Kapitel 3

Wie bitte?« sagte Bobby erstaunt.

Ich bemerkte sanft: »Ein Scheck ist nur ein Stück Papier, bis er durch die Bank gegangen ist.«

»Das ist Verleumdung!« brauste Graves auf, und sein ganzer Zorn brach wieder durch.

»Es ist eine Feststellung«, sagte ich.

Bobby stopfte schnell den Scheck in seine Hosentasche, als fürchte er, Graves würde ihn ihm zu entreißen versuchen - kein unbegründeter Verdacht angesichts der Feindseligkeit, mit der er konfrontiert war.

»Sobald der Scheck eingelöst ist«, sagte ich zu Graves, »können Sie die Pferde abholen kommen. Donnerstag oder Freitag dürfte es soweit sein. Bis dahin wird Bobby sie umsonst halten, aber wenn Sie sie bis Samstag nicht entfernt haben, wird er wieder Trainingsgebühren berechnen.«

Bobbys Mund klappte ein wenig auf und entschlossen wieder zu, und er ging ohne weitere Umstände zu dem Pferdetransporter. Graves eilte ihm laut protestierend ein paar Schritte hinterher, drehte dann ab, kehrte schreiend zu mir zurück und hüpfte praktisch vor mir auf der Stelle.

»Ich werde dafür sorgen, daß den Stewards das zu Ohren kommt!«

»Äußerst unklug«, sagte ich.

»Ich lasse den Scheck sperren.«

»Wenn Sie das tun«, erwiderte ich ruhig, »wird Bobby Sie auf die Zahlungsverzugsliste bringen.«

Diese schrecklichste aller Drohungen beendete Graves’ Getobe auf wunderbare Weise. Wer wegen nichtbezahlter Trainingsgebühren auf die Schuldnerliste des JockeyClubs gesetzt wurde, war unehrenhaft von allen Rennplätzen ausgeschlossen, und seine Pferde ebenso. Eine solche Schmach wollte Mr. Graves sich wohl doch nicht aufladen.

»Ich vergesse das nicht«, versicherte er mir grimmig. »Sie werden bereuen, daß Sie sich mit mir angelegt haben, dafür sorge ich.«

Bobby hatte das erste Pferd von Graves inzwischen ausgeladen und führte es zu seinem Stall hinüber, während der Bursche und der Fahrer die Rampe schlossen und sie verriegelten.

»Dann mal tschüs, Mr. Graves«, sagte ich. »Kommen Sie tagsüber wieder, und rufen Sie vorher an.«

Er warf mir einen stieren Blick zu und zog dann plötzlich die gleiche Nummer ab wie vorher - spitzte den Mund, kniff die Augen zusammen und unterdrückte abrupt seine Wut. Beim ersten Mal, als ich ihn ohne weitere Mätzchen den Scheck ausstellen sah, hatte ich durchschaut, daß er sich mit der Absicht trug, seiner Bank zu sagen, sie solle ihn nicht einlösen.

Jetzt sah es ganz so aus, als hätte er etwas anderes im Sinn. Die Frage war nur, was.

Ich beobachtete ihn, als er schweigend zu dem Transporter hinüberging, mit ungeduldiger Hand dem Burschen und dem Fahrer winkte und sie einstiegen hieß. Er selbst kletterte unbeholfen als letzter in die Fahrerkabine und schlug die Tür zu.

Der Motor sprang an. Das schwere Fahrzeug erbebte und rollte langsam aus dem Hof, wobei Graves unverwandt geradeaus schaute, als trüge er Scheuklappen.

Ich löste mich von der Stalltür und ging zu Bobby.

»Danke«, sagte er.

»Keine Ursache.«

Er blickte sich um. »Alles ruhig. Gehen wir rein. Es ist kalt.«

»Mm.«

Wir gingen zwei Schritte, und ich hielt an.

»Was ist?« fragte Bobby, sich umdrehend.

»Graves«, sagte ich. »Er ist zu friedlich weg.«

»Etwas anderes blieb ihm kaum übrig.«

»Er hätte weiterschreien und fuchteln und noch ein paar Drohungen nachschieben können.«

»Ich weiß nicht, worüber du dich aufregst. Wir haben seinen Scheck, und wir haben seine Pferde ... ehm, dank deiner Hilfe.«

Seine Pferde.

