III

BRITANNIEN


Ich erreichte Britannien bei Anbruch des Winters und wurde von Stürmen, Nebel und eiskalten Regenschauern empfangen. Wie jeder Besucher Britanniens weiß, wirkt dieses Land bedrückend. Es gibt nicht einmal Städte von der Art, wie man sie noch im nördlichen Gallien findet. Wer in Britannien nicht an Lungenentzündung stirbt, holt sich zumindest einen Rheumatismus, den er sein Lebtag lang nicht mehr los wird, sofern ihm nicht ohnehin die Briten in einem ihrer Weißdornhaine den Kopf abschlagen oder ihn zu einem ihrer Priester, den Druiden, schleppen, die aus den Eingeweiden von Römern das künftige Schicksal ihres Stammes zu lesen pflegen. All dies erzählten mir Legionäre, die schon dreißig Jahre gedient hatten.

Aulus Plautius traf ich in der Handelsniederlassung Londinium an, die an einem reißenden Fluß liegt. Er hatte sein Hauptquartier in Londinium, weil es dort noch das eine oder andere römische Haus gab. Als er den Brief seiner Gattin las, wurde er nicht zornig, wie ich befürchtet hatte. Im Gegenteil, er begann laut zu lachen und schlug sich auf die Schenkel. Einige Wochen zuvor hatte er ein geheimes Schreiben von Kaiser Claudius erhalten, worin ihm mitgeteilt wurde, daß er sich das Recht auf einen Triumph erworben habe. Er war gerade dabei, seine Angelegenheiten in Britannien zu ordnen, um im Frühjahr den Oberbefehl übergeben und nach Rom heimkehren zu können.

»Ich soll also die Familie zusammenrufen, um meine gute Frau zu verurteilen!« rief er und hatte vor Lachen Tränen in den Augen. »Dabei muß ich froh sein, wenn Paulina mir nicht die letzten Haare vom Kopf reißt, wenn sie mich nach dem Leben ausfragt, das ich hier in Britannien geführt habe. Ich habe genug damit zu tun gehabt, die heiligen Haine der Druiden niederzuhauen, und mag von Glaubensdingen nichts mehr hören. Eine ganze Schiffsladung Götterbilder hatte ich aus meiner eigenen Tasche bezahlt, damit diese Briten endlich ihre scheußlichen Menschenopfer aufgeben, aber das erste, was sie tun, ist, daß sie die heiligen Tonstatuen zerschlagen und wieder zu den Waffen greifen. Nein, nein, der Aberglaube bei uns daheim ist sicherlich unschuldiger als der, den ich hier kennengelernt habe. Diese Anklage ist lediglich eine Intrige meiner lieben Senatorenkollegen, die fürchten, ich sei vielleicht zu reich geworden, nachdem ich vier Jahre lang vier Legionen befehligt habe. Als ob sich einer in diesem Land bereichern könnte! Roms Geld verschwindet hier wie in einem Faß ohne Boden. Claudius muß einen Triumph feiern lassen, damit man in Rom glaubt, Britannien sei befriedet. Aber dieses Land kann niemand befrieden. Hier wird es immer wieder Aufruhr geben. Schlägt man einen der Könige in ehrlichem Kampf, tritt gleich ein anderer an seine Stelle, der weder auf Geiseln Rücksicht nimmt, noch sich an eidlich bekräftigte Verträge hält. Oder es kommt ein Nachbarstamm, erobert das Land, das man soeben erst unterworfen hat, und reibt unsere ganze Garnison auf. Man darf sie nicht einmal ganz entwaffnen, weil sie die Waffen brauchen, um sich gegeneinander zu verteidigen. Glaube mir, ich wäre gern auch ohne Triumph nach Rom zurückgekehrt, nur um dieses von allen Göttern verlassene Land nicht mehr sehen zu müssen.«

Er wurde ernst, blickte mir streng in die Augen und fragte: »Hat es sich schon in Rom herumgesprochen, daß ich einen Triumph feiern werde, oder aus was für einem Gründe sonst kommt ein junger Ritter wie du freiwillig hierher? Du hoffst natürlich, ohne viel Beschwer an meinem Triumph teilnehmen zu können!«

Ich antwortete tief gekränkt, daß ich von diesem Triumph nichts geahnt hatte, ja, daß man in Rom vielmehr zu der Ansicht neigte, Claudius würde aus Eifersucht niemals einen Triumph für Kriegstaten in Britannien genehmigen, da er doch selbst nach der sogenannten Unterwerfung Britanniens schon einen Triumph gefeiert hatte. »Ich bin gekommen, um unter einem berühmten Feldherrn die Kriegskunst zu erlernen«, sagte ich. »Der Reiterspiele in Rom bin ich nun müde.«

»Hier gibt es keine seidenblanken Pferde und silbernen Schilde«, erwiderte Aulus barsch. »Und keine warmen Betten und geschickten Masseure. Hier gibt es nur das Kriegsgeschrei blau angestrichener Barbaren in den Wäldern, tägliche Furcht vor Hinterhalten, ewigen Schnupfen, unheilbaren Husten und ständiges Heimweh.«

Daß er kaum übertrieb, das sollte ich in den nächsten zwei Jahren, die ich in Britannien verbrachte, noch erfahren. Aulus Plautius behielt mich einige Tage in seinem Stab, um sich meine Abstammung bestätigen zu lassen, den neuesten Klatsch aus Rom zu hören und mir an einem Relief die Beschaffenheit Britanniens und die Standorte seiner Legionen zu erklären. Er schenkte mir sogar einen ledernen Brustharnisch, ein Pferd und Waffen und gab mir freundliche Ratschläge: »Paß gut auf dein Pferd auf, sonst stehlen es dir die Briten. Sie kämpfen selbst mit Streitwagen, weil ihre kleinen Pferde nicht zum Reiten taugen. Roms Politik und Kriegführung stützen sich auf die Bundesgenossen unter den britischen Stämmen. Daher verfügen auch wir über einige Einheiten, die mit Streitwagen ausgerüstet sind. Trau aber nie einem Briten! Wende nie einem Briten den Rücken zu! Sie versuchen mit allen Mitteln, unserer großen, kräftigen Pferde habhaft zu werden, um selbst eine Reiterei aufzustellen. Claudius verdankt seine Siege in Britannien seinen Elefanten, die kein Brite je zuvor gesehen hatte. Die Elefanten stampften die Verschanzungen nieder und machten die Zugpferde der Streitwagen scheu. Bald lernten aber die Briten, mit ihren Wurfspeeren auf die Augen der Elefanten zu zielen und sie mit Fackeln zu brennen. Außerdem vertragen die Dickhäuter das Klima nicht. Der letzte ging uns vor einem Jahr an Schwindsucht ein.

