In der Stadt verbreitete sich das hartnäckige Gerücht, Plautus habe in Asia einen regelrechten Aufstand angestiftet. Man sprach von einem möglichen Bürgerkrieg und dem Verlust der ganzen Provinz. Die Folge davon war, daß Gold und Silber im Preis stiegen und viele es für angebracht hielten, Grundstücke und Ländereien zu verkaufen. Ich nutzte die Gelegenheit und schloß einige sehr günstige Geschäfte ab.

Als Plautus’ Kopf endlich, mit einer gewissen Verzögerung wegen des stürmischen Wetters, aus Asia eintraf, war die allgemeine Erleichterung so groß, daß nicht nur der Senat, sondern auch einfache Bürger Dankopfer darbrachten. Nero machte sich diese Stimmung zunutze, um Rufus wieder in sein früheres Amt als Aufseher über den Getreidehandel einzusetzen und ihn zugleich zum Verwalter der staatlichen Getreidevorräte zu befördern. Tigellinus führte unter seinen Prätorianern eine Säuberung durch und schickte eine ganze Anzahl verdienter Männer vorzeitig in die Veteranenkolonie in Puteoli. Ich selbst war nach all diesen Ereignissen um, vorsichtig geschätzt, fünf Millionen Sesterze reicher.

Seneca nahm an den festlichen Umzügen und den Dankopfern teil, aber viele bemerkten, daß sein Schritt wankte und seine Hände zitterten. Er war nun schon fünfundsechzig Jahre alt und dick geworden. Sein Gesicht war aufgedunsen, und über den Backenknochen traten die Adern blau hervor. Nero wich ihm nach Möglichkeit aus und vermied es, mit ihm unter vier Augen zusammenzutreffen, weil er seine Vorwürfe fürchtete.

Eines Tages bat Seneca jedoch um eine offizielle Audienz. Nero versammelte vorsichtshalber seine Freunde um sich und hoffte, Seneca werde es nicht wagen, ihn im Beisein anderer zu tadeln. Dies war auch nicht seine Absicht gewesen. Er hielt vielmehr eine schöne Rede und pries Nero für seinen Weitblick und die Entschlossenheit, mit der er das Vaterland aus Gefahren errettet hatte, die seine, Senecas, eigenen, alt gewordenen Augen nicht mehr zu erkennen vermochten. Danach war Seneca für niemanden mehr zu sprechen. Er verabschiedete seine Ehrenwache und zog aufs Land, auf sein schönes Landgut an der Straße nach Praeneste. Als Grund gab er an, daß er leidend sei und sich im übrigen mit einem philosophischen Werk über die Freuden der Entsagung beschäftigen wolle. Er hielt angeblich strenge Diät und wich den Menschen aus, so daß er seine Reichtümer nicht zu genießen vermochte.

Mir wurde die unerwartete Ehre zuteil, mitten in einer Amtsperiode zum außerordentlichen Prätor ernannt zu werden. Das verdankte ich wahrscheinlich der Freundschaft Poppaeas, andrerseits aber auch der Tatsache, daß Tigellinus mich für willensschwach genug hielt. Nero, der unter der Stimmung litt, die durch die politischen Morde entstanden war, und sich zudem wegen Poppaeas Schwangerschaft beunruhigte, fühlte das Bedürfnis, sich als guter, tüchtiger Herrscher zu erweisen, und drang darauf, daß die vielen Prozesse, deren Akten sich im Prätorium türmten, endlich zu Ende gebracht wurden.

Sein Selbstvertrauen wurde übrigens bald durch ein seltsames Vorzeichen gestärkt. Während eines plötzlich losbrechenden Gewitters schlug ihm der Blitz einen goldenen Becher aus der Hand. Ich glaube allerdings nicht, daß der Blitz den Becher selbst getroffen, sondern eher, daß er so nahe bei Nero eingeschlagen hatte, daß diesem der Becher aus der Hand gefallen war. Man versuchte das Geschehnis geheimzuhalten, aber es wurde bald in der ganzen Stadt bekannt und selbstverständlich als böses Vorzeichen gedeutet.

Nach der uralten Blitzkunde der Etrusker ist jedoch ein Mensch, der vom Blitz getroffen wird, ohne getötet zu werden, heilig und den Göttern geweiht. Nero, der gern an Vorzeichen glaubte, betrachtete sich von dieser Stunde an als einen Heiligen und versuchte eine Zeitlang sogar dementsprechend aufzutreten, solange nämlich die aus politischen Gründen nötigen Morde sein überempfindliches Gewissen noch belasteten.

Als ich mein Amt antrat, stellte mir Tigellinus einen Raum zur Verfügung, der mit staubbedeckten Akten vollgestopft war. Sie betrafen allesamt Streitsachen, in denen sich im Ausland ansässige römische Bürger an den Kaiser gewandt hatten. Tigellinus legte einige davon zur Seite und sagte: »Ich habe ansehnliche Geschenke entgegennehmen müssen, um diese hier rascher zu erledigen. Bearbeite sie zuerst. Ich habe dich zu meinem Mitarbeiter erwählt, weil du eine gewisse Geschmeidigkeit in schwierigen Angelegenheiten bewiesen hast und weil du selbst so reich bist, daß deine Rechtschaffenheit nicht angezweifelt zu werden braucht. Die Ansichten, die bei deiner Ernennung im Senat geäußert wurden, waren übrigens nicht sehr schmeichelhaft. Sei also darauf bedacht, daß sich der Ruf unserer Rechtschaffenheit in allen Provinzen verbreitet. Wenn man dir Geschenke anbietet, so weigere dich, sie entgegenzunehmen. Du darfst aber durchblicken lassen, daß ich als Präfekt die Möglichkeit habe, eine Sache zu beschleunigen. Bedenke dabei jedoch, daß das endgültige Urteil in keinem Fall erkauft werden kann, denn es wird auf Grund unserer Vorträge von Nero selbst gefällt.«

Er wandte sich schon zum Gehen, als er noch hinzufügte: »Wir halten seit einigen Jahren einen jüdischen Zauberer gefangen. Er ist von der Schreibwut besessen und hat sogar Seneca mit seinen Briefen belästigt. Wir müssen ihn freilassen. Poppaea Sabina darf während ihrer Schwangerschaft nicht der Gefahr irgendeiner Zauberei ausgesetzt werden. Sie begünstigt diese Juden übrigens mehr als gut wäre. Unser Jude hat mehrere meiner Prätorianer Schon so verhext, daß sie nicht mehr zum Wachdienst zu gebrauchen sind.«

Meine Aufgabe war nicht so schwierig, wie ich zuerst geglaubt hatte. Die meisten Prozesse stammten noch aus Burrus’ Zeiten und waren von einem kundigeren Juristen, als ich es bin, mit Anmerkungen versehen worden. Nach Agrippinas Tod war Nero Burrus aus dem Wege gegangen und hatte die Prozesse aufgeschoben, um eine allgemeine Unzufriedenheit wegen der Saumseligkeit des Gerichts und damit eine feindselige Stimmung gegen Burrus zu erzeugen.

