Lucius Domitius gestand mir darauf, daß er die Schwertkämpfe im Amphitheater verabscheute, bei denen rohe Gladiatoren einander verwundeten und erschlugen.

»Ich will aber doch kein Gladiator werden!« antwortete ich gekränkt. »Ein römischer Ritter muß das Kriegshandwerk erlernen.«

»Der Krieg ist ein blutiges und sinnloses Geschäft«, meinte er. »Rom hat der Welt den Frieden geschenkt. Aber ich habe gehört, daß ein Verwandter meines verstorbenen Vaters, Gnaeus Domitius Corbulo, jenseits des Rheins in Germanien herumrumort, um sich das Recht auf einen Triumph zu erwerben. Wenn du wirklich willst, kann ich ihm schreiben und dich als Kriegstribun empfehlen. Er ist allerdings ein grober Kerl und wird dich hart arbeiten lassen, sofern er nicht ohnehin bald zurückberufen wird, denn ich glaube, Onkel Claudius sieht es nicht gern, wenn irgendein Verwandter meines Vaters allzu berühmt wird.«

Ich versprach, darüber nachzudenken. Barbus zog nähere Erkundigungen ein und versicherte mir, Corbulo habe sich mehr als Straßenbauer in Gallien denn als Krieger in Germaniens Wäldern ausgezeichnet.

Natürlich las ich das kleine Buch, das ich bekommen hatte. Der Philosoph Seneca schrieb eine schöne, neuartige Sprache und behauptete, ein Weiser könne in allen Schicksalsprüfungen seinen Gleichmut bewahren. Ich fand jedoch, daß er ein wenig langatmig schrieb, denn er führte keine Beispiele an, sondern philosophierte nur, so daß man von seinen Gedanken nicht viel im Gedächtnis behielt.

Mein Freund Lucius Pollio lieh mir auch einen Trostbrief, den er an Polybius, einen Freigelassenen des Kaisers, geschrieben hatte. Darin tröstete Seneca besagten Polybius, als dessen Bruder gestorben war, und bewies, daß er eigentlich keinen Grund zur Trauer habe, solange er das Glück genieße, dem Kaiser zu dienen.

Was die Bücherleser in Rom am meisten belustigte, war, daß Polybius erst kürzlich verurteilt worden war, weil er Bürgerrechte verkauft hatte. Lucius zufolge hatte er sich wegen der Aufteilung des Erlöses mit Messalina gestritten, und Messalina hatte ihn angezeigt, was ihr die übrigen Freigelassenen des Kaisers sehr übelnahmen. Der Philosoph Seneca hatte nach wie vor kein Glück.

Ich wunderte mich darüber, daß Claudia während meiner langen Krankheit keinen Versuch unternommen hatte, mit mir in Verbindung zu treten. Mein Selbstbewußtsein litt darunter, obgleich mir mein Verstand sagte, daß mir ihr Besuch mehr Ärger als Freude verursacht haben würde. Doch ich konnte ihre schwarzen Brauen, ihren trotzigen Blick und ihre vollen Lippen nicht vergessen.

Als ich wieder genesen war, unternahm ich lange Wanderungen, um mein gebrochenes Bein wieder zu kräftigen und meine Unruhe zu dämpfen. Der warme römische Herbst war gekommen. Ich konnte der Hitze wegen nicht die Toga tragen, und auch die Tunika mit der roten Borte wollte ich nicht anlegen, um in den Randvierteln der Stadt kein unnötiges Aufsehen zu erregen. Eines Tages ging ich auf die andere Seite des Flusses hinüber, um dem Gestank der Innenstadt zu entfliehen, vorbei an Kaiser Gajus’ Amphitheater, in das dieser unter ungeheuren Kosten einen Obelisken ans Ägypten hatte schleppen lassen, und stieg den Vatikanischen Hügel hinauf. Dort oben stand ein uralter etruskischer Orakeltempel, dessen Holzwände Kaiser Claudius mit einer Schicht Ziegel verkleiden ließ. Der alte Augur hob seinen Krummstab, um mich auf sich aufmerksam zu machen, rief mich aber nicht an. Ich ging auf der anderen Seite des Hügels wieder hinunter, immer weiter von der Stadt fort und auf die Gemüsegärten zu. Vor meinen Blicken lagen einige stattliche Gehöfte. Von hier aus und aus der weiteren Umgebung rollte Nacht für Nacht ein endloser Zug von Karren in die Stadt, deren Frachten auf dem Gemüsemarkt abgeladen und an die Großhändler in den Markthallen verkauft wurden. Noch vor dem Morgengrauen mußten die Karren die Stadt wieder verlassen.

