Kapitel 8

Meine erste Empfindung war trotz allem, was ich zu Bobby gesagt hatte, Ungläubigkeit.

Meine zweite, daß es eine schlechte Idee gewesen sei, aus dem Bett zu springen, obwohl ich mich am Abend noch in einem langen heißen Bad entspannt hatte; ich ächzte und stöhnte und fühlte mich lädiert.

Da ich das Wichtigste zum Übernachten ständig in einer Tasche im Wagen mitführte - Rasierer, sauberes Hemd, Zahnbürste -, schlief ich (wie meist bei anderen Leuten) in einer leuchtendblauen Turnhose.

Ich hätte mich wahrscheinlich angezogen, wenn ich mich fitter gefühlt hätte. Statt dessen fuhr ich nur mit den Füßen in die Schuhe und ging hinaus auf den Treppenflur, wo Bobby triefäugig und unentschlossen in seiner Schlafanzugjacke herumstand.

»War das die Glocke?« sagte er.

»Ja. Ich nehme wieder die Zufahrt. Nimm du den Hof.«

Er schaute an seinem halbnackten Körper hinunter, dann an meinem.

»Warte.« Er stürzte zurück in sein und Hollys Schlafzimmer und tauchte mit einem Pullover für mich und einer Hose für sich wieder auf, und während wir uns noch in diese Kleidungsstücke mühten, rasten wir schon die Treppe runter, hinaus in die windige Nacht. Der Mond schien zum Glück hell genug, denn wir hatten keine Taschenlampen dabei.

Eher im Schlurf- als im Laufschritt eilte ich die Zufahrt entlang, aber die Schnur war noch straff über den Weg gespannt. Wenn Graves gekommen war, dann nicht aus dieser Richtung.

Ich machte kehrt, um Bobby auf dem Hof zu helfen, doch er stand dort unschlüssig im Halbdunkel und blickte verwirrt um sich. »Ich kann Graves nicht finden«, sagte er. »Meinst du, die Glocke ist einfach vom Wind runtergeweht worden?«

»Sie ist zu schwer. Hast du sämtliche Schnüre überprüft?«

»Alle bis auf die vor dem Gartentor. Aber hier ist ja keiner. Da ist niemand langgekommen.«

»Trotzdem .«

Ich schlug den Weg zum Gartentor ein, Bobby folgte mir - und wir fanden das rohgezimmerte Holzgatter weit offen. Wir wußten beide, es konnte nicht aufgeweht worden sein. Es wurde normalerweise von einem Stück Kette geschlossen gehalten, und die Kette hing am Torpfosten, abgenommen von Menschenhand.

Wir konnten wegen des Winds nicht viel hören. Bobby blickte unschlüssig den Weg zurück, den wir gekommen waren, und traf Anstalten, wieder zum Stallhof zu gehen.

Ich sagte: »Und wenn er im Garten ist?«

»Wozu denn? Wieso denn?«

»Er könnte von der Straße aus durch die Hecke in die Koppel gekommen sein, über den Koppelzaun und dann den Weg hier herunter; so hätte er alle Schnüre umgangen außer dieser.«

»Aber das ist doch witzlos. Durch den Garten kriegt er keine Pferde raus. Da sind Mauern ringsum. Auf die Idee käme er nicht.«

Ich war geneigt, ihm zuzustimmen, aber trotz alledem hatte jemand das Tor geöffnet.

Der ummauerte Garten lag ganz auf einer Seite von Bobbys Haus. Zufahrt, Stallhof und Nebengebäude umschlossen die drei anderen, und abgesehen von dem Tor, vor dem wir jetzt standen, führte der einzige Weg in den Garten durch die Verandafenster im Gesellschaftszimmer.

Vielleicht kam Bobby der gleiche unwillkommene Gedanke wie mir. Auf jeden Fall folgte er mir sofort durch das Tor und von dem gepflasterten Fußweg herunter auf den Rasen, der leiser unter den Füßen war.

Wir gingen schnell und lautlos das kurze Stück zu der Verandatür, doch sie schien geschlossen zu sein, die vielen viereckigen Scheiben spiegelten das fahle Licht des Himmels.

