Ich erschrak, als ich die im Empfangssaal Wartenden begrüßte, denn sie schienen mir alle Tierköpfe auf den Schultern zu tragen. Es war ein so überraschender Anblick, daß ich mir mit der Hand über die Augen fahren mußte. In dem von Silber und Elfenbein schimmernden Saal, dessen Boden ein riesiges Mosaik zierte, das ein Festmahl der Götter darstellte, waren viele Menschen versammelt, um geduldig zu warten, bis sie – manche erst gegen Mittag – einen Schimmer von Nero erhaschen durften. Die ganze Tierwelt war unter ihnen vertreten, von Kamelen und Igeln bis zu Stieren und Schweinen. Tigellinus glich in meinen Augen so sehr einem mageren Tiger, daß ich mir, als ich ihn begrüßte, mit der flachen Hand vor den Mund schlagen mußte, um nicht laut zu lachen. Dieses seltsame Trugbild, gewiß eine Folge der durchwachten Nacht, der Erschöpfung von der Liebe und des Aufruhrs, der in mir herrschte, zerrann, als ich vor allen anderen in Neros Schlafgemach eingelassen wurde, weil ich meine Angelegenheit als äußerst wichtig dargestellt hatte. Nero hatte Acte als Bettgenossin. Das zeigte mir, daß er seiner Laster müde geworden war und zu natürlichen Gewohnheiten zurückkehren wollte, was ja bisweilen vorkommt.

Nero sah ich nicht als Tier. Er dünkte mich vielmehr ein leidender, vor grenzenlosem Mißtrauen verzweifelter Mensch oder besser noch als ein verwöhntes Kind, das nicht verstehen konnte, warum andere es böse nannten. Er wollte doch allen wohl und war zudem ein großer Sänger, vielleicht der beste seiner Zeit, wie er selbst aufrichtig glaubte. Ich kann es nicht beurteilen, denn ich bin eher unmusikalisch.

Wie dem auch sei: als ich eintrat, machte Nero wie jeden Morgen gerade seine Stimmübungen. Sein Gesang drang, von Gurgeln unterbrochen, durch das ganze Goldene Haus. Nero wagte nicht einmal Obst zu essen, weil ihm irgendein Arzt gesagt hatte, es sei nicht gut für die Stimme. Meiner Meinung nach sind aber Äpfel oder Weintrauben, am Morgen zu dem üblichen Honigbrot genossen, sehr erfrischend, und außerdem fördern sie die Verdauung, was für Menschen, die auch in fortgeschrittenem Alter noch eine reichgedeckte Tafel schätzen, wichtig ist.

Als ich nun mit zitternder Stimme Antonias Namen hervorstammelte, bekam Nero sein salziges Gurgelwasser in die falsche Kehle. Er hustete so, daß er schon zu ersticken glaubte. Acte mußte ihm auf den Rücken klopfen, und er wurde wütend und jagte sie hinaus.

»Was sagst du da über Antonia, verfluchter Verräter?« fragte Nero, als Acte gegangen war und er wieder sprechen konnte.

Ich gestand zitternd, daß ich ihm bisher Antonias Teilnahme an der Verschwörung verschwiegen hätte – aus Achtung vor ihrem Vater, dem Kaiser Claudius, der seinerzeit, als ich die Toga anlegte, bei mir Pate gestanden war und mir den Namen Lausus gegeben hatte. Nun lasse mir aber mein Gewissen keine Ruhe, und ich könne, um Neros Sicherheit willen, nicht mehr schweigen.

Ich warf mich auf die Knie nieder und erzählte, daß mich Antonia oft zur Nachtzeit habe rufen lassen und daß sie versucht habe, mich zur Teilnahme an der Verschwörung zu bewegen, indem sie mir reichen Lohn und hohe Ämter in Aussicht stellte. Sie sei der Meinung gewesen, daß ich als Freund Neros Gelegenheit hätte, einen Mord mit Gift oder Dolch zu planen.

Um Salz in die Wunde zu streuen, behauptete ich außerdem, Antonia habe versprochen, nach dem Staatsstreich die Gemahlin Pisos zu werden. Wie ich schon sagte, ging dieses unsinnige Gerücht wirklich in Rom um, und ich wußte, daß es mehr als alles andere danach angetan war, Neros Eitelkeit zu kränken. Antonia hatte ja Nero abgewiesen.

Er wollte mir jedoch noch immer nicht glauben. Es schien über seinen Verstand zu gehen, daß sich Antonia einer so unbedeutenden Person anvertraut hatte, wie ich es in seinen Augen war.

Er ließ mich unverzüglich festnehmen und unter Bewachung des diensthabenden Zenturios des Palastes in einen noch unvollendeten Saal sperren, in dem ein berühmter Handwerker an einem prachtvollen Gemälde arbeitete, das den Zweikampf Achills und Hektors vor den Mauern Trojas darstellte. Nero war ja aus julischem Geschlecht und wollte seine Gäste gern daran erinnern, daß seine Abstammung auf ein unziemliches Verhältnis zwischen dem Troer Aeneas und der Venus zurückging. Deshalb mißachtete er auch den Tempel des Vulcanus und äußerte sich stets nur geringschätzig über den Gott. Die einflußreiche Zunft der Schmiede nahm ihm das sehr übel.

Der Geruch der Farbe reizte mich ebenso sehr wie das selbstgefällige Benehmen des Malers. Ich durfte mich nicht einmal halblaut mit meinem Bewacher unterhalten, denn das hätte ihn bei seiner wichtigen Arbeit stören können. Im übrigen kränkte es mich, daß Nero mir nicht einen Kriegstribunen als Wache gegeben hatte, sondern daß ich mich mit der Gesellschaft eines Zenturios begnügen mußte. Er war aber wenigstens römischer Ritter, und ich hätte mich mit ihm, um mir die Zeit zu vertreiben und meine Unruhe zu lindern, über Pferde unterhalten können, wenn der Handwerker nicht so eingebildet gewesen wäre.

