VIII

POPPAEA


Die Voraussagen meiner Gattin Sabina bewahrheiteten sich insofern, als es tatsächlich zwei Jahre dauerte, bis Nero ernstlich an eine Scheidung von Octavia zu denken wagte. Nach dem Tod seiner Mutter und seiner Rückkehr nach Rom hatte er Poppaea aus politischen Gründen aus dem Palatium geschickt und seine Nächte heimlich bei ihr zugebracht. Er begnadigte viele Verbannte, setzte verabschiedete Senatoren wieder in ihr Amt ein und teilte das unermeßliche Vermögen, das er nach Agrippina geerbt hatte, so freigiebig aus, daß jeder, der die Stirn hatte, etwas zu verlangen, seinen Anteil bekam. Agrippinas Landgüter, Wertgegenstände und Sklaven erschienen den Vornehmen Roms jedoch nicht begehrenswert, so daß Nero den größten Teil dem Volk schenkte, indem er bei den Vorstellungen im Zirkus aufs Geratewohl Loskugeln unter die Zuschauer werfen ließ.

Um sein Gewissen zu beruhigen und die Gunst des Volkes zu gewinnen, ging er sogar so weit, dem Senat die Abschaffung aller direkten Steuern vorzuschlagen. Er wußte natürlich selbst, daß dieser Vorschlag undurchführbar war, aber er erreichte auf diese Weise, daß der Senat, der ihn aus sachlichen Gründen ablehnen mußte, sich in ein ungünstiges Licht setzte, während er selbst als Wohltäter dastand.

Immerhin wurden im Steuerwesen einige spürbare Verbesserungen und Erleichterungen eingeführt. Gewisse Umsatzsteuern wurden gesenkt, und vor allem hatte in Zukunft jeder ein Recht darauf zu erfahren, warum, wie und in welcher Höhe er besteuert wurde. Die Steuereinnehmer murrten über die Neuregelung, denn es war ihnen nun nicht mehr möglich, willkürlich Zuschläge zur Deckung ihrer eigenen Ausgaben einzutreiben. Die Kaufleute dagegen waren besser gestellt als zuvor, da sie die Preise unverändert beibehalten konnten und dabei weniger Umsatzsteuern zu zahlen brauchten.

Nero beteiligte sich nun öffentlich an Wagenrennen und erklärte zu seiner Rechtfertigung, sie seien vorzeiten ein Zeitvertreib der Götter und Könige gewesen. Um den Vornehmen Roms ein Beispiel zu geben, trat er vor seinen großen Spielen nach griechischem Vorbild als Sänger auf und begleitete sich selbst auf der Zither. Seine Stimme war seit dem Tod seiner Mutter kräftig, weittragend und blank wie Metall geworden. Sicherheitshalber schickte jedoch Burrus jedesmal eine Abteilung Prätorianer ins Theater, die für Ruhe und Ordnung zu sorgen und Nero Beifall zu spenden hatten. Er ging selbst mit gutem Beispiel voran und klatschte laut, obwohl er sich für das Benehmen seines Kaisers schämte. Vielleicht war er aber im stillen der Meinung, daß Nero auf einen noch viel schändlicheren Zeitvertreib als diesen verfallen konnte.

Die Folge von all dem war, daß die griechische Mode endgültig Rom eroberte. Ein großer Teil der Senatoren und der Ritterschaft nahm an Neros Spielen teil. Vornehme junge Mädchen führten griechische Tänze auf, und sogar zu Jahren gekommene Matronen stellten in der Arena die Geschmeidigkeit ihrer Glieder unter Beweis. Ich hatte nichts gegen die Vergnügungen, die das Volk veredeln sollten, da sie mir Mühe und Unkosten ersparten, aber das Volk selbst konnte den Vorführungen mit Ausnahme der Wagenrennen keinen Geschmack abgewinnen.

Es war der Ansicht, daß Berufskünstler – Sänger, Spielleute, Tänzer und Schauspieler – ihre Sache unvergleichlich besser machten als Laien, und es herrschte auch große Enttäuschung darüber, daß nicht einmal in den Pausen wilde Tiere vorgeführt wurden, von den Gladiatoren ganz zu schweigen. Die Älteren unter den Vornehmen waren entsetzt, weil sie meinten, daß gymnastische Übungen, heiße Bäder und weibische Musik die römische Jugend verweichlichten und ihre Kriegstüchtigkeit gerade in einem Augenblick schwächten, da Rom nicht genug hart erzogene und vorzüglich ausgebildete Kriegstribunen haben konnte.

Wie um ihnen recht zu geben, brach der Krieg in Armenien von neuem aus, und in Britannien einte eine Frau namens Boadicea die Stämme zu einer großen Erhebung gegen Rom. Eine ganze Legion wurde aufgerieben, mehrere römische Städte wurden dem Erdboden gleichgemacht, und der Prokurator verlor in dem Maße die Fassung, daß er nach Gallien floh.

Ich für meinen Teil glaube, daß die Königin Boadicea kaum so viele Anhänger in Britannien gewonnen hätte, wenn die Legionen nicht gezwungen gewesen wären, sich aus dem Lande zu ernähren, und wenn die hohen Zinsen und Rückzahlungsraten für die Anleihen, die Seneca den britischen Stammeskönigen bewilligt hatte, nicht fällig gewesen wären. Die Barbaren verstehen nichts von dem heute üblichen Geldwesen.

Die jungen Ritter zeigten keine Lust, freiwillig nach Britannien zu gehen, um sich pfählen und verbrennen zu lassen. Sie blieben lieber in Rom, klimperten auf der Zither, wanderten in der griechischen Tunika umher und ließen sich die Haare lang wachsen. Bevor die Lage noch endgültig geklärt war, gab Nero dem Senat zu bedenken, ob es nicht überhaupt das beste sei, die Legionen aus Britannien zurückzuziehen. Das Land verschlang mehr, als es einbrachte. Durch die Aufgabe Britanniens wurden drei Legionen frei – die vierte war ja vernichtet worden – und konnten im Osten den Parthern entgegengestellt werden.

Während der erregten Debatte, die auf diesen Vorschlag folgte, hielt Seneca, der Fürsprecher des Friedens und der Menschenliebe, eine glänzende Rede, in der er auf die Siege des Gottes Claudius in Britannien hinwies. Nero könne nicht auf die Eroberungen seines Adoptivvaters verzichten, sagte er, ohne seinen Namen und seinen Ruf zu verlieren. In Wirklichkeit ging es Seneca natürlich nur um die ungeheuren Geldsummen, die er in Britannien angelegt hatte.