Wir wollten gerade rüber, um uns zu vergewissern, daß sie noch zugesperrt war, da drang ein schwaches Klicken und ein Klappern über dem Wind an meine Ohren, gefolgt von einem scharfen und deutlichen: »Drecksding.«

Bobby und ich standen stockstill. Wir konnten niemand sehen, obwohl unsere Augen sich fast völlig an die Nacht gewöhnt hatten.

»Komm runter«, sagte eine Stimme. »Mir gefällt das nicht.«

»Halt’s Maul.«

Da ich mir mit meinen langen Beinen und blauglänzenden Shorts allzu sichtbar erschien, bewegte ich mich über das Gras in Richtung auf die Dunkelheit, aus der die Stimmen kamen, und wie Polizeibeamte Ihnen sagen werden, sollte man das nicht tun; man sollte ins Haus gehen und das Überfallkommando rufen.

Bobby und ich entdeckten einen Mann, der am Fuß einer Leiter stand und nach oben blickte. Er trug keine Maske, keine Kapuze, nur einen normalen Anzug - unpassend als Einbrecherkluft.

Es war nicht Jermyn Graves, und es war auch nicht Jasper, der Neffe.

Er war unter vierzig, dunkelhaarig und ein Fremder.

Er sah uns überhaupt nicht, bis wir bei ihm waren, so fest war sein Augenmerk nach oben gerichtet, und als ich laut sagte: »Was haben Sie denn vor?«, machte er einen Satz. Bobby hechtete rugbygerecht nach seinen Knien, und ich ergriff die Leiter und stieß sie zur Seite. Von oben kam ein Schrei und ein ziemliches Geratter, und ein zweiter Unbekannter purzelte von der Dachkante und fiel plumpsend auf ein unbepflanztes Blumenbeet.

Ich stürzte mich auf diesen, drückte sein Gesicht in den Novembermatsch und versuchte, mit einer Hand seine Taschen nach einer Waffe abzuklopfen, während er unter mir keuchte und um sich drosch; und als ich keine Waffe fand, suchte ich nach Papieren, einem Notizbuch, einem Brief oder sonst etwas, das ihn ausweisen würde. Leute, die beim Einbrechen gekleidet waren, als wollten sie ins Büro, hatten vielleicht nicht alle angebrachten Vorsichtsmaßnahmen getroffen.

Ich kam in seine Taschen nicht hinein - es war zu dunkel und zuviel Bewegung, aber irgendwie kriegte ich den Kragen seines Jacketts zu fassen, und ich zerrte es mit beiden Händen nach hinten herunter, so daß seine Arme vorübergehend an seine Körperseiten gefesselt waren. Er bäumte sich, trat aus und schaffte es, mich von seinem Rücken abzuwerfen, doch ich klammerte mich grimmig an der Anzugjacke fest, die seine Arme lähmte und ihn rasend machte.

Um freizukommen, schlüpfte er geradewegs aus dem Jackett, ließ es in meinen Händen, und bevor ich irgend etwas unternehmen konnte, war er auf den Knien, auf den Füßen und nahm Reißaus.

Anstatt ihn zu verfolgen, drehte ich mich nach Bobby um, der sich am Boden wälzte und kurze harte Schläge und atemlose Grunzlaute mit dem Mann austauschte, der die Leiter festgehalten hatte. Ich warf das Jackett in den tiefen Schatten vorm Haus und kam Bobby zu Hilfe. Gemeinsam schafften wir es, den Eindringling mit dem Gesicht nach unten aufs Gras zu nageln, wobei Bobby ihm auf den Beinen saß und ich mit einem Fuß auf seinem Nacken stand. Bobby verabreichte ihm mehrere gezielte Nierenschläge, die weh tun sollten.

»Was zum Fesseln«, sagte er.

Ich bückte mich, packte den Kragen auch dieses Jacketts und zog es dem Einbrecher über die Schultern zurück, so daß die Arme festgenagelt waren; dann riß ich es ganz herunter, nahm den Fuß von seinem Hals und sagte zu Bobby: »Das reicht.«

»Was? Red kein Blech.«

Der Eindringling wälzte sich immer noch sehr wehrhaft unter ihm. Bobby boxte ihn tückisch aufs Ohr und wiederum ins Kreuz.

Ich schob die Hand in eine Innentasche des Jacketts und zog eine Brieftasche heraus.

