Kapitel 20

Ich kehrte ihm den Rücken zu.

Ich wollte nicht sehen, wie er es machte; unser Leben zerstörte, meins und seins, das von Holly und dem Baby. Wenn er es tat, würde ich nicht dabei zusehen.

Zeit verging, dehnte sich, unmeßbar. Danielle, dachte ich.

Ich hörte eine Stimme, dicht hinter meiner Schulter.

»Kit ...«

Ich stand stockstill. Sie können ihm nicht viel Angst einjagen, hatte Holly gesagt. Bobby mit Pistole ängstigte mich bis zur Bewegungslosigkeit und Verzweiflung.

Er kam um mich herum, so bleich, wie ich wahrscheinlich selber war. Er sah mir ins Gesicht. Er hielt die Pistole in der flachen Hand, nicht schußbereit, und legte sie in meine.

»Verzeih mir«, sagte er.

Ich konnte nicht sprechen. Er wandte sich hilflos ab und ging auf die Tür zu. Dort erschien Holly mit fragenden Augen, und er umfing sie und drückte sie an sich, als hätte er ein Erdbeben überstanden, und das hatte er wohl auch.

Ich hörte ein leises Geräusch hinter mir, drehte mich um und sah Maynard herankommen. Sein Gesicht war verschwitzt, seine Zähne entblößt, die charmante Maske abgestreift. Ich hielt die Pistole im Anschlag, und er sah sie in meiner Hand und machte einen Schritt zurück, dann noch einen und noch einen, angsterfüllt, blaß.

»Sie haben Ihren eigenen Sohn«, sagte ich bitter, »zum Mord angestiftet. Ihn einer Gehirnwäsche unterzogen.«

»Es wäre ein Unfall gewesen«, erwiderte er.

»Daß ein Allardeck einen Fielding umbringt, wäre nicht als Unfall durchgegangen.«

»Ich hätte es beeidet«, sagte er.

Ich verabscheute ihn. Ich sagte: »Gehen Sie ins Wohnzimmer«, und ich trat zurück, um ihn durchzulassen, wobei ich die Waffe ständig auf ihn gerichtet hielt.

Er hatte nicht den Mut gehabt, selbst auf mich zu schießen. Bobby dazu zu bringen . das war ein schlimmes Verbrechen.

Es war kein guter Einfall gewesen, ihn mit dem ausdrücklichen Ziel herbeizulocken, mich ein für allemal loszuwerden. Beinah wäre es ihm geglückt. Meine eigene Dummheit.

Wir gingen den Flur entlang und in das Wohnzimmer. Alle waren dort. Pollgate, Erskine und Lord Vaughnley standen in der Mitte; Bobby und Holly, die sich immer noch umschlungen hielten, auf der einen Seite. Ich ging da hinein mit dem Gefühl, einen Käfig voller Tiger zu betreten, und Holly meinte später, ich hätte mit der Waffe in der Hand so gefährlich ausgesehen, daß sie in mir kaum ihren Bruder wiedererkannte.

»Setzen Sie sich«, sagte ich. »Sie«, ich wies auf Maynard, »da drüben in den letzten Sessel.« Es war ein tiefer Sessel, der einen einhüllte, nicht gut geeignet, um plötzlich daraus hervorzuschnellen. »Sie als nächstes, neben ihn«, sagte ich zu Erskine.

»Dann Lord Vaughnley, auf das Sofa.«

Pollgate sah auf den freien Platz neben Lord Vaughnley und nahm ihn schweigend ein.

»Holen Sie das Betäubungsgerät heraus«, sagte ich zu ihm.

»Legen Sie es auf den Boden. Schieben Sie es mit dem Fuß hierher.«

Ich merkte ihm die Weigerung an, sah sie in seinen Augen. Dann zuckte er die Schultern, nahm den flachen schwarzen Kasten heraus und tat, was ich gesagt hatte.

»Gut«, sagte ich, »Sie werden sich jetzt alle ein Video ansehen.« Ich blickte auf die Pistole hinunter. »Ich bin kein guter Schütze. Ich weiß nicht, was ich treffen würde. Also bleiben Sie sitzen.«

Ich hielt den Anorak in Bobbys Richtung. »Das Band steckt in einer von den Taschen.«

»Jetzt einlegen?« sagte er, als er es fand und herausholte. Seine Hände zitterten, seine Stimme war unsicher. Verdammter Maynard, dachte ich.

