XIV

VESPASIAN


Ich nutzte die Wartezeit, um auf Umwegen meine Sache bei Vespasian vorzubereiten, der feine Andeutungen sehr wohl verstand, aber vorsichtig und bedachtsam war. Im darauffolgenden Frühling starb Nero, sofern er wirklich tot ist. Rom wurde innerhalb eines einzigen Jahres von drei verschiedenen Kaisern regiert: Galba, Otho und Vitellius. Genaugenommen von vieren, wenn man den unverschämten Staatsstreich Domitians auf seines eigenen Vaters Kosten mit dazurechnet, aber das nahm ja ein schnelles Ende.

Es erheiterte mich, daß nach Galba ausgerechnet Otho Kaiser wurde. Auf diese Weise wäre Poppaea in jedem Falle kaiserliche Gemahlin geworden, auch wenn sie sich nicht von Otho hätte scheiden lassen, so daß die Weissagung gleichsam doppelt in Erfüllung ging. Ich bin nicht abergläubisch, aber ich meine, ein vernünftiger Mensch sollte ab und zu doch etwas auf Vorzeichen und dergleichen geben.

Vitellius nahm, auf die rheinischen Legionen gestützt, die Zügel in die Hand, sobald er von der Ermordung Galbas erfuhr. Ich glaube, an Othos raschem Untergang war nur schuld, daß er sich erdreistete, das heilige Schwert Deines Stammvaters Julius Caesar aus dem Marstempel zu holen, wozu er weder juristisch noch moralisch gesehen das Recht hatte. Dieses Recht kommt nur Dir zu, Julius Antonianus Claudius, der Du in gerader absteigender Linie sowohl dem Geschlecht der Julier als auch dem der Antonier angehörst. Zum Glück bekam man das Schwert zurück und konnte es im Marstempel erneut weihen.

Othos Legionen wurden bei Dedriacum geschlagen, er selbst beging Selbstmord, um den Bürgerkrieg nicht zu verlängern, obwohl er frische Truppen in Bereitschaft hatte. Seinen letzten Brief schrieb er an Neros Witwe, Statilia Messalina. Er drückte ihr darin sein Bedauern aus, daß er sein Versprechen nicht halten und sich nicht mit ihr vermählen konnte. Seinen Leichnam und seinen Nachruf vertraute er in diesem für einen Feldherrn und Kaiser unziemlich gefühlvollen Brief Statilias Obhut an. Auf diese Weise bekam Statilia kurz nacheinander gleich zwei Kaisergräber, um die sie sich kümmern konnte.

Über Paulus Vitellius genügt es zu sagen, daß er seine frühe Jugend im Gefolge des Kaisers Tiberius auf Capri verbrachte. Die Verdienste seines berühmten Vaters will ich gern anerkennen, aber Paulus war so sittenlos, daß sein eigener Vater ihm nicht einmal das Amt eines Prokonsuls geben wollte. Es gelang ihm, sich in die Gunst dreier Kaiser einzuschmeicheln, eher um seiner Laster als um seiner Tugenden willen. Nero zählte ihn zu seinen Freunden, ich aber war nie mit ihm befreundet. Im Gegenteil, ich mied seine Gesellschaft, so gut es ging. Als Beweis für sein unanständiges Benehmen will ich nur anführen, daß er, als er das Schlachtfeld bei Badriacum aufsuchte, schnuppernd die Luft einsog und sagte: »Ein erschlagener Feind riecht gut, und ein erschlagener römischer Bürger riecht noch besser!«

Seine einzige ehrenhafte Handlung war, daß er dem Senat trotzte und in Gegenwart aller Priesterkollegien auf dem Marsfeld ein Totenopfer für Nero verrichtete, worauf er bei dem Mahl, das er dann gab, den vornehmsten Zitherspieler Roms nur Lieder zu singen bat; die Nero gedichtet und vertont hatte. Dazu klatschte er als erster so eifrig in die Hände, als lebte Nero noch. Auf diese Weise machte er gut, was der Proprätor Julius Vindex Nero in dem beleidigenden Brief angetan hatte, der der Anlaß zum Bürgerkrieg gewesen war. Vindex hatte Nero in diesem Brief einen kläglichen Zitherspieler genannt, weil er wußte, daß ihn dies mehr kränken würde als jede andere Anklage. Der für meinen Verstand unbegreifliche politische Mißgriff des Vitellius bestand darin, daß er durch einen Erlaß die Prätorianerkohorten auflöste und einhundertzwanzig Mann hinrichten ließ, darunter diejenigen Kriegstribunen und Zenturionen, die in erster Linie für die Ermordung Galbas verantwortlich waren. Von seinem Standpunkt aus hätten sie eher eine Belohnung denn Strafe verdient. Es war nicht verwunderlich, daß ein solcher Wankelmut die vernünftigen Legionsbefehlshaber mit gutem Grund an seiner Zuverlässigkeit als Kaiser zweifeln ließ.

Von den erbarmungslosen Morden, denen viele hochgeachtete Männer zum Opfer fielen, will ich nicht sprechen. Ich erwähne nur, daß er nicht einmal die Bankiers begnadigte, die ihm von Nutzen hätten sein können, sondern sie in der Hoffnung auf leichten Gewinn hinrichten und ihr Vermögen beschlagnahmen ließ, ohne zu überlegen, daß es klüger ist, eine Kuh zu melken, als sie zu schlachten.

Als Vitellius den achten Monat regierte, erhielt ich gewisse Nachrichten, die mich davon überzeugten, daß endlich die Zeit gekommen war, Vespasian zu überreden. Ich sagte ihm, daß ich bereit war, ihm mein ganzes Vermögen zu leihen, um seine Thronbesteigung zu finanzieren, und daß ich keine andere Sicherheit verlangte als einen Anteil an Jerusalems Tempelschatz und der übrigen Kriegsbeute. Ich spielte auf meine zwanzig eisernen Truhen an. Sie enthielten selbstverständlich nicht mein gesamtes Vermögen, aber ich wollte ihm vor Augen führen, wie sehr ich auf ihn und seine Möglichkeiten baute.

Der vorsichtige Vespasian wehrte sich so lange, daß Titus schließlich auf meinen Rat einen Brief fälschte, in welchem Galba Vespasian zu seinem Erben ernannte. Titus ist der geschickteste Fälscher, der mir je untergekommen ist, und kann jede Handschrift glaubhaft nachahmen. Was sich daraus im Hinblick auf seinen Charakter schließen läßt, soll ungesagt bleiben.