»Hier«, sagte ich und stieß sie Bobby unter die Nase. Er schüttelte den Kopf, ignorierte sie, wollte nicht abgelenkt werden.

Ich stopfte die Brieftasche wieder in das Jackett und warf es ebenfalls in die Dunkelheit; dann beobachtete ich für einen Augenblick Bobby und den jetzt hemdsärmeligen Einbrecher, wie sie weiter miteinander rauften und boxten, halb stehend, halb fallend, der eine bemüht, seine Schläge anzubringen, der andere, ihnen zu entkommen.

Bobby war groß und kräftig und wütend darüber, daß sein Haus überfallen wurde. Ohne Frage brach auch der unterdrückte, hilflose Zorn der vergangenen Tage aus ihm hervor, jedenfalls prügelte er seinen Gegner mit spürbarem Haß und ausgesprochen heftig, und ich dachte mit plötzlich aufsteigendem Schrecken, daß es zuviel war, daß er den Mann bösartig und mörderisch zusammendrosch und nicht nur einen Einbrecher festsetzte.

Ich schnappte Bobbys Handgelenk und zog seine erhobene, geballte Faust nach hinten, so daß er aus dem Gleichgewicht kam, und sein Opfer entwand sich seinem Griff, stürzte halb auf die Knie, hustete, würgte und hielt sich den Bauch.

Bobby schrie erbittert: »Du Scheißkerl«, und versetzte jetzt mir einen Schlag, während der Eindringling sich wankend erhob und auf das Tor zutaumelte.

Bobby wollte hinterher, und als ich ihn packte, um ihn aufzuhalten, stieß er mir die Faust voll zwischen die Rippen, nannte mich einen verdammten Fielding, eine blöde Sau, ein Dreckschwein.

»Bobby ... Laß ihn laufen.«

Ich bekam einen furchtbaren Schlag auf den Kopf und noch einen Hieb in die Rippen, begleitet von weiteren obszönen Bemerkungen über meinen Charakter und meinen Stammbaum, und er beruhigte sich nicht. Er trat mir ans Schienbein und schubste mich zurück und riß sich mit einem neuerlichen Schlag, bei dem mir die Zähne im Kopf klirrten, los.

Ich erreichte ihn mit ein paar Schritten wieder; er drehte sich um, holte fluchend und mit verstärkter Wucht nach mir aus, und ich sagte zu ihm: »Du lieber Gott, Bobby .« und versuchte einfach, mich an seine tödliche Faust zu klammern, sie abzufangen und zu überleben, bis die Explosion verraucht war.

Die Generationen waren alle präsent in seinem entschlossenen Gesicht: Allardecks und Fieldings, kämpfend mit Feuer, Schwert und bloßen Fäusten, in einem ewigen Teufelskreis. Er hatte jede vernunftgelenkte Beherrschung verloren. Ich, sein Erzfeind, war es, den er in diesem Augenblick zermalmen wollte, ich war der Brennpunkt seines Zorns, seiner Angst und Verzweiflung.

Verbissen in diesen unnützen archaischen Kampf, überquerten wir den ganzen Rasen bis hin zum Gatter, und erst als ich dort gegen den schweren Pfosten gezwängt und endgültig ernstlich in Bedrängnis war, verschwand die mörderische Wut mit einemmal aus seinen Händen, und er ließ sie sinken; die Raserei klang ab, die wahnsinnige Kraft verlor sich.

Er warf mir einen ausdruckslosen Blick zu, bei dem seine Augen das Mondlicht spiegelten wie Glas, dann sagte er: »Schwein«, aber ohne viel Nachdruck, drehte sich um und ging den Pfad entlang zum Hof.

Ich sagte laut: »Allmächtiger Gott«, und holte ein paarmal tief Luft. In kläglich-zittriger Erleichterung blieb ich erst eine Weile stehen, damit mein hämmerndes Herz sich beruhigen konnte, bevor ich mich von dem Torpfosten abstieß und die Jacken der Einbrecher holen ging. Bobbys Fäuste hatten nicht die gleiche Wucht wie die Hufe der Hürdenpferde gehabt, aber ich hätte gut auf sie verzichten können. He-ho, dachte ich, in rund zwölf Stunden würde ich drei heikle Springer in Newbury reiten.