»Ja, jetzt«, sagte ich. »Holly, zieh die Vorhänge zu, und mach eine Lampe an, es wird dunkel sein, bevor wir durch sind.«

Keiner sprach, während sie den kühlen Tag aussperrte, während Bobby das Videogerät und den Fernseher anschaltete und das Band einschob. Pollgate sah übellaunig auf den Anorak, den Bobby auf einen Sessel gelegt hatte, und Lord Vaughnley blickte auf die Pistole, in mein Gesicht und wieder weg.

»Fertig«, sagte Bobby.

»Laß es laufen«, sagte ich, »und du und Holly, setzt euch und seht zu.«

Ich schloß die Tür und lehnte mich dagegen, wie Lord Vaughnley es im Guineas getan hatte, und das Gesicht von Maynard erschien hell und klar und lächelnd auf dem Fernsehschirm.

Er machte Anstalten, sich aus dem Sessel zu hieven.

»Hinsetzen«, sagte ich einfach.

Er mußte erraten haben, daß jetzt die Aufzeichnung kam, die er unterdrückt zu haben glaubte. Er sah auf die Pistole in meiner Hand. Schätzte die Entfernung ab, die er überwinden müßte, um an mich heranzukommen, und ließ sich in die Polster sinken, als fühlte er sich auf einmal zu schwach.

Das Interview nahm seinen Lauf und schritt von glatter Höflichkeit zu offenem Angriff fort, und Lord Vaughnley öffnete leicht den Mund.

»Sie haben das noch nicht gesehen?« fragte ich ihn.

Er sagte: »Nein, nein«, die Augen unentwegt auf dem Bildschirm, und ich nahm an, daß Rose es nicht für nötig gehalten hatte, an den beiden Tagen, die es sich im Town-crier-Gebäude befand, mit ihrem stibitzten Band zu dem Verleger zu rennen.

Ich beobachtete alle ihre Gesichter, während sie zusahen. Maynard blaß, Erskine ausdruckslos, Lord Vaughnley fasziniert, Pollgate mit zunehmend lebhaftem Interesse, Bobby und Holly entsetzt. Bobby, dachte ich kläglich, standen ein paar böse Überraschungen bevor. Es konnte nicht sehr lustig sein, herauszufinden, daß der eigene Vater soviel grausamen Schaden angerichtet hatte.

Das Interview endete, und weiter ging es mit den Perrysides, die erzählten, wie sie Metavane verloren hatten, danach mit George Tarker und dem Selbstmord seines Sohnes, dann mit Hugh Vaughnley, der darum bat, nach Hause zu dürfen, und schließlich kam wieder Maynard, selbstgefällig lächelnd.

Auf mich war die Wirkung des Ganzen immer noch stark, und bei den anderen rief es eine Art Scheintod hervor. Ihre Mienen am Ende der dreiundsiebzig Minuten waren alle gleich, völlige Versunkenheit und angestrengte Augen, und ich glaube, Joe wäre mit dem Erfolg seiner Bearbeitung und der Schlagkraft der abschließenden Stille zufrieden gewesen.

Der Prozeß war vorbei: der Angeklagte überführt. Nur das Urteil blieb noch zu verkünden.

Der Bildschirm ging von Schwärze zu Schnee über, und niemand rührte sich.

Ich löste mich von der Tür, ging hinüber und schaltete den Apparat aus.

»Gut«, sagte ich, »jetzt hören Sie zu.«

Die Augen von ihnen allen waren mit ungeteilter Konzentration auf mich gerichtet, die von Maynard vor Demütigung getrübt, sein ganzer Körper schlaff und tief im Sessel.

»Sie«, sagte ich zu Lord Vaughnley, »und Sie«, sagte ich zu Nestor Pollgate. »Sie oder Ihre Zeitungen werden jeder an Bobby die Summe von fünfzigtausend Pfund als Entschädigung zahlen. Sie werden hier und jetzt, in diesem Raum, vor Zeugen Ihr schriftliches Versprechen geben, das Geld innerhalb drei Tagen zu bezahlen, und dieses Versprechen wird rechtskräftig und bindend sein.«

Lord Vaughnley und Nestor Pollgate blickten nur starr.