Ich werde dich der Legion des Flavius Vespasian zuteilen. Er ist mein erfahrenster Krieger und mein zuverlässigster Legat, ein bißchen schwerfällig, aber ruhig und besonnen. Seine Herkunft ist sehr bescheiden, und seine Sitten sind derb und volkstümlich, ansonsten ist er ein Ehrenmann. Mehr als Unterfeldherr wird er wohl nie werden, aber die Kriegskunst kannst du unter ihm erlernen, wenn du wirklich deshalb hierhergekommen bist.«

Ich traf Flavius Vespasian am Ufer der Hochwasser führenden Antona, wo er seine Legion auf einen größeren Raum aufgeteilt hatte und Schanzen bauen ließ. Er war ein Mann von über vierzig Jahren, kräftig gebaut, mit einer breiten Stirn und einem gutmütigen Zug um den Mund. Vor allem aber wirkte er viel bedeutender, als ich nach der überheblichen Schilderung des Aulus Plautius vermutet hatte. Er lachte gern laut und konnte über seine eigenen Mißgeschicke scherzen, die oft von der Art waren, daß sie einen schwächeren Mann zur Verzweiflung getrieben hätten. Seine bloße Gegenwart gab einem ein Gefühl der Sicherheit. Er sah mich pfiffig an und rief: »Wendet sich endlich unser Geschick, da nun ein junger Ritter aus Rom freiwillig zu uns kommt und sein Glück in Britanniens Sümpfen und dunklen Wäldern sucht? Nein, nein, das kann nicht sein. Gesteh nur gleich, was du ausgefressen hast und weshalb du unter meinem Legionsadler Schutz suchst, dann werden wir uns von Anfang an besser verstehen.«

Als er sich genau nach meiner Familie und meinen Beziehungen in Rom erkundigt hatte, dachte er eine Weile nach und meinte dann offenherzig, daß ihm meine Anwesenheit weder zum Vorteil noch zum Nachteil gereiche. Gutmütig, wie er von Natur aus war, beschloß er, mich langsam, Schritt für Schritt, an den Schmutz, die Rauheit und die Mühen des Soldatenlebens zu gewöhnen. Er nahm mich zunächst auf seine Inspektionsreisen mit, damit ich das Land kennenlernte, und diktierte mir seine Berichte an Aulus Plautius, da er selbst zum Schreiben zu faul war. Als er sich vergewissert hatte, daß ich wirklich reiten konnte und auch nicht über mein Schwert stolperte, übergab er mich einem der Baumeister der Legion, damit ich lernte, wie man Holzbefestigungen baut.

Unsere weit abgelegene Garnison bestand aus nicht einmal einer ganzen Manipel. Ein Teil von uns ging auf die Jagd und sorgte für die Verköstigung, ein anderer fällte Bäume und ein dritter baute Schanzen. Bevor Vespasian wieder davonritt, ermahnte er mich, darauf zu achten, daß die Männer ihre Waffen sorglich pflegten und daß die Wachtposten ordentlich aufpaßten und nicht faulenzten, denn, so sagte er, Faulheit im Waffendienst ist die Mutter aller Laster und untergräbt die Zucht.

Nach ein paar Tagen war ich es müde, im Lager umherzuwandern und mir die unverschämten Witzeleien der alten Legionäre anzuhören. Ich nahm eine Axt und begann Bäume zu fällen. Beim Einrammen der Pfähle griff ich mit ins Zugseil der Ramme und stimmte in den Gesang der anderen ein. Die beiden Zenturionen und den Baumeister lud ich abends zum Wein, den man zu unverschämten Preisen vom Händler des Lagers kaufen konnte, aber oft gesellte ich mich auch zu den narbenbedeckten unteren Dienstgraden am Lagerfeuer und teilte mit ihnen Grütze und Pökelfleisch. Ich wurde kräftiger, härter und rauher, ich lernte fluchen und machte mir nichts mehr daraus, wenn man mich fragte, wann ich eigentlich von der Mutterbrust entwöhnt worden sei.

Zu unserer Garnison gehörten zwanzig gallische Reiter. Als deren Führer merkte, daß ich es nicht darauf anlegte, ihm das Kommando abzunehmen, sagte er, es sei an der Zeit, daß ich meinen ersten Briten erschlüge, und nahm mich auf einen Beutezug mit. Wir setzten über den Fluß und ritten auf einer langen Straße zu einer Stadt, deren Bewohner darüber geklagt hatten, daß ein Nachbarstamm sie bedrohe. Sie hatten ihre Waffen versteckt, aber die Veteranen, die uns zu Fuß nachfolgten, wußten sie in den Erdböden der runden Hütten und den Abfallhaufen davor zu finden. Nachdem sie die Waffen ausgegraben hatten, plünderten sie die Stadt und nahmen alles Getreide und einen Teil des Viehs an sich. Die Männer, die ihre Habe zu verteidigen versuchten, machten sie erbarmungslos nieder, da die Briten, wie sie mir versicherten, nicht einmal zu Sklaven taugten. Die Frauen, die sich nicht in den Wäldern versteckt hatten, vergewaltigten sie freundlich grinsend und mit der Selbstverständlichkeit, mit der man Gewohntes tut.

Diese wahnwitzige, zwecklose Zerstörung erschreckte mich, aber der Führer der Reiterabteilung lachte nur und bat mich, ruhig Blut zu bewahren und die Waffen bereitzuhalten. Die Bitte der Stadt um Schutz sei nur eine der üblichen Fallen gewesen, sagte er, das bewiesen ja die Waffen, die wir gefunden hatten. Tatsächlich setzten beim Morgengrauen die blaubemalten Briten von allen Seiten her laut brüllend zum Angriff auf die Stadt an.