Ich weiß nicht, ob Vespasian an die Echtheit des Briefes von Galba glaubte. Er kennt ja seinen Sohn. Jedenfalls jammerte und klagte er eine ganze Nacht lang in seinem Zelt, so daß ich es zuletzt nicht mehr aushielt und Geld an die Legionäre austeilen ließ, ein paar Sesterze für einen jeden, damit sie ihn in der Morgendämmerung zum Kaiser ausriefen. Das taten sie gern und hätten es vermutlich auch umsonst getan, aber ich wollte Zeit gewinnen. Auf meinen Rat schickten sie Boten zu den übrigen Legionen und ließen überall erzählen, was für ein guter, verständnisvoller Mensch und begabter Feldherr er vom Standpunkt des einfachen Soldaten aus war.

Vespasian war auf diese Weise kaum vor den Mauern Jerusalems zum Kaiser ausgerufen worden, als auch schon die Eilbotschaft eintraf, daß ihm die Legionen in Mösien und Pannonien gleichfalls den Treueid geschworen hatten. Er ließ den Donaulegionen rasch den rückständigen Sold schicken, um den sie in ihrem Schreiben so inständig baten. Meine Geldtruhen in Caesarea kamen daher sehr gelegen, obwohl Vespasian zunächst einmal meinte, er könne auf seinen guten Namen hin gewiß Recht bei den reichen Handelsleuten in Syrien und Ägypten bekommen. Wir waren nämlich anfangs im Hinblick auf meinen rechtmäßigen Anteil am Tempelschatz nicht ganz derselben Meinung.

Ich erinnerte ihn daran, daß es Julius Caesar seinerzeit geglückt war, auf seinen bloßen Namen und seine Zukunftsaussichten hin so ungeheure Schulden zu machen, daß seine Gläubiger gezwungen waren, ihn politisch zu unterstützen, da zuletzt die gesamte Kriegsbeute aus dem reichen, fruchtbaren Gallien vonnöten war, sie zu bezahlen. Doch Caesar war damals noch jung und hatte sich sowohl durch politischen Weitblick als auch durch militärische Verdienste in unvergleichlich höherem Maße ausgezeichnet als Vespasian, der schon zu Jahren gekommen und für sein einfaches, schlichtes Wesen bekannt war. Nach langem, hartem Feilschen trafen wir dann doch ein für beide Seiten annehmbares Übereinkommen.

Solange Nero lebte, hätte Vespasian jedoch nie einen Soldateneid gebrochen und Neros Vertrauen enttäuscht. So unvernünftig war er in seiner Treue, und er dachte nicht an seinen eigenen Kopf und die Zukunft seiner Söhne.

Die Treue ist gewiß etwas Anerkennenswertes, aber die wechselnden politischen Verhältnisse nehmen keine Rücksicht auf die Ehrenhaftigkeit eines Mannes; da mag man noch so laut von Ehre und Vaterland schreien!

Vespasian erklärte sich also endlich bereit, die schweren Pflichten eines Kaisers auf seine Schultern zu nehmen, da er erkannte, daß der Staat zugrunde gehen und der Bürgerkrieg nie ein Ende haben würde, wenn er nicht eingriff, und er griff in den Gang der Ereignisse ein zum Vorteil der Stillen im Lande, die nichts anderes wünschen, als in Frieden zu arbeiten und das kleine Glück des Menschen im Kreise der Ihren zu genießen. Von dieser Art sind die meisten Menschen, und deshalb haben sie auch nichts mitzureden, wenn die Angelegenheiten der Welt geregelt werden.


Ich fühle das Bedürfnis, Dir auch alles zu berichten, was ich von Neros Tod weiß, obwohl ich selbst nicht zugegen war. Als Neros aufrichtiger Freund hielt ich es für meine Pflicht, in dieser, gelinde gesagt, dunklen Geschichte zu forschen, so gut dies später unter den veränderten Verhältnissen noch möglich war. Aber freilich trieb mich auch die menschliche Neugier dazu.

Statilia glaubt fest, daß Nero so starb, wie es allgemein erzählt wird und wie es auch die Geschichtsschreiber berichten. Nero hatte sie aber doch nach Antium verbannt. Sie kann also gar nichts gesehen haben. Wie es sich mit Acte verhält, weiß ich nicht recht. Sie besucht Neros Grab und schmückt es mit Blumen, aber ich möchte fast meinen, sie tut es, um etwas zu vertuschen. Sie gehört zu den wenigen, die wirklich dabei waren, als Nero seinen später berühmt gewordenen Selbstmord beging.

Als Nero erkannte, daß der gallische Aufruhr unter Vindex gefährliche Formen annahm, kehrte er aus Neapolis nach Rom zurück. Er hatte diese Sache zuerst gar nicht ernst nehmen wollen, obwohl er natürlich über den unverschämten Brief des Vindex erzürnt gewesen war. Wieder in Rom, ließ er den Senat und die einflußreichsten Angehörigen des Ritterstandes zu einer heimlichen Beratung ins Goldene Haus kommen, spürte aber mit der Empfindsamkeit des Künstlers sogleich die Kälte und Abneigung, die diese Männer ihm entgegenbrachten. Nach der Beratung begann er ernstlich für sein Leben zu fürchten. Als er hörte, daß Galba sich mit den Aufständischen in Iberien vereinigt hatte, fiel er in Ohnmacht, denn er erkannte, daß der Vertrauensmann, den er gesandt hatte, nicht mehr rechtzeitig bei Galba eingetroffen war, um ihm zu sagen, daß er zum Besten des Staates Selbstmord begehen müsse.

Als sich die Kunde von Galbas Verrat in Rom verbreitete, setzte eine so wahnwitzige, lügnerische Hetze gegen Nero ein, wie man sie seit den Tagen des Octavianus Augustus, als es darum ging, Marcus Antonius zu besiegen, nicht mehr erlebt hatte. Ich will nicht wiederholen, was alles über ihn geredet wurde und was für Schändlichkeiten man in seine Statuen ritzte. Die größte Frechheit war, daß der Senat die Schlüssel zum Kapitol versteckte, nachdem Nero befohlen hatte, beide Stände müßten ihren Treueid und ihre heiligen Gelübde erneuern. Zwar fanden sie sich rasch wieder, als er nach langem Warten einen Tobsuchtsanfall bekam und damit drohte, er werde trotz der Heiligkeit des Kapitols die führenden Männer des Senats auf der Stelle hinrichten lassen, aber die vielen ungeduldig wartenden Zuschauer deuteten das Verschwinden der Schlüssel als eines der bösesten Vorzeichen für Nero.

