Als Sabina sah, wie wir uns umschlungen hielten, kam auch sie wieder zur Vernunft. Wir ließen das Beste auftragen, was das Haus zu bieten hatte, tranken Wein miteinander und riefen auch Lausus zu uns, damit Epaphroditus ihn auf den Schoß nehmen und mit ihm plaudern konnte. Ab und zu lief mir ein kalter Schauder über den Rücken, wenn ich bedachte, was beinahe durch meine Dummheit geschehen wäre, aber nach und nach beruhigte mich der gute Wein.

Als wir eine Weile getrunken hatten, wurde mir recht traurig zumute. Ich erinnerte mich vergangener Zeiten und fragte Sabina: »Wie konnte es dahin mit uns kommen, da wir doch anfangs glücklich waren? Zumindest war ich blind verliebt in dich.«

Der Wein hatte auch Sabina weich gestimmt. »Du hast mich nie wirklich verstanden, Minutus«, sagte sie. »Ich mache es dir nicht zum Vorwurf, und ich bereue meine bösen Worte, damals, als ich deine Manneskraft anzweifelte. Wenn du mir wenigstens einmal ein blaues Auge geschlagen hättest wie bei unserer ersten Begegnung, oder wenn du mich ab und zu verprügelt hättest! Glaub mir, dann wäre alles anders gekommen. Erinnerst du dich noch, wie ich dich in der Hochzeitsnacht bat, mich zu vergewaltigen? Aber du bist nicht so ein herrlicher Mannskerl, der mit einem macht, was er will, soviel man auch zappelt und strampelt und schreit.«

Ich sagte verblüfft: »Bisher habe ich immer geglaubt, eine Frau verlange von der Liebe vor allem Zärtlichkeit und Geborgenheit.«

Sabina schüttelte mitleidig den Kopf und antwortete: »Das beweist nur, wie wenig du von den Frauen verstehst.«

Nachdem wir uns über die nötigen finanziellen Maßnahmen einig geworden waren, und ich Epaphroditus zu wiederholten Malen als einen Ehrenmann und den größten Künstler in seinem Fach gepriesen hatte, ging ich, gestärkt vom Wein, zu Flavius Sabinus, um ihn davon zu unterrichten, daß wir uns scheiden lassen wollten. Ich hatte, offen gestanden, beinahe mehr Angst vor seinem Zorn als vor Sabina. Zu meiner Verwunderung zeigte er sich jedoch sehr verständnisvoll.

»Ich habe längst bemerkt, daß es mit eurer Ehe nicht zum besten steht«, sagte er und vermied es, mir in die Augen zu sehen. »Ich hoffe aber von Herzen, daß die Scheidung an unserer Freundschaft und an der Achtung, die wir beide füreinander hegen, nichts ändern wird. Ich würde in eine üble Klemme geraten, wenn du mir beispielsweise die Anleihe kündigtest, die du mir zugesagt hast. Wir Flavier sind leider nicht so vermögend, wie es zu wünschen wäre. Mein Bruder Vespasian soll zur Zeit vom Maultierhandel leben. Als Prokonsul in Afrika ist er nur ärmer geworden, als er ohnehin schon war. Es heißt, die Leute hätten ihn mit Kohlrüben beworfen. Er wird, fürchte ich, den Senat verlassen müssen, wenn der Zensor merkt, daß er die finanziellen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt.«

Nero war unerwartet nach Neapolis gereist, nachdem er es sich in den Kopf gesetzt hatte, daß dort sein erstes großes öffentliches Auftreten als Sänger stattfinden solle. Die Zuhörer dort sind griechischer Abstammung und kunstverständiger als die Römer. Nero fürchtete sich trotz seinem Selbstbewußtsein vor jedem Auftritt und zitterte und schwitzte so, daß er sich erst beruhigte, wenn er wußte, daß seine eigenen, bezahlten Leute sich unter die Zuschauer gemischt hatten, um diese durch stürmisches Klatschen zu den ersten befreienden Beifallsäußerungen hinzureißen.

Ich reiste ihm schleunigst nach, wozu ich allein schon durch mein Amt verpflichtet war. Das schöne Theater in Neapolis war gedrängt voll. Neros glanzvolle Stimme versetzte die Zuhörer in Ekstase. Einige Reisende aus Alexandria, die ihrem Entzücken nach der Sitte ihrer Heimat durch rhythmisches Klatschen Ausdruck verliehen, fielen besonders auf.

