»Ich habe zwei Jahre lang gedemütigt und elender als ein Sklave in einer finsteren Höhle gehaust«, erwiderte ich trotzig. »Zwei Jahre hat mir eine Laune der Glücksgöttin von meinem Leben genommen. Wenn ich überhaupt etwas denke, so das, daß ich mir einmal diese zwei Jahre zurückholen und mich wie ein Mensch meines Lebens freuen will, ohne mich mit unnötigen Dingen zu beschweren und mir die Gaben des Lebens zu versagen.«

Mein Vater zeigte auf die glattpolierten Wände, und seine Gebärde schloß gleichsam die ganze Pracht des Hauses ein. »Vielleicht lebe auch ich in einer finsteren Höhle«, sagte er mit abgrundtiefer Trauer in der Stimme. »Ich unterwerfe mich Pflichten und Ehren, um die ich nicht gebeten habe. Du aber bist Blut von deiner Mutter Blut und darfst nicht verlorengehen. Hast du den Becher deiner Mutter noch?«

»Er ist nur aus Holz, und deshalb hielten es die kilikischen Räuber nicht der Mühe wert, ihn mir abzunehmen«, sagte ich. »Wenn wir mehrere Tage kein Wasser bekamen, die Zunge am Gaumen klebte und unser Atem stank wie Raubtieratem, hielt ich den Becher an die Lippen und bildete mir ein, er sei voll. Doch das war er nicht. Ich glaubte es nur in meinem Wahn.«

Ich hütete mich, meinem Vater von Paulus und Kephas zu erzählen, denn ich wollte sie aus meinem Gedächtnis streichen, als hätte ich sie nie gesehen. Mein Vater sagte jedoch: »Ich wollte, ich wäre ein Sklave und arm, um mein Leben von neuem zu beginnen. Aber für mich ist es zu spät. Die Fesseln sind mir schon ins Fleisch eingewachsen.«

Der Traum der Philosophen vom einfachen Leben bedeutete mir nichts. Seneca hatte die Segnungen der Armut und der Sinnesruhe in schönen, wohlgesetzten Worten gepriesen, er selbst aber ließ sich von Macht, Ehre und Reichtum bezaubern und erklärte, diese könnten den Weisen ebensowenig erschüttern wie Armut und Verbannung.

Zuletzt sprachen wir über finanzielle Dinge. Nachdem er sich mit Tullia beraten hatte, beschloß mein Vater, mir zunächst einmal eine Million Sesterze zur Verfügung zu stellen, damit ich standesgemäß leben, Gäste einladen und nützliche Verbindungen anknüpfen konnte. Er versprach mir für später noch mehr, da es ihm, wie er sagte, unmöglich war, sein Geld aufzubrauchen, sosehr er sich auch bemühte.

»Dein Vater braucht etwas, was ihn befriedigen und sein Leben ausfüllen würde«, klagte Tullia. »Er macht sich nicht einmal mehr etwas aus den Vorlesungen, obwohl ich ein eigenes Auditorium im Haus einrichten ließ, weil ich annahm, du würdest dich vielleicht ganz dem Schreiben widmen. Er sollte alte Musikinstrumente oder griechische Malereien sammeln und dadurch berühmt werden. Manche legen Wasserbecken an, in denen sie seltene Fische züchten, oder bilden Gladiatoren aus, und er hätte sogar die Mittel, sich Rennpferde zu halten. Das ist der kostspieligste und vornehmste Zeitvertreib, den ein Mann in mittleren Jahren sich leisten kann. Aber nein, er ist ja so starrsinnig. Bald läßt er irgendeinen Sklaven frei, bald teilt er Geschenke an wertloses Gesindel aus. Er könnte sich freilich auch noch einen schlimmeren Zeitvertreib einfallen lassen, und im allgemeinen kommen wir ja ganz gut miteinander aus, nachdem jeder gelernt hat, ein wenig nachzugeben.«

Ich hätte bis zum Abend bleiben sollen, glaubte aber, mich so rasch wie möglich im Palast anmelden zu müssen, bevor die Kunde von meiner Ankunft auf anderen Wegen dorthin gelangt war. Für so wichtig hielt ich mich. Die Wachtposten ließen mich eintreten, ohne mich auf Waffen zu durchsuchen, so sehr hatten sich die Zeiten geändert, aber wie verwunderte ich mich, als ich sah, was für eine Menge von Glücksrittern in den Arkaden herumlungerte und auf eine günstige Gelegenheit wartete! Ich wandte mich an mehrere Höflinge, aber Seneca war so beschäftigt, daß er mich nicht empfangen konnte, und Kaiser Nero selbst hatte sich eingeschlossen, um zu dichten, und durfte nicht gestört werden, wenn die Musen bei ihm weilten.

Ich war bedrückt, als ich erkannte, wie groß die Zahl derer war, die auf irgendeine Weise die Gunst des jungen Kaisers zu erlangen trachteten. Als ich schon wieder gehen wollte, kam einer der unzähligen Sekretäre des Pallas und führte mich zu Agrippina. Sie schritt erregt auf und ab und trat die kostbaren orientalischen Teppiche zur Seite.

»Warum läßt du dich nicht sofort bei mir melden?« fragte sie zornig. »Hast auch du alle Achtung und Verehrung für mich abgelegt? Undank ist der Welt Lohn. Ich glaube nicht, daß es eine Mutter gibt, die so viel für ihren Sohn und seine Freunde getan hat wie ich.«

»Augusta, Mutter des Vaterlandes«, rief ich, obwohl ich wußte, daß sie diesen Ehrentitel nicht erhalten hatte, denn sie war nur Priesterin des Gottes Claudius. »Wie kannst du mir Undank vorwerfen! Ich wagte es nur nicht, dich mit meinen unwichtigen Angelegenheiten in deiner großen Trauer und Sorge zu stören.«

