Poppaeas Vater Lollius hatte als junger Mann dem Freundeskreis des Verschwörers Sejanus angehört und war deshalb in ewige Ungnade gefallen. Lollia Poppaea war mit einem ziemlich unbedeutenden Ritter namens Crispinus vermählt und hatte den Namen ihres Großvaters mütterlicherseits, Poppaeus Sabinus, angenommen, da der Name ihres Vaters einen schlechten Klang hatte. Dieser Großvater hatte den Konsulsrang innegehabt und seinerzeit sogar einen Triumph gefeiert.

Poppaea war also mit Flavius Sabinus verwandt, wenn auch auf eine so verzwickte Weise, daß mir nie recht klargeworden ist, wie. Tante Laelias Gedächtnis hatte schon sehr gelitten. Sie brachte die verschiedensten Personen durcheinander und konnte mich auch nicht aufklären. Als ich Poppaea begrüßte, sagte ich zu ihr, ich bedauerte, daß meine Gattin Sabina mit ihr leider nur den Namen gemeinsam habe.

Poppaea sperrte unschuldsvoll ihre großen rauchgrauen Augen auf, die, wie ich später bemerkte, die Farbe je nach Stimmung und Beleuchtung wechselten, tat, als hätte sie nicht verstanden, was ich meinte, und fragte: »Findest du, ich sei nach einem einzigen Kindbett so alt und unansehnlich geworden, daß ich mich nicht mehr mit der jungfräulichen Artemis Sabina vergleichen kann? Wir sind gleichalt, deine Sabina und ich.« Mir wurde heiß, als ich ihr in die Augen sah, und ich sagte rasch: »Nein, ich meine, daß du die züchtigste verheiratete Frau bist, die mir in Rom begegnet ist, und ich muß deine Schönheit bewundern, nun da ich dich zum erstenmal ohne Schleier sehe.«

Poppaea erwiderte mit einem scheuen Lächeln: »Ich muß in der Sonne immer einen Schleier tragen, weil meine Haut so empfindlich ist. Ich beneide deine Sabina, die kräftig und braungebrannt wie eine Diana mit der Peitsche in der Hand im Sonnenglast in der Arena stehen kann.«

»Sie ist nicht meine Sabina, wenn wir auch nach der längeren Formel getraut sind«, sagte ich bitter. »Sie ist eher die Sabina der Löwen und der Tierbändiger. Sie kennt keine Scham, ihre Lieblingsgesellschaft ist nicht anständig, und ihre Sprache wird von Jahr zu Jahr gröber.«

»Vergiß nicht, daß wir miteinander verwandt sind, sie und ich«, mahnte mich Poppaea Sabina. »Aber abgesehen davon bin ich nicht die einzige Frau in Rom, die sich darüber wundert, daß ein fein empfindender Mann wie du sich ausgerechnet Sabina ausgesucht hat, obwohl er andere hätte haben können.«

Ich wies mit finsterer Miene auf meine Umgebung und deutete an, daß es noch mehr Gründe für eine Ehe gebe als nur gegenseitige Zuneigung. Flavia Sabinas Vater war Präfekt von Rom, und ihr Onkel hatte das Triumphrecht. Ich weiß nicht, wie es kam, aber Poppaeas scheue Gegenwart erregte mich, und ich begann von diesem und jenem zu plaudern. Es dauerte nicht lang, und Poppaea gestand mir errötend, wie sehr sie unter der Ehe mit einem eitlen Prätorianerzenturio litt.

»Von einem wirklichen Mann verlangt man ja mehr als nur ein hochfahrendes Wesen, einen blinkenden Brustharnisch und einen roten Helmbusch«, sagte sie beziehungsvoll. »Ich war ein unschuldiges Kind, als ich mit ihm vermählt wurde. Ich bin, wie du siehst, sehr zart, und meine Haut ist so empfindlich, daß ich mein Gesicht jeden Tag mit in Eselsmilch getunktem Weizenbrot behandeln muß.«

Ganz so zart, wie sie behauptete, war sie auch wieder nicht; das fühlte ich, als sie, ohne es zu bemerken, ihre eine Brust in meine Armbeuge drückte. Ihre Haut war so strahlend weiß, daß ich dergleichen nie zuvor gesehen hatte. Ich wußte nicht, womit ich sie vergleichen sollte, denn ich bin kein Dichter. Ich murmelte etwas von Gold und Elfenbein, aber ich glaube, daß mein Blick deutlicher als alles andere ausdrückte, wie sehr mich ihre junge Schönheit bezauberte.

Wir konnten nicht so lange miteinander plaudern, wie ich gern gewollt hätte, da ich meinen Pflichten als Schwiegersohn nachkommen mußte. Ich tat es jedoch zerstreut und vermochte an nichts anderes zu denken als an Poppaeas rauchgraue Augen und schimmernde Haut, und als ich die Schutzgeister des Hauses anrief und die uralten Beschwörungen hersagte, geriet ich ins Stottern.

Zuletzt zog mich meine Gattin Sabina beiseite und sagte spitz: »Du hast ganz glasige Augen und ein rotes Gesicht, dabei ist doch fast noch gar kein Wein getrunken worden. Laß dich nicht von Poppaea umgarnen. Sie ist eine berechnende kleine Hündin. Sie hat freilich ihren Preis, aber ich fürchte, der ist zu hoch für einen Dummkopf wie dich.«

Ich nahm ihr diese Worte sehr übel, denn Poppaea war so bescheiden, und ihr Benehmen war so unschuldsvoll, daß man sich unmöglich täuschen konnte. Zugleich aber erregte mich Sabinas gehässige Behauptung und weckte in mir den Gedanken, daß ich vielleicht gewisse Möglichkeiten hätte, wenn es mir nur gelänge, mich Poppaea behutsam und taktvoll genug zu nähern.

Als ich mich für eine Weile meiner Pflichten entledigt hatte, knüpfte ich daher ein neues Gespräch mit ihr an, was nicht schwer war, da die anderen Frauen ihre Gesellschaft offenbar mieden. Die Männer ihrerseits hatten sich um den Ehrengast versammelt, der, ohne sich ein Blatt vor den Mund zu nehmen, von seinen Kriegserlebnissen in Britannien berichtete.

Meinen verblendeten Augen erschien Poppaea wie ein kleines verlassenes Mädchen, so stolz sie auch ihren blonden Kopf in die Höhe reckte. Eine große Zärtlichkeit ergriff mich. Als ich aber wie unbeabsichtigt ihren nackten Arm berührte, fuhr sie auf, rückte ein Stück von mir ab und sah mich an mit einem Blick, in dem sich die tiefste Enttäuschung spiegelte.

