Die Musik gellte mir in den Ohren, und überall wanden sich nackte Tänzerinnen und Akrobaten auf dem Boden, als ich zu meinem Vater ging. Er lag finster und in sich gekehrt neben Tullia auf einem Ruhebett, und ich sagte: »Es mag in Rom Sitte sein, daß vornehme Damen alle Wände anspeien und die Männer mir unanständige Zeichen machen, aber ich dulde nicht, daß irgendeiner sich das Recht herausnimmt, an meinem Körper herumzufingern, wann und wo er will. Ich bin weder Sklave noch Lustknabe, und ich möchte nach Hause gehen.« Mein Vater gestand: »Ich bin zu willensschwach und träge, um der Verderbtheit zu entgehen, aber versuche du, stärker zu sein als ich. Ich freue mich über deinen Entschluß, da du selbst ihn gefaßt hast. Ich selbst muß hierbleiben, denn seinem Schicksal kann niemand entrinnen, aber für dich ist es besser, du wohnst bei Tante Laelia, und im übrigen hast du ja dein eigenes Vermögen. Es wäre nicht zu deinem Nutzen, wenn du im Haus deiner Stiefmutter wohntest.«

Tullia sah mich nicht mehr so zärtlich an wie am Abend zuvor. Ich fragte, ob ich meinen Vater am Morgen abholen dürfe, damit wir ein Pferd auswählten, aber sie entgegnete schroff: »Dein Vater ist zum Reiten zu alt. Er würde nur vom Pferd fallen und sich seinen kostbaren Kopf aufschlagen. Bei der Parade zur Jahrhundertfeier kann er sein Pferd am Zügel führen.«

Ich begriff, daß ich meinen Vater verloren hatte. Ein banges Gefühl der Verlassenheit überwältigte mich. Wie kurz war die Zeit gewesen, in der ich seine Gunst genossen hatte! Aber ich begriff auch, daß es das beste für mich war, wenn ich hart wurde und mein Leben selbst in die Hand nahm. Als ich Tante Laelia suchte, taumelte eine halbnackte Frau auf mich zu, sah mich aus schwimmenden Augen an und fiel mir um den Hals. Ich versetzte ihr einen kräftigen Schlag aufs Hinterteil, aber davon wurde sie nur noch hitziger, so daß mir Barbus zu Hilfe kommen und sie zurückreißen mußte.

Tullia, die froh war, uns so schnell loszuwerden, stellte uns ihre eigene Sänfte zur Verfügung. Als wir sie bestiegen hatten, ordnete Tante Laelia ihr Gewand und sagte kichernd: »Man hat mir zwar schon viel von dem Treiben in den neuen Häusern Roms erzählt, aber ich habe doch meinen Augen nicht getraut. Dabei wird Tullia Valeria noch als eine vergleichsweise anständige Frau angesehen. Vielleicht hat die neue Heirat sie so zügellos gemacht, nachdem sie als Witwe enthaltsam lebte, obgleich ich gehört habe, daß so mancher stattliche Mann in ihrem Hause aus- und einging wie in seinem eigenen. Es wird deinen Vater einige Mühe kosten, sie im Zaum zu halten.«

Zeitig am nächsten Morgen, bei Brot und Honig, sagte ich zu Barbus: »Ich will mir nun mein Pferd aussuchen gehen, und zwar allein, denn als Erwachsener brauche ich keinen Begleiter mehr. Du hast nun die beste Gelegenheit, deinen alten Traum zu verwirklichen und Schankwirt zu werden.«

Barbus antwortete ernst: »Ich habe mir ein paar kleine, gutgehende Schenken in verschiedenen Vierteln Roms angesehen und könnte mir, dank der Güte deines Vaters, auch eine kaufen, aber ich muß dir offen gestehen, daß die Sache mich nicht mehr so reizt wie damals, als ich auf der nackten Erde schlief und den sauren Wein der Legion trank. Ich bin selbst ein starker Trinker und lade gern andere ein, sobald ich zuviel getrunken habe. Außerdem braucht eine Schenke nicht nur einen Wirt, sondern auch eine Wirtin, aber nach meinen unliebsamen Erfahrungen sind tüchtige Schankwirtinnen hartherzige, scharfzüngige Weiber. Ich möchte fürs erste, um die Wahrheit zu sagen, viel lieber in deinem Dienst bleiben. Als Beschützer brauchst du mich freilich nicht mehr, das ist wahr, aber ich habe bemerkt, daß ein Ritter, der auf sich hält, immer einen oder mehrere Begleiter bei sich hat, und manche haben gleich zehn oder hundert. Es ist gewiß das klügste, wenn du dich von einem narbenbedeckten Veteranen begleiten läßt. Das Reiten ist natürlich eine Sache für sich«, fuhr er nach kurzem Schweigen fort. »Aber ich fürchte, du hast ein paar schwere Wochen vor dir. Vergiß nicht, daß du in den Augen der anderen ein Neuling bist. Ich habe dir ja erzählt, wie die Neulinge in der Legion gedrillt werden, aber du hast mir wahrscheinlich nicht alles geglaubt, und vielleicht habe ich auch ein bißchen übertrieben, damit du deinen Spaß hattest. Vor allem mußt du dich beherrschen, die Zähne zusammenbeißen und dich niemals über einen Vorgesetzten ärgern. Wir gehen zusammen. Vielleicht kann ich dir den einen oder anderen guten Rat geben.«

Als wir durch die Stadt zum Marsfeld gingen, sagte Barbus wehmütig: »Ich sollte eigentlich die Rangabzeichen eines Unterzenturios und sogar die Mauerkrone tragen dürfen, aber leider habe ich mich zu oft in Raufhändel eingelassen, wenn ich Wein getrunken hatte, und so ist nichts daraus geworden. Sogar die Halskette, die mir der Kriegstribun Lucius Porcius zur Erinnerung schenkte, den ich mir, als er schwer verwundet war, auf den Rücken lud und zwischen den Eisschollen hindurchschwimmend über die Donau brachte, habe ich verloren. Ich mußte sie in einer schmutzigen Barbarenkneipe in Mösien als Pfand hinterlegen und konnte sie nicht mehr auslösen, bevor wir versetzt wurden. Aber wir könnten ja zu einem Waffenhändler gehen und irgendeine alte Kette kaufen. Vielleicht wirst du besser aufgenommen, wenn dein Begleiter so ein Ding um den Hals trägt.«

Ich antwortete ihm, daß er schon genug Ehrenzeichen auf der Zunge trage, aber Barbus ließ sich nicht von seinem Vorsatz abbringen und erstand wenigstens eine Triumphnadel aus Kupfer, deren Inschrift schon so abgeschliffen war, daß sich nicht mehr feststellen ließ, welcher Triumphator einst solche Nadeln an seine Veteranen verteilt hatte. Als Barbus sie an seiner Schulter befestigt hatte, meinte er, nun werde er sich unter den Rittern sicherer fühlen.