Ich wagte es jedoch nicht, ihn zu verunglimpfen, denn er stand hoch in Neros Gunst. Nero behandelte ihn mit herablassender Achtung und hatte ihm das Bürgerrecht verliehen. Deshalb malte er immer in der Toga, so lächerlich das auch aussah. Nero hatte sogar einmal die Absicht geäußert, ihn in den Ritterstand zu erheben, aber zum Glück hatte er diesen wahnwitzigen Gedanken wieder fallengelassen. Ein farbiger Tierbändiger wie Epaphroditus, das mochte noch angehen, aber ein Handwerker, der Bilder malt … Nein, es hat alles seine Grenzen. Das sah sogar Nero ein.

Ich mußte bis zum Nachmittag warten, aber Nero schickte mir Speisen von seiner eigenen Tafel, und ich machte mir daher keine allzu großen Sorgen. So leise wie möglich würfelte ich mit dem Zenturio, und wir tranken reichlich Wein, obgleich er es nicht wagte, sich einen Rausch anzutrinken, weil er im Dienst war. Ich benützte die Gelegenheit, um Claudia Nachricht zu senden, daß man mich als Verdächtigen festhielt.

Deine Mutter sah zwar ein, daß ich für Deine Zukunft sorgen mußte, meinte aber in ihrer echt weiblichen Unvernunft, es sei darum nicht nötig, daß ich die Rolle des Verräters spielte. Nun sollte sie ruhig ein wenig um mich bangen, obwohl ich selbst bei weitem nicht so in Sorge war, wie ich es ihr in meiner Mitteilung zu verstehen gab. Allerdings kannte ich Neros Launenhaftigkeit und verließ mich nicht auf seine Ratgeber, nicht einmal auf Tigellinus, der mir aus mehreren Gründen Dank schuldete.

Ich war reich, und das konnte Nero reizen, obgleich ich stets mein Bestes getan hatte, die wirkliche Größe meines Vermögens zu verbergen. Mit Unbehagen dachte ich an das Schicksal des Konsuls Vestinus, der nicht einmal an der Verschwörung teilgenommen hatte, und mein einziger Trost war, daß Statilia Messalina gerade wegen Vestinus auf meiner Seite stand.

Nero hatte sich noch nicht mit ihr vermählt, weil das Gesetz eine Wartezeit von neun Monaten vorschreibt, aber Statilia Messalina bereitete schon ein glänzendes Hochzeitsfest vor, und auf die Freuden des Bettes hatte Nero schon zu Lebzeiten des Vestinus reichlichen Vorschuß genommen. An Acte hielt er sich im Augenblick vermutlich deshalb, weil Statilia, um sich als ein besserer Mensch fühlen zu dürfen, der Mondgöttin opferte. Acte neigte heimlich zu der Lehre der Christen, das wußte ich aus sicherer Quelle, und sie versuchte mit Milde, Neros gute Eigenschaften zu fördern. Nero hatte gewiß auch solche, aber diese Aufgabe ging doch über das Vermögen einer Frau, wer sie auch sein mochte.

Statilia Messalina tat eher das Gegenteil. Sie führte als erste in Rom die ursprünglich germanische Mode ein, mit unverhüllter linker Brust zu gehen, und sie konnte es sich leisten, denn sie war mit Recht stolz auf ihre wohlgeformten Brüste. Die Frauen, die von der Natur weniger gut ausgestattet worden waren, nahmen Anstoß an der neuen Mode und erklärten sie für unsittlich. Als ob etwas Schlimmes daran wäre, eine schöne Brust zu zeigen! Es treten ja bei den öffentlichen Opfern auch die Priesterinnen und bei gewissen Gelegenheiten sogar die Vestalinnen mit nackten Brüsten auf, weshalb ich lieber von einem durch tausendjährige Überlieferung geheiligten Brauch sprechen möchte als von etwas Unsittlichem.

Bis zum Abend hatte Tigellinus von den Männern, die in Tullianum noch das Leben hatten behalten dürfen, genug Beweise für Antonias Teilnahme an der Verschwörung gesammelt. In der Hoffnung auf Belohnung hatten sich sogar ein paar feige Verräter gefunden, die ohne mit der Wimper zu zucken schworen, Antonia habe wirklich gelobt, sich mit Piso zu vermählen, sobald dieser seine Gattin losgeworden wäre. Die beiden hätten sogar schon Verlobungsgeschenke ausgetauscht, behaupteten sie. Man nahm bei Antonia eine Hausdurchsuchung vor und fand ein Halsband mit indischen Rubinen, das Piso heimlich bei einem syrischen Goldschmied gekauft hatte. Wie es in Antonias Haus kam, weiß ich nicht und will ich auch nicht wissen.

Alle diese Beweise überzeugten Nero endlich. Er spielte den tief Betrübten, obwohl er natürlich insgeheim froh war, einen Grund zu haben, Antonia zu beseitigen. Um mir eine Gunst zu erweisen, nahm er mich in seinen neuen Tiergarten mit, wo Epaphroditus eine kleine Vorstellung zu seiner Unterhaltung vorbereitet hatte. Ich staunte, als ich einen nackten Knaben und ein nacktes Mädchen erblickte, die an Pfählen in der Nähe der Löwenkäfige festgebunden waren. Epaphroditus war mit der glühenden Eisenstange eines Tierbändigers bewaffnet und trug ein Schwert an der Seite. Er machte mir aber heimlich ein Zeichen, mich nicht zu beunruhigen.

Dennoch erschrak ich, wie ich offen zugeben muß, als ich plötzlich ein dumpfes Brüllen vernahm und einen Löwen, der mit dem Schweif den Sand peitschte, auf die Pfähle zuspringen sah. Er richtete sich auf, um die nackten Opfer zu kratzen, und schnupperte auf eine widerliche Art an ihren Geschlechtsteilen. Zu meiner Verwunderung litten jedoch die Kinder, die sich vor Entsetzen wanden, keinen nennenswerten Schaden. Als der Löwe sich ein wenig beruhigt hatte, trat Epaphroditus auf ihn zu und rannte ihm das Schwert in den Bauch, daß das Blut weithin spritzte und der Löwe auf den Rücken fiel, mit den Pranken in der Luft herumschlug und schließlich so glaubwürdig, wie man es sich nur wünschen konnte, den Geist aufgab.