»Willst du nur das, Minutus?« flüsterte sie. »Bist du gleich wie alle anderen Männer, obwohl ich hoffte, in dir einen Freund zu finden? Verstehst du nun, warum ich lieber mein Gesicht hinter einem Schleier verberge, als daß ich es allen lüsternen Blicken aussetze? Denk daran, daß ich verheiratet bin. Nur wenn ich die Scheidung bekäme, könnte ich mich frei fühlen.«

Ich verwahrte mich gegen ihre Verwürfe und versicherte, ich würde mir lieber die Pulsadern öffnen, als sie kränken. Sie bekam feuchte Augen und lehnte sich gegen mich, so daß ich ihre Wärme spürte. Ihren weiteren Worten entnahm ich, daß sie kein Geld für einen Scheidungsprozeß hatte und daß ihre Ehe eigentlich nur durch den Kaiser selbst aufgelöst werden konnte, da sie Patrizierin war. Sie kannte jedoch nicht genug einflußreiche Personen im Palast, um ihre Angelegenheit Nero vortragen zu lassen.

»Ich habe die ganze Gemeinheit der Männer erfahren müssen«, sagte sie. »Wenn ich mich an einen Fremden wende und um Hilfe bitte, versucht er nur, meine Wehrlosigkeit auszunützen. Hätte ich nur einen einzigen wahren Freund, der sich mit meiner ewigen Dankbarkeit begnügte, ohne Dinge von mir zu verlangen, die zu gewähren meine Schamhaftigkeit mir verbietet!«

Das Ende vom Lied war, daß ich sie vom Fest nach Hause begleitete. Ihr Gatte Crispinus erlaubte es mir gern, um selbst in Ruhe und Frieden weitertrinken zu können. Die beiden waren so arm, daß sie nicht einmal eine eigene Sänfte besaßen. Ich bot Poppaea die meine an. Sie zögerte zuerst, setzte sich dann aber neben mich, so daß ich während des ganzen Weges ihre Nähe fühlte.

Wir ließen uns jedoch nicht gleich zum Prätorianerlager tragen, denn die Nacht war schön und sternenklar, und Poppaea verspürte ebensowenig Sehnsucht nach dem Schweißgeruch des Lagers wie ich nach dem Gestank des Tiergartens. Zuerst genossen wir vom nächsten Hügel die Aussicht über den erleuchteten Markt, und kurz darauf befanden wir uns auf einmal in meinem Haus auf dem Aventin, weil Poppaea Tante Laelia nach irgend etwas fragen wollte, was ihren armen Vater betraf. Tante Laelia war natürlich schon schlafen gegangen, und Poppaea brachte es nicht über sich, sie wecken zu lassen. Wir waren also allein und tranken ein wenig Wein, während wir zusahen, wie über dem Palatin der Morgen heraufzog. Und wir träumten, wie es sein könnte, wenn sie und ich frei wären.

Poppaea lehnte sich vertrauensvoll gegen mich und gestand mir, daß sie sich schon immer nach einer reinen, selbstlosen Freundschaft gesehnt und sie nie gefunden habe. Nachdem ich sie recht herzlich gebeten hatte, erlaubte sie mir, ihr eine ansehnliche Summe zu leihen, damit sie die Scheidung einreichen konnte.

Um ihr Mut zu machen, erzählte ich ihr von Neros seltener Menschenfreundlichkeit, seinem Edelmut gegenüber seinen Freunden und noch so manchen anderen Eigenschaften, denn Poppaea war nach Frauenart neugierig und noch nie selbst mit Nero zusammengetroffen. Auch von Acte erzählte ich ihr, von ihrer Schönheit und ihrem untadeligen Auftreten, und von anderen Frauen, mit denen Nero zu tun gehabt hatte. Ich versicherte ihr, daß Nero seine Ehe mit Octavia noch nicht vollzogen hatte, da sie ihm sowohl als die Schwester des Britannicus wie auch als seine eigene Halbschwester zuwider war.

Poppaea Sabina verstand es, mir zu schmeicheln, und verleitete mich durch so geschickte Fragen dazu, immer mehr zu erzählen, daß ich ihren Verstand nicht minder als ihre Schönheit zu bewundern begann. Es dünkte mich erstaunlich, daß eine so liebliche, empfindsame Frau, die schon einen Sohn geboren hatte, noch immer wie ein unberührtes Mädchen wirken und in ihrer Unverderbtheit tiefen Widerwillen gegen die Laster des Hofes fühlen konnte, und ich bewunderte sie darum nur noch um so mehr. Je deutlicher ich ahnte, wie unnahbar sie war, desto begehrenswerter wurde sie für mich.

Als wir uns bei Sonnenaufgang, kurz bevor die Hörner erklangen, trennten, erlaubte sie mir, ihr einen Freundschaftskuß zu geben, und als ich ihre weichen Lippen unter den meinen schmelzen fühlte, ergriff mich ein solches Entzücken, daß ich schwor, alles zu tun, was in meiner Macht stand, um sie aus ihrer unwürdigen Ehe zu befreien.

An den folgenden Tagen lebte ich wie im Traum. Alle Farben leuchteten stärker als je zuvor, die Sonne strahlte heller, die Dunkelheit der Nächte erschien mir warm und weich. Ich war wie berauscht und versuchte sogar Gedichte zu schreiben. Wir trafen uns im Minervatempel und taten, als betrachteten wir die Gemälde und Skulpturen der griechischen Meister.

Poppaea Sabina sagte mir, daß sie mit ihrem Gatten gesprochen habe. Crispinus sei mit der Scheidung einverstanden, sofern man ihm eine angemessene Entschädigung zahle. Mit hinreißend klarer Vernunft bewies mir Poppaea, daß es besser sei, das Geld Crispinus zu geben, als es für die Advokaten hinauszuwerfen und gegenseitige Beschuldigungen zu erfinden, die dann wieder bewiesen werden müßten und letzten Endes nur zu einem öffentlichen Skandal führen würden.

Der bloße Gedanke, daß sie noch mehr Geld von mir annehmen sollte, entsetzte sie jedoch. Sie hatte ja noch kostbaren Schmuck, den sie verkaufen könnte, sagte sie. Es handelte sich zwar um Familienerbstücke, die ihr teuer waren, aber noch teurer war ihr die Freiheit.

Ich schämte mich förmlich, als ich Poppaea dennoch zwang, eine Zahlungsanweisung auf meinen Bankier anzunehmen. Nun brauchte also nur noch Neros Zustimmung zur Auflösung der Ehe eingeholt zu werden, die er als oberster Pontifex jederzeit geben konnte, denn dieses Amt stand ihm zu, wenn er es auch nicht ausüben wollte, weil, wie er sagte, die religiösen Pflichten seine ohnehin schwere Arbeitslast vollends unerträglich gemacht hätten.