Zu dieser Zeit standen Nero noch alle Möglichkeiten offen. Tigellinus hatte eine armlange Proskriptionsliste aufgestellt, die ich später in seinem Versteck fand und auf der auch mein Name stand. Das will ich ihm aber um unserer Freundschaft willen gern verzeihen. Weit mehr wunderte ich mich darüber, wie klar er die Notwendigkeit erkannt hatte, gewisse Männer, die Schlüsselämter im Staatsdienst innehatten, hinzurichten, als in Gallien und Iberien der Aufruhr emporloderte.

Auf der Liste standen die beiden derzeitigen Konsuln und eine so große Anzahl Senatoren, daß mich das Entsetzen packte. Es tat mir leid, daß ich die Liste aus politischen Gründen vernichten mußte. Es wäre sehr unterhaltsam gewesen, später einmal einige Namen daraus gewissen Gästen vorzulesen, die ich meiner Stellung wegen öfter einladen muß, obwohl mir nichts an ihrer Gesellschaft liegt.

Nero begnügte sich jedoch damit, die beiden Konsuln zu verabschieden und selbst allein das Konsulsamt zu besetzen. Seine Empfindsamkeit und seine Menschenliebe hinderten ihn daran, die strengen Maßnahmen zu ergreifen, die allein noch imstande gewesen wären, seine Macht zu retten. Dank Tigellinus standen die Prätorianer auf seiner Seite, aber er hätte den Baum bis auf den letzten kleinen Zweig abästen müssen, und er war der Ansicht, eine so strenge Behandlung vertrage der kräftigste Stamm nicht.

Nach seinen Triumphen als Künstler in Griechenland war Nero seiner Herrscherpflichten müde geworden. Ich glaube, wenn der Senat zuverlässiger gewesen wäre, würde er ihm nach und nach einen großen Teil seiner Macht übertragen haben. Du weißt aber selbst, wieviel Uneinigkeit im Senat herrscht und wie einer gegen den andern intrigiert. Der aufgeklärteste Alleinherrscher kann sich auf den Senat nicht voll verlassen, nicht einmal Vespasian. Ich hoffe, Du wirst dessen stets eingedenk sein, und ich sage das, obgleich ich selbst Senator bin und nach bestem Vermögen für die Überlieferungen und die Autorität des Senats eintrete.

Denn der Senat ist immer noch besser dazu geeignet, den Staat zu lenken, als das verantwortungslose Volk. Es gehört immerhin einiges dazu, Senator zu werden, während das Volk blind dem Manne folgt, der ihm außer Getreide auch noch Öl verspricht, die besten Theatervorstellungen anordnet und unter dem Deckmantel neuer Feiertage die meisten arbeitsfreien Tage einführt. Das Volk ist gefährlich und unzuverlässig, und es kann die besten Absichten zuschanden machen. Deshalb muß das Volk in guter Zucht und bei guter Laune gehalten werden.

Nero wollte keinen Krieg und am allerwenigsten einen Bürgerkrieg, der für alle echten Julier der vielen bitteren Erinnerungen wegen das Schlimmste ist, was einem Herrscher widerfahren kann. Er tat jedoch eigentlich nichts, um den Aufruhr zu unterdrücken, weil er kein Blut vergießen wollte. Denen, die ihm Vorwürfe machten, antwortete er spöttisch, es wäre vielleicht das beste, wenn er den Legionen, die sich Rom im Triumphmarsch näherten, allein entgegenträte und versuchte, sie für sich zu gewinnen, indem er ihnen vorsang. Deutet das nicht darauf hin, daß er sehr wohl seine eigenen geheimen Pläne haben konnte? Es ist kein leeres Gerede, daß er in seiner Jugend lieber auf Rhodos studierte als sich in der Politik geübt haben würde. Seine Sehnsucht war immer nach Osten gegangen, obwohl er nie weiter als bis Achaia kam.

Über Parthien wußte Nero vielleicht mehr als die militärischen Kundschafter, die nur auf Straßen, Weiden, Quellen, Furten, Bergpässe und befestigte Stützpunkte achten. Er sprach gern über die eigenartige Kultur der Parther, obwohl wir ihn auslachten, denn die Parther sind und bleiben doch Barbaren, bis Rom sie eines Tages zivilisiert.

Nach Neros Tod habe ich oft denken müssen, daß er vielleicht nur scherzte, als er sagte, er wolle eines Tages in Ekbatana auftreten. Ich habe gehört, daß Zitherspiel und Gesang nun in Parthiens vornehmsten Kreisen große Mode sind. Hier in Rom müssen wir uns seit der Eroberung Jerusalems ständig das Geklapper und Geklirre orientalischer Musikinstrumente anhören. Sistren und Tamburine, oder wie sie nun heißen.

Von der neumodischen Musik der jungen Leute kann einem alternden Mann wie mir ganz übel werden, und manchmal denke ich geradezu sehnsüchtig an das Zithergeklimper zu Neros Zeiten zurück, aber ich bin ja, wie ich von Dir und Deiner Mutter ständig zu hören bekomme, völlig unmusikalisch.

Deshalb ist es mir aber doch unbegreiflich, daß Du, wenn Du liest und studierst, einen Sklaven in Deiner Nähe haben mußt, der ein Sistrum schwenkt oder zwei Kupferdeckel zusammenschlägt, während ein heiserer Sänger ägyptische Schlager grölt. Ich würde den Verstand verlieren, wenn ich mir das ununterbrochen anhören müßte. Du aber behauptest allen Ernstes, Du könntest Dich ohne das nicht in Deine Lektüre vertiefen, und Deine Mutter, die immer und in allen Dingen zu Dir hält, erklärt, ich verstünde eben nichts davon. Wenn einem Fünfzehnjährigen schon der Bart wüchse, würdest Du gewiß auch einen tragen.

Nero, um auf ihn zurückzukommen, unternahm also nichts. Die Lügen und die öffentlichen Beleidigungen, die er hatte einstecken müssen, hatten ihn tief gekränkt. Galbas Truppen zogen siegreich, und dank Nero ohne eine einzige Schlacht schlagen zu müssen, gegen Rom. Und dann kam der Tag vor dem Minervafest, da Tigellinus es, um seine eigene Haut zu retten, für gut befand, die Prätorianer dem Senat zur Verfügung zu stellen. Der Senat wurde im Morgengrauen in aller Heimlichkeit zu einer außerordentlichen Sitzung einberufen. Es erging aber nicht an alle, die in Rom wohnten, die Aufforderung zu erscheinen, sondern nur an die zuverlässigen, und selbstverständlich nicht an Nero, der allerdings das Recht gehabt hätte, an der Versammlung teilzunehmen, denn er war Senator wie die anderen und sogar in höherem Grade als sie. Tigellinus sorgte dafür, daß die Prätorianerposten und die germanische Leibwache am Abend ohne Ablösung vom Goldenen Haus abgezogen wurden.