Agrippina ergriff meine Hand, drückte ihren vollen Busen gegen meinen Arm und atmete mir einen aufdringlichen Veilchenduft ins Gesicht. »Es ist gut, daß du zurückgekommen bist, Minutus Lausus«, sagte sie. »Du bist nicht leichtsinnig, obwohl du einst in deiner Unerfahrenheit einen Fehltritt begangen hast. Nero braucht jetzt seine wirklichen Freunde. Er ist unentschlossen und allzu leicht zu beeinflussen. Vielleicht habe ich ihn zu streng behandelt, ich weiß es nicht, aber ich glaube nun zu bemerken, daß er mir mit Absicht ausweicht, obwohl er anfangs immer neben mir in der Sänfte saß oder ihr höflich folgte. Du weißt vielleicht, daß mir der Senat das Recht zugesprochen hat, im Wagen bis zum Kapitol hinaufzufahren, wenn ich will. Nero verschwendet wahnwitzige Summen für unwürdige Freunde, Zitherspieler, Schauspieler, Wagenlenker und Verfasser aller erdenklichen Huldigungsschriften, so als hätte er vom Wert des Geldes keine Vorstellung. Pallas ist sehr besorgt. Ihm ist es zu danken, daß zu Lebzeiten des armen Claudius wenigstens noch eine gewisse Ordnung in den Staatsfinanzen herrschte. Die kaiserliche Handkasse war streng von der Staatskasse getrennt, aber diesen Unterschied will Nero nicht begreifen. Noch dazu hat er sich in eine Sklavin vergafft. Es ist nicht zu fassen: Nero zieht ein weißhäutiges Mädchen seiner eigenen Mutter vor! Das ist ein Benehmen, wie es sich für einen Kaiser nicht ziemt, und noch dazu hat er betrügerische Freunde, die ihn zu allerlei unsittlichen Dingen verführen.«

Die willensstarke, schöne Agrippina, die sonst so beherrscht und erhaben wie eine Göttin auftrat, war so erregt, daß sie, in allzu großem Vertrauen auf meine Freundschaft, ihrer Enttäuschung vor mir Luft machte!

»Seneca hat mein Vertrauen auf die gemeinste Weise mißbraucht!« rief sie. »Dieser verfluchte glattzüngige Heuchler! Ich war es, die ihn aus der Verbannung zurückholte. Ich war es, die ihn als Lehrer für Nero anstellte. All seine Erfolge hat er mir zu danken. Du weißt, wie es in Armenien aussieht. Als Nero Gesandte von dort empfangen sollte, ging ich in den Saal, um meinen rechtmäßigen Platz an seiner Seite einzunehmen. Seneca aber bat Nero, mich hinauszuführen, behutsam und ganz als liebender Sohn. Es war eine Beleidigung in aller Öffentlichkeit. Die Frau soll sich nicht in die Staatsgeschäfte einmischen, ja, aber es gibt eine Frau, die Nero zum Kaiser gemacht hat!«

Ich konnte mir vorstellen, was die armenischen Gesandten gedacht haben würden, wenn sie eine Frau öffentlich neben dem Kaiser hätten auftreten sehen, und fand, daß Nero in dieser Sache mehr Verstand bewiesen hatte als Agrippina, aber das konnte ich ihr nicht sagen. Ich betrachtete sie erschrocken, wie man eine verwundete Löwin betrachtet, und begriff, daß ich gerade rechtzeitig zurückgekehrt war, um die Entscheidung in dem Kampf darum mitzuerleben, wer in Rom herrschen sollte: Agrippina oder die Ratgeber Neros. Ich war überrascht, denn ich wußte, wie abhängig Nero einst von seiner Mutter gewesen war.

Verwirrt versuchte ich etwas von meinen eigenen Erlebnissen zu berichten, aber Agrippina hatte nicht die Geduld, mir zuzuhören. Erst als ich den Herzschlag des Prokonsuls Silanus erwähnte, merkte sie auf, nickte und sagte: »Es war das beste so, sonst wären wir eines Tages gezwungen gewesen, ihn wegen Verrats zu verurteilen. Alle Silvaner waren giftige Ottern in ihrem Familienstolz.«

In diesem Augenblick kam ein Diener herbeigeeilt und meldete, daß Nero sich, verspätet wie üblich, zu Tisch begeben hatte. Agrippina gab mir einen Schlag auf die Schulter und sagte: »Lauf, du Dummkopf! Lauf, und laß dich von niemandem aufhalten.«

So bezwingend war ihr Wille, daß ich mich wirklich halb laufend auf den Weg machte und allen Dienern, die mich aufhalten wollten, zu verstehen gab, ich sei zum Abendtisch des Kaisers geladen. Nero hielt in dem kleineren Speiseraum des Palastes Tafel, der nur etwa fünfzig Gäste faßte und schon so voll war, daß die Liegesofas nicht mehr ausreichten und je drei sich eines teilten. Mehrere Gäste mußten sogar sitzen. Nero war erhitzt und nachlässig gekleidet, aber sein angenehmes Jünglingsgesicht strahlte vor Freude. Er starrte mich zuerst kurzsichtig an, umarmte mich dann aber und ließ mir einen Stuhl neben seinen eigenen Ehrenplatz stellen.

»Die Musen waren mir gewogen!« rief er. Dann beugte er sich vor und flüsterte mir ins Ohr: »Minutus, Minutus, hast du je erfahren, was es heißt, aus ganzer Seele zu lieben? Lieben und geliebt werden, was kann der Mensch sich Schöneres wünschen!«

Er aß rasch und gierig, während er einem gewissen Terpnus Anweisungen gab. Man mußte mir erst sagen, daß Terpnus der berühmteste Zitherspieler jener Tage war, so ungebildet war ich noch. Während des Mahls komponierte er eine Weise zu den Liebesversen, die Nero am Nachmittag gedichtet hatte, und sang sie dann den atemlos lauschenden Gästen vor.

Seine Stimme war gut geschult und so kräftig, daß sie einem in die Eingeweide fuhr. Nach seinem Gesang zur Zither brachen wir alle in tosenden Beifall aus. Ich weiß nicht, wie kunstfertig Neros Verse waren und ob oder wieweit er andere Dichter nachahmte, aber so, wie Terpnus sie vortrug, machten sie einen großen Eindruck. Nero dankte mit gespielter Verschämtheit für den Beifall, nahm Terpnus das Instrument aus der Hand, schlug sehnsüchtig die Saiten an, wagte aber nicht zu singen, obwohl viele ihn darum baten.

»Eines Tages werde ich singen«, sagte er bescheiden. »Aber erst muß Terpnus meine Stimme ausbilden und kräftigen. Ich weiß wohl, daß aus meiner Stimme etwas werden kann, und wenn ich einmal singe, will ich nur mit den Besten in Wettstreit treten. Das ist mein einziger Ehrgeiz.«

Immer wieder bat er Terpnus, zu singen, und wurde es nicht müde, ihm zu lauschten. All denen, die sich bei ihren Bechern halblaut zu unterhalten versuchten, warf er zornige Blicke zu. Mir selbst fiel es zuletzt, offen gestanden, schwer, das Gähnen zu unterdrücken. Ich betrachtete die anderen Gäste und stellte fest, daß Nero bei der Wahl seiner Freunde nicht sonderlich auf Geburt und Rang achtete, sondern sich ganz von seinen persönlichen Neigungen leiten ließ.