Auf dem großen Feld übten etwa hundert junge Reiter für die Jahrhundertfeier. Der Stallmeister war ein grobschlächtiger Riese, der laut lachte, als er die Bescheinigung las, die mir der Quästor der Ritter ausgestellt hatte. »Wir werden schon einen passenden Gaul für dich finden!« schrie er. »Was für einen hättest du denn gern? Einen großen oder einen kleinen, einen wilden oder einen zahmen, einen schwarzen oder einen weißen?«

Er führte uns in den Stall, in dem die freien Pferde standen. Ich entdeckte auch gleich eines, das mir gefiel, und zeigte darauf, aber er blickte in seine Liste und behauptete, es gehöre schon jemandem. »Am besten nimmst du ein ruhiges, friedsames Pferd, das die Übungen und den Lärm im Zirkus gewohnt ist und die Hornsignale schon kennt, sofern du die Absicht hast, an der Parade zur Jahrhundertfeier teilzunehmen«, sagte er und fragte: »Bist du überhaupt schon einmal geritten?«

Ich erwiderte schüchtern, daß ich mich in Antiochia schon ein wenig geübt hätte, denn Barbus hatte mir verboten, mit meinen Reitkünsten zu prahlen, und fügte hinzu: »Ich möchte am liebsten ein Pferd haben, das noch nicht zugeritten ist, und es selbst einüben, aber ich kann mir denken, daß ich damit vor der Jahrhundertfeier nicht mehr fertig werde.«

»Ausgezeichnet! Ausgezeichnet!« rief der Stallmeister und erstickte beinahe vor Lachen. »Es gibt nicht viele junge Männer, die sich darauf verstehen, ein Pferd zuzureiten. Bei uns besorgen das gewöhnlich die Berufszureiter. Herkules, steh mir bei, sonst zerplatze ich!«

Unterdes trat ein Zureiter zu uns, musterte mich vom Kopf bis zu den Füßen und sagte: »Wir haben ja Arminia. Sie ist den Zirkuslärm gewohnt und hält schön still, selbst wenn man ihr einen Sack Steine in den Sattel hebt.«

Bei diesen Worten zeigte er auf eine große falbe Stute, die sich in ihrem Stand umdrehte und mich mißtrauisch ansah.

»Nein, nicht Arminia!« sagte der Stallmeister erschrocken. »Sie ist viel zu gut für so einen jungen Kerl, so stattlich und dabei so fromm wie ein Lamm. Nein, nein, wir müssen sie für irgendeinen alten Senator aufheben, der bei der Parade mitreiten will.«

Barbus flüsterte mir eifrig zu, ich müsse unbedingt versuchen, ein so gemütliches, zuverlässiges Pferd zu bekommen. Arminias Augen und Ohren sagten mir jedoch, daß sie nicht ganz so fromm sein konnte, wie der Stallmeister mich glauben machen wollte. »Ich nehme natürlich nicht an, daß ich ein Pferd umsonst bekomme, nur mit der Bescheinigung des Quästors«, sagte ich. »Wenn du erlaubst, möchte ich es gern einmal mit diesem Pferd versuchen.«

»Er will es versuchen, und er will obendrein noch dafür bezahlen!« rief der Zureiter entzückt. Nach einigen Einwänden ließ sich der Stallmeister endlich erweichen. »Es ist ein viel zu gutes Pferd für ein Bürschchen wie dich«, sagte er. »Aber zieh dir die Stiefel an und lege deine Rüstung an. Inzwischen lasse ich das Pferd satteln.«

Ich antwortete bedauernd, daß ich keine Rüstung mitgebracht hatte, aber der Stallmeister sah mich an, als zweifelte er an meinem Verstand, und fragte: »Was willst du eigentlich anziehen? Deine Paraderüstung vielleicht? Für deine Übungsrüstung kommt der Staat auf!«

Er führte mich in die Rüstkammer, und hilfreiche Sklaven schnürten mir den Brustharnisch so eng, daß ich kaum Atem zu holen vermochte. Auf den Kopf bekam ich einen gebuckelten Schutzhelm und an die Füße ein Paar alte Stiefel mit kurzen Schäften. Schild, Schwert und Lanze gaben sie mir nicht, sondern forderten mich auf, erst einmal zu lernen, mich im Sattel zu halten.

Die falbe Stute trabte munter aus dem Stall und wieherte laut, aber auf ein Kommando des Stallmeisters blieb sie regungslos stehen. Ich saß auf, indem ich gleich nach den Zügeln griff, und bat, die Steigbügelriemen auf die richtige Länge einzustellen. Der Stallmeister sagte billigend: »Es scheint, du bist schon oft zu Pferde gesessen.« Dann rief er mit donnergleicher Stimme: »Der Ritter Minutus Lausus Manilianus hat Arminia gewählt und gedenkt sie zu reiten!«

Die Reiterschar auf dem Übungsfeld zog sich an die Ränder zurück, ein Horn schmetterte das Angriffssignal, und im nächsten Augenblick begann ein Spiel, das nicht so sehr dank meiner Geschicklichkeit zuletzt doch noch gut ausging, sondern weil ich einfach Glück hatte. Ich hörte noch, wie der Stallmeister mich ermahnte, die empfindlichen Lefzen der Stute zu schonen, aber Arminia hatte ein Maul aus Gußeisen. Von Zügeln und Trense schien sie nichts zu wissen. Zuerst keilte sie nach hinten aus, um mich über ihren Kopf abzuwerfen. Als ihr das nicht glückte, begann sie zu tänzeln und sich aufzubäumen, und dann stob sie in wildem Galopp davon und wandte nacheinander alle Kniffe an, auf die ein boshaftes, erfahrenes Zirkuspferd verfällt, um einen ungeschickten Reiter aus dem Sattel zu werfen. Ich verstand nun, warum die anderen Reiter an die Ränder des Übungsfeldes zurückgewichen waren, als Arminia losgelassen wurde.

Mir blieb nichts anderes übrig, als mit aller Macht an den Zügeln zu reißen, um ihr den Kopf ein wenig nach links zu wenden, denn sie raste geradewegs auf die Einzäunung zu und versuchte, mich an den Pfählen abzustreifen. Als ich trotzdem im Sattel blieb, wurde sie vollends wild und setzte mit Riesensprüngen über die Hindernisse auf dem Feld. Ich hatte es wahrhaftig mit einem ungewöhnlich kräftigen und listigen Pferd zu tun, so daß ich, sobald ich mich vom ersten Schrecken erholt hatte, den Ritt zu genießen begann, ein paar laute Schreie ausstieß und ihr die Hacken in die Weichen drückte, damit sie ihren Zorn austobte und müde wurde.