Ich fürchtete etwas zu verderben, wenn ich selbst mit Nero sprach, denn er hätte mich unlauterer Absichten verdächtigen können, da ich ja selbst nach der längeren Formel getraut war. Außerdem hatte Nero des öfteren spöttisch bemerkt, es sei besser, wenn ich mich an die Angelegenheiten des Tiergartens hielte, auf die ich mich verstünde, und mich nicht in Gespräche über Philosophie oder Musik einmischte, und das grämte mich.

Ich suchte nach einem Mittelsmann und verfiel zuletzt auf Otho, der Neros bester Freund war und so viel Geld und Einfluß hatte, daß er es wagte, mit ihm zu streiten, wenn es ihm dafürstand. Otho tat sich einiges auf seine zarte, glatte Gesichtshaut zugute, die er sorgsam pflegte, und das gab mir Gelegenheit, eines Tages ganz beiläufig zu erwähnen, daß ich eine Frau kannte, die ihre empfindliche Haut mit Eselsmilch behandelte.

Otho zeigte sich sofort interessiert und sagte mir, daß er selbst sich auch manchmal, nach durchwachten Nächten und Zechgelagen, das Gesicht mit Weizenbrot abrieb, das er in Milch aufweichte. Ich berichtete ihm im Vertrauen von Poppaea Sabina und ihrer unglücklichen Ehe. Er wollte sie selbstverständlich selbst kennenlernen, bevor er mit Nero über sie sprach.

Und ich Dummkopf führte Poppaea in Othos prachtvolles Haus. Ihre Schönheit, ihre Zurückhaltung und ihre schimmernde Haut machten einen solchen Eindruck auf ihn, daß er sich gern bereit erklärte, ihr Fürsprecher bei Nero zu sein. Zu diesem Zweck aber mußte er natürlich alle Umstände genau kennen.

Daher fragte er Poppaea freundlich lächelnd nach allen Einzelheiten ihrer Ehe aus, und als er bemerkte, daß ich verlegen wurde und nicht wußte, wohin ich blicken sollte, meinte er taktvoll, ich sollte mich vielleicht besser entfernen. Das tat ich gern, denn ich sah ein, daß die scheue Poppaea über derlei Dinge am liebsten ohne Zuhörer mit dem erfahrenen, verständnisvollen Otho sprach.

Sie berieten hinter verschlossenen Türen bis spät am Nachmittag. Zuletzt kam Poppaea wieder zu mir heraus, nahm mich an der Hand und schlug die rauchgrauen Augen scheu nieder. Otho dankte mir dafür, daß ich ihn mit einer so bezaubernden Frau bekannt gemacht hatte, und versprach, sein Bestes zu tun, um die Scheidung zu erwirken. Poppaea hatte bei dem Gespräch mit ihm rote Flecke auf ihrem weißen Hals bekommen – so empfindlich war ihre Haut.

Otho hielt sein Versprechen. Nero löste in Gegenwart zweier Richter und gestützt auf gewisse Dokumente, die man ihm vorgelegt hatte, die Ehe zwischen Poppaea und Crispinus auf. Poppaea durfte ihren Sohn behalten, und Otho vermählte sich mit ihr einige Wochen später in aller Stille, ohne die üblichen neun Monate abzuwarten. Ich wollte es zuerst nicht glauben, als ich es erfuhr. Mir war, als stürzte der Himmel auf mich nieder, vor meinen Augen wurde es dunkel, und ich bekam so heftige Kopfschmerzen, daß ich mich mehrere Tage in einen dunklen Raum einschließen mußte.

Als ich wieder Herr meiner Sinne war, verbrannte ich die Gedichte auf dem Hausaltar und beschloß, nie wieder welche zu schreiben. Diesem Vorsatz bin ich auch treu geblieben. Ich konnte Otho keine Vorwürfe machen, denn ich kannte Poppaeas Zauber selbst nur zu gut. Ich hatte nur geglaubt, Otho, der wegen seiner zahllosen Liebeshändel mit Frauen und Jünglingen berüchtigt war, könne sich niemals in eine so schüchterne, unerfahrene Frau wie Poppaea verlieben. Doch vielleicht wollte er sein Leben ändern. Vielleicht konnte die sittsame Poppaea einen günstigen Einfluß auf sein verderbtes Gemüt ausüben.

Ich bekam eine Einladung zur Hochzeit von Poppaeas eigener Hand und sandte im voraus als Hochzeitsgabe einen Satz silberner Trinkgefäße, die schönsten, die ich fand. Auf dem Fest selbst glich ich wohl einem Schatten aus der Unterwelt und trank mehr als gewöhnlich, und zuletzt sagte ich zu Poppaea, während mir die Tränen aus den Augen stürzten, ich selbst hätte vielleicht auch die Scheidung bewilligt bekommen.

»O Minutus, warum hast du das aber auch mit keinem Wort angedeutet!« rief Poppaea wehmütig aus. »Aber nein, das hätte ich Flavia Sabina nie antun können. Otho hat natürlich seine Fehler. Er ist ein wenig weibisch und zieht beim Gehen das eine Bein nach, während man dein Hinken kaum bemerkt. Er hat mir aber fest versprochen, daß er sich bessern und die schlechten Freunde verlassen will, die ihn zu gewissen Lastern verführt haben, über die ich mit dir nicht einmal sprechen kann. Der arme Otho ist so feinfühlig und läßt sich so leicht von anderen beeindrucken, aber ich hoffe, mein Einfluß wird einen neuen Menschen aus ihm machen.«

»Und außerdem ist er reicher als ich, aus uraltem Geschlecht und der engste Vertraute des Kaisers«, sagte ich ohne meine Bitterkeit zu verbergen.

Poppaea sah mich tadelnd an und flüsterte mit zitternden Lippen: »So schlecht denkst du von mir, Minutus? Ich dachte, du habest verstanden, daß mir Name und Reichtum nichts bedeuten, wenn ich mich für jemanden entscheide. Ich blicke ja auch nicht auf dich herab, obwohl du nur Tiergartenvorsteher bist.«

Sie war so gekränkt und so schön, daß ich ihr nicht länger böse sein konnte und sie um Vergebung bat. Otho war eine Zeitlang wie verwandelt. Er hielt sich Neros Gelagen fern, und wenn er wirklich erschien, weil Nero nach ihm geschickt hatte, verabschiedete er sich früh und sagte, er könne seine schöne Gattin nicht so lange warten lassen. Von Poppaeas Schönheit und Liebeskunst sprach er so offenherzig, daß Nero immer neugieriger wurde und Otho schließlich bat, seine junge Frau ins Palatium mitzubringen.