Der vornehmste der Gäste war Marcus Otho, der wie mein Vater von den etruskischen Königen abstammte und dessen Vater der Senat eine Statue errichtet hatte. Er hatte jedoch wegen seiner Verschwendungssucht und Unverschämtheit einen schlechten Ruf, und ich erinnerte mich, gehört zu haben, daß sein Vater ihn noch züchtigte, als er schon die Toga trug. Auch Claudius Senecio war anwesend, dessen Vater nur ein Freigelassener des Kaisers Gajus war. Die beiden waren stattliche junge Männer, die allen zu gefallen vermochten, wenn sie nur wollten. Einer der Gäste war ein reicher Verwandter Senecas, Annaeus Serenus, und Nero unterhielt sich flüsternd mit ihm, wenn Terpnus schwieg und seine Stimme mit Eiern glättete.

Wenn Nero dem Gesang lauschte, versank er in Träumerei und sah mit seinen schönen Zügen und dem rötlichen Haar wie ein marmorner Endymion aus. Zuletzt sandte er die meisten Gäste fort und behielt nur etwa zehn zurück. Auch ich blieb, da er mich nicht zu gehen bat. In seiner jugendlichen Lebenslust hatte er den Abend noch nicht genug genossen und schlug uns vor, wir sollten uns verkleiden und den Palast heimlich verlassen, um uns in der Stadt zu unterhalten.

Er selbst legte Sklavenkleidung an und zog sich eine Kapuze über den Kopf. Wir waren allesamt so betrunken, daß wir alles spaßig fanden. Lachend und johlend schwankten wir die steile Straße zum Forum hinunter, und nur als wir am Haus der Vestalinnen vorbeikamen, geboten wir einander zu schweigen. Otho machte einige unflätige Bemerkungen, die bewiesen, daß er völlig gottlos war.

In der Straße der Goldschmiede stießen wir auf einen betrunkenen Ritter, der darüber klagte, daß er seine Gesellschaft verloren hatte. Nero suchte Streit mit ihm und schlug ihn nieder, als er handgreiflich werden wollte. Er war sehr kräftig für seine achtzehn Jahre. Otho zog seinen Mantel aus, und mit diesem prellten wir den Ritter hoch in die Luft. Zuletzt stieß Senecio ihn in eine Kloakenöffnung, aber wir zogen ihn wieder heraus, denn ertrinken sollte er doch nicht. Dann trommelten wir mit den Fäusten gegen die geschlossenen Läden der Geschäfte und rissen die Schilder los, die wir als Triumphzeichen mitnahmen, und schließlich erreichten wir die stinkenden Gassen Suburras.

Dort drangen wir in eine kleine Schenke ein, warfen, die Gäste hinaus und zwangen den Wirt, uns Wein anzubieten. Der Wein war, wie nicht anders zu erwarten, schlecht, und zur Strafe zerschlugen wir alle Krüge, so daß das elende Gesöff über den Boden und hinaus auf die Straße rann. Als der Wirt in seiner Machtlosigkeit zu weinen begann, versprach ihm Serenus jedoch, er werde ihm den Schaden ersetzen. Nero war sehr stolz auf eine Platzwunde auf der einen Wange und verbot uns streng, den Ochsentreiber aus Latium zu bestrafen, der sie ihm geschlagen hatte, ja er nannte den grobschlächtigen Flegel auch noch einen Ehrenmann.

Senecio war dafür, irgendein Bordell aufzusuchen, aber Nero sagte traurig, er dürfe seiner strengen Mutter wegen nicht einmal mit den besten Dirnen verkehren. Serenus machte eine geheimnisvolle Miene, beschwor uns zu schweigen und führte uns zu einem schönen Haus auf dem Hang des Palatins. Er erzählte uns, daß er es für die schönste Frau der Welt gekauft und eingerichtet habe. Nero gab sich schüchtern und verwirrt und fragte mehrere Male: »Dürfen wir sie wohl so spät noch stören?« und: »Was meinst du, werde ich ihr vielleicht ein Gedicht vortragen dürfen?«

All das war Verstellung, denn in dem Haus wohnte niemand anders als die freigelassene griechische Sklavin Acte, in die Nero sich bis über beide Ohren verliebt hatte. Serenus war nur zum Schein ihr Liebhaber, um ihr in seinem Namen die zahllosen Geschenke Neros übergeben zu können. Ich muß zugeben, daß Acte mit ihren reinen Zügen bewundernswert schön war, und offensichtlich war auch sie wirklich verliebt, denn sie war außer sich vor Freude, als sie da gegen Morgen geweckt wurde, um den betrunkenen Nero und seine Zechkumpane zu empfangen.

Nero schwor, daß Acte von König Attalus abstamme, was er eines Tages der ganzen Welt zu beweisen gedachte. Mir gefiel es nicht, daß er uns das Mädchen unbedingt nackt zeigen wollte, um mit ihrer schneeweißen Haut zu prahlen. Das wohlerzogene Mädchen weigerte sich zuerst auch, aber Nero hatte nur sein Vergnügen daran, daß sich ihre Wangen vor Scham röteten, und sagte, er könne seinen Freunden nichts vorenthalten, und sie müßten selbst sehen, daß er der glücklichste und beneidenswerteste Mann der Welt sei.

So begann mein neues Leben in Rom, und es war kein ehrbares Leben. Nach einiger Zeit bot mir Nero seine Fürsprache an, falls ich irgendein Amt wünschte, ja er war sogar bereit, dafür zu sorgen, daß ich eine Kohorte der Prätorianergarde bekam. Ich lehnte ab und sagte, ich wollte nur sein Freund und Begleiter sein, um die Lebenskunst zu erlernen. Das gefiel ihm, und er antwortete mir: »Du wählst klug, Minutus. Jedes noch so leichte Amt ist eine Zeitvergeudung.«

Zu Neros Ehre muß ich sagen, daß er gerecht und bedachtsam urteilte, wenn er in Angelegenheiten zu Gericht sitzen mußte, die er nicht auf den Stadtpräfekten oder den Präfekten der Prätorianer, Burrus, abschieben konnte. Er beschränkte die Suada der Advokaten auf das nötige Maß und forderte von den anderen Richtern schriftliche Gutachten an, um ihren Schmeicheleien zu entgehen. Nachdem er die verschiedenen Gutachten gelesen hatte, fällte er am nächsten Tag nach eigenem Gutdünken das Urteil. Er verstand es trotz seiner Jugend, würdevoll in der Öffentlichkeit aufzutreten, obwohl er nach Künstlerart nachlässig gekleidet ging und das Haar lang trug.