Aus Neugier nahm ich mir zuerst die Akten vor, die den jüdischen Zauberer betrafen, und stellte zu meiner Verwunderung fest, daß es sich um meinen alten Bekannten Saulus aus Tarsos handelte. Er war angeklagt, den Tempel zu Jerusalem geschändet zu haben. Nach den Unterlagen war er festgenommen worden, als Felix noch Prokurator war.

Bei der Neubesetzung der Beamtenstellen nach Agrippinas Tod war Felix seines Amtes enthoben worden, weil er ein Bruder des Pallas war. Der neue Statthalter, Festus, hatte Paulus gebunden nach Rom bringen lassen, und ich sah nun, daß er tatsächlich seit ganzen zwei Jahren gefangensaß.

Er durfte jedoch in der Stadt wohnen, da er seine Bewachung selbst bezahlte. Unter den Dokumenten fand ich ein Gutachten Senecas, das seine Freilassung befürwortete. Ich hatte nicht gewußt, daß Saulus, oder vielmehr Paulus, die Mittel besaß, sich sogar an den Kaiser selbst zu wenden.

Binnen weniger Tage hatte ich einige Prozesse ausgesondert, die Nero Gelegenheit gaben, seine Milde und seinen Edelmut zu beweisen. Mit Paulus wollte ich zunächst selbst sprechen, denn ich kannte seinen Eifer und fürchtete, er könnte vor dem kaiserlichen Gericht den Fehler begehen, Neros Zeit mit unnötigem Gerede zu verschwenden. Seine Freilassung war ja ohnehin beschlossene Sache.

Paulus wohnte recht bequem in einigen Räumen, die er im Hause eines jüdischen Händlers gemietet hatte. Er war in den letzten Jahren merklich gealtert. Sein Gesicht war tief gefurcht, sein Scheitel noch kahler als zuvor. Er trug zwar die vorgeschriebenen Ketten, aber seine Prätorianerdoppelwache erlaubte ihm, Gäste zu empfangen und Briefe zu schreiben, wohin er wollte.

Bei ihm wohnten einige seiner Anhänger. Er hatte sogar einen eigenen Arzt, einen Juden aus Alexandria, der Lucas hieß. Paulus mußte recht wohlhabend sein, daß er sich seine Gefangenschaft so angenehm einrichten konnte und nicht in eine der stinkenden Gemeinschaftszellen des allgemeinen Gefängnisses gesteckt worden war. Das schlimmste aller Gefängnisse, die Mamertinischen Kerker, kam für ihn nicht in Frage, weil er kein Staatsverbrecher war.

In den Akten wurde er selbstverständlich als Saulus geführt, denn dies war vor dem Gesetz sein Name. Um ihn aber freundlich zu stimmen, nannte ich ihn Paulus. Er erkannte mich sofort wieder und erwiderte meinen Gruß so vertraulich, daß ich es für angebracht hielt, den Schreiber und die beiden Liktoren hinauszuschicken, denn ich wollte später bei der Verhandlung nicht der Befangenheit bezichtigt werden. »Deine Sache steht gut«, sagte ich zu ihm. »Sie wird in den nächsten Tagen verhandelt. Der Kaiser ist jetzt, vor der Geburt seines Erben, sehr milde gestimmt. Du solltest deine Zunge im Zaum halten, wenn du vor ihm stehst.«

Paulus lächelte mit der schmerzlichen Miene eines Mannes, der viel erduldet hat, und antwortete ergeben: »Ich habe den Auftrag, die gute Botschaft zu verkünden, ob nun die Stunde günstig ist oder nicht.«

Aus Neugier fragte ich ihn, warum die Prätorianer ihn als Zauberer betrachteten. Er erzählte eine lange Geschichte von einem Schiffbruch, den er und seine Reisebegleiter auf der Fahrt nach Rom erlitten hatten. Wenn er müde wurde, übernahm der Arzt Lucas das Wort. Paulus versicherte mir, die Anklage wegen Tempelschändung sei falsch oder unbegründet oder beruhe zumindest auf einem Mißverständnis. Der Prokurator Felix würde ihn ohne Zögern freigelassen haben, wenn er, Paulus, bereit gewesen wäre, genug zu zahlen.

Von den Römern wußte er nur Gutes zu sagen, denn dadurch, daß sie ihn gebunden von Jerusalem nach Caesarea führten, retteten sie ihm das Leben. Vierzig glaubenseifrige Juden hatten nämlich geschworen, weder zu essen noch zu trinken, ehe sie ihn nicht getötet hätten. Sie dürften jedoch kaum wirklich verhungert sein, meinte Paulus lächelnd und ohne Groll. Er war außerdem seinen Bewachern dankbar, denn er fürchtete, die rechtgläubigen Juden Roms würden ihn sonst ermorden.

Ich versicherte ihm, daß seine Furcht grundlos war. Unter Claudius waren die Juden streng genug verwarnt worden, und sie enthielten sich deshalb innerhalb der Mauern aller Gewalttaten gegen Christen. Auch hatte Kephas einen beruhigenden Einfluß ausgeübt und bewirkt, daß die Christen sich den Juden fernhielten. Meiner Ansicht nach war dies um so leichter gegangen, als die Anhänger des Jesus von Nazareth, deren Zahl sich dank Kephas beträchtlich vermehrt hatte, nunmehr nur noch in den seltensten Fällen beschnittene Juden waren.

Sowohl der Arzt Lucas als auch Paulus machte eine saure Miene, als ich den Namen Kephas erwähnte. Kephas hatte dem Gefangenen große Freundlichkeit erwiesen und ihm seinen besten Jünger, den griechischen Dolmetsch Marcus, zur Verfügung gestellt. Paulus aber hatte dieses Vertrauen offenkundig mißbraucht und Marcus in seinen eigenen Angelegenheiten auf lange Reisen geschickt, mit Briefen an die Gemeinden, die er gegründet hatte und für sich behalten wollte wie ein Löwe seine Beute. Deshalb wohl sah es Kephas nicht mehr gerne, wenn Christen aus seiner eigenen Herde zu Paulus gingen und dessen dunklen Reden lauschten.