»Und als Gegenleistung«, sagte ich, »bekommen Sie die Lauschanlage und die sonstigen Beweise für Jay Erskines kriminelle Umtriebe. Sie bekommen mein völliges Stillschweigen, was Ihre verschiedenen Angriffe auf mich und mein Eigentum betrifft. Sie bekommen den Bankwechsel über dreitausend Pfund zurück, der jetzt im Safe meines Bankers deponiert ist. Und Sie bekommen das Band, das Sie gerade gesehen haben.«

Maynard entfuhr ein gequältes »Nein« als Protest, und niemand achtete darauf.

»Sie«, sagte ich zu Maynard, »werden Ihr schriftliches Versprechen geben, Bobby innerhalb von drei Tagen die Summe von zweihundertfünfzigtausend Pfund zu bezahlen, womit die Überziehungen und die Darlehen und Hypotheken auf dieses Haus und die Stallungen getilgt werden können, die Sie und Ihr Vater sich von Bobby haben bezahlen lassen und die ihm rechtmäßig als Erbe zustehen.«

Maynard öffnete den Mund, brachte aber keinen Ton heraus.

»Sie werden außerdem«, sagte ich, »Major Perryside und seiner Frau den einen Anteil geben, den Sie noch an Metavane haben.«

Er begann schwach den Kopf zu schütteln.

»Und als Gegenleistung«, sagte ich, »bekommen Sie von mir die Zusicherung, daß nicht plötzlich zahlreiche Kopien von diesem Band an lauter empfindlichen Stellen gleichzeitig auftauchen, wie etwa beim Vorstandsvorsitzenden des Jockey-Clubs oder bei den Schirmherren der Beamtenhilfsorganisation, deren neuer Vorsitzender Sie sind, oder an einem Dutzend Stellen in der Londoner Geschäftswelt.« Ich hielt inne. »Wenn Bobby das Geld sicher auf der Bank hat, sind Sie auch vor mir sicher. Aber diese Sicherheit wird stets davon abhängen, daß Sie weder Bobby und Holly noch mir künftig Schaden zufügen. Die Bänder werden immer existieren.«

Maynard fand seine Stimme wieder, rauh und erschüttert.

»Das ist Nötigung«, sagte er heiser. »Es ist Erpressung.«

»Es ist Gerechtigkeit«, sagte ich.

Schweigen trat ein. Maynard sank klein und häßlich im Sessel zusammen, und weder Pollgate noch Lord Vaughn-ley sagte irgend etwas.

»Bobby«, sagte ich, »nimm das Band aus dem Recorder, bring es außerhalb des Zimmers irgendwo in Sicherheit und hol Schreibpapier für die Schuldscheine.«

Bobby erhob sich langsam, wie benommen.

»Sie sagten doch, wir könnten das Band haben«, wandte Pollgate ein.

»Können Sie auch, sobald Bobby bezahlt ist. Wenn das Geld bis Freitag sicher auf der Bank liegt, dann bekommen Sie’s zusammen mit Erskines Rettung vor der Haftstrafe.«

Bobby brachte das Band weg, und ich betrachtete die ausdruckslosen Gesichter von Pollgate und Lord Vaughn-ley und fand, daß sie viel zu ruhig waren. Maynard, der mich finster von seinem Sessel aus anstarrte, war dagegen einfach, seine Reaktion die erwartete. Erskine sah so kalt aus wie gewohnt, nur fehlte das Grinsen, und das war ein Fortschritt.

Bobby kam mit einigen großen Bogen von dem Kopfpapier wieder, das er für Rechnungen an die Besitzer verwendete. Er gab Nestor Pollgate und Lord Vaughnley je ein Blatt, und steifbeinig, indem er den Arm so weit wie möglich ausstreckte, gab er mit abgewandtem Kopf das dritte seinem Vater, dem er nicht ins Gesicht sehen mochte.

Ich musterte die drei, wie sie dort steinern mit den leeren Blättern saßen, und mehrere zusammenhanglose Wörter und Wendungen stellten sich in meinem Kopf ein.