Die Anzugjacken lagen, wo ich sie hingeworfen hatte -im Winkel zwischen dem leeren Blumenbeet und der Ziegelwand des Hauses. Ich hob sie auf. Stand da, schaute auf die silbrige Leiter, die an der Wand emporgeragt hatte, und dann auf die Wand selbst, die sich in diesem Abschnitt glatt und undurchbrochen bis zum Dach erstreckte.

Keine Fenster.

Warum sollten Einbrecher versuchen, an einer Stelle in ein Haus einzudringen, wo es keine Fenster gab?

Ich krauste die Stirn, legte den Kopf zurück, blickte nach oben. Hinter der Firstlinie, über dem Dach, erhob sich wie ein Schatten am Nachthimmel ein robuster Ziegelschornstein, überragt von einem Paar altertümlicher Röhren. Es mußte der Schornstein von dem Kamin im Gesellschaftszimmer sein. Der Kamin war direkt hinter der Wand, vor der ich stand.

Unentschlossen blickte ich von der Leiter zu den Schornsteinröhren und fröstelte im Wind. Dann legte ich achselzuckend die Jacketts wieder weg, lehnte die Leiter gegen die Dachkante, verankerte ihren Fuß fest in dem Blumenbeet und stieg hinauf.

Es war eine Teleskopleiter aus Aluminium. Ich hoffte, daß sie nicht in sich zusammenrutschen würde.

Höhen mochte ich nicht besonders. Auf halbem Weg bereute ich das ganze Unternehmen. Wie kam ich bloß dazu, im Dunkeln eine unsichere Leiter hochzusteigen? Ich konnte abstürzen und mich verletzen und außerstande sein, Rennen zu reiten. Das Ganze war Irrsinn. Verrückt.

Ich erreichte das Dach. Der Kopf der Leiter ragte noch vier oder fünf Sprossen darüber hinaus, direkt bis zum Schornstein. Auf den Dachziegeln lag eine offene Werkzeugtasche, eine Art Stoffband mit Schraubenschlüsseln, Schraubenziehern, Zangen und so weiter in aufgenähten Fächern. Daneben lag etwas, das aussah wie eine Rolle dunkler Schnur, deren eines Ende zu einer Winkelstütze am Schornstein hinauflief.

Ich sah mir den Schornstein näher an und mußte beinah lachen. Man nimmt so vieles als selbstverständlich hin, sieht bestimmte Dinge Tag für Tag und nimmt sie doch nie bewußt wahr. Die Winkelstütze war am Schornstein befestigt, und auf der Winkelstütze saßen die beiden Klemmen der Telefonleitung, die zu Bobbys Haus führte. Ich hatte sie hundertmal gesehen und nie bemerkt, daß sie am Schornstein installiert war.

Das Kabel erstreckte sich in die Dunkelheit und ging über den Telefonmast draußen auf der Straße; das alte oberirdische Leitungssystem für alle Wohngebiete außer den modernen.

An der Winkelstütze, am Ende der von der Rolle heraufführenden dunklen Schnur, war offenbar ein kleiner quadratischer Gegenstand angebracht, etwa so groß wie ein Zuckerwürfel, von dem ein dünner, etwa fingerlanger Stab nach unten ragte. Ich streckte vorsichtig die Hand aus, um ihn zu berühren, und stellte fest, daß er wackelte, als wäre er nur halb befestigt.

Der Mond schien gerade in dem Moment unterzugehen, als ich ihn am nötigsten brauchte. Ich fingerte an dem kleinen Würfel herum und stieß auf etwas, das sich anfühlte wie eine halb gelöste Schraube. Ich konnte sie nicht sehen, aber sie drehte sich mühelos gegen den Uhrzeigersinn und glitt kurz darauf in meine Hand.

Der Würfel und der Stab fielen geradewegs von der Stütze, und ich hätte sie in der Nacht verloren, wäre nicht die Rolle steifer Schnur an ihnen befestigt gewesen. Ein Teil der Schnur wickelte sich ab, ehe ich sie auffing, aber nicht sehr viel, und ich packte die Rolle, den Würfel und den Stab zu den Werkzeugen, rollte die Segeltuchtasche zusammen und schnallte sie zu.

