Kapitel 5

Bobby war sprachlos.

Holly warf mir einen durchdringenden Blick aus ihren hellbraunen Augen zu, in dem ich sowohl Bestürzung wie Erregung las.

»Wieso hast du das gesagt?« fragte Bobby.

»Ich weiß nicht.«

»Sie ist erst kurz über ihrer Zeit. Wir haben noch keine Tests machen lassen«, sagte Bobby; und zu Holly: »Du mußt es ihm erzählt haben.«

»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber ich dachte gerade eben daran, wie glücklich ich am Freitag morgen war, als ich aufwachte, und mir war übel. Ich dachte, welche Ironie das wäre. Die ganzen Monate haben wir’s versucht, und das erste Mal, wo es wirklich passiert sein könnte, sind wir derart in Schwierigkeiten, daß ein Baby das letzte ist, was wir gebrauchen können.«

Bobby krauste die Stirn. »Du mußt es ihm erzählt haben«, wiederholte er, und es klang eindeutig verstimmt, fast als wäre er eifersüchtig.

»Na ja, nein«, antwortete Holly unsicher.

»Gestern auf dem Weg hierher«, beharrte er.

»Hör mal«, warf ich ein. »Vergiß, daß ich’s gesagt hab. Was liegt daran?«

Bobby blickte grollend zu mir und dann ein wenig versöhnlicher zu Holly, als wäre ihm etwas eingefallen. »Sind

das die Sachen«, sagte er unschlüssig, »die du meintest, als du mir mal erzählt hast, du und Kit hättet als Kinder eure Gedanken gelesen?«

Sie nickte widerstrebend. »Wir haben das aber seit Jahren nicht mehr getan.«

»Es geht heute nicht mehr«, stimmte ich zu. »Ich meine, das war jetzt nur eine Ausnahme. Ein Rückfall. Wahrscheinlich passiert es nicht noch mal.«

Und wenn es noch einmal passierte, dachte ich, würde ich besser aufpassen, was ich sagte. Die ungerufenen Gedanken filtern.

Ich verstand Bobbys Eifersucht sehr gut. Ich hatte sie selbst außerordentlich stark empfunden, als Holly mir zum ersten Mal erzählte, sie habe sich verliebt. Die Eifersucht war schnell von einer eher normalen Bestürzung überlagert worden, als sie bekannte, wen sie in ihr Herz geschlossen hatte, aber ich erinnerte mich noch an den intensiven Wunsch, Holly nicht zu teilen, meinen Status als ihr engster Freund nicht an einen Fremden abzutreten.

Meine Eifersucht hatte mich etwas geschockt und mich zu einiger Gewissensforschung veranlaßt, denn nie zuvor hatte ich die Gefühle, die ich für meine Schwester hegte, hinterfragt. Ich war dann zu der beruhigenden, aber auch wehmütigen Einsicht gelangt, daß sie mit Bobby soviel schlafen konnte wie sie wollte, ohne daß es mir naheging: Was mich störte, war der Verlust der geistigen Intimität.

Natürlich hatte ich selbst auch sexuelle Abenteuer gehabt, sowohl vor als auch nach ihrer Heirat, aber das waren kurzlebige Affären ohne Tiefgang gewesen, die nicht annähernd an Hollys Engagement für Bobby heranreichten. Du hast noch jede Menge Zeit, dachte ich, wart’s ab, eines Tages - und andere Plattheiten dieser Art.

Bobby tat zumindest so, als ob er glaubte, daß Telepathie zwischen mir und Holly nicht mehr vorkommen würde, doch sie und ich tauschten nur einen ganz kurzen Blick aus und waren anderer Meinung. Wenn wir uns entschließen würden, uns sozusagen darauf einzustimmen, würde die alte Gewohnheit wieder aufleben.

Alle drei verbrachten wir den Abend in dem Bemühen, nicht andauernd zu den Kernfragen Wer und Warum zurückzukehren, und gingen schließlich müde ohne brauchbare Antworten zu Bett. Ich legte mich wieder in Jeans, Socken und Pullover hin für den Fall, daß Graves zurückkäme, doch ich vermutete, wenn er es je geplant hatte, dann hatte er sich’s anders überlegt.

Ich war im Irrtum.

Die Glocke weckte mich scheppernd um Viertel vor vier in der Frühe, und gemäß der Strategie, die Bobby und ich am Vorabend vereinbart hatten, war ich bereits in meinen Schuhen, aus dem Haus und lief die Einfahrt hinunter, noch bevor sie aufhörte zu läuten.

Durch das offene Tor, dann links; und tatsächlich, auf dem Grasstreifen am Straßenrand, der manchmal Zigeunern als Lagerplatz diente, standen die nötigen Mittel zur Pferdebeförderung. Ein Pkw diesmal, mit einem Hänger für zwei Tiere. Ein Hänger, dessen Rampe heruntergelassen war; gebrauchsfertig, aber noch nicht beladen.