Einer der Senatoren fragte, ob es unbedingt nötig gewesen sei, daß siebzigtausend römische Bürger und Bundesgenossen ermordet und zwei blühende Städte geplündert und niedergebrannt wurden, nur um Senecas Einkünfte zu schützen. Seneca errötete und versicherte, das Geld, das er den Briten geliehen hatte, sei dazu bestimmt, das Land zu zivilisieren und den Handel zu fördern. Dies könnten andere Senatoren bezeugen, die ihre Mittel für denselben Zweck zur Verfügung gestellt hätten. Wenn einige unzuverlässige Stammeskönige die Anleihen dazu verwendet hatten, in Saus und Braus zu leben und Waffen anzuschaffen, so sei dies nicht seine Schuld. Die Hauptursache des Krieges sei ohne Zweifel das willkürliche, politisch unkluge Verhalten der Legionen. Man müsse ihre Befehlshaber bestrafen und unverzüglich Entsatz nach Britannien schicken.

Der Senat dachte selbstverständlich nicht daran, Britannien aufzugeben, denn noch ist der alte Römerstolz nicht erloschen. Man beschloß zuletzt, neue Truppen zu entsenden. Einige ergrimmte Väter zwangen ihre erwachsenen Söhne sogar, sich das Haar schneiden zu lassen und als Kriegstribunen nach Britannien zu gehen. Sie nahmen ihre Zither mit, warfen sie aber in die Büsche, als sie die verheerten Städte sahen und das gellende Kriegsgeschrei der Briten hörten, und kämpften tapfer.

Ich habe meine besonderen Gründe, so viel über die Ereignisse in Britannien zu berichten, obwohl ich selbst in Rom blieb. Boadicea war die Königin der Icener. Als ihr Gatte starb, legten die römischen Beamten sein Testament dahingehend aus, daß sein Land römisches Erbland wurde. Das Testament war allerdings so abgefaßt, daß sogar wir selbst zu seiner Auslegung gelehrte Juristen benötigten. Als Boadicea gegen den Beschluß Einspruch erhob und geltend machte, daß sie nach altem britischem Recht als Frau erbberechtigt sei, wurde sie von Legionären ausgepeitscht und enteignet, und ihre beiden Töchter wurden geschändet. Die Legionäre verjagten überdies viele vornehme Icener von ihrem Besitz, mordeten und begingen zahllose andere Übeltaten.

Sie hatten das Recht auf ihrer Seite. Der König, der selbst des Lesens unkundig gewesen war, hatte tatsächlich ein Testament aufsetzen lassen, in dem er sein Land dem Kaiser vermachte. Er hatte geglaubt, dadurch die Stellung seiner Witwe und seiner Töchter gegenüber den eifersüchtigen icenischen Edlen zu sichern. Die Icener waren außerdem von Anfang an Bundesgenossen Roms gewesen, obwohl sie uns Römer nicht liebten.

Zur Entscheidungsschlacht kam es nach dem Eintreffen der Entsatztruppen. Die von der rachsüchtigen Königin geführten Briten wurden vernichtend geschlagen. Rom vergalt Gleiches mit Gleichem und rächte die Schandtaten, die die Icener auf Boadiceas Geheiß an römischen Frauen begangen hatten.

In Rom traf ein langer Zug britischer Sklaven ein, allerdings nur Frauen und halbwüchsige Knaben, denn erwachsene Briten taugen nicht zu Sklaven, und Nero hatte zur großen Enttäuschung des Volkes verboten, Kriegsgefangene im Amphitheater kämpfen zu lassen.

Eines Tages suchte mich ein Sklavenhändler auf, der einen etwa zehnjährigen Britenknaben an einem Strick mit sich führte. Er trat sehr geheimnisvoll auf, zwinkerte mir unablässig zu und verlangte, daß ich alle Zeugen fortschickte. Als dies geschehen war, klagte er eine Weile über die schlechten Zeiten, seine großen Ausgaben und den Mangel an willigen Käufern. Der Knabe sah sich unterdessen mit zornigen Blicken um. Endlich erklärte der Sklavenhändler: »Dieser junge Krieger versuchte mit dem Schwert in der Hand seine Mutter zu verteidigen, als unsere ergrimmten Legionäre sie schändeten und erschlugen. Aus Achtung vor seiner Tapferkeit ließen sie ihn am Leben und verkauften ihn mir. Wie du an seinen geradegewachsenen Gliedern, seiner zarten Haut und seinen grünen Augen siehst, ist er von edler icenischer Abstammung. Er kann reiten, schwimmen und mit dem Bogen schießen, und ob du es glaubst oder nicht: er kann sogar ein bißchen lesen und schreiben und ein paar Brocken Latein radebrechen. Man hat mir gesagt, du wirst ihn unbedingt kaufen wollen und mir mehr bieten, als ich auf dem Sklavenmarkt für ihn bekommen kann.«

Ich fragte erstaunt: »Wer konnte dir so etwas sagen? Ich habe schon genug Sklaven. Sie machen mir das Leben unerträglich und nehmen mir meine Freiheit, ganz zu schweigen von dem wahren Reichtum, der die Einsamkeit ist.«

»Ein gewisser Petro, ein icenischer Heilkundiger im römischen Dienst, erkannte den Knaben in Londinium wieder und nannte mir deinen Namen«, antwortete der Sklavenhändler. »Er versicherte mir, du werdest mir den besten Preis für ihn zahlen. Aber wer kann einem Briten trauen. Zeig dein Buch!«

Bei diesen Worten versetzte er dem Knaben einen Schlag auf den Kopf. Der junge Brite griff unter seinen Gürtel und zog ein zerfetztes, schmutziges ägyptisch-chaldäisches Traumbuch hervor. Ich erkannte es sofort wieder, als ich es in die Hand nahm, und begann am ganzen Leibe zu zittern.

»Hieß deine Mutter Lugunda?« fragte ich, obwohl ich es bereits wußte. Allein Petros Name bewies mir, daß ich meinen eigenen Sohn vor mir hatte. Ich wollte ihn in die Arme schließen und als meinen Sohn anerkennen, obgleich keine Zeugen anwesend waren, er aber schlug mit den Fäusten auf mich ein und biß mich in die Wange. Der Sklavenhändler griff nach seiner Peitsche.

