Mein Urteil ist nicht im geringsten dadurch beeinflußt, daß er es nicht einmal für nötig hielt, meinen Namen in seinem Buch zu erwähnen, obwohl es nur mein Verdienst war, daß die Belagerung fortgesetzt wurde, nachdem ich mit eigenen Augen die Verhältnisse innerhalb der Mauern studiert hatte. Es wäre ja Wahnsinn gewesen, wenn Vespasian seine gut ausgebildeten Legionen mit vergeblichen Angriffen, auf die unerwartet starken Mauern aufgerieben hätte, da eine Belagerung und Aushungerung letzten Endes zu dem gleichen Ergebnis führten. Unnötige Verluste hätten die Legionäre nur gegen ihn aufgebracht, was für meine Zwecke nicht das Rechte gewesen wäre.

Ich habe jedoch nie nach Ruhm gestrebt, und es liegt mir nichts daran, in die Geschichte einzugehen. Deshalb macht es mir nichts aus, daß dieser verachtungswürdige Jude meine Leistungen verschwiegen hat. Ich hege niemals Groll gegen minderwertige Menschen und pflege mich nicht für Verunglimpfungen zu rächen, sofern mich nicht eine außergewöhnlich günstige Gelegenheit geradezu dazu herausfordert. Schließlich bin ich auch nur ein Mensch.

Durch Vermittlung eines meiner Freigelassenen machte ich mich sogar erbötig, die Bücher des Flavius Josephus zu verlegen, und zwar sowohl das Werk über den jüdischen Krieg als auch seine Schilderungen der Geschichte und der Sitten der Juden, so viele Unrichtigkeiten sie auch enthalten, aber Josephus ließ mir hochmütig antworten, er ziehe trotz der vorteilhaften Bedingungen, die ich ihm bot, einen jüdischen Verleger vor. Vom »Jüdischen Krieg« brachte ich dann später heimlich eine gekürzte Fassung heraus, da das Buch unerwartet gut ging. Mein Freigelassener hatte ja seine Familie und seine alte Mutter zu versorgen, weshalb ich seinen Vorschlag nicht zurückwies. Und wenn ich es nicht getan hätte, würde es eben ein anderer getan haben.

Ich erwähne diesen Josephus eigentlich nur, weil er in seiner Unterwürfigkeit zu Vespasian hielt und sich meinem Plan widersetzte. Er lachte höhnisch und behauptete, ich wüßte vermutlich nicht, in was für ein Wespennest ich meinen Kopf steckte. Wenn es mir wirklich gelänge, die Stadt zu betreten, so käme ich lebend nimmermehr heraus. Nach vielen Einwänden und Ausflüchten gab er mir aber doch einen Plan der Stadt, den ich genau auswendig lernte, während ich mir den Bart wachsen ließ.

An und für sich war ein Bart keine sichere Maskierung, da auch viele Legionäre sich nach dem Vorbild ihrer Gegner Barte wachsen ließen und Vespasian sie nicht dafür bestrafte. Er erlaubte den Legionären sogar, sich von der Prügelstrafe freizukaufen, und das war mit ein Grund für seine Beliebtheit. Außerdem konnte er gerade in diesem Punkt nicht auf strenge Einhaltung der römischen Dienstvorschriften pochen, denn sein eigener Sohn Titus hatte sich, um der schönen Berenike zu gefallen, einen seidenweichen Bart wachsen lassen. Mit der Begründung, daß ich die sicherste Stelle und einen toten Winkel suchen mußte, in dem ich die Stadt erreichen konnte, unternahm ich lange Streifzüge durch die Umgebung Jerusalems und hielt mich immer gerade noch innerhalb der Schußweite der feindlichen Bogen und Wurfmaschinen, obwohl ich natürlich Deinetwegen mein Leben nicht leichtsinnig aufs Spiel setzte. Ich trug einen dicken Harnisch und einen Helm, und diese Rüstung machte mich, da ich einiges Fett angesetzt hatte, keuchen und schwitzen. Ich magerte jedoch in diesen Tagen ab, so daß die Riemen zuletzt nicht mehr spannten. Das war nur gut für meine Gesundheit.

