Kapitel 12

Sie hatten wahrscheinlich nicht daran gedacht«, sagte ich sanft, »Einblick in den Tierarztbericht zu fordern? Oder auch nur bei Allardeck zurückzufragen?«

Lucy schüttelte den Kopf. »Wir nahmen Maynard beim Wort.«

Der Major nickte schwer. »Hatten Vertrauen zu ihm. Allardecks Sohn, nicht wahr.«

Lucy sagte: »Wir protestierten natürlich heftig, weil Maynard uns vorsätzlich belogen hatte, und Maynard sagte, das habe er nicht getan. Er leugnete einfach, uns je erzählt zu haben, daß Metavane vor dem Frühjahr nicht laufen könne. Uns blieb die Luft weg. Clement führte Beschwerde beim Jockey-Club, aber umsonst. Maynard hat auch sie geblendet. Ihnen gesagt, wir hätten ihn mißverstanden. Die Stewards waren sehr kühl zu Clement. Und wissen Sie, was ich glaube? Ich glaube, Maynard hat ihnen weisgemacht, wir versuchten nur noch mehr Geld aus ihm herauszupressen, nachdem er uns schon so großzügig aus einer furchtbaren Klemme geholfen hatte.«

Sie sahen nun beide allmählich verzweifelt aus, und ich bekam selber schon Gewissensbisse. Aber ich sagte: »Bitte erzählen Sie mir, wie Ihr Schuldenstand jetzt ist und wieviel Maynard Ihnen aus seinen Siegen und aus der Syndikation von Metavane als Zuchthengst hat zukommen lassen.«

Sie machten beide große Augen.

Der Major sagte erstaunt: »Nichts.«

»Wie meinen Sie, nichts?«

»Er gab uns keinen roten Heller.«

»Er hat das Pferd für mehrere Millionen syndikatisiert.«

Der Major nickte. »Davon haben wir gelesen.«

»Ich schrieb ihm«, sagte Lucy mit leicht geröteten Wangen. »Ich forderte ihn auf, uns wenigstens das zu erlassen, was wir ihm noch schuldeten.«

»Und?«

»Er hat nicht geantwortet.«

»Lucy schrieb ihm zweimal«, sagte der Major unbehaglich. »Den zweiten Brief schickte sie durch Eilboten, zur persönlichen Aushändigung, daher wissen wir, daß er ihn bekommen haben muß.«

»Es kam keine Antwort«, sagte Lucy.

»Wir haben das Geld geborgt, und damit hat es sich«, meinte der Major resigniert. »Rückzahlungen und Zinsen verschlingen den größten Teil unseres Einkommens, und ich glaube nicht, daß wir noch jemals fertig werden.«

Lucy streichelte zärtlich seine Hand. »Wir sind beide zweiundachtzig, nicht wahr«, sagte sie.

»Und keine Kinder?« frage ich.

»Keine Kinder«, erwiderte Lucy bedauernd. »Es hat nicht sollen sein.«

Ich packte die Kamera weg, dankte ihnen und gab ihnen das Bargeld, das ich besorgt hatte, um Bobbys Pfleger zu bezahlen, und zwar indem ich einen von Bobbys Schecks bei meinem Jockeydiener in Newbury einlöste. Für den Jockeydiener, eine wandelnde Bank, war das reine Routine gewesen, und er hatte sich bereit erklärt, Geld für die anderen Schecks nach Towcester mitzubringen.

Der Major und Lucy nahmen das Geld mit einiger Verlegenheit, aber mehr noch mit Erleichterung, und ich fragte mich, ob sie befürchtet hatten, ich würde sie vielleicht gar nicht bezahlen, wenn ich erst einmal hatte, was ich wollte. Sie waren durch eine harte Schule gegangen.

Ich sah auf meine Uhr und fragte, ob ich kurz auf Kreditkarte bei ihnen telefonieren dürfe. Sie nickten beide, und ich rief den Filialleiter meiner Bank an.

»John«, sagte ich.