Ich beneidete ihn nicht um sein Los. Es ist nicht einfach, mit siebzehn Jahren zum römischen Imperator ausgerufen zu werden und, ständig von einer eifersüchtigen und machtlüsternen Mutter bedrängt, über die Welt zu herrschen. Ich glaube, nur seine innige Liebe zu Acte bewahrte ihn davor, Agrippinas Einfluß zu unterliegen. Daß sie ihn auch von seiner Mutter entfernte, bereitete ihm Kummer, aber er konnte ihre gehässigen Worte über Acte nicht ertragen, und er hätte gewiß eine schlechtere Wahl treffen können, denn Acte mischte sich nicht in die Politik ein und verlangte nicht einmal Geschenke von ihm, wenngleich sie sich über die freute, die sie bekam.

Allmählich und ohne daß er es merkte, gelang es Acte auch, in Nero die Wildheit der Domitier zu zügeln. Sie verehrte Seneca, und Seneca begünstigte daher insgeheim auch diese Liebschaft. Er war der Meinung, daß es für Nero viel gefährlicher wäre, wenn er sich in eine vornehme, geburtsstolze römische Jungfrau oder junge Matrone verliebte. Neros Ehe mit Octavia war eine reine Formsache. Er hatte Octavia noch nicht beigewohnt, da sie noch zu kindlich war. Außerdem verabscheute er sie darum, daß sie die Schwester des Britannicus war, und ich muß selbst sagen, daß Octavia nicht viel Einnehmendes an sich hatte. Sie war ein verschlossenes hochmütiges Mädchen, mit dem man kaum ein vernünftiges Wort reden konnte, und hatte leider nichts von der Schönheit und dem Zauber ihrer Mutter Messalina geerbt.

Agrippina war zu klug, um nicht letzten Endes einzusehen, daß ihre Vorwürfe und Zornausbrüche Nero nur abstießen. Sie wurde wieder die zärtliche Mutter, streichelte und küßte ihn und bot ihm an, ihr Schlafgemach zu teilen, damit sie seine engste Vertraute werden könne. Auf Grund all dessen plagte ihn nun ständig das Gewissen. Einmal, als er aus dem Kleider- und Schmuckvorrat des Palatiums ein Geschenk für Acte auswählte, legte er, von seinem schlechten Gewissen getrieben, in aller Unschuld das schönste Kleid und einen Juwelenschmuck für Agrippina zur Seite, aber Agrippina geriet darüber in maßlosen Zorn und schrie, daß alle Kostbarkeiten des Palastes ohnehin ihr gehörten, da sie sie nach Claudius geerbt hatte, und daß Nero nur dank ihrem stillschweigenden Einverständnis darüber verfügen durfte.

Auch ich zog mir den Zorn Agrippinas zu, weil ich ihr nach ihrer Meinung nicht aufrichtig genug berichtete, was Nero und seine Freunde anstellten und welche politischen Ansichten sie hegten. Es war, als hätte diese durch ihre Erfahrungen bitter gewordene Frau plötzlich jeden Halt verloren, als sie zu begreifen begann, daß sie nicht durch ihren Sohn über Rom herrschen konnte. Ihre Züge verkrampften sich zu abstoßender Häßlichkeit, ihre Augen starrten wie die der Medusa, und ihre Sprache wurde so grob und unflätig, daß es einem schwerfiel, ihr zuzuhören. Ich dachte nicht mehr gut von ihr.

Ich glaube, der eigentliche Grund dafür, daß Nero sich mit seiner Mutter nicht vertrug, war der, daß er sie zu sehr liebte, mehr liebte, als ein Sohn seine Mutter lieben soll, und daran war Agrippina selbst schuld. Er fühlte sich zugleich zu ihr hingezogen und von ihr abgestoßen und flüchtete deshalb in Actes Arme oder tobte sich bei nächtlichen Schlägereien in den Gassen Roms aus. Andrerseits verhielt es sich wohl so, daß Senecas Tugendlehre seinem innersten Wesen Zwang auferlegte und Nero sich wenigstens nach außen hin als ein würdiger Schüler zu erweisen versuchte. Agrippina aber beging in ihrer rasenden Eifersucht den Fehler, die Beherrschung zu verlieren.

Ihre einzige, dafür aber um so kräftigere Stütze war der griechische Freigelassene Pallas, der von sich behauptete, er stamme von den sagenhaften arkadischen Königen ab, und der, nachdem er dem Staat unter drei Kaisern gedient hatte, so schlau und vorsichtig geworden war, daß er niemals mit seinen Sklaven sprach, damit ihm keiner seine Worte verdrehe, sondern alle Befehle schriftlich gab. Ich für mein Teil glaube, daß er selbst das Gerücht ausstreute, Agrippina habe ein Verhältnis mit ihm. Jedenfalls war es Pallas gewesen, der Claudius als erster geraten hatte, sich mit ihr zu vermählen, und es war verständlich, daß die Freundschaft, die sie ihm, dem ehemaligen Sklaven, öffentlich erwies, ihm schmeichelte.

Nero behandelte er, als wäre er ein unvernünftiger Knabe, und er nutzte jede Gelegenheit, zu beweisen, wie unentbehrlich seine Erfahrungen dem Staate waren. Als Nero die Steuern senken wollte, um dem Volk und den Provinzen zu gefallen, stimmte ihm Pallas scheinbar bereitwillig zu, fragte dann aber spöttisch, wo der Herrscher die Einkünfte hernehmen wolle, die der Staat brauchte, und bewies mit eindeutigen Zahlen, daß dem Reich der Bankrott drohte, wenn die Steuern gesenkt würden. So begabt Nero in vielen anderen Dingen war: von Zahlen verstand er nichts, und im übrigen war er der Ansicht, daß das Rechnen eines Kaisers nicht würdig, sondern Sache der Sklaven sei.

Pallas war ein furchtloser Mann. Vor einem Vierteljahrhundert hatte er ohne Zögern sein Leben aufs Spiel gesetzt und war nach Capri geeilt, um die Verschwörung des Sejanus aufzudecken. Sein Vermögen war ungeheuer – man sprach von dreihundert Millionen Sesterze –, und ebenso groß war sein Einfluß. Britannicus und Octavia achtete er als Kinder des Claudius, und an Messalinas erbärmlichem Tod war er nicht unmittelbar mitschuldig. Als er sich seinerzeit bereit erklärte, die Staatsfinanzen zu übernehmen, hatte Claudius ihm versprechen müssen, daß er nie Rechenschaft von ihm fordern werde, und das gleiche Versprechen hatte Pallas auch Nero am Tag seines Machtantritts abverlangt, als er die Gelder, die Nero den Prätorianern versprochen hatte, aus der Staatskasse zahlte.