»Warten Sie«, sagte ich. »Schreiben Sie noch nicht.«

Die Worte waren »ungültig« und »durch Drohung erlangt« und »ungültig, da mit vorgehaltener Waffe erzwungen«.

Ich fragte mich, ob der Gedanke mir von selbst gekommen oder irgendwo anders in diesem Raum entstanden war, und ich betrachtete aufmerksam die Gesichter, eines nach dem anderen, suchte in ihren Augen.

Nicht Maynard. Nicht Erskine. Nicht Lord Vaughnley.

Nestor Pollgates Augenlider zuckten.

»Bobby«, sagte ich, »heb den schwarzen Kasten da vom Boden auf und wirf ihn aus dem Fenster, in den Garten.«

Er sah verwirrt drein, tat aber, was ich verlangte, so daß die Novemberluft mit einem kräftigen Stoß durch die Vorhänge in das Zimmer fuhr.

»Jetzt die Pistole«, sagte ich und gab sie ihm.

Er nahm sie vorsichtig, warf sie hinaus und schloß das Fenster wieder.

»Gut«, sagte ich und schob meine Hände bewußt in die Hosentaschen, »Sie alle haben die Vorschläge gehört. Wenn Sie damit einverstanden sind, schreiben Sie bitte die Scheine.«

Eine ganze Weile rührte sich niemand. Dann streckte Lord Vaughnley seinen Arm nach dem Couchtisch vor ihm und ergriff eine Illustrierte, um eine Unterlage zu haben. Mit leicht gespitztem Mund, aber unverändert ruhig zog er einen Kuli aus der Innentasche seines Jacketts, knipste ihn an, schrieb einen kurzen Satz, unterzeichnete mit seinem Namen und fügte das Datum hinzu.

Er hielt das Schreiben Bobby hin, der zögernd vortrat und es an sich nahm.

»Lies vor«, sagte ich.

Bobbys Stimme sagte zitternd: »Ich verpflichte mich, Robertson Allardeck innerhalb der nächsten drei Tage fünfzigtausend Pfund zu zahlen.« Er blickte zu mir hoch. »Es ist unterschrieben mit William Vaughnley, und das Datum ist von heute.«

Ich sah Lord Vaughnley an.

»Danke«, sagte ich ausdruckslos.

Er gab die Illustriertenunterlage Nestor Pollgate und bot ihm seinen Kugelschreiber an. Nestor Pollgate nahm beides mit völlig unbewegtem Gesicht und schrieb ebenfalls.

Bobby ließ sich das Papier von ihm geben, warf mir einen Blick zu und las laut: »Ich verpflichte mich, Robertson Allardeck innerhalb der nächsten drei Tage fünfzigtausend Pfund zu zahlen. Unterschrieben Nestor Pollgate. Datiert von heute.«

»Danke«, sagte ich zu Pollgate.

Bobby blickte etwas benommen auf die beiden Dokumente, die er in der Hand hielt. Damit war er von den Schulden für die unverkauften Jährlinge befreit, dachte ich. Alles, was er jetzt für sie bekommen würde, wäre ein Gewinn.

Lord Vaughnley und Jay Erskine reichten wie in einem Ritual die Illustrierte und den Kuli an Maynard weiter.

Der schrieb wütend, stieß den Kugelschreiber hart auf das Papier. Ich nahm ihm die fertige Seite selber ab und las vor: »Ich verpflichte mich, meinem Sohn Robertson innerhalb von drei Tagen zweihundertfünfzigtausend Pfund zu zahlen. Maynard Allardeck. Heutiges Datum.«

Ich schaute ihn an. »Danke«, sagte ich.

»Danken Sie mir nicht. Ihr Dank ist eine Beleidigung.«

Ich war in der Tat darauf bedacht, keinen Triumph zu zeigen, obwohl ich ihn in diesem Fall empfand; und reuig mußte ich mir eingestehen, daß in dem Triumph eindeutig etwas von der alten Fehde mitschwang. Ein Fielding hatte einen Allardeck besiegt, und meine Vorväter dürften sich diebisch gefreut haben.