Als der Knabe und das Mädchen losgebunden und hinausgeführt worden waren, kroch aus der Löwenhaut Nero hervor und fragte stolz, ob er durch seine Schauspielkunst nicht sogar mich getäuscht habe, obwohl ich doch genug Erfahrung mit Raubtieren hatte. Selbstverständlich versicherte ich ihm, ich hätte den Löwen für echt gehalten.

Nero zeigte mir die in die Löwenhaut eingebauten Stahlfedern und anderen Mechanismen und die Blutblase, in die Epaphroditus mit dem Schwert ein Loch gestoßen hatte. Ich wunderte mich nachher noch lange über dieses wahnsinnige Spiel, das Nero große Befriedigung zu verschaffen schien und dessen er sich doch ein wenig schämte, denn nur wenige seiner Freunde durften es mit ansehen.

Nachdem er mir nun auf diese Weise sein Vertrauen bewiesen hatte, musterte er mich mit einem heimtückischen Blick und sagte mit erheuchelter Sanftmut: »Es gibt genug Beweise für Antonias Schuld, und ich muß ihnen glauben, sosehr es mich auch schmerzt, daß sie sterben muß. Sie ist ja meine Halbschwester. Du hast mir die Augen geöffnet. Deshalb sollst auch du die Ehre haben, zu ihr zu gehen und sie zu bitten, sich die Pulsadern zu öffnen. Tut sie das freiwillig und in aller Stille, so will ich die Sache nicht an die Öffentlichkeit bringen. Es geht ja auch um mein Ansehen. Ich werde ihr sogar ein Staatsbegräbnis bewilligen und ihre Urne im Mausoleum des Gottes Augustus aufstellen lassen. Darauf hat sie ein Recht durch ihre Geburt. Dem Senat und dem Volk sage ich, daß sie im Wahnsinn Selbstmord begangen hat oder weil sie sich die Schmerzen einer unheilvollen Krankheit ersparen wollte. Irgendeine Erklärung wird sich schon finden, wenn sie sich nur anständig benimmt und keine Umstände macht.«

Ich war so verblüfft, daß mir die Worte im Halse steckenblieben, denn Nero kam mir zuvor. Ich hatte ihn selbst um die Gunst bitten wollen, Antonia die Todesbotschaft überbringen zu dürfen, um in ihren letzten Stunden bei ihr zu sein und ihre Hand in der meinen halten zu können, während das Blut aus ihrem schönen Körper rann. Der Gedanke daran hatte mir geholfen, die qualvolle Spannung dieses langen Tages zu ertragen. Nero legte mein Schweigen falsch aus. Er lachte auf, schlug mir auf die Schulter und sagte im Tone der Verachtung: »Ich verstehe, daß es dir wenig behagt, dich Antonia als Verräter zu erkennen zu geben. Irgend etwas werdet ihr schon miteinander getrieben haben bei euern heimlichen Begegnungen. Ich kenne Antonia.« Ich glaube aber nicht, daß er ernstlich annahm, Antonia könnte sich zu einem Mann wie mir herabgelassen haben, da sie doch Nero abgewiesen hatte. So groß war seine männliche Eitelkeit.

Nero glaubte mich zu demütigen, indem er mich zu Antonia schickte, denn zuinnerst verachtete er alle Verräter. Es gibt da jedoch gewisse Unterschiede, das glaube ich durch meinen Bericht schon bewiesen zu haben. Meine Beweggründe waren eher edel als selbstsüchtig. Ich dachte nur an Dich, mein Sohn, und damit an die Zukunft des julischen Geschlechts. Mein eigenes Leben zu retten war mir nicht so wichtig. Wie dem auch sei: in dem Glauben, mich zu demütigen, gewährte mir Nero die größte Freude, die ich erhoffen durfte.

Das las ich in Antonias strahlendem Gesicht, als sie mich noch einmal wiedersah, nachdem sie schon geglaubt hatte, wir hätten für alle Zeiten voneinander Abschied genommen. Noch niemand hat so sein Todesurteil angehört: mit ausgestreckten Armen, lächelndem Gesicht und leuchtenden Augen. Sie zeigte mir ihre Freude so deutlich, daß ich den Kriegstribunen und seine Soldaten augenblicklich bat, sich zu entfernen. Es genügte, wenn sie das Haus von außen bewachten.

Ich wußte, daß Nero ungeduldig die Nachricht von Antonias Tod erwartete. Auch er hatte es nicht leicht. Aber ich nahm an, er werde verstehen, daß es seine Zeit brauchte, Antonia dazu zu überreden, ohne jedes Aufsehen Selbstmord zu begehen. Zwar bedurfte es dazu in Wirklichkeit nicht eines einzigen Wortes, aber das wußte Nero nicht.

Ich wollte keine unersetzliche Zeit verlieren, indem ich Antonia nach Pisos Halsband fragte, obwohl die Eifersucht an meiner Leber fraß. Wir sanken einander noch einmal in die Arme, und wenn ich mich schon nach der durchwachten Nacht und dem zermürbenden Warten dieses langen Tages als Liebhaber nicht sonderlich auszeichnete, so durften wir doch ganz nah beisammenliegen, so nahe, wie zwei Menschen einander nur kommen können. Ihre Sklavinnen bereiteten indessen ein warmes Bad in ihrem Porphyrbecken. Nackt schritt sie vor mir her in den Baderaum und bat mich mit Tränen in den Augen, alles auf das rascheste zu vollbringen. Ich schnitt ihr im warmen Wasser mit einem scharfen Messer so behutsam und geschickt wie möglich die Pulsadern in den Armbeugen auf. Sie versuchte, sich den Schmerz nicht anmerken zu lassen, um mir nicht weh zu tun, konnte aber doch ein leises Stöhnen nicht unterdrücken.

Als das Blut rasch hervorzuquellen begann und das balsamduftende Bad rötete, bat mich Antonia, ihr die Schwäche zu verzeihen. Sie hatte sich, reich und verwöhnt, nie an das geringste Unbehagen zu gewöhnen brauchen, erklärte sie mir zu ihrer Rechtfertigung. Die Sklavinnen, die ihr das schöne helle Haar bürsteten, mußten achtgeben, daß sie sie nicht zupften, sonst stach sie ihnen eine Nadel in die Brust.