Er war jedoch ein alternder, müder Mann, und die Verwaltung der Staatsfinanzen hatte, wie man von allen Seiten hören konnte, mit der gewaltigen Entwicklung Roms nicht Schritt gehalten, sondern war in alten Traditionen erstarrt. Trotzdem betrachtete sich Pallas als unentbehrlich. Jedesmal wenn er mit Nero Streit hatte, drohte er, von seinem Amt zurückzutreten, was, wie er sagte, den unmittelbaren Zusammenbruch der Finanzen zur Folge haben würde, und spöttisch fügte er hinzu: »Frag nur deine Mutter, wenn du mir nicht glaubst.«

Seneca, der für seine eigene Stellung fürchtete, unternahm an Neros Stelle den entscheidenden Schritt. Mit Hilfe der geschicktesten Bankiers Roms arbeitete er in allen Einzelheiten einen Plan für die Verwaltung der Staatsfinanzen und eine gründliche Erneuerung des Steuerwesens zum Nutzen für den Staat und die Wirtschaft aus. Dann beriet er sich mit Burrus und ließ die Prätorianer das Palatium und das Forum bewachen. Zu Nero sagte er: »Bist du der Kaiser, oder bist du es nicht? Ruf Pallas zu dir und sag ihm, daß er zu gehen hat.«

Nero fürchtete und verehrte Pallas so sehr, daß er fragte: »Soll ich ihm nicht lieber einen schriftlichen Befehl schicken, wie er selbst es zu tun pflegt?«

Aber Seneca wollte Nero hart machen und verlangte, er müsse Pallas selbst gegenübertreten, so schwer es ihn auch ankomme. Pallas hatte natürlich schon von der Neuordnung gehört, aber er verachtete den Schulmeister und Philosophen Seneca zu sehr, um die Gerüchte ernst zu nehmen. Nero wollte seine Freunde um sich haben, um ihren Beifall einzuheimsen, wenn er als Herrscher auftrat, allerdings aber auch, weil er ihren Beistand nötig hatte, und so kam es, daß auch ich dieses unangenehme Ereignis mit eigenen Augen bezeugen mußte.

Als Pallas die Aufforderung erhielt, vor Nero zu erscheinen, stand er bereits unter Bewachung, so daß es ihm nicht mehr möglich war, Agrippina zu benachrichtigen. Er trat stolz und furchtlos vor Nero hin, und nicht eine Miene rührte sich in seinem von Sorge und Verantwortung gefurchten Gesicht, als dieser mit schönen Gebärden eine wohlklingende Rede zu seinen Ehren hielt, ohne die arkadischen Könige zu vergessen, und ihm gerührt für die Dienste dankte, die er dem Staat geleistet hatte.

»Ich kann es nicht länger ertragen, dich vor der Zeit altern und unter dem Gewicht der allzu großen Verantwortung, über die du selbst so oft geklagt hast, zusammenbrechen zu sehen«, schloß Nero. »Als besondere Gunst gestatte ich dir, dich unverzüglich auf dein Landgut zurückzuziehen, von dessen Pracht das Gerücht zu berichten weiß, um bis zum Ende deiner Tage die Reichtümer zu genießen, die du angesammelt hast, ohne daß das geringste Mißtrauen deinen Ruf befleckt.«

Pallas antwortete darauf nur: »Du erlaubst doch wohl, daß ich, bevor ich gehe, den Reinigungseid im Kapitol ablege, wie es mir in meiner Stellung zukommt.«

Nero erwiderte, daß er sein Versprechen halten und einem so treuen, zuverlässigen Diener des Staates einen solchen Eid nicht abverlangen wolle. Wenn aber Pallas, um sein Gewissen zu erleichtern, darauf bestände, so habe er, Nero, nichts dagegen einzuwenden; im Gegenteil: der Eid würde den Gerüchten ein Ende machen, die über die Habgier des Pallas im Umlauf seien.

Wir drückten alle durch eifriges Klatschen, Gelächter und Zurufe unseren Beifall aus. Nero reckte sich in seinem purpurnen Imperatorenmantel wie ein Hahn und lächelte zufrieden vor sich hin. Pallas begnügte sich damit, uns der Reihe nach kalt in die Augen zu blicken, und ich werde diesen Blick nie vergessen, so voll eisiger Verachtung für uns, die besten Freunde Neros, war er. Später gestand ich mir beschämt, daß ein Vermögen von dreihundert Millionen Sesterze keine übermäßig reichliche Entschädigung für die ordentliche Verwaltung der ungeheuren Finanzen des römischen Reiches durch volle fünfundzwanzig Jahre war. Seneca hatte, als Wiedergutmachung für seine Verbannung ebensoviel in nur fünf Jahren eingestrichen, und ich schweige von meinem eigenen Vermögen, dessen Umfang Du, mein Sohn Julius, nach meinem Tode anhand des Nachlaßverzeichnisses ermitteln wirst. Ich selbst habe mir seit Jahren nicht mehr die Mühe genommen, es auch nur annähernd abzuschätzen.

Das Ausrücken der Prätorianer brachte ganz Rom auf die Beine, und das Volk versammelte sich auf dem Forum und den anderen Plätzen. Die Nachricht, daß Pallas in Ungnade gefallen war, löste allgemeine Freude aus, denn was verschafft der Masse größere Genugtuung als der Sturz eines vermögenden und allzu einflußreichen Mannes! Bald äfften umherziehende Gaukler die großartigen Gebärden des Pallas an allen Straßenecken nach und dichteten Spottlieder auf ihn.

Als aber Pallas mit einem Gefolge von achthundert Freigelassenen und Helfern vom Palatin herabgeschritten kam, verstummte der Volkshaufe und machte seinem feierlichen Zuge ehrerbietig Platz. Pallas verließ sein Amt wie ein orientalischer König. Sein Gefolge funkelte vor kostbaren Stoffen, Silber und Juwelen. Niemand treibt mehr Aufwand mit seiner Kleidung als ein ehemaliger Sklave, und Pallas hatte allen befohlen, in ihren besten Gewändern zu erscheinen.

Selbst trug er nur einen einfachen weißen Mantel, als er den Kapitolinischen Hügel hinaufstieg, zuerst zur Münze im Tempel der Juno Moneta und von dort zur Staatskasse im Saturntempel. Vor den Götterbildern in beiden Tempeln legte er den Reinigungseid ab, den er danach im Jupitertempel noch einmal bekräftigte.

