hatte. Es schien ihm so lange her zu sein. Er seufzte.

»Du treibst mich in den Wahnsinn, mein Mädchen. Was soll ich nur deiner Mutter sagen?« Cornelia setzte sich neben ihn. »Du sagst ihr, dass es mir gut geht und dass ich in ungefähr sieben Monaten ein Kind zur Welt bringen werde. Du sagst ihr, dass ich mein Haus für die Geburt vorbereite, das wird sie verstehen. Wenn es wieder ein bisschen ruhiger geworden ist, schicke ich Boten zu euch und ... sag ihr, wir haben genug zu essen und alle sind gesund. Ganz einfach.«

Die Stimme ihres Vaters kippte ein wenig, als er versuchte, einen festeren Ton anzuschlagen. »Dieser Julius tut gut daran, dir ein guter Ehemann zu sein. Und ein guter Vater. Wenn nicht, lasse ich ihn auspeitschen. Das hätte ich schon tun sollen, als ich davon erfahren habe, dass er meiner Tochter über die Dächer meines Hauses nachsteigt.«

Cornelia wischte sich mit der Hand über die Augen und drückte die Sorgen wieder zurück. Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Du bist kein grausamer Mann, Vater, also tu nicht so, als wärst du einer.«

Er verzog das Gesicht, und die Stille dehnte sich ein paar Augenblicke lang.

»Ich warte noch zwei Tage, dann lasse ich dich von meiner Wache nach Hause holen.«

Cornelia drückte den Arm ihres Vaters. »Nein. Ich gehöre dir nicht mehr. Julius ist mein Mann, und er erwartet, dass ich hier bin.«

Dann konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten und fing an zu schluchzen. Cinna zog sie an sich und nahm sie fest in die Arme.

Sulla runzelte die Stirn, als seine Männer losrannten, um die Hauptstraßen zu sichern, die ihnen den Zugang zum großen Forum und dem Herzen der Stadt sicherten. Nach dem ersten blutigen Handgemenge war die Schlacht um Rom für ihn gut gelaufen; ein Viertel nach dem anderen hatte er rasch und rücksichtslos eingenommen und dann gegen einen völlig unorganisierten Feind gehalten. Bevor die Sonne richtig aufgegangen war, befand sich ein Großteil der tiefer gelegenen östlichen Stadtteile Roms unter seiner Kontrolle, sodass er genügend Platz für seine Truppen hatte, damit sie sich zurückziehen, ausruhen und neu formieren konnten. Dann waren taktische Probleme aufgetaucht. Je weiter sich das von ihm kontrollierte Gebiet ausdehnte, umso weniger Männer hatte er, um die Grenze zu sichern, wobei er wusste, dass sie ständig der Gefahr ausgesetzt waren, an dieser oder jener Stelle von einer übermächtigen Streitmacht angegriffen zu werden.

Sullas Vorstoß verlangsamte sich, und seine Befehle gingen in immer rascherer Folge hinaus an die Truppen, beorderten sie von einem Ort zum anderen oder wiesen sie an, die Stellung zu halten. Er wusste, dass er eine sichere Basis brauchte, bevor er den Gegner auffordern durfte, sich, in welcher Form auch immer, zu ergeben. Nach Marius’ letzten Worten musste Sulla sogar damit rechnen, dass dessen Soldaten bis zum letzten Mann kämpften. Ihre Treue war legendär, sogar in einem System, in dem Treue überall gehegt und gepflegt wurde. Er musste dafür sorgen, dass sie jede Hoffnung verloren, und das war mit einem langsamen Voranschreiten nicht zu erreichen.

Er stand gerade auf einem offenen Platz oben auf dem Caelius-Hügel. Die verstopften Straßen hinter ihm bis hin zum Caelimontana gehörten ihm. Die Brände waren gelöscht worden und seine Legion hatte sich von dort bis hin zur Porta Raudusculana an der südlichen Spitze der Stadtmauer eingegraben.

Auf dem kleinen Platz standen fast einhundert seiner Männer, jeweils in Vierergruppen. Jeder von ihnen hatte sich freiwillig gemeldet, was ihn sehr rührte. War es das, was Marius empfunden hatte, als seine Männer ihm ihr Leben angeboten hatten?