Als ich nun über das Becken gebeugt Antonia hielt, den einen Arm um ihren Hals gelegt, den Mund auf den ihren gepreßt, ihre Hand in der meinen, dünkte mich mein eigenes Leben von so geringem Wert, daß ich aufrichtig darum bat, mit ihr sterben zu dürfen.

»Das ist das Liebste, was je ein Mann zu mir gesagt hat«, flüsterte sie mit matter Stimme und küßte mich aufs Ohr. »Du mußt aber um unseres Sohnes willen weiterleben. Vergiß die guten Ratschläge nicht, die ich dir für seine Zukunft gegeben habe. Und denk auch daran, mir eine deiner alten etruskischen Goldmünzen in den Mund zu legen, bevor man mir das Kinn aufbindet und mich für den Scheiterhaufen herrichtet. Das wird mir dein letztes und liebstes Geschenk sein, obwohl ich es werde hergeben müssen, um Charon zu entlohnen. Wenigstens wird er mich behandeln, wie es meinem Rang gebührt. Ich möchte auf seiner Fähre nicht vom Pöbel angerempelt werden.«

Eine Weile später öffneten sich ihre Lippen unter den meinen, und der Griff ihrer Hand lockerte sich. Ich hielt jedoch ihre schlanken Finger fest und küßte ihr geliebtes Antlitz, bis das Ende kam.

Als sie tot war und ich nicht den leisesten Atemhauch mehr spürte, trug ich ihren blutigen Leichnam in das Bett zurück und wusch mir rasch die Blutspuren ab. Zu meiner Freude konnte ich feststellen, daß Antonia die neueste ägyptische Seife meines Freigelassenen verwendet hatte. Sie war freilich nicht wirklich ägyptisch, sondern wie seine übrigen Seifen und allgemein beliebten Zahnpulver in Rom hergestellt, aber die Leute zahlten für die Seifen mehr, wenn er ihnen hübsche Namen gab.

Nachdem ich mich angekleidet hatte, rief ich den Zenturio und die Soldaten herein, damit sie bezeugten, daß Antonia freiwillig Selbstmord begangen hatte. Den Sklavinnen überließ ich ihren Leichnam erst, nachdem ich ihr eine der uralten Goldmünzen in den Mund gelegt hatte, die meine Freigelassenen in alten Gräbern in Caere gefunden hatten. Ich bat den Hofmeister, darauf zu achten, daß sie nicht gestohlen wurde, denn ich selbst mußte rasch zu Nero zurückkehren.

Nero hatte nach seinem Löwenspiel reichlich Wein getrunken, um sich zu beruhigen, und dankte mir überrascht dafür, daß ich meinen peinlichen Auftrag so schnell ausgeführt hatte. Er bestätigte mir noch einmal mit seinem kaiserlichen Wort, daß ich das Erbe nach Jucundus behalten durfte, und versprach, er werde in der Kurie ein Wort für mich einlegen, damit ich einen Senatorenschemel erhielt. Das habe ich schon berichtet. Ich fühle mich erleichtert, weil ich nun den traurigsten Teil meiner Geschichte niedergeschrieben habe.


Wenige Wochen später geriet ich selbst gerade Antonias wegen in Lebensgefahr, doch was bedeutete das schon, verglichen mit dem soeben Geschilderten. Zum Glück hatte ich Freunde, die mich rechtzeitig von den Nachforschungen unterrichteten, die Nero anstellen ließ, als Antonias Testament bekannt wurde. Auf diese Weise war es mir möglich, Claudia vorzubereiten, die allerdings meinen ganzen Plan widerwärtig fand.

Ich verstehe heute noch nicht, warum Antonia, eine erfahrene, in politischen Dingen bewanderte Frau, Dich unbedingt in ihrem Testament bedenken mußte, obwohl ich sie seinerzeit davor gewarnt hatte. Wir waren vor ihrem Tode nicht mehr auf das Testament zu sprechen gekommen, denn wir hatten anderes miteinander zu reden, und im übrigen hatte ich, offen gestanden, vergessen, was sie damals, als sie Dir den Namen Antonianus gab, versprochen hatte.

Nun mußte ich mich so rasch wie möglich Rubrias entledigen, denn sie war als die älteste der Vestalinnen die einzige, die über Deine wahre Abstammung rechtsgültig Zeugnis ablegen konnte. Meine Begegnung mit ihr mag ich nicht genauer schildern. Ich will nur soviel sagen, daß ich vorher eine kleine Reise unternehmen mußte, um die alte Locusta auf dem hübschen Landgut zu besuchen, das Nero ihr geschenkt hatte. Sie zog in den Gärten dort zusammen mit ihren Schülern mancherlei Arzneipflanzen, wobei sie bei Aussaat und Ernte die Stellung der Gestirne mit wissenschaftlicher Genauigkeit beobachtete.

Zu meiner Erleichterung erweckte Rubrias Tod bei den Ärzten nicht den geringsten Verdacht. Sie war nicht einmal dunkel im Gesicht geworden. Zu solcher Höhe hatte Locusta in ihren alten Tagen ihre Kunst entwickelt. Nero stellte ihr aber auch immer wieder Verbrecher, die nichts Besseres verdienten, zur Verfügung, an denen sie ihre Arzneien erproben konnte.

Mein Besuch bei Rubria gab zu keinen Fragen Anlaß, denn sie empfing viele Besucher im Artium der Vestalinnen. So konnte ich in mein geheimes Versteck das versiegelte Dokument einmauern, in dem sie Claudias Herkunft bezeugte, die Aussage der toten Paulina wiedergab und bestätigte, daß Antonia Deine Mutter Claudia als ihre Halbschwester betrachtet und Dir zum Zeugnis dessen den Namen Antonianus gegeben hatte.