Verblüfft versuchte Arminia nach mir zu schielen und gehorchte den Zügeln gerade so viel, daß ich sie auf den Stallmeister und den Zureiter zulenken konnte. Den beiden verging das Lachen, und sie brachten sich eilig hinter der Stalltür in Sicherheit. Der Stallmeister brüllte, zornrot im Gesicht, einige Befehle. Ein Horn schmetterte, und ein geschlossener Trupp begann mir entgegenzutraben.

Arminia dachte nicht daran, auszuweichen, sosehr ich auch an den Zügeln riß. Schaumflocken schnaubend und den Kopf hin und her werfend, trug sie mich in vollem Galopp auf die Reiter zu. Ich machte mich schon darauf gefaßt, niedergeritten zu werden, aber entweder sank den vordersten Reitern der Mut oder sie hatten es so beabsichtigt: Im letzten Augenblick öffneten sich die Reihen und ließen mich durch, aber jeder, der dazu in der Lage war, versuchte mich mit der Holzlanze aus dem Sattel zu heben oder im Rücken zu treffen. Die rasende Arminia trug mich jedoch, um sich beißend, springend und auskeilend, mitten durch die Reiterschar hindurch, ohne daß ich mehr als ein paar blaue Flecke abbekam.

Dieser boshafte, niederträchtige Angriff, der mich erschrecken sollte, brachte mich so in Zorn, daß ich Arminia mit aller Kraft herumriß, um selbst einen der Reiter aus dem Sattel zu stoßen, doch im letzten Augenblick entsann ich mich des Rates, den Barbus mir gegeben hatte, beherrschte mich und sprengte rufend, lachend und einen Gruß winkend an ihnen vorüber.

Sobald sich Arminia ausgearbeitet hatte, wurde sie tatsächlich lammfromm und gehorchte. Zwar versuchte sie, mich in den Hals zu beißen, als ich vor dem Stall abgesessen war, aber ich glaube, das war mehr Scherz als Ernst, weshalb ich sie auch nur leicht mit dem Ellenbogen unters Maul stieß.

Der Stallmeister und der Zureiter glotzten mich an wie ein Ungeheuer, aber der Stallmeister tat, als wäre er wütend, und sagte tadelnd: »Du hast ein kostbares Pferd halb zuschanden geritten und ihm die Lefzen blutig gerissen. Das hat dich niemand geheißen.«

»Es ist mein eigenes Pferd, und daher ist es auch meine Sache, wie ich es reite«, antwortete ich unbekümmert.

»Da irrst du dich gründlich!« sagte er aufbrausend. »Bei den Übungen kannst du Arminia nicht reiten. Sie bleibt nicht im Glied und hört auf kein Kommando, weil sie es gewohnt ist, an der Spitze zu traben.«

»Dann reite ich eben an der Spitze«, erwiderte ich kühn. »Du selbst hast mich für diesen Platz ausersehen, als du mir die Stute gabst.«

Mehrere Reiter waren abgesessen und bildeten einen Kreis um uns. Sie spornten mich an, riefen, ich sei ein tüchtiger Reiter, und bezeugten einstimmig, daß der Stallmeister selbst mir das Pferd durch Ausruf zugeteilt hatte.

»Verstehst du denn nicht, daß das nur ein Scherz war?« sagte der Stallmeister endlich kleinlaut. »Jeder Neuling bekommt zuerst einmal Arminia, sofern er nicht gar zu klein ist. Arminia ist ein richtiges Streitroß und nicht irgendein lahmer Paradegaul. Sie hat sogar schon im Amphitheater gegen wilde Tiere gekämpft. Was glaubst du eigentlich, wer du bist, du Dickschädel!«

»Scherz hin, Scherz her«, wandte ich ein. »Ich habe mich im Sattel gehalten, und du bist in deine eigene Falle gegangen. Es ist eine Schande, ein solches Pferd Tag für Tag im dunklen Verschlag stehen zu lassen und nur dazu zu verwenden, Anfänger abzuschrecken. Einigen wir uns auf halbem Wege. Ich nehme Arminia für mich selbst und reite bei den Übungen ein anderes Pferd, wenn sie wirklich nicht im Glied bleiben kann.«

Der Stallmeister rief laut alle Götter Roms zu Zeugen an, daß ich anstelle eines einzigen Pferdes gleich zwei von ihm verlangte, aber die anderen Reiter stellten sich auf meine Seite und sagten, er habe nun mit Arminia lange genug Schindluder getrieben. Ein jeder von ihnen dachte an die Beulen, Narben oder Knochenbrüche, die er bei seinem ersten Versuch, die Stute zu reiten, davongetragen hatte, obwohl er schon als Kind reiten gelernt hatte. Wenn ich so verrückt sei und mir unbedingt das Genick brechen wolle, meinten sie, so hätte ich ein Recht auf Arminia. Schließlich gehöre sie der Ritterschaft.

Ich wollte jedoch mit dem Stallmeister keinen Streit haben. Deshalb versprach ich ihm tausend Sesterze und erklärte mich bereit, allen zusammen ein paar Krüge Wein zu spendieren, »um meine Ritterstiefel zu begießen«. So wurde ich in die römische Reiterei aufgenommen und machte mir Freunde unter gleichaltrigen und älteren Kameraden. Bald darauf wurde ich als Ersatz für einen Jüngling, der sich ein Bein gebrochen hatte, unter die Kunstreiter gewählt, und wir übten mit großem Ernst, um an den Wettspielen zur Jahrhundertfeier teilnehmen zu können. Diese Reiterspiele waren so gefährlich, daß niemand allein dank seiner vornehmen Herkunft oder seinem Vermögen zugelassen wurde, sondern nur auf Grund seiner Geschicklichkeit und Tauglichkeit.

Ich war daher sehr stolz, einer der Auserwählten zu sein, und brauchte mich meiner Fortschritte bei den Reiterspielen nicht weiter zu rühmen. Wir waren in zwei Parteien eingeteilt und führten bei der Jahrhundertfeier im Großen Zirkus einen regelrechten Reiterkampf vor. Es war, ungeachtet der Bestimmung, daß keine Partei gewinnen oder verlieren sollte, ein hartes Spiel. Ich selbst hielt mich bis zum Schluß auf Arminias Rücken, danach aber mußte ich nach Hause getragen werden und konnte den Vorstellungen im Amphitheater und den Festen im Zirkus nicht mehr beiwohnen, welche die prächtigsten und am großartigsten angelegten gewesen sein sollen, die man in Rom je gesehen hatte. Während die Festlichkeiten noch andauerten, nahmen sich viele meiner Kameraden die Zeit, zu mir an mein Krankenbett zu kommen, und sie versicherten mir, daß sie ohne mich viel weniger Ehre gewonnen hätten. Ich will nicht mehr sagen, als daß ich meine falbe Stute ritt und einige Hunderttausend Menschen vor Spannung keuchen und mein Lob rufen hörte, bevor ich mir ein paar Rippen und den linken Oberschenkel brach. Aber im Sattel blieb ich, wie gesagt, trotz den Schmerzen bis zuletzt.