Die Luft in meinen Lungen entwich mit einem Stoß und löste sich als Dunst am Abendhimmel auf.

»Bobby«, sagte ich, »hast du irgendwelche leerstehenden Boxen?«

»Ja, im Stutenhof sind einige.« Er war verwirrt. »Warum?«

»Wir könnten doch Graves’ Pferde da unterbringen, findest du nicht?«

»Du meinst . er kommt vielleicht wieder?« Bobby schüttelte den Kopf. »Ich würde ihn hören. Vorhin hab’ ich ihn ja auch gehört, obwohl ich zugeben muß, daß

Glück dabei war, denn wir hätten auf einer Party sein sollen, aber die Lust war uns vergangen.«

»Kann Graves gewußt haben, daß ihr weg wolltet?« fragte ich.

Er sah verblüfft drein. »Das ist möglich. Die Einladung liegt auf dem Kaminsims im Wohnzimmer. Er kam letzten Sonntag auf ein Glas vorbei. Jedenfalls würde ich es hören, wenn noch mal ein Pferdetransporter kommt. Ist ja laut genug.«

»Und wenn er um drei Uhr früh auf dem Grasstreifen hinter eurem Tor parkt und die Pferde in Hufschuhen rausführt, um ihre Schritte zu dämpfen?«

Bobby machte ein ratloses Gesicht. »So weit würde er doch nicht gehen. So weit nicht. Oder?«

»Irgend etwas hat er vor. Das war ihm anzusehen.«

»Na schön«, sagte Bobby. »Wir quartieren sie um.«

Auf dem Rückweg zu dem Pferd, das ich bewacht hatte, sann ich darüber nach, daß Bobby ungemein zugänglich für Ratschläge war. Normalerweise faßte er jeden Vorschlag von mir als Kritik an seiner Person auf und wehrte ihn ab, indem er zwanzig Gründe fand, ihn nicht zu beherzigen - oder zumindest erst, wenn ich außer Sicht war und davon nichts mitbekam. Heute abend lag die Sache anders. Bobby mußte wirklich sehr besorgt sein.

Wir schafften Graves’ Pferde in Bobbys zweiten Stalltrakt hinter dem großen Viereckhof und brachten sie dort in zwei freien Boxen unter, die zufällig nicht nebeneinander lagen. Um so besser.

»Erkennt Graves seine Pferde auf Anhieb?« fragte ich Bobby; und das war keineswegs eine dumme Frage, denn viele Besitzer konnten es nicht.

»Ich weiß nicht«, meinte er zweifelnd. »Das kam nie zur Sprache.« »Mit anderen Worten«, sagte ich, »er erkennt sie immer daran, daß sie dort sind, wo er sie zu sehen erwartet?«

»Ja. Ich denke schon. Aber sicher ist das nicht. Er kennt sie vielleicht besser, als ich annehme.«

»Na ... wir wär’s dann, wenn wir eine Art Alarmvorrichtung anbringen?«

Bobby sagte nicht, auf keinen Fall, das sei nicht nötig, er sagte: »Wo?«

Unglaublich.

»An einer der Boxen, wo sie normalerweise drin sind«, sagte ich.

»Ja. Ich verstehe. Ja.« Er zögerte. »Was denn für ein Alarm? Ich habe keine Elektrogeräte hier. Wenn ich vor einem großen Rennen besonders strengen Schutz brauche, miete ich mir jemand mit einem Hund.«

Ich ließ in Gedanken rasch sein Haus und dessen Inhalt Revue passieren. Bratpfannendeckel? Backbleche? Irgend etwas zum Krachschlagen.

»Die Glocke«, sagte ich. »Deine alte Schulglocke.«

»Im Arbeitszimmer.« Er nickte. »Ich hole sie.«

Bobbys Arbeitszimmer enthielt ein paar Regale voll übersichtlich angeordneter Erinnerungen an sein tadelloses Vorleben: Kricketmützen, im Schulsport errungene Silberpokale, Mannschaftsfotos, einen Rugbyball ... und die Handglocke, die er als Aufsichtsschüler in seinem Internat lärmend geschwungen hatte, um die jüngeren Schüler ins Bett zu schicken. Bobby war einer von den standhaften Jungens gewesen, dank deren Teamgeist das britische Public-School-System funktioniert; daß er selbstzufrieden und etwas wichtigtuerisch daraus hervorgegangen war, lag wahrscheinlich daran, daß seine vielen guten Eigenschaften jedermann einschließlich ihm selbst offenbar waren.