»Schlage ihn nicht«, sagte ich rasch. »Ich kaufe ihn. Nenne mir deinen Preis.«

Der Sklavenhändler betrachtete mich abschätzend, redete wieder eine Weile von seinen Auslagen und Verlusten und meinte schließlich: »Um ihn loszuwerden, lasse ich ihn dir für nur hundert Goldstücke. Er ist ja noch ungezähmt.«

Zehntausend Sesterze waren eine wahnwitzige Summe für einen halbwüchsigen Knaben, denn auf dem Markt konnte man sogar eine fürs Bett taugliche junge Frau für wenige Goldstücke bekommen. Dennoch schreckte mich der hohe Preis nicht, und ich hätte nötigenfalls noch mehr bezahlt, aber ich mußte mich zuerst einmal setzen und nachdenken, während ich meinen Sohn betrachtete. Der Sklavenhändler legte mein Schweigen falsch aus. Er begann seine Ware anzupreisen und sagte, es fände sich mehr als ein Reicher in Rom, der die Sitten und Gewohnheiten des Ostens angenommen habe und für dessen Zwecke der Knabe gerade im besten Alter sei. Er ging jedoch mit seinem Preis herunter, zuerst auf neunzig und dann auf achtzig Goldstücke.

Ich dachte währenddessen nur darüber nach, wie ich den Kauf abschließen konnte, ohne daß mein Sohn zum Sklaven wurde. Ein rechtsgültiger Kauf mußte durch einen Gerichtsschreiber beurkundet werden, und ich mußte den Knaben mit meinem Besitzzeichen MM brandmarken, worauf er zwar freigelassen, aber niemals römischer Bürger werden konnte.

Zuletzt sagte ich: »Vielleicht könnte ich ihn zum Wagenlenker ausbilden lassen. Der Petro, den du genannt hast, war wirklich ein Freund von mir, als ich in Britannien als Kriegstribun diente. Ich verlasse mich auf seine Empfehlung. Könntest du mir nicht eine schriftliche Bestätigung geben, daß Petro als Vormund des Knaben dich beauftragt hat, diesen hierherzubringen, damit ich mich seiner annehme?«

Der Sklavenhändler zwinkerte mir listig zu und sagte: »Ich muß die Umsatzsteuer für ihn zahlen, nicht du. Billiger kann ich ihn dir wirklich nicht mehr geben.«

Ich kratzte mir den Kopf. Die Sache war verzwickt und konnte leicht den Anschein erwecken, als versuchten wir nur, die hohen Steuern zu umgehen, mit denen der Sklavenhandel belegt war. Aber als Schwiegersohn des Stadtpräfekten mußte es mir doch möglich sein, einen Ausweg zu finden.

Ich legte meine Toga an, und wir gingen alle drei zum Merkurtempel. Unter den vielen, die dort herumlungerten, entdeckte ich einen Bürger, der seinen Ritterrang verloren hatte und gegen angemessene Entschädigung bereit war, den nötigen zweiten Eideszeugen abzugeben. Wir konnten also eine Urkunde aufsetzen und durch doppelten Eid bekräftigen.

Dieser Urkunde zufolge war der Knabe ein freigeborener Brite, dessen Eltern Ituna und Lugunda wegen ihrer Romfreundlichkeit erschlagen worden waren. Durch die Vermittlung des unbescholtenen Arztes Petro hatten sie ihren Sohn jedoch beizeiten nach Rom geschickt, damit er dort von ihrem einstigen Gastfreund, dem Ritter Minutus Lausus Manilianus, erzogen werde.

In einer Zusatzklausel wurde mir als dem Vormund das Recht vorbehalten, mich um das Erbe des Knaben im Land der Icener zu kümmern, sobald in Britannien der Friede geschlossen war. Das machte meinen Schwindel glaubwürdiger, denn die Merkurpriester nahmen natürlich an, ich wollte bei der Aufteilung der Kriegsbeute meinen besonderen Vorteil herausschlagen.

»Was für einen Namen sollen wir eintragen?« fragte der Schreiber.

»Jucundus«, antwortete ich. Es war der erste Name, der mir einfiel. Alle brachen in ein befreiendes Gelächter aus, denn der finster blickende Bursche war alles andere als angenehm anzusehen. Einer der Priester meinte, ich würde noch viel Arbeit mit ihm haben, bis ein ordentlicher Römer aus ihm geworden sei.

Die Gebühren für die Erstellung und Bestätigung der Urkunde und die übliche Gabe für die Merkurpriester machten bedeutend mehr aus als die Umsatzsteuer für einen gewöhnlichen Verkauf. Der Sklavenhändler begann das Geschäft zu bereuen und hielt mich für gerissener, als ich war. Er hatte zwar schon seinen Eid geleistet, aber ich zahlte ihm zuletzt doch die hundert Goldstücke, die er ursprünglich gefordert hatte, um keinen Streit mit ihm zu bekommen.

Als wir den Merkurtempel endlich wieder verlassen hatten und auf dem Heimweg waren, schob Jucundus plötzlich seine Hand in die meine, so als fürchtete er sich in dem Lärm und Gedränge der Straften. Ein eigentümliches Gefühl ergriff von mir Besitz, als ich seine kleine Hand hielt und ihn durch den Trubel Roms führte. Ich dachte darüber nach, wie ich ihm, wenn er einmal erwachsen war, das römische Bürgerrecht verschaffen konnte und daß ich ihn adoptieren wollte, sofern ich dazu Sabinas Zustimmung erhielt. Doch das waren Sorgen, die noch Zeit hatten.

Mein Sohn Jucundus machte mir mehr Verdruß als Freude. Er sprach anfangs nicht ein Wort, so daß ich schon glaubte, die Greuel des Krieges hätten ihn stumm gemacht. Er zerschlug viele Gegenstände im Haus und wollte die römische Knabenkleidung nicht tragen. Claudia vermochte ihn nicht zu bändigen. Als er zum erstenmal einen etwa gleichaltrigen römischen Knaben vor unserm Haus erblickte, stürzte er auf ihn los und schlug den armen Kerl, bevor Barbus eingreifen konnte, mit einem Stein auf den Kopf. Barbus war dafür, ihm eine Tracht Prügel zu verabreichen, aber ich fand, man müsse es zuerst im Guten versuchen. Daher rief ich ihn zu mir, um ihm unter vier Augen ins Gewissen zu reden.

»Du betrauerst den Tod deiner Mutter«, begann ich. »Du bist mit einem Strick um den Hals hierher geschleppt worden wie ein Hund. Aber du bist kein Hund. Du mußt ein Mann werden. Wir wollen dir nur Gutes. Sag mir, was du am liebsten tun möchtest.«

»Römer erschlagen!« rief Jucundus lebhaft.