Das wichtigste politische Ereignis dieser Jahrhundertfeier war, daß das Volk dem Neffen des Kaisers, dem zehnjährigen Lucius Domitius, der schön und unerschrocken die Spiele der Knaben anführte, begeistert zujubelte. Claudius’ einziger eigener Sohn, Britannicus, wurde völlig in den Schatten gestellt. Zwar rief ihn der Kaiser zu sich in seine Loge und zeigte ihn dem Volk, aber das Volk wollte nur Lucius Domitius sehen, und dieser nahm die Huldigungen so höflich und bescheiden entgegen, daß er alle noch mehr für sich einnahm.

Ich für mein Teil würde zeit meines Lebens ein Krüppel geblieben sein, wenn der Arzt aus dem Tempel des Castor und des Pollux nicht so geschickt gewesen wäre. Er behandelte mich ohne Schonung, und ich mußte grausame Schmerzen erdulden. Ganze zwei Monate lag ich geschient. Danach mußte ich lernen, auf Krücken zu gehen, und lange konnte ich das Haus nicht verlassen.

Die Schmerzen, meine Angst, zum Krüppel geworden zu sein, und die Erkenntnis, wie flüchtig die Gunst des Volkes ist und wie wenig der Erfolg bedeutet, machten sicherlich einen besseren Menschen aus mir. Zumindest war ich nicht mit in die zahllosen Raufhändel verwickelt, die die wildesten meiner Kameraden auf Roms nächtlichen Straßen anstifteten. Ich glaube zu verstehen, daß das Schicksal durch die Bettlägerigkeit und die unausstehlichen Schmerzen meinen Charakter formen wollte. Ich war allein, von meinem Vater um seiner neuen Ehe willen verstoßen. Ich mußte mir selbst darüber klarwerden, was ich vom Leben erwartete.

Als ich bis in den heißen Sommer hinein in meinem Bett lag, befiel mich eine so tiefe Mutlosigkeit, daß mir alles, was bisher in meinem Leben geschehen war, eitel erschien. Tante Laelias gute, nahrhafte Kost schmeckte mir nicht. In den Nächten fand ich keinen Schlaf. Ich dachte an den mürrischen Timaios, der sich meinetwegen das Leben genommen hatte. Zum erstenmal sah ich ein, daß ein gutes Pferd vielleicht doch nicht das einzig Erstrebenswerte im Leben war. Ich mußte selbst herausfinden, was für mich besser taugte: Pflichttreue und Tugend oder Bequemlichkeit und Genuß. Die Schriften der Philosophen, die mich früher gelangweilt hatten, gewannen plötzlich Bedeutung für mich, und ich brauchte nicht lange nachzugrübeln, um zu erkennen, daß Selbstbeherrschung mir größere Zufriedenheit schenkte als kindische Zügellosigkeit.

Als der treueste unter meinen Freunden erwies sich Lucius Pollio, der Sohn eines Senators. Er war nur ein Jahr älter als ich, aber er war schmächtig und kränklich und hatte die Reiterübungen nur mit Müh und Not durchgestanden. Er fühlte sich zu mir hingezogen, weil ich sein genauer Widerpart war, aufbrausend, selbstsicher und rücksichtslos, und ihm doch nie ein böses Wort gegeben hatte. So viel hatte ich offenbar doch unbewußt von meinem Vater gelernt, daß ich zu Schwächeren höflicher und freundlicher war als zu meinesgleichen. Ich fand es, zum Beispiel, abscheulich, einen Sklaven zu schlagen, selbst wenn er frech war.

In der Familie Pollio hatte man sich immer mit Büchern und den Wissenschaften beschäftigt. Auch Lucius selbst war eher ein Bücherwurm als ein Ritter. In den Reiterübungen sah er nicht mehr als eine lästige Pflicht, deren er sich um seiner Laufbahn willen zu entledigen hatte, und die Ertüchtigung seines Körpers verschaffte ihm keinen Genuß. Er brachte mir Bücher aus der Bibliothek seines Vaters, aus deren Lektüre ich seiner Meinung nach Nutzen ziehen konnte, und er beneidete mich um mein vorzügliches Griechisch. Sein heimlicher Wunsch war es, Schriftsteller zu werden, obwohl sein Vater, der Senator Mummius Pollio, es als selbstverständlich ansah, daß er die Beamtenlaufbahn einschlug.

»Was nützt es mir, mehrere Jahre mit den Reiterübungen zu vergeuden und mir Prozesse anzuhören?« sagte Lucius empört. »Zu gegebener Zeit erhalte ich den Befehl über eine Manipel, mit einem erfahrenen Zenturio unter mir, dann kommandiere ich eine Abteilung Reiterei irgendwo in den Provinzen, und zuletzt bin ich Kriegstribun im Stab irgendeiner Legion, die am Ende der Welt Straßen baut. Erst wenn ich dreißig Jahre alt geworden bin, kann ich mich um das Amt eines Quästors bewerben, obwohl man jetzt auch schon früher zugelassen werden kann, wenn man entsprechende Verdienste nachzuweisen hat. Ich weiß nur zu gut, daß ich ein schlechter Offizier und ein untüchtiger Beamter sein werde, weil mich weder das eine noch das andere befriedigen kann.«

»Während ich hier so lag, dachte ich mir selbst oft, daß es vielleicht nicht dafürsteht, sich um der Ehre eines Augenblicks willen die Glieder zerschlagen zu lassen«, räumte ich ein. »Aber was willst du eigentlich tun?«

»Rom herrscht bereits über die ganze Welt und sucht keine neuen Eroberungen mehr«, sagte Lucius. »Schon der Gott Augustus beschränkte vernünftigerweise die Anzahl der Legionen auf die unbedingt nötigen fünfundzwanzig. Jetzt geht es vor allem darum, Roms derbe Sitten nach griechischem Vorbild zu veredeln. Bücher, Gedichte, Theater, Musik, Tanz und Schönheit der Bewegungen tun uns mehr not als die blutigen Vorstellungen im Amphitheater.«

»Laß mir aber die Wagenrennen«, bat ich im Scherz. »Da bekommt man wenigstens edle Pferde zu sehen.«