»Kit.«

»Hören Sie, ich bin in Eile, schon auf dem Weg nach Towcester, wo ich reite, aber mir ist was eingefallen ... Es stimmt doch, daß ohne mein Wissen Geld auf mein Konto gezahlt werden kann?«

»Ja, durch Direktüberweisung von einer anderen Bank, wie Ihre Reithonorare. Aber das würden Sie auf Ihrem nächsten Auszug sehen.«

»Tja«, sagte ich, »könnten Sie dafür sorgen, daß außer meinen Reithonoraren nichts eingezahlt wird? Falls sonst irgend etwas kommt - könnten Sie das von meinem Konto fernhalten?«

»Ja, kann ich«, meinte er unsicher, »aber warum?«

»Gestern abend hat mir jemand Bestechungsgeld angeboten«, sagte ich. »Es roch allzusehr nach einer Falle. Ich möchte nicht erleben, daß ich durch die Hintertür für etwas bezahlt worden bin, was ich nicht zu tun gedenke. Ich möchte mich nicht vor den Stewards wiederfinden und ihnen erklären müssen, daß ich das Geld nicht genommen habe.«

Er sagte nach einem kurzen Schweigen: »Ist das eine von Ihren Eingebungen?«

»Ich dachte nur, ich sollte Vorsichtsmaßnahmen treffen.«

»Ja«, sagte er. »In Ordnung. Falls etwas kommt, werde ich bei Ihnen zurückfragen, ehe ich es Ihrem Konto gutschreibe.«

»Danke«, sagte ich. »Verbleiben wir so bis auf weiteres.«

»Und vielleicht könnten Sie mir Ihre Anweisungen kurz noch schriftlich geben. Dann wären Sie ganz abgesichert, wenn es vor die Stewards käme.«

»Ich weiß nicht«, sagte ich, »was ich ohne Sie anfangen würde.«

Ich verabschiedete mich von den Perrysides und überlegte, als ich wegfuhr, daß es ihr völliger Verzicht auf vernünftige Vorsichtsmaßregeln war, der mich auf den Gedanken gebracht hatte, daß ich so klug sein sollte, meine eigenen zu treffen.

Sie hätten sich zunächst einmal gegen einen katastrophalen Verlust bei Lloyd’s versichern sollen, und sie hätten einen unabhängigen Tierarzt zur Untersuchung von Metavane hinzuziehen sollen. Hinterher waren solche Dinge immer leicht einzusehen. Der Trick zum Überleben bestand darin, vorher an sie zu denken.

Towcester war eine Bahn auf dem tiefsten Land, inmitten weiter grüner Hügel, sechzig Meilen nordwestlich von London. Während der Fahrt dorthin waren meine Gedanken überall, nur nicht bei den Pferden, die auf mich zukamen.

Vor allem dachte ich über Vorsichtsmaßregeln nach.

Im Auto hatte ich neben meinem Handkoffer die Videokassetten von Maynard, das Band von den Perrysides, die Videokamera und eine kleine Reisetasche von Holly mit den Anzugjacken und anderen Habseligkeiten von Jay

Erskine und Owen Watts. Ohne alle diese Dinge würde ich keine Entschädigung, keine Zukunft für Bobby und Holly herausholen können, und mir kam der Gedanke, daß ich dafür sorgen sollte, daß sie keiner klaute.

Sam Leggatt oder sonst jemand von der Flag würde erkennen, daß es bedeutend billiger und weniger schmerzlich wäre, die Sachen der Journalisten auf diesem Weg wiederzuerlangen, als wenn sie Geld herausrückten und demütige Entschuldigungen druckten und verteilten.

Owen Watts und Jay Erskine mußten nach den Schrammen, die sie davongetragen hatten, Rachegelüste haben, und sie konnten buchstäblich überall sein, Gott weiß was aushecken.

Ich war unterwegs zu einem Termin und einem Ort, die in über der Hälfte aller Tageszeitungen abgedruckt waren: Mein Name stand klar und deutlich auf den Rennsportseiten, über Nacht angekündigt für die Rennen um halb zwei, zwei, drei und um halb vier.

Wenn ich Jay Erskine wäre, dachte ich, würde ich um halb zwei, zwei, drei oder halb vier den Mercedes von Kit Fielding aufknacken.

Wäre ich Owen Watts, würde ich vielleicht um diese Zeit in Kit Fieldings Cottage in Lambourn einbrechen.

Sie konnten es tun.

Sie konnten es lassen.