Auf meinen Wanderungen fand ich auch die jüdische Richtstätte, auf der man Jesus von Nazareth gekreuzigt hatte. Der Hügel hat wirklich, so wie man es mir berichtet hatte, die Form eines Totenschädels, und danach hat er auch seinen Namen. Ich suchte nach dem Felsengrab, aus dem Jesus von Nazareth am dritten Tag von den Toten auferstanden ist. Die Suche fiel mir nicht schwer, denn die Belagerer hatten die Bäume umgehauen und die Büsche ausgerissen, damit sich kein Späher aus der Stadt schleichen konnte, aber ich fand viele Felsengräber und wußte nicht, welches das rechte war. Die Schilderungen meines Vaters waren, was die Einzelheiten anbelangt, ziemlich unbestimmt gewesen.

Wenn ich mich so mit klirrender Rüstung und keuchendem Atem dahinschleppte, lachten mich die Legionäre aus und versicherten mir, ich würde nicht einen einzigen toten Winkel finden, in dem ich die Mauern Jerusalems erreichen könnte. Die Parther hätten die Befestigungen viel zu geschickt angelegt. Im übrigen verspürten die Legionäre keine Lust, mich mit einem Schilddach zu schützen, denn diese sogenannten Schildkröten wurden von den Mauern herab mit geschmolzenem Blei begossen. Sie fragten mich spöttisch, warum ich nicht den Roßschweif auf dem Helm trüge und sie durch den Anblick meines breiten roten Streifens auf dem Mantelsaum erfreute. So wahnsinnig war ich denn doch nicht, und ich hatte alle Achtung vor den parthischen Bogenschützen. Ich ließ sogar meine roten Stiefel in meinem Zelt, um nicht mit meinem Rang zu prahlen.

Solange ich lebe, werde ich den Anblick des Tempels nicht vergessen, der sich auf seinem Hügel strahlend über die Mauern der Stadt erhob, blau in der Morgendämmerung, blutrot bei Sonnenuntergang, wenn es im Tal schon dunkel geworden war. Der Tempel des Herodes war wirklich eines der Wunder der Welt. Nach jahrzehntelanger Arbeit wurde er endlich kurz vor seiner Zerstörung fertig. Kein Menschenauge wird ihn mehr erblicken. Doch die Juden sind selbst schuld daran, daß er verschwinden mußte. Ich mochte nicht dabeisein, als er zerstört wurde. Er war zu herrlich gewesen.

Daß ich mich in dieser Zeit viel mit Glaubensdingen beschäftigte, kam wohl daher, daß ich mich um Deiner Zukunft willen ständig großer Gefahr aussetzte und deshalb auf eine Weise weich und rührselig gestimmt war, die einem Manne meines Alters übel anstand. Als ich an Jesus von Nazareth und die Christen dachte, beschloß ich für mich selbst, ihnen nach bestem Vermögen zu helfen, sich von dem jüdischen Ballast zu befreien, den sie trotz all dem Glaubenseifer des Paulus und den vielen Änderungen, die Kephas eingeführt hatte, noch immer wie Ketten mit sich schleppten.

Nicht, daß ich den Christen ernstlich eine politische Zukunft gegeben hätte! Nein, dazu sind sie zu uneins und zu bitter miteinander verfeindet. Aber ich hege um meines Vaters willen eine gewisse Schwäche für Jesus von Nazareth und seine Lehre. Als mich mein Magenleiden am schlimmsten peinigte, ein Jahr ist es jetzt etwa her, da wäre ich sogar bereit gewesen, ihn als Gottes Sohn und Erlöser der Menschheit anzuerkennen, wenn er sich meiner erbarmt hätte.

An den Abenden trank ich fleißig aus dem Holzbecher meiner Mutter, denn ich brauchte Glück bei meinem gefährlichen Unternehmen. Vespasian hatte immer noch den zerbeulten Silberbecher seiner Großmutter. Er erinnerte sich noch gut an meinen einfachen Holzbecher, aus dem er damals in Britannien getrunken hatte, und gestand mir, er habe schon in jener Stunde eine väterliche Neigung zu mir gefaßt, weil ich das Andenken meiner Mutter ehrte und nicht Silberteller und Goldbecher mit ins Feld nahm, wie es so viele junge Ritter taten. Derlei Schätze führen den Feind nur in Versuchung, sagte er, und fallen zuletzt den Plünderern in die Hände. Zum Zeichen unserer Freundschaft tranken wir abwechselnd ein jeder aus dem heiligen Becher des andern, denn ich hatte guten Grund, Vespasian einen Schluck aus Fortunas Becher nehmen zu lassen. Er brauchte Glück, soviel ein Mensch nur haben kann.

