1. Königsdrama
Das Ornat glitzerte in den politischen Farben der Stunde: Eisencyanblau, Rapsgelb und Maigrün.
So trat Lasara vor ihren Vater, der sein Haupt verhüllt hatte, mit Sichtfiltern und Lesespiegeln, damit er sah, was auf seiner Welt geschah, während niemand erkennen sollte, daß er trauerte.
Die Tochter wußte es dennoch:»Ich habe die Glühwürmchen gesehen, wie sie aus deinem Fenster geflogen sind. Sie schwärmen aus, nicht wahr? Die Belagerung von Landers hat begonnen. Das ist deine größte Niederlage. Die Käfer fliegen. Nichts, was jetzt geschieht, ist mehr rückgängig zu machen. Georgescu, höre ich, findet Gefallen daran, Setzlinge in sämtliche Gentesorten einzumanteln, die ihr früher unheimlich gewesen sind. Sie soll ein Walhai gewesen sein, und jetzt… diese Glühwürmchen… aber eine Dachsin ist sie, und das bleibt sie. Ihr seid Traditionalisten, die nicht mehr verstehen, was kommt. Am liebsten wäre euch gewesen, wenn die alte Lehre, Bene Gente, sich durchgesetzt hätte, so wie bei Robespierre der Kult des Höchsten Wesens. Ihr geratet in Panik, ihr probiert alles aus, was euch an früher erinnert. Aber es gibt keinen Plan.«
«Sie ist eine der Besten«, sagte der Löwe, als hätte er die Vorwürfe nicht gehört.»Mein, wie sagst du immer? Mein Thron wäre ohne sie längst gekippt.«
Lasaras Stimme verriet Mitgefühl:»Es ist zu spät.«
Er mochte, wie sie redete: erstaunlich tiefsinnig für so ein feingliedriges, verspieltes Wesen.
Sie insistierte:»Du wirst ihn nicht retten können. Den Thron.«
Er lächelte:»Eine Weissagung? Von dir, die gar nichts glauben will, was sie nicht direkt vor sich sieht? Jetzt glaubst du also, du wüßtest, was jenseits deiner Erfahrung liegt? Mein Thron, wie du das Zeichen nennst, das ich nicht mir, sondern den Gente errichtet habe…«
«Kann das Bestand haben? Kann Rohr aufwachsen, wo es nicht feucht ist? Schilf ohne Wasser? Noch steht's in Blüte, aber bevor man es schneidet, da verdorrt es schon vor allem Gras. So geht es jedem, der Gott vergißt, und die Hoffnung des Ruchlosen wird verloren sein. Denn seine Zuversicht vergeht, und seine Hoffnung ist ein Spinnweb.«
«Pfffja… die alten Bücher, die alten Geschichten…«, er schnaufte müde,»und Gott, na, ich dachte, wenigstens bringst du mir was Neues, wenigstens dieses, na, wie heißt es, Wetzelchen…«
Lasara wurde deutlicher:»Deine Freunde verschwinden. Bald müssen sie sterben. Die Glühwürmchen werden zurückkehren mit Geschichten von fürchterlichen Verlusten, jeden Tag.«
Er wandte sich ihr zu; sie sah sein Gesicht hinter den Blenden nicht.
«Schließ dich mit mir zusammen«, sagte der Uralte.»Komm an meine Seite, führ die Geschäfte mit mir. Bereite die Schlachten vor, die wir erwarten.«
Sie schüttelte den Kopf, trat näher heran und setzte sich zu seinen Pfoten.»Wer war es diesmal? Wen hast du verloren?«
«Du kennst ihn… sie nicht. Erste Generation. Hat mit mir die Befreiung möglich gemacht.«
«Die Virenforscherin?«
Er klappte einen Spiegel beiseite, sah sie an. Die klaren Augen des Monarchen waren rot, er gönnte sich weder Schlaf noch Medikamente, die diese nun bereits seit Wochen anhaltende Schlaflosigkeit erträglicher gemacht hätten. Dunkel brütend sagte er:»Du weißt mehr, als ich dachte.«
«Und vielleicht schon mehr, als du selbst weißt. Man sagt dir längst nicht mehr alles, aus Angst vor deinem Zorn, vielleicht schon… aus Angst vor deiner Verzweiflung. Vater, du solltest dich auf diesen Krieg, von dem du glaubst, er wäre unvermeidlich, nicht einlassen. Du solltest meinen Plan noch einmal anhören. Wirklich prüfen.«