Während der Vorstellung wurde das Theater plötzlich durch ein Erdbeben erschüttert. Unter den Zuhörern drohte eine Panik auszubrechen, aber Nero sang weiter, als wäre nichts geschehen, und machte ihnen durch seine Unerschrockenheit Mut. Man pries ihn wegen seiner Selbstbeherrschung, er aber sagte später, er habe sich so in seine Rolle eingelebt, daß er von dem Erdbeben nichts bemerkte.

Von seinem Erfolg begeistert, trat er mehrere Tage hintereinander im Theater auf. Zuletzt mußte der Rat der Stadt seinen Gesangslehrer bestechen, damit dieser ihn warnte und seine unvergleichliche Stimme zu schonen bat, denn die täglichen Geschäfte der Stadt, der Handel und die Seefahrt kamen durch die Vorstellungen beinahe völlig zum Erliegen. Die Alexandriner belohnte Nero für ihren Kunstverstand, indem er sie zu römischen Bürgern machte und ihnen viele Geschenke gab. Auch beschloß er, so bald wie möglich nach Alexandria zu reisen, um dort vor einem Publikum aufzutreten, das seiner, wie er sagte, würdig war.

Als ich bei passender Gelegenheit für mein eigen Teil seinen glänzenden Erfolg rühmte, fragte mich Nero: »Glaubst du nicht, daß ich mir, wenn ich nicht Kaiser wäre, an jedem beliebigen Ort der Welt als Künstler mein Brot verdienen könnte?«

Ich versicherte ihm, daß er als Künstler nicht nur freier, sondern in gewissem Sinne auch reicher wäre denn als Kaiser, da er sich nicht wegen jeder kleinen Ausgabe mit seinen Verwaltern herumzustreiten brauchte. Ich erwähnte, daß es nach meiner Amtszeit als Prätor meine Schuldigkeit war, dem Volk eine Theatervorstellung zu bieten, daß es aber meiner Meinung nach in ganz Rom keinen wirklich guten Sänger gebe. Zuletzt sagte ich mit gespielter Verlegenheit: »Wenn du in meiner Vorstellung auftreten wolltest, wäre mir die Gunst des Volkes gewiß. Ich würde dir eine Million Sesterze zahlen. Das Stück dürftest du dir natürlich selbst wählen.«

Soviel ich weiß, war das das höchste Honorar, das man jemals einem Sänger für ein einziges Auftreten geboten hatte. Sogar Nero war überrascht und fragte: »Meinst du wirklich, daß meine Stimme eine Million Sesterze wert ist und daß du mit ihr die Gunst des Volkes gewinnen kannst?«

Ich versicherte ihm, daß es für mich die höchste Gunst wäre, die ich mir vorstellen könne, wenn er einwilligte. Nero runzelte die Stirn, murmelte etwas von seinen vielen Pflichten und sagte schließlich: »Ich muß als Schauspieler verkleidet auftreten und mit einer Maske vor dem Gesicht. Dir zuliebe kann ich mir ja eine Maske anfertigen lassen, die mir ähnelt. Ich möchte einmal den Geschmack des römischen Publikums auf die Probe stellen, und deshalb dürfen wir meinen Namen erst nach der Aufführung bekanntgeben. Unter diesen Bedingungen nehme ich dein Angebot an. Ich glaube, ich werde den Orest wählen. Das ist eine Rolle, die ich schon lang einmal singen möchte, und ich traue mir zu, mit der aufgestauten Kraft meiner Empfindungen sogar das harthörige römische Publikum zu erschüttern.«

In seiner Künstlereitelkeit wollte er ausgerechnet diese Muttermörderrolle spielen, um seine eigenen Gefühle in Wallung zu versetzen. Im Grunde verstand ich ihn. Hatte ich selbst mich doch von meinen bösen Erinnerungen an die kilikische Gefangenschaft, die mich an den Rand des Wahnsinns trieben, dadurch befreit, daß ich ein komisches Buch schrieb. Für Nero war die Ermordung Agrippinas ein erschütterndes Erlebnis, das er durch den Gesang zu überwinden suchte. ich fürchtete jedoch, daß ich mich durch mein Angebot in große Gefahr gebracht hatte. Was geschah, wenn das Publikum Nero nicht erkannte und seine Darbietung nicht zu würdigen verstand?