Ich mochte die schwarzbraun gebrannten Sklaven, die auf den Gemüsefeldern arbeiteten, nicht nach Claudia fragen, sondern ging aufs Geratewohl weiter und ließ meine Füße mich tragen, wohin sie wollten. Claudia hatte jedoch etwas von einer Quelle und alten Bäumen gesagt. Daher blickte ich mich aufmerksam um, und meine Ahnungen leiteten mich richtig, als ich einem ausgetrockneten Bachbett folgte. Unter uralten Bäumen stieß ich auf eine kleine Hütte. Daneben befand sich ein großes Gehöft, und in dessen Gemüsegarten kniete Claudia, die Hände und die Füße schwarz von Erde. Sie trug nur ein grobes Untergewand und einen breitkrempigen spitzen Strohhut, um sich vor den Sonnenstrahlen zu schützen. Obwohl ich sie seit Monaten nicht mehr gesehen hatte, war sie mir so vertraut, daß ich sie an den Bewegungen ihrer Hände und der Art, wie sie sich bückte, wiedererkannte.

»Sei gegrüßt, Claudia!« rief ich, und warme Freude erfüllte mich, als ich mich vor ihr niederhockte, um ihr Gesicht unter der Hutkrempe zu sehen.

Claudia fuhr auf und starrte mich aus schreckgeweiteten Augen an. Dann wurde sie flammend rot, schlug mir ein Bündel Erbsenreiser, an denen noch Erdklumpen hingen, ins Gesicht, sprang auf und rannte hinter die Hütte. Ich war über diesen Empfang empört und fluchte vor mich hin, während ich mir die Erde aus den Augen rief. Zögernd folgte ich ihr dann hinter die Hütte und sah sie Wasser aus der Quelle schöpfen und sich das Gesicht waschen. Sie schrie mich zornig an und hieß mich vor der Hütte warten. Erst als sie sich gekämmt und reine Kleider angezogen hatte, kam sie zu mir und sagte, noch immer zornig: »Ein gut erzogener Mann meldet sich vorher an, aber was kann man schon von dem Sohn eines syrischen Wucherers erwarten! Was willst du denn?«

So böse schimpfte sie mich aus. Ich errötete und wandte mich ab, um ohne ein Wort zu gehen, hatte aber kaum ein paar Schritte getan, als sie mir nachlief, mich am Arm packte und rief: »Bist du wirklich so empfindlich, Minutus? Bleib und vergib mir meine böse Zunge. Ich habe mich geärgert, weil du mich bei der Arbeit überraschtest, so schmutzig und voller Erde, wie ich war.«

Sie führte mich voll Eifer in ihre bescheidene Hütte, in der es nach Herdrauch, Kräutern und reinem Linnen roch. »Du siehst, ich kann sogar spinnen und weben, wie es sich einst für eine Römerin gehörte«, sagte sie. »Vergiß nicht, daß in alter Zeit sogar der stolzeste Claudier selbst seine Ochsen vor dem Pflug führte.«

Auf diese Weise versuchte sie, ihre Armut zu entschuldigen. Ich antwortete höflich: »So, das Gesicht frisch vom Quellwasser, bist du mir lieber, Claudia, als alle geschminkten und in Seide gekleideten Frauen in der Stadt.«

Claudia gestand mir jedoch offenherzig: »Ich hätte es freilich lieber, wenn meine Haut weiß wie Milch wäre, mein Gesicht schön geschminkt und mein Haar in kunstvollen Locken um die Stirn gelegt, und wenn meine Gewänder mehr enthüllten, als sie verbergen, und ich nach den Balsamen des Ostens duftete. Aber Tante Paulina Plautia, die mich nach dem Tode meiner Mutter hier bei sich wohnen läßt, will von derlei Dingen nichts wissen. Sie selbst trägt Trauerkleider, schweigt lieber, als daß sie den Mund aufmacht, und geht ihresgleichen aus dem Weg. Geld hat sie übergenug, aber sie gibt alles, was sie einnimmt, lieber für gute Werke und andere, noch zweifelhaftere Zwecke aus, als daß sie mich Wangenrot und Augenschminke kaufen ließe.«

Ich mußte unwillkürlich lachen, denn Claudias Gesicht war so frisch, so rein und gesund, daß sie wirklich keine künstlichen Schönheitsmittel brauchte. Ich wollte ihre Hand nehmen, aber sie entzog sie mir und sagte unwillig, daß ihre Hände während des Sommers hart und rauh geworden seien wie die einer Sklavin. Ich hatte das Gefühl, daß sie mir etwas verbarg, und fragte sie, ob sie nichts von meinem Mißgeschick gehört habe. Sie antwortete ausweichend: »Deine Tante Laelia hätte mich nicht ins Haus gelassen, um dich zu besuchen. Im übrigen bin ich sehr bescheiden geworden und sehe wohl ein, daß du von meiner Freundschaft keinen Nutzen, sondern nur Schaden hättest. Ich wünsche dir Glück, Minutus.«