»Ihr habt eure Befehle. Bleibt in Bewegung und sorgt für Chaos. Wenn ihr auf einen überlegenen Gegner trefft, zieht euch zurück und greift später an. Ihr seid mein Glück und das Glück der Legion. Mögen die Götter mit euch sein.«

Sie salutierten wie ein Mann, er erwiderte den Gruß mit steifem Arm. Er rechnete damit, dass die meisten innerhalb einer Stunde tot sein würden. Wäre es Nacht gewesen, hätte er sie besser einsetzen können, im hellen Licht des Tages jedoch waren sie nicht viel mehr als eine Ablenkung. Er sah die letzte Vierergruppe durch die Barrikade schlüpfen und mit eiligen Schritten in einer Seitenstraße verschwinden.

»Schlag Marius’ Leiche in Tücher ein und lege ihn in den Schatten«, sagte Sulla zu einem Soldaten. »Ich weiß noch nicht, wann ich die Zeit finde, ihm ein angemessenes Begräbnis auszurichten.«

Zwei oder drei Straßen entfernt stieg ein Schwarm Pfeile in die Luft. Sulla beobachtete ihre Flugbahn mit Interesse, rechnete den mutmaßlichen Standpunkt der Bogenschützen aus und hoffte, dass einige seiner Vierertrupps sich in deren Nähe aufhielten. Die schwarzen Schäfte zogen über ihn hinweg und prasselten dann auf die Steine des Hofes, den Sulla als vorübergehenden Befehlsstand gewählt hatte. Einer seiner Boten ging mit einem Pfeil in der Brust zu Boden, ein anderer schrie auf, obwohl er unverletzt schien. Sulla verzog missmutig das Gesicht.

»Wache! Bringt den Mann irgendwo hin und peitscht ihn aus. Römer schreien nicht, wenn sie Blut sehen, und sie fallen auch nicht in Ohnmacht. Sorg dafür, dass ich ein wenig von seinem Blut auf seinem Rücken sehe, wenn ihr zurückkommt.«

Der Posten nickte, und der Bote wurde weggebracht. Aus Angst vor einer noch strengeren Bestrafung kam kein Wort über seine Lippen.

Ein Zenturio kam angelaufen und salutierte.

»Dieses Viertel ist sauber, Legat. Soll ich langsames Vorrücken signalisieren lassen?«

Sulla sah ihn an.

»Unser lahmes Vorankommen macht mich schon ganz wahnsinnig. Lass auf diesem Abschnitt zum Angriff blasen. Die anderen sollen aufschließen so gut sie können.«

»Damit geben wir uns eine Blöße, Herr. Wir sind Angriffen von der Flanke her ausgesetzt«, stammelte der Mann.

»Stell noch einmal einen meiner Befehle in Frage, und ich lasse dich wie einen gewöhnlichen Verbrecher aufhängen.«

Der Mann wurde bleich und drehte sich rasch um, um den Befehl weiterzugeben.

Sulla knirschte verärgert mit den Zähnen. Was hätte er für einen Feind gegeben, der ihm in offener Feldschlacht gegenübertrat. Dieser Häuserkampf war unvorbereitet und grausam. Männer durchbohrten sich irgendwo in fernen Gassen mit ihren Schwertern. Wo blieben die glorreichen Angriffe? Die singenden Schlachtwaffen? Doch er wollte geduldig sein und sie schließlich aufreiben. Er hörte die Trompete zum Angriff blasen und sah, wie seine Männer ihre Barrikaden aufhoben und sich bereit machten, sie weiterzutragen. Er spürte, wie sein Blut vor Aufregung rascher floss. Sollten sie ihn doch in die Zange nehmen! Er hatte seine Trupps schließlich längst da draußen, und die würden wiederum ihrerseits von hinten angreifen.

Er roch frischen Rauch und sah Flammen aus den oberen Fenstern der Häuser in den Straßen direkt vor ihnen züngeln. Durch das ständige Klirren der Waffen wurden Schreie laut, und verzweifelte Gestalten kletterten in zehn oder fünfzehn Metern Höhe auf steinerne Simse hoch über dem Gewühl hinaus. Sie würden auf den großen Steinplatten der Fahrdämme sterben. Sulla sah, wie eine Frau den Halt verlor, kopfüber auf den Bordstein fiel und wie eine verrenkte Puppe liegen blieb. Rauch wirbelte in seine Nasenlöcher. Eine Straße noch, und dann die nächste.