Ich überlegte, ob ich es wagen sollte, jüdische Kleider anzuziehen, wenn ich in die Stadt floh, aber ich fand dann doch, das wäre ein wenig übertrieben gewesen. Man hatte allerdings zur Warnung schon viele jüdische Handelsleute im Lager gekreuzigt, die im Schutz der Dunkelheit zu den Mauern zu schleichen versucht hatten, um unsere Pläne und neuen Belagerungsmaschinen zu verraten.

Als ich endlich an der Stelle, die ich mir ausgesucht hatte, am hellichten Tage auf die Mauern zurannte, trug ich Helm, Brustharnisch, Kettenhemd und Beinschienen. Ich hoffte, daß die Rüstung mich auch gegen die Hiebe schützen werde, die ich gewiß zunächst einmal abbekam, wenn es mir gelang, die Stadt zu betreten. Unsere Wachtposten hatten Befehl erhalten, mir mit Pfeilen nachzuschießen und die Juden durch großen Lärm auf meinen Versuch aufmerksam zu machen.

Sie führten ihren Befehl so eifrig aus, daß ich einen Pfeil in die eine Ferse bekam und seitdem gar auf beiden Beinen hinke. Ich beschloß, mir diesen übereifrigen Bogenschützen vorzunehmen, wenn ich lebendig zurückkam, und dafür zu sorgen, daß er für seinen Verstoß gegen einen klaren Befehl so streng wie möglich bestraft wurde. Er hatte den Befehl gehabt, an mir vorbeizuschießen – wenn auch so knapp wie möglich. Als ich dann aber glücklich zurückgekehrt war, war ich so zufrieden, daß ich mir nicht die Mühe machen mochte, nach dem ungeschickten Schützen zu suchen. Meine Verwundung trug übrigens nur dazu bei, daß die Juden mir meine Geschichte glaubten. Außerdem rechnete man sie mir später, als mein innigster Wunsch in Erfüllung ging, als Verdienst an.

Nachdem sie mich eine Weile geschmäht hatten, wehrten die Juden mit Pfeilen und Wurfsteinen einen Trupp Legionäre ab, der mir nachgestürzt war und mich gefangenzunehmen versuchte. Zu meinem Kummer kamen bei diesem Auftrag zwei ehrliche Legionäre ums Leben, für deren Familien ich später sorgte. Sie gehörten der fünfzehnten Legion an, die aus Pannonien gekommen war, und durften nie den geliebten schlammigen Strand der Donau wiedersehen, sondern mußten meinetwegen ihr Leben im Lande der Juden lassen, das sie wohl schon tausendmal verflucht hatten.

Auf meine eifrigen Bitten hin ließen die Juden endlich einen Korb an der Mauer herunter und zogen mich hinauf. Als ich in dem schaukelnden Korb saß, war meine Angst am größten, so daß ich mir, vor Furcht ganz wirr, den Pfeil aus der Ferse riß, ohne daß es schmerzte. Die Widerhaken blieben stecken, und die Wunde begann zu eitern, weshalb ich mich nach meiner Rückkehr ins Lager dem Feldscher ausliefern mußte. Da schrie ich dann freilich aus vollem Hals vor Schmerzen. Ich hatte ja schon einmal mit einem Feldscher schlimme Erfahrungen gemacht, und das hätte mir eine Warnung sein müssen.

Dennoch war diese Wunde meine einzige Hoffnung. Nachdem sie ihrem Zorn über meine römische Kleidung Luft gemacht hatten, gaben die Juden mir endlich Gelegenheit, zu erklären, daß ich beschnitten war und zum jüdischen Glauben übergetreten sei. Sie untersuchten die Sache sogleich und behandelten mich danach ein wenig besser. Ich erinnere mich aber nur ungern an das peinliche Verhör, das der jüdisch gekleidete parthische Zenturio mit mir anstellte, bevor er mich den richtigen Juden überließ.

Ich will in diesem Zusammenhang nur erwähnen, daß ausgerissene Daumennägel ziemlich rasch wieder nachwachsen. Meine Daumennägel wurden mir allerdings später nicht als Verdienst angerechnet. In diesen Dingen sind die Kriegsgesetze sehr unzulänglich. Ich hatte von meinen Daumen viel mehr Beschwer als von meinen Streifzügen in Reichweite der Wurfmaschinen. So etwas wird einem aber angerechnet!