Der Arzt Lucas erzählte mir, daß er zwei Jahre lang in Galiläa und Judäa umhergereist war, um aus dem Munde von Menschen, die ihn selbst gesehen und gehört hatten, alles über das Leben, die Wundertaten und die Lehre jenes Jesus von Nazareth zu erfahren. Er hatte alles genau in aramäischer Sprache aufgezeichnet und dachte nun ernstlich daran, einen eigenen Bericht in griechischer Sprache zu schreiben, um zu beweisen, daß Paulus alles ebensogut wußte wie Kephas. Ein vermögender Grieche namens Theophilus, der von Paulus bekehrt worden war, hatte schon versprochen, das Buch zu verlegen.

Ich vermutete, daß sie reiche Gaben von den Christengemeinden in Korinth und Asia erhielten, über denen Paulus eifersüchtig wachte, damit sie weder mit den rechtgläubigen Juden noch mit den anderen Parteien unter den Christen in Berührung kamen. Er verbrachte die meiste Zeit damit, ihnen Ermahnungen zu schreiben, denn in Rom hatte er nicht viele Anhänger.

Meine Ahnungen sagten mir, daß er nach seiner Freilassung am liebsten in Rom geblieben wäre. Aber ich wußte, daß es überall, wo er erschien. Streit gab. Wenn ich ihn freibekam, was zu erwarten war, zog ich selbst mir den Zorn der Juden zu, und wenn er wirklich in der Stadt blieb, kriegten sich über kurz oder lang die Christen wieder in die Haare. Deshalb sagte ich nun vorsichtig: »Für zwei Hähne ist nicht Platz auf demselben Misthaufen. Um deines eigenen Friedens und des meinen willen würdest du gut daran tun, Rom sofort nach deinem Freispruch zu verlassen.«

Paulus blickte finster vor sich hin, meinte dann aber, Christus habe ihn zu einem ewigen Wanderer gemacht, der an keinem Ort lange verweilen dürfe. Daher sei für ihn die Gefangenschaft eine harte Prüfung gewesen. Er habe den Auftrag erhalten, alle Menschen zu Anhängern Christi zu bekehren, und wolle demnächst in die Provinz Baetica in Iberien reisen. Dort gebe es mehrere Hafenstädte, die von Griechen gegründet worden seien und in denen noch hauptsächlich Griechisch gesprochen werde. Ich legte ihm aus ganzer Überzeugung nahe, womöglich bis nach Britannien zu reisen.

Trotz meiner Ermahnungen und wohlgemeinten Ratschlägen konnte Paulus natürlich nicht den Mund halten, als er im Prätorium vor Nero geführt wurde. Nero war bei guter Laune und rief, sobald er ihn sah: »Der Gefangene ist Jude! Da muß ich ihn freilassen, sonst ist Poppaea mir böse, Sie ist nun im letzten Monat, und sie achtet den Gott der Juden höher als je zuvor.«

Er ließ die Wasseruhr einstellen, um die Länge der Verteidigungsrede zu messen, und vertiefte sich in die Akten der folgenden Prozesse. Paulus pries sich glücklich, Gelegenheit zu erhalten, sich von allen Beschuldigungen reinzuwaschen, und bat Nero, ihn geduldig anzuhören, da ihm die Sitten und die Glaubenslehre der Juden vielleicht doch nicht gut genug bekannt seien. Er begann mit Moses, erzählte sein eigenes Leben und berichtete, wie Jesus von Nazareth sich ihm geoffenbart habe.

Ich schob Nero ein persönliches Gutachten zu, das der Prokurator Festus den Akten beigelegt hatte und in dem er erklärte, er selbst betrachte Paulus als einen harmlosen Toren, dem allzuviel Gelehrsamkeit den Verstand verwirrt hatte. Auch König Herodes Agrippa, der sich in den Glaubensfragen der Juden am besten auskannte, hatte, nachdem er ihn ins Verhör genommen, vorgeschlagen, man solle Paulus auf freien Fuß setzen. Nero nickte und tat, als hörte er aufmerksam zu, obwohl er, wie ich glaube, nicht ein einziges Wort verstand. Paulus konnte gerade noch sagen: »Darum mußte ich den himmlischen Gesichten gehorchen. Ach, daß auch dir die Augen geöffnet würden und du dich von der Finsternis zum Licht wendetest und von der Gewalt Satans zu Gott! Wenn du an Jesus von Nazareth glaubtest, würdest du Vergebung deiner Sünden und ein Erbteil unter den Heiligen erhalten.«

Dann aber klirrte die Wasseruhr, und Paulus mußte schweigen. Nero sagte mit Nachdruck: »Ich verlange nicht von dir, daß du meiner in deinem Testament gedenkst. Ich bin nicht auf das Erbe anderer aus. Das ist nichts als üble Verleumdung, und das kannst du den anderen Juden sagen. Du erweist mir aber einen großen Dienst, wenn du für meine Gemahlin Poppaea Sabina zu deinem Gott betest. Die arme Frau scheint sehr fromm auf den Gott zu vertrauen, von dem du mir gerade sehr überzeugend berichtet hast.«

Er befahl, Paulus von seinen Ketten zu befreien und diese zum Zeichen seines Wohlwollens gegenüber dem Glauben der Juden als Weihgabe dem Tempel zu Jerusalem zu schicken. Ich nehme an, die Juden hatten keine große Freude daran. Die Kosten des Prozesses mußte Paulus selbst bezahlen, da er ja die Berufungsklage eingebracht hatte.

Wir erledigten in wenigen Tagen eine große Anzahl von Prozessen. Die meisten Urteile waren Freisprüche, und es wurden nur solche Prozesse aufgeschoben, bei denen es Tigellinus aus wirtschaftlichen Gründen vorteilhaft erschien, zu warten, bis die Beklagten an Altersschwäche starben, ehe sein Urteil gefällt wurde. Zwei Monate später war ich meines Amtes wieder ledig, mein Fleiß und meine Unbestechlichkeit wurden öffentlich gelobt, und man verleumdete mich nicht mehr so viel wie vorher.

Der Prozeß des Paulus war eine ganz und gar belanglose Angelegenheit. Geschichtlich bedeutsam war dagegen die Verhandlung, die auf die Ermordung des Pedanus Secundus folgte. Wie ich schon berichtete, setzte Nero in seinem Zorn meinen Schwiegervater ab und ernannte an seiner Stelle Pedanus zum Stadtpräfekten. Nur wenige Monate später wurde dieser von einem seiner eigenen Sklaven im Bett erstochen. Der wahre Grund für diesen Mord wurde nie erforscht, aber ich kann aufrichtig versichern, daß zumindest meiner Meinung nach mein Schwiegervater nichts mit dieser Sache zu tun hatte.