Ja, es konnte sogar noch schlimmer kommen. Eine Maske, die Nero ähnelte, in der Rolle des Muttermörders! Die Zuschauer faßten die Vorstellung womöglich als eine Kundgebung gegen Nero auf und ließen sich mitreißen. In dem Falle war ich verloren. Und wenn andere Zuschauer es sich angelegen sein ließen, Neros Ruf zu verteidigen, kam es zu einem Handgemenge, das sogar Menschenleben fordern konnte.

Ich wußte mir keinen anderen Rat, als heimlich die Kunde zu verbreiten, daß Nero selbst in meiner Vorstellung als Orest aufzutreten gedachte. Viele altmodisch gesinnte Senatoren und Ritter weigerten sich, zu glauben, daß ein Kaiser imstande sei, sich mit Schauspielern und Gauklern auf eine Stufe zu stellen und mit Absicht und Bedacht zum Gespött der Leute zu machen. Als sie gar noch erfuhren, was für ein Stück gewählt worden war, hielten sie das Gerücht für einen boshaften Scherz.

Zum Glück hatte auch Tigellinus in dieser Sache seinen Vorteil zu wahren. Er stellte eine Kohorte Prätorianer ab, die einerseits für Ruhe und Ordnung im Theater sorgen und andrerseits an bestimmten Stellen, dem Beispiel der von Nero selbst zu diesem Zweck gedungenen Männer folgend, klatschen mußte. Als Anführer wurden einige junge Ritter auserwählt, die ein wenig von Musik und Gesang verstanden und nicht den Fehler begingen, den Beifall im falschen Augenblick einsetzen zu lassen. Alle mußten außerdem üben, vor Entzücken zu trällern, mit zu Schalen gewölbten Händen dumpf zu klatschen und dann wieder weithin schmetternde Klatschlaute hervorzubringen und an ergreifenden Stellen schmachtend und im Takt zu seufzen.

Das Gerücht von einer politischen Kundgebung im Theater lockte ungeheure Mengen von Zuschauern an, die unter anderen Umständen wohl kaum meine Vorstellung mit ihrer Gegenwart beehrt hätten. Das Gedränge war so groß, daß bei den Eingängen einige Menschen niedergetrampelt wurden und die Sklaven so manchen alten Senators handgreiflich werden mußten, um ihren Herrn zu den Ehrensitzen des Senats tragen zu können. Es ging zu wie bei den Wagenrennen im Zirkus, wenn etwas Besonderes zu erwarten stand.

Nero war so aufgeregt, daß er sich vor der Vorstellung mehrere Male erbrach und seine Kehle unaufhörlich mit Getränken spülte, die sein Lehrer ihm verschrieben hatte und die die Stimmbänder kräftigen sollten. Ich muß jedoch gestehen, daß er eine glänzende Vorstellung gab, sobald er die Szene betreten hatte. Seine mächtige Stimme hallte durch das ganze Theater und erreichte die Ohren von wohl zwanzigtausend Menschen, und er stellte seine grausame Rolle so echt und ergreifend dar, daß einige empfindsamere Frauen in Ohnmacht fielen.

Das Trällern, Seufzen und Klatschen kam an den richtigen Stellen, und das gewöhnliche Publikum stimmte bereitwillig in den Beifall ein. Als Nero aber zuletzt mit blutbefleckten Händen auf die Szene stürzte, erhob sich von den Bänken der Senatoren und Ritter ein lautes Miauen, Krähen und Zischen, das selbst der stärkste Beifall nicht zu übertönen vermochte. Ich glaubte, meine letzte Stunde sei gekommen, als ich mit weichen Knien hinter die Szene ging, um zusammen mit Nero, der die Maske abgenommen hatte, hinauszutreten und zu verkünden, dal? der Kaiser selbst vor seinem Volke aufgetreten war.

Zu meiner unbeschreiblichen Verwunderung fand ich jedoch einen Nero vor, der, schweißnaß und mit vor Erschöpfung verzerrtem Gesicht, vor Freude weinte.

»Hast du gesehen, hast du gehört, wie ich das Publikum mitriß?« fragte er mich. »Sie miauten und krähten sogar, um die Strafe für den Muttermord auf Orest herabzurufen! Ich glaube, es ist noch nie vorgekommen, daß die Zuschauer bei einer Aufführung so vollständig mitlebten!«

Nero trocknete sich den Schweiß ab und trat dann siegesstolz lächelnd hinaus, um den Beifall entgegenzunehmen, der zu Donnertosen anschwoll, als ich, durch einen Trichter rufend, verkündete, daß der Kaiser in eigener Person mitgespielt hatte. Das Publikum forderte wie ein Mann, er solle noch mehr singen.