»Bring einen Hammer mit«, sagte ich. »Und ein paar Krampen, wenn du hast. Sonst Nägel. Und eine reißfeste Schnur.«

»Gut.«

Er ging los und kam bald darauf wieder, in der einen Hand die Glocke, die er geräuschlos am Klöppel trug, und in der anderen einen Werkzeugkasten. Gemeinsam installierten wir die Glocke so nah wie möglich an Bobbys Haus und brachten sie so an, daß sie bei einem kräftigen Ruck an der Schnur, die um den Griff gebunden war, scheppernd heruntersegeln würde. Dann führten wir die Schnur durch eine lange Reihe von Krampen bis zu dem gewohnten Quartier eines der Pferde von Graves und befestigten das Ende außer Sicht an der Oberkante der geschlossenen Tür.

»Okay«, sagte ich. »Geh ins Haus. Ich öffne die Tür hier, und du siehst zu, ob du die Glocke hören kannst.«

Er nickte und ging, und nach einer längeren Pause machte ich die Stalltür auf. Die Glocke fiel mit zufriedenstellendem Radau, und als Bobby zurückkam, sagte er, sie würde die Toten aufwecken. Wir brachten sie wieder in ihre sturzgefährdete Position und gingen in seltener Einmütigkeit zusammen ins Haus.

Es hatte Fieldings und Allardecks länger im Rennsport gegeben, als irgend jemand sich erinnern konnte: zwei Familien mit einigem Land und einigem Geld und einem bitteren, anhaltenden Haß aufeinander.

Ein Fielding und ein Allardeck hatten mit Dolchen um die Gunst von König Charles dem Zweiten gekämpft, als dieser nicht in London, sondern in Newmarket Hof hielt und somit ausländische Gesandte zu einer beschwerlichen Kutschfahrt nach Nordosten zwang, wenn sie ihm Reverenz erweisen wollten.

Ein Allardeck hatte dreihundert Sovereigns in einem 2-Pferde-Rennen gesetzt, das auf Queen Annes eigener Rennbahn auf der Heide von Ascot stattfand, und sein Geld an einen Fielding verloren, der ermordet und ausgeraubt wurde, bevor er nach Hause kam.

In der Regentschaftszeit hatte ein Mr. Allardeck einen Mr. Fielding zu einem Querfeldeinrennen über furchterregende Sprünge herausgefordert, bei dem der Gewinner das Pferd des anderen erhalten sollte. Mr. Allardeck (der verlor) beschuldigte Mr. Fielding (den klaren Sieger), eine betrügerische Abkürzung genommen zu haben, und der Streit führte zu einem Pistolenduell im Morgengrauen, wo sie gezielt aufeinander schossen und beide an ihren Verletzungen starben.

Es hatte einen viktorianischen Herrenreiter namens Fielding gegeben, mit wildem Schnauzbart und noch wilderem Ruf, und einen Allardeck, der beim Start des Grand National betrunken vom Roß gefallen war. Fielding bezichtigte Allardeck, ein Feigling zu sein, Allardeck bezichtigte Fielding, seine (Allardecks) Schwester verführt zu haben. Beide Vorwürfe entsprachen der Wahrheit, und diese zwei regelten ihre Meinungsverschiedenheit mit bloßen Fäusten auf der Heide von Newmarket, wobei Fielding den (wiederum) betrunkenen und furchterfüllten Allardeck halbtot schlug.

Zur Zeit König Edwards waren die beiden Familien ausweglos in ihre Erbfeindschaft verstrickt und warfen einander alles an den Kopf, was gerade greifbar war. Ein besonders aggressiver Fielding kaufte vorsätzlich ein Grundstück neben den Allardecks, um sie zu reizen, und erbitterte Grenzstreitigkeiten führten zu Zusammenstößen mit Flinten und (etwas harmloser) zu gerichtlichen Verfügungen.