Sie hatten gehofft, uns zu überrumpeln, aber wir waren auf der Hut gewesen und hielten den leicht bewaffneten Barbaren, die nicht die starken Schilde unserer Legionäre hatten, ohne weiteres stand. Die Veteranen, die tags zuvor die Stadt verwüstet hatten und denen ich die Bluttaten, die ich mit eigenen Augen angesehen hatte, nie verzeihen wollte, nahmen mich fürsorglich in ihre Mitte und schützten mich. Als die Briten flohen, ließen sie einen Krieger zurück, der am Knie verwundet war. Er schrie wild, stützte sich auf seinen Lederschild und schwang sein Schwert. Die Veteranen stießen mich nach vorn und riefen lachend: »Da hast du einen! Nun töte deinen Briten, kleiner Freund!«

Es war mir ein leichtes, mich gut zu decken und den Verwundeten trotz seiner Körperkraft und seinem Schwert zusammenzuschlagen. Als ich ihm aber zuletzt mein langes Reiterschwert in die Kehle gestoßen hatte und er röchelnd und aus vielen Wunden blutend auf dem Boden lag, mußte ich mich abwenden und mich erbrechen. Voll Scham über meine Schwäche sprang ich rasch in den Sattel und schloß mich den Galliern an, die den fliehenden Feind in den Wald hinein verfolgten, bis das Horn sie zurückrief. Wir verließen die Stadt und bereiteten uns auf einen zweiten Angriff vor, denn unser Zenturio war überzeugt, daß die Briten sich noch nicht geschlagen gaben. Wir hatten einen beschwerlichen Weg vor uns, denn wir mußten das Vieh treiben und das Korn in Weidenkörben schleppen. Die Briten unternahmen mehrere Überraschungsangriffe, und ich fühlte mich ein wenig besser, als ich mich selbst meiner Haut erwehren mußte und sogar versuchen konnte, andere vom Pferd aus zu schützen, aber eine ehrenhafte Kriegführung schien mir das dennoch nicht zu sein.

Als wir endlich im Schutz unserer Befestigungen den Fluß überquert hatten, stellten wir fest, daß wir zwei Mann und ein Pferd verloren hatten und daß viele verwundet worden waren. Todmüde ging ich in meine Hütte, um zu schlafen, aber immer wieder schrak ich auf und glaubte aus den Wäldern das Kriegsgeheul der Briten zu hören.

Am nächsten Tag mochte ich nichts von der Beute annehmen, aber der Führer der Reiterabteilung rühmte mich laut und rief, ich hätte mich vortrefflich geschlagen, gewaltig mit dem Schwert um mich gehauen und vor Angst fast ebenso laut gebrüllt wie die Briten. Daher hätte ich dasselbe Recht auf Beute wie die anderen. Da stießen die Veteranen ein halbwüchsiges Britenmädchen mit gefesselten Händen vor mich hin und sagten: »Hier hast du deinen Anteil an der Beute, damit du dich nicht langweilst und uns wieder verläßt, du tapferes Ritterknäblein.«

Ich rief entsetzt, ich dächte nicht daran, mich mit einer Sklavin abzuplagen, aber die Veteranen grinsten nur und versicherten mir mit unschuldsvollen Mienen: »Wenn einer von uns sie nimmt, steckt sie ihm bloß einen Dolch in die Gurgel, sobald sie die Hände frei hat. Du aber bist ein vornehmer Jüngling mit feinen Manieren und kannst sogar Griechisch. Du gefällst ihr bestimmt besser.«

Sie versprechen mir bereitwillig, mir mit gutem Rat zu helfen und mir zu zeigen, wie man sich so eine Sklavin zieht. Zu allererst einmal müsse ich sie jeden Morgen und jeden Abend prügeln, um ihr die Mucken auszutreiben, sagten sie und gaben mir noch andere Ratschläge, die ich aber nicht auf sauberem Papier niederschreiben mag. Als ich mich immer noch weigerte, spielten sie die Betrübten, schüttelten traurig die Köpfe und sagten: »Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als sie für ein paar Denare an den Händler zu verschachern. Wie es ihr dort ergeht, kannst du dir selber ausmalen.«

Ich hätte es mir nie verzeihen können, wenn dieses verschreckte Kind mit Peitschenhieben zur Lagerhure gemacht worden wäre. Widerwillig erklärte ich mich daher bereit, die Britin als meinen Anteil an der Beute anzunehmen. Ich geleitete die Veteranen aus meiner Hütte, setzte mich ihr gegenüber nieder und starrte sie an. Ihr kindliches Gesicht war voll blauer Flecke, und ihr rotleuchtendes Haar hing ihr in wirren Strähnen in die Stirn. Sie erinnerte mich an eines der kleinen britischen Fohlen, wie sie da unter den Haaren hervor nach mir schielte.

Ich begann zu lachen, zerschnitt mit meinem Messer ihre Fesseln und forderte sie durch Gesten auf, sich das Gesicht zu waschen und das Haar zu kämmen. Sie rieb sich die geschwollenen Handgelenke und starrte mich argwöhnisch an. Zuletzt holte ich den Baumeister, der ein wenig von der Sprache der Briten verstand, und bat ihn, mir zu helfen. Er lachte über meine Verlegenheit und stellte fest, daß das Mädchen wenigstens gesund war und gerade Glieder hatte. Als sie ihre eigene Sprache hörte, schien sie Mut zu fassen. Die beiden schwatzten eine Weile lebhaft miteinander, dann erklärte mir der Baumeister: »Sie will sich weder waschen noch kämmen, weil sie deinen Absichten mißtraut. Wenn du sie anrührst, bringt sie dich um, das schwört sie bei der Hasengöttin.«

Ich versicherte, der Gedanke, das Mädchen anzurühren, läge mir fern, und der Baumeister meinte, es wäre das Vernünftigste, ihr Wein zu trinken zu geben. »Sie wird schnell betrunken sein, denn die unzivilisierten Briten sind den Wein nicht gewohnt, und dann kannst du mit ihr machen, was du willst. Paß nur auf, daß du selbst dich nicht betrinkst, denn sie ist imstande und schneidet dir die Kehle durch, wenn sie wieder nüchtern wird. So ist es einem unserer Gerber ergangen, der unvorsichtig genug war, sich in Gesellschaft einer ungezähmten Britin einen Rausch anzutrinken.«

Ich wiederholte ungeduldig, daß ich nicht die Absicht hatte, dem Mädchen etwas anzutun, aber der Baumeister meinte, ich sollte sie lieber fesseln, sonst würde sie bei der ersten besten Gelegenheit zu den Ihren fliehen. »Ich wünsche mir nichts Besseres«, sagte ich. »Erkläre ihr, daß ich sie heute nacht an den Posten vorbeibringe und laufenlasse.«

Der Baumeister schüttelte den Kopf und gestand mir, er habe mich schon für verrückt gehalten, als er sah, wie ich freiwillig mit den Legionären schuftete, aber daß es so schlecht mit mir stehe, hätte er sich nicht gedacht. Er sprach wieder eine Weile mit dem Mädchen, dann sagte er: »Sie traut dir nicht. Sie glaubt, du willst sie nur in den Wald führen, um sie dir dort gefügig zu machen, und selbst wenn sie dir aus den Händen schlüpfte wie eine Häsin, sagt sie, würden Briten von anderen Stämmen sie einfangen und als Geisel festhalten, da sie nicht aus dieser Gegend stammt. Sie heißt übrigens Lugunda.«