Ich seufzte erleichtert auf, da er zumindest sprechen konnte. »Das geht hier in Rom nicht«, erklärte ich ihm. »Du kannst hier aber die römischen Sitten und Gebräuche lernen. Eines Tages werde ich dafür sorgen, daß du Ritter wirst. Wenn du dann deine Pläne noch nicht aufgegeben hast, kannst du nach Britannien zurückkehren und dort Römer auf römische Art erschlagen. Die römische Kriegskunst ist, wie du am eigenen Leibe erfahren hast, der britischen überlegen.«

Jucundus schwieg störrisch, aber ich glaubte zu bemerken, daß meine Worte Eindruck auf ihn gemacht hatten. »Barbus ist ein alter Veteran«, fuhr ich listig fort. »Frag ihn. Er kann dir über Krieg und Kampf mehr erzählen als ich, wenn auch sein Kopf schon zittert.«

Auf diese Weise erhielt Barbus noch einmal Gelegenheit, zu berichten, wie er in voller Rüstung und mit einem verwundeten Zenturio auf dem Rücken im Eisgang über die Donau geschwommen war. Er konnte seine Narben zeigen und erklären, warum unbedingter Gehorsam und ein gestählter Körper die wichtigsten Voraussetzungen des Kriegers sind. Der Wein schmeckte ihm wieder, er ging mit dem Knaben in Rom umher, nahm ihn zum Tiberstrand mit, wo sie badeten, und brachte ihm das saftige Latein des Volkes bei.

Doch auch Barbus erschrak über seine Wildheit. Eines Tages nahm er mich beiseite und sagte: »Jucundus ist ein frecher Bursche, das steht ihm zu in seinem Alter, aber wenn er mir in allen Einzelheiten erzählt, was er einmal mit römischen Männern und Frauen anstellen will, dann kommt selbst mich alten Mann, der manches gesehen und erlebt hat, das Gruseln an. Ich fürchte, er hat entsetzliche Dinge mit ansehen müssen, als der Aufstand der Briten niedergeworfen wurde. Das schlimmste ist, daß er immerzu auf die Hügel hinaufgehen will, um Rom in seiner Barbarensprache zu verfluchen. Er verehrt heimlich unterirdische Götter und opfert ihnen Mäuse. Er ist von bösen Mächten besessen, und man kann ihn nicht erziehen, solange er nicht von seinen Dämonen befreit wird.«

»Wie sollte das zugehen?« fragte ich mißtrauisch.

»Der Kephas der Christen versteht es, Dämonen auszutreiben«, antwortete Barbus und wich meinem Blick aus. »Ich habe selbst gesehen, wie ein Tobsüchtiger auf seinen Befehl lammfromm wurde.«

Barbus fürchtete, ich könnte zornig werden, aber ich war weit davon entfernt und fragte mich vielmehr, warum ich nicht auch einmal Nutzen davon haben sollte, daß ich den Christen erlaubte, sich in meinem Haus zu versammeln, und meine Sklaven glauben ließ, was sie wollten. Als Barbus merkte, daß ich seinen Vorschlag günstig aufnahm, erzählte er mir voll Eifer, daß Kephas mit Hilfe seiner des Lateinischen kundigen Jünger die Kinder Demut und Gehorsam gegenüber den Eltern lehrte. Viele Bürger, die wegen der Zuchtlosigkeit der Jugend in großer Sorge waren, schickten ihre Kinder in eine Feiertagsschule, wo man obendrein nicht einmal etwas zu bezahlen brauchte.

Einige Wochen später kam Jucundus eines Tages ganz von selbst zu mir, ergriff mich an der Hand und zog mich in mein Zimmer hinein. »Ist es wahr, daß es ein unsichtbares Reich gibt und daß die Römer den König ans Kreuz geschlagen haben?« fragte er mich erregt. »Und stimmt es, daß er bald zurückkommen wird, um die Römer allesamt ins Feuer zu werfen?«

Ich fand es sehr vernünftig, daß er nicht einfach alles glaubte, was man ihm erzählte, sondern von mir eine Bestätigung verlangte. In diesen Dingen war ich allerdings ein schlechter Ratgeber, aber ich antwortete vorsichtig: »Es stimmt, daß die Römer ihn kreuzigten. Auf einem Schild auf dem Kreuz stand, daß er der König der Juden war. Mein Vater war damals dabei und sah alles mit eigenen Augen. Er behauptet noch heute, der Himmel habe sich verdunkelt und die Felsen seien eingestürzt, als der König starb. Die Christen glauben, er werde bald wiederkehren, und es ist nun schon hoch an der Zeit, denn seit seinem Tode sind mehr als dreißig Jahre vergangen.«

Jucundus sagte nachdenklich: »Der Lehrer Kephas ist ein Hirtendruide und mächtiger als die Druiden Britanniens, obwohl er Jude ist. Er verlangt dies und jenes von einem, ganz wie die Druiden. Man soll sich waschen und saubere Kleider tragen, man soll beten, Beschimpfungen erdulden, dem, der einen geschlagen hat, auch die andere Wange hinhalten. Das sind Selbstbeherrschungsproben, wie sie auch Petro gefordert hat. Wir haben auch geheime Zeichen, an denen die Eingeweihten einander erkennen.«

Ich sagte darauf: »Ich bin sicher, daß Kephas dich nichts Böses lehrt. Die Übungen, die er vorschreibt, erfordern große Willenskraft. Doch du weißt gewiß selbst, daß dies Geheimnisse sind, über die man nicht mit dem nächsten besten sprechen darf.«

Dann tat ich sehr geheimnisvoll, holte den Holzbecher meiner Mutter aus der Truhe, zeigte ihn Jucundus und sagte: »Dies ist ein Zauberbecher. Der König der Juden hat selbst einmal daraus getrunken. Nun wollen wir beide zusammen daraus trinken, aber du darfst zu keinem Menschen davon sprechen, nicht einmal zu Kephas.«

Ich goß Wein und Wasser in den Becher, und wir tranken, mein Sohn und ich. In dem dämmerigen Raum schien es mir, als würde der Becher nicht leerer, aber das war gewiß nur eine Sinnestäuschung, die von der schlechten Beleuchtung herrührte. Dennoch fühlte ich plötzlich große Zärtlichkeit, und ich erkannte wie durch Offenbarung, daß ich mit meinem Vater über Jucundus sprechen mußte.

Wir machten uns unverzüglich auf den Weg zu Tullias prachtvollem Haus auf dem Virinal. Jucundus benahm sich wirklich fromm wie ein Lamm und sah sich mit großen Augen um, denn solchen Prunk hatte er noch in keinem Haus gesehen. Der Senator Pudens, der Kephas aufgenommen hatte, wohnte eher ärmlich und altmodisch, und ich selbst hatte in meinem Haus auf dem Aventin, obwohl es schon viel zu eng geworden war, keine Änderungen vornehmen lassen, weil Tante Laelia den Lärm der Bauarbeiten nicht ertragen hätte.

Ich ließ Jucundus bei Tullia, schloß mich mit meinem Vater ein und erzählte ihm offen alles über meinen Sohn. Ich hatte meinen Vater schon lange nicht mehr aufgesucht. Tiefes Mitleid ergriff mich, als ich sah, wie kahl er geworden war. Er war nun schon über sechzig. Er hörte mich an, ohne ein Wort zu sagen und ohne mir auch nur ein einziges Mal in die Augen zu sehen.