Mir wurde die Ehre zuteil, Nero die Zither zu bringen. Er sang und begleitete sich selbst, um auch seine Meisterschaft als Zitherspieler zu beweisen, bis es so dunkel wurde, daß man sein Gesicht nicht mehr erkennen konnte. Erst dann hörte er widerstrebend auf, ließ aber kundmachen, daß er auch in Zukunft vor dem Volk auftreten werde, wenn dies der Wunsch des Volkes sei.

Als ich ihm die Anweisung auf eine Million Sesterze reichte, sagte ich ihm, daß ich Befehl gegeben hatte, seinem Geburtsgenius, seiner verstorbenen Tochter und zur Sicherheit auch Apoll ein Dankopfer darzubringen. »Obwohl«, fügte ich hinzu, »obwohl ich glaube, daß du Apoll bereits übertroffen hast und seine Hilfe nicht mehr brauchst.«

Während er noch vor Freude ganz außer sich war, brachte ich so beiläufig wie möglich den Wunsch vor, er möge meine Ehe in aller Stille auflösen, da wir uns, Sabina und ich, nicht vertrugen, beide die Scheidung wünschten und im übrigen auch die Einwilligung unserer Eltern hatten.

Nero begann laut zu lachen und sagte, es sei ihm schon längst klar, daß ich meine sonderbare Ehe aus reiner Lasterhaftigkeit weitergeführt hätte. Er fragte mich neugierig, ob es wahr sei, daß Sabina geschlechtlichen Umgang mit den afrikanischen Riesenaffen pflege, wie in der Stadt so hartnäckig behauptet werde. Er hätte ganz und gar nichts dagegen, sich einmal heimlich so eine Vorstellung anzusehen. Ich bat ihn, Sabina selbst danach zu fragen, und gab vor, wir seien so verfeindet, daß wir nicht einmal mehr miteinander redeten. Er stellte mir nur noch die Bedingung, daß Sabina auch nach der Scheidung zum Vergnügen des Volkes im Amphitheater auftreten müsse, und schon am nächsten Morgen erhielt ich die Scheidungsurkunde, für die ich nicht einmal die übliche Gebühr zu entrichten brauchte.

Neros Auftreten als Orest erweckte Verwunderung und endlose Diskussionen, und ich geriet in den Ruf eines kühnen, rücksichtslosen Menschen. Zu jener Zeit begannen Neros Feinde boshafte Geschichten über ihn zu erfinden, indem sie den gleichen Grundsatz befolgten, den er selbst sich zu eigen gemacht hatte, als er beispielsweise Octavias Ehebruch bekanntgab: Je größer die Lüge, desto lieber wird sie geglaubt.

Diese Wahrheit kehrte sich nun gegen Nero selbst, denn das Volk glaubte die schamlosesten Lügen mit der größten Bereitwilligkeit. Dagegen wollte niemand von dem Guten hören, das man über ihn berichtete.

Daß die Herrscher Roms das Volk belogen, war freilich nichts Neues. Denken wir nur an den Gott Julius, der durch tägliche Bekanntmachungen seinem schlechten Ruf entgegenzuarbeiten versuchte, oder an den Gott Augustus, dessen Grabinschrift auf der Mauer des Mausoleums ungezählte Verbrechen verschweigt.

Ich hatte mir unter Einsatz meines Lebens die Scheidung verschafft, aber damit waren meine Schwierigkeiten noch nicht zu Ende. Zwar bedeutete die Scheidung an sich eine Erleichterung, denn sie befreite mich von der herrschsüchtigen Sabina, aber ich konnte natürlich nicht daran denken, mich mit Claudia zu vermählen, die der Tatsache, daß wir sozusagen aus reinem Zufall, der Verlockung des Augenblicks gehorchend wie in unserer Jugend Tagen, beieinandergelegen waren, eine übertriebene Bedeutung beimaß.

Ich sagte ihr offen ins Gesicht, daß ich nicht der Meinung war, ein Mann müsse jede Frau, die sich in seine Arme warf, gleich heiraten. Unter solchen Umständen wäre ja unter den Menschen kein vernünftiges Zusammenleben mehr möglich. In meinen Augen war das Geschehene weder eine Sünde noch eine Erniedrigung für Claudia.