Unser altes Gesetz schreibt vor, daß, wenn ein Sklave seinen Herrn ermordet, alle Sklaven unter demselben Dach das Leben verlieren müssen. Es ist ein notwendiges Gesetz, das sich auf lange Erfahrung gründet und der allgemeinen Sicherheit dient. Nun hatte aber Pedanus über fünfhundert Sklaven in seinem Haus, und das Volk versammelte sich und wollte verhindern, daß sie zur Hinrichtung geführt wurden. Der Senat mußte in aller Eile zusammengerufen werden, und wie weit unsere Sitten schon verfallen sind, ersieht man daraus, daß mehrere Senatoren allen Ernstes zu behaupten wagten, das Gesetz dürfe in diesem Fall nicht angewandt werden. Einige Freunde Senecas erklärten in aller Öffentlichkeit, ein Sklave sei ein Mensch, und es gehe nicht an, Unschuldige zusammen mit den Schuldigen zu bestrafen. Der Senator Pudens und mein Vater ergriffen ebenfalls das Wort und widersetzten sich einer solchen Grausamkeit. Man fand sogar eine Entschuldigung für den Sklaven, der sich angeblich nur für erlittenes Unrecht gerächt hatte.

Die anderen aber fragten sich mit vollem Recht, wer sich in seinem eigenen Haus noch sicher fühlen durfte, wenn die Sklaven des Pedanus wirklich begnadigt wurden. Unsere Väter hatten dieses Gesetz geschaffen und damit zu erkennen gegeben, daß sie – mit Recht – auch solchen Sklaven mißtrauten, die im Hause geboren worden waren und ihrem Herrn von Kind auf anhingen. Wir haben heute überdies Sklaven aus den verschiedensten Völkern mit fremden Sitten und fremden Göttern.

Soviel ich weiß, wurde bei dieser Gelegenheit zum erstenmal der Verdacht laut ausgesprochen, daß sich unter den Senatoren selbst Männer befänden, die einem fremden Glauben ergeben seien und nun ihre Glaubensfreunde zu verteidigen versuchten. Bei der Abstimmung siegten jedoch zum Glück für Rom die Anhänger des Gesetzes.

Die Volksmenge, die das Haus des Pedanus umringt hatte, sammelte Steine auf und drohte, die ganze Nachbarschaft in Brand zu stecken. Die Prätorianer mußten zu Hilfe geholt werden, und Nero erließ eine strenge Bekanntmachung. Längs der Straßen, durch die die fünfhundert zum Hinrichtungsplatz geführt wurden, nahmen mehrere Reihen Prätorianer Aufstellung.

Das Volk warf Steine und rief Schimpfworte, aber zu einem regelrechten Aufruhr kam es nicht. Eine beträchtliche Anzahl der Sklaven des Pedanus schien den Christen anzugehören, denn in der Menge gingen andere Christen umher und warnten vor Gewalttaten, da nach ihrer Lehre Böses nicht mit Bösem vergolten werden darf.

Die Vorfälle brachten das eine Gute mit sich, daß mein Schwiegervater wieder in sein Amt eingesetzt wurde. Der Senat, und das Volk hatten einen neuen Gesprächsgegenstand, und auch Poppaeas Schwangerschaft begann nun ein gewisses Mitgefühl zu erwecken.

Nero wollte, daß sein Kind in Antium zur Welt komme, wo er selbst geboren worden war. Vielleicht dachte er, ein solches glückliches Ereignis könne das Landgut, das er nach Agrippina geerbt hatte, von allen traurigen Erinnerungen befreien. Außerdem betrachtete er das heiße, von üblen Gerüchen erfüllte sommerliche Rom als keinen gesunden Ort für die Entbindung.

Ich hatte das Glück, noch einmal mit Poppaea zusammenzutreffen, bevor sie sich nach Antium begab. Die Schwangerschaft hatte sie nicht häßlich gemacht. Ihre Augen hatten einen stillen Glanz, der dem ganzen Gesicht einen sanften, fraulichen Ausdruck verlieh.

Ich fragte sie vorsichtig: »Ist es wahr, daß du den Gott der Juden verehrst? Man behauptet es in Rom, und es heißt auch, du habest Nero dazu gebracht, die Juden auf Kosten anderer zu begünstigen?«

»Du mußt selbst zugeben, daß die Weissagung der Juden sich erfüllt hat«, antwortete Poppaea. »In meinen schwersten Stunden gelobte ich, immer ihren Gott zu verehren, der so mächtig ist, daß es nicht einmal ein Bild von ihm geben darf. Und ebenso mächtig ist Moses. Ich würde es nicht wagen, nach Antium zu reisen, um dort zu gebären, ohne einen jüdischen Arzt mitzunehmen. Auch einige alte jüdische Frauen nehme ich mit, aber vorsichtshalber natürlich auch einen gründlich ausgebildeten griechischen und einen römischen Arzt.«

»Hast du auch von Jesus von Nazareth, dem König der Juden, gehört?« fragte ich.

Poppaea schnaubte durch die Nase und sagte auf ihre launische Art: »Ich weiß, daß es unter den Juden allerlei Heilige gibt. Sie haben strenge Gesetze, aber eine gottesfürchtige Frau in meiner Stellung braucht sich nicht viel um die Gesetze zu kümmern, solange sie nur den behörnten Moses verehrt und kein Blut trinkt.«

Ich erkannte, daß sie ebenso dunkle Vorstellungen vom Glauben der Juden hatte wie alle anderen Römer, die einen Gott ohne Abbild nicht begreifen können. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Wenn Poppaea gewußt hätte, wie sehr die Juden Paulus verabscheuten, würde sie Nero und mir kaum dafür gedankt haben, daß wir ihn freigelassen hatten, damit er weiter bittere Zwietracht unter den Juden säen konnte.

Poppaea reiste also nach Antium, und ich hoffte von Herzen, sie möge recht bald ihr Kind gebären. Nero war während der Wartezeit eine anstrengende Gesellschaft. Sang er, mußte er gelobt werden. Lenkte er sein Viergespann, mußte man seine unvergleichliche Geschicklichkeit preisen. Er trank ganze Nächte hindurch und wählte seine Freunde nicht sehr sorgfältig aus. Auch mit Acte traf er heimlich wieder zusammen, und er knüpfte Beziehungen zu vornehmen Frauen an, die es mit der Heiligkeit der Ehe nicht so genau nahmen. Tigellinus führte ihm seine Knaben zu. Als wir uns einmal darüber unterhielten, berief sich Nero auf das Vorbild der Griechen und brachte die folgende erstaunliche Rechtfertigung vor: »Als mir der Blitz den Becher aus der Hand schlug, wurde ich heilig. Es war ein Zeichen dafür, daß ich nach meinem Tode zum Gott erhöht werden soll. Die Götter sind aber zwiegeschlechtig. Ich könnte mich nicht wirklich göttergleich fühlen, wenn ich nicht zum Zeitvertreib auch hübsche Knaben lieben dürfte, und Poppaea ist es lieber, ich spiele mit Knaben als mit ehrgeizigen Frauen. Sie meint, sie braucht dann wenigstens nicht eifersüchtig zu sein und zu befürchten, ich könnte versehentlich die eine oder andere schwängern.«

Meinen Sohn Jucundus sah ich nur selten. Barbus hatte mein Haus verlassen und war zu Tullia gezogen, da er sich für den Mentor des Knaben ansah. Das war nötig, denn Tullia verwöhnte Jucundus und ließ ihn tun und treiben, was er wollte. Mir wurde er immer mehr entfremdet.