An einigen äußerlichen Anzeichen glaubte ich zu bemerken, daß ich in Ungnade gefallen war, und ich war daher nicht überrascht, als Nero mich zu sich rufen ließ, damit ich ihm Rede und Antwort stünde, ja ich glaube sogar, mich gut vorbereitet zu haben. Nero biß sich auf die Lippen, und sein Kinn zitterte, als er mir befahl: »Laß mich etwas über deine Ehe hören, Manilianus, von der ich noch nichts weiß, und versuche mir eine glaubhafte Erklärung dafür zu geben, daß Antonia deinen Sohn in ihrem Testament bedacht und ihm sogar ihren eigenen Namen verliehen hat. Ich wußte nicht einmal, daß du außer dem Bankert des Epaphroditus noch einen Sohn hast!«

Ich wich seinem Blick aus und gab mir Mühe, vor Furcht zu zittern, wozu es allerdings, um ehrlich zu sein, keiner großen Anstrengung bedurfte. Nero argwöhnte, ich hätte etwas zu verbergen, und fuhr fort: »Ich würde nichts sagen, wenn Antonia sich damit begnügt hätte, dem Knaben den Siegelring ihres Onkels Sejanus zu vermachen, aber es ist unfaßbar, daß sie ihm einen großen Teil des Familienschmucks der Julier gab, den sie von der Mutter des Claudius, der alten Antonia, geerbt hatte, unter anderem eine Schulterspange, die der Gott Augustus im Feld und bei den staatlichen Opfern getragen haben soll. Noch merkwürdiger aber ist es, daß deine Ehe nirgends eingetragen ist und daß dein Sohn nicht einmal in die neue Einwohnerliste – von der Ritterrolle ganz zu schweigen – eingeschrieben wurde, obwohl die vorgeschriebene Frist längst abgelaufen ist. An der Sache ist etwas faul.«

Ich warf mich zu seinen Füßen nieder und rief mit erheuchelter Reue: »Schon lange plagt mich deshalb das Gewissen, aber ich schäme mich so, daß ich noch mit keinem meiner Freunde darüber zu sprechen wagte. Meine Gattin Claudia ist Jüdin.«

Nero brach vor Erleichterung in ein so gewaltiges Gelächter aus, daß es seinen gedrungenen Körper schüttelte und ihm die Tränen in die Augen traten. Er schickte nicht gern jemanden auf einen bloßen Verdacht hin in den Tod, am allerwenigsten seine wirklichen Freunde.

»Minutus, Minutus«, sagte er tadelnd, als er wieder zu sprechen imstande war. »Es ist keine Schande, Jude zu sein. Du weißt, wieviel jüdisches Blut im Laufe der Jahrhunderte in unsere vornehmsten Familien eingedrungen ist. Um meiner geliebten Poppaea willen kann ich die Juden nicht für schlechter halten als andere Menschen. Ich dulde sie sogar in den staatlichen Ämtern, innerhalb vernünftiger Grenzen, versteht sich. Wo ich herrsche, sind alle Menschen, als Menschen betrachtet, gleich, seien sie nun Römer oder Griechen, schwarz oder weiß. Daher habe ich auch nichts gegen die Juden.«

Ich stand auf und gab mir den Anschein tiefer Verlegenheit. »Wenn das alles wäre, würde ich nicht gezögert haben, meine Gattin dir und meinen anderen Freunden vorzustellen«, sagte ich bekümmert. »Zu alledem stammt sie aber auch noch von Sklaven ab. Ihre Eltern waren elende Freigelassene der Mutter des Claudius, also gewissermaßen deiner Großmutter. Deshalb heißt sie Claudia. Du wirst nun verstehen, weshalb ich mich ihrer schäme. Vielleicht wollte Antonia dem Knaben zur Erinnerung an ihre Großmutter ein paar billige Schmuckstücke hinterlassen. Daß er Antonianus heißen soll, war der Wunsch meiner Gattin Claudia.«

Nun spielte ich den Zornigen und sagte: »Im übrigen meine ich, es ist die reine Bosheit, daß Antonia meinen Sohn in ihrem Testament bedacht hat. Sie wollte, daß man mich verdächtigt, denn sie wußte, daß ich Scevinus, Piso und andere angezeigt hatte; daß ich, von meinem Gewissen getrieben, um deiner Sicherheit willen eines Tages sie selbst anzeigen würde, konnte sie damals freilich noch nicht ahnen. Wahrhaftig, ich bereue es jetzt nicht mehr.«

Nero runzelte die Stirn und dachte nach. Da ich bemerkte, daß sein Mißtrauen von neuem erwachte, fuhr ich rasch fort: »Es ist das beste, ich gestehe dir auch gleich, daß ich zum Glauben der Juden neige. Das ist kein Verbrechen, wenngleich unpassend für einen Mann in meiner Stellung. Aber meine Gattin ist sehr starrsinnig. Sie zwingt mich, die Julius-Caesar-Synagoge aufzusuchen. Das tun aber auch andere Römer. Die Mitglieder dieser Synagoge scheren sich den Bart, kleiden sich wie andere Menschen und gehen ins Theater.«

Nero starrte mich noch immer finster an. »Deine Erklärung klingt recht glaubwürdig«, sagte er, »nur hat Antonia leider diesen Zusatz zu ihrem Testament schon vor mehr als einem halben Jahr beurkunden lassen. Damals konnte sie noch nicht ahnen, daß du die Verschwörung des Piso verraten würdest.«

Ich sah ein, daß ich noch mehr gestehen mußte, und war dazu bereit, obgleich ich mich noch eine Weile wand, um Nero nicht durch eine allzu plötzliche Offenherzigkeit in seinem Mißtrauen zu bestärken. Er glaubte felsenfest, daß alle Menschen etwas vor ihm verbargen. Ich blickte daher zu Boden, scharrte mit dem einen Fuß auf einem Mosaik, das Mars und Venus zeigte, die einander umarmten und im Kupfernetz des Vulcanus gefangen waren, und ausgezeichnet zu meiner Lage paßte, knetete verlegen meine Hände und brachte kein Wort hervor, bis Nero plötzlich schrie: »Sag mir augenblicklich alles, sonst lasse ich dir deine nagelneuen roten Schnürstiefel abnehmen! Daß der Senat nichts dagegen einzuwenden hätte, weißt du selbst am besten!«

»Ich verlasse mich auf deinen Edelmut und dein Taktgefühl!« rief ich. »Behalte mein schändliches Geheimnis für dich, und sprich davon nicht zu meiner Gattin. Ihre Eifersucht ist unerträglich. Sie ist in dem gewissen Alter, und ich verstehe selbst nicht mehr, wie ich ihr ins Garn gehen konnte.«