Nicht einmal Christus selbst hatte, während er auf Erden lebte, eine Ehebrecherin verdammen wollen, weil er diejenigen, die sie anklagten, für nicht minder schuldig hielt. Diese Geschichte hatte ich selbst gehört. Aber Claudia erboste sich und sagte, sie wisse besser als ich, was Christus gesagt und getan habe, denn sie habe es aus Kephas’ eigenem Munde gehört. Nachdem sie gefallen sei und mit mir gesündigt habe, sei sie auch sündhaft und werde immer sündhafter, je öfter sie mich sehe.

Ich versuchte ihr daher nach Möglichkeit auszuweichen, damit sie mich nicht so oft zu sehen brauchte. Ich ließ mich auf neue große Geschäfte ein, um meine Stellung zu fördern und mich durch Arbeit abzulenken. Einer meiner Freigelassenen brachte mich zu der Einsicht, daß wirklich große Vermögen nur durch den Getreidehandel und die Einfuhr von Speiseöl zu verdienen waren. Der Handel mit Seide aus China, Gewürzen aus Indien und anderen Kostbarkeiten für die Reichen und Vornehmen war daneben eine ganz unbedeutende Erwerbsquelle. Dank meinen Tiereinkäufen hatte ich bereits gute Handelsverbindungen in Afrika und Iberien, und durch meine Freundschaft mit Fenius Rufus war es mir möglich, im Getreidehandel Fuß zu fassen. Mein Freigelassener reiste selbst nach Iberien, um Olivenöl aufzukaufen.

Ich hatte nun oft in Ostia zu tun und stellte fest, daß dort eine ganz neue, schön gebaute Stadt emporgewachsen war. Ich hatte mich schon lange über Claudias Vorwurf geärgert, ich verschaffte mir verbrecherische Einkünfte aus meinen Mietshäusern in Suburra und auf der dem Zirkus zugekehrten Seite des Aventins. Sie behauptete, meine Mieter wohnten unmenschlich eng, schmutzig und ungesund, aber ich wußte, daß es nur die armen Christen waren, die sich bei ihr beklagt hatten, weil ihnen die Mieten zu hoch waren.

Wenn ich aber die Mieten gesenkt hätte, würde der Andrang zu meinen Häusern noch größer geworden sein, und ich wäre überdies von allen anderen Hausherren des unlauteren Wettbewerbs bezichtigt worden. Daß die Häuser in schlechtem Zustand waren, sah ich selbst, aber an eine Instandsetzung war nicht zu denken, denn ich brauchte all mein Bargeld und mußte sogar noch Anleihen aufnehmen, um meine neuen Unternehmungen voranzubringen. Ich faßte daher einen raschen Entschluß, verkaufte mehrere Mietshäuser auf einmal und erwarb mit dem Erlös einige billige Baugründe an den Rändern Ostias.

Claudia machte mir deshalb bittere Vorwürfe und behauptete, ich hätte meine Mieter in noch ärgere Bedrängnis gebracht, denn die neuen Hausherren dachten ebensowenig daran, die Häuser instand zu setzen, und erhöhten obendrein die Mieten, um die Riesensummen wieder hereinzubringen, die sie mir bezahlt hatten. Ich warf Claudia meinerseits vor, daß sie nicht hauszuhalten verstand und mein Geld für wohltätige Zwecke verschwendete, die mir nicht einmal die Gunst der Leute eintrugen, da es die Christen für selbstverständlich hielten, daß man den Armen half, und für die Hilfe, die sie bekamen, nur Christus dankten.

Daraufhin hielt mir Claudia wiederum vor, daß ich unvergleichlich größere Summen für gottlose Theatervorstellungen hinauswürfe. Sie machte keinen Unterschied zwischen Schauspielen und Tierkämpfen im Amphitheater und wollte nichts hören, als ich ihr zu erklären versuchte, daß ich nur einer Verpflichtung nachkam, weil ich Prätor gewesen war und mein Vater einen Sitz im Senat hatte. Ein Mann in meiner Stellung brauchte die Gunst der Bürger. Die Christen sind dagegen zum größten Teil ohnehin nur Sklaven und anderes Pack, das nicht das Bürgerrecht besitzt.