Ich lief geradewegs zu dem Auto und riß die Fahrertür auf, doch es war niemand drin, der hätte überrumpelt werden können. Nur die Schlüssel steckten in der Zündung; unglaublich.

Ich klappte die Rampe des Anhängers hoch und verriegelte sie, dann stieg ich in das Auto, ließ es an und fuhr zweihundert Meter zu einer Nebenstraße. Dort bog ich ein, parkte ein Stück weiter unten, ließ die Schlüssel stecken wie gehabt und sprintete zurück zu Bobbys Stallhof.

Die Szene dort war nahezu eine Neuauflage vom letztenmal, wenigstens was die Beleuchtung, das Geschrei und Geschimpfe anging. Bobby und Jermyn Graves standen vor der leeren Box, die mit der Alarmglocke verbunden war, und hatten sich beinah am Kragen. Ein schmächtiger Junge von vielleicht sechzehn Jahren stand etwas weiter weg, hielt eine große Tragetasche, trat von einem Fuß auf den anderen und sah unglücklich drein.

»Geben Sie mir mein Eigentum«, schrie Graves. »Das ist Diebstahl.«

»Ist es nicht«, sagte ich ihm ins Ohr. »Diebstahl heißt vorsätzlich jemanden berauben.«

»Was?« Er fuhr herum und stierte mich an. »Sie schon wieder!«

»Wenn Sie von Recht reden«, sagte ich, »es ist nicht illegal, Sachen, für die jemand Geld schuldet, zurückzuhalten, bis die Schuld beglichen ist.«

»Ich ruiniere Sie«, sagte er rachsüchtig. »Ich richte Sie beide zugrunde.«

»Nehmen Sie Vernunft an, Mr. Graves«, sagte ich. »Sie sind im Unrecht.«

»Ja, scheiß drauf. Ich lasse mich nicht von einem hergelaufenen Jockey und einem bankrotten kleinen Trainer unterkriegen, das versichere ich Ihnen.«

Der Junge, der bei ihm war, sagte nervös: »Onkel ...«

»Du hältst dich raus«, bellte Graves.

Der Junge ließ die Tragetasche fallen und stolperte, als er sie aufhob.

»Gehen Sie, Mr. Graves«, sagte ich. »Beruhigen Sie sich. Denken Sie noch mal drüber nach. Kommen Sie Ihre Pferde abholen, wenn Ihr Scheck eingelöst ist, und der Fall ist erledigt.«

»Noch lange nicht.«

»Ihre Sache«, meinte ich achselzuckend.

Bobby und ich beobachteten ihn bei dem Versuch, ohne ernsthaften Gesichtsverlust das Feld zu räumen, was kaum zu bewerkstelligen war. Er ließ großschnäuzig noch ein paar Drohungen vom Stapel, sagte dann schließlich gereizt »Komm schon, komm« zu seinem Neffen und stolzierte die Einfahrt hinunter.

»Hast du seinen Transporter lahmgelegt?« fragte Bobby.

»Es war ein Wagen mit Anhänger, und der Schlüssel steckte. Ich hab ihn bloß um die nächste Ecke gefahren, wo man ihn nicht sieht. Wer weiß, ob sie ihn finden.«

»Wir haben uns wohl umsonst gesorgt«, meinte Bobby. »Da Graves zuerst an der gesicherten Box war.«

Wir hatten uns überlegt, er könnte zuerst zu der Box seines anderen Pferdes gehen, sie leer vorfinden, annehmen, er habe sich im Platz geirrt, und vielleicht ein Pferd aus den benachbarten Boxen holen. Wir dachten, er käme vielleicht mit mehr Leuten. Tatsächlich hatte er beides nicht getan. Aber die Vorsichtsmaßnahme war vielleicht doch gut gewesen.

Wir sperrten den leeren Stall ab, und Bobby stieß mit dem Fuß gegen etwas am Boden. Er bückte sich, um es aufzuheben, und hielt es mir hin: ein großes Stück Filz mit Klettverschlüssen. Ein Geräuschdämpfer für einen Huf. Zweifellos aus der Tragetasche gefallen.

»Keine Hufleder«, sagte Bobby grimmig. »Heimarbeit.«

Er schaltete das Hoflicht aus, und wir blieben eine Zeitlang wartend an der Küchentür stehen. Wir dachten, daß wir in der stillen Nacht hören würden, wie der Wagen mit dem Hänger losfuhr. Statt dessen hörten wir zögernde Schritte, die zurück in den Hof kamen.

Bobby knipste das Licht wieder an, und der Junge stand da, zwinkernd und zutiefst verlegen.