Die beiden von Nero abgesetzten Konsuln führten widerrechtlich das Wort, und der Senat beschloß einstimmig, Galba zum Kaiser zu machen, einen kahlköpfigen, liederlichen Greis, der sich die athletischsten Liebhaber hielt, die er nur finden konnte. Ebenso einstimmig erklärte der Senat Nero zum Staatsfeind und verurteilte ihn zum Tode, und zwar sollte er nach altem Brauch zu Tode gegeißelt werden. Alle nahmen an, Nero werde Selbstmord begehen, um einer so unmenschlichen Bestrafung zu entgehen. Bei alldem tat sich Tigellinus am eifrigsten hervor.

Nero erwachte mitten in der Nacht im Schlafgemach seines verlassenen Goldenen Hauses. An seiner Seite lag seine treue »Gattin« Sporus. Sonst waren im ganzen Hause nur noch einige wenige Sklaven und Freigelassene zu finden. Er schickte Boten zu seinen Freunden, aber keiner von den vielen sandte ihm auch nur eine Antwort. Um den Undank der Welt in vollem Maße zu erfahren, begab sich Nero zu Fuß und nur von einigen Getreuen begleitet in die Stadt und klopfte an die Türen einiger Häuser, die er einst Freunden geschenkt hatte. Die Türen blieben geschlossen, und von drinnen war kein Laut zu hören. Die Leute, die in diesen Häusern wohnten, hatten vorsichtshalber sogar den Hunden die Schnauzen zugebunden.

Als Nero ins Goldene Haus und in sein Schlafgemach zurückkehrte, sah er, daß man bereits die seidenen Bettücher und andere Kostbarkeiten gestohlen hatte. Er stieg zu Pferde und ritt davon, mit verhülltem Haupt und bloßen Füßen, nur mit dem Untergewand und einem Sklavenmantel bekleidet, und zwar ritt er zu einem Landgut, das einem seiner Freigelassenen gehörte, der Pfau hieß. Der Pfau hatte seinem eigenen Bericht zufolge Nero sein Haus als Versteck zur Verfügung gestellt. Es liegt an der Via Salaria, beim vierten Meilenstein. Du wirst Dich erinnern, daß Seneca den letzten Tag seines Lebens in seinem Haus beim vierten Meilenstein verbrachte und daß Kephas beim vierten Meilenstein der Via Appia umkehrte und nach Rom zurückging.

Nero wurde von vier Männern begleitet: Sporus, dem Pfau und – wundere Dich nicht – Epaphroditus. Den vierten ließ der Senat hinrichten, weil er auf dem Forum das Maul gar zu weit aufriß. Acte erwartete Nero in der Villa des Pfaus. Das Schauspiel war meiner Meinung nach sorgfältig vorbereitet und wurde gut ausgeführt. Nero war einer der hervorragendsten Schauspieler seiner Zeit und legte auch großen Wert auf eine gute Ausstattung, weshalb er auf der Bühne immer eine Bemerkung machte, wenn etwa eine Säule ungeschickt aufgestellt oder die Beleuchtung falsch war und irgendeine Nebenfigur hervorhob, während er selbst sang.

Während er noch auf dem Weg zur Villa des Pfaus war, bebte plötzlich die Erde, und ein Blitz schlug vor ihm in die Straße. Zugleich scheute sein Pferd vor dem Gestank einer Leiche zurück und bäumte sich. Nero hatte, wie ich schon sagte, sein Haupt verhüllt. Als aber das Pferd sich bäumte, fiel das Tuch herunter und gab sein Gesicht frei. Ein alter verabschiedeter Prätorianer erkannte ihn und grüßte ihn als Kaiser. Das trieb Nero zu noch größerer Eile an, denn er fürchtete, sein Plan könnte vorzeitig entdeckt werden. All dies haben der Pfau und Epaphroditus so berichtet. Sporus verschwand später so spurlos, daß es Otho nicht gelang, ihn zu finden, obwohl er gern seine Begabung im Bett erprobt hätte. Er warb ja sogar um Statilia, weil er sich auf Neros Erfahrung und Geschmack in diesen Dingen verließ.

Ich will nicht alles wiederholen, was diese beiden Männer über Neros Seelenqualen, Schrecken und Leiden berichteten: wie er mit der Hand Wasser aus einer Pfütze schöpfte, um zu trinken, und die Dornen aus seinem Sklavenmantel zog, nachdem er durch das Gestrüpp zur Villa gekrochen war. Sie erzählten, zur Freude des Senats und der Geschichtsschreiber, ohne zu zögern alles. Nero hatte alles so umsichtig vorbereitet, daß er sogar eine fertig geschriebene Rede hinterließ, in der er um Vergebung für die Verbrechen bat, die er aus politischen Gründen begangen hatte, und den Senat anflehte, sein Leben zu schonen und ihn zum Prokurator irgendeiner kleinen Provinz im Osten zu ernennen, da er doch dem Senat und dem Volk von Rom immerhin einige gute Dienste geleistet hätte. Auf diese Weise ließ Nero den Eindruck entstehen, als hätte er in drohender Lebensgefahr und von blindem Entsetzen ergriffen gehandelt. Darum konnten die beiden Augenzeugen aber doch keinen vernünftigen Zuhörer überzeugen. Nur die ließen sich überzeugen, die alles getan hatten, um Nero zum Selbstmord zu treiben, und daher gern glaubten, ihre Hoffnungen hätten sich erfüllt.

Nero dachte auch daran, der Nachwelt einen großartigen Ausspruch zu hinterlassen. »Welch einen Künstler verliert die Welt an mir!« rief er aus. Diese Worte unterschreibe ich gern, denn heute weiß ich, was für einen Lebenskünstler und Sänger, ja, was für einen wahren Menschenfreund Rom an Nero verlor, so schwer er auch manchmal seiner Launen und seiner Künstlereitelkeit wegen zu behandeln war. Man darf eben einem Siebzehnjährigen nicht unbegrenzte Macht in die Hände geben. Denk daran, mein Sohn, wenn Du Dich wieder einmal über das Zaudern Deines Vaters ärgerst.