Ich konnte Claudia erst den Mund stopfen, als ich sagte, sie sei offenbar keine echte Claudierin. Ihr Vater hatte nämlich an den Vorstellungen im Amphitheater so großen Gefallen gefunden, daß er nicht einmal essen gehen wollte, während die Raubtiere die zum Tode Verurteilten in Stücke rissen. Anständige Menschen halten dann Mittagsruhe und verlassen das Amphitheater für eine Weile. Der menschliche Nero hatte gleich zu Beginn seiner Regierungszeit das Verbot erlassen die Verurteilten den Tieren vorzuwerfen, und duldete nicht einmal, daß die Berufsgladiatoren bis zum letzten Atemzug kämpften.

Ich gestehe, daß ich Claudias weibliche Schwachheit ausnützte, um sie wenigstens ab und zu einmal zum Schweigen zu bringen. Ich verschloß ihr den Mund mit Küssen und streichelte sie so lange, bis sie der Versuchung nicht mehr zu widerstehen vermochte und sich mir lachend in die Arme warf. Später war sie dann freilich noch finsterer und drohte mir sogar mit dem Zorn ihrer Halbschwester Antonia. Als ob Antonias Zorn damals noch“ irgendeine politische Bedeutung gehabt hätte!

Ich ließ, wenn wir auf diese Weise beisammen waren, jede Vorsicht außer acht, wußte ich doch, was Claudia in Misenum erlebt hatte. Im übrigen dachte ich daran nicht gern, denn in gewissem Sinne war ich an ihrem Schicksal schuld. Wie dem auch sei: ich vertraute auf die Richtigkeit des Sprichworts, daß auf öffentlichen Wegen kein Gras wächst.

Um so größer war meine Verwunderung, ja mein Entsetzen, als Claudia mich eines Tages, da ich eben aus Ostia zurückgekehrt war, mit geheimnisvoller Miene beiseite führte und mir strahlend vor Stolz ins Ohr flüsterte, daß sie von mir schwanger sei. Ich glaubte ihr nicht und nahm vielmehr an, sie sei ein Opfer ihrer Einbildungen oder leide an einer Frauenkrankheit. Ich ließ rasch einen griechischen Arzt kommen, der in Alexandria studiert hatte, glaubte aber auch ihm nicht, als er mir versicherte, Claudia sei vollkommen gesund. Ihr Harn hatte ein Haferkorn sofort zum Keimen gebracht, was ein sicheres und untrügliches Zeichen für Schwangerschaft ist.

Als ich eines Abends, gut gelaunt und nichts Böses ahnend, in mein Haus auf dem Aventin heimkehrte, erblickte ich im Gästezimmer Antonia mit ihrem feingeschnittenen Gesicht und dazu die alte Paulina, mit der ich seit meiner Abreise nach Achaia nicht mehr zusammengetroffen war. Sie war vom vielen Fasten ganz vom Fleisch gefallen und kleidete sich noch immer in Schwarz. In ihren alten Augen leuchtete ein überirdisches Licht.

Antonia war offensichtlich verlegen, bewahrte aber ihre spöttische Haltung und musterte mich von oben herab. Während ich mich noch fragte, ob ich ihr nicht, mit einiger Verspätung zwar, mein Beileid zu dem plötzlichen Hinscheiden ihres Gatten Faustus Sulla aussprechen müsse, sagte Tante Paulina plötzlich streng: »Du hast deine Pflichten gegenüber Claudia versäumt. Ich fordere im Namen Christi, daß du sie unverzüglich zur Gattin nimmst. Wenn du Gott nicht fürchtest, so fürchte die Plautier. Es geht um das Ansehen unseres Geschlechts.«

Auch Antonia tadelte mich: »Ich kann dein Betragen gegen meine Halbschwester nicht eben bewundern, und es wäre mir lieber, sie müßte nicht einen Mann mit einem so schlechten Ruf nehmen. Doch du hast sie verführt, sie ist schwanger, und es läßt sich nicht mehr ändern.«

Vor Verwunderung außer mir, fragte ich: »Glaubst auch du, die du eine vernünftige Frau bist, die unsinnige Geschichte von ihrer Abstammung? Claudius hat sie doch nie anerkannt!«