Bobbys Urgroßvater zündete Urgroßvater Fieldings Scheune an (von Urgroßvater Fielding dahin gebaut, wo sie den Allardecks am meisten die Aussicht verdarb), nur um eine Woche später sein liebstes Jagdpferd erschossen auf der Weide zu finden.

Bobbys Großvater und Großvater Fielding waren ganz natürlich zu gegenseitigem Haß erzogen worden, und in ihrem Fall gipfelte die Fehde später in einem erbitterten beruflichen Konkurrenzkampf, da sie beide (als zweite Söhne mit geringer Aussicht auf das Erbe des Familienbesitzes) beschlossen hatten, sich als Trainer niederzulassen. Beide kauften Rennställe in Newmarket und bezahlten ihre Pfleger dafür, daß sie beim anderen spionierten und über ihn berichteten. Sie triumphierten frech, wenn ihre Pferde siegten, und schäumten vor Wut, wenn die des anderen an die Spitze kamen, und falls sie im selben Rennen Erster und Zweiter wurden, war es fast eine Selbstverständlichkeit, daß sie gegeneinander Protest einlegten.

Holly und ich, aufgezogen in Großvater Fieldings stürmischem Haushalt, wurden dementsprechend eingeschworen auf die Losung, daß sämtliche Allardecks niederträchtige Irre seien, die ignoriert werden müßten, wann immer man ihnen auf der Hauptstraße von Newmarket begegnete.

Bobby und ich wären, da man uns von Geburt an auf gegenseitige Verachtung getrimmt hatte, wohl auch auf Faust und Feuersbrunst verfallen, wenn es nicht so gekommen wäre, daß mein Vater starb und Bobbys Vater mit seiner Familie Newmarket verließ, um Grundbesitz und Kapital zu übernehmen. Nicht, daß Bobbys Vater Maynard auch nur die Erwähnung des Namens Fielding hätte ertragen können. Der Grund, weshalb er nicht mit Bobby sprach (wie die >Intimen Details< zutreffend berichteten), war der, daß es Bobby Allardeck trotz angedrohter Enterbung gewagt hatte, sich über den Zorn seines Vaters hinwegzusetzen und mit Holly Fielding vor den Traualtar zu treten.

Als Holly dreizehn war, war ihre einzige, alleinige Heldin die Julia aus Romeo und Julia gewesen. Sie lernte fast das ganze Stück auswendig, besonders aber den Part von Julia, und geriet hoffnungslos ins Schwärmen über das tote junge Liebespaar, das die befeindeten Familien Montague und Capulet zusammenbrachte. Bobby Allardeck, so nahm ich an, war ihr Romeo, und sie war stark dazu prädestiniert gewesen, sich in ihn zu verlieben, selbst wenn er nicht so groß, blond und gutaussehend gewesen wäre.

Sie trafen sich zufällig (oder hatte sie ihn eigens aufgespürt?) in London, nachdem sie sich mehrere Jahre nicht gesehen hatten, und waren innerhalb eines Monats unzertrennlich. Die Heirat hatte ihren geheimen Zweck bis zu dem Grad erfüllt, daß Bobby und ich jetzt fast immer höflich zueinander waren und daß unsere Kinder, falls wir welche bekamen, Freunde werden könnten.

Bobby und Holly waren nach Newmarket zurückgegangen, wo Bobby hoffte, als Trainer den Rennstall seines inzwischen erkrankten Großvaters zu übernehmen, doch der zänkische alte Mann, der seinen Enkel als Verräter der Familie bezeichnete, hatte ihm den vollen Marktwert für das Anwesen abverlangt und war dann gestorben, ohne ihm einen Penny zu hinterlassen.

Bobbys derzeitige Geldsorgen waren nicht unkompliziert. Sein Haus und Hof, das heißt der kleine Teil davon, der nicht hypothekarisch belastet war, wurde selbstverständlich von der Bank als Sicherheit für die Kurzdarlehen beansprucht, die sie ihm für den Jährlingskauf gewährt hatte. Wenn die Bank die Darlehen einforderte, saßen er und Holly ohne Lebensunterhalt auf der Straße und sahen einer äußerst düsteren Zukunft entgegen.