»Jemand hat meinem Onkel das Auto gestohlen«, sagte er.

»Wie heißt du?« fragte ich.

»Jasper.«

»Graves?«

Er nickte mit dem Kopf und schluckte. »Mein Onkel will, daß ich die Polizei anrufe und ein Taxi bestelle.«

»Wenn ich du wäre«, sagte ich, »würde ich hier zum Tor rausgehen, mich links halten, dann die erste Straße links einbiegen und die Telefonzelle benutzen, die du da unten findest.«

»Ach so«, sagte er. »Ist gut.« Er schaute uns fast flehend an.

»Es sollte nur ein Jux sein«, sagte er. »Es ist alles schiefgelaufen.«

Wir hatten kein gutes Wort für ihn, und so drehte er sich um und ging wieder die Einfahrt hinunter, wo seine Schritte langsam verschwanden.

»Was denkst du?« sagte Bobby.

»Ich denke, wir sollten die Glocke so anbringen, daß jeder, der die Einfahrt heraufkommt, sie auslöst.«

»Finde ich auch. Und gleich nach dem Aufstehen binde ich sie los.«

Wir begannen damit, eine schwarze Schnur straff in Kniehöhe über die Einfahrt zu spannen, und hörten, wie Graves’ Wagen in der Ferne ansprang.

»Er hat ihn gefunden«, sagte Bobby. Er lächelte. »Wußtest du, daß in der Straße gar keine Telefonzelle ist?«

Wir stellten die simple Alarmanlage fertig und gingen gähnend ins Haus, um noch ein paar Stunden zu schlafen.

Als ich mich hinlegte, sann ich darüber nach, auf welche Art und Weise eine Fehde entstehen konnte, so wie mit Graves, die dann vielleicht jahrhundertelang fortbestand, wie bei den Allardecks und Fieldings, und sich zu politischer und religiöser Verfolgung auf nationaler Ebene ausweiten konnte, zu einer hartnäckig sich selbst verewigenden Denkschablone, einem zerstörerischen, verbohrten Haß. Ich würde in meinem kleinen Winkel einen Anfang machen, dachte ich sardonisch, schon halb im Schlaf, und mein Unterbewußtsein zwingen, die Allardecks zu lieben, zu denen meine Schwester, Gott helfe ihr, gehörte.

Die Beharrlichkeit der Dinge zeigte sich am Morgen von der häßlichsten Seite.

Ich ging ans Telefon, als es um halb neun klingelte, denn Bobby bewegte draußen seine Pferde, während Holly sich erneut nicht wohl fühlte. Am Apparat war der Futterhändler, und er rief an, um in seinem Eton-Akzent mitzuteilen, daß er ein weiteres Exemplar der Daily Flag erhalten hatte.

»Ich habe sie gerade reingeholt«, sagte er. »Sie ist von heute. Montag. Ein Beitrag ist wieder rot eingerahmt.«

»Was steht drin?« fragte ich mit sinkendem Mut.

»Ich glaube ... na ja ... Sie können sie holen kommen, wenn Sie möchten. Der Text ist diesmal länger. Und ein Bild von Bobby ist dabei.«

»Ich komme.«

Ich fuhr sofort mit Hollys Wagen rüber und fand den Futterhändler wie zuvor in seinem Büro. Wortlos gab er mir die Zeitung, und mit wachsender Bestürzung schaute ich auf das Foto, das Bobby als grinsenden Idioten erscheinen ließ, und las den Tiefschlag in den >Intimen De-tailsc.

Zunehmende Geldsorgen hat Robertson (Bobby) Allardeck (32), der nach wie vor ein paar Pferde in den einst blühenden Ställen seines Großvaters in Newmarket trainiert. Die Händler am Ort drohen, wegen unbezahlter Rechnungen vor Gericht zu gehen. Bobby bestreitet lahm, daß die Besitzer der verbliebenen Pferde Grund zur Sorge haben, obwohl der Futterhändler seine Lieferungen eingestellt hat. Wie wird das enden?

Nicht mit einem himmlischen Geschenk von Papa. Maynard »Geldsack« Allardeck (50), bös auf Bobby wegen dessen unerwünschter Heirat, wird nicht zu Hilfe kommen.

Maynard, der es bekanntlich auf die Ritterwürde abgesehen hat, gibt sein ganzes Kleingeld an wohltätige Stiftungen.

Die Meinung des armen Bobby? Nicht druckfähig.

Demnächst mehr an dieser Stelle.