Seine Männer kamen rasch voran.

»Vorwärts!«, drängte er und spürte sein Herz schneller schlagen.

Orso Ferito breitete eine Karte von Rom auf dem schweren Eichentisch aus und blickte in die Gesichter der um ihn stehenden Zenturios der Erstgeborenen.

»Die Linie, die ich hier eingezeichnet habe, markiert das Gebiet, das Sulla unter seine Kontrolle gebracht hat. Er kämpft an einer sich immer weiter ausdehnenden Front und ist dort fast überall für einen gezielten Angriff anfällig. Ich schlage vor, wir greifen hier und hier gleichzeitig an.« Er zeigte auf die beiden Punkte auf der Karte und sah die anderen Männer im Raum an. Genau wie Orso waren sie müde und schmutzig. Die meisten hatten während der seit drei Tagen tobenden Schlacht kaum eine oder zwei Stunden am Stück geschlafen und waren, wie ihre Männer, der Erschöpfung nahe.

Orso selbst waren zu dem Zeitpunkt, als er Marius’ Ermordung durch Sullas Männer mitangesehen hatte, fünf Zenturien unterstellt. Er hatte den letzten Ruf seines Legaten vernommen und brannte noch immer vor Zorn, wenn er daran dachte, wie der selbstgefällige Sulla einem Mann eine Klinge in den Leib gebohrt hatte, den Orso mehr geliebt hatte als seinen eigenen Vater.

In den darauffolgenden Tagen hatte blankes Chaos geherrscht; Hunderte waren auf beiden Seiten gefallen. Orso hatte die Kontrolle über seine eigenen Männer behalten, hatte sie kurze und blutige Angriffe durchführen und sofort wieder zurückweichen lassen, bevor Entsatz herbeigeeilt war. Wie viele andere von Marius’ Männern war er nicht hochgeboren, sondern auf den Straßen Roms aufgewachsen. Er wusste, wie man in den Gassen und Seitenstraßen kämpfte, in denen er sich als Junge herumgetrieben hatte, und vor Sonnenaufgang des zweiten Tages war er zum inoffiziellen Anführer der Erstgeborenen geworden.

Sein Einfluss machte sich sofort bemerkbar, als er die Angriffe und Verteidigungsstrategien zu koordinieren begann. Manche Straßen ließ Orso als strategisch unwichtig unberücksichtigt. Er befahl den Bewohnern, die Häuser zu verlassen, legte überall Feuer und zog seine Männer unter der Deckung von Bogenschützen zurück. Um andere Straßen kämpften sie erbittert und konzentrierten sich darauf, dass Sullas Truppen nirgendwo durchbrechen konnten. Viele Straßen hatten sie verloren, doch der direkte Vorstoß auf die Stadtmitte war in vielen Vierteln vereitelt worden. Der Kampf würde nicht so rasch beendet sein, und Sulla schlug überall heftiger Widerstand entgegen.

Egal, wie seine Mutter ihn genannt haben mochte, für seine Männer war Orso immer Orso, der Bär, gewesen. Sein vierschrötiger Leib und fast das ganze Gesicht waren von schwarzem, drahtigem Haar bedeckt, bis zu den Wangen hinauf. Jetzt waren seine muskelbepackten Schultern mit getrocknetem Blut verklebt, und wie die anderen im Raum war auch er gezwungen gewesen, auf die römische Reinlichkeit zu verzichten und stank inzwischen kräftig nach Rauch und altem Schweiß.

Der Besprechungsraum, die Küche irgendeines Stadthauses, war zufällig ausgewählt worden. Die Zenturios waren von der Straße hereingekommen und hatten die Karte ausgerollt. Der Eigentümer war irgendwo im Obergeschoss. Orso schaute mit einem Seufzen auf die Karte. Durchbrüche waren möglich, aber um Sulla zu schlagen, brauchten sie das Glück der Götter. Er blickte noch einmal in die Runde und musste sich angesichts der Hoffnung, die er in den Gesichtern sah, beherrschen, um nicht zusammenzuzucken. Er wusste genau, dass er kein Marius war. Wenn der Legat am Leben geblieben und jetzt hier bei ihnen in diesem Raum wäre, hätten sie noch eine Chance gehabt. Aber so ...