In Sabinas Haus im Tiergarten war ich nur geduldet, wenn sie gerade Geld brauchte. Der kleine Lausus war mir noch fremder als Jucundus. Seine Haut war merkwürdig dunkel und sein Haar kraus. Ich verspürte keine Lust, ihn auf meinen Schoß zu setzen und mit ihm zu spielen. Sabina machte mir deshalb Vorwürfe und nannte mich einen entarteten Vater.

Ich antwortete darauf, daß Lausus unter den Tierbändigern genug Väter zu haben schien, die mit ihm spielten, und ich hatte leider recht. Jedesmal, wenn ich meinen Sohn sehen wollte, war auch gleich Epaphroditus da und drängte sich zwischen ihn und mich, um mir zu zeigen, wie gut er sich mit ihm verstand. Sabina wurde bleich vor Zorn und verlangte, ich solle wenigstens in Gegenwart anderer solche unziemlichen Scherze unterlassen. Sie hatte viele Freundinnen unter den vornehmen Damen, die in den Tiergarten kamen, um ihren Kindern die Tiere zu zeigen und selbst die waghalsigen Kunststücke der Tierbändiger mit begehrlichen Blicken zu bewundern. Es war damals in den vornehmen Häusern Mode, Gazellen und Geparde zu halten, und ich hatte viel Ärger mit gewissenlosen Betrügern, die mein Alleinrecht verletzten und diese Tiere selbst einführten, um sie zu einem niedrigen Preis zu verkaufen. Sogar wilde Bluthunde aus Britannien wurden eingeführt. Ich erzielte gute Preise für die Welpen.

Poppaea kam endlich mit einer wohlgestalteten Tochter nieder. Nero war ebenso entzückt, wie wenn sie ihm einen Sohn geboren hätte. Er überhäufte Poppaea mit Geschenken und benahm sich in jeder Hinsicht wie ein junger Vater, der vor Freude den Verstand verloren hat.

Der ganze Senat reiste nach Antium, um seine Glückwünsche auszusprechen, und mit dem Senat ein jeder, der in Rom jemand zu sein glaubte. Die Flußboote und die von Ostia auslaufenden Schiffe waren überfüllt, und auf dem ziemlich schlechten Landweg von Aricia nach Antium stauten sich die Wagen und Sänften, daß kein Weiterkommen war. Einer meiner Freigelassenen verdiente sich ein Vermögen, indem er entlang des Weges Behelfsherbergen und Garküchen einrichtete.

Das Neugeborene erhielt den Namen Claudia und dazu gleich den Ehrentitel Augusta. Beim Wein kam irgendein Schwachkopf auf den Einfall, Poppaea Sabina auf die gleiche Weise zu ehren, und da Nero selbst zugegen war, wagte keiner zu widersprechen. Poppaea Sabina sandte einige heilige Gegenstände aus Gold als Dankesgabe an den Tempel zu Jerusalem, und ihr jüdischer Arzt wurde zum römischen Bürger gemacht.

Ich für mein Teil hatte mich beizeiten vorbereitet, und wir führten während dieser Freudentage in dem hölzernen Theater so prächtige Tierkämpfe vor, daß wir, wie ich in aller Unbescheidenheit selbst sagen muß, wenigstens dieses eine Mal die Wagenrennen im großen Zirkus in der Gunst des Volkes ausstachen. Die Vestalinnen ehrten meine Vorführung durch ihre Anwesenheit, und man versicherte mir, es sei mir gelungen, die Tierdressur zur schönen Kunst zu erheben.

Sabina fuhr als Amazone gekleidet in einem goldenen, von vier Löwen gezogenen Wagen um die Arena und nahm den brausenden Beifall entgegen. Es war mir unter großen Schwierigkeiten gelungen, haarige Riesenaffen als Ersatz für die beiden an Schwindsucht eingegangenen aus Afrika herbeizuschaffen. Sie waren ganz klein im Tiergarten angekommen und von gelbhäutigen Zwergen gefüttert und aufgezogen worden, die im dunkelsten Afrika mit den großen Affen zusammenleben.

Diese Affen verstanden es, Steine und Knüppel als Waffen zu gebrauchen, wenn sie miteinander kämpften, und den gelehrigsten hatten wir als Gladiator verkleidet. Ein Teil der Zuschauer glaubte, sie seien Menschen und nicht Tiere. Es gab deshalb einen Streit und schließlich eine Schlägerei, bei der ein Bürger getötet wurde und einige Dutzend mehr Verletzungen davontrugen. Eine geglücktere Vorstellung hätte man sich nicht wünschen können.

Ich wurde endlich für alle meine Auslagen und Verluste entschädigt. Seneca, der so geizig über die Staatskasse gewacht hatte, war nicht mehr da. Nero verstand nichts vom Geldwesen und begriff den Unterschied zwischen der Staatskasse und der kaiserlichen Privatkasse noch immer nicht ganz. Ich stellte daher meine Forderungen an beide und legte das Geld, das ich erhielt, mit Hilfe meiner Freigelassenen in Mietshäusern in Rom und Ländereien bei Caere an.

Neros Vaterglück war jedoch nicht von langer Dauer. Der Herbst war regnerisch. Der Tiber schwoll beunruhigend an, und mit den giftigen Dünsten verbreitete sich in der Stadt eine Halskrankheit, die für Erwachsene nicht lebensgefährlich war, aber zahllose Kinder im zarten Alter hinraffte.

Auch Nero erkrankte. Er wurde so heiser, daß er nicht ein Wort hervorbrachte und schon fürchtete, seine Singstimme für alle Zeit verloren zu haben. In allen Tempeln wurden, vom Staat und von einzelnen Bürgern, Versöhnungsopfer für seine Stimme dargebracht. Doch kaum begann er zu genesen, da erkrankte seine Tochter und starb trotz den Anstrengungen der Ärzte und den Gebeten der Juden innerhalb weniger Tage. Poppaea war von den Nachtwachen und vor Kummer wie von Sinnen und machte Nero heftige Vorwürfe, weil er trotz seinem kranken Hals nicht davon abgelassen hatte, das Kind zu umarmen und zu küssen.