Ich antwortete heftig, daß ich über mein Leben selbst bestimmte und mir auch meine Freunde selbst auswählte. »Außerdem wirst du mich bald los sein«, fügte ich hinzu. »Man hat mir ein Empfehlungsschreiben zugesagt, und ich werde unter dem berühmten Corbulo gegen die Germanen kämpfen. Mein Bein ist wieder gesund und nur eine Spur kürzer als das andere.«

Claudia versicherte rasch, sie habe nicht einmal bemerkt, daß ich ein wenig hinkte. Sie dachte eine Weile nach und bekannte dann mit bekümmerter Miene: »Jedenfalls bist du mir im Feld sicherer als hier in Rom, wo irgendeine fremde Frau dich mir wegnehmen kann. Ich würde weniger trauern, wenn du aus einfältiger Ehrsucht dein Leben im Krieg verlörst, als wenn du dich in eine andere verliebtest. Aber warum mußt du dich ausgerechnet mit den Germanen herumschlagen? Das sind furchtbar große und starke Krieger. Wenn ich Tante Paulina bitte, gibt sie dir gewiß ein Empfehlungsschreiben an meinen Onkel Aulus Plautius in Britannien. Er befehligt dort vier Legionen und hat so viel erreicht, daß die Briten ganz bestimmt schwächere Gegner sind als die Germanen. Onkel Aulus ist kein Feldherrngenie, und sogar Claudius hat sich in Britannien so auszeichnen können, daß er einen Triumph feiern durfte. Man braucht also die Briten als Gegner nicht sehr hoch einzuschätzen.«

Ich hatte nicht gewußt, daß Aulus Plautius ihr Onkel war, und fragte nach weiteren Einzelheiten. Claudia erklärte mir, daß ihre Mutter eine Plautia gewesen war. Als Aulus Plautius’ Frau Paulina die elternlose Nichte ihres Mannes in ihre Obhut nahm, behandelte der gutmütige Aulus Claudia wie seine eigene Tochter, zumal die beiden selbst keine Kinder hatten.

»Onkel Aulus mochte meine Mutter Urgulanilla nicht«, erzählte Claudia. »Aber sie war immerhin auch eine Plautia, und es kränkte meinen Onkel tief, daß Claudius sich unter einem fadenscheinigen Vorwand von ihr scheiden und mich nackt auf ihre Schwelle legen ließ. Onkel Aulus war auch bereit, mich zu adoptieren, aber dazu bin ich zu stolz. Vor dem Gesetz bin und bleibe ich die Tochter des Kaisers Claudius, sosehr mich auch der Lebenswandel dieses Mannes anwidert.«

Ihre Herkunft langweilte mich in diesem Augenblick, aber der Gedanke an Britannien erregte mich, und ich sagte: »Dein gesetzlicher Vater Claudius hat Britannien nicht unterworfen, wenn er auch einen Triumph feierte. Im Gegenteil, man führt dort unaufhörlich Krieg. Es heißt, dein Onkel Aulus kann über fünftausend erschlagene Feinde nachweisen und hat sich daher ebenfalls das Recht auf einen Triumph erworben. Das sind widerspenstige, heimtückische Stämme. Kaum ist in einem Teil des Landes der Friede hergestellt, bricht in einem anderen Teil erneut der Krieg aus. Gehen wir sogleich zu deiner Tante Paulina.«

»Du hast es sehr eilig, Kriegsruhm zu gewinnen«, sagte Claudia gereizt. »Tante Paulina hat mir streng verboten, allein in die Stadt zu gehen und die Statuen meines Vaters anzuspucken, aber heute habe ich ja dich als Begleiter. Ich führe dich gern zu ihr, denn ich habe sie seit Wochen nicht mehr gesehen.«

Wir gingen zusammen in die Stadt, und ich eilte heim, um mich standesmäßig zu kleiden. Claudia wollte aus Angst vor Tante Laelia nicht mit ins Haus kommen, sondern wartete vor dem Tor und plauderte mit Barbus. Als wir uns auf den Weg zum Haus der Plautier auf dem Caelus machten, blitzten Claudias Augen vor Zorn.

»Du hast dich also mit Agrippina und ihrem verdammten Bengel eingelassen!« rief sie. »Dieses schamlose Weib ist gefährlich. Dem Alter nach könnte sie übrigens deine Mutter sein.«

Ich wandte verwundert ein, daß Agrippina zwar schön, aber dabei doch sehr zurückhaltend sei und daß ich ihren Sohn noch als ein Kind betrachtete, doch Claudia unterbrach mich wütend: »Ich weiß mehr als genug über alle diese bis ins Mark verdorbenen Claudier. Agrippina holt sich jeden ins Bett, von dem sie glaubt, daß er ihr nützen könnte. Der Schatzmeister des Kaisers, Pallas, ist seit langem ihr Liebhaber. Sie sucht vergeblich einen neuen Gatten. Die Männer, die vornehm genug sind, sind viel zu vorsichtig, um sich in ihre Intrigen mit einspinnen zu lassen, aber du in deiner Unerfahrenheit läßt dich natürlich von jeder liederlichen römischen Witwe verführen.«

Streitend gingen wir durch die ganze Stadt, aber im Grunde war Claudia sehr zufrieden, weil ich ihr versicherte, daß mich noch keine verführt hatte und daß ich des Versprechens eingedenk war, das ich ihr an dem Tag, an dem ich die Toga erhielt, auf dem Heimweg vom Tempel der Mondgöttin gegeben hatte.