»An jedem beliebigen Punkt haben sie nicht mehr als zwanzig bis fünfzig Mann stehen. Wenn wir an zwei Stellen mit jeweils einer Zenturie durchbrechen, müsste es möglich sein, sie niederzumachen, bevor ihre Verstärkung da ist.«

»Und was dann? Sollen wir Sulla suchen?«, fragte einer der Zenturios. Marius hätte seinen Namen gekannt, gestand sich Orso ein.

»Wir wissen nicht genau, wo sich diese Schlange aufhält. Ihm ist durchaus zuzutrauen, dass er als Lockvogel für Attentäter irgendwo ein Kommandozelt aufstellt. Ich schlage vor, wir ziehen uns sofort wieder zurück und lassen nur ein paar Männer in ziviler Kleidung zurück, die warten, bis sich eine Gelegenheit bietet, ihn zu schnappen.«

»Das wird den Männern nicht gefallen. Es ist kein vernichtender Sieg, und genau den wollen sie.«

»Die Männer sind Legionäre der verdammt noch mal besten Legion Roms!«, fuhr ihn Orso zornig an. »Sie werden tun, was ihnen gesagt wird. Das hier ist ein Zahlenspiel, wenn es überhaupt ein Spiel ist. Sie haben mehr. Wir haben ein ähnliches Gebiet mit weitaus weniger Männern kontrolliert. Sie können schneller Verstärkung herbeischaffen als wir, und ... sie haben einen weitaus erfahreneren Befehlshaber. Das Beste, was wir tun können, ist, hundert ihrer Leute niedermachen und uns zurückziehen und dabei so wenig wie möglich von den unseren verlieren. Sulla hat immer noch das Problem, dass er eine immer größer werdende Front verteidigen muss.« »Wir haben gewissermaßen das gleiche Problem.«

»Aber bei weitem nicht so schlimm. Wenn sie durchbrechen, dann stehen sie irgendwo in der Stadt, wo sie mit Leichtigkeit abgeschnitten und von allen Seiten angegriffen werden können.

Wir haben immer noch das bei weitem größere Stadtgebiet in unserer Hand. Wenn wir ihre Linien durchbrechen, stehen wir direkt im Herzen ihres Territoriums.«

»Wo sie ihre Männer stehen haben, Orso. Ich bin nicht überzeugt davon, dass dein Plan funktioniert«, fuhr der Mann fort.

Orso sah ihn an. »Wie heißt du?«

»Bar Gallienus, Herr.«

»Hast du gehört, was Marius gerufen hat, bevor sie ihn umbrachten?«

Der Mann wurde ein bisschen rot. »Ja, Herr.«

»Ich auch. Wir verteidigen unsere Stadt und ihre Bewohner gegen einen unrechtmäßigen Angreifer. Mein Befehlshaber ist tot. Ich habe vorübergehend das Kommando übernommen, bis die derzeitige Krise vorbei ist. Falls du nichts Brauchbares zu der Besprechung beizutragen hast, schlage ich vor, dass du draußen wartest, bis ich dir mitteile, dass wir fertig sind. Ist das klar?« Obwohl Orsos Stimme ruhig und höflich geblieben war, spürten alle Anwesenden den Zorn, der von ihm ausging, wie körperliche Gewalt. Man brauchte ein wenig Mut, um nicht davor zurückzuwei chen.

Bar Gallienus antwortete leise.

»Ich bleibe lieber hier.«

Orso schlug ihm auf die Schulter und wandte den Blick von ihm ab.

»Alles, was einen Speer werfen kann, und jeder Mann mit einem Bogen, zieht sich in einer Stunde an diesen beiden Punkten zusammen. Wir beschießen sie mit allem, was wir haben, und dann stürmen zwei Zenturien auf mein Zeichen hin ihre Stellungen. Ich selbst führe den Angriff durch das alte Marktviertel, weil ich mich dort gut auskenne. Bar Gallienus führt den anderen. Noch Fragen?«

Rings um den Tisch herrschte Stille. Gallienus sah Orso in die Augen und nickte zustimmend. »Dann sammelt eure Legionäre ein, meine Herren. Sorgen wir dafür, dass der alte Mann stolz auf uns sein kann. Unser Schlachtruf lautet >Marius<. Das Signal sind drei kurze Trompetenstöße. In einer Stunde.«

Sulla trat einen Schritt von den blutbefleckten Männern vor ihm zurück. Von den einhundert, die er vor Stunden in die Schlacht geschickt hatte, waren nur elf zurückgekehrt, um ihm Bericht zu erstatten, und auch sie waren ausnahmslos verwundet.