Um Verwirrung zu stiften, nahm Pallas alle seine Freigelassenen mit, die er im Lauf der Jahre für die verschiedenen Aufgaben ausgebildet hatte. Vermutlich hoffte er, Nero werde gezwungen sein, ihn nach wenigen Tagen zurückzurufen. Seneca hatte diesen Fall jedoch vorausgesehen. Fünfhundert geschickte Sklaven, die von den Bankiers zur Verfügung gestellt worden waren, besetzten unverzüglich das Amtsgebäude des Pallas auf dem Palatin, und mehrere Untergebene des Pallas kehrten bereitwillig zu ihren früheren Beschäftigungen zurück, sobald dieser die Stadt verlassen hatte. Seneca behielt sich selbst die höchste Verfügungsgewalt vor und gründete eine Art Staatsbank, die auf seine Rechnung große Summen an Ägypten und die britischen Stammeskönige auslieh. Auf diese Weise arbeitete das Geld und trug Seneca Zinsen ein.

Nero wagte mehrere Tage nicht vor seine Mutter zu treten. Agrippina fühlte sich tödlich beleidigt, schloß sich in ihren Gemächern im Palatium ein und rief Britanniens mit seinem Gefolge und seinen Lehrern zu sich, um zu zeigen, an wen sie sich hinfort zu halten gedachte. Zum Gefolge des Britannicus gehörte Vespasians Sohn Titus und eine Zeitlang auch Annaeus Lucanus, dessen Vater ein Vetter Senecas war und der selbst viel zu gute Verse machte, um Nero gefallen zu können. Denn Nero umgab sich zwar gern mit Dichtern und Künstlern und ordnete ab und zu sogar einen Wettstreit unter den Dichtern an, aber er mochte nie zugeben, daß ein anderer ihm überlegen sei.

Nero glaubte seine Rolle bei der Absetzung des Pallas sehr geschickt gespielt zu haben, aber sein Gewissen ließ ihm keine Ruhe, wenn er an seine Mutter dachte. Gleichsam zur Buße übte er nun unter der Anleitung des Terpnus seine Stimme mit Eifer und Ausdauer, fastete und lag stundenlang mit einer Bleiplatte auf der Brust auf dem Rücken. Seine Stimmbildungsübungen hörten sich kläglich an, und wir schämten uns, offen gestanden, für ihn und achteten darauf, daß nicht etwa ein alter Senator oder ein Gesandter, der sich gerade im Palatium aufhielt, ihn hörte.

Die guten Nachrichten, die zu dieser Zeit aus Armenien eintrafen, stärkten in gewissem Sinne sein Selbstbewußtsein. Auf Senecas und Burrus’ Rat hatte Nero Corbulo, den berühmtesten Feldherrn Roms, aus Germanien zurückberufen und nach Armenien geschickt, damit er dort die Unruhen niederschlage. Daß dieser Pufferstaat von den Parthern besetzt worden war, stellte nach römischer Überlieferung einen ausreichenden Kriegsgrund dar.

In gegenseitigem Wettstreit um den Oberbefehl hatten Corbulo und der Prokonsul in Syrien nach Eilmärschen das Ufer des Euphrat besetzt und so viel Entschlossenheit bewiesen, daß die Parther es für angezeigt hielten, Armenien zu räumen, ohne daß es zu regelrechten Kampfhandlungen gekommen wäre. Der Senat beschloß, in Rom ein Dankfest zu feiern, erteilte Nero das Triumphrecht und ließ sein Liktorenbündel mit Lorbeer umwinden.

Diese Geschehnisse waren ganz dazu angetan, die Öffentlichkeit wieder zu beruhigen. Viele hatten nämlich befürchtet, Neros Entschlossenheit könne zu einem Krieg mit den Parthern führen, und das Geschäftsleben Roms war durch die Kriegsgerüchte empfindlich gestört worden.

Die Saturnalien wurden in diesem Jahr vier Tage lang und ausgelassener denn je zuvor gefeiert. Einer versuchte den andern an kostbaren Geschenken zu überbieten, und man lachte über die geizigen Alten, die am überlieferten Brauch festhalten wollten und nur Tonfiguren und Festbrot austauschten. Im Palatium füllte sich ein ganzer großer Saal mit Geschenken für Nero, denn die Vornehmen und Reichen in den Provinzen hatten sich kostbare und ungewöhnliche Geschenke ausgedacht, und alle diese Geschenke, ihr Wert und ihre Spender mußten genau verzeichnet werden, da Nero es seiner Stellung schuldig zu sein glaubte, jede Gabe mit einer noch wertvolleren zu vergelten.

In den Straßen fanden Narrenumzüge statt, überall wurde auf der Zither gespielt, gesungen und gejohlt. Sklaven stolzierten in den Gewändern ihrer Herren einher, und diese bedienten gutmütig ihre Sklaven und führten ihre Befehle aus, denn in diesen Tagen hob Saturn den Unterschied zwischen Herren und Sklaven auf.

Nero lud wie üblich die vornehmsten jungen Männer Roms in den Palast. Bei der Auslosung wurde er der Saturnalienkönig, der die Macht hatte, von den anderen die ausgefallensten Tollheiten zu verlangen. Wir hatten bereits so viel Wein getrunken, daß die schwächeren schon die Wände anspien, als Nero auf den Gedanken verfiel, Britannicus müsse uns etwas vorsingen. Zweifellos sollte er gedemütigt werden, und Britannicus mußte dem Festkönig gehorchen, obwohl seine Lippen zitterten. Wir bereiteten uns auf ein großes Gelächter vor, aber zu unserer Überraschung ergriff Britannicus entschlossen die Zither und sang ergreifend das traurigste aller Klagelieder, das mit den Worten beginnt: »O Vater, o Land der Väter, o Priamos’ Reich …«

Wir lauschten aufmerksam und ohne einander anzusehen. Als Britannicus dieses Lied vom sterbenden Troja beendet hatte, herrschte eine beklemmende Stille im ganzen Saal. Wir konnten ihm nicht Beifall spenden, denn er hatte durch dieses Klagelied gezeigt, daß er sich als übergangen und widerrechtlich der Macht beraubt betrachtete. Wir konnten aber auch nicht lachen, denn zu tief war die Trauer, die sein Lied ausdrückte.

Die schöne Stimme und das geglückte Auftreten des Britannicus waren eine unangenehme Überraschung für Nero, aber er verbarg seine wahren Gefühle und lobte seine Begabung mit schmeichelhaften Worten. Nach einer Weile verließ uns Britannicus, da er sich, wie er sagte, nicht wohl fühlte. Ich glaube, er fürchtete nach der Aufregung einen seiner Anfälle. Auch seine Freunde gingen, und einige streng erzogene junge Männer nutzten die Gelegenheit und schlossen sich ihnen an. Nero legte das, mit oder ohne Grund, als eine Kundgebung gegen ihn selbst aus und raste vor Zorn.