Nero witterte eine anzügliche Geschichte. Er leckte sich die Lippen und sagte: »Es heißt, die Jüdinnen hätten im Bett ihre besonderen Vorzüge. Außerdem wirst du ihre jüdischen Verbindungen schon für deine Zwecke ausgenutzt haben. Mich führst du nicht hinters Licht. Ich verspreche dir gar nichts. Laß hören!«

Stammelnd gestand ich ihm: »In ihrem Ehrgeiz setzte meine Gattin es sich in den Kopf, wir müßten Antonia einladen, wenn ich meinem Sohn seinen Namen gab und ihn in Gegenwart von Zeugen auf meine Knie setzte und anerkannte.«

»So wie du seinerzeit Lausus anerkanntest«, bemerkte Nero spaßend. »Aber sprich weiter.«

»Ich konnte mir nicht vorstellen, daß Antonia wirklich kommen würde, wenngleich der Kleine ein Enkel der Freigelassenen ihrer Großmutter ist«, sagte ich. »Damals hatte sie jedoch wenig Umgang und sehnte sich nach Abwechslung. Aus Gründen der Schicklichkeit brachte sie die Vestalin Rubria mit, die sich, nebenbei bemerkt, an diesem Abend einen Rausch antrank. Friede ihrem Andenken. Ich kann es mir nicht anders erklären, als daß Antonia irgend etwas Vorteilhaftes über mich gehört hatte und mich kennenlernen wollte. Sofern sie nicht schon damals darauf aus war, für spätere Zwecke Freunde und Anhänger zu werben! Als sie ein wenig Wein getrunken hatte, gab sie mir zu verstehen, ich sei in ihrem Haus auf dem Palatin jederzeit willkommen, am liebsten ohne meine von Sklaven herstammende Gattin.«

Nero errötete, seine Mundwinkel zuckten, und er beugte sich vor, um sich kein Wort entgehen zu lassen.

»Ich war so eitel, daß ich mich durch ihre Einladung geehrt fühlte«, fuhr ich fort. »Zugleich aber sagte ich mir, daß ich sie nur einer Weinlaune oder irgendeinem anderen, mir noch nicht bekannten Grunde verdankte. Dennoch suchte ich sie eines Abends auf, und sie empfing mich sehr freundlich … Nein, ich wage nicht weiterzuerzählen.«

»Du brauchst dich nicht zu schämen«, sagte Nero. »Ich weiß genug über deine Besuche bei ihr. Sie sollen bis zum Morgen gedauert haben. Ich habe sogar schon daran gedacht, daß Antonia deinen Sohn heimlich geboren haben könnte, aber wie ich höre, ist er ja schon sieben Monate alt. Außerdem wissen wir, daß Antonia unfruchtbar war wie eine alte Kuh.«

Mit rotem Kopf gestand ich nun also, daß Antonia mir auch im Bett große Gastfreundschaft erwiesen und an mir Gefallen gefunden hatte, so daß sie mich recht oft bei sich haben wollte. Ich aber war wegen meiner Gattin in Sorge, unser Verhältnis könnte entdeckt werden. Vielleicht, sagte ich, hatte ich Antonia in ihrer Einsamkeit so gut getröstet, daß sie deshalb meinen Sohn in ihrem Testament bedachte, da sie mir schon aus Gründen der Schicklichkeit nichts geben konnte.

Nero lachte und schlug sich auf die Knie. »Das alte Luder!« schrie er. »Hat sie sich also mit dir eingelassen! Aber du warst nicht der einzige. Ob du mir’s glaubst oder nicht: sie hat es auch mit mir einmal versucht, als ich ihr aus bloßer Freundlichkeit und um der Verwandtschaft willen ein wenig geschmeichelt hatte. Ich war natürlich betrunken. Sie hängte sich mir an den Hals, und schon hatte ich ihre spitze Nase und ihre dünnen Lippen im Gesicht. Danach streute sie das wahnsinnige Gerücht aus, ich hätte um sie geworben. Pisos Halsband zeigt ja deutlich genug, wie lasterhaft sie war. Gewiß hat sie’s auch mit Sklaven getrieben, wenn sie gerade nichts Besseres bei der Hand hatte. Da warst du ihr freilich gut genug!«

Ich ballte die Fäuste und zwang mich zu schweigen.

»Statilia Messalina hat übrigens viel Freude an Pisos Halsband«, sagte Nero. »Sie läßt sich sogar die Brustwarzen in der Farbe dieser Taubenblutrubine schminken.«

Nero war von seinen eigenen Einfällen so begeistert, daß ich mich der schlimmsten Gefahr entronnen wußte. Er war erleichtert und guter Laune, aber gerade weil er nun zum Scherzen aufgelegt war, wollte er mich für meine Geheimniskrämerei auf solche Weise strafen, daß ich in der ganzen Stadt zum Gespött wurde. Er dachte eine Weile nach und sagte dann: »Ich will natürlich deine Gattin sehen und mich mit eigenen Augen davon überzeugen, daß sie Jüdin ist. Ebenso will ich die Zeugen verhören, die zugegen waren, als dein Sohn seine Namen erhielt. Ich nehme an, sie sind auch alle Juden. Ferner lasse ich in der Julius-Caesar-Synagoge nachfragen, ob du wirklich so ein treuer Besucher bist. Unterdessen kannst du mir den Gefallen tun, dich der Einfachheit halber beschneiden zu lassen. Deine Gattin wird sich nur darüber freuen, und außerdem finde ich es nicht mehr als recht und billig, daß du an dem Körperteil bestraft wirst, mit dem du meine Halbschwester Antonia entehrt hast. Danke deinem Glück, daß ich so gut aufgelegt bin und dich so leicht davonkommen lasse!«