Ich glaubte nicht, daß ein kleiner Bruch ihr Gewissen im mindesten belasten würde, zumal die Strafe für nachweisliches Abhören derzeit bis zu zweitausend Pfund oder bis zu zwei Jahren Gefängnis betrug, oder auch beides zusammen.

Ich wußte nicht, ob ich sie von der Rauferei im Dunkeln her erkennen würde. Sie konnten es sich jedoch zur Aufgabe machen, mich zu erkennen. Meine Ankunft auf dem Parkplatz der Jockeys erwarten. Sich meinen Wagen merken.

Es waren fünfundvierzig Minuten zu fahren vom Dorf der Perrysides bis zur Rennbahn Towcester, und während der halben Fahrt dachte ich, ich bilde mir da unnötig was ein.

Dann fuhr ich abrupt in die Stadtmitte von Bletchley und meldete mich in einem alten und offenbar gutgehenden Hotel an, dem Goldenen Löwen. Sie zogen meine Kreditkarte durch und wiesen mich in ein freundliches Zimmer, wo ich die Jacketts von Watts und Erskine in den Schrank hängte, meine Übernachtungssachen im Bad drapierte und alles übrige in einer Schublade verstaute. Der Empfangschef nickte freundlich und unpersönlich, als ich beim Weggehen meinen Schlüssel am Schalter abgab, sonst nahm niemand Notiz. Ein Blick auf die Uhr ließ mich zwar zusammenzucken, aber ich fühlte mich doch entschieden sicherer und überschritt die Geschwindigkeitsbegrenzung bis Towcester.

Die Anfänger der Prinzessin waren mein erster und letzter notierter Ritt, dazwischen lagen ein weiterer für Wykeham und einer für den Trainer in Lambourn.

Die Prinzessin wartete mit ihrer gewohnten sanft strahlenden Patina im Führring, als ich dorthin kam, und Danielle ebenfalls, die an diesem feuchten Tag einen glänzenden, flammendroten Mantel über der schwarzen Hose trug. Wahrscheinlich war mir meine Freude anzusehen. Jedenfalls lächelten sie beide hochnäsig, wie Frauen das tun, wenn sie sich bewundert wissen, und Danielle gab mir, anstatt meine Hand zu schütteln, einen flüchtigen Kuß auf die Wange. Eine halbe Berührung von Haut zu Haut, aus dem Stegreif, deren Empfindung überraschend in meinen Nervenspitzen nachklang.

Sie lachte. »Wie geht’s?« sagte sie.

»Prima. Und Ihnen?«

»Großartig.«

Die Prinzessin sagte milde: »Was haben wir von Kinley zu erwarten, Kit?«

Eine Sekunde verstand ich nur Bahnhof, bis mir einfiel, daß Kinley ihr Pferd war. Dasjenige, das ich reiten sollte: ein drei Jahre alter, noch unverschnittener Apfelschimmel, der im ersten Rennen seines Lebens als zweiter Favorit an die Startmaschine ging. Höchste Zeit, dachte ich, mich auf meine Aufgabe zu konzentrieren.

»Dusty sagt, die Reise ist ihm bekommen; er ist erregt, schwitzt aber nicht«, sagte ich.

»Und das ist gut?« fragte Danielle.

»Das ist gut«, nickte die Prinzessin.

»Er ist reif für drei Jahre, er springt zu Hause super, und ich halte ihn für schnell.«

»Und wahrscheinlich hängt alles davon ab, ob es ihm heute gefällt.«

»Ja«, sagte ich. »Ich werde mein Bestes tun.«

»Ihm gefällt?« fragte Danielle überrascht.

»Den meisten Pferden gefällt es«, sagte ich. »Sonst rennen sie nicht.«

»Erinnern Sie sich an Snowline?« fragte die Prinzessin. Ich nickte, und sie sagte zu Danielle: »Snowline hieß eine Stute, die ich vor langer Zeit hatte. Sie war schön anzusehen und hatte zwei oder drei Mal auf der Flachen gewonnen, und ich kaufte sie als Hürdenpferd, zum Teil, muß ich gestehen, ihres Namens wegen, Schneegrenze, aber sie sprang nicht gern. Ich ließ sie zwei Jahre im Training, weil ich eine Schwäche für sie hatte, aber es war hinausgeworfenes Geld und eine Illusion.« Sie lächelte. »Wykeham versuchte es mit anderen Jockeys, erinnern Sie sich, Kit? Für den zweiten lief sie gar nicht erst los. Das war mir eine große Lehre. Wenn ein Pferd nicht rennen mag, gibt man es auf.«

»Was ist aus Snowline geworden?« fragte Danielle.