»Dieses Lied bedeutet Bürgerkrieg!« rief er. »Erinnert euch, daß Pompejus erst achtzehn und der Gott Augustus neunzehn Jahre alt war, als sie im Bürgerkrieg eine Legion befehligten. Wir brauchen also nicht mehr lange zu warten! Wenn Rom lieber einen übellaunigen fallsüchtigen Knaben zum Herrscher hat als mich, lege ich die Macht nieder und gehe nach Rhodos. Nie werde ich den Staat in die Greuel eines Bürgerkrieges stürzen. Es ist besser, sich die Pulsadern aufzuschneiden oder Gift zu nehmen, als zuzulassen, daß dem Vaterland dies geschieht!«

Wir erschraken über diese Worte, so betrunken wir auch waren. Einige verabschiedeten sich und gingen. Wir anderen rühmten Nero und versuchten ihm zu erklären, daß Britannicus gegen ihn machtlos sei. Aber Nero sagte: »Zuerst Mitregent. Damit droht mir meine Mutter. Dann Bürgerkrieg. Wer weiß, was für eine Proskriptionsliste Britannicus im stillen schon aufgestellt hat. Ihr steht vielleicht alle schon darauf.«

Der bloße Gedanke war schrecklich. Nero hatte recht, wenn wir auch zu lachen versuchten und meinten, als Saturnalienkönig dürfe er so grimmig scherzen, wie er nur wolle. Er nahm das Spiel wieder auf und erteilte uns freche Aufträge. Einer mußte den einen Schuh einer Vestalin herbeischaffen. Senecio erhielt den Befehl, die alte Hofdame, der er es verdankte, daß er trotz seiner niedrigen Geburt in den Palast Eingang gefunden hatte, zu wecken und herbeizuholen. Doch Nero war dieser einfältigen Streiche bald müde und wollte etwas Unmögliches. Es waren nur noch wenige von uns übrig, als er plötzlich rief: »Meinen Lorbeerkranz dem, der mir Locusta bringt!«

Die anderen schienen zu wissen, wen er meinte, aber ich fragte in aller Unschuld: »Wer ist Locusta?«

Niemand wollte mir antworten. Da sagte Nero selbst: »Locusta ist eine Frau, die viel gelitten hat und ein Pilzgericht für Götter zuzubereiten versteht. Vielleicht gelüstet es mich heute abend nach einer Götterspeise, da ich so blutig gekränkt worden bin.«

Ohne auf seine dunklen Worte zu achten, rief ich: »Gib mir deinen Kranz. Ich habe von dir noch keinen Auftrag bekommen.«

»Ja, du, Minutus Lausus, mein bester Freund, sollst den schwersten Auftrag bekommen«, sagte Nero. »Minutus soll unser Saturnalienheld sein.«

»Und nach uns das Chaos«, sagte Otho.

»Nein, nicht nach uns, jetzt!« rief Nero. »Warum sollten wir es unversucht lassen!«

In diesem Augenblick kam die alte Hofdame, halbnackt, betrunken wie eine Bacchantin und Myrtenzweige um sich streuend, während Senecio, dem die Schamröte ins Gesicht stieg, sie zurückzuhalten versuchte. Diese Frau wußte alles, was in Rom vorging, und ich fragte sie, wo Locusta zu finden sei. Meine Frage verwunderte sie nicht. Sie hielt sich nur die Hand vor den Mund, kicherte und sagte, ich solle mich in der Gegend des Caelius nach ihr erkundigen. Ich machte mich eilig auf den Weg. Die Stadt war hell erleuchtet. Ich brauchte nicht lang zu fragen und stand auch schon vor Locustas kleinem Haus. Auf mein Klopfen öffnete mir zu meiner Verwunderung ein zorniger Prätorianer, der mir einzutreten verbot. Erst als er meinen schmalen roten Streifen sah, wurde er höflicher und erklärte: »Locusta ist wegen schwerer Verbrechen verurteilt worden und steht unter Bewachung. Sie darf mit niemandem sprechen. Ihretwegen komme ich um die Freuden der Saturnalien.«

Ich eilte zum Prätorianerlager, um mit seinem Vorgesetzten zu sprechen, und dieser war zum Glück Julius Pollio, ein Bruder meines Jugendfreundes, des Bücherwurms Lucius Pollio. Er war nun Kriegstribun bei der Prätorianergarde. Er widersetzte sich dem Befehl des Saturnalienkönigs nicht, sondern nutzte die Gelegenheit, selbst vor Nero zu erscheinen und sagte: »Ich bin für die Frau verantwortlich. Deshalb muß ich mitgehen und Locusta bewachen.«

Locusta war noch nicht alt, aber ihr Gesicht glich einer Totenmaske, und das eine ihrer Beine war auf der Folter so schwer verstümmelt worden, daß wir eine Sänfte herbeischaffen mußten, um sie ins Palatium zu bringen. Unterwegs sprach sie nicht ein einziges Wort, sondern starrte nur mit bitterer Miene vor sich hin. Sie hatte etwas Furchteinflößendes.

Nero war mit den letzten noch übrigen Gästen in den kleinen Saal gegangen und hatte die Sklaven fortgeschickt. Zu meiner Verwunderung hatten sich Seneca und Burrus mitten in der Nacht der Gesellschaft angeschlossen. Ich weiß nicht, ob Nero selbst nach ihnen geschickt oder ob Otho, den Neros Stimmung erschreckte, es getan hatte. Von der fröhlichen Festeslaune war nichts mehr zu spüren. Jeder wich dem Blick des andern aus, als hätte er vor irgend etwas Angst.

Als Seneca Locusta erblickte, sagte er zu Nero: »Du bist der Herrscher. Du entscheidest. So hat es das Schicksal bestimmt. Mir aber erlaube zu gehen.« Er verhüllte sich das Haupt mit einem Zipfel seines Mantels und ging.

Als Burrus zögerte, sagte Nero heftig: »Soll ich schwächer sein als meine Mutter? Ich werde doch wohl mit dieser treuen Freundin meiner Mutter sprechen und sie nach der Speise der Götter fragen dürfen.« In meiner Unschuld dachte ich, Locusta sei vielleicht eine der früheren Köchinnen des Palastes. Burrus erwiderte finster: »Du bist der Herrscher. Du weißt selbst am besten, was du tust.« Auch er verließ mit gesenktem Kopf die Gesellschaft. Sein verkrüppelter Arm hing schlaff an seiner Seite nieder.

Nero sah sich mit starrem Blick um und befahl: »Geht alle und laßt mich allein mit der lieben Freundin meiner Mutter. Wir müssen uns über allerlei wichtige Fragen der Kochkunst unterhalten.«

Ich führte Julius Pollio in den nun leeren großen Saal, wo er Wein trinken und von den Resten des Mahls essen konnte. »Wessen ist Locusta angeklagt, und was hat sie mit Agrippina zu tun?« fragte ich neugierig.