Als das Grab fertig war und man die Marmorsteine darum herum aufgestapelt hatte, und als genug Holz beisammen war und man in Eimern Wasser herbeischleppte, um es über den zu Kalk gebrannten Marmor zu gießen, kam ein Eilbote aus Rom mit einem Brief an den Pfau. Darin bekam Nero zu lesen, daß Galba zum Kaiser ausgerufen worden war und daß er selbst zu Tode gegeißelt werden sollte. Dennoch sollte das Schauspiel fortgesetzt werden und Sporus Gelegenheit erhalten, an der Leiche Witwentränen zu vergießen. Da aber geschah etwas, was die Komödianten und Ränkeschmiede zur Eile antrieb.

Der treue Veteran, der Nero auf der Straße wiedererkannt hatte, beeilte sich nicht, seine Flucht zu melden, wie es jeder vernünftige Mensch getan haben würde, sondern rannte auf seinen altersschwachen Beinen geradewegs ins Lager der Prätorianer. Dort kannte man seine Narben und seinen guten Namen, und als Mitglied der Mithras-Bruderschaft genoß er sogar das Vertrauen der Zenturionen. Die Gelegenheit war denkbar günstig, denn Tigellinus hielt sich noch im Senat auf, wo geschwätzige Männer noch immer dabei waren, ihrem Zorn und ihrem vaterländischen Eifer Ausdruck zu verleihen, da sie endlich einmal reden durften, ohne unterbrochen zu werden.

Der Alte hielt eine Ansprache an seine Kameraden und bat sie, sich ihres Soldateneides und ihrer Dankesschuld gegenüber Nero sowie der Striemen von den Stockhieben des Tigellinus auf ihren Buckeln zu erinnern. Die beiden Prätorianerlegionen beschlossen so gut wie einhellig, zu Nero zu stehen. Seiner Freigebigkeit durften sie gewiß sein, während Galba dagegen als Geizhals verschrien war.

Sie beschlossen, es auf einen Kampf ankommen zu lassen, an dessen gutem Ausgang sie nicht zweifelten, denn sie waren überzeugt, daß viele Legionäre von Galba abfallen würden, wenn sie sahen, daß es Ernst wurde und daß ihnen die besten Truppen Roms gegenüberstanden. Sie sandten unverzüglich eine Reiterabteilung unter Führung eines Zenturio aus, die Nero suchen und sicher ins Prätorianerlager begleiten sollte. Die Männer verloren aber viel Zeit, weil sie Neros Versteck nicht gleich fanden und erst nach längerem vergeblichen Suchen an die abseits gelegene Villa des Pfaus dachten.

Doch Nero hatte genug von der Macht. Er schickte den Pfau hinaus, um die Reiter aufzuhalten, sobald er erfahren hatte, weshalb sie gekommen waren. Dann stieß ihm Epaphroditus, der in gewissen Spielen, an denen Nero Gefallen fand, wohlgeübt war, einen Dolch in die Kehle. Nero wählte für seinen Selbstmord einen Stich in die Kehle, um den Senat davon zu überzeugen, daß er sogar seine Stimmbänder opferte. Auf diese Weise konnte an seinem Tode kein Zweifel aufkommen. Wenn später irgendwo im Osten ein neuer großer Sänger von sich reden machte, würde niemand an Nero denken, da man wußte, daß er mit durchschnittener Kehle gestorben war.

Während nun das Blut aus der geschickt vorgetäuschten Halswunde quoll, empfing Nero unter Aufbietung seiner letzten Kräfte den Zenturio, dankte ihm mit gebrochener Stimme für seine Treue, verdrehte die Augen und gab den Geist so glaubwürdig röchelnd und zuckend auf, daß der alte erfahrene Soldat mit Tränen in den Augen seinen Zenturionenmantel über ihn deckte, damit er mit verhülltem Antlitz starb, wie es sich für einen Herrscher geziemt. Auch Julius Caesar verhüllte ja sein Haupt, um die Götter zu ehren, als ihn die Dolche der gedungenen Mörder durchbohrt hatten. Der Pfau und Epaphroditus erklärten nun dem Zenturio, daß es für ihn selbst und für alle treuen Prätorianer das klügste war, wenn er rasch ins Lager zurückkehrte und den Tod Neros meldete, damit niemand dumme Streiche machte. Darauf sollte er in die Kurie eilen und berichten, er habe in der Hoffnung auf Belohnung Nero aufgespürt, um ihn lebend zu fangen und dem Senat auszuliefern. Leider sei es aber Nero gelungen, seinem Leben noch rechtzeitig selbst ein Ende zu machen.

Der Mantel, den er über die Leiche geworfen hatte, so daß er nun voll Blut war, sei Beweis genug, sagten sie, aber selbstverständlich dürfe er Nero auch den Kopf abschneiden und in die Kurie mitnehmen, sofern er dies mit seiner Soldatenehre vereinbaren könne. Man werde ihn so oder so belohnen für die gute Nachricht, die er brachte. Nero selbst habe gewünscht, daß sein Leichnam unverstümmelt in aller Stille verbrannt werde.

Der Zenturio ließ seinen Mantel liegen, da zu erwarten war, daß der Senat augenblicklich einen Untersuchungsausschuß in die Villa des Pfaus sandte, um alle Einzelheiten über Neros Tod in Erfahrung zu bringen. Sobald die Reiter aufgebrochen waren, machten sich die treuen Verschworenen rasch ans Werk. Eine Leiche von Neros Größe und Wuchs war in diesen unruhigen Zeiten, da nach den Schlägereien vor Galbas Ankunft so mancher in den Gräben längs der Straßen liegenblieb, nicht schwer zu finden gewesen. Also rasch auf den Scheiterhaufen mit der Leiche, Feuer ans Holz gelegt und das Ganze mit Öl übergossen! Wohin, wie und in welcher Verkleidung Nero floh, weiß ich nicht zu sagen. Ich bin jedoch ziemlich gewiß, daß er in den Osten ging, vermutlich um bei den Parthern Schutz zu suchen. Die Arsakiden haben in über dreihundert Jahren so viele Geheimnisse gesammelt, daß sie es besser als wir Römer verstehen, sie zu hüten. Wir schwatzten sogar im Senat zuviel. Die Parther dagegen beherrschen die Kunst des Schweigens.

Ich gebe zu, daß sich meine Schlußfolgerungen eigentlich nur darauf stützen, daß plötzlich das Zitherspiel bei den Parthern Mode wurde. Ich weiß jedoch, daß der wirkliche Nero nicht mehr nach der Macht in Rom strebt. Alle, die dies versuchen oder tun, sind, auch wenn sie eine Dolchnarbe am Halse tragen, falsche Neros, und wir kreuzigen sie, sobald wir ihrer habhaft werden.