Otho erwiderte darauf, Poppaea sei zu scheu und zu stolz. Er fand noch andere Ausflüchte und sagte dann wieder, nicht einmal Venus selbst könne, als sie aus dem Meerschaum geboren wurde, schöner gewesen sein als Poppaea, wenn sie des Morgens ihr Bad in Eselsmilch nahm. Otho hatte einen ganzen Stall voll Eselinnen angeschafft, die für sie gemolken wurden. Sie pflegten beide mit gleicher Hingabe ihre zarte Haut, sofern ihnen die Liebe dafür Zeit ließ.

Ich litt solche Eifersuchtsqualen, daß ich alle Zusammenkünfte mied, bei denen ich Otho hätte antreffen können. Meine Freunde verspotteten mich wegen meiner finsteren Miene, aber allmählich tröstete ich mich mit dem Gedanken, daß ich Poppaea, wenn ich sie wirklich liebte, nur das Beste wünschen durfte, und zumindest dem äußeren Anschein nach hatte sie die günstigste Partie gemacht, die in Rom überhaupt möglich war. Sabina aber war mir fremder geworden denn je zuvor. Wir konnten nicht mehr zusammen sein, ohne zu streiten, und ich begann ernstlich die Scheidung zu erwägen, obwohl ich wußte, daß ich mir dadurch den Haß des ganzen flavischen Geschlechts zuziehen mußte. Ich vermochte mir allerdings die herbe, schroffe Sabina nicht recht als Ehebrecherin vorzustellen, zumal sie mich deutlich genug merken ließ, daß ich ihr einen tiefen Abscheu gegen die Freuden des Bettes eingeflößt hatte.

Ihr machte es nichts aus, daß ich mich dann und wann zu einer liebeskundigen Sklavin legte, solange ich nur sie in Frieden ließ. Es gab somit keinen stichhaltigen Grund, eine nach der längeren Formel eingegangene Ehe zu lösen, und ich wagte nicht einmal mehr andeutungsweise von Scheidung zu sprechen, so außer sich vor Zorn war Sabina das eine Mal gewesen, da ich die Sache zur Sprache gebracht hatte – wohl weil sie fürchtete, ihre geliebten Tiere zu verlieren. So blieb mir nur die Hoffnung, daß die Löwen sie eines Tages zerrissen, wenn sie ihnen ihren starken Willen aufzwang und sie, von dem erfahrenen Löwenbändiger Epaphroditus unterstützt, unglaubliche, nie zuvor gesehene Kunststücke ausführen ließ.

Auf diese Weise vergingen für mich die ersten fünf Jahre der Regierung Neros. Wahrscheinlich war dies die glücklichste Zeit, die die Welt je erlebt hat und erleben wird. Ich selbst aber fühlte mich wie in einen Käfig eingesperrt. Ich begann allmählich mein Äußeres zu vernachlässigen, mochte nicht mehr reiten und setzte übermäßig viel Fett an.

Gleichwohl unterschied ich mich nicht sehr von den anderen jungen Männern Roms. Man sah damals viele ungepflegte, langhaarige Männer auf den Straßen, die schweißtriefend, singend und klimpernd den Einzug eines neuen Geschlechts verkündeten, das die strengen Sitten der Alten verachtete. Mir selbst war alles gleichgültig, da der beste Teil meines Lebens unbemerkt und ungenutzt an mir vorübergeglitten war, obwohl ich freilich noch keine dreißig war.

Dann entzweiten sich Nero und Otho. Nur um Nero zu reizen, nahm Otho eines Tages Poppaea ins Palatium mit. Nero verliebte sich blind in sie. Nach der Art verwöhnter Kinder war er gewohnt, alles zu bekommen, was er haben wollte. Poppaea wies ihn mit aller Entschiedenheit ab und sagte ihm, er könne ihr nicht mehr bieten als Otho. Nach dem Mahl ließ Nero eine Flasche seines teuersten Parfüms öffnen, und alle Gäste durften sich mit einigen Tropfen davon betupfen. Als Nero kurz darauf bei Otho zu Gast war, ließ dieser das gleiche Parfüm aus dünnen Silberröhrchen über alle Anwesenden regnen.

Es wurde behauptet, Nero habe sich einmal in seiner Liebeskrankheit mitten in der Nacht zu Othos Haus tragen lassen und vergeblich ans Tor geklopft. Otho ließ ihn nicht ein, weil Poppaea den Zeitpunkt für einen Besuch unpassend fand. Ein andermal soll Otho in Gegenwart von Zeugen zu Nero gesagt haben: »In mir siehst du den künftigen Kaiser.«

Ich weiß nicht, ob Otho dergleichen geweissagt worden war oder aus welchem Grunde sonst er sich diesen Wahn in den Kopf gesetzt hatte. Nero lachte nur laut auf und sagte höhnisch: »In dir sehe ich nicht einmal einen künftigen Konsul.«

Eines strahlenden Wochentags, als in den Gärten des Lukull auf dem Pincius die Kirschbäume blühten, ließ mich Poppaea zu sich rufen. Ich glaubte sie schon vergessen zu haben, aber sie war mir wohl doch nur scheinbar gleichgültig gewesen, denn ich kam ihrer Aufforderung sofort, vor Eifer zitternd, nach. Poppaea war schöner, als ich sie je gesehen hatte. Sie hatte ihren kleinen Sohn bei sich und trat auf, wie es einer Mutter geziemt. Sie trug ein seidenes Gewand, das die lockende Schönheit ihrer Gestalt mehr entblößte als verhüllte.

»O Minutus!« rief sie. »Wie habe ich dich vermißt! Du bist der einzige selbstlose Freund, den ich habe. Ich brauche dringend deinen Rat.«

Ich wurde mißtrauisch, denn ich erinnerte mich, wie es mir beim letztenmal als Ratgeber ergangen war. Poppaea lächelte mich aber so unschuldsvoll an, daß ich nichts Schlechtes von ihr denken konnte.

»Du wirst gehört haben, in was für eine peinliche Lage ich durch Nero geraten bin«, sagte sie. »Ich begreife nicht, wie es dazu kommen konnte, denn ich habe ihm nicht den geringsten Anlaß gegeben. Du kennst mich ja. Nero verfolgt mich mit seinen Anträgen, und Otho wird noch in Ungnade fallen, nur weil er meine Tugend beschützt.«

Sie betrachtete mich aufmerksam. Ihre rauchgrauen Augen wurden plötzlich veilchenblau. Sie hatte sich ihr goldblondes Haar so schön um den Kopf legen lassen, daß sie wie die Statue einer Göttin aussah: lauter Gold und Elfenbein.