Auf einmal bekam der Baumeister so seltsame Augen. Er schleckte sich über die Lippen, während er das Mädchen musterte, und schlug mir vor: »Hör einmal, ich gebe dir zwei Silberslücke für sie, da bist du sie los.«

Das Mädchen sah seinen Blick, stürzte auf mich zu und packte mich fest am Arm, als wäre ich ihr einziger Schutz auf dieser Welt. Gleichzeitig stieß sie ein paar Sätze in ihrer zischenden Sprache hervor. Der Baumeister lachte laut auf und übersetzte mir, was sie sagte: »Sie behauptet, wenn du ihr unziemlich nahe trittst, wirst du als ein Frosch wiedergeboren werden. Zuvor aber werden ihre Stammesgenossen dir den Bauch aufschlitzen, deine Gedärme auf den Boden herauszerren und dir einen glühenden Spieß durch den Mastdarm in den Leib bohren. Wenn du gescheit bist, trittst du das Mädchen zu einem angemessenen Preis an einen erfahreneren Mann ab.«

Einen Augenblick hatte ich gute Lust, sie dem Baumeister zu schenken, aber dann versicherte ich ihm nur noch einmal geduldig, daß ich Lugunda nichts tun, sondern sie wie ein britisches Fohlen pflegen wolle. Diesen kämmt man ja auch die Stirnfransen, und in kalten Nächten legt man ihnen eine Decke über. Ich wollte es den alten Legionären gleichtun, die sich die Langeweile mit allerlei Tieren vertrieben, die sie verhätschelten, und das Mädchen war immer noch besser als ein Hund, denn sie konnte mir die Sprache der Briten beibringen.

All das sagte ich dem Baumeister, und ich weiß nicht, wie er dem Mädchen meine Worte verdolmetschte oder ob seine Sprachkenntnis überhaupt ausreichte, um wiederzugeben, was ich meinte. Ich habe den Verdacht, daß er Lugunda erklärte, ich wolle sie ebensowenig anrühren, wie ich daran dächte, mit einer Stute oder einer Hündin Unzucht zu treiben. Jedenfalls ließ sie meinen Arm los, stürzte an den Holzzuber und begann sich hastig das Gesicht zu waschen, so als wollte sie mir beweisen, daß sie weder eine Stute noch eine Hündin war.

Ich bat den Baumeister zu gehen, und gab Lugunda ein Stück Seife. Dergleichen hatte sie noch nie gesehen, und ich selbst hatte die Seife, um die Wahrheit zu sagen, auch erst auf dem Weg nach Britannien kennengelernt, als ich in der gallischen Stadt Lutetia das elende Badehaus aufsuchte. Es war am Todestag meiner Mutter, also an meinem Geburtstag gewesen, und ich war in Lutetia siebzehn Jahre alt geworden, ohne daß jemand mir Glück wünschte.

Der magere Badesklave wusch mich mit etwas, was meine Verwunderung erregte, denn es war weich und mild und reinigte vorzüglich. Um wieviel angenehmer war das, als sich die Haut mit Bimsstein zu scheuern! Ich kaufte den Sklaven samt seinen Seifen um drei Goldstücke. Am Morgen, bevor ich Lutetia verließ, gab ich ihn vor den Behörden der Stadt frei, bezahlte die Freilassungssteuer für ihn und erlaubte ihm, den Namen Minutius zu führen. Ein paar Stück Seife, die er mir zum Dank geschenkt hatte, hielt ich vor den Legionären versteckt, nachdem ich bemerkt hatte, daß sie dieses »neumodische Zeug« verachteten.

Als ich nun Lugunda zeigte, wie sie die Seife gebrauchen mußte, faßte sie Zutrauen und wusch und kämmte sich. Ich rieb ihr die geschwollenen Handgelenke mit einer guten Salbe ein, und als ich sah, wie übel ihr Gewand von den Dornen zerrissen war, ging ich zum Händler und kaufte ihr ein Untergewand und einen Mantel aus Wolle. Danach folgte sie mir treu wie ein Hündchen, wohin ich ging.

Bald mußte ich jedoch einsehen, daß es für mich leichter war, Lugunda Latein zu lehren, als selbst die fauchende Sprache der Barbaren zu erlernen. An den langen dunklen Abenden, wenn wir vor dem Feuer saßen, versuchte ich sogar, ihr das Lesen beizubringen. Ich ritzte Buchstaben in den Sand und forderte sie auf, sie nachzuzeichnen. Die einzigen Bücher, die es in der Garnison gab, waren das Jahrbuch der Zenturionen und ein ägyptisch-chaldäisches Traumbuch, das dem Händler gehörte. Ich hatte es daher schon seit langem bereut, daß ich mir nichts zu lesen mitgebracht hatte, aber nun ersetzten mir die Unterrichtsstunden mit Lugunda das Vergnügen der Lektüre.

Über die vielen unanständigen Scherze, die ich von den Legionären wegen des Mädchens in meiner Hütte zu hören bekam, lachte ich nur, denn ich wußte, daß sie nicht bös gemeint waren. Die Männer fragten sich, was für Zauberkünste ich angewandt haben mochte, um das wilde Mädchen so rasch zu zähmen. Natürlich glaubten sie, ich schliefe bei ihr, und ich ließ sie in dem Glauben, obwohl ich Lugunda trotz ihrer dreizehn Jahre nicht anrührte.

Während ein eiskalter Regen niederging und die schon bei günstiger Witterung schlechten Wege sich in bodenlosen Morast und Tümpel verwandelten, auf denen jeden Morgen eine krachende Eisdecke lag, wurde das Leben in der Garnison immer ruhiger und eintöniger. Einige junge Gallier, die sich hatten anwerben lassen, um nach dreißig Dienstjahren das römische Bürgerrecht zu erhalten, machten es sich zur Gewohnheit, still in meiner Holzhütte zu erscheinen, wenn ich Lugunda unterrichtete. Sie hörten mit offenen Mündern zu und sprachen laut die lateinischen Wörter nach, und ehe ich noch wußte, wie mir geschah, unterwies ich auch sie in der lateinischen Sprache und den Anfangsgründen der Schreibkunst. Wer in der Legion aufrücken will, muß zumindest ein wenig lesen und schreiben können, denn ohne Wachstafeln läßt sich nun einmal kein Krieg führen.