»Wetten abschließen, Unzucht treiben und sich betrinken sind kein Beweis echter Bildung«, sagte Lucius finster. »Wenn ich versuche, ein Symposion zustande zu bringen, um nach der Weise der alten Philosophen auf griechisch zu diskutieren, endet es unweigerlich mit unanständigen Geschichten und schwerer Trunkenheit. Es ist offenbar unmöglich, in Rom eine Gesellschaft zu finden, die sich von Gesang und schöner Musik bezaubern läßt oder die Dramen der Alten höher schätzt als Räubergeschichten und Zoten. Ich möchte am liebsten nach Athen oder Rhodos reisen, um dort zu studieren, aber das läßt mein Vater nicht zu. Er ist der Ansicht, die griechische Bildung untergrabe nur die männlichen Tugenden der römischen Jugend. Als ob von den alten römischen Tugenden noch anderes übrig wäre als ein matter Abglanz und hohle Worte.«

Ich konnte aber auch viel von Lucius lernen, denn er berichtete gern über die Verwaltung Roms und ihre Schlüsselämter. Er versicherte mir treuherzig, der Senat könne, wann immer er wolle, einen Gesetzesvorschlag des Kaisers abweisen, so wie andrerseits der Kaiser in seiner Eigenschaft als Volkstribun auf Lebenszeit imstande sei, eine Beschlußfassung des Senats durch sein Veto zu unterbinden. Der größte Teil der römischen Provinzen wurde mit Hilfe von Prokonsuln durch den Senat verwaltet, der Rest war sozusagen Privateigentum des Kaisers, der selbst die Art der Verwaltung bestimmte. Die wichtigste Provinz des Kaisers war Ägypten. Dazu gab es mit Rom verbündete Länder und mehrere Königreiche, deren Herrscher von Kind an in der Schule des Palatiums erzogen wurden und römische Sitten annahmen. Ich hatte bis dahin nicht erkannt, wie klar und vernünftig diese scheinbar so verwickelte Verwaltungsform im Grunde war.

Meinem Freund Lucius sagte ich, daß ich selbst am liebsten Reiteroffizier werden wollte, und wir dachten gemeinsam darüber nach, welche Möglichkeiten mir offenstanden. Zur kaiserlichen Leibwache hatte ich keinen Zutritt, denn dort wurden alle Kriegstribunenstellen mit den Söhnen von Senatoren besetzt. In Mauretanien konnte man Löwen jagen. In Britannien gab es fortwährend neuen Aufruhr. Die Germanen stritten mit den Römern um Weideland.

»Kriegsruhm wirst du so oder so keinen gewinnen, auch wenn du an dem einen oder anderen Kampf teilnimmst«, versicherte Lucius. »Über kleine Grenzscharmützel werden nicht einmal mehr Berichte geschrieben, da es die vornehmlichste Aufgabe der Legionen ist, den Frieden an den Grenzen zu wahren. Ein allzu einfallsreicher und streitlustiger Legat verliert seinen Posten, noch ehe er weiß, was ihm geschieht. Die besten Beförderungsmöglichkeiten hat ein ehrgeiziger Mann noch bei der Flotte, und ein Seeoffizier braucht nicht einmal ritterbürtig zu sein. Es gibt ja in Rom nicht einmal einen Neptuntempel. Du bekommst einen guten Sold und führst ein bequemes Leben und kannst gleich von Anfang an damit rechnen, das Kommando über ein Schiff zu erhalten. Für die Navigation ist selbstverständlich ein geschickter Steuermann zur Hand. Aber kein vornehmer Römer drängt sich zur Flotte.«

Ich antwortete Lucius, so viel Römer sei ich immerhin, daß ich es als keine lohnende Aufgabe für einen Mann erachte, sich von einem Ort zum andern rudern zu lassen, vor allem da man seit Menschengedenken nichts mehr von Seeräubern gehört habe. Von größtem Nutzen für Rom konnte ich meiner Meinung nach im Osten sein, da ich wie jeder, der in Antiochia aufgewachsen ist, fließend Aramäisch sprach, aber ich verspürte keine Lust, Straßen zu bauen und in einer Garnisonsstadt zu leben, wo die Legionäre heiraten und ein Handwerk betreiben durften und die Zenturionen erfolgreiche Geschäftsleute werden konnten. Nein, ich wollte nicht in den Osten.

»Warum mußt du dich überhaupt irgendwo am Ende der Welt vergraben?« fragte Lucius. »Unvergleichlich besser ist es doch, in Rom zu bleiben, wo man sich früher oder später auszeichnen kann. Mit deinen Reitkünsten, deiner stattlichen Gestalt und deinen schönen Augen kannst du es hier in einem Jahr weiter bringen denn in zwanzig Jahren als Führer einer Kohorte unter den Barbaren.«

Durch meine lange Bettlägerigkeit reizbar geworden und aus reinem Widerspruch sagte ich: »Rom ist in der Sommerhitze eine schwitzende, stinkende Stadt voll ekelhafter Fliegen. Sogar in Antiochia war die Luft reiner.«

Lucius sah mich prüfend an, da er hinter meinen Worten eine versteckte Bedeutung suchte. »Ohne Zweifel ist Rom voll ekelhafter Fliegen«, erwiderte er. »Voll richtiger Aasfliegen. Es wäre vielleicht besser, wenn ich den Mund hielte, denn ich weiß sehr wohl, daß dein Vater dank einem aufgeblasenen Freigelassenen des Kaisers seine Ritterwürde zurückbekam. Es ist dir gewiß bekannt, daß die Gesandten von Städten und Königen vor Narcissus katzbuckeln und daß er sich durch den Verkauf von Bürgerrechten und Ämtern ein Vermögen von mehreren Zehnmillionen Sesterze gemacht hat. Und noch habsüchtiger ist Valeria Messalina. Sie ließ einen der edelsten Männer Roms ermorden, um sich in den Besitz der Gärten des Lucullus auf dem Pincius zu bringen. Aus ihren Gemächern im Palatium hat sie ein Freudenhaus gemacht, und damit nicht genug, verbringt sie so manche Nacht verkleidet und unter falschem Namen in den Hurenhäusern Suburras, wo sie sich aus reinem Vergnügen für ein paar schäbige Kupfermünzen jedem Dahergelaufenen hingibt.«

Ich hielt mir die Ohren zu und erklärte, daß Narcissus ein Grieche von untadeligem Benehmen sei und daß ich all das Schlechte, das über die schöne Gemahlin des Kaisers mit ihrem hell klingenden Lachen berichtet werde, nicht glauben könne. »Messalina ist nur sieben Jahre älter als wir«, sagte ich. »Sie hat außerdem zwei schöne Kinder und durfte bei den Festaufführungen unter den unbefleckten Jungfrauen der Vesta sitzen.«