Sie rang ihre schmalen Hände und gestand mir: »Das schrecklichste ist, daß ich Nero gegenüber nicht ganz gleichgültig bleiben kann. Er ist ein schöner Mann. Sein rötliches Haar und seine heftigen Gefühle entzücken mich. Er ist edelmütig und ein großer Künstler. Wenn ich ihn spielen und singen höre, bin ich so verzaubert, daß ich den Blick nicht von ihm wenden kann. Wäre er so selbstlos wie du, würde er versuchen, mich vor meinen eigenen Gefühlen zu schützen, anstatt sie anzufachen. Aber vielleicht weiß er gar nicht, was für Empfindungen seine Nähe in mir weckt. Ja, Minutus, ich zittere an allen Gliedern, wenn ich ihn nur sehe. Zum Glück konnte ich es bisher verbergen und ihm aus dem Weg gehen, soweit dies meine Stellung zuläßt.«

Sie sprach zurückhaltend und zugleich träumerisch, und ich glaube, sie wußte nicht, wie sehr ich litt. »Du bist in großer Gefahr, Poppaea«, sagte ich erschrocken. »Du mußt fliehen. Bitte Otho, daß er versucht, sich zum Prokonsul in irgendeiner Provinz ernennen zu lassen. Bleib nicht in Rom!«

Poppaea sah mich an, als wäre ich nicht ganz bei Sinnen. »Wie sollte ich anderswo leben können als in Rom? Ich würde vor Sehnsucht sterben. Es gibt aber etwas noch Schlimmeres und Merkwürdigeres, und ich würde nicht wagen, mit dir darüber zu sprechen, wenn ich nicht wüßte, daß ich mich auf deine Verschwiegenheit verlassen darf. Denk dir, ein jüdischer Wahrsager – du weiß ja, daß die Juden sich auf derlei Dinge verstehen – hat mir gesagt, daß ich eines Tages – du darfst mich aber nicht auslachen –, daß ich eines Tages die Gemahlin eines Kaisers sein werde!«

»Liebe Poppaea«, sagte ich begütigend. »Hast du nicht gelesen, was Cicero über die Weissagungen schreibt? Zerbrich dir über solchen Unfug nicht deinen hübschen Kopf.«

Sie warf mir einen bösen Blick zu und fragte beleidigt: »Warum nennst du das einen Unfug? Othos Geschlecht ist uralt, und er hat viele Freunde unter den Senatoren. Nero könnte diese Weissagung nur dadurch zunichte machen, daß er unsere Ehe auflöste. Er selbst hat ja seine Octavia. Er schwört freilich, er habe es noch nie über sich gebracht, sich zu ihr zu legen – so groß ist seine Abneigung gegen dieses einfältige Mädchen. Aber andrerseits kann ich nicht begreifen, daß ein junger Herrscher wie er eine freigelassene Sklavin zur Bettgenossin hat und haben will. Das ist in meinen Augen etwas so Niedriges und Verachtenswertes, daß mein Blut kocht, wenn ich nur daran denke!«

Ich schwieg und dachte nach, und schließlich fragte ich mißtrauisch: »Was willst du eigentlich von mir?«

Poppaea tätschelte meine Wange, seufzte und blickte mir zärtlich in die Augen. »Ach Minutus, du bist wirklich nicht sehr durchtrieben«, klagte sie. »Aber vielleicht mag ich dich deshalb so gern. Eine Frau braucht ja einen Freund, mit dem sie über alles ganz aufrichtig sprechen kann. Wenn du wirklich mein Freund bist, dann gehst du zu Nero und sagst ihm alles. Er wird dich bestimmt anhören, wenn er erfährt, daß du von mir kommst. Er ist schon so verliebt, daß ich ihn gleichsam in der Zange habe.«

»Wie soll ich das verstehen?« fragte ich. »Gerade eben erst hast du auf meine Verschwiegenheit angespielt!«

Poppaea ergriff verlegen meine willenlose Hand, drückte sie gegen ihre Hüfte und sagte: »Er soll mich in Ruhe lassen, weil ich schwach werde, wenn ich ihn sehe. Ich bin nur eine Frau, und er ist unwiderstehlich. Das sollst du ihm sagen. Wenn ich aber in meiner Schwachheit seinen Verführungskünsten erliege, muß ich mir das Leben nehmen, um mir meine Selbstachtung zu bewahren. Ehrlos kann ich nicht leben. Sag ihm das. Erzähl ihm auch von der Weissagung. Ich ertrage den Gedanken nicht, daß Otho ihm Schaden zufügen könnte. Ich habe Otho in meiner Dummheit von der Weissagung berichtet und bereue es tief. Ich ahnte ja nicht, wie machtlüstern er in seinem Innersten ist.«

Es widerstrebte mir, noch einmal für Poppaea den Boten zuspielen, aber ihre Nähe lähmte meinen Willen, und daß sie sich so auf mich verließ, sprach mein männliches Bedürfnis an, die Schwachen zu beschützen. Zwar begann ich dunkel zu ahnen, daß Poppaea vielleicht gar nicht so schutzbedürftig sei, aber wie sollte ich ihr scheues unschuldiges Wesen anders auslegen als zu ihren Gunsten? Sie würde sich gewiß nicht so vertrauensvoll auf mich gestützt und mir erlaubt haben, sie zu umarmen, wenn sie gewußt hätte, was für Gefühle das in meinem schamlosen Leib weckte.

Nach langem Suchen fand ich Nero endlich im Zirkus des Gajus. Er übte sich mit seinem Viergespann und fuhr mit dem aus der Verbannung zurückgekehrten Gajus Sophonius Tigellinus um die Wette, den er zu seinem Stallmeister gemacht hatte. Der Form halber standen zwar Wachen an den Toren, aber es hatte sich trotzdem eine ganze Menge Volks auf den Zuschauerbänken versammelt, um Nero anzufeuern und ihm Beifall zu rufen.

Ich mußte lange warten, bis Nero endlich, staubig und verschwitzt, den Schutzhelm abnahm und sich die Leinenbinden abwickeln ließ, die seine Beine schützten. Tigellinus lobte seine raschen Fortschritte, tadelte ihn dann aber scharf wegen eines Fehlers, den er beim Wenden begangen hatte. Nero nahm den Tadel demütig entgegen. Er wußte, daß er gut daran tat, Tigellinus in allem, was Pferde und Gespanne betraf, ohne Einwände zu gehorchen.

Tigellinus fürchtete niemanden. Er war gewohnt, seinen Willen durchzusetzen, und behandelte seine Sklaven grausam. Groß und kräftig, mit schmalem Gesicht, so stand er da und blickte sich hochmütig um wie einer, der sagen will, daß sich mit Gewalt alles im Leben erzwingen läßt. Er hatte einmal alles verloren, was er besaß, und hatte sich in der Verbannung durch Fischfang und Pferdezucht ein neues Vermögen geschaffen. Es hieß, daß keine Frau und kein Knabe vor ihm sicher seien.