Julius Pollio sah mich verwundert an und fragte seinerseits: »Weißt du denn nicht, daß Locusta Roms geschickteste Giftmischerin ist? Sie hätte längst nach der Lex Julia abgeurteilt werden sollen, aber dank Agrippina ist die Verhandlung immer wieder aufgeschoben worden, und nach dem für Giftmischer üblichen peinlichen Verhör wurde sie nur in ihrem eigenen Haus unter Bewachung gestellt. Ich glaube, sie hatte so viel zu sagen, daß die Männer, die sie verhörten, es mit der Angst zu tun bekamen.«

Ich war entsetzt und unfähig, ein Wort zu sagen. Julius Pollio zwinkerte mir zu, nahm einen Schluck Wein und fragte: »Hast du nicht einmal von dem Pilzgericht gehört, das Claudius zum Gott machte? Ganz Rom weiß, daß Nero es nur der geschickten Zusammenarbeit seiner Mutter und Locustas zu verdanken hat, daß er Imperator wurde.«

»Ich habe mich in den Provinzen aufgehalten und glaube nicht alles, was in Rom geredet wird«, sagte ich heftig, während mir die wildesten Gedanken durch den Kopf gingen. Zuerst dachte ich, Nero wolle sich Gift verschaffen, um seinem eigenen Leben ein Ende zu machen, wie er es an diesem Abend angedroht hatte, aber dann sah ich klarer.

Ich glaubte nun zu verstehen, warum Seneca und Burrus gekommen waren, nämlich wenn es sich wirklich so verhielt, daß Nero, durch das trotzige Auftreten des Britannicus gekränkt, Locusta selbst ins Verhör nehmen wollte, um seine Mutter des Giftmordes an Claudius anzuklagen. Wenn er Agrippina damit drohte, brachte er sie zum Schweigen oder konnte sogar erreichen, daß sie nach einem geheimen Prozeß aus Rom verbannt wurde, öffentlich anklagen konnte er seine Mutter nicht, und dieser Gedanke beruhigte mich, obwohl ich nicht glauben mochte, daß Agrippina Claudius ermordet hatte. Ich hatte ja schon einige Jahre vor seinem Tod gehört, daß er an Magenkrebs litt.

Nachdem ich eine Weile nachgedacht hatte, sagte ich: »Es ist wohl für uns beide das beste, über alles, was heute nacht geschehen ist, den Mund zu halten.«

Julius Pollio lachte und antwortete: »Ich habe nichts zu befürchten. Ein Soldat gehorcht ohne Widerspruch dem Befehl.«

Ich schlief schlecht in dieser Nacht und hatte Träume, die Schlimmeres voraussagten. Am Morgen hielt es mich nicht in Rom. Ich reiste auf das Landgut meines Vaters bei Caere und nahm nur Barbus mit. Es war eisigkalt und die dunkelste Zeit des Jahres, aber ich wollte in ländlicher Ruhe und Ungestörtheit versuchen, einen lang gehegten Plan auszuführen und ein Buch über meine Erlebnisse in Kilikien zu schreiben.

Zum Dichter taugte ich nicht, das hatte ich wohl bemerkt. Einen eigentlichen historischen Bericht über den Aufstand der Kliter konnte ich auch nicht schreiben, wenn ich den König in Kilikien und den Prokonsul in Syrien nicht in ein schlechtes Licht stellen wollte. Ich erinnerte mich der griechischen Abenteuergeschichten, die ich bei Silanus gelesen hatte, um mir die Zeit zu vertreiben, und beschloß, eine der üblichen derb-komischen Räubergeschichten zu schreiben. Ich wollte die lächerlichen Seiten meiner Gefangenschaft herausstreichen und meine Leiden mit ein paar Worten übergehen. Einige Tage lang vertiefte ich mich so eifrig in diese Arbeit, daß ich Zeit und Ort vergaß. Ich glaube, es gelang mir, mich von den bedrückenden Erlebnissen meiner Gefangenschaft zu befreien, indem ich mich scherzend über sie hinwegsetzte.

Als ich gerade die letzten Zeilen schrieb, daß die Tinte spritzte, erhielt ich aus Rom die überraschende Nachricht, daß Britannicus während eines Versöhnungsmahles im Kreise der kaiserlichen Familie einen schweren Anfall erlitten hatte. Man hatte ihn zu Bett gebracht, und dort hatte er kurz darauf den Geist aufgegeben. Niemand hatte auch nur ahnen können, daß es so weit mit ihm kommen würde, denn sonst hatte er sich immer rasch von seinen Anfällen erholt.

Mit dem Hinweis auf die Sitte der Väter, schmerzliche Geschehnisse zu verbergen, hatte Nero die Leiche des Britannicus noch in derselben Nacht im winterlichen Regen auf dem Marsfeld verbrennen und seine Gebeine ohne Lobrede oder öffentlichen Umzug in das Mausoleum des Gottes Augustus schaffen lassen. In seiner Rede an den Senat und das Volk erklärte er, seine einzige Hoffnung und Zukunft sei nun das Vaterland, nachdem er die Hilfe und den Beistand seines Bruders bei der Regierung des Reiches auf so unerwartete Weise verloren habe.

Der Mensch glaubt gern, was er hofft. Daher empfand ich zunächst nichts als eine ungeheure Erleichterung. Der plötzliche Tod des Britannicus löste meiner Meinung nach alle politischen Konflikte auf die für Nero und ganz Rom glücklichste Weise. Agrippina konnte nun nicht mehr auf Britannicus verweisen, wenn sie Nero wegen seines Undanks tadelte, und das Gespenst des Bürgerkriegs verblaßte.

Auf dem Grunde meiner Gedanken lauerte jedoch ein heimlicher Zweifel, wenn ich es mir auch nicht eingestehen wollte. Daher mochte ich nicht nach Rom zurückkehren und blieb in Caere, obwohl ich nur meine Zeit vergeudete. Ich hörte, daß Nero das große Vermögen, das er nach Britannicus erbte, unter seine Freunde und die einflußreichsten Senatoren aufteilte, und es hatte den Anschein, als werfe er mit Geschenken um sich, weil er sich die Gunst aller erkaufen wollte. Ich selbst mochte an dem Erbe nach Britannicus keinen Anteil haben.

Als ich zu Frühjahrsbeginn endlich nach Rom zurückkehrte, hatte Nero Agrippina die Ehrenwache genommen und ihr selbst befohlen, den Palast zu verlassen und in das verfallene Haus Antonias, der verstorbenen Mutter des Claudius, zu übersiedeln. Dort besuchte er sie ab und zu, aber nie ohne Zeugen, deren Gegenwart sie zwang, ihren Zorn zu meistern.

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