Ich gab Bobby den Schein von Maynard. Damit war er von allen seinen Schulden befreit und auf eine sichere Grundlage gestellt, um seinen Lebensunterhalt als Trainer zu verdienen, und er hielt das Papier ungläubig in der Hand, als erwartete er, daß es sich vor seinen Augen in Luft auflöste.

»Nun, meine Herren«, sagte ich vergnügt, »Wechsel bis Freitag, und Sie werden die Scheine ordnungsgemäß quittiert zurückerhalten.«

Maynard stand auf. Sein graumeliertes Haar war noch glatt, sein Gesicht grimmig ruhig, sein teurer Anzug saß unzerknittert; die äußere Schale intakt, der Mann darin in Fetzen.

Er sah niemand an, wich allen Blicken aus. Er trat zur Tür, öffnete sie, ging hinaus, ohne zurückzuschauen. Stille dehnte sich nach seinem Abgang wie das Schweigen am Ende des Videobandes; die Ungeheuerlichkeit Maynards verschlug einem die Sprache.

Nestor Pollgate erhob sich, groß, stirnrunzelnd, mit ungebrochener Kraft. Er sah mich ernst an, gab mir ein einziges kurzes Nicken und sagte zu Holly: »Wie komme ich hinaus?«

»Ich zeige es Ihnen«, erwiderte Holly leise und ging ihm voran auf den Flur.

Erskine folgte mit verkniffenem Gesicht, wobei der gesträubte rötliche Schnurrbart gleichsam seinen bleibenden, unbeugsamen Haß auf die anzeigte, denen er geschadet hatte.

Bobby ging hinter ihm her, trug behutsam die drei Scheine, als wären sie zerbrechlich, und als letzter erhob sich Lord Vaughnley zum Gehen. Er schüttelte den Kopf, zuckte mit den Schultern und breitete die Hände in einer Art Verlegenheit.

»Was kann ich sagen?« meinte er. »Was soll ich sagen, wenn ich Ihnen auf der Rennbahn begegne?«

»Guten Morgen, Kit«, sagte ich.

Die grauen Augen lächelten fast, ehe die Befangenheit zurückkehrte. »Ja, aber«, sagte er, »nach dem, was wir mit Ihnen im Guineas gemacht haben ...«

Ich zuckte die Achseln. »Kriegerschicksal«, sagte ich. »Ich nehme es nicht übel, falls Sie das meinen. Ich hatte der Flag den Krieg erklärt. Suchst du den Kampf, klag nicht über die Wunden.«

Er sagte neugierig: »Ist das auch Ihre Einstellung zum Rennreiten? Sehen Sie so das Leben?«

»Ich hatte zwar nicht daran gedacht, aber vielleicht ja.«

»Es tut mir trotzdem leid«, sagte er. »Ich hatte keine Ahnung, wie das ist. Jay Erskine hatte das Betäubungsgerät . er meinte, zwei kurze Schocks, und Sie wären kirre. Ich glaube, Nestor war sich selbst nicht darüber klar, wie schlimm das sein würde.«

»Ja«, sagte ich trocken, »aber einverstanden war er.«

»Das lag daran«, erklärte Lord Vaughnley mit einigem Eifer, Verständnis heischend, vielleicht Absolution erhoffend, »daß Sie seine ganzen Drohungen mißachtet haben.«

»In bezug aufs Gefängnis?« sagte ich.

Er nickte. »Sam Leggatt hat ihn gewarnt, Sie seien zu intelligent . er sagte, ein Versuch, Ihnen was anzuhängen, könne nach hinten losgehen, Sie würden die Flag und Nestor selbst in allergrößte Schwierigkeiten bringen ... David Morse, ihr Anwalt, war der gleichen Meinung, und so ließ er den Plan fallen. Das habe ich von Sam Leggatt. Aber Sie müssen Nestor verstehen. Er stößt nicht gern auf Widerstand. Er sagte, er lasse sich nicht von irgendeinem ... ehm ... Jockey unterkriegen.«

Kraftwörter gestrichen, dachte ich belustigt.