Im Atrium der Plautier gab es eine lange Reihe von Ahnenbildern, Totenmasken und Kriegstrophäen. Paulina Plautia war eine alte Frau mit großen Augen, die durch mich hindurch auf irgendeinen Punkt weit hinter mir zu blicken schienen. Man sah ihr an, daß sie geweint hatte. Als sie meinen Namen und mein Anliegen erfuhr, verwunderte sie sich, fuhr mir mit ihrer mageren Hand über die Wange und sagte: »Dies ist ein wunderbares, unfaßbares Zeichen von dem einzigen Gott. Du weißt vermutlich nicht, Minutus Manilianus, daß dein Vater und ich Freunde wurden und einen heiligen Kuß tauschten, als wir beim Liebesmahl zusammen Brot gebrochen und Wein getrunken hatten. Es ist jedoch nichts Böses geschehen. Tullia hat deinem Vater nachspionieren lassen. Als sie genug Beweise gegen mich gesammelt hatte, zeigte sie mich an und behauptete, ich hätte an schändlichen östlichen Mysterien teilgenommen.«

»Bei allen Göttern Roms!« rief ich erschrocken aus. »Hat sich mein Vater wirklich auch hier wieder in die Verschwörung der Christen eingemischt? Ich glaubte, er hätte seine Grillen in Antiochia gelassen!«

Die alte Frau sah mich mit seltsam glänzenden Augen an. »Das sind keine Grillen, Minutus. Es ist der einzige Weg zur Wahrheit und zum ewigen Leben. Ich schäme mich nicht, zu glauben, daß der Jude und Nazarener Jesus Gottes Sohn war und ist. Er zeigte sich deinem Vater in Galiläa, und dein Vater weiß mehr über ihn zu berichten als so mancher andere hier. Seine Ehe mit der herrschsüchtigen Tullia betrachtet er als Gottes Strafe für seine Sünden. Daher hat er seinen früheren Hochmut fahrenlassen und ebenso wie ich die heilige Taufe der Christen angenommen. Und keiner von uns schämt sich dessen, obwohl sich unter den Christen nicht viele Reiche oder Vornehme finden.«

Diese schreckliche Neuigkeit ließ mich verstummen. Als Claudia meinen finsteren, vorwurfsvollen Blick bemerkte, verteidigte sie sich: »Ich bin zwar nicht zu ihrem Glauben übergetreten und habe mich nicht taufen lassen, aber drüben auf der anderen Tiberseite, im Judenviertel, habe ich ihre Lehren gehört. Ihre Mysterien und heiligen Mähler befreien sie von allen Sünden.«

»Raufbolde sind sie!« rief ich zornig. »Ewige Stänkerer, Unruhestifter und Aufwiegler! Das habe ich schon in Antiochia gesehen. Die richtigen Juden verabscheuen sie mehr als die Pest.«

»Man braucht nicht Jude zu sein, um zu glauben, daß Jesus von Nazareth Gottes Sohn ist«, erklärte Paulina. Ich verspürte jedoch keine Lust, Glaubensfragen zu diskutieren. Mir stieg das Blut zu Kopf bei dem Gedanken, daß mein Vater nun gar noch zu einem Anhänger der verachteten Christen herabgesunken war.

»Mein Vater war natürlich wieder betrunken und zerfloß vor Selbstmitleid«, sagte ich schroff. »Außerdem bedient er sich jedes noch so unsinnigen Vorwands, um Tullias Schreckensherrschaft zu entrinnen. Er hätte doch auch mit seinem Sohn über seinen Kummer sprechen können.«

Die großäugige Frau schüttelte den Kopf darüber, daß ich so unehrerbietig von meinem Vater sprach, und sagte: »Gerade bevor ihr kamt, erfuhr ich, daß der Kaiser, um das Ansehen meines Gatten zu retten, keinen öffentlichen Prozeß wünscht. Aulus Plautius und ich sind nach der längeren Formel getraut worden. Daher hat der Kaiser bestimmt, daß ich von meinem Gatten vor dem Familiengericht abgeurteilt werden soll, sobald er aus Britannien heimkehrt. Als ihr kamt, dachte ich eben darüber nach, wie ich ihm eine Botschaft zukommen lassen könnte, bevor er von anderer Seite übertriebene Anschuldigungen zu hören bekommt und sich gegen mich erzürnt. Mein Gewissen ist rein, denn ich habe nichts Schändliches oder Böses getan. Möchtest du nicht nach Britannien reisen und einen Brief an meinen Gatten mitnehmen, Minutus?«