Ich gab Nero durch Mienen und Gesten zu verstehen, daß ich ihn in einer wichtigen Angelegenheit zu sprechen wünschte, und er erlaubte mir, ihm zum Badehaus im Garten zu folgen. Als ich ihm Poppaea Sabinas Namen ins Ohr flüsterte, schickte er alle anderen fort und ließ mich gnädig seinen untersetzten Körper mit; Bimsstein abreiben, während er mich eifrig ausfragte und nach und nach alles erfuhr, was Poppaea mir gesagt hatte. Zuletzt bat ich ihn ernsthaft: »Laß sie also in Ruhe. Das ist alles, was sie sich wünscht, um nicht ständig zwischen ihren eigenen, einander widersprechenden Gefühlen hin und her gerissen zu werden. Sie will nur eine ehrbare Gattin sein. Du kennst ihre Unschuld und ihre Zurückhaltung.«

Nero lachte laut auf, wurde aber gleich wieder ernst, nickte mehrere Male und sagte: »Lieber hätte ich es freilich gesehen, wenn du mit dem Lorbeerkranz auf der Speerspitze zu mir gekommen wärst, Bote. Ich kann mich nur wundern, wie gut du die Frauen kennst. Ich aber habe genug von ihren Launen. Es gibt noch andere Frauen außer Lollia Poppaea, und ich will sie in Ruhe lassen. Sie soll nur selbst aufpassen, daß sie mir nicht mehr so oft vor die Augen kommt wie bisher. Grüße sie und sage ihr, ihre Bedingungen sind mir zu hoch.«

»Sie hat doch gar keine Bedingungen gestellt«, wandte ich verwirrt ein.

Nero betrachtete mich mitleidig und sagte: »Es ist das beste, du kümmerst dich um deine wilden Tiere und deine eigene Gattin. Schick mir Tigellinus, damit er mir das Haar wäscht.«

So ungnädig entließ er mich. Doch ich verstand ihn gut. Er liebte Poppaea und war nun enttäuscht, weil sie ihn abwies. Ich eilte mit meiner guten Nachricht froh zu Poppaea zurück, aber zu meiner Verwunderung war Poppaea nicht zufrieden, ja sie zerschlug sogar eine kleine Glasbüchse, so daß die kostbare Salbe auf den Boden tropfte und mir von dem betäubenden Duft ganz wirr im Kopf wurde. Ihr Gesicht verzerrte sich zu einer häßlichen Fratze, und sie schrie: »Wir werden sehen, wer zuletzt gewinnt, er oder ich!«

Ich erinnere mich noch gut an den Tag im darauffolgenden Herbst, an dem ich beim Aufseher über die Aquädukte saß und starrsinnig durchzusetzen versuchte, daß neue und größere Bleileitungen zum Tiergarten gelegt würden. Wir hatten schon tagelang jenen heißen Wind gehabt, der roten Staub mit sich führt und Kopfschmerzen verursacht.

Wegen der Wasserverteilung gab es ständig Streit, weil die Reichen und Vornehmen ihre eigenen Leitungen von den Aquädukten zu ihren Thermen, Gärten und Teichen legen ließen. Durch den raschen Bevölkerungszuwachs herrschte in Rom Wassermangel. Der Aufseher über die Aquädukte befand sich daher in einer schwierigen Lage. Er war nicht um sein Amt zu beneiden, obwohl einer, der bedenkenlos genug war, sich während seiner Amtszeit bereichern konnte. Ich war jedoch der Ansicht, daß der Tiergarten eine Sonderstellung einnahm und daß ich keine Ursache hatte, ihm Geld zu geben, um meine berechtigten Forderungen durchzusetzen.

Ich forderte, er lehnte ab. Wir kamen keinen Schritt weiter, und es gelang uns gerade noch, eine rein äußerliche Höflichkeit zu bewahren. Ich hätte am liebsten aufgegeben und die Sache auf sich beruhen lassen, aber ich fürchtete den Zorn Sabinas. Schließlich sagte ich gereizt: »Ich kenne die Verordnungen der Ädilen und den Senatsbeschluß über das Wasser auswendig. Ich kann mich an Nero selbst wenden, obwohl er mit solchen Kleinigkeiten nicht gern belästigt werden will, und ich fürchte, die Sache geht für dich schlechter aus als für mich.« Der Aufseher, ein langweiliger Mensch, lächelte spöttisch und entgegnete mir: »Tu nur, was du für richtig hältst. Ich an deiner Stelle würde aber Nero nicht ausgerechnet in diesen Tagen mit dem Streit wegen der Wasserverteilung behelligen.«

Ich hatte mich lange nicht mehr um den Klatsch in der Stadt gekümmert und fragte daher, was denn Besonderes geschehen sei. »Weißt du es wirklich nicht, oder tust du nur so, als hättest du noch nichts gehört?« fragte er mißtrauisch. »Otho ist zum Prokonsul in Lusitanien ernannt und aufgefordert worden, so rasch wie möglich zu reisen. Heute morgen hat Nero seine Ehe aufgelöst, selbstverständlich auf Ansuchen Othos. Alle anderen Angelegenheiten wurden aufgeschoben, weil sich Nero natürlich zuerst einmal der armen, schutzbedürftigen Poppaea annehmen mußte, die ins Palatium übersiedelte.«

Es war wie ein Keulenschlag auf meinen ohnehin schmerzenden Kopf. »Ich kenne Poppaea Sabina!« rief ich. »Sie würde so etwas nie aus freiem Willen getan haben. Nero hat sie mit Gewalt ins Palatium bringen lassen.«

Der Aufseher schüttelte seinen grauen Kopf. »Ich fürchte, wir bekommen eine neue Agrippina an Stelle der alten, die übrigens Antonias Haus verlassen und sich aufs Land zurückziehen muß, nach Antium.«

Ich achtete nicht auf seine gehässigen Andeutungen. Das Einzige, was ich klar erfaßte, war der Name Agrippina. Ich vergaß meine durstigen Tiere und das ausgetrocknete Becken der Flußpferde. Agrippina war, so glaubte ich, die einzige, die Poppaea Sabina vor Neros verruchten Absichten zu retten vermochte. So viel Einfluß mußte eine Mutter auf ihren Sohn haben, daß sie ihn daran hindern konnte, die schönste Frau Roms öffentlich zu schänden. Ich mußte Poppaea beschützen, da sie offenbar nicht mehr imstande war, sich selbst zu schützen.