Zuletzt sagte er: »Wie doch das Schicksal der Väter sich an den Söhnen wiederholt! Deine eigene Mutter war eine Griechin von den Inseln, die Mutter deines Sohnes eine Britin vom Stamm der Icener. Als ich jung war, wurde mein Name im Zusammenhang mit einem Giftmord und einer Testamentsfälschung genannt. Über dich habe ich so furchtbare Dinge gehört, daß ich sie nicht ganz glauben kann. Deine Ehe mit Sabina hat mir nie gefallen, mag ihr Vater auch Stadtpräfekt sein, und ich habe aus Gründen, die ich dir wohl nicht zu erklären brauche, kein Verlangen danach, mir den Sohn anzusehen, den sie dir geboren hat. Mit deinem britischen Sohn aber verhält es sich anders. Wie bist du nur auf den klugen Einfall gekommen, ihn von Kephas erziehen zu lassen? Ich kenne Kephas aus meinen Jahren in Galiläa. Er ist heute nicht mehr der Eiferer, der er damals war. Wie denkst du dir die Zukunft deines Sohnes?«

»Am liebsten möchte ich ihn in der Schule des Palatiums erziehen lassen, wo vorzügliche Rhetoren und Schüler Senecas die Söhne der Könige und Vornehmen unserer Bundesgenossen unterrichten«, erwiderte ich. »Dort würde sein schlechtes Latein nicht weiter auffallen, und er könnte nützliche Freundschaften mit Gleichaltrigen schließen, sobald Kephas ihn ein wenig gezähmt hat. Wenn Britannien einmal eine neue Verwaltung bekommt, wird man eine vom römischen Geist durchdrungene Führungsschicht brauchen, und Jucundus ist mütterlicherseits aus vornehmem icenischem Geschlecht. Aus gewissen Gründen darf ich aber Nero zur Zeit nicht unter die Augen treten, obwohl wir einmal Freunde waren.«

Mein Vater sagte nach langem Nachdenken: »Ich bin Senator und habe mir von Nero noch nie eine Gunst erbeten. Ich habe sogar bei den Senatssitzungen den Mund zu halten gelernt, was allerdings eher Tullias Verdienst ist als mein eigenes, denn in all den Jahren unseres Zusammenlebens habe ich ihr immer das letzte Wort gelassen. In Britannien herrscht zur Zeit ein vollkommenes Durcheinander, und die Archive sind zum größten Teil zerstört. Ein geschickter Jurist wird daher leicht Unterlagen herbeischaffen können, die beweisen, daß Jucundus’ Eltern auf Grund ihrer Verdienste römische Bürger waren. Das kommt der Wahrheit sogar recht nahe, da du mit seiner Mutter nach britischer Sitte die Ehe geschlossen hast. Deiner eigenen Mutter hat man ja sogar in der Stadt Myrina eine Statue errichtet, und sobald Comulodunum wiederaufgebaut ist, kannst du im Claudiustempel eine Statue deiner Lugunda aufstellen lassen. Das bist du der Mutter deines Sohnes schuldig.« Das Unglaublichste war, daß sich Tullia während unseres langen Gesprächs in Jucundus vergafft hatte und sich vor Zärtlichkeit und Entzücken nicht zu fassen wußte. Ihre üppige Schönheit begann zu verwelken, und aus ihrem rundlichen Doppelkinn war ein runzliger Beutel geworden. Als sie von dem traurigen Schicksal seiner Eltern erfuhr, brach sie in Tränen aus, schloß Jucundus in die Arme und rief: »An seinem Mund, seiner Nase, seinen Brauen, ja sogar an seinen Ohren sehe ich, daß er aus edlem Geschlecht stammt. Seine Eltern müssen alle Tugenden besessen haben, nur am Verstand hat es ihnen offenbar gefehlt, sonst hätten sie nicht einen Mann wie Minutus zu seinem Vormund gemacht. Glaubt mir. Ich kann auf den ersten Blick Gold von Messing unterscheiden.«

Jucundus ertrug ihre Küsse und Liebkosungen geduldig wie ein Opferlamm. Die Erziehung durch Kephas begann schon Früchte zu tragen. Tullia fuhr wehmütig fort: »Die Götter haben mir nie ein eigenes Kind gegönnt. In meiner Jugend, während meiner ersten beiden Ehen, hatte ich nichts als Fehlgeburten. Mein dritter Mann, Valerius, war seines hohen Alters wegen unfruchtbar, wenn sonst auch reich, und Marcus vergeudete seinen Samen in den Schoß eines griechischen Freudenmädchens. Doch genug davon, ich will deine Mutter nicht beleidigen, lieber Minutus. Aber daß dieser kleine Brite in unser Haus gekommen ist, darin sehe ich ein Zeichen. Marcus, rette den schönen Jucundus aus den Händen deines Sohnes. Sabina ist imstande und macht noch einen Tierbändiger aus ihm. Könnten wir ihn nicht adoptieren und wie unser eigenes Kind aufziehen?«

Ich war vor Verwunderung wie gelähmt, und mein Vater wußte zuerst nicht, was er sagen sollte. Wenn ich heute über dieses Geschehnis nachdenke, weiß ich mir keine andere Erklärung als die, daß dem Holzbecher meiner Mutter irgendeine übernatürliche Kraft innewohnte.

Wie dem auch war, ich wurde auf diese Weise von einer drückenden Pflicht befreit, denn ich taugte damals kaum dazu, jemanden zu erziehen. Ich tauge auch heute noch nicht dazu. Diese bittere Erkenntnis verdanke ich Dir, Julius. Ich hatte aus mancherlei Gründen einen schlechten Ruf, während man meinen Vater allgemein für einen gutmütigen Dummkopf ansah. Er hatte keinen Ehrgeiz, und niemand vermochte sich vorzustellen, daß er sich mit Absicht und Bedacht in politische Intrigen einmischen könnte.

Als Sachverständiger für orientalische Angelegenheiten hatte er der Form halber zwei Monate lang eine Prätur innegehabt, und einmal war er aus reinem Wohlwollen sogar zum Konsul vorgeschlagen worden. Als sein Adoptivsohn hatte Jucundus unvergleichlich bessere Zukunftsaussichten, und als Sohn eines Senators konnte er sich gleich unter den ersten Namen in die Ritterrolle einschreiben lassen, sobald er die Toga anlegte.


Kurz nachdem ich diese Sorge losgeworden war, erfuhr ich, daß der Prätorianerpräfekt Burrus mit einem Halsgeschwür auf den Tod darniederlag. Nero schickte ihm seinen eigenen Leibarzt. Als Burrus dies erfuhr, schrieb er sein Testament und sandte es zur Verwahrung in den Vestatempel.