»Wenn Bobby nicht wegen Verleumdung klagt«, sagte ich, »tut es bestimmt sein Vater.«

»Je größer die Wahrheit, desto größer die Verleumdung«, meinte der Futterhändler trocken und setzte hinzu: »Sagen Sie Bobby, er hat wieder Kredit bei mir. Ich habe es mir überlegt. Er hat mich immer ordentlich bezahlt, wenn auch immer mit Verspätung. Und ich mag nicht von solchem Mist manipuliert werden.« Er deutete auf die Zeitung. »Also sagen Sie Bobby, daß ich ihn wie gehabt beliefere. Das soll er auch seinen Besitzern sagen.«

Ich dankte ihm und fuhr zurück zu Bobbys Haus, wo ich bei einer Tasse Kaffee in der Küche die Intimen Details noch einmal las. Dann rief ich gedankenvoll den Futterhändler an.

»Haben Sie eigentlich jemandem erzählt«, sagte ich, »daß Sie vorhatten, Bobby nicht mehr zu beliefern?« »Ich habe es Bobby gesagt.« Er klang ebenso nachdenklich. »Sonst keinem.«

»Sicher?«

»Absolut.«

»Auch nicht Ihrer Sekretärin? Ihrer Familie?«

»Ich gebe zu, daß ich am Freitag sehr verärgert war und augenblicklich mein Geld haben wollte, aber keiner hat mitbekommen, wie ich Bobby deswegen eine Standpauke hielt, bestimmt nicht. Meine Sekretärin kommt freitags erst um elf, und wie Sie wissen, ist mein Büro in einem Nebengebäude. Ich war allein, als ich ihn anrief, das versichere ich Ihnen.«

»Gut, vielen Dank«, sagte ich.

»Der Informant muß bei Bobby sein«, beharrte er.

»Ja. Ich glaube, Sie haben recht.«

Wir legten auf, und ich begann - was ich noch nie getan hatte - die Flag von vorn bis hinten zu lesen, um vielleicht Aufschluß darüber zu erhalten, was eine Zeitung veranlaß-te, plötzlich einen harmlosen Menschen anzugreifen und ihn vernichten zu wollen.

Der durchgehende Tenor der Flag, stellte ich fest, war selbstgerechte Bosheit, ihr Motto Hohn, ihr Nachgeschmack die sichere Gewähr dafür, daß der Leser kampflustig aufstand und nach einem Vorwand suchte, um sich zu ärgern oder Zwietracht zu säen.

Jede Story, die auf irgendwen ein schlechtes Licht warf, war drin. Lob fehlte. Das Herabsetzen war zu einer kleinen Kunst entwickelt worden, so daß eine Frau, wie prominent und erfolgreich auch immer, niemals etwas sagte; statt dessen »flötete« sie, oder sie »kreischte«, wenn sie nicht »jammerte«. Ein Mann »gluckste«, oder er »keifte«, oder er »quiekte«.

Das Wort »Zorn« erschien auf jeder einzelnen Seite. Alles mögliche wurde »geknallt«, nur keine Türen. Wenn von Leuten berichtet wurde, daß sie etwas bestritten, erhielt »bestreiten« den Sinn von »schuldig, aber ungeständig«, und das Wort »behaupten«, wie etwa in: »Er behauptet, gesehen zu haben«, war aus der Sicht der Flag gleichbedeutend mit: »Er lügt, wenn er sagt, er hat gesehen ...«

Die Flag war der Auffassung, Respekt sei überflüssig, Neid normal, alle Beweggründe seien niedrig und geliebt würden nur Hunde; und vermutlich war es das, was die Leute lesen wollten, denn die Auflage (so schrieb die Flag) stieg jeden Tag.

In der Annahme, daß eine Zeitung letzten Endes die Persönlichkeit ihres Verlegers widerspiegelte, wie der Towncrier die von Lord Vaughnley, hielt ich den Verleger der Daily Flag für destruktiv, berechnend, unsozial und gefährlich. Keine erhebenden Aussichten. Es bedeutete, daß man schwerlich an das Gute in der Flag appellieren konnte, damit sie Bobby in Ruhe ließe, denn das Gute war nicht vorhanden.

Holly kam blaß, aber besser gelaunt nach unten, Bobby kehrte mit frischem Optimismus von der Heide zurück, und daß ich ihre neu geschöpfte Kraft schon im Ansatz zerstören mußte, war für mich nur ein Grund mehr, die Flag zu verabscheuen.

Holly begann leise zu weinen, und Bobby hätte am liebsten Geschirr zerschmissen, während er in der Küche umherstapfte, und immer noch blieb die Frage unbeantwortet: Warum?