Eines Tages, als ich gerade vor meiner torfgedeckten Hütte Unterricht hielt, stand unversehens Vespasian hinter uns, der zur Inspektion gekommen war. Seiner Gewohnheit treu, hatte er sich nicht angemeldet und auch den Wachtposten verboten, Alarm zu blasen, da er ohne Aufsehen im Lager umhergehen und das alltägliche Treiben beobachten wollte. Er war der Ansicht, daß man auf diese Weise ein besseres Bild von dem Geist bekam, der in der Legion herrschte, als durch eine im voraus festgesetzte Musterung. Ich las gerade laut und deutlich aus dem schon arg zerfetzten Traumbuch vor, was es bedeutet, wenn man von Flußpferden träumt, und zeigte mit dem Finger auf jedes einzelne Wort, das ich aussprach, während Lugunda und die jungen Gallier dicht aneinandergedrängt und Kopf an Kopf in die Buchrolle starrten und die lateinischen Wörter wiederholten. Vespasian begann zu lachen, daß ihm die Tränen kamen. Er hockte sich nieder und schlug sich auf die Schenkel. Wir fielen beinahe vor Schreck in Ohnmacht, als er so plötzlich hinter uns auftauchte, sprangen auf und nahmen Haltung an, und Lugunda versteckte sich hinter meinem Rücken. An Vespasians Lachen merkte ich jedoch, daß er nicht ernstlich erzürnt war.

Als er sich endlich wieder gefaßt hatte, musterte er uns streng mit gerunzelten Brauen. Er erkannte gewiß an der guten Haltung und den sauber gewaschenen Gesichtern, daß meine jungen Gallier tadellose Soldaten waren, und sagte schließlich, es gefalle ihm, daß sie in ihrer kurzen Freizeit die lateinische Sprache und die Lesekunst erlernten, anstatt sich mit Wein vollaufen zu lassen. Ja, er setzte sich sogar zu uns und erzählte, er habe zu Kaiser Gajus’ Zeiten im Amphitheater in Rom mit eigenen Augen solch ein Flußpferd gesehen, und das sei ein ganz gewaltiges Tier gewesen. Die Gallier glaubten freilich, er flunkere uns etwas vor, und lachten scheu, aber Vespasian nahm es ihnen nicht übel, sondern befahl ihnen nur, ihre Sachen für die Musterung in Ordnung zu bringen.

Ich bat ihn ehrerbietig, in meine Hütte zu treten, und fragte, ob ich es wagen dürfe, ihm Wein anzubieten. Er antwortete mir, daß er sich gern eine Weile bei mir ausruhen wolle. Die Garnison habe er nun ja besichtigt und die Männer überall bei der Arbeit angetroffen. Ich holte meinen Holzbecher hervor, der mir von meinen Trinkgefäßen das beste zu sein schien. Vespasian drehte ihn verwundert in der Hand hin und her und sagte: »Du hast doch das Recht, den Goldring zu tragen?«

Ich erwiderte, daß ich zwar einen silbernen Becher besäße, den hölzernen aber höher achtete, weil ich ihn von meiner Mutter geerbt hatte. Vespasian nickte zustimmend und sagte: »Es ist recht, daß du das Andenken deiner Mutter ehrst. Ich selbst habe von meiner Großmutter einen buckligen Silberbecher geerbt und trinke aus ihm an allen Festtagen, ohne mich um die Mienen der Leute zu scheren.« Er trank gierig von meinem Wein, und ich schenkte ihm freigebig nach, obwohl ich mich schon so sehr an das ärmliche Soldatenleben gewöhnt hatte, daß ich mir unwillkürlich im stillen ausrechnete, wieviel er sich ersparte, indem er meinen Wein trank. Nicht aus Geiz dachte ich daran, sondern weil ich gelernt hatte, daß ein Legionär es fertigbringen muß, mit zehn Kupfermünzen oder, anders gesagt, zweieinhalb Sesterze im Tag sich zu verköstigen, seine Kleidung instand zu halten und noch einen Beitrag für die Legionskasse zu erübrigen, damit er im Falle von Krankheit oder Verwundung eine kleine Rücklage hatte.

Vespasian schüttelte langsam seinen breiten Kopf und sagte: »Bald kommt der Frühling und zerstreut Britanniens Nebel. Das kann eine schwere Zeit für uns werden. Aulus Plautius macht sich bereit, nach Rom zu reisen, um seinen Triumph zu feiern, und er nimmt die verdientesten, mithin die erfahrensten Truppen mit. Kluge Veteranen ziehen allerdings die Geldablösung vor und ersparen sich den mühseligen Marsch nach Rom, den ein paar Tage Festesrausch und Trunkenheit nicht aufwiegen. Von den Unterfeldherren wäre ich derjenige, der am ehesten das Recht hätte, ihn zu begleiten, da ich mir durch die Eroberung der Insel Vectis die höchsten Verdienste erworben habe, aber einer muß ja in Britannien nach dem Rechten sehen, bis der Kaiser einen Nachfolger für Aulus Plautius ernannt hat. Aulus hat mir versprochen und geschworen, mir mindestens ein Triumphzeichen zu verschaffen, wenn ich mich bereit erkläre, hierzubleiben.«

Er rieb sich nachdenklich die Stirn und fuhr fort: »Wenn es nach mir geht, haben nun die Beutezüge ein Ende, und wir betreiben eine Politik des Friedens. Das bedeutet aber, daß wir von den Unterworfenen und den Bundesgenossen um so höhere Steuern für den Unterhalt der Legionen einheben müssen, was wiederum zu neuem Aufruhr führt. Allerdings wird es diesmal eine Weile dauern, denn Aulus Plautius nimmt natürlich Könige, Heerführer und andere vornehme Gefangene als Kriegsbeute nach Rom mit. Dort werden sie sich an die Bequemlichkeiten eines zivilisierten Lebens gewöhnen, und ihre Kinder wird man in der Schule des Palatiums erziehen, aber was hilft’s! Ihre Stämme werden sich einfach von ihnen lossagen. Wir bekommen nur eine Atempause, während die Familien, die hier um die Macht kämpfen, ihre Zwistigkeiten austragen. Wenn die Briten aber rasch genug handeln, bricht schon in der kürzesten Nacht der Aufstand los, denn das ist ihr größtes Fest. Sie opfern in dieser Nacht in bestem Einvernehmen ihre Gefangenen auf einen Steinaltar, der ihr gemeinsames Heiligtum ist. An sich ist das verwunderlich, denn ihre höchste Verehrung gilt sonst unterirdischen Göttern und der Göttin der Dunkelheit mit dem Eulengesicht. Die Eule ist ja übrigens auch der Vogel der Minerva.«