Wie in vielen Rennsporthaushalten spielte sich ein großer Teil des Lebens in der Küche ab, die in Hollys und Bobbys Fall typischerweise mit einem langen Eßtisch und einer Reihe bequemer Stühle ausgestattet war. Ein freundlicher Raum mit viel hellem Kiefernholz, warm beleuchtet und einladend. Als Bobby und ich vom Hof hereinkamen, rührte Holly gerade Eier in einer Schüssel, und gehackte Zwiebeln und grüner Paprika brieten in einer großen Pfanne.

»Riecht gut«, sagte ich.

»Ich habe einen Mordshunger.« Sie goß das Ei über die Zwiebeln und den Paprika. »Ihr bestimmt auch.«

Wir aßen das Omelett mit frischem französischem Brot und Wein und sprachen über nichts Besonderes, bis wir fertig waren.

Als sie dann Kaffee kochte, fragte Holly: »Wie hast du Jermyn Graves dazu gekriegt, daß er abhaut?«

»Jermyn? So heißt der Mann? Ich sagte ihm, wenn er den Scheck sperren läßt, bringt Bobby ihn auf die Zahlungsverzugsliste.«

»Und glaub nicht, daß ich daran nicht schon gedacht habe«, warf Bobby ein. »Aber natürlich ist das aus unserer Sicht ein glatter Verlust.«

Ich nickte. Der Jockey-Club würde davon absehen, einen Besitzer auf die Schuldnerliste zu setzen, wenn er (oder sie) alle Trainingsgebühren, die seit drei oder mehr Monaten fällig waren, bezahlte. So ging zwar von der Liste ein gewisser Druck aus, doch erstreckte er sich nur auf die Trainingspauschale und weder auf Arzt- und Hufschmiederechnungen noch auf die Ausgaben für den Transport der Pferde zu den Rennen. Bobby hatte all das für Graves’ Pferde schon vorlegen müssen, und dadurch, daß er den Besitzer auf die Schuldnerliste brachte, würden die entstandenen Kosten nicht gedeckt.

»Warum hat er es so eilig, seine Pferde abzuholen?« fragte ich.

»Er benutzt unsere Probleme nur als Vorwand«, sagte Holly.

Bobby nickte. »Etwas Ähnliches hat er sich bei mindestens zwei anderen Trainern schon geleistet. Beide sind jung und versuchen, sich was aufzubauen, wie wir auch. Er läßt dicke Rechnungen auflaufen, und eines Tages kommt der Trainer dann nach Hause und stellt fest, daß die Pferde weg sind. Anschließend zahlt Graves gerade die Trainingsgebühren, um der Schuldnerliste zu entgehen, und der Trainer hat keine Pferde mehr als Sicherheit. Er müßte schon die Kosten und Schwierigkeiten eines Gerichtsverfahrens auf sich nehmen, um sein Geld zu kriegen. Der Aufwand lohnt selten, und Graves ist fein raus.«

»Warum habt ihr dann seine Pferde überhaupt genommen?« sagte ich.

»Damals wußten wir noch nichts über ihn«, erwiderte Holly düster. »Und man jagt doch nicht gerade Leute weg, die einem zwei Pferde anbieten, oder?«

»Nein«, gab ich zu.

»Trotzdem«, meinte Holly, »Jermyn ist nur eine Enttäuschung mehr. Das schlimmste ist der Futterhändler.«

»Gebt ihm den Scheck von Graves«, sagte ich.

Holly schien angetan, doch Bobby war skeptisch: »Unser Buchhalter hat es nicht gern, wenn wir so was machen.«

»Klar, aber euer Buchhalter hat auch nicht dreißig hungrige Pferde vor der Haustür, die ihn vorwurfsvoll anstarren.«

»Neunundzwanzig genau«, sagte Holly.

»Siebenundzwanzig«, seufzte Bobby, »wenn die von Graves weg sind.« »Schließt das die drei unverkauften Jährlinge mit ein?« fragte ich.