Nero dagegen kam zu der abergläubischen Auffassung, die öffentlichen und privaten Opfer hätten nicht ausgereicht, die Götter zu besänftigen und seine Stimme zu retten, und die Götter hätten auch noch seine Tochter gefordert. Dies bestärkte ihn in der Überzeugung, daß er ausersehen sei, der größte Künstler seiner Zeit zu werden, und linderte seinen Kummer.

Der Senat verlieh Claudia Augusta göttlichen Rang, ließ sie wie eine Göttin bestatten und einen Tempel für sie errichten und ernannte ein eigenes Priesterkollegium. Nero war insgeheim überzeugt, daß in dem neuen Tempel in Wirklichkeit seine Stimme verehrt wurde, die von den Opfern immer besser werden mußte.

Daher erhielt das neue Priesterkollegium neben den öffentlichen Opfern noch ein besonderes, geheimes Ritual aufgetragen, das keinem Außenstehenden enthüllt werden durfte. Und wirklich wurde Neros Stimme, ganz wie nach Agrippinas Tod, kräftiger. Sie klang wie Erz und süß wie Honig zugleich, so daß die Zuhörer tiefinnerlich erzitterten. In mir rührte sich allerdings nichts. Ich gebe nur wieder, was sachkundigere Beurteiler ihm versicherten.

Nero nahm zu, seine Wangen wurden feist, er mästete sich, denn man hatte ihm gesagt, ein guter Sänger müsse reichlich Fleisch auf den Knochen haben, um die Anstrengungen des Singens zu ertragen. Und Poppaea war es lieber, er vertrieb sich die Zeit mit Gesangsübungen, als daß er wieder in sein Luderleben zurückfiel.

Nach dem Tod seiner Tochter widmete sich Nero den ganzen Winter der Ausbildung seiner Stimme, und das in dem Maße, daß er die Staatsgeschäfte als eine überflüssige Sorge ansah. Er versäumte die Versammlungen des Senats, weil er fürchtete, er könnte sich auf dem eiskalten Boden der Kurie erkälten. Wenn er wirklich einmal kam, wie üblich zu Fuß, hatte er die Füße mit Wolle umwickelt. Er erhob sich auch von seinem Platz, wenn ein Konsul ihn anredete. Sobald er aber das erstemal niesen mußte, entfernte er sich eilig und überließ es dem zuständigen Senatsausschuß, die wichtigsten Angelegenheiten zu entscheiden.


Während des Winters, kurz vor dem Saturnalienfest, wollte Claudia mich einmal dringend sprechen, um, wie sie mir sagen ließ, unter vier Augen etwas Wichtiges mit mir zu erörtern. Als ich meine täglichen Geschäfte mit meinen Klienten und Freigelassenen erledigt hatte, ließ ich sie rufen, fürchtete jedoch, sie werde wieder davon anfangen, daß ich mich bessern und die Taufe der Christen annehmen müsse.

Aber Claudia rang die Hände und sagte klagend: »Ach Minutus, ich bin eine Beute meiner widerstrebenden Gefühle, und es zieht mich bald hierhin, bald dorthin. Ich habe etwas getan, was ich dir bisher noch nicht zu sagen wagte. Doch sieh mich erst einmal an. Findest du nicht, daß ich mich verändert habe?«

Sie war mir wegen ihrer unaufhörlichen Nörgelei und ihrer christlichen Neunmalklugheit seit langem so widerwärtig gewesen, daß ich sie nie hatte ansehen mögen. Nun besänftigte mich aber ihre Demut, ich betrachtete sie näher und bemerkte zu meiner Verblüffung, daß die Sonnenbräune der Sklavin aus ihrem Gesicht verschwunden war. Sie war schön gekleidet und hatte sich das Haar nach der neuesten griechischen Mode gelegt.

Ich schlug die Hände zusammen und rief aufrichtig und ohne ihr schmeicheln zu wollen: »Du siehst aus wie die vornehmste Römerin. Ich glaube gar, du wäschst dein Gesicht heimlich mit Eselsmilch!«

Claudia errötete bis zum Hals und sagte rasch: »Nicht aus Eitelkeit pflege ich mich, sondern weil du mir deinen großen Haushalt anvertraut hast. Bescheidenheit und ein schlichter Sinn sind die schönste Zierde einer Frau, aber nicht in den Augen deiner Klienten und der Fleischhändler in den Markthallen. Ich meinte jedoch etwas anderes: entdeckst du in meinem Gesicht nicht eine gewisse Ähnlichkeit mit Kaiser Claudius?«

Ich beruhigte sie: »Nein, ganz gewiß nicht. Sei ohne Sorge. Der alte Claudius brauchte sich auf sein Aussehen nichts einzubilden. Du aber bist eine schöne, reife Frau, vor allem da du dir nun, wie ich sehe, die dichten Brauen auszupfst.«

Claudia war offenbar enttäuscht. »Du irrst dich ganz bestimmt«, sagte sie verdrossen. »Tante Paulina und ich haben in aller Heimlichkeit meine Halbschwester Antonia besucht, die uns in ihrer Einsamkeit dauert. Claudius ließ ihren ersten Gatten ermorden und Nero den zweiten. Daher wagt, seit sie aus Massilia zurückgekehrt ist, niemand mit ihr Umgang zu haben. Ihre Leiden haben sie gelehrt, die Dinge anders zu betrachten als zuvor. Sie bot uns Honigwein und Obsttorten an und schenkte mir ein goldenes Haarnetz. Wie die Dinge nun stehen, wäre sie vielleicht bereit, mich öffentlich als ihre Schwester anzuerkennen. Von den echten Claudiern sind nur noch sie und ich übrig.« Ich erschrak, als ich erkannte, wie sehr sie sich in ihrem weiblichen Ehrgeiz an eitle Einbildungen klammerte.

»Hast du vergessen, daß dich Agrippina auf die bloße Andeutung deiner Herkunft hin durch falsche Zeugenaussagen in Schande und Unglück stürzte?« rief ich. »Als Adoptivsohn des Claudius wird Nero kaum erfreut sein, wenn er erfährt, daß er noch eine Schwester hat!«

»Ich habe Antonia natürlich nicht gesagt, was mir widerfahren ist«, sagte Claudia verärgert. »Ich gab ihr zu verstehen, ich hätte mich aus Furcht vor Agrippina auf dem Lande versteckt, und das ist zum Teil sogar wahr. Meine bösen Erinnerungen waren wie durch Gnade ausgelöscht, sobald ich es über mich brachte, Agrippina in meinem Herzen zu verzeihen. Ich habe, wie du dich vielleicht erinnern wirst, im Sklavinnenkleid und mit geschorenen Haaren und Augenbrauen Buße getan und fühle mich rein und frei von der Sünde, an der ich nicht selbst schuld war.«

Sie sah mich mit seltsam glänzenden Augen an, seufzte so schwer, daß sich ihr fülliger Busen hob, und ergriff mit beiden Händen eine der meinen, als ich erschrocken zurückwich.