Ich war nicht gerade darauf erpicht, mit unliebsamen Nachrichten von daheim bei dem berühmten Feldherrn einzutreffen, denn ich begriff nur zu gut, daß ich mir auf diese Weise seine Gunst verscherzen konnte, aber die sanften Augen der alten Frau bezauberten mich, und ich dachte, daß ich gewissermaßen in ihrer Schuld stand, da sie doch meines Vaters wegen in Schwierigkeiten geraten war. Aulus Plautius konnte sie auf Grund dieser altmodischen längeren Formel ohne weiteres töten lassen. Ich sagte daher widerwillig: »Es ist mir wohl so bestimmt. Ich bin bereit, morgen zu reisen, wenn du in deinem Brief ausdrücklich vermerkst, daß ich mit deinem Aberglauben nichts zu schaffen habe.«

Das versprach sie mir und machte sich sogleich daran, den Brief zu schreiben. Dann fiel mir jedoch ein, daß die Reise viel zu lange dauern würde, wenn ich mein eigenes Pferd, Arminia, nahm, das immer wieder rasten mußte. Paulina versprach, mir das Brustschild eines kaiserlichen Boten zu verschaffen, das mich dazu berechtigte, die Postpferde und Wagen des Kaisers zu benützen wie ein reisender Senator. Paulina war ja die Gemahlin des Oberbefehlshabers in Britannien. Als Entgelt verlangte sie jedoch noch einen Dienst von mir: »Auf dem Hang des Aventins wohnt der Zeltmacher Aquila. Geh zu ihm, sobald es dunkel geworden ist, und sage ihm oder seiner Frau Prisca, daß man mich angezeigt hat. Sie wissen dann, daß sie auf der Hut sein müssen. Sollte dich aber irgendein Fremder ausfragen, so sagst du, ich hätte dich geschickt, um eine Bestellung auf Zeltleinen, die Aulus Plautius aufgegeben hat, wieder rückgängig zu machen. Meine eigenen Diener wage ich nicht zu schicken, da mein Haus seit der Anzeige unter Bewachung steht.«

Ich fluchte innerlich darüber, daß ich auf diese Weise gezwungen war, mich an den abscheulichen Ränken der Christen zu beteiligen, aber Paulina segnete mich im Namen jenes Jesus von Nazareth und berührte mit den Fingerspitzen sanft meine Stirn und meine Brust, daß ich es nicht über mich brachte, meinem Unwillen Ausdruck zu geben. Ich versprach also, den Auftrag auszuführen und am nächsten Tag reisefertig zu ihr zurückzukehren, um den Brief in Empfang zu nehmen.

Als wir uns von ihr verabschiedeten, seufzte Claudia. Ich aber fühlte mich neu belebt von meinem plötzlichen Entschluß und dem Gedanken an die lange Reise, die unversehens allen meinen Sorgen und Kümmernissen ein Ende bereitete. Trotz Claudias Zögern bestand ich darauf, daß sie mit mir ins Haus trat, so daß ich sie Tante Laelia als meine Freundin vorstellen konnte. »Nun, da mein Vater ein verachteter Christ geworden ist, brauchst du dich in unserem Haus wahrhaftig nicht mehr zu schämen«, sagte ich. »Du bist ja vor dem Gesetz die Tochter des Kaisers und aus vornehmem Geschlecht.«

Die weltkluge Tante Laelia machte gute Miene zu meinem bösen Spiel. Sobald sie sich von ihrer Bestürzung erholt hatte, umarmte sie Claudia, blickte ihr prüfend ins Gesicht und sagte: »Du bist eine kräftige, gesunde junge Frau geworden. Ich sah dich oft, als du noch klein warst, und erinnere mich noch gut, wie Kaiser Gajus, der liebe Junge, dich immer seine Base nannte. Dein Vater hat schändlich an dir gehandelt, doch wie geht es Paulina Plautia? Stimmt es, daß du auf ihrem Hof draußen vor den Mauern mit deinen eigenen Händen die Schafe scherst? So ist es mir berichtet worden.«

»Unterhaltet euch ein Weilchen«, schlug ich den beiden vor. »Soviel ich weiß, mangelt es Frauen nie an Gesprächsstoff. Ich muß mit meinem Advokaten und meinem Vater sprechen, denn morgen in aller Frühe breche ich nach Britannien auf.«

Tante Laelia begann zu weinen und sagte jammernd, Britannien sei eine feuchte, neblige Insel, deren Klima die Gesundheit all derer, die die Kämpfe mit den wilden, mit blauen Streifen bemalten Briten heil überstanden, für den Rest ihres Lebens zerstöre. Als Kaiser Claudius seinen Triumph feierte, hatte sie in der Arena Briten gesehen, die einander grausam niedermetzelten. Auf dem Marsfeld hatte man außerdem eine ganze britische Stadt aufgebaut, geplündert und zerstört, und sie meinte, es gebe in diesem Britannien wenig Hoffnung auf Kriegsbeute, wenn die Stadt, die man aus Anlaß der Triumphfeier errichtet hatte, wirklich den Städten der Briten entsprach.