»Kaiser Claudius’ Schmach und Schande im Ehebett ist sogar in den Ländern unserer Feinde, in Parthien und Germanien, bekannt«, behauptete Lucius. »Man darf zwar nicht alles glauben, aber ich kenne selbst einige junge Ritter, die sich damit brüsten, daß sie auf Geheiß des Kaisers bei ihr gelegen sind. Claudius befiehlt einem jeden, Messalina in allem zu Willen zu sein.«

Ich dachte nach und antwortete: »Du weißt selbst von deinen Symposien her, womit junge Männer prahlen, Lucius. Je schüchterner einer in Frauengesellschaft ist, desto lauter brüstet er sich mit seinen angeblichen Eroberungen, sobald er ein wenig Wein getrunken hat. Daß man derlei Gerüchte auch im Ausland kennt, scheint mir nur ein Beweis dafür zu sein, daß sie von irgend jemandem mit Absicht in Umlauf gesetzt werden. Je gröber eine Lüge ist, desto leichter wird sie geglaubt. Der Mensch ist von Natur leichtgläubig, und gerade solche Lügen, die ein verderbtes Gemüt erregen, glaubt das Volk am liebsten.«

Lucius errötete. »Ich habe eine andere Erklärung«, flüsterte er mit einer Stimme, die beinahe zitterte. »Vielleicht war Messalina wirklich unschuldig, als sie im Alter von vierzehn Jahren mit dem fünfzigjährigen verkommenen Säufer Claudius vermählt wurde, den sogar seine eigene Familie verachtete. Claudius selbst verdarb Messalina, indem er ihr Myrrhe zu trinken gab, so daß sie mannstoll wurde. Er ist jedoch ein verlebter Greis, und es wäre nicht unmöglich, daß er absichtlich beide Augen zudrückt. Er verlangt jedenfalls von Messalina, daß sie ihm ständig neue Sklavenmädchen in sein Bett schickt, je kindlicher, desto besser. Was er mit denen treibt, ist eine Sache für sich. All das hat Messalina selbst einer Person, die ich nicht nennen will, der ich aber vorbehaltlos Glauben schenke, weinend gestanden.«

»Wir sind Freunde, Lucius«, sagte ich. »Aber du bist von hoher Geburt, Sohn eines Senators, und daher scheust du dich, offen zu sprechen. Ich weiß, daß der Senat die Republik wieder einführte, als Gajus ermordet wurde. Dann aber entdeckten die Prätorianer, als sie das Palatium plünderten, seinen Onkel Claudius, der sich hinter einem Vorhang versteckt hatte, und riefen ihn zum Imperator aus, weil er als einziger das Geburtsrecht besaß. Das ist eine so alte Geschichte, daß schon niemand mehr darüber lachen mag. Mich aber wundert es nicht, daß Claudius sich mehr auf seine Freigelassenen und die Mutter seiner Kinder verläßt als auf den Senat.«

»Ist dir ein wahnsinniger Tyrann lieber als die Freiheit?« fragte Lucius bitter.

»Eine Republik unter Senatoren und Konsuln ist nicht gleichbedeutend mit Freiheit und Herrschaft des Volkes, sondern sie bedeutet Aristokratenherrschaft, Ausplünderung der Provinzen und neuen Bürgerkrieg, so viel sagt mir das Studium der Geschichte. Begnüge dich damit, Rom von innen her durch griechische Bildung zu veredeln, und laß die Finger von der Politik.«

Lucius lachte hell auf. »Wenn man das Ideal der Republik mit der Muttermilch eingesogen hat, kann einem heiß werden bei solchen Gedanken«, sagte er. »Aber vielleicht ist die Republik wirklich nur ein blutiger Überrest aus vergangenen Zeiten im Körper des Staates. Ich kehre jedenfalls zu meinen Büchern zurück. Da kann ich niemandem schaden, nicht einmal mir selbst.«

»Und Rom mag meinetwegen voller Aasfliegen sein«, sagte ich. »Wir beide, du und ich, werden sie nicht ausrotten.«

Die größte Ehre, die mir zuteil wurde, während ich tatenlos und mit düsteren Gedanken in meinem Bett lag, war ein Besuch des Anführers der vornehmen jungen Reiter, eben jenes zehnjährigen Lucius Domitius. Er kam mit seiner Mutter Agrippina, ganz bescheiden und ohne sich vorher anmelden zu lassen. Sie ließen ihre Sänfte und ihr Gefolge vor dem Haus warten und traten für eine kleine Weile ein, um mir ihre Anteilnahme an meinem Mißgeschick auszusprechen. Barbus, der während meiner Krankheit das Amt des Türhüters versah, war natürlich betrunken und schlief. Domitius schlug ihn scherzend mit der Faust vor die Stirn und rief ein Kommandowort, worauf Barbus aufsprang, noch ganz verschlafen Haltung annahm, die Hand zum Gruß hob und »Ave Caesar Imperator!« rief.

Agrippina fragte ihn neugierig, warum er den Knaben als Kaiser grüße. Barbus antwortete, er habe geträumt, ein Zenturio habe ihn mit dem Befehlsstab auf den Kopf geschlagen. Als er die Augen öffnete, habe er vor sich in der Mittagssonne eine überirdisch gewaltige Juno und einen Imperator in funkelnder Rüstung gesehen, der seine Truppen inspizierte. Barbus kam erst ganz zu sich, als sie eine Weile auf ihn eingesprochen hatten. Er erkannte endlich Lucius Domitius wieder und erriet, daß Agrippina, ihrer göttlichen Schönheit und Haltung wegen, dessen Mutter sein mußte.

»Ich habe mich also nicht geirrt«, sagte er schmeichlerisch. »Du bist ja eine Schwester des Kaisers Gajus, und Kaiser Claudius ist dein Onkel. Von der Seite des Gottes Julius Caesar her stammst du von der Venus ab und durch Marcus Antonius von Herkules. Es ist also nicht verwunderlich, daß ich deinen Sohn mit der höchsten Ehrenbezeigung grüße.«

Tante Laelia geriet über diesen vornehmen Besuch außer sich. Sie eilte mit schiefsitzender Perücke herbei, um meine Bettdecken glattzustreichen, und sagte aufgeregt schnatternd, Agrippina hätte uns von ihrem Kommen unbedingt im voraus benachrichtigen müssen, so daß wir Gelegenheit gehabt hätten, einige Vorbereitungen zu treffen.