Dem Hohen Rat der Aufständischen konnte ich einen Brief und eine geheime Verhandlungsvollmacht von der Julius-Caesar-Synagoge vorweisen. Ich hatte diese wertvollen Schriftstücke in meinen Kleidern versteckt und nicht einmal Vespasian gezeigt, da man sie mir gegeben hatte, weil man mir voll und ganz vertraute. Die Parther konnten sie nicht lesen, denn sie waren in der heiligen Sprache der Juden geschrieben und mit dem Davidstern gesiegelt.

Der Rat der Synagoge, der immer noch der einflußreichste in ganz Rom ist, berichtete in dem Brief von den großen Verdiensten, die ich mir um die Juden Roms nach dem Aufstand in Jerusalem erworben hatte. Sie hatten sogar die Hinrichtung des Paulus und des Kephas als eines meiner Verdienste aufgezählt, da sie wußten, daß die Juden Jerusalems diese beiden Männer ebensosehr haßten wie sie. Im Hohen Rat war man neugierig auf genaue Berichte über die Geschehnisse in Rom, denn man hatte seit mehreren Monaten nur durch ägyptische Tauben spärliche Nachrichten erhalten. Titus versuchte diese Tauben durch seine gezähmten Habichte abzufangen, und anderen drehten die hungernden Bewohner Jerusalems den Kragen um, bevor sie mit ihrer Botschaft den Taubenschlag im Vorhof des Tempels erreichten.

Ich verriet nicht, daß ich Senator war, sondern gab mich für einen einflußreichen Ritter aus, denn ich wollte die Juden nicht allzusehr in Versuchung führen. Meine Vollmacht war entsprechend abgefaßt. Ich versicherte, daß ich als Neubekehrter – und als solchen wies mich meine Narbe aus – alles für Jerusalem und den heiligen Tempel tun wollte. Deshalb hatte ich mich den Truppen Vespasians als Kriegstribun angeschlossen und ihn glauben lassen, ich könnte ihm als Kundschafter wertvolle Nachrichten aus Jerusalem verschaffen. Ich gestand, daß der Pfeilschuß in die Ferse ein Versehen war und daß auch der Versuch, mich wieder einzufangen, nur dazu dienen sollte, die Juden hinters Licht zu führen.

Meine Aufrichtigkeit machte so tiefen Eindruck auf den Rat der Juden, daß man mir so weit vertraute, wie es im Kriege statthaft ist, jemandem zu vertrauen. Ich durfte mich ziemlich frei in der Stadt bewegen, immer in Begleitung einiger bärtiger Leibwächter mit brennenden Augen, die ich mehr fürchtete als die hungrigen Bewohner der Stadt. Auch den Tempel durfte ich betreten, da ich beschnitten war. Auf diese Weise bin ich einer der letzten, die den Tempel zu Jerusalem in seiner unglaublichen Pracht von innen gesehen haben.

Mit eigenen Augen konnte ich mich davon überzeugen, daß der siebenarmige goldene Leuchter, die goldenen Gefäße und das goldene Schaubrot – sie allein schon ein ungeheures Vermögen – sich noch an ihrem Platz befanden. Niemand schien daran zu denken, sie zu verstecken, so sehr verließen sich diese wahnsinnigen Eiferer auf die Heiligkeit des Tempels und ihren allmächtigen Gott. Und so unglaublich es auch für einen vernünftigen Menschen klingen mag: man hatte nicht mehr als einen unbedeutenden Bruchteil des ungeheuren Tempelschatzes für die Anschaffung von Waffen und den Ausbau der Befestigungen zu nehmen gewagt. Lieber plagten sich die Juden zu Tode und arbeiteten ohne Lohn, als daß sie den Tempelschatz anrührten. Der lag im Innern des Berges hinter Panzertüren verborgen. Der ganze Tempelberg gleicht einer Honigwabe mit seinen zahllosen Pilgerherbergen und Geheimgängen. Aber kein Mensch kann etwas so geschickt verbergen, daß es ein anderer Mensch nicht finden könnte, wenn er sich ernstlich Mühe gibt, vorausgesetzt, daß mehr als einer von dem Versteck weiß und auch der Ort ungefähr bekannt ist.

Davon konnte ich mich später selbst überzeugen, als ich nach dem Geheimarchiv des Tigellinus forschte. Ich hielt es für unerläßlich, daß es vernichtet wurde, denn es enthielt zuviel merkwürdige Einzelheiten über die politischen Absichten und Lebensgewohnheiten von zahlreichen Angehörigen unserer ältesten Familien. Das waren recht einfältige Männer gewesen, die das Volk dazu aufwiegelten, zu fordern, daß Tigellinus den Raubtieren vorgeworfen werde. Er war als Toter unvergleichlich gefährlicher denn als Lebender, falls sein Archiv in die Hände eines gewissenlosen Menschen geriet.