Ich überließ es Claudia, sie zu trösten, holte mir bei meinem Advokaten Geld und ging dann in Tullias Haus, um mit meinem Vater zu sprechen. Tullia empfing mich ungnädig und sagte: »Dein Vater hat sich wieder einmal mit seiner üblen Laune in sein Zimmer eingeschlossen und will niemanden sehen. Mit mir hat er seit Tagen nicht ein einziges Wort gesprochen, und den Dienern gibt er seine Befehle nur durch Kopfnicken und Handbewegungen. Versuch du, ihn zum Sprechen zu bringen, bevor er uns ganz verstummt.«

Ich tröstete Tullia und sagte ihr, daß mein Vater schon daheim in Antiochia unter solchen Anfällen tiefer Niedergeschlagenheit gelitten hatte. Als Tullia hörte, daß ich nach Britannien reisen wollte, um in eine der dortigen Legionen einzutreten, sagte sie rasch mit lebhafter Zustimmung: »Das ist ein vernünftiger Vorsatz. Ich hoffe, du wirst deinem Vater Ehre machen. Ich habe vergeblich versucht, ihn für die Staatsgeschäfte zu interessieren. In seiner Jugend hat er zwar Rechtswissenschaft studiert, aber seither hat er bestimmt alles wieder vergessen. Er ist zu träge und zu bequem, um sich eine Stellung zu verschaffen, die seiner würdig wäre.«

Ich ging zu meinem Vater. Er saß, den Kopf in die Hände gestützt, in seinem Zimmer, trank Wein aus seinem geliebten Holzbecher und sah mich aus geröteten Augen an. Ich schloß die Tür hinter mir und sagte: »Ich bringe dir Grüße von deiner Freundin Paulina Plautia, die nun um deiner heiligen Küsse willen in der Patsche sitzt und wegen gefährlichen Aberglaubens verurteilt worden ist. Ich muß nach Britannien eilen, um Aulus Plautius Botschaft von ihr zu bringen, und bin zu dir gekommen, damit du mir Glück wünschst für den Fall, daß ich nicht zurückkehre. In Britannien will ich auch meinen Waffendienst leisten.«

»Ich habe nie gewollt, daß du Soldat wirst«, stammelte mein Vater, »doch vielleicht ist das immer noch besser als ein Leben hier in diesem Hurenbabel. Ich weiß, daß meine Frau Tullia Paulina aus blöder Eifersucht ins Unglück gestürzt hat und daß ich selbst vor allen anderen verurteilt werden müßte. Ich habe mich in ihrem Taufbecken taufen lassen, und sie legten mir die Hände aufs Haupt, aber der Geist kam darum doch nicht über mich. Ich werde nie wieder ein Wort mit Tullia sprechen.«

»Was will Tullia eigentlich, Vater?« fragte ich.

»Daß ich Senator werde«, antwortete mein Vater leise. »Nichts Geringeres als das hat sich dieses Ungeheuer von einem Weib in den Kopf gesetzt. Ich besitze genug Ländereien in Italien und bin von hinlänglich vornehmer Herkunft, um Senatsmitglied werden zu können, und Tullia hat es verstanden, sich durch eine Ausnahmebewilligung die Rechte zu verschaffen, die einer Mutter von drei Kindern zustehen, obwohl sie sich nie dazu bequemen konnte, ein Kind zu gebären. Als ich jung war, liebte ich sie. Sie reiste mir nach Alexandria nach und hat mir nie verzeihen können, daß ich ihr deine Mutter Myrina vorzog. Nun stachelt sie mich Tag für Tag, wie man einen Ochsen stachelt, schimpft mich wegen meines Mangels an Ehrgeiz aus und macht mich so zum unverbesserlichen Säufer, wenn ich ihr nicht den Willen tue und wenigstens den Versuch unternehme, Senator zu werden. Ich habe aber kein Wolfsblut in mir, obgleich ich, um der Wahrheit die Ehre zu geben, sagen muß, daß schlechtere Männer als ich in roten Stiefeln auf dem Elfenbeinschemel sitzen. Verzeih mir, mein Sohn. Du wirst verstehen, daß mir unter solchen Umständen nichts anderes übrigblieb, als Christ zu werden.«

Als ich das aufgedunsene Gesicht und den unruhig irrenden Blick meines Vaters sah, faßte mich tiefes Mitleid. Ich verstand, daß er nach irgendeinem Lebensinhalt suchte, um Tullia zu ertragen. Aber mir schien, es wäre heilsamer für ihn gewesen, im Senat die Zeit totzuschlagen, als an den heimlichen Zusammenkünften der Christen teilzunehmen.