Ich erschrak und bat ihn demütig, mich nicht so entsetzlich zu kränken. Aber ich hatte ja selbst den Hals in die Schlinge gesteckt. Als Nero mein Erschrecken sah, freute er sich erst recht über seinen Einfall. Er legte mir tröstend die Hand auf die Schulter und sagte: »Es ist nur gut, wenn ein Beschnittener im Senat sitzt und sich um die Angelegenheiten der Juden kümmert. Geh also und sieh zu, daß das rasch erledigt wird, und dann schaffe mir deine Gattin und die Zeugen her. Und komme selbst mit, wenn du noch gehen kannst. Ich will mich davon überzeugen, daß du meinem Befehl gehorcht hast.«

Ich mußte nach Hause gehen und Claudia und den beiden Zeugen, die voller Angst auf meine Rückkehr warteten, sagen, daß wir uns binnen kurzem im Empfangssaal des Goldenen Hauses einzufinden hatten. Darauf ging ich ins Lager der Prätorianer, um mit einem Feldscher zu sprechen. Der Mann versicherte mir mit vielen Worten, er könne diesen kleinen Eingriff ohne weiteres vornehmen und habe ihn während seiner Dienstzeit in Afrika an vielen Legionären und Zenturionen durchgeführt, denen die ständigen Entzündungen durch den Sand zu viel geworden waren. Er hatte sogar noch das Röhrchen, das man dazu braucht.

Ich wollte mich um meines Ansehens willen nicht bei den Juden behandeln lassen. Das war ein großer Fehler, denn sie hätten es unvergleichlich geschickter gemacht. Ich ertrug tapfer das schmutzige Röhrchen und das stumpfe Messer des Feldschers, aber die Wunde heilte schlecht und eiterte so, daß ich lange Zeit keine Lust verspürte, eine Frau auch nur anzusehen.

Eigentlich bin ich seither nicht mehr ganz der alte. Es hat zwar Frauen gegeben, die auf mein narbiges Glied recht neugierig waren, aber ich möchte sagen, daß ihr Vergnügen größer war als meines. Auf diese Weise bin ich dazu gekommen, ein recht tugendhaftes Leben zu führen.

Ich schäme mich nicht, davon zu sprechen. Es wissen ohnehin alle, was für einen Scherz sich Nero auf meine Kosten leistete, und ich bekam einen Spitznamen, den ich hier aus Schicklichkeitsgründen lieber nicht nennen will.

Deine Mutter ahnte nicht, was sie bei Nero erwartete, obwohl ich versucht hatte, sie auf ihre Rolle vorzubereiten. Als ich humpelnd und leichenblaß aus dem Prätorianerlager zurückkehrte, fragte Claudia mich nicht einmal, was mir fehle. Sie glaubte, ich hätte lediglich Angst vor Neros Zorn. Die beiden Judenchristen fürchteten sich wirklich, und es half auch nichts, daß ich ihnen Mut zusprach und sie an die Geschenke erinnerte, die ich ihnen in Aussicht gestellt hatte.

Nero warf einen einzigen Blick auf Claudia und rief auch schon: »Ein Judenweib! Das sieht man an den Brauen und den dicken Lippen, von der Nase ganz zu schweigen. Graue Haare hat sie auch. Die Juden werden früh grau. Das kommt von irgendeinem ägyptischen Fluch, habe ich mir sagen lassen. Merkwürdig, daß sie in diesem Alter noch ein Kind gebären konnte, aber dieses Volk vermehrt sich ganz unglaublich.«

Claudia zitterte vor Zorn, beherrschte sich jedoch um Deinetwillen. Danach schworen die beiden Juden beim Tempel zu Jerusalem, daß sie Claudias Herkunft kannten und daß sie Jüdin sei, aus so hoch angesehenem Geschlecht, daß ihre Eltern schon zu Pompejus’ Zeiten als Sklaven nach Rom gebracht worden seien. Die beiden bezeugten außerdem, daß Antonia bei der Namensgebung meines Sohnes zugegen gewesen war und gestattet hatte, daß er ihrer Großmutter zum Gedenken den Namen Antonianus erhielt.

Dieses Verhör schläferte Neros letztes Mißtrauen ein. Die beiden Judenchristen begingen zwar einen Meineid, aber ich hatte sie eigens ausgewählt, weil sie einer gewissen Gruppe von Christen angehörten, die aus irgendeinem Grunde behauptete, Jesus von Nazareth habe alle Arten von Eiden untersagt. Sie nahmen es mit ihrem Glauben sehr genau und waren sich bewußt, daß sie sündigten, indem sie einen Eid ablegten, weshalb sie meinten, es sei dann schon einerlei, ob der Eid nun wahr oder falsch war. Sie opferten sich auf und begingen diese Sünde um meines Sohnes willen, und sie hofften, Jesus von Nazareth werde ihnen verzeihen, weil sie in guter Absicht handelten.

Nero wäre aber nicht Nero gewesen, wenn er nicht mit einem pfiffigen Seitenblick auf mich so beiläufig wie möglich gesagt hätte: »Liebe Domina Claudia – eigentlich sollte ich wohl Serenissima sagen, da dein Gatte es trotz seiner niedrigen Herkunft verstanden hat, sich die Purpurstiefel zu verschaffen –, also liebe Domina Claudia, du wirst wohl wissen, daß dein Gatte sich die Gelegenheit zunutze machte und ein heimliches Verhältnis mit meiner unglücklichen Halbschwester Antonia anknüpfte. Ich habe Zeugen dafür, daß sie Nacht für Nacht in einem Lusthaus in Antonias Garten miteinander Unzucht trieben. Ich war gezwungen, sie überwachen zu lassen, damit sie nicht am Ende in ihrer Liederlichkeit einen öffentlichen Skandal heraufbeschwor.«

Claudia erbleichte bis in die Lippen, als sie das hörte. Meiner Miene konnte sie entnehmen, daß Nero die Wahrheit sprach. Außerdem hatte sie selbst mich mit ihrem Mißtrauen verfolgt, bis es mir gelungen war, ihr Sand in die Augen zu streuen, indem ich ihr erklärte, daß ich an der Verschwörung des Piso teilhatte und dergleichen Zusammenkünfte nachts stattzufinden pflegten.