Erst dann erlaubte er dem Arzt, ihm mit einer Feder, die in eine unfehlbare Arznei getaucht worden war, den Hals zu pinseln. Schon in der nächsten Nacht war er endgültig tot. Er wäre wahrscheinlich auf jeden Fall gestorben, denn die Blutvergiftung hatte sich schon ausgebreitet, und er hatte bereits im Fieber irrezureden begonnen.

Man begrub Burrus unter großen Ehrenbezeigungen. Bevor der Scheiterhaufen auf dem Marsfeld angezündet wurde, ernannte Nero Tigellinus zum Präfekten der Prätorianer. Dieser ehemalige Pferdehändler brauchte keine juristischen Erfahrungen. Mit der Behandlung von Streitsachen zwischen römischen Bürgern und Ausländern wurde ein gewisser Fenius Rufus betraut, ein Mann jüdischer Abstammung, der ehedem in seiner Eigenschaft als staatlicher Aufseher über den Getreidehandel weit gereist war.

Ich ging auf der Suche nach einem Geschenk, das ich für wertvoll genug halten durfte, durch die ganze Straße der Goldschmiede und entschied mich zuletzt für eine mehrfach geschlungene Halskette aus erlesenen Perlen. Diese sandte ich mit folgendem Brief an Poppaea:


»Minutus Lausus Manilianus grüßt Poppaea Sabina.

Venus wurde aus dem Schaum des Meeres geboren. Perlen sind eine würdige Gabe für Venus, wenngleich der Glanz der allerreinsten dieser bescheidenen parthischen Perlen nicht mit dem Schimmer Deiner Haut verglichen werden darf, den ich nicht vergessen kann. Ich hoffe, diese Perlen werden Dich an unsere Freundschaft erinnern. Gewisse Zeichen sagen mir, daß die Weissagung, von der Du mir einst sprachst, bald in Erfüllung gehen wird.«


Ich war offenbar der erste, der die Vorzeichen richtig zu deuten verstand, denn Poppaea ließ mich sogleich zu sich rufen, dankte mir für das schöne Geschenk und versuchte mich auszuhorchen, woher ich gewußt hätte, daß sie schwanger war, denn sie hatte selbst erst vor wenigen Tagen Gewißheit erhalten. Ich konnte mich nur auf mein etruskisches Erbe ausreden, dem ich bisweilen seltsame Träume verdankte. Zuletzt sagte Poppaea: »Nach dem traurigen Tod seiner Mutter war Nero eine Zeitlang nicht Herr seiner selbst und wollte sich von mir lossagen. Aber nun ist alles wieder gut. Er braucht wirkliche Freunde, die ihm zur Seite stehen und seine politischen Pläne unterstützen.«

Die brauchte Nero in der Tat, denn seit er Octavia vor dem Senat der Unfruchtbarkeit angeklagt und seine Absicht angedeutet hatte, sich von ihr scheiden zu lassen, herrschten in der Stadt gefährliche Unruhen. Er hatte versuchsweise eine Statue Poppaeas auf dem Forum, nahe dem Brunnen der Vestalinnen, aufstellen lassen. Ein Volkshaufe warf sie um, bekränzte die Standbilder Octavias und zog johlend den Palatin hinauf, so daß die Prätorianer zu den Waffen greifen mußten, um ihn auseinanderzujagen.

Ich vermutete, daß Seneca seine geschickten Finger mit im Spiel hatte, denn diese Kundgebungen schienen nach einem bestimmten Plan zu verlaufen. Nero bekam es jedoch mit der Angst zu tun und ließ Octavia zurückrufen, die auf seinen Befehl schon nach Kampanien unterwegs war. Eine jubelnde Menge folgte ihrer Sänfte, und in den Tempeln auf dem Kapitolinischen Hügel wurden Dankopfer dargebracht, als sie ins Palatium zurückgekehrt war.

Tags darauf schickte Nero nach zwei Jahren zum erstenmal wieder nach mir. Eine der Dienerinnen hatte Octavia des Ehebruchs mit einem alexandrinischen Flötenbläser namens Eucerus bezichtigt, und Tigellinus hatte sofort eine geheime Verhandlung angesetzt, bei der Octavia selbst nicht zugegen war.

Ich wurde als Zeuge vernommen, da ich Eucerus kannte, und ich konnte nichts anderes sagen, als daß der Klang der Flöte allein schon dazu angetan sei, dem Menschen leichtfertige Gedanken einzuflößen. Ich hatte mit eigenen Augen gesehen, wie Octavia Eucerus wehmütig seufzend betrachtete, als er einmal bei Tisch spielte. Aber, fügte ich um der Gerechtigkeit willen hinzu, Octavia seufzte auch bei anderen Anlässen und war überhaupt, wie jedermann wußte, meist traurig gestimmt.

Octavias Sklavinnen wurden einer peinlichen Befragung unterzogen. Mir wurde unbehaglich zumute, als ich zusah. Einige waren bereit zu gestehen, vermochten aber nicht anzugeben, wann, wo und unter welchen Umständen der Ehebruch stattgefunden habe. Tigellinus griff in das Verhör ein, das nicht nach seinem Wunsch ging, und fragte ein sehr reizvolles Mädchen ungeduldig: »Sprach denn nicht die ganze Dienerschaft über diesen Ehebruch?«

Das Mädchen erwiderte spöttisch: »Wenn man alles glauben will, was geredet wird, dann ist Octavias Scham unvergleichlich keuscher als dein Mund, Tigellinus.«

Diese Worte lösten ein solches Gelächter aus, daß das Verhör abgebrochen werden mußte. Das Laster des Tigellinus war allgemein bekannt, und nun hatte er auch noch seine Unkenntnis in juristischen Dingen unter Beweis gestellt, indem er der Sklavin durch seine plumpe Frage eine Antwort förmlich in den Mund legte, die offenkundig nicht der Wahrheit entsprach. Das Mitgefühl der Richter galt den Sklavinnen, und sie ließen nicht zu, daß Tigellinus die peinliche Befragung gegen die Gesetzesvorschriften so weit trieb, daß die armen Frauen bleibenden Schaden hätten nehmen können.

Die Verhandlung wurde auf den nächsten Tag aufgeschoben, an dem als einziger Zeuge mein alter Freund Anicetus auftrat. Mit gespielter Verlegenheit berichtete er, indem er Ort und Zeit genau angab, daß Octavia bei einem Badeaufenthalt in Baiae ein überraschendes Interesse für die Flotte gezeigt und den Wunsch geäußert hatte, die Kapitäne und Zenturionen kennenzulernen.