Als die vom Senat ausgesandten Männer eintrafen, war man schon dabei, Wasser auf die glühenden Marmorblöcke zu gießen, die zu Kalk zerfielen und die Leichenreste mit einer Kruste überzogen, die alle Einzelheiten verbarg. Nero hatte kein Gebrechen, an dem man seine Leiche hätte erkennen können. Den Zahn, den er sich in Griechenland hatte ziehen lassen, hatte man vorsichtshalber auch dem Leichnam des Unbekannten gezogen.

Die traurigen Reste wurden in einen weißen, goldbestickten Mantel gesammelt, den Nero im selben Winter beim Saturnalienfest getragen hatte. Mit Galbas Genehmigung gab man für die Bestattungsfeier einige hunderttausend Sesterze aus. So liegt nun im Mausoleum der Domitier in einem Porphyrsarkophag in einer Kalkkruste eine halbverbrannte Leiche. Wer will, kann hingehen und sich davon überzeugen, daß Nero wirklich tot ist. Statilia und Acte haben nichts dagegen, daß man sein Andenken ehrt.

Ich habe Dir von Neros Tod berichtet, damit Du bereit bist, falls irgend etwas Unerwartetes geschehen sollte. Nero war ja erst zweiunddreißig Jahre alt, als er seinen symbolischen Tod wählte, um einen Bürgerkrieg zu vermeiden, seine Verbrechen zu sühnen und ein neues Leben zu beginnen. Wo, das läßt er uns raten. Während ich dies schreibe, ist er gerade erst dreiundvierzig.

Mein Mißtrauen erwachte, als mir bewußt wurde, daß sich all dies am Vorabend des Tages zutrug, an dem einst Agrippina ermordet worden war, und daß Nero mit verhülltem Haupt und bloßen Füßen, den Göttern geweiht, aus der Stadt geflohen war. Auch das geheimnisvolle Verschwinden des Sporus ist eine Art Beweis. Nero konnte ohne ihn nicht mehr leben, denn er war dem Äußeren nach ein treues Abbild Poppaeas. Viele Senatoren, die ihren Kopf zu gebrauchen verstehen, sind hinsichtlich Neros Tod der gleichen Ansicht wie ich, aber wir sprechen selbstverständlich nie darüber.

Galba ließ den Leichnam Neros nur des Volkes wegen ordentlich bestatten, das seinen Tod aufrichtig und mit gutem Grund betrauerte. Er wollte die Welt davon überzeugen, daß Nero wirklich tot war. Daher kümmerte er sich nicht darum, daß der Senat ihn zum Staatsfeind erklärt hatte. Aus Mißtrauen dem Senat gegenüber beabsichtigte Galba, die Amtszeit der Senatoren auf zwei Jahre zu begrenzen. Das war ein wahnwitziger Einfall, denn unser Amt hat man von alters her auf Lebenszeit. Deshalb dulden wir auch die Altersschwachen unter uns, die uns manchmal die Zeit stehlen, indem sie ohne Ende von den vergangenen goldenen Zeiten reden. Das ist eine Krankheit, die uns alle einmal trifft. Wir achten daher das Alter und die Dienstjahre – im Gegensatz zu den jungen Leuten, die erst zur Einsicht kommen, wenn sie selbst die Senatorenstiefel anziehen.

Es war also nicht weiter verwunderlich, daß man Galbas Kopf bald um das Forum trug. Der Soldat, der dies tat, mußte die Daumen in seinen Mund stecken, um den Kopf richtig fassen zu können, so kahl war er. Als der Mann seine Belohnung von Otho erhalten hatte, reichte er den Kopf anderen Prätorianern, die ihn weiter um das Lager trugen, lachten und riefen: »Cupido, Galba, nütze deine Jugend!«

Er hatte den Prätorianern nicht einmal bei seiner Thronbesteigung ein passendes Geschenk gemacht, aber sie waren nicht deshalb verbittert. Galba hatte sich in einen Hünen von der germanischen Leibwache verliebt. Er hatte den Mann eine ganze Nacht bei sich behalten und auf alle erdenkliche Weise angestrengt, dann aber am Morgen entlassen, ohne ihm auch nur ein paar Sesterze für einen Schluck Wein zu geben. Statt dessen hatte er ihm gesagt, er müsse dafür dankbar sein, daß er die Freundschaft eines so jugendlichen alten Mannes hatte genießen dürfen. Das war mit ein Grund dafür, daß er gestürzt wurde. Zu des Tigellinus Zeiten hatten die Prätorianer von solchen Männern immer genug und übergenug bekommen.


Ich kehre zu Vespasian zurück. Es war eine Freude zu sehen, wie er sich verwunderte, als ihn die Legionen im Morgengrauen zum Kaiser ausriefen, wie er Einwände machte, die Hände rang und mehrere Male von dem Schild sprang, auf dem man ihn um die Mauern Jerusalems trug. Ein Schild ist allerdings eine unbequeme Sitzgelegenheit, besonders wenn die Soldaten einen, wie sie es mit Vespasian machten, vor Freude in die Luft prellen. Sie waren nämlich dank der Sesterze, die ich hatte austeilen lassen, recht betrunken. Einen Teil des Geldes bekam ich übrigens durch meinen neuen syrischen Freigelassenen wieder zurück. Es war mir gelungen, ihm das ausschließliche Recht zu verschaffen, im Lager Wein zu verkaufen, und er verdiente sehr gut daran, daß er das Schankrecht an die jüdischen Händler des Lagers weiterverkaufte.

Nachdem er den Legionen in Pannonien und Mösien den Sold geschickt und den Kohorten in Gallien wegen der Plünderungen und Gewalttaten an friedlichen Bewohnern einen sanften Verweis erteilt hatte, reiste Vespasian unverzüglich nach Ägypten. Zu diesem Zweck brauchte er die Truppen, die er Titus übergeben hatte, nicht von der Belagerung abzuziehen. Eine kleine Ehrenwache genügte ihm, denn er verließ sich auf die Treue der ägyptischen Garnisonstruppen. Der Treue Ägyptens mußte er sich hingegen persönlich versichern. Nicht, weil Ägypten die Kornkammer Roms ist, sondern weil es uns all das Papier liefert, das man für die ordentliche Verwaltung der Welt braucht, von den Steuereinnahmen ganz zu schweigen.