Als hätte er meine Gedanken erraten, sah mich mein Vater an, strich mit den Fingern über den abgenützten Holzbecher und sagte: »Ich darf nicht mehr zu den Liebesmählern gehen, denn meine Anwesenheit kann den Christen nur schaden, wie sie Paulina schon geschadet hat. Tullia hat in ihrem Zorn geschworen, dafür zu sorgen, daß sie allesamt aus Rom verbannt werden, wenn ich mich nicht von ihnen zurückziehe. Und all das wegen einiger unschuldiger Küsse, die man nach dem heiligen Mahl zu tauschen pflegt! … Reise du nur nach Britannien«, fuhr er fort und reichte mir bei diesen Worten seinen geliebten Holzbecher. »Es wird Zeit, daß du das einzige an dich nimmst, was deine Mutter dir hinterlassen hat, sonst verbrennt es Tullia noch in ihrer Wut. Aus diesem Becher hat Jesus von Nazareth, der König der Juden, vor bald achtzehn Jahren einmal getrunken, als er aus dem Grabe auferstanden war und mit den Nägelmalen in seinen Händen und Füßen und den Wunden von der Geißelung auf dem Rücken durch Galiläa wanderte. Behalte ihn stets bei dir. Vielleicht ist dir deine Mutter ein wenig näher, wenn du daraus trinkst. Ich konnte dir nicht der Vater sein, der ich gern gewesen wäre.«

Ich nahm den Becher entgegen, von dem die Freigelassenen meines Vaters in Antiochia glaubten, er sei von der Glücksgöttin geheiligt worden. Er hatte meinen Vater allerdings nicht vor Tullia beschützt, sofern man nicht ein prunkvolles Haus, alle Bequemlichkeiten, die das Leben zu bieten hat, und am Ende vielleicht gar noch die Senatorwürde als den größtmöglichen Erfolg auf Erden betrachten wollte. Ich empfand jedoch heimliche Ehrfurcht, als ich den alten Becher mit den Händen umfaßte.

»Tu mir noch einen Gefallen«, bat mein Vater bescheiden. »Auf dem Hang des Aventins wohnt ein Zeltmacher …«

„… der Aquila heißt«, unterbrach ich ihn spöttisch. »Ich habe ihm etwas von Paulina auszurichten und kann ihm ja gleichzeitig sagen, daß auch du die Christen verläßt.«

Meine Bitterkeit war jedoch schon dahingeschwunden, als mein Vater mir den Holzbecher gegeben hatte, den er so liebte. Ich umarmte ihn und preßte das Gesicht in sein Gewand, um meine Tränen zu verbergen. Er drückte mich fest an sich. Wir schieden voneinander, ohne uns noch einmal in die Augen zu sehen.

Tullia erwartete mich, in würdevoller Haltung auf dem hochlehnigen Stuhl sitzend, auf dem die Hausherrin die Gäste empfängt. Sie blickte mich lauernd an und sagte: »Gib in Britannien auf deinen kostbaren Schädel acht, Minutus. Es wird deinem Vater noch zugute kommen, daß er einen Sohn hat, der dem Staat und dem Gemeinwohl dient, wenn ich sage, daß ein junger Offizier rascher befördert wird, wenn er seine Vorgesetzten freigebig zu Wein und Würfelspiel einlädt, als wenn er sich zu gefährlichen Unternehmungen meldet. Geize nicht mit deinem Geld, sondern mache lieber Schulden. Dein Vater wird dir schon aushelfen. Jedenfalls wird man dich als einen in jeder Hinsicht gesunden jungen Mann betrachten.«

Auf dem Heimweg ging ich am Tempel des Castor und des Pollux vorbei, um den Kurator der Reiterei von meiner Reise nach Britannien in Kenntnis zu setzen. Daheim waren sich Tante Laelia und Claudia völlig einig geworden. Gemeinsam wählten sie die besten Untergewänder aus dicker Wolle zum Schutz gegen Britanniens rauhe Winde für mich aus, und auch andere Dinge hatten sie schon in solchen Mengen für mich hergerichtet, daß ich mindestens einen Reisewagen gebraucht hätte, um sie alle zu befördern. Ich hatte jedoch die Absicht, sogar meine Rüstung, bis auf das Schwert, zurückzulassen, da ich es für das beste ansah, mich an Ort und Stelle neu auszurüsten und mich nach dem zu richten, was das fremde Land und die neuen Verhältnisse forderten. Barbus hatte mir erzählt, wie man die verwöhnten römischen Jünglinge auslachte, die eine Unmenge nutzloser Dinge mit ins Feld schleppten.