»Ich verkaufte sie als Zuchtstute. Zwei von ihren Fohlen haben auf der Flachen gesiegt.«

Danielle schaute von ihrer Tante zu mir und wieder zurück.

»Ihr liebt das beide total, was?«

»Total«, sagte die Prinzessin.

»Total«, stimmte ich zu.

Ich stieg auf Kinley und führte ihn langsam an der Tribüne vorbei, um ihn die Geräusche und Gerüche in sich aufnehmen zu lassen, und dann zum Start hinunter, wobei ich ihm Gelegenheit gab, sich eine Hürde genau anzusehen, ihn in Brusthöhe davor stehen ließ, so daß er sie fast berührte und darüberhin schauen konnte. Er spitzte die Ohren und blähte seine Nüstern, und ich spürte, wie der Instinkt sich in ihm höchst zufriedenstellend regte, der angeborene Drang, der ihm im Blut lag wie Musik, der brennende Wille, zu rennen und zu siegen.

Du, Kinley, dachte ich, weißt alles, was ich dir über das Springen beibringen konnte, und wenn du es heute vermasselst, hast du die ganzen Morgenstunden, die ich im Herbst mit dir auf dem Trainingsgelände zugebracht habe, verschwendet.

Kinley schlug mit dem Kopf. Ich ließ eine Hand besänftigend an seinem Hals entlanggleiten und führte ihn weiter zum Start, wo ich mich unter zwei bis drei andere komplette Anfänger mischte und etwa zehn, die schon an mindestens einem Rennen teilgenommen, aber noch nicht ge-siegt hatten. Der früheste Zeitpunkt, zu dem ein Pferd in Großbritannien Hindernisrennen bestreiten durfte, war der August seines dritten Jahres, und Kinley lief hier in einem 2-Meilen-Wettkampf für Dreijährige, die noch keinen Sieg errungen hatten.

Manche Jockeys drückten sich vor der Ausbildungsarbeit, aber mich hatte sie nie gestört aus dem einfachen Grund, daß ich, wenn ich das Pferd selbst unterwies, anschließend wußte, was es konnte und was nicht. Manche Trainer schickten unerfahrene Pferde ins Rennen, die nur eine ganz nebelhafte Vorstellung davon hatten, wie man richtig einen Sprung nahm, doch Wykeham und ich waren uns einig: Virtuoses Springen in der Öffentlichkeit stand nicht zu erwarten ohne Arpeggios daheim.

Wykeham pflegte Kinley als Kettering zu bezeichnen, ein Pferd, das er in der fernen Vergangenheit trainiert hatte. Ich fand es mitunter erstaunlich, daß die richtigen Pferde zu den Meetings erschienen; ohne Zweifel Dustys Werk.

Kinley ging mit lediglich angemessener Nervosität im Kreis, reihte sich ein und warf sich, als die Bänder wegschnellten, mit grimmigem Tempo nach vorn. Alles war neu für ihn, alles unbekannt; das Übungsgelände daheim bereitete ein Pferd in keiner Weise auf das erste schwindelerregende Erlebnis der Realität vor. Ich beruhigte ihn nach und nach mit Händen und Hirn, darauf bedacht, nicht zuviel einzugreifen, ihm nicht beizubringen, was er wirklich fühlte, sei verkehrt, sondern es nur zu bändigen, in der Schwebe zu halten, abzuwarten.

Er traf die erste Hürde genau und übersprang sie glatt, und ich spürte deutlich, wie er es selbst merkte, wie sein Selbstvertrauen wuchs. Er ließ mich seine Schritte etwas verkürzen, als wir die zweite Hürde angingen, um sie richtig zu treffen und nicht erst abbremsen zu müssen, und beim dritten Sprung kam er so weit auf der anderen Seite auf, daß meine Stimmung stieg wie ein Vogel. Kinley würde gut werden. Manchmal konnte man das gleich zu Anfang sagen, wie bei einem großen Schauspieler, den man in seiner ersten annehmbaren Rolle sah.