Er dachte eine Weile über diese heiligen Dinge nach und sagte dann: »Genaugenommen wissen wir viel zuwenig über Britannien und seine verschiedenen Stämme, Sprachen, Sitten und Götter. Gut kennen wir nur die Straßen, die Flüsse und Furten, die Berge und Pässe, die Wälder, Weiden und Viehtränken, denn darüber verschafft sich ein guter Feldherr als erstes Auskunft. Es gibt ja Kaufleute, die unbehelligt zwischen einander feindlich gesinnten Stämmen hin und her reisen, während andere ausgeplündert werden, sobald sie den näheren Bereich der Legion verlassen. Auch gibt es zivilisierte Briten, die Gallien bereist haben und sogar in Rom waren und ein wenig Latein radebrechen, aber diese Männer verstanden wir nicht so zu behandeln, wie es ihr Rang erfordert hätte. In einer Zeit wie dieser könnte es Rom mehr als die Unterwerfung eines ganzen Volkes nützen, wenn einer daranginge, das Wissenswerteste über die Briten, ihre Bräuche und ihre Götter zu sammeln und ein zuverlässiges Buch über Britannien zu schreiben. Der Gott Julius Caesar wußte nicht viel über dieses Land, sondern verließ sich auf allerlei haltloses Geschwätz. Er nahm es ja selbst mit der Wahrheit nicht so genau, als er, um sich herauszustellen, sein Buch über den Gallischen Krieg schrieb, in dem er seine Siege vergrößerte und seine Fehler verschwieg.«

Vespasian trank wieder aus meinen Holzbecher und fuhr fort, indem er sich immer mehr ereiferte: »Natürlich müssen sich die Briten römische Sitten und römische Bildung aneignen, aber ich frage mich, ob wir sie nicht leichter zivilisieren könnten, wenn wir ihre eigenen Sitten und vor allem ihre Vorurteile besser verständen, denn damit, daß wir sie totschlagen, ist niemandem geholfen. Gerade jetzt wäre es der rechte Augenblick, etwas dergleichen zu versuchen, denn wir brauchen Frieden, während unsere besten Truppen aus Britannien abgezogen sind und wir auf einen neuen, unerfahrenen Oberbefehlshaber warten. Aber du hast ja auch schon einen Briten erschlagen und wirst an Aulus Plautius’ Triumph teilnehmen wollen. Deine Herkunft und deine rote Borte berechtigen dich jedenfalls dazu, und ich lege gern ein Wort für dich ein, wenn du willst. Da weiß ich dann wenigstens, daß ich einen wirklichen Freund in Rom habe.«

Der Wein stimmte ihn wehmütig. »Zwar habe ich ja meinen Sohn Titus, der als Spielkamerad des gleichaltrigen Britannicus im Palatium aufwächst und die gleiche Erziehung wie dieser erhält. Er wird es einmal besser haben als ich. Vielleicht wird er Britannien endlich den Frieden geben.«

»Dann habe ich deinen Sohn bestimmt bei den Reiterübungen vor der Jahrhundertfeier in Gesellschaft des Britannicus gesehen«, warf ich ein. Vespasian sagte, er selbst habe seinen Sohn seit vier Jahren nicht mehr gesehen und werde ihn so bald auch nicht zu sehen bekommen. Seinen zweiten Sohn, Domitian, hatte er noch nicht einmal auf seine Knie gesetzt, denn der Kleine war eine Frucht des Triumphes des Claudius, und Vespasian hatte gleich nach Beendigung der Feiern wieder nach Britannien zurückkehren müssen.

»Viel war der ganze Triumph nicht wert«, sagte er bitter. »Eine wahnwitzige Verschwendung zum Gaudium des Pöbels. Ich will nicht abstreiten, daß ich selbst gern einmal mit dem Lorbeerkranz auf dem Haupt die Stufen zum Kapitol hinaufgekrochen wäre. Wer träumt nicht davon, wenn er jahrelang eine Legion geführt hat! Aber saufen kann man auch in Britannien, und billiger obendrein!«

Ich sagte, ich würde gern unter seinem Befehl in Britannien bleiben, wenn er glaubte, mich brauchen zu können, denn ich hätte kein Verlangen danach, ohne wirkliches Verdienst an einem Triumph teilzunehmen. Vespasian betrachtete dies als einen großen Vertrauensbeweis und war sichtlich gerührt. »Je länger ich aus deinem Holzbecher trinke, desto besser gefällst du mir«, sagte er mit Tränen in den Augen. »Mein Sohn Titus soll so werden wie du, das wünsche ich mir. Ich will dir ein Geheimnis verraten.«

Er gestand mir, daß er einen Opferpriester der Briten gefangengenommen hatte, den er vor Aulus Plautius verbarg, denn dieser sammelte nun Gefangene für den Triumph und die Kämpfe im Amphitheater. Um dem Volk etwas Besonderes zu bieten, hätte er gern einen echten Priester gehabt, der bei einer Vorstellung einige Gefangene opfern sollte. »Aber ein wirklicher Druide würde sich nie dazu hergeben«, sagte Vespasian. »Es ist viel einfacher für Aulus, irgendeinen Briten als Priester zu verkleiden. Die Römer merken den Unterschied nicht. Sobald Aulus abgereist ist, will ich den Priester freigeben und zum Zeichen meiner guten Absichten zu seinem Stamm zurückschicken. Wenn du Mut hast, Minutus, kannst du ihn begleiten und dich mit den Sitten der Briten vertraut machen. Dank seiner Hilfe könntest du mit vornehmen Jünglingen Freundschaftsbande knüpfen. Er würde dein Leben beschützen, denn ich habe den heimlichen Verdacht, daß unsere erfolgreichen Kaufleute sich um schweres Geld freies Geleit von den Druiden erkauft haben, auch wenn sie es nicht zugeben wollen.«

Ich hatte wenig Lust, mich mit fremden und abschreckenden Religionen einzulassen, und fragte mich im stillen, was für ein Fluch mich verfolgte, da ich schon in Rom gezwungen gewesen war, mit dem Aberglauben der Christen Bekanntschaft zu schließen. Vertrauen für Vertrauen, dachte ich und berichtete Vespasian, wie ich eigentlich ausgerechnet nach Britannien gekommen war. Die Vorstellung, daß die Gattin eines Triumphators von diesem wegen schändlichen Aberglaubens abgeurteilt werden sollte, belustigte ihn über alle Maßen. Um mir aber zu zeigen, daß er sehr wohl wußte, was in Rom geklatscht wurde, erzählte er mir: »Ich kenne Paulina Plautia persönlich. Soviel ich weiß, verlor sie den Verstand, nachdem sie einem jungen Philosophen – ich glaube, er hieß Seneca – Gelegenheit gegeben hatte, Julia, die Schwester des Kaisers Gajus, heimlich in ihrem Haus zu treffen. Die beiden wurden deshalb aus Rom verbannt, und Julia starb schließlich. Paulina Plautia nahm sich die Anklage wegen Kuppelei so zu Herzen, daß sie verrückt wurde. Sie legte Trauerkleider an und zog sich in die Einsamkeit zurück. Eine solche Frau kommt natürlich auf wunderliche Gedanken.«