Das Blumenbeet, dachte ich, würde der Werkzeugtasche schon nicht weh tun, also ließ ich das zusammengerollte

Bündel senkrecht fallen und stieg so langsam, wie ich sie erklommen hatte, die Leiter wieder herunter, wobei ich sorgfältig auf das Gleichgewicht achtete, um nicht zu stürzen. Auf Pferden fühlte ich mich ohne Zweifel wohler.

Ich sammelte die Jacken und die Werkzeugtasche ein, ließ die Leiter stehen und ging aus dem Garten, den Fußweg entlang zur Küchentür. Holly stand da im Bademantel, mit schreckgeweiteten Augen, fröstelnd vor Kälte und Angst.

»Gott sei Dank«, sagte sie, als ich auftauchte. »Wo ist Bobby?«

»Weiß ich nicht. Komm rein. Machen wir uns was Heißes zu trinken.«

Wir gingen in die Küche, wo es immer am wärmsten war, und ich setzte den Kessel auf, während Holly am Fenster nach ihrem verschollenen Mann Ausschau hielt.

»Er wird bald kommen«, sagte ich. »Es ist ihm nichts passiert.«

»Ich sah zwei Männer wegrennen .«

»Wohin denn?«

»Über den Zaun in die Koppel. Erst einer, etwas später dann der andere. Der zweite war ... na ja ... er stöhnte.«

»Mm«, sagte ich. »Bobby hat ihn verprügelt.«

»Ja?« Sie hörte sich stolz an. »Wer war denn das? Jer-myn mal nicht. Wollten sie seine Pferde holen?«

»Was möchtest du?« fragte ich. »Kaffee, Tee oder Kakao?«

»Kakao.«

Ich machte Kakao für sie und Tee für mich selbst und brachte die dampfenden Tassen an den Tisch.

»Setz dich her«, sagte ich. »Er kommt schon wieder.«

Sie kam widerstrebend und schaute dann mit erwachender Neugier zu, wie ich die Werkzeugtasche aufschnallte und auseinanderrollte.

»Siehst du das?« sagte ich. »Den winzigen Kasten hier mit dem Stab und der Schnurrolle? Ich gehe jede Wette ein, daß es das ist, womit sie euer Telefon abgehört haben.«

»Aber es ist klitzeklein.«

»Ja. Ich wünschte, ich hätte mehr Ahnung. Morgen werden wir ja erfahren, wie es funktioniert.« Ich blickte auf meine Uhr.

»Heute, sollte ich wohl sagen.« Ich erzählte ihr, wo ich die Wanze gefunden hatte und wo Bobby und ich die Eindringlinge überrascht hatten.

Sie krauste die Stirn. »Diese beiden Männer ... Wollten die das an unser Telefon anschließen?«

»Entfernen vielleicht. Oder die Batterie auswechseln.«

Sie überlegte. »Ich habe dir doch heute abend gesagt, daß die Fernmeldeleute morgen kommen, um nach Wanzen zu suchen.«

»Das stimmt.«

»Wenn sie das gehört haben, dann dachten sie ... dachten die beiden Männer vielleicht, wenn sie die Wanze vorher abbauen, wäre nichts mehr zu finden, und wir würden es nie genau wissen.«

»Ja«, sagte ich. »Ich glaube, du hast recht.« Ich nahm mir das erste von den Jacketts vor, ging systematisch die Taschen durch und legte den Inhalt auf den Tisch.

Holly sagte verblüfft: »Die haben doch nicht etwa ihre Jacken dagelassen?«

»Sie hatten kaum eine andere Wahl.«

»Aber das ganze Zeugs .« »Purer Leichtsinn«, sagte ich. »Amateure.«

Die erste Anzugjacke erbrachte ein Notizbuch, drei Kulis, einen Taschenkalender, ein Taschentuch, zwei Zahnstocher und die Brieftasche, die ich Bobby im Garten gezeigt hatte. Die Brieftasche enthielt einen mäßigen Geldbetrag, fünf Kreditkarten, das Foto einer jungen Frau und einen Merkzettel für einen Zahnarzttermin. Der Name auf den Kreditkarten war Owen Watts. Der Taschenkalender lieferte nicht nur denselben Namen, sondern außerdem eine Adresse (privat) und eine Telefonnummer (Büro). Die Seiten waren gefüllt mit Terminen und Notizen und kündeten von einem arbeitsreichen, geordneten Leben.