Ich ließ ihn jedes Hindernis deutlich sehen, hauptsächlich indem ich ihn außen hielt. Technisch war die Innenseite der kürzeste Weg, aber sie war auch schwieriger. Durch Lücken stoßen konnte er immer noch, wenn er verläßlich durchlief.

Nur so weiter, Kinley, alter Knabe, sagte ich ihm; du kommst gut. Geh nur eben etwas runter, ja, so, damit du klar bist für den nächsten Sprung, und jetzt ab die Post, ab die Post ... meine Herren, Kinley, du lädst mich noch ab, wenn du so springst, warte halt, bis ich über deine Schultern komme, was hindert uns eigentlich, das Ding hier zu packen, warum nicht gleich beim ersten Mal, alles schon dagewesen, ab mit dir, Kinley, spring nur so weiter, und wir haben so gut wie gewonnen.

Ich gönnte ihm auf dem letzten Anstieg eine Verschnaufpause, und er war zutiefst betrübt über meinen fehlenden Ansporn, aber sobald wir um die letzte Kurve waren und nur noch ein Sprung vor uns lag, rüttelte ich ihn auf und sagte laut, er solle sich ins Zeug legen, drückte ihn mit meinen Waden, sandte ihm rhythmische Botschaften mit meinen Händen, sagte ihm, okay, mein Sohn, flieg los, lauf zu, jetzt mach deinen verdammten Hals lang, das ist der Sinn und Zweck des Ganzen, das ist deine Zukunft, hol sie dir, nimm sie dir, du sollst sie haben.

Er platzte vor Stolz, als ich ihn anhielt, begriff sofort, daß er es richtig gemacht hatte, daß die vielen Klapse, die er von mir bekam, Lob waren, daß der Beifall, mit dem seine Ankunft vor der Tribüne begrüßt wurde, der Zugaberuf für eine Glanzleistung war. Starker Tobak für einen Anfänger;

und ich schätzte, wegen dieses Tages würde er sich sein Leben lang die Seele aus dem Leib laufen, um zu siegen.

»Es hat ihm gefallen«, sagte die Prinzessin freudestrahlend.

»Allerdings.«

»Diese Sprünge ...«

Ich schnallte meinen Sattel los und zog ihn auf meinen Arm herunter.

»Er ist sehr gut«, sagte ich. »Sie haben da wirklich ein gutes Pferd.«

Sie sah mich abwägend an, und ich nickte. »Man muß abwarten. Es ist noch zu früh.«

»Wovon redet ihr bloß?« wollte Danielle wissen.

»Vom Triumph Hurdle«, sagte ihre Tante.

Ich ging zum Zurückwiegen, Umkleiden, Abwiegen und zog den gleichen Hokuspokus mit Wykehams zweitem Renner noch mal durch, der nicht der Prinzessin, sondern einem ebenso interessierten Ehepaar in den Siebzigern gehörte.

Sie besaßen nur das eine Pferd, einen alternden Steepler, der schon einmal in den Ruhestand versetzt worden war und geschmachtet hatte, bis man ihn wieder trainieren ließ, und ich freute mich aufrichtig für sie, als er aufgrund seiner Erfahrung die ganzen drei Meilen hindurch auf den Beinen blieb, während andere stürzten, und wider Erwarten unbekümmert als Erster durchs Ziel donnerte.

Wykeham kam zwar nicht zu den Rennen, dachte ich, als ich gutgelaunt anhielt, sein Verstand war auf die Vergangenheit fixiert, aber er konnte allemal noch Sieger trainieren.

Ich verfolgte das nächste Rennen von der Tribüne aus und gewann das darauffolgende für den Trainer aus Lam-bourn. So ein Tag mal wieder, dachte ich zufrieden. Ein

Hattrick. Das passierte ein- oder zweimal pro Saison, kaum öfter.

Während ich vor der Tribüne meinen Sattel losschnallte, fiel mir ein, daß Eric Olderjohn, der vor stiller Freude glühende Besitzer des Pferdes, auf höherer Ebene mit dem Staatsdienst zu tun hatte. Davon wußte ich auch nur, weil er sich hin und wieder beklagte, die Regierungsgeschäfte hielten ihn davon ab, seinen Augapfel rennen zu sehen.