»Diesmal«, sagte ich, »geht ihr zu eurem Anwalt, egal, was es kostet. Außerdem werden wir alle eure dringendsten Rechnungen jetzt auf der Stelle bezahlen und lassen uns von euren Gläubigern schriftlich geben, daß sie ihr Geld erhalten haben. Und diese Zahlungsbestätigungen fotokopieren wir im Dutzend. Wir werden jedem, der eine Flag bekommen hat, einen Satz davon schicken, ebenso an die Flag selbst - per Einschreiben an ihren Chefredakteur Sam Leggatt - und an jeden, der uns sonst noch einfällt. Und dazu legen wir einen Begleitbrief von euch, in dem ihr schreibt, daß ihr nicht versteht, warum die Flag euch angreift, daß die Angriffe aber keine Grundlage haben, daß der Stall in guter Verfassung ist und daß ihr ihn mit Sicherheit nicht aufgebt.«

»Aber«, sagte Holly schluckend, »die Bank wird unsere Schecks nicht anerkennen.«

»Hol die dringendsten Rechnungen«, sagte ich zu Bobby, »und wir sehen sie uns mal an. Besonders die vom Hufschmied, von den Tierärzten und den Transportunternehmen. Die und alle anderen, die unerläßlich sind, bezahlen wir.«

»Womit?« sagte er reizbar.

»Mit meinem Geld.«

Sie waren beide plötzlich still, wie geschockt, und ich erkannte zu meiner großen Freude, daß ihnen diese simple Lösung überhaupt nicht in den Sinn gekommen war. Sie waren keine Schnorrer, die beiden.

Holly konnte ihre aufsteigende Hoffnung nicht verbergen, sagte jedoch zweifelnd: »Aber dein neues Haus. Das muß doch deine Ersparnisse schlucken. Du hast das Cottage noch nicht bezahlt bekommen.«

»Es ist genug da«, versicherte ich ihr. »Und fangen wir mal an, denn ich muß jetzt bald schon nach Plumpton.«

»Aber das können wir nicht ...«:, sagte Bobby.

»Doch, ihr müßt. Keine Widerrede.«

Bobby sah niedergeschmettert drein, aber er holte das Bündel Rechnungen, und ich schrieb mehrere Schecks aus.

»Die bringt ihr heute morgen selber an die Leute und laßt euch wasserdichte Quittungen geben; den Begleitbrief dafür setzen wir gleich noch auf«, sagte ich. »Und seht zu, ob ihr sie alle noch fotokopieren und in Sätze sortieren könnt, bevor die Nachmittagspost abgeht. Ich weiß, das ist ein schönes Stück Arbeit, aber je eher, desto besser, meint ihr nicht?«

»Auch einen Satz an Graves?« fragte Bobby.

»Selbstverständlich auch an Graves.«

»Wir fangen sofort an«, sagte Holly.

»Vergeßt den Futterhändler nicht«, erinnerte ich. »Der wird euch was Gutes schreiben. Es paßte ihm nicht, daß die Flag ihn benutzt hat.«

»Ich erwähne es ungern ...«:, begann Holly zaghaft.

»Die Bank?« fragte ich.

Sie nickte.

»Laßt die Bank erst mal. Morgen könnt ihr vielleicht mit einem Satz Zahlungsbestätigungen zu dem Filialleiter gehen und zusehen, ob er euch wieder für kreditwürdig hält. Er hätte weiß Gott allen Grund. Seine Bank verdient genug Zinsen an euch, besonders bei den Jährlingsdarlehen. Und die Jährlinge habt ihr ja noch als Sicherheit.«

»Leider«, meinte Bobby.

»Eins nach dem andern«, erwiderte ich.

»Ich rufe gleich mal meinen Anwalt an«, sagte er, griff nach dem Hörer und schaute auf seine Uhr. »Er wird jetzt dasein.«

»Das täte ich lieber nicht«, warf ich ein.

»Aber du sagtest doch .«

»Ihr habt hier einen Informanten im Haus.«

»Was meinst du damit?«

»Euer Telefon, wie mir scheint.«

Er blickte mit angewidertem Verständnis auf den Apparat und sagte fast stöhnend: »O Gott.«

»Es wäre nicht das erste Mal«, sagte ich; und tatsächlich hatte es in Lambourn eine Zeit gegeben, wo jedermann unter der Vorstellung litt, abgehört zu werden, und jedes Gespräch vom Privatanschluß nach Möglichkeit vermied. Ungebetenes Mithören mochte verboten sein, aber praktiziert wurde es dennoch, das war allgemein bekannt.

Ohne weitere Umstände schraubten wir sämtliche Telefone im Haus auseinander, fanden aber keine haftminenartigen Wanzen in ihrem Innern. Unsere Spezialität waren allerdings Pferde, nicht Elektrotechnik, und Bobby sagte, er würde von einem Münzfernsprecher aus die Telefongesellschaft anrufen und jemand bestellen, um nachzusehen.

Es ergab sich, daß Bobby gerade an der Küchenwand kniete, wo er den Telefonstecker zusammenschraubte, und daß Holly und ich in der Mitte des Zimmers standen und ihm zuschauten, so daß der Neuankömmling, der plötzlich unangekündigt erschien, zuerst meine Schwester und mich erblickte.