»Ja.«

Ich rieb mir die Nase. Vierundzwanzig zahlende Insassen stellten im Grunde eine ganz lebensfähige Sache dar, auch wenn es zu Zeiten seines Großvaters eher vierzig gewesen waren. Außerdem traten sie gerade ihre jährliche Ruhepause an (da Bobby nur Flachpferde trainierte) und würden nicht mehr die erhöhten Kosten der Saison verursachen.

Umgekehrt konnten sie bis zum kommenden März keine Rennpreise gewinnen, würden andererseits aber auch keine Wettverluste bringen.

Der Winter war in Flachrennställen die Zeit des Ausgleichs, der Erholung, des Aufmöbelns; und die Zeit für das Zureiten der Jährlinge, ob verkauft oder nicht.

»Wieviel Schulden habt ihr, abgesehen von den unverkauften Jungtieren?« fragte ich.

Ich hätte nicht geglaubt, daß Bobby es mir sagen würde, aber nach einem Zögern nannte er widerstrebend die Summe.

Ich zuckte zusammen.

»Aber wir können alles bezahlen«, sagte Holly. »Nach und nach. Wir schaffen es immer.«

Bobby nickte.

»Und das mit den Jährlingen ist so unfair«, empörte sich meine Schwester. »Einer unserer Besitzer wollte, daß Bobby bis fünfzigtausend raufgeht, um einen bestimmten Hengst zu bekommen, und Bobby kriegte ihn, und jetzt hat der Besitzer angerufen, daß es ihm sehr leid tut, er ihn sich aber nicht leisten kann; er hätte einfach nicht das Geld. Und wenn wir ihn auf die nächste Auktion geben, machen wir einen Verlust. Ist doch immer so. Die Leute werden denken, es stimmt was nicht mit ihm.«

»Ich kann ihn wahrscheinlich an ein Konsortium loswerden«, sagte Bobby. »Zu zwölf gleichen Anteilen. Aber das dauert seine Zeit.«

»Na ja«, sagte ich. »Zeit wird die Bank dir ja wohl geben.«

»Der Banker ist nervös wegen dieser verdammten Zeitung.«

»Hat sie ihm auch jemand gebracht?« fragte ich.

Holly sagte düster: »Irgend jemand.«

Ich teilte Bobby die Ansicht Lord Vaughnleys mit, daß der Informant der Flag jemand aus dem Ort sein könnte, der einen Groll hegte.

»Ja, aber wer?« sagte Bobby. »Wir haben eigentlich doch keine Feinde.« Er warf mir einen Seitenblick zu, der eindeutig von Humor geprägt war. »Früher wäre es ein Fielding gewesen.«

»Nur zu wahr.«

»Großvater!« sagte Holly. »Der kann’s doch nicht sein, oder? Er hat mir zwar nie verziehen, aber so was ... das täte er doch wohl kaum?«

Wir dachten an den starrsinnigen alten Griesgram, der eine halbe Meile entfernt immer noch einen Hof voller Pferde trainierte und jeden Morgen auf der Heide seine glücklosen Burschen anbrüllte. Er war auch mit zweiundachtzig noch ein drahtiger, vitaler, gewiefter Ränkeschmied, der nichts so sehr bedauerte wie das Ableben von Bobbys Großvater, da er ihn nun nicht mehr reinlegen konnte.

Es traf zu, daß Großvater Fielding über die undenkbare Heirat ebenso empört gewesen war wie Großvater Allardeck, aber der Mann, bei dem wir aufgewachsen waren, hatte uns auf seine unwirsche Art geliebt, und ich konnte nicht glauben, daß er wirklich versuchen würde, die Zukunft seiner Enkeltochter zu zerstören. Es sei denn, er wurde auf seine alten Tage bösartig, wie es mitunter leider vorkam.

»Ich geh und frag ihn«, sagte ich.

»Heute noch?« Holly blickte auf die Uhr. »Er wird im Bett sein. Er geht so zeitig.«

»Morgen früh.«

»Ich möchte nicht, daß er es ist«, sagte Holly.