Er wurde unwirsch:»Ach was. Ich weiß doch längst, daß du auch nach meinem Verbot an deiner… Arche festhältst. An dieser Ausgeburt deiner Verzweiflung, wenn wir schon von Verzweiflung reden. Du willst sie sammeln, jedes nach seiner… Art, als ob das Wort wieder eine Bedeutung hätte, über den Bauplan hinaus. Willst sie dann wieder ausstreuen, in alle Himmel schießen, wie Sporen. Da sollen sie als Monaden sich verhalten, wie… wie der alte Schleimpilz, an den sich damals, gegen Ende der Langeweile, soviel Hoffnung klammerte. Die Christen haben an den Fisch geglaubt, als die Antike unterging; die Wissenschaftler an Synergetik, an Selbstorganisation und Emergenz, an dictyostelium discoideum und die Menschheit, ans Kollektiv, Weltgesellschaft, Globalisierung, da war der Untergang des homo sapiens längst unvermeidlich. Und jetzt willst du für die Gente dasselbe… Aufgeben, um zu gewinnen. Zerstreuen, um bündeln zu können. Fliehen, um standzuhalten. Wahn.«
«Du hast selbst über Flucht nachgedacht. Warum sonst sollte man die Setzlingstechnologie erfinden und entwickeln lassen? Izquierda hat mir Pläne gezeigt, bevor sie… verschwand.«
«Rückzug. Taktischer Rückzug. Niemals Flucht. Du? Du hörst nicht zu, wenn ich dir solche Unterschiede zu erklären versuche, bei denen es ums Ganze geht. Du mußt deinen Dickkopf haben. Läßt hinter meinem Rücken Projektile zünden, baust deine Knallkörper, spionierst in meinem Satellitennetzen..«
«Sie fallen runter. Deine Satelliten. Sie sind alt, manche älter als du. Niemand wartet sie. Ausfälle. Lücken.«
«Deine lächerlichen… ihr habt immer gemacht, was ihr wollt. Ohne Rücksicht auf… ohne Sinn und Verstand.«
«Ihr«— sie lächelte melancholisch; diese schwermütige Musik kannte sie allzu gut.
«Ihr, ja. Deine Mutter… und auch Paul, oder Élodie, oder wie immer er, sie, es sich zuletzt genannt hat. Schwan! Ja: Eitelkeit. Und Pazifismus. Possen. So stirbt man dann, ausgelöscht, Kerzenflamme im Orkan, und der einzige, den's interessiert, bin ich, dem zum Trotz man sich in all diese Gefahren begeben hat. Fort ist sie — eines der hellsten Gehirne, die je in der Nacht, die uns umstellt hat…«
«Warum, glaubst du, fallen sie ab, oder werden dir gestohlen, vor deiner Nase? Weißt du sicher, daß das ein Gewaltakt war, bei Izquierda? Kann sie nicht übergelaufen sein? Haben wir je verstanden, wie sie denkt, wie Ryuneke denkt, wie überhaupt die fortgeschrittensten Gente, die das Dogma der Verkörperung…«
«Dogma! Wie redest du mit mir? Ich bin kein Kirchenvater. Ich habe die Gente geschaffen, ich! Wenn…«
«Wichtiger ist doch: Warum verlierst du jetzt alle?«
«Alle, Blödsinn. Du sitzt hier, selbst du bleibst bei mir, die Eigensinnigste. Ihr erwartet immer noch, daß ich euch rette, und verheimlicht die Erwartung zugleich vor euch selbst. Ich soll euch befreien, wie damals. Izquierda? Sie ist entführt worden. Ein Verbrechen. Aus demselben Motiv, aus dem man auch den Fisch ermordet hat, in den Archiven. Den, und seine ganze Kommission über Gametenpartnerfragen, hat deine Mutter bezahlt und angeleitet, von… na, wo auch immer sie steckt. Schau dir sein Schicksal an, sein völliges Versagen. Er stand für eine Idee, die für deine Mutter typisch ist: Kompromiß, Versöhnung zwischen Katahomenleandraleal und uns, indem wir mit ihm über diese Dinge… reden: über Frauen, Männer, Weibchen, Männchen, Reproduktion, Speziesgrenzen — das, dachte deine Mutter, sei das Thema. Weil wir uns kaum noch fortpflanzen, der langen Lebensdauer wegen — fünfhundert Jahre, und immer noch erst drei, warte, nein, vier Generationen. Ein Gesprächsangebot, fabelhaft. Weil es so aussah, als ob das Dschungelzeug auf Vermehrung auf exponentielles Wachstum, Fraß und Assimilation von allem, was im Weg steht, einen Heißhunger… Wir, die Gente, stehen für Stasis, die Dschungelabscheulichkeit für Expansion — so denkt Livienda. Aber wenn man so denkt — und ich denke ganz anders —, wie kann man… Ach, was soll der Hader. Du willst fliehen, sie will verhandeln, ich will kämpfen. Dich läßt das Dschungelungeheuer interessanterweise in Ruhe, mich und deine Mutter bekämpft es. Der Feind, so scheint es, duldet allenfalls die Flucht. Er will vertreiben. Uns. Meine Minister, die Fortpflanzungsrechtler deiner Mutter: Die mußten verschwinden, damit klar ist, daß dieser… Moloch im Urwald keinen Wert legt auf Versöhnung, keine Angst hat vor dem Krieg. Gut, ich nehme ihn beim Wort. Wir werden sehen.«