Lugunda war während dieses Gesprächs in einem Winkel der Hütte gekauert und hatte uns aufmerksam beobachtet. Wenn ich lächelte, lächelte auch sie, machte ich aber ein ernstes Gesicht, so wurde sie unruhig. Vespasian hatte sie manchmal zerstreut angeblickt und sagte nun zu meiner Überraschung: »Frauen haben überhaupt seltsame Dinge im Kopf. Ein Mann kann nie genau sagen, was sie vorhaben. Der Gott Caesar hielt ja nicht viel von den Frauen der Briten, aber er hatte im großen ganzen keine allzu gute Meinung von den Frauen. Ich selbst bin der Ansicht, daß es gute und schlechte Frauen gibt, bei den Barbaren wie bei den zivilisierten Völkern. Das größte Glück für einen Mann ist die Freundschaft einer guten Frau. Deine Wilde da sieht noch wie ein Kind aus, aber sie kann dir mehr nützen, als du glaubst. Du kannst nicht wissen, daß der Stamm der Icener sich an mich gewandt hat und das Mädchen zurückkaufen will. Das pflegen die Briten im allgemeinen nicht zu tun, denn sie betrachten Stammesgenossen, die uns Römern in die Hände fallen, als für alle Zeit verloren.«

Er sprach mit Lugunda mühsam ein paar Worte in der Sprache der Icener, und ich verstand nur wenig von dem, was sie sagten. Lugunda sah ihn jedoch verwirrt an und trat dann an meine Seite, wie um bei mir Schutz zu suchen. Sie antwortete Vespasian zuerst sehr scheu und dann ein wenig freimütiger, bis er den Kopf schüttelte und sich wieder an mich wandte: »Es ist schwer, sich mit den Briten zu verständigen. Die Küstenbewohner im Süden sprechen eine andere Mundart als die Stämme weiter landeinwärts, und die Leute im Norden verstehen von der Sprache der südlichen Stämme nicht ein Wort. Ich kann dir jedoch sagen, daß deine Lugunda schon als kleines Kind von den Druiden als Hasenpriesterin auserwählt worden ist. Wenn ich die Sache richtig verstanden habe, trauen sich die Druiden zu, schon einem Kind anzumerken, ob es für ihre Zwecke taugt und zum Priester erzogen werden kann. Das ist notwendig, da es Druiden der verschiedensten Grade und Ränge gibt und sie ihr ganzes Leben lang lernen müssen. Bei uns ist das Priesteramt mehr eine politische Ehrenstellung, aber bei den Briten sind die Priester zugleich Ärzte, Richter und sogar Dichter, sofern Barbaren so etwas wie eine Dichtkunst kennen.«

Ich kam immer mehr zu der Überzeugung, daß Vespasian keineswegs so ungebildet war, wie er selbst gern vorgab. Ich glaube, er spielte den groben Klotz, um andere dazu zu verleiten, ihre ganze Überheblichkeit und Eitelkeit zu verraten. Daß Lugunda zur Priesterin auserkoren war, hatte ich nicht geahnt. Ich hatte zwar bemerkt, daß sie kein Hasenfleisch essen konnte, ohne sich zu erbrechen, und sie duldete auch nicht, daß ich Hasen mit der Schlinge fing, aber ich hatte das nur für eine Barbarenlaune gehalten, da ich wußte, daß die vielen Sippen und Stämme der Briten die verschiedensten Tiere heilig hielten, ähnlich wie der Dianapriester bei uns in Nemi kein Pferd berühren oder auch nur ansehen durfte.

Vespasian sprach noch einmal mit Lugunda, und plötzlich lachte er laut auf und rief: »Sie will nicht zu den Ihren zurückkehren, sondern bei dir bleiben, und sie behauptet, du lehrst sie Zauberkunststücke, die nicht einmal ihre Priester kennen. Beim Herkules, sie glaubt, du seist ein Heiliger, weil du nie versucht hast, sie zu nehmen!«

Ich sagte zornig, daß ich kein Heiliger, sondern nur durch ein gewisses Gelübde gebunden und daß Lugunda ja noch ein Kind sei. Vespasian sah mich pfiffig an, rieb sich die breiten Backenknochen und meinte, keine Frau sei ganz und gar ein Kind. Dann dachte er eine Weile nach und sagte schließlich: »Ich kann sie nicht zwingen, zu ihrem Stamm zurückzukehren. Ich glaube, ich muß sie ihr Hasenorakel befragen lassen.«

Tags darauf hielt Vespasian die übliche Musterung im Lager ab. Er sprach zu den Soldaten auf seine grobe Art und erklärte ihnen, sie müßten sich hinfort damit begnügen, sich gegenseitig die Schädel einzuschlagen, und die Briten in Ruhe lassen. »Habt ihr das begriffen, ihr Tölpel?« brüllte er. »Jeder Brite ist euer Vater oder Bruder, jedes alte Britenweib ist eure Mutter, jedes noch so leckere Jüngferlein eure liebe Schwester. Behandelt sie danach. Wedelt freundlich mit grünen Zweigen, wenn ihr sie seht, macht ihnen Geschenke und gebt ihnen zu essen und zu trinken. Ihr wißt, daß das Kriegsgesetz eigenmächtige Plünderung mit dem Scheiterhaufen ahndet. Darum gebt acht, daß ich euch nicht die Schwarte ansengen muß! Aber wartet nur, wie ich euch einheize, wenn ihr euch auch nur ein einziges Pferd, ein einziges Schwert von einem Briten stehlen laßt! Denkt daran, daß die Briten Barbaren sind. Gütig und voll Nachsicht müßt ihr sie eure Sitten lehren. Bringt ihnen also bei, zu würfeln, Wein zu saufen und bei den römischen Göttern zu fluchen. Das ist der erste Schritt zur höheren Bildung. Wenn euch ein Brite auf die eine Backe schlägt, dann haltet ihm auch die andere hin. Meiner Treu, ich habe mir sagen lassen, es gibt da jetzt so einen neuen, gefährlichen Aberglauben, der verlangt, daß man’s so macht, ob ihr es glauben wollt oder nicht. Aber haltet die andere Backe jedenfalls nicht zu oft hin, sondern tragt eure Meinungsverschiedenheiten lieber auf britische Art durch Ringkämpfe, Hindernisläufe oder Ballspiele aus.«