»Sie waren nicht zu packen«, sagte er. »Nestor wurde ungeduldig.«

»Und er ließ mein Telefon abhören?«

»Ehm, ja.«

»Mm«, sagte ich. »Ist es Maynard Allardeck, der versucht, den Towncrier zu übernehmen?«

Er blinzelte, sagte: »Ehm -« und fing sich wieder. »Sie haben sich’s gedacht?«

»Es schien wahrscheinlich. Maynard hat die Hälfte von Hughs Anteilen durch einen Trick an sich gebracht. Ich dachte, es könnte immerhin sein, daß er auf das Ganze aus ist.«

Lord Vaughnley nickte. »Eine Gesellschaft ... Allardeck steht hinter ihr. Als Hugh alles erzählt hatte, nahm ich mir Leute, um Allardecks Verbindungen zu untersuchen. Sie sollten einfach Dreck ans Licht fördern. Bis dahin hatte ich keine Ahnung, daß ihm dieses Unternehmen gehört ... sein Name war nicht aufgetaucht. Ich wußte lediglich, daß es die gleiche Gesellschaft war, die vor einem Jahr beinahe die Flag erworben hätte. Sehr aggressiv. Es hat Nestor ein Vermögen gekostet, sie zu überbieten; weit mehr, als er sonst hätte bezahlen müssen.«

Mein lieber Schwan, dachte ich.

»Als Sie dann herausfanden, daß letztlich Maynard der Feind war«, sagte ich, »und zudem wußten, daß man ihn vor kurzem für die Adelsverleihung vorgeschlagen hatte, dachten Sie sich, Sie könnten wenigstens da einen Riegel vorschieben, und baten so nebenbei Pollgate, das in der Flag zu machen?«

»Nicht ganz so nebenbei. Nestor sagte, er übernehme das mit Vergnügen, wenn es Allardeck sei, der ihn soviel gekostet habe.«

»Haben Sie sich gar nicht überlegt, in was für eine höllische Situation Sie Bobby damit bringen?« »Erskine stellte fest, daß an Allardecks Telefonnetz nicht heranzukommen war ... sie entschieden sich für seinen Sohn.«

»Skrupellos«, sagte ich.

»Ehm . ja.«

»Und überaus gemein, die ganzen Zeitungsexemplare an Bobbys Lieferanten zu verteilen.«

Er sagte, ohne sich groß zu entschuldigen: »Nestor fand, so würde die Geschichte mehr Staub aufwirbeln. Und das hat sie.«

Wir gingen langsam vom Wohnzimmer auf den Flur. Er hatte mir eine Frage beantwortet, die ich nicht gestellt hatte: Wo die Allianz begann. In der gemeinsamen Feindschaft gegenüber Maynard, der sie beide viel gekostet hatte.

»Werden Sie das Band benutzen«, fragte ich, »um Maynard jetzt lahmzulegen?«

Er warf mir einen Blick zu. »Das wäre Erpressung«, sagte er milde.

»Unbedingt.«

»Fünfzigtausend Pfund«, sagte er. »Für dieses Band ist das wenig.«

Wir gingen in die Küche und blieben nochmals stehen.

»Der Towncrier ist schon die dritte Zeitung«, sagte er, »die mit Allardecks Gesellschaft Ärger bekommen hat. Ein Blatt nach dem anderen. Er wird nicht aufgeben, bis er eins hat.«

»Er ist besessen«, sagte ich. »Und außerdem hat er sein Leben lang Macht über andere haben wollen ... sie sollten vor ihm kriechen. Er wollte Lord sein.«

Lord Vaughnley öffnete den Mund. Ich erzählte ihm von meinem Großvater und von Maynard mit neun. »Er hat sich nicht geändert«, sagte ich. »Er will das alles immer noch. Erst den Sir, dann den Lord. Und seien Sie unbesorgt, er bekommt sie nicht. Ich habe eine Kopie von dem Band dahin geschickt, wo der Brief Ihrer Stiftung hingegangen ist.«

Er war sprachlos. Schwach sagte er: »Woher wußten Sie von diesem Brief?«

»Ich habe ihn gesehen«, sagte ich. »Man hat ihn mir gezeigt. Ich wollte in Erfahrung bringen, wer wußte, daß Maynard Aussicht auf die Adelung hatte, und da war der Brief, und auf dem Brief war Ihr Name.«

Er schüttelte den Kopf - anscheinend über das Leben allgemein.