»Wie soll ich das alles verstehen, unglückliche Claudia?« fragte ich.

»Minutus«, sagte sie. »Du weißt wohl selbst, daß du nicht so weiterleben kannst. Deine Ehe mit Sabina ist keine richtige Ehe. Du bist dumm und scheinst das noch nicht begriffen zu haben. Ganz Rom lacht darüber. In deiner Jugend gabst du mir ein gewisses Versprechen. Nun bist du ein erwachsener Mann, und der Altersunterschied zwischen uns beiden ist nicht mehr so groß wie damals, ja man bemerkt ihn kaum noch. Minutus, du mußt dich um deines eigenen Ansehens willen von Sabina scheiden lassen.«

Ich fühlte mich wie ein Tier, das man in eine Ecke seines Käfigs drängt und mit glühenden Stangen bändigt. »Das kann nicht dein Ernst sein«, sagte ich. »Der Aberglaube der Christen hat deine Sinne verwirrt, was ich schon seit langem befürchte.«

Claudia starrte mich unverwandt an und sagte klagend: »Ein Christ muß die Unzucht meiden. Aber Jesus von Nazareth soll gesagt haben, wer eine Frau mit begehrlichen Blicken betrachtet, der treibt in seinem Herzen schon Hurerei mit ihr. Ich habe es unlängst erst gehört, und ich weiß, daß dieses Wort auch für eine Frau gilt. Deshalb ist mir das Leben unerträglich, denn ich sehe dich jeden Tag und fühle ein heißes Begehren in meinem Herzen. In den Nächten werfe ich mich ruhelos in meinem Bett hin und her und beiße vor Sehnsucht in mein Kissen.«

Ich fühlte mich unwillkürlich geschmeichelt und betrachtete sie mit anderen Augen. »Warum hast du mir das nicht früher gesagt?« fragte ich. »Ich hätte ja aus reiner Barmherzigkeit die eine oder andere Nacht zu dir kommen können! Mir selbst ist es nie eingefallen, weil du immerzu mit mir gestritten hast.«

Claudia schüttelte heftig den Kopf: »Deine Barmherzigkeit brauche ich nicht. Ich würde eine große Sünde begehen, wenn ich ohne das Band der Ehe in dein Bett käme. Daß du mir so etwas vorschlägst, zeigt mir, wie verhärtet dein Herz ist und wie niedrig du mich einschätzt.«

Mein Taktgefühl verbot mir, sie daran zu erinnern, wie tief gesunken sie war, als ich sie wiederfand. Ihre Absichten waren so wahnwitzig, daß ich vor Schreck verstummte. Aber Claudia fuhr fort: »Antonia könnte vor den Vestalinnen den heiligsten Eid schwören, daß ich eine Tochter des Claudius bin und vom selben Blute wie sie. Sie wäre wahrscheinlich auch dazu bereit, und sei es nur, um Nero zu ärgern. Eine Ehe mit mir wäre dann für dich nicht ohne Vorteil. Wenn wir ein Kind hätten, wüßten die Vestalinnen von seiner hohen Geburt, und wenn sich einmal die Verhältnisse ändern, könnte dein und mein Sohn zu den höchsten Ämtern Roms aufsteigen. Antonia ist sehr unglücklich darüber, daß ihre beiden Ehen kinderlos geblieben sind.«

Ich konnte mich nicht mehr beherrschen und schrie: »Wie sollte ein verdorrter Baum frische Sprosse treiben! Denk doch, was du gewesen bist!«

»Ich bin eine Frau!« rief Claudia tief gekränkt. »Mein Leib beweist es mir jeden Monat. Ich habe dir gesagt, daß ich von meiner Vergangenheit gereinigt bin. Du kannst dich selbst davon überzeugen, wenn du willst.«

Als ich aus dem Raum zu fliehen versuchte, vertrat sie mir den Weg. Wir begannen miteinander zu ringen, und plötzlich hielt ich sie in meinen Armen. Alte Wunden jucken, und ich war lange bei keiner Frau gelegen. Ehe wir noch wußten, wie uns geschah, küßten wir uns leidenschaftlich, und Claudia verlor alle Beherrschung. Später weinte sie zwar bitter, aber sie hielt mich fest umschlungen und sagte: »Mein unzüchtiges Benehmen beweist am besten, daß ich die Tochter des lasterhaften Claudius bin. Da du mich aber zur Sünde verleitet hast, mußt du es auch wiedergutmachen. Wenn du ein Mann bist, gehst du zu Sabina und sprichst mit ihr über die Scheidung.«

»Ich habe aber einen Sohn mit ihr«, wandte ich ein. »Die Flavier würden es mir nie verzeihen. Und Sabinas Vater ist Stadtpräfekt. Ich würde meine Stellung verlieren.«

»Ich will Sabina ja nicht verleugnen«, sagte Claudia mit unschuldsvoller Miene. »Es gibt aber einige Christen unter den Angestellten des Tiergartens, und die haben mir von Sabinas sittenlosem Lebenswandel einiges berichtet.«

Ich mußte lachen. »Sabina ist eine kalte, geschlechtslose Frau«, sagte ich voll Verachtung. »Das muß ich selbst wohl am besten wissen. Nein, ich finde keinen stichhaltigen Scheidungsgrund, denn sie hat nicht einmal etwas dagegen, daß ich meine Gelüste an anderen Frauen befriedige. Vor allem aber, das weiß ich genau, wird sie sich nie von den Löwen trennen wollen. Die sind ihr lieber als ich.«

»Was hindert sie daran, im Tiergarten zu bleiben?« wandte Claudia sehr vernünftig ein. »Sie hat dort ihr eigenes Haus, das du ohnehin nur noch selten aufsuchst. Ihr könnt ja auch nach der Scheidung noch gute Freunde sein. Sag ihr, du weißt alles und willst dich ohne großes Aufsehen von ihr scheiden lassen. Der Kleine kann ja deinen Namen behalten, da du ihn nun einmal in deiner Leichtgläubigkeit und Einfalt auf deine Knie gesetzt hast und dies nicht mehr widerrufen werden kann.«

»Willst du etwa andeuten, Lausus sei nicht mein Sohn?« fragte ich verwundert. »Daß du so boshaft bist, hätte ich nicht gedacht. Wo bleibt da deine christliche Nächstenliebe?«

Claudia geriet außer sich und schrie: »Es gibt nicht einen Menschen in ganz Rom, der nicht wüßte, daß er nicht dein Sohn ist. Sabina hat es mit Tierbändigern und Sklaven und bestimmt auch mit den Affen getrieben. Nero lacht über dich hinter deinem Rücken, von deinen anderen schönen Freunden ganz zu schweigen.«

Ich hob meine Toga vom Boden auf, schlang sie um mich und ordnete den Faltenwurf, so gut ich es mit meinen vor Zorn zitternden Händen vermochte.