»Aus politischen Gründen«, sagte Antonia ruhig. »Mein Vater Claudius ließ sich seinerzeit von Plautia Urgulanilla scheiden, um meine Mutter Aelia zu heiraten, die, wie du weißt, eine Adoptivschwester des Sejanus war. Claudia wurde fünf Monate nach der Scheidung geboren, und aus Rücksicht auf meine Mutter hielt es Sejanus für unziemlich, ihr die gesetzliche Stellung einer Kaisertochter zu geben. Du weißt, welchen Einfluß Sejanus damals hatte. Um seine Gunst zu gewinnen, hatte Claudius meine Mutter geheiratet. Ich erinnere mich noch gut, daß sie sich oft über das ehrlose Benehmen meines Vaters beklagte. Über Claudias Mutter erzählt man das eine und das andere. Ich war zu hochmütig, um Claudia auch nur im geheimen als meine Halbschwester anzuerkennen, aber jetzt ist von meinem Hochmut nicht mehr viel geblieben. Deshalb möchte ich das Unrecht wiedergutmachen, das ich Claudia angetan habe.«

»Bist auch du unter die Christen gegangen?« fragte ich spöttisch.

Antonia errötete über meine Frage. »Ich bin nicht eingeweiht«, sagte sie abwehrend. »Aber ich erlaube meinen Sklaven, Christus zu verehren. Das tust auch du. Und ich möchte nicht, daß das uralte Geschlecht der Claudier mit mir ausstirbt. Ich bin bereit, dein Kind zu adoptieren, wenn es sein muß. Wenigstens hätten Nero und Poppaea immer etwas, woran sie denken könnten.«

Ich begriff, daß sie mehr aus Haß gegen Nero denn aus Liebe zu Claudia handelte. Nun mischte sich Paulina ins Gespräch und sagte: »Urgulanilla hat auf dem Totenbett den heiligsten Eid geschworen, daß Claudia wirklich die Tochter des Claudius ist. Ich war mit Urgulanilla wegen ihres lasterhaften Lebenswandels während ihrer letzten Jahre nicht mehr gut befreundet, aber ich glaube nicht, daß eine Frau in einer so ernsten Sache auf dem Totenbett einen Meineid zu schwören imstande ist. Die Schwierigkeit war von Anfang an die, daß du als Ritter dich nicht mit einer unehelich Geborenen glaubtest vermählen zu dürfen. Aus demselben Grund und aus Angst vor Claudius weigerte sich mein Gatte, Claudia zu adoptieren. Im Grunde ist Claudia jedoch sowohl römische Bürgerin als auch in der Ehe geboren. Es würde niemanden einfallen, dies zu bezweifeln, wenn sie nicht die Tochter eines Kaisers wäre.«

Claudia, die in diesen Tagen wie alle Schwangeren empfindlich war, begann zu weinen und rief: »Ich glaube nicht einmal, daß mein armer Vater mich wirklich haßte. Er ist nur so beeinflußt worden, zuerst von der unglückseligen Messalina und dann von der niederträchtigen Agrippina, daß er es nicht wagte, mich als seine Tochter anzuerkennen, selbst wenn er es gewollt hätte. In meinem Herzen habe ich ihm bereits verziehen.«

Als ich über die juristische Seite der Sache nachdachte, fiel mir ein, wie rasch ich Jucundus zum römischen Bürger gemacht hatte. »Claudia war gezwungen, sich jahrelang in einer Landstadt versteckt zu halten«, sagte ich vorsichtig. »Es ließe sich vielleicht so einrichten, daß sie in die Bürgerrolle irgendeines abgelegenen Ortes eingeschrieben wird, und zwar als Tochter eines bereits verstorbenen Vaters A und einer ebenfalls dahingeschiedenen Mutter B. Man brauchte nur eine kleine Stadt zu wählen, in der etwa ein Brand das Archiv zerstört hat. Es gibt ja Millionen römischer Bürger in den verschiedensten Ländern, und wir wissen, daß so mancher Zugewanderte behauptet, römischer Bürger zu sein, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden, weil es zur Zeit nicht möglich ist, ihm das Gegenteil zu beweisen. Auf diese Weise könnte ich Claudia heiraten.«

Claudia fuhr mich zornig an: »Laß mich mit deinem Alphabet in Frieden. Ich will weder A zum Vater noch B zur Mutter. Mein Vater war Tiberius Claudius Drusus, und meine Mutter war Plautia Urgulanilla. Immerhin danke ich dir dafür, daß du die Möglichkeit zu erwägen geruhst, mich zu heiraten. Ich fasse deine Worte als eine Werbung auf, und ich habe hier zwei achtbare Zeugen.«

Paulina und Antonia beeilten sich, mich lächelnd zu beglückwünschen. Ich war in eine Falle gegangen und hatte mich doch eigentlich nur rein theoretisch zu einem juristischen Problem geäußert. Nach einigem Hin und Her kamen wir überein, eine Urkunde über Claudias Herkunft aufzusetzen, die Antonia und Paulina als Geheimdokument im Archiv der Vestalinnen hinterlegen sollten.