Anicetus hatte ihre Absicht mißverstanden und eine Annäherung gewagt, die jedoch von Octavia mit Bestimmtheit abgewiesen worden war. Da hatte er sie, von verbrecherischer Lust verblendet, mit einem Betäubungstrank eingeschläfert und mißbraucht, gleich darauf aber seine Untat bitter bereut. Das Gewissen, behauptete er, zwinge ihn nun, sein Verbrechen zu gestehen, und er könne nur noch die Barmherzigkeit des Kaisers erflehen. Daß Anicetus ein Gewissen besaß, das hatte bis zu jenem Tage wohl nicht einmal er selbst geahnt, aber die Richter sprachen die Scheidung aus. Octavia wurde auf die Insel Pandataria verbannt, Anicetus nach Sardinien versetzt. Nero verfaßte, diesmal ohne Senecas Hilfe, eine wortreiche Mitteilung über das Geschehene an den Senat und das Volk von Rom. Er deutete darin an, Octavia habe im Vertrauen auf Burrus gehofft, die Prätorianer auf ihre Seite zu bekommen. Um sich auch der Unterstützung durch die Flotte zu versichern, habe sie deren Befehlshaber Anicetus verführt und als sie schwanger geworden war, ihre Leibesfrucht auf verbrecherische Weise abgetrieben.

Diese Mitteilung machte einen glaubwürdigen Eindruck auf alle, die Octavia nicht persönlich kannten. Ich selbst las sie mit einiger Verwunderung, denn ich war bei der geheimen Verhandlung zugegen gewesen, aber ich sagte mir, daß eine gewisse Übertreibung aus politischen Gründen nötig sein mochte, nämlich wegen der Gunst, die Octavia beim Volk genoß.

Um Kundgebungen zu vermeiden, ließ Nero unverzüglich die Standbilder Octavias in der ganzen Stadt zerstören, aber die Leute zogen sich in ihre Häuser zurück wie in Zeiten allgemeiner Trauer, und der Senat war nicht einmal beschlußfähig, so viele waren der Sitzung ferngeblieben. Im übrigen gab es über Neros Mitteilung, die ein bloßer Bericht, nicht ein Vorschlag war, keinen Beschluß zu fassen.

Zwölf Tage später vermählte sich Nero mit Poppaea Sabina, aber es wurde kein sehr frohes Fest, obwohl die Hochzeitsgeschenke einen ganzen Saal im Palatium füllten.

Nero ließ wie üblich ein genaues Verzeichnis der Geschenke anlegen und für jedes einen Dankbrief schreiben. Einem Gerücht zufolge wurden außerdem auf einer eigenen Liste alle Senatoren und Ritter vermerkt, die nichts geschickt hatten oder unter dem Vorwand, krank zu sein, der Hochzeit ferngeblieben waren. Daher trafen zugleich mit den Geschenken aus den Provinzen zahllose verspätete Hochzeitsgaben aus Rom mit vielen Erklärungen und Entschuldigungen ein. Der Rat der Juden in Rom sandte Poppaea einige mit Tauben verzierte Goldbecher im Gesamtwert von einer halben Million Sesterzen.

An Stelle der Standbilder Octavias wurden in ganz Rom Statuen Poppaeas aufgestellt. Tigellinus ließ sie Tag und Nacht durch seine Prätorianer bewachen, und mancher, der sie in aller Unschuld bekränzen wollte, erhielt zum Dank einen Stoß mit dem Schild oder einen Hieb mit der flachen Klinge.

Eines Nachts stülpte jemand der Riesenstatue Neros auf dem Kapitolinischen Hügel einen Sack über den Kopf. Am Morgen sprach ganz Rom davon, und jeder wußte, was dieser Streich zu bedeuten hatte. Nach dem Gesetz unserer Väter muß ein Vater oder Muttermörder zusammen mit einer Schlange, einer Katze und einem Hahn in einem Sack ertränkt werden. Soviel ich weiß, war dies das erstemal, daß jemand öffentlich andeutete, Nero habe seine Mutter ermordet.

Mein Schwiegervater Flavius Sabinus war wegen der gedrückten Stimmung, die in Rom herrschte, in großer Sorge. Als er erfuhr, daß man auf einem der Marmorböden im Palatium eine lebende Kreuzotter gefunden hatte, befahl er, alle verdächtig erscheinenden Personen anzuhalten. So kam es, daß man zum Beispiel die Gattin eines wohlhabenden Ritters festnahm, die auf einem Abendspaziergang ihre Katze auf dem Arm trug und daß ein Sklave, der mit einem Hahn, den er für die Gesundheit seines Hausvaters opfern wollte, zum Aeskulaptempel unterwegs war, die Rute zu schmecken bekam. Solche Vorfälle erweckten allgemeine Heiterkeit, obwohl mein Schwiegervater gewiß in gutem Glauben handelte und nichts Böses beabsichtigte. Nero nahm ihm jedoch diese Albernheiten so übel, daß er ihn für eine Weile seines Amtes enthob.

Für uns alle, die vernünftig zu denken vermochten, gab es keinen Zweifel daran, daß die Verstoßung Octavias nur den billigen Vorwand dafür lieferte, Nero in jeder Hinsicht anzuschwärzen. Poppaea Sabina war eine schönere und klügere Frau als die verschlossene, überempfindliche Octavia, aber die Partei der Alten tat, was in ihrer Macht stand, um das Volk aufzuwiegeln.

Ich griff mir in jenen Tagen manchmal an den Hals und fragte mich, was für ein Gefühl es wohl sein mochte, wenn einem der Kopf abgeschlagen wurde. Ein Militäraufstand war täglich zu erwarten. Die Prätorianer haßten Tigellinus, der von niedriger Geburt war – ein ehemaliger Pferdehändler – und mit schonungsloser Härte auf Zucht und Ordnung sah. Er hatte sich von allem Anfang an mit seinem Amtsbruder Fenius Rufus zerstritten, so daß sie nicht mehr in demselben Raum zusammentreffen konnten, ohne daß der eine, gewöhnlich Rufus, sogleich wieder seines Weges ging. Wir, die Freunde Neros, die aufrichtig sein Bestes wünschten, versammelten uns eines Tages zu einer ernsten Beratung im Palatium. Tigellinus war der älteste und willensstärkste unter uns, und wir verließen uns ganz auf ihn, sowenig wir ihn auch mochten. Er übernahm das Wort und redete eindringlich auf Nero ein: »Hier in der Stadt kann ich die Gewähr für Ruhe und Ordnung und deine eigene Sicherheit übernehmen. Aber in Massilia lebt der verbannte Sulla, der von Antonia gestützt wird. Er ist arm und durch die Erniedrigung vor der Zeit grau geworden. Ich habe erfahren, daß er Verbindungen mit vornehmen Kreisen in Gallien angeknüpft hat, die Antonia um ihres eigenen berühmten Namens willen und weil sie die Tochter des Claudius ist, hoch schätzen. Auch die Legionen in Germanien sind so nahe, daß Sullas bloße Anwesenheit in Massilia eine Gefahr für den Staat und das Gemeinwohl bildet.«