»Legat. Die mobilen Einheiten waren nur teilweise erfolgreich«, sagte ein Soldat, der Mühe hatte, trotz seiner schwer arbeitenden Lunge aufrecht zu stehen. »In der ersten Stunde haben wir viel Schaden angerichtet und haben in kleinen Handgemengen schätzungsweise fünfzig Feinde niedergemacht. Überall dort, wo es möglich war, haben wir sie allein oder paarweise erwischt und überrumpelt. Dann muss es sich herumgesprochen haben, denn wir sind regelrecht durch die Straßen gejagt worden. Wer immer sie auch befehligt hat, er muss die Stadt sehr gut kennen.

Einige von uns sind auf die Dächer gestiegen, wurden dort aber bereits erwartet.« Er holte Luft, und Sulla wartete ungeduldig, bis sich der Mann wieder gefasst hatte.

»Ich habe gesehen, wie mehrere unserer Männer von Frauen oder Kindern umgebracht wurden, die mit Messern aus den Häusern kamen. Da es Zivilisten waren, haben unsere Leute gezögert und wurden in Stücke gehackt. Meine eigene Einheit ist einer ähnlichen Gruppe von Erstgeborenen zum Opfer gefallen, die sich ihrer Rüstung entledigt hatte und nur mit Kurzschwertern unterwegs war. Wir waren schon lange gerannt, und sie haben uns in einer kleinen Gasse in die Enge getrieben. Ich .«

»Du hast gesagt, du bringst Meldungen. Es war von Anfang an klar, dass die mobilen Trupps nur begrenzten Schaden anrichten können. Ich hatte gehofft, Angst und Chaos zu verbreiten, aber anscheinend ist bei den Erstgeborenen noch ein Rest von Disziplin übrig. Einer von Marius’ Stellvertretern muss die allgemeine taktische Kontrolle übernommen haben. Wahrscheinlich hat er vor, so bald wie möglich zum Gegenangriff überzugehen. Haben deine Männer Anzeichen dafür gesehen?«

»Jawohl, Legat. Sie ziehen ihre Leute in aller Stille zusammen. Ich weiß nicht, wann oder wo sie angreifen werden, aber irgendein Überfall dürfte in nächster Zeit stattfinden.«

»Das war wohl kaum achtzig meiner Männer wert, aber immerhin eine nützliche Information. Begebt euch zu den Sanitätern. Zenturio!«, fuhr er einen Mann ganz in der Nähe an. »Alle Mann auf die Barrikaden. Sie werden schon bald einen Durchbruch versuchen. Verdreifacht die Männer an der vordersten Linie.«

Der Zenturio nickte und gab den Boten ein Zeichen, die Nachricht an die Außenposten der Front zu bringen.

Plötzlich wurde der Himmel schwarz vor Pfeilen; ein stechender, summender Todesschwarm raste auf sie zu. Sulla sah, wie sie sich auf seine Stellung herabsenkten und ballte die Fäuste. Rings um ihn warfen sich Männer zu Boden, doch er blieb aufrecht stehen, und nicht einmal ein Zucken umspielte seine glitzernden Augen.

Die Pfeile regneten prasselnd um ihn nieder, doch er blieb unversehrt. Er drehte sich um und lachte seine auf dem Boden kriechenden Berater und Offiziere aus. Einer kniete auf dem Boden und zerrte an einem Pfeil, der ihm aus der Brust ragte. Blut rann ihm aus dem Mund. Zwei andere starrten mit glasigen Augen regungslos in den Himmel.

»Ein gutes Omen, findet ihr nicht?«, sagte er, immer noch lächelnd.

Weiter vorn blies irgendwo in der Stadt eine Trompete drei kurze Stöße. Lautes Gebrüll erhob sich als Antwort. Durch den Lärm hörte Sulla einen Namen, der laut skandiert wurde, und für einen Augenblick regten sich Zweifel in ihm.

»Ma-ri-us!«, schrieen die Erstgeborenen. Dann stürmten sie heran.

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