Den Schatz des Tigellinus überließ ich selbstverständlich Vespasian. Ich selbst behielt mir nur einige Andenken, und von den geheimen Dokumenten sagte ich nichts. Vespasian fragte auch nicht danach, denn er ist klüger und listiger, als man nach seinem groben Äußeren meinen möchte. Ich gab den Schatz schweren Herzens her, denn er enthielt auch die zwei Millionen Sesterze in vollgewichtigen Goldmünzen, die ich Tigellinus schenkte, als ich Rom verließ. Er war der einzige, der meine ehrlichen Absichten hätte bezweifeln und mich an der Reise hindern können.

Ich erinnere mich noch, wie er mich mißtrauisch fragte: »Warum schenkst du mir ungebeten eine solche Summe?«

»Um unsere Freundschaft zu bekräftigen«, erwiderte ich ehrlich. »Aber auch, weil ich weiß, daß du dieses Geld auf die rechte Art gebrauchen wirst, wenn einmal böse Zeiten kommen, wovor uns alle Götter Roms schützen mögen.«

Das Geld war noch da, denn er war ein Geizkragen gewesen. Im übrigen aber verhielt er sich sehr vernünftig, als die Stunde gekommen war. Er bewog die Prätorianer, Nero im Stich zu lassen, als er merkte, daß seine eigene Haut in Gefahr war. Und dann gab es eigentlich keinen, der ihm Böses wollte. Galba behandelte ihn gut. Erst Otho ließ ihn ermorden, weil er sich unsicher und der Gunst des Volkes allzu ungewiß fühlte. Ich habe seinen unnötigen Tod immer beklagt. Nach seinen schweren Jugenderlebnissen hätte er bessere Tage verdient. Während Neros letzter Jahre mußte er ständig unter schweren Gewissensqualen leben, so daß er des Nachts nicht mehr schlafen konnte und noch härter wurde, als er schon gewesen war.

Doch warum denke ich an ihn? Mein wichtigster Auftrag im belagerten Jerusalem war ausgeführt, sobald ich mich vergewissert hatte, daß der Tempelschatz wohlbehalten und zu finden war. Ich wußte, daß dank unserer Wachsamkeit nicht einmal eine Ratte mit einer Goldmünze in der Schnauze aus Jerusalem hätte fliehen können.

Du verstehst gewiß, daß ich um Deiner Zukunft willen nicht ohne handgreifliche Sicherheiten Vespasian den Inhalt meiner zwanzig eisernen Truhen als Darlehen anbieten konnte, um ihm zum Kaiserthrone zu verhelfen. Ich zweifelte zwar nicht an seiner Ehrlichkeit, aber Roms Finanzen sind verworren, und ein Bürgerkrieg steht vor der Tür. Ich mußte mich daher absichern. Nur darum wagte ich mein Leben und begab mich nach Jerusalem.

Selbstverständlich kümmerte ich mich auch um das andere, nämlich die Verteidigungsbereitschaft der Stadt, ihre Mauern, Wurfmaschinen, Lebensmittel- und Wasservorräte und so fort, da es auch mir zum Vorteil gereichte, wenn Vespasian darüber genaue Auskünfte erhielt. Wasser hatte die Stadt genug in unterirdischen Zisternen. Vespasian hatte gleich zu Beginn der Belagerung das Aquädukt niederreißen lassen, das vor vierzig Jahren unter dem Prokurator Pontius Pilatus erbaut worden war. Die Juden hatten sich damals dieser Wasserleitung widersetzt, weil sie nicht von einer Versorgung von außen her abhängen wollten. Allein das beweist, wie lange der Aufruhr schon vorbereitet worden war. Man hatte nur auf eine günstige Gelegenheit gewartet.

Lebensmittelvorräte hatte die Stadt jedoch keine. Ich sah zu Schatten abgemagerte Mütter, die sich vergeblich mühten, einen letzten Tropfen Milch aus ihren Brüsten zu pressen, und Kinder, die nur noch Haut und Knochen waren. Auch die Alten taten mir leid, denn sie erhielten keine Lebensmittelzuteilung. Die Aufständischen, die mit der Waffe in der Hand kämpften und die Mauern verstärkten, brauchten alle Nahrung für sich.