Ich fragte ihn spontan, ob ich ihn ein paar Minuten sprechen könne, nachdem ich mich zurückgewogen und für das nächste Rennen umgezogen hätte. Er sagte so ziemlich nach Vaughnley-Art liebenswürdig »Jederzeit« und wartete auch wie versprochen, als ich herauskam.

Wir unterhielten uns ein wenig über seinen Sieg, der noch ganz seine Gedanken einnahm, und dann fragte er, was ich wünschte. Ich hätte gern Antwort auf einige Fragen, sagte ich, aber ich wüßte nicht recht, ob er sie mir geben könne oder geben würde.

»Schießen Sie los«, sagte er. »Ich höre.«

Ich erzählte ihm von den Zeitungsangriffen gegen Bobby und Maynard, und zu meiner Überraschung nickte er.

»Davon habe ich gehört, ja. Was sind Ihre Fragen?«

»Nun, erstens, ob man Maynard wirklich für die Adelsverleihung in Betracht gezogen hat, und zweitens, wenn ja, wer hätte davon gewußt?«

Er lachte halb. »Sie verlangen gar nicht viel, was?« Er schüttelte den Kopf. »Ämter und Würden sind nicht mein Fach.« Er blickte in den Himmel und herunter auf die Farben, die ich trug; inzwischen waren es die der Prinzessin. »Was würde es Ihnen nützen, das herauszufinden?«

»Ich weiß es nicht«, sagte ich offen. »Aber irgend jemand sollte Bobby und meine Schwester entschädigen.« »Hm. Warum hören die sich nicht selbst um?«

Ich sagte verständnislos: »Das können die doch nicht.«

»Die nicht, aber Sie schon.« Seine Augen waren halb abschätzend, halb amüsiert.

»Diese Zeitungsartikel waren vorsätzlich unfair«, sagte ich entschieden. »Bobby und meine Schwester sind sanfte, wohlmeinende Leute, die sich im Trainerhandwerk um Erfolg bemühen und niemandem Schaden zufügen.«

»Und daß sie in der Zeitung angegriffen wurden, bringt Sie auf?«

»Ja. Ginge es Ihnen nicht so?«

Er dachte darüber nach. »Wenn meine Tochter angegriffen würde, ja.« Er nickte kurz. »Ich verspreche nichts, aber ich werde nachhören.«

»Schönen Dank«, sagte ich.

Er lächelte, wandte sich zum Gehen und meinte: »Gewinnen Sie nächstes Mal wieder für mich.«

Ich sagte, ich wolle es hoffen, und fragte mich, wieso ich Bobby als sanft beschrieben hatte, wo doch die Spuren seiner Fäuste auf meinem Körper verstreut waren, zwischen den dunkelroten Grüßen der Hürdenpferde. Bobby war wie der Wind, die Ruhe vor dem Sturm.

Ich ging zurück in den Ankleideraum, um Sturzkappe und Peitsche zu holen, und dann wieder hinaus in den Führring, zum sechsten und letzten Lauf des Tages, dem 2-Meilen-Jagdrennen für Sieglose.

»Total zum Fürchten«, meinte Danielle, die dort stand.

»Was denn?« fragte ich.

»Wir sind mit dem Sanitätswagen zu einem von den Hindernissen gefahren. Wir standen direkt daneben und sahen zu, wie sie sprangen. Dieses Tempo ... so schnell ... von der Tribüne kriegt man das nicht mit.«

»In dem 3-Meilen-Jagdrennen«, sagte die Prinzessin nickend.

»Der Sanitäter sagte, sie gehen da alle mit über 50 Stundenkilometern drüber. Er sagt, sie sind wahnsinnig. Er hat ganz recht.«

Die Prinzessin fragte mich, ob ich glaubte, die vier heute vollmachen zu können, aber ich hielt es für unwahrscheinlich; dieser hier, Dhaulagiri, hatte nicht soviel Talent wie Kinley.