Agrippina erwiderte bekümmert: »Du weißt sehr gut, liebe Laelia, daß es für mich seit dem Tode meiner Schwester Julia das sicherste ist, alle offiziellen Besuche zu unterlassen. Aber mein Sohn wollte unbedingt seinen Helden Minutus Lausus sehen, und deshalb sind wir vorbeigekommen, um ihm eine rasche Genesung zu wünschen.«

Der lebhafte, unwiderstehlich sympathische und trotz seinem roten Haar schöne Knabe eilte scheu auf mich zu, um mich zu küssen, und trat gleich wieder einige Schritte zurück, während sein Blick bewundernd auf meinem Gesicht ruhte: »Ach Minutus!« rief er. »Mehr als jeder andere verdientest du, Magnus zu heißen. Wenn du wüßtest, wie sehr ich deine unfaßbare Kühnheit bewundere. Keiner der Zuschauer ahnte, daß dein Bein gebrochen war, denn du hieltest dich tapfer im Sattel bis zuletzt.« Er nahm eine Buchrolle aus der Hand seiner Mutter und reichte sie mir. Agrippina wandte sich an Tante Laelia und erklärte, sich gleichsam entschuldigend: »Es ist ein Buch über den Gleichmut, das mein Freund Seneca auf Korsika geschrieben hat. Es ist gewiß eine nützliche Lektüre für einen jungen Mann, der an den Folgen seines Übermuts zu leiden hat. Man wird sich vielleicht darüber wundern, daß ein so edel gesinnter Mann lebendig begraben in der Verbannung schmachten muß, aber das ist nicht meine Schuld, sondern eine Folge der derzeitigen Verhältnisse in Rom.«

Tante Laelia war zu ungeduldig, um ihr zuzuhören. Sie dachte nach, was sie den hohen Gästen anbieten konnte, denn es wäre eine Schande gewesen, wenn sie, ohne einen Bissen zu sich zu nehmen, unser Haus wieder verlassen hätten. Agrippina machte viele Einwände und sagte zuletzt: »Nun gut, so wollen wir dir zuliebe einen Schluck von dem erfrischenden Zitronenwasser versuchen, das dein tapferer Kranker in dem Krug neben seinem Bett stehen hat, und mein Sohn mag auch ein wenig von seinem Backwerk kosten.«

Tante Laelia starrte sie mit runden Augen an und fragte erschrocken: »Ist es wirklich schon so weit gekommen, liebste Agrippinia?«

Agrippina war zu jener Zeit vierunddreißig Jahre alt. Sie war von hohem Wuchs und hatte edle, wenn auch ausdruckslose Gesichtszüge und große glänzende Augen. Zu meiner Verwunderung sah ich, wie diese klaren Augen sich mit Tränen füllten. Sie senkte den Kopf, weinte und gestand zuletzt: »Du hast es erraten, Laelia. Am liebsten würde ich mit eigenen Händen das Trinkwasser für meinen Sohn aus der Leitung holen und selbst auf dem Markt auswählen, was ich zu essen und ihm zu geben wage. Das Volk hat ihm bei der Jahrhundertfeier allzu offen zugejubelt. Vor drei Tagen versuchte man ihn während der Mittagsruhe zu ermorden. Ich traue nicht einmal mehr den Dienern, denn es war gar zu auffällig, daß nicht ein einziger in der Nähe war und daß wildfremde Männer mit bösen Absichten ungesehen ins Haus einzudringen vermochten. Ich dachte daher … nein, nein, ich schweige lieber davon.«

Tante Laelia wurde natürlich neugierig, was auch der Zweck dieser Andeutung gewesen war, und fragte eifrig, was Agrippina sich gedacht habe. Nach kurzem Zögern sagte diese: »Ich dachte daran, daß Lucius ständig einige vornehme junge Ritter um sich haben sollte, auf deren Treue man sich verlassen könnte und die ihm gleichzeitig ein gutes Beispiel gäben. Doch nein, das würde ihnen nur schaden und ihre Zukunftsaussichten verderben.«

Tante Laelia sah unglücklich und erschrocken drein, und ich war meiner selbst nicht sicher genug, um glauben zu können, daß Agrippina mich gemeint hatte. Lucius legte jedoch schüchtern seine Hand auf die meine und rief: »Wenn du, Minutus, an meiner Seite wärst, würde ich niemanden und nichts mehr fürchten!«

Tante Laelia stammelte, es könne falsch ausgelegt werden, wenn Lucius Domitius ein Rittergefolge um sich zu scharen begänne, aber ich antwortete bereitwillig: »Ich kann schon ein wenig auf Krücken gehen, und bald wird mein Oberschenkelknochen ganz ausgeheilt sein. Vielleicht werde ich mein Leben lang hinken, aber wenn man mich deshalb nicht auslacht, will ich gern Lucius’ Begleiter sein und ihn beschützen, bis er groß genug ist, sich selbst zu schützen. Du bist ja schon sehr kräftig für dein Alter und kannst sowohl reiten als auch die Waffen gebrauchen.« Um die Wahrheit zu sagen, wirkte er mit seinen zierlichen Bewegungen und seiner kunstvollen Haartracht eher mädchenhaft als männlich, und dieser Eindruck wurde noch unterstrichen durch die milchweiße Haut, die alle Rothaarigen haben, aber ich dachte mir, daß er ja erst zehn Jahre alt war und doch schon imstande, ein Pferd zu reiten und einen Streitwagen zu fahren. Gar so kindlich konnte er also nicht mehr sein.

Wir plauderten noch eine Weile über Pferde und griechische Dichter und Sänger, die er zu bewundern schien, aber irgendein Übereinkommen trafen wir nicht. Gleichwohl wurde mir klar, daß ich in Agrippinas Haus jederzeit willkommen war. Sie gingen wieder ihres Wegs, und Agrippina befahl ihrem Börsenträger, Barbus ein Goldstück zu geben.

»Die Ärmste ist sehr einsam«, erklärte mir Tante Laelia später.

»Ihre hohe Geburt trennt sie von anderen Menschen, und ebenbürtige wagen nicht mit ihr zu verkehren, aus Angst, beim Kaiser in Ungnade zu fallen. Es ist traurig, zu sehen, daß eine so hochgestellte Frau um die Freundschaft eines verkrüppelten jungen Ritters buhlen muß.«

Ich nahm ihr diese Worte nicht übel, da ich mich darüber selbst nicht genug wundern konnte. »Hat sie wirklich solche Angst, vergiftet zu werden?« fragte ich vorsichtig.