Die Hochzeit sollte in aller Stille stattfinden, ohne Opfer und Festlichkeiten, und in die Bürgerrolle sollte Claudia unter dem Namen Plautia Claudia Urgulanilla eingetragen werden. Daß die Behörden keine überflüssigen Fragen stellten, dafür hatte ich zu sorgen. Claudias Stellung brauchte keine Veränderung zu erfahren, denn sie stand längst mit allen Vollmachten meinem Hause vor.

Ich ging schweren Herzens auf alles ein, da mir keine andere Wahl blieb, und fürchtete, auf die übelste Art und Weise in eine politische Verschwörung gegen Nero verwickelt worden zu sein. Tante Paulina dachte gewiß an nichts dergleichen, aber Antonia sagte zuletzt ganz offen: »Ich bin einige Jahre jünger als Claudia, aber Nero erlaubt mir nicht, noch einmal zu heiraten. Und kein vornehmer Mann würde es wagen, sich mit mir zu vermählen, denn jeder weiß, wie es Faustus Sulla erging. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn Sulla nicht so täppisch gewesen wäre. Er verstand es nicht, Fortuna beim Schopf zu fassen. Deshalb freute ich mich nun, daß Claudia als Tochter des Kaisers heiraten kann, wenn auch nur heimlich. Deine Durchtriebenheit, lieber Minutus, deine Rücksichtslosigkeit und dein Reichtum ersetzen vielleicht die anderen Eigenschaften, die ich mir von Claudias Gatten gewünscht hätte. Denke immer daran, daß du dich durch diese Heirat sowohl mit den Claudiern als auch mit den Plautiern verbindest.«

Paulina und Claudia baten uns, mit ihnen zusammen zu beten, daß unser Bund im Namen Christi gesegnet werde. Antonia lächelte verächtlich, sagte jedoch: »Mir ist ein Name so recht wie der andere, wenn ihr an seine Macht glaubt. Ich unterstütze seine Partei, weil ich weiß, wie sehr die Juden ihn hassen, deren Einfluß unerträglich wird. Poppaea verhilft ihnen zu Ämtern, und Nero überschüttet einen jüdischen Pantomimiker mit den kostbarsten Geschenken, obwohl der Kerl sich frech weigert, am jüdischen Sabbat aufzutreten.«

Die stolze Antonia dachte in ihrer Verbitterung offenbar an nichts anderes, als wie sie Nero und Poppaea mit allen Mitteln schaden könnte. Sie konnte gefährlich sein, obgleich sie keinen Einfluß mehr besaß, und ich war froh, daß sie so viel Verstand bewiesen hatte, erst nach Einbruch der Dunkelheit und in einer Sänfte mit geschlossenen Vorhängen in mein Haus zu kommen.

Ich war so niedergeschlagen, daß ich den letzten Rest von Stolz ablegte und mich an dem christlichen Gebet beteiligte und um Vergebung meiner Sünden bat. Ich brauchte Hilfe, einerlei woher sie kam. Kephas und Paulus und mehrere andere heilige Christen hatten immerhin in Christi Namen Wunder gewirkt. Als die Gäste gegangen waren, trank ich sogar mit Claudia aus dem Zauberbecher meiner Mutter, und dann legten wir uns, nach langem wieder miteinander ausgesöhnt, schlafen.

Wir schliefen nach diesem Tage zusammen, als wären wir schon Ehegatten, und niemand im Haus machte ein Aufhebens davon. Ich will auch nicht leugnen, daß es mir schmeichelte, das Bett mit einer Kaisertochter zu teilen. Dafür ging ich auf Claudias Wünsche ein und unterwarf mich während der Zeit der Schwangerschaft allen ihren Launen. Die Folge davon war, daß die Christen mein Haus endgültig zu ihrer Heimstatt machten. Ihre Lobpreisungen hallten von morgens bis abends so laut durch die Gegend, daß sogar die Nachbarn gestört wurden.

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