Vor Erregung ganz von Sinnen, eilte ich zu dem alten Haus der Antonia auf dem Palatin, wo des Umzugs wegen ein großes Durcheinander herrschte, so daß mir niemand den Zutritt verwehrte. Agrippina raste vor Zorn. Octavia war bei ihr, das schweigsame Mädchen, dessen einzige Freude ihre Stellung als Gemahlin des Kaisers war. Auch ihre schöne Halbschwester Antonia, die Tochter des Claudius aus dessen erster Ehe, war anwesend und mit ihr ihr zweiter Gatte, der gleichgültige, schwerfällige Faustus Sulla. Als ich unerwartet unter sie trat, verstummten sie plötzlich. Agrippina begrüßte mich und rief mit schriller Stimme: »Was für eine Freude und Überraschung nach so vielen Jahren! Ich glaubte schon, du habest alles vergessen, was ich für dich getan habe, und seist ebenso undankbar wie mein Sohn. Desto mehr freue ich mich nun darüber, daß du als einziger Ritter in ganz Rom gekommen bist, um von einer armen Verbannten Abschied zu nehmen.«

Ich rief verzweifelt: »Es mag sein, daß ich unsere Freundschaft vergessen habe, aber darüber können wir ein andermal reden. Rette Poppaea Sabina aus Neros lüsternen Händen und stelle sie unter deinen Schutz! Dein Sohn macht nicht nur die unschuldige Poppaea, sondern auch sich selbst in ganz Rom unmöglich.«

Agrippina starrte mich an, schüttelte den Kopf und sagte: »Ich habe getan, was möglich war, ich habe geweint und geflucht, um meinen Sohn aus den Händen dieses liederlichen, niederträchtigen Weibes zu retten. Zur Belohnung bekam ich den Befehl, Rom zu verlassen. Poppaea hat ihren Willen durchgesetzt und beißt sich nun fest wie eine Laus.«

Ich versuchte ihr zu erklären, daß Poppaea lediglich wünsche, in Ruhe gelassen zu werden, aber Agrippina lachte nur höhnisch. Sie konnte von anderen Frauen nur das Schlimmste glauben.

»Dieses Weib hat Nero mit seinen schamlosen Künsten um den Verstand gebracht«, sagte sie. »Nero ist so veranlagt, und ich habe bisher mein Bestes getan, um es zu verbergen. Wer er wirklich ist, das zeigt seine unglückselige Neigung für niedrige, gemeine Vergnügungen. Ich habe begonnen, meine Erinnerungen zu schreiben, und werde sie in Antium beenden, und ich gedenke nichts zu verschweigen. Ich habe alles für meinen Sohn geopfert und sogar ein Verbrechen begangen, das nur er selbst mir vergeben kann. Ja, ich will es nun offen aussprechen, da es doch alle wissen.«

Ihr Blick wurde eigentümlich starr, und sie hob die Hände, wie um Geister abzuwehren. Dann betrachtete sie Octavia, streichelte ihr die Wangen und weissagte: »Ich sehe schon den Todesschatten über deinem Gesicht. Deine Wangen sind kalt. Aber noch kann alles vorübergehen, wenn nur Nero von seinem Wahn geheilt wird. Nicht einmal der Kaiser kann der Meinung des Senats und des Volkes trotzen. Die glatthäutige kleine Hure hat sich verrechnet. Auf Nero kann sich niemand verlassen. Er ist ein gemeiner Heuchler, ein Schauspieler durch und durch.« Als ich die trotz ihrer Blässe schöne Antonia betrachtete, tauchte ein Schatten aus der Vergangenheit in meiner Erinnerung auf. Ich dachte an ihre Halbschwester Claudia, die ihren Spott mit meiner Liebe zu ihr getrieben hatte. Ich muß durch Agrippinas unsinnige Anklagen gegen Poppaea völlig verwirrt gewesen sein, denn plötzlich sagte ich, ohne mich zu bedenken, zu ihr: »Du hast deine Erinnerungen erwähnt. Erinnerst du dich noch an Claudia? Was ist mit ihr? Hat sie sich gebessert?«

Ich glaube, Agrippina wäre stillschweigend über meine Frage hinweggegangen, wenn der Zorn sie nicht völlig um die Beherrschung gebracht hätte. »Frag im Flottenbordell in Misenum nach ihr!« antwortete sie höhnisch. »Ich habe dir ja versprochen, deine Claudia in ein geschlossenes Haus zu schicken, um ihre Erziehung zu vollenden. Ein Bordell ist gerade der richtige Ort für einen Bankert.«

Sie starrte mich an wie die Medusa und fügte hinzu: »Du bist der leichtgläubigste Dummkopf, der mir je begegnet ist. Du hast mich mit offenem Munde angestarrt und alle falschen Beweise für ihre angebliche Hurerei geschluckt. Aber mir genügte es, daß sie es ohne Erlaubnis gewagt hatte, sich mit einem römischen Ritter einzulassen. Hätte ich gewußt, wie undankbar du bist, ich würde mir nicht die Mühe gemacht haben, dich daran zu hindern, in dein eigenes Verderben zu rennen!«

Antonia lachte laut auf und fragte: »Hast du Claudia wirklich in ein Bordell gesteckt, liebe Stiefmutter? Ich habe mich darüber gewundert, daß sie auf einmal verschwunden war und mich nicht mehr damit belästigte, daß ich sie als meine Schwester anerkennen solle.« Antonias Nasenflügel zitterten. Sie fuhr sich mit der Hand über ihren zarten Hals, wie um etwas wegzuwischen. Ihre ganze schlanke Gestalt strahlte in diesen Augenblicken eine eigentümliche Schönheit aus.

Ich war unfähig, ein Wort zu sagen. Erschrocken bis ins Herz hinein, starrte ich diese beiden Ungeheuer an. Und plötzlich sah ich alles wie von einem Blitz erhellt vor mir und glaubte all das Böse, das ich je über Agrippina gehört hatte.

Ja, ich erkannte nun auch, daß Poppaea Sabina meine Freundschaft rücksichtslos ausgenutzt hatte, um ihre eigenen Pläne zu verwirklichen. Es überkam mich in einem Augenblick wie eine Offenbarung, und mir war, als wäre ich plötzlich um Jahre gealtert und hart, sehr hart geworden. Vielleicht war ich dieser Verwandlung unbewußt seit langem entgegengereift. Ein Käfig wurde niedergerissen, und ich stand als freier Mann unter freiem Himmel. So empfand ich es.

Es war die größte Dummheit meines Lebens gewesen, mit Agrippina über Claudia zu sprechen. Nein, es war mehr als eine Dummheit. Es war ein Verbrechen an Claudia, und dieses Verbrechen mußte gesühnt werden. Ich mußte in meine Vergangenheit zurückkehren und mein Leben von dem Tage an neu beginnen, da Agrippina mir das Gift einträufelte und meine Liebe zu Claudia zerstört hatte.