»Da reitet eine Frau mit«, bemerkte Danielle, als sie die anderen Jockeys, die in Gruppen mit den Besitzern zusammenstanden, beobachtete. Sie sah mich ohne Koketterie an. »Was denken Sie, wenn Sie in einem Rennen von einer Frau besiegt werden?«

»Daß sie ein schnelleres Pferd hatte.«

»Autsch.«

Die Prinzessin lächelte, gab aber keinen Kommentar. Sie wußte, daß ich nicht gern gegen die sehr wenigen Frauen antrat, die berufsmäßig über Hindernisse ritten; nicht aus Furcht vor männlichen Egokrisen, sondern weil ich von meinem Beschützergeist nicht loskam. Ein männlicher Gegner konnte schon seine Püffe abbekommen, aber ich hatte nie gelernt, hart gegen eine Frau zu reiten; und zudem gefiel mir die Vorstellung nicht, was Stürze und Pferdehufe ihrem Gesicht und ihrem Körper antun könnten. Die Rennreiterinnen verachteten meine Rücksichtnahme und nutzten sie zu ihrem Vorteil, wenn sie konnten.

Dhaulagiri sah gut aus, fand ich, als ich beobachtete, wie er herumging. Besser als bei meiner Arbeit mit ihm in der Vorwoche. Straffer. Ein neuer, schlanker Muskelstrang an der Lende. Etwas in der Kopfhaltung.

»Was ist, Kit?« fragte die Prinzessin.

Ich blickte von dem Pferd zu ihrem forschenden Gesicht. »Er hat sich herausgemacht seit letzter Woche«, sagte ich.

»Wykeham hatte den Eindruck, daß er über Hindernisse lieber geht als über Hürden.«

»Ja, das tut er.«

Ihre Augen lächelten. »Sie meinen also ...?«:

»Es wäre doch nett, nicht wahr?«

»Ungemein«, sagte sie.

Ich nickte und ging auf Dhaulagiri zum Start hinunter, und auf merkwürdige Art und Weise schien es für das Pferd genauso ein Bummel zu sein wie für mich. Drei Siege versetzten mich in euphorische Hochstimmung. Dhaulagiri konnte springen. Warum also - warum, verdammt noch mal, sollten die vier nicht voll werden? Dhaulagiri sprach auf die Stimmung seines Reiters an, wie es alle Pferde tun. Ich glaube, an diesem Nachmittag wäre Dhaulagiri leichten Herzens von einer Klippe gesprungen, wenn ich ihn dazu aufgefordert hätte.

Das war nicht die klügste Taktik bei einem Pferd, das zum erstenmal über die größeren Hindernisse ritt, und Wykeham hätte sie wohl auch mißbilligt, aber Dhaulagiri und ich gingen die vollen zwei Meilen hindurch aufs Ganze, und am Ziel dachte ich zum beinah tausendsten Mal in meinem Leben, daß es nichts gab, was sich mit der geteilten, intensiven Freude am Sieg vergleichen ließ. Besser vielleicht, aber vergleichbar, nein. Ich lachte laut, als wir zum Stehen kamen.

Die Heiterkeit hielt auf dem ganzen Rückweg zum Umkleideraum an, bis hinein in die Dusche und wieder heraus, und sie ließ nur unwesentlich nach, als mein Jockeydiener mir einen Stoffgurt reichte, der bis zum Reißverschluß vollgestopft war mit Bobbys Geld. Jockeydiener reinigten die Reithosen der Jockeys, brachten ihre

Sättel und sonstigen Habseligkeiten von Rennbahn zu Rennbahn, fanden sich täglich mit den sauberen Sachen ein. Darüber hinaus waren sie das Nachrichtensystem, das Maschinenöl, die Tröster und die Bank. Mein Jockeydiener sagte, er werde mir den Geldgurt, den er selbst an freien Tagen benutzte, ausleihen, da ihm der Gedanke, daß ich sonst womöglich alle diese Tausender in den Taschen herumschleppte, nicht behage.

Bobby, dachte ich seufzend. Ich würde nach Bletchley fahren und mein Zeug im Goldenen Löwen abholen, dann weiter nach Newmarket, um Bobby das Geld zu bringen, damit er am nächsten Tag zur gewohnten Zeit seine Pfleger bezahlen und den Rest in seinem Safe verstauen konnte. Ich würde dort übernachten und morgen früh direkt nach Ascot fahren.