Die Kunst der Besteuerung hat Vespasian dann zu bisher ungeahnter Höhe entwickelt, so daß wir Wohlhabenden manchmal aus Nase und Ohren zu bluten vermeinen, wenn er uns zwackt … und aus dem Mastdarm könnte ich hinzufügen, denn deshalb bin ich hier in diesem Badeort. Die Ärzte waren wegen meines Zustandes und der Blutungen, die mich schwächten, so besorgt, daß sie mich, anstatt mir Arzneien zu geben, ermahnten, schleunigst mein Testament zu machen.

Ich wandte mich, da die Ärzte mich aufgegeben hatten, an Jesus von Nazareth. Auf der Schwelle des Todes wird ein von seinen Leiden geschwächter Mensch klein und demütig. Ein Gelübde legte ich jedoch nicht ab. Neben meinen zahllosen Verbrechen und meiner Härte wiegen meine wenigen guten Taten gewiß nicht viel, weshalb mir ein Gelübde zwecklos erschien.

Meine Ärzte trauten, ihren Augen nicht, als die Blutungen plötzlich von selbst aufhörten. Sie kamen zu dem Schluß, daß mein Leiden gar nicht lebensgefährlich gewesen war, sondern nur eine Folge meines Ärgers darüber, daß Vespasian gewisse steuertechnische Maßnahmen ablehnte, die der Erhaltung meiner Einkünfte und meines Vermögens dienlich gewesen wären.

Ich gebe zu, daß er uns nicht auspreßt, um sich selbst zu bereichern, sondern nur zum Nutzen des Staates, aber es hat alles seine Grenzen. Selbst Titus verabscheut die Kupfermünzen, die man nun in Rom für die Benutzung der öffentlichen Abtritte entrichten muß, obwohl jeden Tag ganze Körbe voll zusammenkommen. Die neuen Abtritte haben zwar fließendes Wasser und Marmorsitze und sind mit Statuen geschmückt, aber die uralte Bürgerfreiheit ist dahin. Man kann es den Armen nicht verdenken, daß sie aus reinem Trotz ihr Wasser an den Tempelmauern und vor den Türen der Reichen abschlagen.

Als wir vor Alexandria ankamen, zog Vespasian es vor, sich nicht in den Hafen rudern zu lassen, denn in den Becken trieben die stinkenden Leichen von Griechen und Juden. Er wollte den Bewohnern der Stadt Zeit geben, mit ihren Streitigkeiten fertig zu werden und sich in ihren verschiedenen Stadtteilen zu verschanzen, weil er kein unnützes Blutvergießen duldete. Alexandria ist eine viel zu große Stadt, als daß Zwistigkeiten zwischen Griechen und Juden auf eine ebenso einfache Weise hätten bereinigt werden können wie beispielsweise in Caesarea. Wir gingen außerhalb der Stadt an Land, und ich setzte zum erstenmal in meinem Leben den Fuß auf Ägyptens heilige Erde. Ich muß freilich hinzufügen, daß ich mir dabei nur meine feinen weichen Senatorenstiefel schmutzig machte.

Am nächsten Morgen erschien eine Abordnung aus der Stadt mit allem ägyptischen Prunk, Juden und Griechen in bestem Einvernehmen, und alle beklagten mit vielen Worten den Aufruhr, den einige unbedachte Heißsporne angezettelt hatten. Nun seien aber Ruhe und Ordnung wiederhergestellt, versicherten sie. In der Schar befanden sich Philosophen und Gelehrte sowie der Oberbibliothekar der Stadt mit seinen nächsten Untergebenen. Darauf legte Vespasian, der selbst ungebildet war, großen Wert.

Als er hörte, daß sich Apollonius von Tyana in der Stadt aufhielt, um die ägyptische Weisheit zu studieren und die Ägypter in der Nabelbeschau der indischen Gymnosophisten zu unterweisen, beklagte er, daß es der größte Philosoph unserer Zeit nicht der Mühe wert gefunden hatte, die anderen zu begleiten und seinen Kaiser willkommen zu heißen.

Das Verhalten des Apollonius war jedoch reine Berechnung. Er war, wie bekannt, sehr eitel und ebenso stolz auf seine Weisheit wie auf seinen bis zum Gürtel reichenden weißen Bart. Er bemühte sich nachher nach besten Kräften um die Gunst des Kaisers, hielt es jedoch für klug, Vespasian zunächst einmal zu beunruhigen und ihn vermuten zu lassen, er mißbillige vielleicht seinen Staatsstreich. In Rom hatte Apollonius sich Neros Gunst versichern wollen, aber Nero hatte ihn nicht einmal empfangen, weil er der Philosophie die Künste vorzog. Immerhin war es ihm aber gelungen, Tigellinus mit seinen übernatürlichen Kräften einzuschüchtern, so daß er die Erlaubnis erhielt, in Rom zu bleiben, obwohl Nero alle kritischen Philosophen aus der Stadt verwies.

Am nächsten Morgen, noch vor Sonnenaufgang, erschien Apollonius von Tyana unerwartet vor dem Tor des kaiserlichen Palastes in Alexandria und begehrte Einlaß. Die Wachen hielten ihn zurück und erklärten ihm, daß Vespasian längst aufgestanden war, um wichtige Briefe zu diktieren. Da sagte Apollonius fromm: »Dieser Mann wird ein wahrer Herrscher sein.« Er hoffte, daß man seine Prophezeiung Vespasian hinterbrachte, was selbstverständlich auch geschah.

Als es heller Tag war, zeigte er sich erneut vor dem Tor. Diesmal wurde er unverzüglich unter allen Ehrenbezeigungen, die man für den gelehrtesten Mann der Welt fand, vor Vespasian geführt. Viele betrachten ja Apollonius noch immer als den Göttern ebenbürtig.

Ich hatte den Eindruck, daß Apollonius sich über das graue Legionärsbrot und den sauren Wein wunderte, die Vespasian ihm anbot, da er sonst bessere Bewirtung gewohnt war und die Kochkunst nicht verachtete, obwohl er bisweilen fastete, um seinen Körper zu reinigen. Er spielte jedoch die Rolle weiter, die er einmal gewählt hatte, und pries Vespasian um seiner einfachen Gewohnheit willen, die, wie er versicherte, für sich allein schon bewiesen, daß er zu Recht und zum Vorteil des Staates über Nero gesiegt habe.