»Ich auch nicht.«

Wir saßen eine Weile beim Kaffee, und schließlich sagte ich: »Macht eine Liste von allen Leuten, von denen ihr wißt, daß ihnen die Flag mit dem markierten Abschnitt ins Haus geliefert worden ist. Ich suche dann morgen einige von ihnen auf. Alle, die sonntags erreichbar sind.«

»Wozu?« sagte Bobby. »Die lassen sich nicht umstimmen. Ich hab’s versucht. Sie sagen nur, daß sie augenblicklich ihr Geld wollen. Die Leute glauben, was in der Zeitung steht. Selbst wenn es lauter Lügen sind, glauben sie dran.«

»Mm«, sagte ich. »Aber ich werde ihnen nicht nur noch mal sagen, daß sie ihr Geld bekommen, sondern werde sie fragen, ob einer gesehen hat, wie die Zeitung gebracht worden ist. Mich erkundigen, um welche Zeit sie kam. Mir ein Bild von den eigentlichen Vorgängen verschaffen.«

»In Ordnung«, sagte Holly. »Wir stellen die Liste auf.«

»Und danach«, sagte ich, »knobelt mal aus, wer gewußt haben kann, mit wem ihr geschäftlich verkehrt. Wer diese Liste geschrieben haben könnte. Es sei denn«, überlegte ich, »daß soundso viel anderen Leuten, denen ihr kein Geld schuldet, die Zeitung auch gebracht worden wäre.«

»Ich habe keine Ahnung«, sagte Holly. »Daran haben wir noch gar nicht gedacht.«

»Wir werden es morgen feststellen.«

Bobby gähnte. »Kaum geschlafen gestern nacht.«

»Ja. Holly sagte es mir.«

Plötzlich ertönte ein lautes Klappern von draußen, ein schriller Alarm, eindringlich genug, um - wenn nicht die Toten - so doch alle Pferde aufzuwecken.

»Gott!« Bobby sprang auf die Füße und warf krachend seinen Stuhl um. »Da ist er wieder!«

Wir stürzten alle drei auf den Hof in der Absicht, Jermyn Graves dabei zu ertappen, wie er sein Eigentum wegzuschmuggeln versuchte, und wir entdeckten tatsächlich einen völlig entgeisterten Mann, der eine Stalltür offenhielt. Es war allerdings nicht Jermyn Graves, sondern Nigel, Bobbys steinalter Futtermeister. Er hatte das Licht in der leeren Box eingeschaltet und uns sein verwittertes Gesicht zugewandt, als er uns kommen hörte, so daß der Lichtschein tiefe Schluchten in seine ausgeprägten Senkrechtfalten grub.

»Sooty ist fort«, sagte er besorgt. »Sooty ist fort, Chef. Ich hab ihn um halb sechs selbst gefüttert, und alle Türen waren verschlossen und verriegelt, als ich heim bin.« Seiner Stimme war anzumerken, daß er meinte, sich verteidigen zu müssen. Auch Bobby hörte das heraus und beschwichtigte ihn.

»Ich habe ihn umquartiert«, sagte er freundlich. »Mit Sooty ist alles klar.«

Sooty war nicht der richtige Name von Graves’ Pferd, aber die richtigen Namen mancher Pferde stellten hoffnungslose Sprachbarrieren für die zuständigen Pfleger dar. Es war schwierig, liebevoll zu klingen, wenn man (beispielsweise) Nettleton Manor sagte. Komm, Nettleton Manor. Nettleton Manor, alter Gangster, hier hast du eine Möhre.

»Ich wollte mich nur noch mal umsehen«, sagte Nigel. »Auf dem Heimweg von der Kneipe halt.«

Bobby nickte. Für Nigel, wie für die meisten Futtermeister, war das Wohlergehen der Pferde nicht nur Pflicht, sondern Ehrensache. Ihre Pferde konnten ihnen so sehr am Herzen liegen wie die eigenen Kinder, und sich davon zu überzeugen, daß sie sicher schliefen, wurde dann zum elterlichen Bedürfnis.

»Hast du eine Glocke läuten hören?« sagte Holly.

»Ja.« Er runzelte die Stirn. »Oben am Haus.« Er zögerte. »Was war denn das?«

»Ein neues Alarmsystem, das wir ausprobieren«, sagte Bobby.

»Wenn es läutet, wissen wir, daß jemand auf dem Hof zugange ist.«

»So?« Nigel sah interessiert drein. »Dann klappt’s ja wunderbar, was?«

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