»Nur um dir zu beweisen, was dein niederträchtiges Geschwätz wert ist, gehe ich jetzt zu Sabina und rede mit ihr!« rief ich. »Dann komme ich zurück und lasse dich vor meinen Genien auspeitschen, weil du eine untaugliche Beschließerin und ein gift spritzendes Lästermaul bist. Danach kannst du in den Lumpen, in denen du gekommen bist, zu deinen Christen gehen.«

Ich rannte wie von den Furien gehetzt mit flatternder Toga geradewegs in den Tiergarten, so daß ich weder das Gedränge auf den Straßen bemerkte noch die Grüße erwiderte, die mir allenthalben entboten wurden. Ich ließ mich nicht einmal, wie es die gute Sitte erfordert hätte, bei meiner Gattin anmelden, sondern stürzte in ihr Zimmer, ohne der Sklaven zu achten, die mich aufzuhalten versuchten.

Sabina machte sich aus Epaphroditus’ Armen frei, fuhr rasend wie eine verwundete Löwin auf mich los und schrie mit flammendem Blick: »Wie führst du dich auf, Minutus! Hast du den letzten Rest Vernunft verloren? Wie du sahst, war ich gerade dabei, Epaphroditus mit der Zungenspitze ein Staubkorn aus dem Auge zu nehmen. Er ist halb erblindet und kann sich nicht einmal mehr um die Löwen kümmern, die wir unlängst aus Numidien bekommen haben.«

Ich schrie zurück: »Schweig! Ich habe mit eigenen Augen gesehen, daß vielmehr er gerade dabei war, nach einer gewissen Stelle an dir zu suchen. Reicht mir mein Schwert, daß ich diesen schamlosen Sklaven erschlage, der in mein Ehebett spuckt!«

Sabina verhüllte ihre Nacktheit, befahl den erschrockenen Sklaven, sich zu entfernen, und schloß die Tür. »Du weißt, daß wir immer so leicht gekleidet wie nur möglich üben«, sagte sie. »Wehende Kleider reizen die Löwen nur. Du hast dich geirrt. Bitte Epaphroditus sofort um Vergebung dafür, daß du ihn beleidigt und einen Sklaven genannt hast. Er hat längst den Freilassungsstab erhalten und für seine Verdienste im Amphitheater das römische Bürgerrecht aus Neros eigener Hand.«

Nur halb überzeugt, rief ich weiter laut nach meinem Schwert und sagte: »Hier und jetzt fordere ich von dir eine Erklärung, was es mit den schändlichen Gerüchten auf sich hat, die über dich in Rom verbreitet werden. Morgen bitte ich den Kaiser um die Scheidung.«

Sabina erstarrte, warf Epaphroditus einen bedeutsamen Blick zu und sagte kalt: »Erwürge ihn. Wir rollen ihn in einen Teppich und werfen ihn in den Löwenkäfig. Es ist schon so mancher verunglückt, als er mit Raubtieren spielte.«

Epaphroditus kam auf mich zu und streckte seine riesigen Hände nach mir aus. Er war kräftig gebaut und um einen ganzen Kopf größer als ich. Trotz meinem begreiflichen Zorn begann ich für mein Leben zu fürchten und sagte hastig: »Versteh mich recht, Sabina. Warum sollte ich den Vater meines Sohnes beleidigen wollen! Epaphroditus ist römischer Bürger und mir dadurch ebenbürtig. Laß uns dies in Ruhe besprechen. Es will doch keiner von uns einen öffentlichen Skandal!«

Auch Epaphroditus sagte begütigend: »Hör auf ihn, Sabina. Ich bin ein harter Mann, aber ich möchte nur ungern deinen Gatten töten. Er hat beide Augen zugedrückt und uns tun lassen, was wir wollten. Wenn er jetzt die Scheidung verlangt, wird er wohl seine eigenen Gründe haben. Wie oft hast du nach deiner Freiheit geseufzt! Nimm Vernunft an, Sabina.«

Aber Sabina verhöhnte ihn und schrie so zornig wie zuvor: »Wirst du weich in den Knien, wenn du dieses glatte Narbengesicht siehst, du Riesenkerl! Beim Herkules, das Beste an dir ist größer als dein Mut. Begreifst du nicht, daß es klüger ist, ihn einfach zu erwürgen und zu erben, was er hat, als seinetwegen verspottet zu werden?«

Epaphroditus wich meinem Blick aus und legte mir mit einem so eisenharten Griff die Finger um den Hals, daß jeder Widerstand sinnlos war. Meine Stimme erstickte, und es wurde mir schwarz vor Augen, aber ich gab durch Zeichen zu verstehen, daß ich bereit war, um mein Leben zu handeln. Als Epaphroditus seinen Griff gelockert hatte, sagte ich röchelnd: »Es versteht sich von selbst, daß du dein Eigentum behältst und im Tiergarten bleibst, wenn wir wie vernünftige Menschen auseinandergehen. Verzeih mir meine ganz unnötige Erregung, liebe Sabina. Dein Sohn trägt selbstverständlich weiter meinen Namen und erbt nach mir, wenn einmal die Zeit gekommen ist. Um der Liebe willen, die uns einst verband, möchte ich nicht, daß du dich eines Verbrechens schuldig machst, das früher oder später doch entdeckt wird. Laß uns Wein trinken und ein Versöhnungsmahl halten, du und ich und mein Schwager, vor dessen Körperkräften ich die größte Achtung hege.«

Epaphroditus brach plötzlich in Tränen aus, umarmte mich und rief: »Nein, ich kann dich nicht erwürgen! Wir wollen Freunde sein, alle drei. Es ist eine Ehre für mich, wenn du wirklich am selben Tisch mit mir essen willst.«

Vor Schmerz und Erleichterung stiegen auch mir die Tränen in die Augen. »Das ist das mindeste, was ich tun kann«, sagte ich und legte meinen Arm um seine breiten Schultern. »Meine Gattin habe ich schon mit dir geteilt, daher ist deine Ehre auch meine Ehre.«

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