Vespasian antwortete kurz: »Ich hätte mich nie gegen den rechtmäßigen Herrscher erhoben.«

Apollonius, der geglaubt hatte, er könne Eindruck machen, indem er mit seinem Anteil an dem Aufstand des Vindex in Gallien prahlte, schwieg enttäuscht und bat dann, einige seiner berühmten Begleiter hereinrufen zu dürfen, die noch vor dem Tor warteten. Auch Vespasians Gefolge nahm ja an dem Morgenmahl teil. Vespasian war ein wenig ungeduldig, denn wir hatten die halbe Nacht gewacht und die dringendsten Erlässe und Verordnungen diktiert. Er beherrschte sich jedoch und sagte: »Weisen Männern steht meine Tür allzeit offen. Dir aber, unvergleichlicher Apollonius, öffne ich sogar mein Herz.«

Danach hielt Apollonius in Gegenwart seiner beiden Schüler einen eindrucksvollen Vortrag über die Demokratie und wies nach, wie notwendig es sei, eine wahre Herrschaft des Volkes anstelle der Alleinherrschaft wiedereinzuführen, die sich als so verderblich erwiesen hatte. Ich wurde unruhig, aber Vespasian kümmerte sich nicht um meine Ellbogenstöße und mein Zwinkern. Er hörte Apollonius geduldig bis zum Ende an und sagte dann: »Ich fürchte sehr, daß die Alleinherrschaft, die der Senat nach bestem Vermögen einzuschränken suchte, das Volk von Rom verdorben hat. Es ist daher vorerst kaum möglich; die Neuerungen einzuführen, die du vorschlägst. Das Volk muß erst reif werden, die Verantwortung zu tragen, die die Freiheit mit sich bringt. Sonst gibt es nur Uneinigkeit und Streit, und wir haben ständig den Bürgerkrieg vor der Tür.«

Apollonius antwortete so rasch, daß ich seine Geschmeidigkeit nur bewundern konnte: »Was kümmert mich letzten Endes der Aufbau des Staates! Ich lebe nur den Göttern. Aber ich möchte nicht, daß die große Mehrheit aller Menschen ins Verderben stürzt, weil es ihr an einem guten Hirten mangelt. Wenn ich es recht bedenke, ist die beste Form der Demokratie eine aufgeklärte Tyrannei, sorgsam überwacht von einem Senat, der sich von Tugend und Rechtschaffenheit leiten läßt und nur das Gemeinwohl im Auge hat.«

Danach begann er weitschweifig zu erklären, daß er sich die alte Weisheit Ägyptens zu eigen machen, die Pyramiden untersuchen und womöglich aus den Quellen des Nils trinken wolle. Leider fehle es ihm aber an dem nötigen Geld, um ein Flußboot samt Ruderern zu mieten. Vespasian ergriff rasch die Gelegenheit, zeigte auf mich und sagte: »Ich besitze nicht mehr, als was dem dringendsten Bedarf des Staates dient, das weißt du in deiner Weisheit gewiß selbst, lieber Apollonius. Aber mein Freund Minutus Manilianus ist als Senator ein ebenso eifriger Freund der Demokratie wie du. Er ist vermögend und schenkt dir sicherlich ein Schiff samt Ruderern, wenn du ihn darum bittest. Auch gibt er dir, was du sonst für deine Reise zu den Quellen des Nils benötigst. Vor Gefahren brauchst du dich nicht zu fürchten. Es befindet sich nämlich eine Expedition von Gelehrten, die Nero vor einigen Jahren ausschickte, auf dem Wege dorthin, und sie wird von Prätorianern begleitet. Schließe dich nur ihr an.«

Erfreut über dieses Versprechen, das Vespasian nicht eine schäbige Kupfermünze kostete, versank Apollonius in Verzückung und rief: »O kapitolinischer Jupiter, du Heiliger aller Staatswirren, erhalte diesen Mann zu deinem eigenen Besten. Er wird deinen Tempel, den gottlose Hände soeben im Flammenschein zerstörten, wiederaufbauen!«

Wir entsetzten uns über dieses Gesicht und diese Prophezeiung. Doch ich hielt seine Worte, offen gesagt, für Verstellung. Erst einige Wochen später erfuhren wir, wie Vitellius abgesetzt worden war und wie Flavius Sabinus und Domitian zuvor gezwungen worden waren, sich im Kapitol zu verschanzen.

Domitian floh feige während der Belagerung, nachdem er sich das Haar geschoren und sich als Isispriester verkleidet hatte. Er schloß sich einer Schar fremder Opferpriester an, als die Soldaten des Vitellius, nachdem sie den Tempel angezündet und seine Mauern mit Belagerungsmaschinen niedergebrochen hatten, die eingeschlossenen Priester hinausschleppten, um sie niederzumetzeln. Mein ehemaliger Schwiegervater Flavius Sabinus starb, so alt er war, tapfer mit dem Schwert in der Hand.

Domitian floh auf die andere Seite des Tibers hinüber und versteckte sich bei der jüdischen Mutter eines seiner früheren Schulkameraden. In die Palatiumschule gehen auch immer Angehörige der jüdischen Fürstengeschlechter. Einer von ihnen war sogar der Sohn des Königs von Chalkis, dessen Schicksal seinerzeit meinen Sohn Jucundus dazu trieb, sich der kindischen Verschwörung anzuschließen, die Rom zerstören und die Hauptstadt des Reiches in den Osten verlegen wollte. Ja, ich will nun auch davon sprechen, obwohl ich es eigentlich für mich zu behalten gedachte.

Tigellinus machte den Prinzen von Chalkis betrunken und mißbrauchte ihn für seine Gelüste. Darauf beging der Knabe in Gegenwart seiner Mitschüler Selbstmord, da seine religiösen Vorurteile ihm den Verkehr mit Männern verboten. Er hätte hernach nie nach seinem Vater erben und König von Chalkis werden können. Aus Rache dafür zündeten die Knaben die Gärten des Tigellinus an, so daß der große Brand von neuem ausbrach, als er schon im Verlöschen zu sein schien. Jucundus war mit dabei. Er starb also nicht ganz ohne Schuld. Ich muß allerdings hinzufügen, daß den neu auflodernden Flammen das Viertel Suburra zum Opfer fiel, das seit eh und je ein Schandfleck für Rom gewesen war.

Domitian sagte sich in seiner feigen Listigkeit, daß ihn niemand ausgerechnet im jüdischen Stadtteil suchen würde, denn die Juden haßten Vespasian und sein ganzes Geschlecht wegen der Belagerung Jerusalems und der ungeheuren Verluste, die die Aufständischen erlitten hatten, als sie in ihrem Übermut zuerst in offener Feldschlacht zu kämpfen wagten und von Vespasian in die Zange genommen und aufgerieben wurden.

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