Auf dem Fleischmarkt sah ich, daß Tauben und Ratten Kostbarkeiten waren, deren Gewicht mit Silber aufgewogen wurde. Im Tempelbezirk gab es ganze Herden von Mutterschafen, von denen täglich welche dem blutdürstigen Jahve geopfert wurden, aber das ausgehungerte Volk von Jerusalem rührte sie nicht an. Man brauchte sie kaum zu bewachen, weil sie heilige Tiere waren. Die Priester und die Angehörigen des Hohen Rates waren übrigens noch recht wohlgenährt.

Die Leiden des jüdischen Volkes bedrückten mich, da in der Waagschale des unerklärlichen Gottes die Tränen der Juden vermutlich wohl ebensoviel wiegen wie die eines Römers, und mehr als die Tränen eines Erwachsenen wiegen eines Kindes Tränen; gleich, welche Sprache es spricht oder was für eine Farbe seine Haut hat. Dennoch mußte die Belagerung fortgesetzt werden. Die Juden waren durch ihre Unbeugsamkeit selbst an ihrem Schicksal schuld.

Jeder Jude, der – selbst während der Unterhandlungen mit den Römern – von Übergabe redete, wurde augenblicklich hingerichtet und landete, wenn ich einmal meine eigene, persönliche Meinung anführen darf, auf dem Fleischmarkt. Um Mitleid zu erregen, spricht der lügnerische Josephus von der einen oder anderen Mutter, die ihr Kind aufaß, aber in Wirklichkeit verhält es sich so, daß diese Dinge in Jerusalem so häufig vorkamen, daß sogar er sie erwähnen mußte, um sich wenigstens den Anstrich von Wahrhaftigkeit und Zuverlässigkeit zu geben.

Ich bot diesem Josephus dann übrigens ein Honorar für die Auflage seines Jüdischen Krieges an, die unser Verlag verkaufte, obwohl ich das gar nicht nötig hatte. In seinem Hochmut lehnte Josephus das Geld ab und beklagte sich nur nach der Weise aller Schriftsteller über die Kürzungen, die ich hatte vornehmen lassen, um das Buch besser verkaufen zu können. Er wollte sich nicht davon überzeugen lassen, daß diese Kürzungen sein unerträglich langatmiges Buch nur verbesserten. So eitel sind Schriftsteller.

Sobald wir uns einig geworden waren, was für irreführende Auskünfte über die Verteidigung der Stadt ich Vespasian überbringen sollte und wie die Julius-Caesar-Synagoge in Rom ohne eigene Gefahr den Aufstand der Juden politisch unterstützen konnte, ließ mich der Hohe Rat aus der Stadt. Mit einer Binde vor den Augen wurde ich durch einen unterirdischen Gang geführt und in einen Steinbruch hinausgestoßen, in dem lauter verwesende Leichen umherlagen. Ich schlug mir auf meinem Gang durch den Steinbruch die Knie und die Ellenbogen auf und griff einmal, als ich stürzte, mit der Hand in eine aufgedunsene Leiche, denn die Juden hatten mir verboten, vor Ablauf einer gewissen Frist die Binde abzunehmen. Für den Fall, daß ich nicht gehorchte, drohten sie mir, mich mit Pfeilen zu durchbohren.

Während meines blinden Umhertastens gelang es den Juden, die Mündung des Geheimgangs so geschickt zu tarnen, daß wir später alle Mühe hatten, sie zu finden. Wir fanden sie zuletzt aber doch, denn ich mußte dafür sorgen, daß alle Schlupflöcher zugestopft wurden, und ließ nicht locker. Die Art, wie ich die Stadt verlassen hatte, brachte uns auf den Gedanken, an den unwahrscheinlichsten Orten nach geheimen Ausgängen zu suchen. Gleichwohl fanden wir im Laufe eines ganzen Jahres nur drei. Mir schlug nach meiner Rückkehr aus Jerusalem oft das Herz bis zum Halse, weil ich fürchtete, daß Deine Zukunft in Frage gestellt sei. Meine Sorge war jedoch unbegründet. Der Schatz war noch vorhanden, als Titus endlich die Stadt einnahm, und Vespasian konnte seine Schulden bezahlen.

Immerhin aber hatte ich mich ein ganzes Jahr lang im Osten aufhalten und Vespasian auf Schritt und Tritt folgen müssen, bis die Zeit endlich reif war.

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