Ein hochgewachsener Mann mit blondem, ergrauendem Haar, fantastisch frisiert. Klare, ansprechende Gesichtszüge, glatt rasiertes rundes Kinn; gute Figur in einem grauen Straßenanzug von tadellosem Zuschnitt. Ein Mann von fünfzig Jahren, ein Mann von Einfluß, dessen bloße Gegenwart die Küche erfüllte, ein Mann, der ein zusammengefaltetes Exemplar der Daily Flag in der Hand hielt und Holly und mich mit offenem Widerwillen betrachtete.

Maynard Allardeck, Bobbys Vater.

Mir - wie ich ihm - bekannt als der Feind. Wir kannten einander durch häufiges Sehen, durch Indoktrination, durch den beruflichen Namen. Kannten uns seit jeher, waren uns noch niemals willentlich begegnet.

»Fieldings«, sagte er mit abgründigem Haß; und zu mir direkt: »Was haben Sie in diesem Haus zu suchen?«

»Ich habe ihn hergebeten«, sagte Bobby und richtete sich auf.

Sein Vater drehte sich abrupt zu ihm herum, sah zum ersten Mal seit über vier Jahren den Sohn aus der Nähe.

Sie starrten sich einen Augenblick an wie versteinert, als lernten sie von neuem die vertrauten Züge, und machten eine äußere Bestandsaufnahme. Vielleicht sahen sie einander zum Teil als Fremde, Unbekannte. Wenn irgendeiner von uns eine Versöhnung erhofft oder herbeigewünscht hatte, so zeigte sich, daß Maynard das Gegenteil wollte. Er war nicht gekommen, um zu helfen oder auch nur zu trösten, sondern um zu meckern.

Ohne irgendeine Form der Begrüßung sagte er: »Wie kannst du es wagen, mich in deine schmutzigen kleinen Sorgen reinzuziehen.« Er fuchtelte mit seinem Exemplar der Flag. »Ich lasse nicht zu, daß du der Presse etwas vorjammerst wegen einer Sache, die allein deine Schuld ist. Wenn du in eine Gaunerbande einheiratest, nimm die Konsequenzen auf dich und halte mich gefälligst da heraus.«

Ich nehme an, daß wir alle so verständnislos dreinblickten wie Bobby. Maynards Stimme war voller Zorn und sein plötzlicher Angriff maßlos übertrieben, aber was uns verblüffte, war sein Gedankengang.

»Ich hab nicht«, sagte Bobby verdattert. »Ich meine, ich hab nicht mit der Presse geredet. Auf die Idee käme ich nicht. Sie haben das einfach geschrieben.«

»Und von wegen, daß ich dir kein Geld gebe. Woher sollen sie das haben, wenn du es ihnen nicht gesagt hast? Erzähl mir das mal.«

Bobby schluckte. »Du hast es doch immer gesagt ... Also, ich dachte, du meinst es ernst, daß du mir keins geben willst.«

»Selbstverständlich ist das mein Ernst.« Sein Vater funkelte ihn an. »Du kriegst auch keins. Darum geht’s nicht. Du hast kein Recht, darüber in der Öffentlichkeit zu plärren, und ich dulde das nicht, hörst du?«

»Ich hab’s nicht getan«, protestierte Bobby, aber ohne Nachdruck.

Ich überlegte, wie sehr Vater und Sohn sich im Äußeren glichen und wie wenig im Charakter. Maynard hatte sechsmal mehr Energie als Bobby, aber nichts von seinem Sportsgeist. Maynard konnte Geld für sich arbeiten lassen, Bobby arbeitete, um zu Geld zu kommen. Maynard konnte einen Groll unerbittlich konservieren, Bobby konnte wanken, weich werden und umdenken. Die relative Schwäche von Bobby, dachte ich, war zugleich seine Stärke.

»Du mußt geplappert haben.« Maynard blieb eindeutig verletzend in seinem Ton, und ich dachte bei mir, wenn Bobby jemals in die Welt hinausposaunen wollte, daß ihn sein Vater hängenließ, dann hätte er alle Veranlassung und jedes Recht dazu.

Bobby sagte hastig: »Wir nehmen an, daß jemand unser Telefon abhört.«

»Ach so, ja?« sagte Maynard unheilvoll und warf einen zornigen Blick auf das stumme Gerät. »Dann hast du also am Telefon über mich gelästert, was?«

»Nein«, sagte Bobby halb stotternd. »Ich meine, auch da nicht. Aber ein oder zwei Leute meinten, bitte doch deinen Vater um Geld, und ich sagte, das könnte ich nicht.«

»Und dieser Quatsch«, Maynard peitschte grimmig die Luft mit der Zeitung, »daß ich auf die Ritterwürde aus bin. Das lasse ich mir nicht bieten. Das ist eine verdammte Lüge.«

Hier gewann ich klar den Eindruck - vielleicht wegen eines erkennbaren Anteils von Furcht in seiner Stimme -, daß dieser Quatsch mit der Ritterwürde der eigentliche Grund für Maynards Wut war.