Ich mußte vorsichtig sein und reiste unter dem Vorwand nach Misenum, zu untersuchen, ob es nicht möglich wäre, mit Schiffen der Kriegsflotte Tiere aus Afrika herüberzuholen. Der Befehlshaber der Flotte war Anicetus, ein ehemaliger Barbier und der erste Lehrer Neros. Es ist eine ganz eigene Sache mit der Flotte. Kein römischer Ritter mag auf See dienen. Während ich dies schreibe, hat den Oberbefehl ein Verfasser von Nachschlagewerken inne, ein gewisser Plinius, der die Kriegsschiffe dazu verwendet, seltene Pflanzen und Steine aus fernen Ländern zu holen, was freilich nicht die schlechteste Art ist, die Seeleute zu beschäftigen. Sie kommen in der Welt herum und können Barbarenvölker mit Wolfsblut veredeln.

Der Emporkömmling Anicetus empfing mich achtungsvoll. Ich war von guter Herkunft, Ritter und Sohn eines Senators. Außerdem hatten die Klienten meines Vaters mit den Docks zu tun, und Anicetus erhielt von ihnen ansehnliche Bestechungsgelder. Nachdem er eine Weile mit seiner griechischen Bildung, seinen Gemälden und Kunstgegenständen geprahlt hatte, bekam er einen Rausch und begann unanständige Geschichten zu erzählen, wobei er mir seine eigene Lasterhaftigkeit offen eingestand.

»Jeder Mensch hat ein besonderes Laster«, sagte er. »Das ist natürlich und begreiflich, und es braucht sich dessen niemand zu schämen. Die Tugend ist nur Verstellung. Diese Wahrheit habe ich Nero beizeiten eingetrichtert. Ich hasse niemanden so sehr wie einen Menschen, der den Tugendhaften spielt. Was für eine hättest du denn gern: eine Dicke oder eine Magere, eine Schwarze oder eine Blonde? Oder soll’s ein Knabe sein? Ich kann dir besorgen, was du wünschst, ein junges, aber geschicktes Mädchen oder eine alte Vettel, einen Akrobaten oder eine unberührte Jungfrau. Möchtest du bei einer Geißelung zusehen, oder möchtest du selbst gegeißelt werden? Wenn du willst, lasse ich ein Dionysosmysterium nach allen Regeln feiern. Sag mir ein Wort, gib mir einen Wink, und ich befriedige um der Freundschaft willen deine geheimsten Wünsche. Wir sind hier in Misenum, und hier ist nicht viel los, verstehst du, aber es ist nicht weit nach Baiae, Puteoli und Neapolis, wo du alle Laster Alexandrias finden kannst. Auf Capri lebt in diesen Dingen noch der ganze Einfallsreichtum des Gottes Tiberius fort, und in Pompeji gibt es ein paar prächtige Bordelle. Sollen wir uns hinrudern lassen?«

Ich gab mich ein wenig befangen, sagte dann aber, um mich seines Vertrauens würdig zu erweisen: »Vor Jahren hat es mir das größte Vergnügen gemacht, mich zu verkleiden und mit deinem begabten Schüler Nero des Nachts durch Suburra zu streifen. Ich glaube, ich habe nirgends größere Wollust empfunden als in den elenden Hurenhäusern, die von den Sklaven aufgesucht werden. Du verstehst, was ich meine: man hat bisweilen die Leckereien satt und freut sich an grobem Brot und ranzigem Öl. Als ich dann heiratete, gab ich diese Gewohnheiten auf, aber jetzt hätte ich Lust, das Flottenbordell kennenzulernen, das du, wie man mir sagte, tadellos eingerichtet hast.«

Anicetus grinste liederlich, nickte verständnisvoll und erklärte: »Wir haben drei Häuser, das beste für die Dienstgrade, das zweite für die Mannschaft und das dritte für die Rudersklaven. Ob du mir’s glaubst oder nicht: ich bekomme manchmal Besuch von vornehmen Frauen aus Baiae, denen es anders keinen Spaß mehr macht und die eine Nacht in einem Bordell arbeiten wollen. Die älteren gehen am liebsten zu den Rudersklaven und übertreffen unsere erfahrensten Huren an Bereitwilligkeit. Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit habe ich es so eingerichtet, daß die Neuen zuerst einmal die Dienstgrade bedienen, dann die Mannschaft und nach drei Jahren die Rudersklaven. Manche halten diesen anstrengenden Beruf zehn Jahre aus, aber ich möchte behaupten, daß im allgemeinen fünf Jahre reichen. Einige hängen sich natürlich schon vorher auf, ein gewisser Teil wird krank und untauglich, und andere fangen an zu saufen, daß sie zu nichts mehr zu gebrauchen sind. Wir bekommen aber ständig Nachschub aus Rom und anderen italienischen Städten. Die Flottenbordelle sind nämlich Strafanstalten für solche, die wegen unsittlichen Lebenswandels abgeurteilt werden, das heißt, weil sie einen Kunden bestohlen oder irgendeinem Grobian einen Weinkrug über den Schädel gehauen haben.«

»Was geschieht mit denen, die ihre Dienstzeit überleben?« fragte ich.

»Für die Ruderer ist so ein Weib noch lange gut genug«, antwortete Anicetus. »Sei unbesorgt. Keine verläßt meine Häuser lebend. Zuletzt finden sich immer gewisse Männer, die kein größeres Vergnügen kennen, als auf irgendeine viehische Art ein Weibsbild abzumurksen, und die können sich hier austoben. Meine Häuser haben ja unter anderem den Zweck, die anständigen Frauen und Mädchen der Umgebung vor den Seeleuten zu schützen. Ich habe da zum Beispiel einen Ehrenmann auf meiner Liste, der einmal im Monat Blut aus der Halsschlagader einer Frau saugen muß. Wegen dieser kleinen Schwäche ist er an die Ruderbank gekettet. Das spaßigste ist, daß er es hinterher immer bitter bereut und darum bittet, totgeschlagen zu werden.«

Ich glaubte nicht alles, was mir Anicetus erzählte. Er prahlte und wollte mich mit seiner Lasterhaftigkeit erschrecken, weil er im Innern ein schwacher, unzuverlässiger Mensch war. Außerdem1 hatte er von den Seeleuten das Flunkern gelernt.

Er führte mich zuerst zu einem kleinen runden Venustempel, von dem aus man das glitzernde Meer unter sich liegen sah und der, um alles unnötige Aufsehen zu vermeiden, durch einen unterirdischen Gang mit den Unterkünften der Seeleute verbunden war. Die ersten beiden Häuser, die mit einer Mauer umgeben waren, unterschieden sich in nichts von den sauberen, ordentlichen Lupanaren Roms. Sie hatten sogar fließendes Wasser. Das Haus für die Rudersklaven glich dagegen eher einem Gefängnis. Ich ertrug kaum den Anblick seiner Bewohnerinnen, so verkommen und vertiert waren sie.

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