»Warum schnurrst du wie ein satter Kater?« sagte Holly.

»Schau’s dir mal an.«

Ich schob ihr die Habseligkeiten von Owen Watts zu und leerte die Taschen des zweiten Jacketts. Daraus kam noch ein Notizbuch zum Vorschein, weitere Kulis, ein Kamm, Zigaretten, Einwegfeuerzeug, zwei Briefe und ein Scheckheft. Außerdem steckte in der äußeren Brusttasche ein kleines Plastiketui mit einer goldfarbenen Karte, die besagte, Mr. Jay Erskine sei Mitglied Nr. 609 des Presseclubs in London EC4A3JB; und Mr. Jay Erskines Unterschrift und Anschrift standen auf der Rückseite.

Schon gut, wenn man ganz sichergeht, dachte ich.

Ich rief die Nummer von Owen Watts’ Büro an, und sofort meldete sich die Stimme eines Mannes.

»Daily Flag«, sagte er.

Zufrieden legte ich den Hörer auf, ohne zu sprechen.

»Niemand gemeldet?« sagte Holly. »Kein Wunder um diese Zeit.«

»Die Daily Flag schläft und schlummert nicht. Die Zentrale war jedenfalls wach.« »Dann sind die beiden wirklich ... diese Schweine.«

»Nun«, sagte ich. »Sie arbeiten bei der Flag. Läßt sich nicht sagen, ob sie tatsächlich auch die Beiträge verfaßt haben. Nicht heute nacht. Das finden wir morgen früh raus.«

»Ich könnte ihnen die Fresse einschlagen.«

Ich schüttelte den Kopf. »Du solltest demjenigen die Fresse einschlagen, der sie geschickt hat.«

»Dem auch.« Sie stand ruhelos auf. »Wo ist Bobby? Was treibt er?«

»Wahrscheinlich vergewissert er sich, daß alles beim Rechten ist.«

»Du glaubst doch nicht, daß die Männer zurückgekommen sind?« sagte sie erschrocken.

»Nein. Bobby kommt schon, wenn er soweit ist.«

Sie war trotzdem besorgt und ging zur Haustür, um nach ihm zu rufen, aber der Wind trug ihre Stimme weg, so daß man sie kaum auf der anderen Seite des Hofs hätte hören können.

»Sieh doch mal nach ihm, ja?« sagte sie ängstlich. »Er ist schon so lange da draußen.«

»Na schön.« Ich legte das Abhörgerät, die Werkzeuge und die Sachen der Presseleute auf dem Tisch zusammen. »Kannst du hierfür einen Karton suchen und das alles irgendwo in Sicherheit bringen?«

Sie nickte und begann sich vage umzuschauen, und ich ging in dem unwillkommenen Auftrag hinaus auf den Hof. Wo immer Bobby steckte, ich war vermutlich der letzte, den er auf den Fersen haben wollte. Ich überlegte mir, daß ich einfach darangehen würde, die Alarmglocke wieder zu montieren. Wenn er gefunden werden wollte, würde er dann schon auftauchen.

Ich montierte die Glocke, wobei sich meine Augen wieder an die Nacht gewöhnten, und traf ihn unten beim Gartentor. Er hatte die Leiter herausgeholt, so daß sie jetzt am Weg lag, und er stand einfach am Torpfosten, ohne etwas zu tun.

»Holly wundert sich, wo du bleibst«, sagte ich leichthin.

Er antwortete nicht.

»Meinst du, man kann die Glocke von hier aus hören?« sagte ich. »Würdest du jemandem aufs Dach klettern, wenn du eine Alarmklingel gehört hast?«

Bobby sagte nichts.

Er beobachtete mit ausdrucksloser Ruhe, wie ich die Schnur suchte und das Tor schloß und alles wieder so herrichtete, daß die Glocke auf der anderen Seite des Hauses herunterfallen würde, wenn sich das Tor öffnete.

Bobby sah zu, aber er tat nichts. Achselzuckend machte ich das Tor auf.

Man konnte die Glocke hören, wenn man darauf horchte. In einer stillen Nacht wäre sie alarmierend gewesen, aber durch den Wind hatten die Eindringlinge sie überhört.

»Gehen wir rein«, sagte ich. »Holly ist unruhig.«

Ich wandte mich den Weg hinauf.