Tante Laelia schnaubte verächtlich. »Sie nimmt sich wichtiger, als sie ist. Am hellichten Tag wird in einem bewohnten Haus mitten in Rom niemand ermordet. Die ganze Geschichte klingt an den Haaren herbeigezogen. Am besten mischst du dich da nicht ein. Es stimmt zwar, daß Kaiser Gajus, das Herzchen, eine ganze Truhe voll der verschiedensten Gifte besaß, mit denen er seine Versuche anstellte, aber Kaiser Claudius soll sie vernichtet haben, und Giftmischer werden streng bestraft. Du weißt ja, daß Agrippinas Gemahl, Lucius’ Vater Domitius, ein Bruder der Domitia Lepida, der Mutter Messalinas, war. Als Lucius drei Jahre alt war, erbte er nach ihm, aber Gajus behielt alles für sich. Agrippina wurde verbannt und mußte, um ihr Leben zu fristen, auf einer einsamen Insel nach Schwämmen tauchen lernen. Lucius wurde von seiner Tante Domitia in Pflege genommen. Sein Lehrer war der Barbier Anicetus, und das sieht man seinem Haar noch heute an. Inzwischen hat sich aber Domitia Lepida mit Messalina zerstritten, und sie ist eine der wenigen, die es wagen, offen mit Agrippina zu verkehren und Lucius zu verwöhnen. Messalina trägt den Namen ihres Großvaters, Valerius Messalas, um darzutun, daß sie eine Verwandte des Gottes Augustus in absteigender Linie ist. Ihre Mutter ist auf sie böse, weil sie allzu offen zeigt, daß sie in Gajus Silius verliebt ist und diesen überallhin mitnimmt, mit ihren Sklaven und Freigelassenen in seinem Haus aus und ein geht wie in ihrem eigenen und sogar kostbare Möbel aus dem Palatium dorthin schleppen ließ. Andrerseits ist ihre Verliebtheit verständlich, denn Gajus Silius ist ohne Zweifel der hübscheste Mann in ganz Rom. Vielleicht ist die Sache auch harmlos, da alles so offen zugeht. Eine junge Frau hält es nicht aus, ständig einem griesgrämigen alten Säufer Gesellschaft zu leisten. Claudius vernachlässigt sie über seinen Regierungsgeschäften, und in seinen Mußestunden würfelt er lieber oder geht ins Theater. Am liebsten sitzt er im Amphitheater und sieht zu, wie Raubtiere Verbrecher zerfleischen, und das ist nicht der rechte Zeitvertreib für eine empfindsame junge Frau wie sie.«

Ich hielt mir den Kopf mit den Händen und rief: »Genug über Messalina! Und von den verzwickten Verwandtschaftsbeziehungen zwischen all diesen göttlichen Familien brummt mir schon der Schädel!«

Tante Laelia war jedoch durch den hohen Besuch so angeregt, daß sie rasch fortfuhr: »Das ist doch alles ganz einfach. Der Gott Augustus war der Enkel der Schwester des Gottes Julius Caesar. Durch die erste Ehe seiner Schwester Octavia ist Messalina eine Tochter des Enkels ebendieser Octavia, während Kaiser Claudius durch Octavias zweite Ehe mit Marcus Antonius ein Enkel Octavias ist. Agrippina ist seine Nichte, zugleich aber Witwe nach Octavias zweitem Enkel Gnaeus Domitius. Mithin ist Lucius – paß gut auf – zugleich ein Enkel der ersten Tochter Octavias und ein Enkel von deren zweiter Tochter, das heißt mit anderen Worten, er ist Messalinas Vetter zweiten Grades.«

»Wenn ich dich recht verstanden habe, hat sich also Kaiser Claudius in dritter Ehe mit der Enkelin der Halbschwester seiner Mutter vermählt, die sich Valeria Messalina nennt«, warf ich ein. »Daher ist Messalina von ebenso vornehmer Geburt wie Agrippina.«

»Sozusagen, ja«, stimmte Tante Laelia mir bei. »Nur hat sie nicht das verderbte Blut des Marcus Antonius, unter dem die anderen so schwer leiden. Ihr Sohn Britannicus hat freilich durch Claudius ein wenig davon abbekommen, sofern …«

»Sofern …?« fragte ich.

»Nun, Claudius hat ja schon einen Bankert«, sagte Tante Laelia zögernd. »Wenn man weiß, was alles über Messalina erzählt wird, ist es durchaus nicht sicher, ob Britannicus wirklich sein Sohn ist. Es hieß seinerzeit, die Ehe sei von Kaiser Gajus befohlen worden, um den Ruf des Mädchens zu retten.«

»Tante Laelia«, sagte ich scherzend. »Aus Treue zu meinem Kaiser müßte ich dich für solche Verleumdung anzeigen.«

»Nicht, daß Claudius irgend etwas Schlechtes über die Kinder seiner schönen Gemahlin dächte!« versicherte Tante Laelia rasch und sah sich für alle Fälle vorsichtig um.

Später fragte ich Barbus, ob er wirklich einen so prophetischen Traum gehabt habe, als er aus seinem Schlaf und seinem Rausch geweckt wurde. Er behauptete unbeirrt, er habe tatsächlich etwas dieser Art gesehen, aber daran könnten ja der Wein und die Überraschung schuld gewesen sein. »In der Sommerhitze kann man vom Wein so sonderbar träumen, daß einem manchmal angst und bange wird«, entschuldigte er sich.

Als ich eine Zeitlang auf Krücken gegangen war, schickte mir der Reiterarzt einen geschickten Masseur, der mein Bein behandelte und meine schlaffen Muskeln so gut übte, daß ich binnen kurzem ohne Stütze gehen konnte. Ich trage seither am linken Fuß einen Schuh mit dickerer Sohle, so daß man mein Hinken kaum bemerkt.

Ich begann wieder zu reiten, bemerkte aber bald, daß nur wenige junge Ritter an den Reitübungen teilnahmen. Die meisten dachten nicht daran, die militärische Laufbahn einzuschlagen. Es genügte ihnen, daß sie sich bei der nächsten Parade schlecht und recht im Sattel halten konnten.

Brennende Unruhe und Tatenlust ergriffen mich in der Hitze des Sommers. Einige Male besuchte ich Lucius Domitius, aber er war mir letzten Endes doch noch zu kindlich, als daß ich seine Gesellschaft auf die Dauer ertragen hätte. Er übte sich eifrig in der Dichtkunst und las mir von seiner Wachstafel Verse vor, die ich verbessern sollte. Mit besonderem Geschick knetete er Tiere und Menschen aus Ton. Lobte man ihn, war er sehr zufrieden, ja glücklich, aber jede kritische Bemerkung nahm er übel auf, obgleich er es zu verbergen trachtete. Er schlug mir allen Ernstes vor, ich solle bei seinem Tanzlehrer Stunden nehmen, damit ich lernte, mich schön und mit gefälligen Gebärden zu bewegen.

»Die Tanzkunst bringt einem wenig Nutzen, wenn man lernen will, Schwert, Lanze und Schild zu gebrauchen«, sagte ich.

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