Ich schnallte mir den Gurt auf die Haut und knöpfte mein Hemd darüber; der Jockeydiener nickte beifällig. Es sei nichts zu sehen, sagte er.

Ich dankte ihm für seine Unterstützung, zog mich fertig an und ging hinaus zu einem relativ kurzen Gespräch mit der Prinzessin, deren Augen hinter den beschirmenden Wimpern immer noch sprühten.

Vage hatte ich daran gedacht, Danielle zu fragen, ob sie zur Feier meines vierfachen Sieges am Abend mit mir essen ginge, doch das erledigte sich von selbst, als sie sagte, sie müsse wieder um halb sieben im Büro sein und sie würden jeden Moment nach London aufbrechen.

»Arbeiten Sie auch am Wochenende?« fragte ich.

»Nein.«

»Könnte ... ehm, kann ich Sie für Samstag abend einladen?«

Sie blickte zu ihrer Tante, und ich ebenfalls, doch wie üblich konnte man dem Gesicht der Prinzessin nichts ansehen, was sie nicht zu erkennen geben wollte. Ich spürte jedoch keinen innerlichen Rückzug bei ihr, und ihre Nichte offenbar auch nicht.

»Ja«, sagte Danielle. »Sie können. Ich komme nach Ascot. Nach den Rennen könnten wir was planen.«

Ungewöhnlich. Sie verstand. Allerdings hatte sie vor zwei Tagen ja auch erlebt, wie ihre Fahrt von Devon nach London sich an der dritten Hürde beinah in Luft auflöste. Zwei Tage. Auch das war ungewöhnlich. Ich schien sie schon länger zu kennen.

»Morgen in Ascot«, sagte die Prinzessin und gab mir zum Abschied die Hand. »Wie lange können wir weitersiegen?«

»Bis Weihnachten.«

Sie lächelte. »Christmas Fielding.«

»Ja.«

Danielle sagte: »Was meint ihr mit Christmas Fielding?«

»So heiße ich«, sagte ich.

»Was? Also ich weiß, daß auf den Anzeigetafeln C. Fielding steht, aber ich war der Meinung, Kit stünde für Christopher.«

Ich schüttelte den Kopf. »Wir wurden am Morgen des ersten Weihnachtstages geboren. Christmas und Holly. Über elterlichen Geschmack läßt sich nicht streiten.«

Wärme lag in ihren Augen wie auch in denen der Prinzessin. Ich ließ sie allein, weil sie sich noch bei ihren Gastgebern für den Tag bedanken wollten, ehe sie nach Hause fuhren, und ging in tiefer Zufriedenheit hinaus zu meinem Wagen.

Bei seinem Anblick schlug die Zufriedenheit weitgehend in Zorn um. Alle vier Reifen waren platt, das Fenster auf der Fahrerseite eingeschlagen, die Kofferraumhaube stand

halb offen. Ich sagte laut und wie auf Kommando etwa vier Schimpfwörter, dann zuckte ich die Achseln und machte kehrt, um vom Rennplatz aus zu telefonieren. Die A.A.-Straßenwacht konnte das erledigen. Ich konnte mir einen Wagen mieten. Die Sachen, um die ich Angst gehabt hatte, waren sicher im Goldenen Löwen, und wenn die Vandalen danach gesucht hatten, war das ihr Pech.

Die meisten Besucher waren schon weg, aber einige Autos standen noch auf dem Parkplatz, ein oder zwei Leute liefen herum. Ich dachte vor allem an die entstandenen Unannehmlichkeiten und achtete kaum auf etwas anderes, und ganz plötzlich sagte eine Stimme an meinem linken Ohr: »Stehenbleiben, Fielding«, und ein zweiter Mann drängelte sich mit der gleichen Botschaft an meinen rechten Ellenbogen.

Ich stand still, zu überrumpelt, um an eine andere Möglichkeit zu denken.

Von beiden Seiten erreichte mich die Botschaft deutlich.

Drang durch meine Jacke, durch mein Hemd, in meine Haut, irgendwo über dem Geldgurt.

»So ist es recht«, sagte derjenige, der mich angesprochen hatte.

»Wir hätten von Ihnen gern ein paar Sachen zurück. Sie wollen sich doch nicht schneiden, oder?«

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