»Kit«, sagte er steif.

Ich drehte mich um.

»Hast du’s ihr gesagt?« fragte er.

»Nein.«

»Es tut mir leid«, sagte er.

»Komm mit rein. Es spielt keine Rolle.«

»Doch, tut es.« Er zögerte. »Ich konnte nicht anders. Das macht es noch schlimmer.«

»Weißt du was«, sagte ich, »laß uns aus dem verdammten Wind gehen. Mir frieren die Beine ab. Wenn du reden

willst, reden wir morgen. Aber es ist okay. Komm rein, Alter, es ist okay.«

Ich legte die Habseligkeiten der Journalisten sicherheitshalber unter mein Bett, bevor ich ächzend wieder schlafen ging, doch die Eigentümer unternahmen offenbar keinen Versuch einzubrechen, um sie sich zurückzuholen. Ich schöpfte eine Menge gähnendes Vergnügen daraus, mir ihre geistige und körperliche Verfassung vorzustellen, und ich fand, daß sie alles, was ihnen zugestoßen war, durchaus verdient hatten.

Owen Watts und Jay Erskine. Jay Erskine, Owen Watts.

Das waren sie, überlegte ich dösig, während ich eine unversehrte Stelle suchte, auf der ich liegen konnte. Sie würden der Hebel sein, mit dem sich die Welt aus den Angeln heben ließ. Der sorglose, abgestumpfte, linke Owen Watts, halb bewußtlos geprügelt von Bobby, und die dumme, abgebrühte Schnüffelnase Jay Erskine, von der Leiter gefallen und mit dem Gesicht im Dreck gelandet. Geschah ihnen verdammt recht.

Ich träumte davon, daß mich ein Traktor überfuhr, und fühlte mich auch ein bißchen so, als ich aufwachte. Der Morgen nach einem Sturz wie gestern war immer Mist.

Es war fast neun, als ich in die Küche kam, doch obwohl das Licht brannte, um den grauen Tag zu verscheuchen, war sonst niemand da. Ich wärmte mir etwas Kaffee auf und begann Bobbys Tageszeitung zu lesen; das war der Towncrier, nicht die Flag.

Auf Seite 7, die ganz den Mittwochskommentaren und Meinungen einer führenden und ungeheuer einflußreichen Kolumnistin gewidmet war, lautete die Hauptüberschrift:

Welchen Preis hat Vaterliebe?

Und darunter kam in einem langen Kasten, den kein Leser des Towncrier übersehen konnte, ein Abriß von Maynard Allardecks steilem Weg nach oben.

Er hatte es, wie sie schrieb, vom Warenmakler zum wolkenkratzenden Magnaten gebracht, indem er die Unternehmen anderer Leute schluckte und die Hülsen ausspie.

Seine Verfahrensweise, erklärte sie, bestand darin, daß er lächelnd an überschuldete Firmen herantrat, denen er Darlehen und lebenswichtiges Bargeld anbot. Günstige Bedingungen, zahlen Sie, wann Sie können, ich helfe gern. Seine neuen Partner, schrieb die Journalistin, hießen ihn mit offenen Armen willkommen und lobten ihren Wohltäter in höchsten Tönen. Aber ach, welche Ernüchterung. Sobald die Geschäfte sich entwickelten, verlangte Maynard sehr freundlich sein Geld zurück. Zerknirschung! Desaster! Man konnte ihn unmöglich bezahlen, ohne zu verkaufen und dichtzumachen. Massenentlassungen. Persönliche Tragödien noch und noch. Darf nicht sein, stimmte Maynard entgegenkommend zu. Er würde statt des Geldes die Firma nehmen, wie fände man das? Alle behielten ihren Arbeitsplatz. Ausgenommen leider den Besitzer und den geschäftsführenden Direktor. Maynard verkaufte bald darauf seine jetzt finanziell stabile neuerworbene Firma mit gutem Gewinn an irgendeinen großen Fisch, der nach mundgerechten kleinen Ausschau hielt - und auf zur nächsten Runde, könnte man sagen, wobei Maynard dann merklich reicher war.