Sie hob die Hand und schlug mich auf die Wange, daß es laut schallte. Demütig hielt ich ihr auch die andere Wange hin, wie es Jesus von Nazareth gelehrt hatte. Claudia hob die andere Hand und schlug so heftig zu, daß mir das Trommelfell platzte. Seither bin ich ein wenig taub. Dann stieß sie eine Flut von so gemeinen Schimpfwörtern hervor, daß ich nie geglaubt hätte, dergleichen einmal aus ihrem Mund zu hören. Ich möchte meinen, daß ich Christi Lehre besser befolgte als sie, denn ich schwieg still.

Claudia aber goß einen solchen Schwall von Grobheiten über mich und die tote Antonia aus, daß Nero ihr zuletzt Einhalt gebieten mußte. »Über die Toten nur Gutes«, mahnte er. Claudia vergaß anscheinend, daß Antonia seine Halbschwester war und daß er deshalb nicht dulden durfte, daß andere schlecht von ihr sprachen.

Um Claudia zu besänftigen und ihr Mitleid zu erregen, schlug ich meinen Mantel zur Seite, hob das Untergewand, zeigte ihr den blutigen Verband und versicherte ihr, daß ich für meinen Fehltritt genug gestraft sei. Nero zwang mich, die Binde abzuwickeln, so schmerzhaft das auch war, um sich mit eigenen Augen zu überzeugen, daß ich ihn nicht täuschte. Als das geschehen war, sagte er verwundert: »Du hast dich also in deiner Dummheit wirklich gleich beschneiden lassen! Ich habe doch nur gescherzt und meine Strenge bereut, sobald du gegangen warst. Ich will aber gern anerkennen, daß du meine Befehle treu befolgst, Minutus.«

Claudia hatte kein Erbarmen mit mir. Im Gegenteil, sie schlug entzückt die Hände zusammen und pries Nero darum, daß er eine Strafe gefunden hatte, auf die sie selbst im Traume nicht gekommen wäre. Mir schien es Strafe genug, mit Claudia verheiratet zu sein. Ich glaube, sie hat mir nie verziehen, daß ich sie ausgerechnet mit Antonia betrog. Eine vernünftige Frau sieht ihrem Mann einen gelegentlichen Seitensprung nach, aber sie machte mir noch jahrelang Vorwürfe.

Nero betrachtete nun die ganze Angelegenheit als erledigt und kam ohne das geringste Mitgefühl auf etwas anderes zu sprechen, sobald Claudia und die beiden Juden gegangen waren. »Wie du weißt, hat der Senat den Beschluß gefaßt, ein Dankopfer für die Aufdeckung der Verschwörung darzubringen«, begann er. »Ich selbst habe beschlossen, Ceres einen Tempel zu bauen, der ihrer würdig ist. Den früheren haben die verfluchten Christen niedergebrannt, und ich konnte noch keinen neuen errichten lassen, weil ich mit dem Wiederaufbau Roms alle Hände voll zu tun habe. Die Kultstätte der Ceres liegt seit unvordenklichen Zeiten auf dem Aventin, aber ich habe dort kein hinlänglich großes Grundstück finden können. Um unser gegenseitiges Vertrauen wiederherzustellen und unsere Freundschaft zu bekräftigen, bist du gewiß gern bereit, dein Haus und deinen Garten auf dem Aventin Ceres zu schenken. Es ist der geeignetste Platz. Wundere dich daher nicht, wenn du heimkommst. Die Sklaven haben nämlich schon begonnen, das Haus niederzureißen. Die Sache eilt, und deiner Zustimmung war ich gewiß.«

So nahm mir Nero das alte Haus der Manilier ab. Ich vermochte über diese Gunst keine überquellende Freude zu empfinden, wußte ich doch nur zu gut, daß er alle Ehre für sich in Anspruch nehmen und meinen Namen bei der Einweihung des Tempels nicht einmal erwähnen würde. Ich fragte ihn bitter, wohin er bei der Wohnungsnot mein Bett und meine übrige Habe gedenke schaffen zu lassen.

Neros Gesicht hellte sich auf: »Ja freilich, daran hatte ich nicht gedacht. Aber das Haus deines Vaters oder vielmehr Tullias steht noch immer leer. Ich konnte es noch nicht verkaufen, weil es darin nicht geheuer ist.«

Ich antwortete ihm, daß ich nicht gesonnen sei, gewaltige Summen für ein Spukhaus zu zahlen, das noch dazu für mich recht ungünstig lag, und ich erklärte ihm auch, wie verfallen und überhaupt von Anfang an schlecht geplant dieses prahlerisch große Haus war, für das man seit achtzehn Jahren nichts mehr getan hatte und dessen riesiger verwilderter Garten mich bei den neuen Wassersteuern viel zu teuer käme.

Nero lauschte diesen Erklärungen mit sichtlichem Genuß und sagte: »Um dir meine Freundschaft zu beweisen, wollte ich dir das Haus zu einem mäßigen Preis überlassen. Es widert mich an, daß du frech und würdelos zu feilschen beginnst, bevor ich noch einen Betrag genannt habe. Nun reut es mich nicht mehr, daß ich dir im Scherz befahl, dich beschneiden zu lassen. Um dir zu zeigen, wer Nero ist, schenke ich dir das Haus deines Vaters. Es ist unter meiner Würde, mit dir zu schachern.«

Ich dankte ihm aus ganzem Herzen, obwohl er mir das Haus genaugenommen ja nicht schenkte, sondern als Ersatz für mein altes auf dem Aventin gab. Allerdings gewann im bei dem Tausch.

Ich dachte zufrieden, daß Tullias Haus beinahe eine Beschneidung wert war, und dieser Gedanke tröstete mich noch, als ich am Wundfieber darniederlag. Ich hatte selbst mein Bestes getan, zu verhindern, daß das Haus verkauft wurde, indem ich das Gerücht in Umlauf setzte, es spuke darin, und ein paar Sklaven anstellte, die nachts in dem verlassenen Haus mit Topfdeckeln klappern und mit Möbelstücken poltern mußten. Wir Römer sind ein abergläubisches Volk und fürchten uns vor Gespenstern.

Nach alledem kann ich nun mit gutem Gewissen dazu übergehen, von Neros Siegeszug durch Griechenland, von dem traurigen Ende des Kephas und des Paulus und von meiner Teilnahme an der Belagerung Jerusalems zu berichten.

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