Es war keine Lüge, dachte ich entschieden. Es stimmte. Er mußte tatsächlich aktiv um den Titel bemüht sein. Großvater hatte gesagt, Maynard habe mit neun den Wunsch gehabt, ein Lord zu werden. Maynard mit fünfzig war noch die gleiche Person, aber jetzt mit Geld, mit Einfluß, zweifellos mit einem Draht zu den richtigen Stellen. Maynard konnte gerade jetzt in delikate, aber völlig ungesetzliche Verhandlungen verwickelt sein.

Sir Maynard Allardeck. Es ging einem wirklich flott von den Lippen. Sir Maynard. Verbeugt euch vor mir, ihr Fiel-dings. Ich stehe über euch, einen Bückling bitte.

»Ich habe nichts von einer Ritterwürde gesagt«, verwahrte sich Bobby energischer. »Ich meine, ich weiß doch gar nicht, ob du einen Adelstitel anstrebst. Darüber habe ich kein Wort verloren. Ich hab nie daran gedacht.«

»Warum verklagen Sie die Zeitung nicht?« sagte ich.

»Sie sind still«, fuhr er mich an. »Halten Sie sich da raus.« Er wandte sich wieder an Bobby. »Wenn du nicht am Telefon von einer Adelung gesprochen hast, woher haben die das dann? Warum schreiben sie das ... diese verdammte Lüge? Erzähl mir das mal.«

»Ich weiß es nicht«, sagte Bobby verwirrt. »Ich weiß nicht, warum die das alles überhaupt geschrieben haben.«

»Jemand hat dich angestiftet, mir Scherereien zu ma-chen«, sagte Maynard und blickte hart, gemein und tödlich ernst.

Alle drei starrten wir ihn entgeistert an. Wie einer so denken konnte, ging über meinen Horizont.

Bobby sagte immer noch stotternd: »Natürlich nicht. Ich meine, das ist doch Unfug. Was sie geschrieben haben, hat nicht dich in Bedrängnis gebracht, sondern mich. Ich würde mir doch nicht selber Scherereien machen. Das ergibt keinen Sinn.«

»Drei Leute riefen mich heute morgen schon vor sieben an, um mir mitzuteilen, daß wieder etwas in der Flag steht«, sagte Maynard zornig. »Ich hab mir auf dem Weg hierher eine gekauft. Ich war augenblicklich überzeugt, daß dein ekelhafter Schwager oder sein Großvater, das Schwein, dahinterstecken; das ist genau ihre dreckige Art.«

»Nein«, sagte Holly.

Maynard überging sie, als hätte sie den Mund nicht aufgetan.

»Ich bin hergekommen, weil du wissen sollst, daß es dir recht geschieht«, sagte er zu Bobby, »und ich bestehe darauf, daß du die Fieldings zwingst, einen Widerruf in die Zeitung zu setzen.«

»Aber«, Bobby schüttelte den Kopf, als hätte er einen Schlag erhalten, »es war nicht Kit. Er würde das nicht tun. Auch nicht sein Großvater.«

»Du bist weich«, sagte Maynard verächtlich. »Du hast nie begriffen, daß sie dir ins Gesicht lächeln können, während sie dir ein Messer in die Rippen stoßen.«

»Hollys wegen«, beharrte Bobby, »würden sie es nicht tun.«

»Du bist ein einfältiger Narr«, sagte sein Vater. »Warum sollten sie nicht versuchen, deine Ehe zu zerrütten? Die wollten sie genauso wenig wie ich. Es ist ein listiger, raffinierter, rachsüchtiger Clan, die ganze Bande, und wenn du einem von ihnen traust, hast du verdient, was du bekommst.«

Bobby warf mir einen raschen Blick zu, aus dem ich nur Unbehagen, keine Vorbehalte las. Weder Holly noch ich verteidigten uns in irgendeiner Form, denn bloße Worte würden Maynard von den Meinungen, die er sein Leben lang gehegt hatte, nicht abbringen, und Ohrfeigen ebensowenig. Außerdem hatten wir ähnliche Schmähreden zu oft bei unserem Großvater gehört, eben über die Allardecks. Wir waren inzwischen gegen heftige Reaktionen mehr oder minder gefeit. Interessanterweise war es Bobby, der protestierte.