Woher weiß ich das alles? fragte die Journalistin und gab die Antwort gleich dazu: Vor weniger als drei Wochen, in der Fernsehsendung Handel heute, hat es uns Maynard selbst erzählt. Klassisches Übernahmeverfahren nannte er es selbstgefällig. Jeder könne das. Jeder könne auf die gleiche Weise ein Vermögen verdienen wie er.

Jetzt hatte es den Anschein, schrieb sie, daß eine bestimmte überschuldete Firma bitter auf Bargeld zu günstigen Bedingungen angewiesen war, nämlich der Rennstallbetrieb von Maynards eigenem, einzigem Sohn Robertson (32).

Dem Vernehmen nach weigerte sich Maynard in diesem einen Fall hartnäckig, irgendwelche Hilfe anzubieten.

Mein Rat an jemanden in Robertsons (genannt Bobby) Situation, entschied die Dame, würde lauten, Daddys Geld nicht mit der Kneifzange anzurühren. Dankbar zu sein für das Glück im Unglück. Daddys zärtliche Umarmung könne dazu führen, daß er sich bald als Straßenfeger wiederfände. Vergessen wir nicht, schrieb sie, daß dieser Vater heute noch hinter dem Geld her ist, das er seinem Sohn in jungen Jahren für ein Auto geborgt hat.

Ist Maynard wert, fragte sie schließlich, daß man ihn für seine Verdienste um die Wirtschaft zum Ritter schlägt? Und antwortete wiederum selbst: Ihres Erachtens bestimmt nicht.

Dazu gab es ein Foto von Maynard, auf dem er elegant und gut aussah, doch eine Menge Zähne zeigte. Das Wort »Hai« fiel einem dabei ein. Maynard, dachte ich, würde der Schlag rühren.

Bobbys erstes Lot kehrte von der Morgenarbeit auf der Heide klappernd auf den Hof zurück, und Bobby selbst, der stark deprimiert wirkte, kam in die Küche. Er machte sich eine Tasse Kaffee, ohne mich anzusehen, trank sie stehend am Fenster und starrte hinaus.

»Wie geht’s Holly?« fragte ich.

»Mies.«

»Dein Vater ist in der Zeitung«, sagte ich.

»Will ich nicht lesen.« Er setzte seine Tasse ab. »Ich nehme an, du fährst.« »Ja. Ich reite in Newbury.«

»Ich meinte ... wegen gestern nacht.«

»Nein, nicht deswegen.«

Er kam zum Tisch herüber und setzte sich, wobei er nicht mich, sondern seine Hände anschaute. Er hatte Schrammen an den Knöcheln, wundrote Stellen, wo er die eigene Haut aufgeschlagen hatte.

»Warum hast du dich nicht gewehrt?« sagte er.

»Ich wollte nicht.«

»Du hättest mir teuflisch weh tun und weggehen können. Das ist mir jetzt klar. Warum hast du’s nicht? Ich hätte dich umbringen können.«

»Nur über meine Leiche«, sagte ich trocken.

Er schüttelte den Kopf. Ich schaute in sein Gesicht, auf die niedergeschlagenen blauen Augen, sah den Kummer, die Selbstzweifel, die Verwirrung.

»Wogegen ich mich wehre«, sagte ich, »ist die Gehirnwäsche, der man uns unterzogen hat. Warum sollen wir immer noch springen, wenn es dieser alte Haß befiehlt? Du hast versucht, einen Fielding totzuschlagen. Irgendeinen Fielding. Nicht mich, deinen Schwager Kit, der dich wirklich mag, wenn ich auch nach gestern nacht nicht ganz verstehe, warum. Ich kämpfe gegen meine Beeinflussung, ich kämpfe gegen meine verdammten Vorfahren, aber ich kämpfe nicht gegen dich, den Mann meiner Schwester, an dem ich nichts auszusetzen habe.«

Er saß eine Zeitlang schweigend da, schaute immer noch auf seine Hände, dann sagte er mit gedämpfter Stimme: »Du bist stärker als ich.«

»Nein. Falls es dich beruhigt, ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn ich alles hätte durchmachen müssen, was du in der letzten Woche durchgemacht hast, und mir wäre ein Allardeck unter die Finger gekommen.«

Er hob den Kopf. Ein klein wenig Licht kehrte wieder. »Also Waffenruhe?« sagte er.

»Ja«, stimmte ich zu - und fragte mich, ob unser Unterbewußtsein sie einhalten würde.

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