Nero gab dies zu und sagte verzweifelt: »Ich kann nicht begreifen, warum niemand Poppaea so liebt wie ich. Sie befindet sich zur Zeit in einem äußerst reizbaren Zustand, und alles, was sie erregen könnte, muß ihr ferngehalten werden.«

Tigellinus fuhr fort: »Noch gefährlicher für dich ist Plautus. Es war ein großer Fehler, ihn nach Asia zu verbannen, wo immer noch Unruhen herrschen. Der Vater seiner Mutter war ein Drusus. Und wer kann die Hand dafür ins Feuer legen, daß Corbulo und seine Legionen dir treu bleiben? Ich weiß aus sicherer Quelle, daß sein Schwiegervater, der Senator Lucius Antistius, einen seiner Freigelassenen zu Plautus geschickt hat, um ihn aufzuhetzen, die Gelegenheit zu nutzen. Er ist außerdem sehr reich, und das ist bei einem ehrgeizigen Manne ebenso gefährlich, wie wenn er arm wäre.«

Ich fiel ihm ins Wort: »Über die Vorgänge in Asia bin ich gut unterrichtet. Ich habe gehört, daß Plautus nur mit Philosophen verkehrt. Der Etrusker Musonius, ein guter Freund des weltberühmten Apollonius von Tyana, folgte ihm freiwillig in die Verbannung.«

Tigellinus schlug triumphierend die Hände zusammen und rief: »Da siehst du es! Die Philosophen sind die allergefährlichsten Ratgeber, wenn sie jungen Männern ihre unverschämten Ansichten über Freiheit und Tyrannei ins Ohr flüstern.«

»Wer könnte behaupten, ich sei ein Tyrann!« sagte Nero tief gekränkt. »Ich habe dem Volk mehr Freiheit gegeben als je ein Herrscher vor mir, und ich unterbreite alle meine Vorschläge demütig und bescheiden dem Senat.«

Wir beeilten uns, zu versichern, daß er der mildeste, edelmütigste Herrscher sei, aber nun, so sagten wir, gehe es um das Wohl des Staates, und es gebe nichts Furchtbareres als einen Bürgerkrieg.

In diesem Augenblick kam Poppaea hereingestürzt, spärlich bekleidet, mit offenem Haar und tränenüberströmtem Gesicht. Sie fiel vor Nero nieder, drückte ihre Brüste gegen seine Knie und rief: »Mir liegt nichts an mir selbst oder an meiner Stellung, und ich denke nicht einmal an unser ungeborenes Kind. Aber es geht um dein Leben, Nero. Höre auf Tigellinus! Er weiß, was er sagt.«

Ihr Arzt war ihr aufgeregt gefolgt. »Poppaea wird ihr Kind verlieren, wenn sie sich nicht beruhigt«, versicherte er und versuchte, sie mit sanfter Gewalt aufzuheben.

»Wie soll ich Ruhe finden, solange dieses entsetzliche Weib auf Pandataria seine Ränke schmiedet!« klagte Poppaea. »Sie hat dein Bett entehrt, sie hat Zauberei getrieben und mich zu vergiften versucht. Ich habe mich heute vor Angst schon einige Male erbrechen müssen.«

Tigellinus sagte mit Nachdruck: »Wer einmal seinen Weg gewählt hat, darf nicht mehr zurückblicken. Wenn dir an deinem eigenen Leben nichts liegt, Nero, so denke an uns. Durch deine Unentschlossenheit bringst du uns alle in Gefahr. Wen werden die Aufrührer als erste aus dem Weg räumen? Uns, deine Freunde, die dein Bestes wollen und nicht, wie Seneca, nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind. Vor dem Unvermeidlichen müssen sich selbst die Götter beugen.«

Nun wurden auch Neros Augen feucht, und er bat uns: »Seid ihr alle meine Zeugen, daß dies die schwerste Stunde meines Lebens ist. Ich gebiete meinen eigenen Gefühlen zu schweigen und unterwerfe mich der politischen Notwendigkeit.«

Tigellinus’ harte Züge erhellten sich, und er hob den Arm zum Gruß. »Nun bist du ein wahrer Herrscher, Nero. Zuverlässige Prätorianer sind bereits auf dem Wege nach Massilia. Nach Asia habe ich, da wir mit bewaffnetem Widerstand rechnen müssen, eine ganze Manipel geschickt. Der Gedanke war mir unerträglich, daß deine Neider die Gelegenheit nützen könnten, dich zu stürzen und dem Vaterland zu schaden.«

Anstatt sich über diese Eigenmächtigkeit zu erzürnen, seufzte Nero erleichtert auf und lobte Tigellinus als wahren Freund. Dann fragte er zerstreut, wie lange ein Eilbote nach Pandataria brauche.

Nur wenige Tage danach fragte mich Poppaea Sabina mit geheimnisvoller Miene: »Willst du das schönste Hochzeitsgeschenk sehen, das ich von Nero bekommen habe?«

Sie führte mich in eines ihrer Gemächer, zog ein rotbraun geflecktes Tuch von einem Weidenkorb und zeigte mir Octavias blutleeren Kopf. Sie rümpfte ihre hübsche Nase und sagte: »Pfui, er fängt schon an zu stinken und die Fliegen anzuziehen. Mein Arzt hat mir befohlen, ihn wegzuwerfen, aber wenn ich ab und zu dieses Hochzeitsgeschenk betrachte, dann weiß ich, daß ich wirklich die Gemahlin des Kaisers bin. Denk dir, als die Prätorianer sie in ein heißes Bad hoben, um ihr auf schmerzlose Art die Pulsadern zu öffnen, schrie sie wie ein Mädchen, das seine Puppe zerbrochen hat: ›Ich habe nichts getan!‹ Dabei war sie immerhin schon zwanzig Jahre alt, aber ich glaube, sie war ein wenig zurückgeblieben. Wer weiß, von wem Messalina sie hatte. Vielleicht sogar von dem verrückten Kaiser Gajus.«

Nero forderte den Senat auf, ein Dankopfer im Kapitol für die glücklich abgewendete Gefahr, die dem Staat gedroht hatte, zu beschließen. Zwölf Tage später traf aus Massilia der vorzeitig ergraute Kopf des Faustus Sulla ein, und der Senat beschloß von sich aus, mit den Dankopfern fortzufahren.

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