»Kit und Holly kümmert es, was aus mir wird«, sagte er. »Dich nicht. Kit kam, um zu helfen, du nicht. Also halte ich mich an die Tatsachen, und ich bin anderer Ansicht als du.«

Maynard sah aus, als traue er seinen Ohren nicht, und um ehrlich zu sein, ich traute meinen auch kaum. Es war nicht nur, daß die Äußerung Bobbys eine ketzerische Abkehr von seiner Erziehung darstellte, sondern daß er den Mut hatte, vor seinen Vater hinzutreten und es ihm ins Gesicht zu sagen.

Ein wenig nervös sah er dabei schon aus. Maynard, so hieß es, weckte Nervosität en gros in den Sitzungssälen jeder Firma, auf die sein Auge fiel, und an diesem Morgen begriff ich, warum. Die unbeugsame Härte in ihm, für uns drei deutlich wahrnehmbar, war bestimmend für seinen Erfolg, und zumindest bei uns gab er sich keine Mühe, sie zu verbergen oder mit Charme zu verkleiden.

Bobby machte eine frustrierte Geste mit beiden Händen, ging zur Spüle hinüber und ließ Wasser in den Kessel laufen.

»Möchtest du Kaffee?« fragte er seinen Vater.

»Natürlich nicht.« Er sprach, als wäre er beleidigt worden.

»Ich habe eine Ausschußsitzung im Jockey-Club.« Er sah auf seine Uhr, dann auf mich. »Sie«, sagte er, »haben mich angegriffen. Und dafür werden Sie büßen.«

Ich antwortete ruhig, aber deutlich: »Wenn ich höre, daß Sie im Jockey-Club gesagt haben, ein Fielding sei verantwortlich für das, was in der Flag stand, verklage ich Sie wegen übler Nachrede.«

Maynard starrte mich böse an. Er sagte: »Sie sind Abschaum von Geburt, Sie sind den Wirbel, den man um Sie macht, nicht wert, und ich würde Sie gern tot sehen.«

Ich spürte, wie Holly neben mir in einem leidenschaftlichen Gefühlsausbruch vorwärtsstürzen wollte, und packte fest ihr Handgelenk, um sie zu halten. Tatsächlich war ich sehr zufrieden. Ich hatte Maynard an den Augen abgelesen, daß er geneigt war, mich ernst zu nehmen, daß ich das aber nicht wissen sollte. Außerdem hatte ich soeben mit gemischten Gefühlen begriffen, daß gerade mein Erfolg, mein Championat für ihn in seiner Besessenheit unerträglich war.

Drüben im Jockey-Club, der sein uraltes Hauptquartier in der Hauptstraße von Newmarket hatte und dem er seit vier oder fünf Jahren angehörte, würde Maynard, wenn wir Glück hatten, die ganze Flag-Affäre jetzt mit einem mürrischen Scherz abtun. Dort in der Organisation, die den Rennsport regierte, würde er sich höflich geben und das Knurren verbergen. Dort, wo er in untergeordneten Ausschüssen tätig war, während er entschlossen diese spezielle Leiter hochstieg, womöglich um in absehbarer Zeit Steward zu werden - einer des obersten Triumvirats -, würde er jetzt vielleicht aufpassen, daß er nichts sagte, was mir zu Ohren kommen könnte.

Es gab weder aktive Berufsrennreiter im Jockey-Club noch Trainer mit laufender Lizenz, wenn auch ein paar Ehemalige aus beiden Sparten sich auf die Ränge verteilten. Doch es gab viele Pferdebesitzer, unter denen ich wahre Freunde hatte. Die annähernd 140 Mitglieder, die sich der Pflege des Rennsports widmeten, waren intern gewählt, ein exklusiver Verband. Wenn Maynard jemals eine stille Kampagne unternommen hatte, um die Mitgliedschaft zu erhalten, mochte es ihm geholfen haben, daß er aus einer alteingesessenen Rennsportfamilie kam, und es mochte ihm geholfen haben, daß er reich war, doch eines war sicher: Niemals hätte er in diesem kultivierten Rahmen das krasse, brutale Vorurteil gegen die Fieldings zu erkennen gegeben, mit dem er in der Küche herausgeplatzt war. Nichts stieß die höflichen Clubmitglieder so sehr zurück wie die Überschreitung gebotener Grenzen.

Daß Maynard in der Öffentlichkeit gute Manieren wahrte, lag durchaus in meinem Interesse.

Maynard ging, wie er gekommen war, unter Mißachtung privater Umgangsformen, und marschierte grußlos aus der Küche. Wir lauschten den entschwindenden Schritten, dem fernen Zuschlagen einer Autotür und dem Anspringen des Motors.

»Ist dir klar«, fragte Bobby mich langsam, »wenn er zum Steward ernannt wird und du noch Jockey bist ... daß du dann arm dran sein könntest ...?«:

»Mm«, sagte ich trocken. »Wirklich sehr unangenehm.«

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