Selten habe ich die Legionäre so herzlich lachen gehört wie bei Vespasians Ansprache. Die Glieder wankten vor Gelächter, und einer ließ sogar seinen Schild in den Schlamm fallen. Zur Strafe prügelte ihn Vespasian eigenhändig mit einem Befehlsstab, den er sich von einem Zenturio ausborgte, was noch mehr Heiterkeit auslöste. Zuletzt aber opferte Vespasian auf dem Legionsaltar nach dem vorgeschriebenen Ritual so feierlich und fromm, daß keiner mehr zu lachen wagte. Er opferte so viele Kälber, Schafe und Schweine, daß alle wußten, daß sie sich einmal umsonst mit geröstetem Fleisch mästen konnten, und wir verwunderten uns alle laut über die günstigen Vorzeichen.

Nach der Musterung befahl mir Vespasian, von einem Veteranen, der zu seinem Vergnügen nach Art der Briten in einem Käfig Hasen züchtete, einen lebenden Hasen zu kaufen. Vespasian nahm den Hasen unter den Arm, und dann gingen wir drei, er, Lugunda und ich, aus dem Lager und tief in den Wald hinein. Er nahm keine Leibwache mit, denn er war ein furchtloser Mann, und außerdem trugen wir beide nach der Musterung noch unsere Rüstungen und Waffen. Drinnen im Wald packte er den Hasen bei den Löffeln und reichte ihn Lugunda, die ihn geschickt unter ihren Mantel steckte und sich nach einem geeigneten Ort umsah. Ohne ersichtlichen Grund führte sie uns so lange in die Kreuz und in die Quere, daß ich schon an einen Hinterhalt der Briten zu glauben begann. Ein Rabe flog krächzend vor uns auf, wandte sich aber zum Glück nach rechts.

Bei einer mächtigen Eiche blieb Lugunda endlich stehen, blickte sich um, zeichnete mit einer Hand die vier Himmelsrichtungen in die Luft, warf eine Faustvoll fauler Eicheln in die Höhe, beobachtete, wie sie fielen, und begann dann mit eintöniger Stimme eine Beschwörung herzusagen. Sie sprach und sang so lange, daß ich schon schläfrig wurde, dann aber zog sie plötzlich den Hasen unter ihrem Mantel hervor, warf ihn in die Höhe und starrte ihm vornübergebeugt und mit vor Erregung dunklen Augen nach. Der Hase floh in langen Sätzen genau nach Nordwesten und verschwand im Gehölz. Lugunda begann zu weinen, schlang mir die Arme um den Hals und drückte sich schluchzend an mich.

Vespasian sagte bedauernd: »Du hast den Hasen selbst ausgewählt, Minutus. Ich habe mit der Sache nichts zu tun. Wenn ich aber den Hasen recht verstanden habe, will er, daß sie unverzüglich zu ihrem Stamm zurückkehrt. Wäre er sitzen geblieben und hätte er den Kopf in einen Busch gesteckt, so würde das ein ungünstiges Vorzeichen gewesen sein und bedeutet haben, daß sie bleiben soll. So viel glaube ich vom Hasenorakel der Briten zu verstehen.«

Er klopfte Lugunda freundlich auf die Schulter und redete mit ihr in der Sprache der Icener, indem er auf mich zeigte. Lugunda beruhigte sich, lächelte, ergriff meine Hand und küßte sie mehrere Male.

»Ich habe ihr nur versprochen, daß du sie sicher ins Land der Icener geleiten wirst«, sagte Vespasian ungerührt. »Aber nun wollen wir noch einige andere Orakel befragen, um zu erfahren, ob es nicht genügt, wenn ihr erst ein wenig später aufbrecht, damit du noch Gelegenheit hast, den Druiden kennenzulernen, den ich gefangenhalte. Ich habe den Eindruck, du bist verrückt genug, um als umherziehender Sophist auftreten zu können, der in den verschiedensten Ländern Wissen und Weisheit sammelt. Ich schlage vor, du kleidest dich in Ziegenhäute. Das Mädchen kann bezeugen, daß du ein Heiliger bist, und der Druide wird dein Leben beschützen. Sie halten ihr Versprechen, wenn sie sie auf eine bestimmte Art beim Namen einer ihrer unterirdischen Götter abgelegt haben, und sollten sie sie nicht halten, dann müssen wir uns etwas anderes ausdenken, um ein friedliches Zusammenleben zu sichern.«

So begleiteten Lugunda und ich Vespasian, als er von seiner Musterungsreise wieder ins Hauptlager der Legion zurückkehrte. Als wir aufbrachen, bemerkte ich zu meiner Verwunderung, daß viele Männer der Garnison mich während des langen Winters ins Herz geschlossen hatten, so spöttisch sie mir anfangs auch entgegengetreten waren. Sie gaben mir kleine Abschiedsgeschenke, sagten, ich dürfe nie die Brust beißen, die mich gesäugt habe, und versicherten mir, daß in meinen Adern echtes Wolfsblut rinne, wenn ich auch Griechisch könne. Es tat mir weh, sie zu verlassen.

Als wir im Hauptlager ankamen, vergaß ich, den Legionsadler nach Vorschrift zu grüßen. Vespasian brüllte vor Zorn, befahl mir, die Waffen abzulegen, und schickte mich in den Kerker. Diese Strenge verwirrte mich, bis ich erkannte, daß er mich auf diese Weise nur mit dem gefangenen Druiden zusammenbringen wollte. Dieser Mann war noch keine dreißig, aber in jeder Hinsicht bemerkenswert. Er gestand offen, daß er auf der Heimreise aus Westgallien gefangengenommen worden war, als ein Sturm sein Schiff an einen von den Römern bewachten Küstenstrich trieb.

»Dein Legat Vespasian ist ein schlauer Fuchs«, sagte er lächelnd. »Kein anderer von euch hätte in mir den Druiden erkannt oder mich auch nur für einen Briten gehalten, da ich mir das Gesicht nicht blau bemale. Er hat versprochen, mir den qualvollen Tod im Amphitheater in Rom zu ersparen, aber deshalb werde ich ihm doch nicht zu Willen sein. Ich tue nur, was meine Wahrträume mir zu tun gebieten. Vespasian führt ohne sein Wissen einen höheren Willen als den seinen aus, wenn er mein Leben schont. Doch ich fürchte nicht einmal einen qualvollen Tod, da ich ein Eingeweihter bin.«

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