Wir gingen weiter durch die Küche und hinaus an die kalte Luft. Alle Lichter im Hof brannten, und einige Boxentüren standen offen, da die Pfleger wie gewohnt die Stallkontrolle vornahmen.

»Warum haben Sie zu verhindern versucht, daß ich mit Hugh spreche?« fragte ich.

»Ich war im Irrtum, das ist mir jetzt klar. Aber damals ... Sie bedrängten doch Nestor wegen einer hohen Entschädigung. Er wollte einfach, daß wir uns die Lauschanlage abholten und Sie zum Schweigen bringen.« Er streckte die Hände aus. »Sehen Sie, niemand kam auf den Gedanken, daß Sie all das tun würden, was Sie getan haben. Ich meine, da es uns nur darum ging, Allardeck in der Öffentlichkeit herabzusetzen, konnten wir das nicht voraussehen ... keiner hat auch nur an Sie gedacht, geschweige denn Sie als Faktor einbezogen. Kein Mensch ahnte, daß Sie für Ihren Schwager kämpfen würden oder daß Sie so sind ... wie Sie sind.«

Wir gingen über den Hof zu dem Auto, in dem Pollgate und Erskine warteten, schemenhafte Gestalten hinter Glas.

»Wenn ich Sie wäre«, sagte ich, »würde ich feststellen, ob Maynard die Buchmacherfirma gehört, bei der Hugh gewettet hat. Wenn ja, können Sie ihm ein Verfahren wegen Betrugs androhen und Hughs Anteile, glaube ich, zurückbekommen.«

Wir hielten ein paar Schritte vor dem Wagen an.

»Sie sind großzügig«, sagte er.

Wir standen uns gegenüber, wußten nicht, ob wir uns die Hand geben sollten oder nicht.

»Hugh hatte keine Chance gegen Maynard«, sagte ich.

»Nein.« Er schwieg. »Ich lasse ihn nach Hause kommen.«

Er sah mich ziemlich lange mit den grauen Augen an, resümierte im stillen vielleicht, wie ich selbst, wo wir standen.

Auch wenn es nicht seine Absicht gewesen war, hatte er die Angriffe auf Bobby in Gang gesetzt; doch letzten Endes würde Bobby dadurch sehr viel besser gestellt sein.

Wenn er seine Hand anbot, dachte ich, würde ich sie nehmen.

Zögernd, unsicher tat er genau das. Ich schüttelte sie kurz; ein Gruß, ein Friedensvertrag.

»Wir sehen uns bei den Rennen«, sagte ich.

Als sie fort waren, suchte ich die Pistole und das Betäubungsgerät vor dem Wohnzimmerfenster, und mit beidem in den Taschen ging ich zurück in die Küche, wo Bobby und Holly einen eher benommenen als glücklichen Eindruck machten.

»Tee?« sagte ich hoffnungsvoll.

Sie schienen es nicht zu hören. Ich setzte den Kessel auf und holte ein paar Tassen heraus.

»Kit ...«:, sagte Holly. »Bobby hat mir erzählt .« »Jaja ... also ... habt ihr eine Zitrone?«

Sie holte mir schweigend eine aus dem Kühlschrank und schnitt sie in Scheiben.

Bobby sagte: »Ich hätte dich beinahe umgebracht.«

Seine Verzweiflung, sah ich, hinderte ihn noch an der vollen Erkenntnis - und an der Freude darüber -, daß sich sein Glück gewendet hatte. Er wirkte immer noch blaß, immer noch angegriffen um die Augen.

»Du hast aber nicht«, sagte ich.

»Nein ... als du mir den Rücken zugekehrt hast, dachte ich, ich kann ihn doch nicht in den Rücken schießen ... nicht in den Rücken ... und ich wachte auf. Wie man aus einem Alptraum erwacht. Ich konnte nicht ... wie hätte ich denn . Ich stand da mit der Pistole, und mir grauste bei dem Gedanken, wie nahe dran ich gewesen war.«

»Du hast mich wahnsinnig erschreckt«, sagte ich. »Vergessen wir’s.«

»Wie können wir denn?«

»Ganz einfach.« Ich boxte ihn leicht auf den Arm. »Konzentrier dich, mein alter Freund, aufs Vaterwerden.«

Das Wasser im Kessel kochte, und Holly goß den Tee auf; und wir hörten ein Auto in den Hof fahren.