Später suchte ich an diesem schwülen Herbstabend, an dem ein unruhiger rötlicher Himmel über der Stadt hing, den Zeltmacher Aquila auf. Er war offenbar ein recht wohlhabender Mann, denn er besaß eine große Weberei. Er begrüßte mich mißtrauisch an der Tür und blickte sich um, als hätte er Angst vor Spionen. Er war in den Vierzigern und sah nicht wie ein Jude aus. Da er keinen Bart hatte und keine Quasten auf dem Mantel trug, hielt ich ihn zuerst für einen von Aquilas Freigelassenen. Claudia, die mit mir gekommen war, begrüßte ihn wie einen alten Bekannten. Als er meinen Namen hörte und ich ihm die Grüße meines Vaters ausrichtete, verschwand seine Furcht. In seinen Augen sah ich jedoch den gleichen unruhigen Ausdruck, den ich bei meinem Vater bemerkt hatte. Er hatte übrigens senkrechte Falten auf der Stirn wie ein Augur oder ein Haruspex. Aquila bat uns freundlich, einzutreten, und seine Frau Prisca bot uns sofort Früchte und mit Wasser vermischten Wein an. Prisca war, ihrer Nase nach zu urteilen, Jüdin von Geburt; eine geschäftige, redselige Frau, die in jungen Jahren zweifellos schön gewesen war. Die beiden erschraken, als sie hörten, daß Paulina ihres Aberglaubens wegen angeklagt worden war und daß mein Vater beschlossen hatte, ihre heimlichen Zusammenkünfte zu meiden, um ihnen nicht zu schaden.

»Wir haben Feinde und Neider«, sagten sie. »Die Juden verfolgen uns. Sie jagen uns aus den Synagogen und prügeln uns auf der Straße. Sogar ein mächtiger Zauberer, Simon aus Samaria, haßt uns bitter. Wir werden aber vom Geist beschützt, der die Worte in unseren Mund legt, und deshalb brauchen wir keine Macht der Welt zu fürchten.«

»Du bist doch kein Jude«, sagte ich zu Aquila.

Er lachte. »Ich bin Jude und beschnitten, geboren in Trapezus in Pontus, an der Südostküste des Schwarzen Meeres, aber meine Mutter war Griechin, und mein Vater nahm die galiläische Taufe an, als er einst in Jerusalem Pfingsten feierte. Es gab jedoch Streit in Pontus, als einige vor den Synagogen dem Kaiser opfern wollten. Ich ging nach Rom und wohne hier auf der Armenseite des Aventins wie so viele, die nicht mehr glauben, daß die Befolgung des Gesetzes Mose sie von ihren Sünden befreien kann.«

Prisca mischte sich ein und erklärte uns: »Die Juden auf der anderen Seite des Flusses hassen uns am meisten, weil die Heiden, die sie anhören, lieber unseren Weg wählen, der sie leichter dünkt. Ich weiß nicht, ob unser Weg wirklich leichter ist, aber wir besitzen die Gnade und das geheime Wissen.«

Aquila und Prisca waren angenehme Menschen, die nichts von dem üblichen Hochmut der Juden an sich hatten. Claudia gestand, daß sie und ihre Tante Paulina ihre Belehrungen angehört hatten, und meinte, die beiden hätten nichts zu verbergen. Jeder, der wolle, könne zu ihnen kommen und sie anhören, und manch einer gerate dabei in Verzückung und beginne mit Zungen zu reden. Nur das Liebesmahl war Außenstehenden verwehrt, erfuhr ich, aber das verhielt sich mit den syrischen und ägyptischen Mysterien, die in Rom begangen wurden, auch nicht anders.

Sie versicherten uns, daß vor ihrem Gott alle gleich seien, Sklave oder Freier, arm oder reich, klug oder dumm, und daß sie alle Menschen als ihre Brüder und Schwestern betrachteten. Ich glaubte nicht alles, was sie sagten, da sie so erschrocken waren, als sie hörten, daß mein Vater und Paulina Plautia sie verlassen hatten. Claudia tröstete sie und sagte, daß Paulina gewiß nicht aus innerem Antrieb so gehandelt habe, sondern nur zum Schein, um den guten Ruf ihres Gatten zu wahren.

Am nächsten Morgen bekam ich ein Reitpferd und ein Kurierschild, das ich auf der Brust zu tragen hatte. Paulina gab mir den Brief an Aulus Plautius, und Claudia weinte. Ich trat meine Reise an, die mich auf den Militärstraßen quer durch Italien und Gallien führte.

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