»Sie sind zurückgekommen«, sagte Holly bestürzt.

Wir gingen alle besorgt hinaus, um nachzusehen.

Das Auto war groß und auf verblüffende Weise vertraut. Zwei seiner Türen öffneten sich, und aus der einen stieg Thomas, der Chauffeur der Prinzessin, in seiner besten Uniform, und aus der anderen kletterte hastig Danielle.

»Kit ...« Sie lief und warf sich ungestüm in meine Arme, ihr Gesicht vor Angst und Sorge verzerrt. »Bist du ... bist du wirklich okay?«

»Ja. Du siehst es doch.«

Sie legte den Kopf an meine Schulter. Ich hielt sie fest und spürte, wie sie zitterte, und küßte sie aufs Haar.

Thomas öffnete eine dritte Tür des Wagens und half der Prinzessin heraus. Er hielt ihr den Zobelmantel hin, der sie in ihrem Seidenkostüm vor der Kälte schützen sollte.

»Es freut mich, Kit«, sagte sie ruhig, sich in den Pelz schmiegend, »zu sehen, daß Sie leben und gesund sind.« Sie blickte von mir zu Bobby und Holly. »Sie sind Bobby, Sie sind Holly, ist da richtig?« Sie streckte ihnen ihre Hand hin, die sie verwirrt schüttelten.

»Wir sind hier«, sagte sie, »weil meine Nichte Danielle darauf bestanden hat, daß wir kommen.« Sie erklärte, entschuldigte sich halb für ihre Anwesenheit. »Als ich nach dem Icefall-Lunch nach Hause kam«, sagte sie zu mir, »erwartete Danielle mich auf dem Gehsteig. Sie sagte, Sie befänden sich in größter Gefahr und Sie seien im Haus Ihrer Schwester in Newmarket. Sie konnte nicht sagen, woher sie das wußte, aber sie war sicher. Sie sagte wir müßten sofort hierherfahren.«

Bobby und Holly sahen verblüfft drein.

»Da ich weiß, daß es bei Ihnen, Kit, eindeutig Gedankenübertragung gibt«, sagte die Prinzessin, »und da Sie von den Lunch verschwunden waren und es hieß, Sie seien krank, und weil Danielle verzweifelt war ... sind wir gekommen. Und ich sehe, daß sie zumindest teilweise recht hatte. Sie sind hier, im Haus Ihrer Schwester.«

»Mit dem anderen hatte sie auch recht«, sagte Holly nüchtern.

»Er befand sich wirklich in Gefahr ... einen Sekundenbruchteil vor dem Tod.« Sie sah mir ins Gesicht. »Hast du da an sie gedacht?«

Ich schluckte. »Ja.«

»Mein lieber Schwan«, sagte Holly.

»Das sagt Kit auch«, bemerkte Danielle, die den Kopf von meiner Schulter hob und langsam die Fassung wiederfand. »Es ist unheimlich.«

»Ein alter Spruch von uns«, sagte Holly. Sie sah Danielle mit wachsendem Interesse und Verständnis an und lächelte sanft vor Vergnügen.

»Sie ist wie wir, nicht wahr?« sagte sie.

»Ich weiß nicht«, sagte ich. »Ich habe noch nie gewußt, was sie denkt.«

»Das kann jetzt anders sein«, erwiderte sie und sagte freundschaftlich zu Danielle: »Denken Sie an etwas. Mal sehen, ob er draufkommt.«

»Okay.«

Stille entstand. Der einzige Gedanke in meinem Kopf war, daß Telepathie unberechenbar war und nur manchmal auf Bestellung funktionierte.

Ich schaute die Prinzessin und Bobby und Holly an und sah in jedem ihrer Gesichter die gleiche Hoffnung, die gleiche Erwartung, die gleiche Erkenntnis, daß dieser Moment für unser aller Zukunft von Bedeutung sein könnte.

Ich lächelte in Danielles Augen. Ich wußte es mit Sicherheit.

»Staubdecken«, sagte ich.

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