Lasara schlug die Augen nieder:»Markige Posen, Vater. Das ist alles, worum es noch geht. Haltungen. Psychologisches.«
«Wenn du's so sehen willst«, jetzt klang er sanfter,»aber Posen, und nicht nur markige, sind überlebenswichtig für denkende Wesen. Wer sich um die Haltung des Gerechten erfolgreich bemüht, ist tatsächlich gerecht.«
«Das hoffst du, ja. Das soll dich rechtfertigen, am Ende. Aber ich wollte gar nicht von dir wissen, wie du Izquierdas Verschwinden… strategisch einordnest. Mit geht es, wenn ich danach frage, um etwas ganz anderes. «Bevor der Vater reagieren konnte, ergänzte sie wie nebenbei:»Den blöden Fisch übrigens, den hab ich selber um die Ecke bringen lassen, durch meinen treuen Esel.«
«Wie… warum, um alles…«
«Es wurde mir zu brenzlig bei der Sache. Die Keramikaner riechen, horchen, spähen seit Jahrzehnten überall. Und da ich weiß, wo Mutter ist, und es sich dabei um einen Ort handelt, an dem Katahomenleandraleal leichten Zugriff auf sie hat, mußte ich den Zander zum Schweigen bringen. Er hätte, da er in Verbindung mit ihr stand, sie irgendwann verraten, absichtlich oder unabsichtlich. Bevor die Keramikaner ihm ihren Aufenthaltsort entlocken konnten, sandte ich ihr auf diese Weise auch ein Zeichen, daß…«
«Du verkehrst also mit dem unvernünftigen Geschöpf, das dich geboren hat?«
«Nicht mehr. Sie hat nie wieder versucht, Kontakt aufzunehmen, meine Nachricht also richtig verstanden. Ich denke, sie bereitet ihre Flucht vor. Zu mir.«
«Und du bereitest die Flucht aller Gente vor, nach Wolkenkuckucksheim. Sie nennen es ›die vierte Stadt‹, hast du's gehört? Ja, sicher, das hast du. Und bist wahrscheinlich stolz darauf. Aus was ist sie gebaut, diese vierte Stadt? Ich habe die drei Städte aus vormaligen Ländern zusammengefaßt, die von den Menschen erzeugte zweite Natur so entschieden urbar gemacht wie jene die erste. Woraus ist dein Rohstoff? Aus Träumen? Was gibt es noch zu sagen, zwischen uns?«
«Du mußt nicht grob werden. Ich bleibe, bis du meine Frage verstanden hast, gleichgültig, wie deine Antwort dann ausfällt. «Er hob die Tatze und wischte nach ihr, absichtlich kraftlos:»Reiz mich nicht.«
«Was bedeutet es, daß sie verschwinden? Ich will, daß du erkennst, wie hoffnungslos unterlegen wir sind. Die Gente. Erst, wenn du dir ein Bild davon gemacht hast…«
Er erhob sich von seiner Konsole, nahm die Spiegel ab und warf den Harnisch wütend auf den Boden. Dann brüllte er, daß die fließenden Wände erzitterten:»Tricks! Spiele! Ich soll erbleichen und um Gnade winseln? Weil sie zaubern können? Und meine Gente: noch die Geringsten sind Gelehrte in Waffen! Mehrdimensionales Einwickeln und Aufrollen, na und? Gewürm!«
Beide atmeten schwer, bis sich die Luft um sie wieder beruhigte.
Dann sagte Lasara, die nicht nachgeben wollte:»Weißt du überhaupt, was das heißt? Mehrdimensionalität?«
Er war's jetzt müde, brüllte nicht mehr, sondern klang ganz erschöpft:»Kind. Mein… liebes Kind. Ein mehrdimensionaler Schlachtenraum, das ist doch auch bloß ein Schlachtenraum wie andere. Ich gewöhne mir an, die Dinge mehr und mehr ausschließlich aus militärischen Gesichtspunkten zu begreifen. Dimensionen sind dazu bloß ein Hilfsmittel. Eine Idee. Einen Punkt im Raum, in dem der Krieg stattfindet, kann ich bestimmen und wiederfinden, wenn ich mich mit den Dimensionen auskenne. Koordinatensysteme: Dimensionalität, das betrifft einfach die Frage, wie viele Ziffern ich angeben muß, um eindeutig diesen Punkt und keinen andern…«
«Armer alter Vater, das ist es doch! Wenn du's nur einsehen könntest! So funktioniert es eben nicht mehr. Sie verschmieren deinen Krieg. Sie ziehen ihn von dort weg, wo du handeln kannst, in höhere Ordnungen. Das zu beweisen, war der Sinn des Raubs deiner Fledermaus, nichts andres!«
Er legte den Kopf schief, das hieß: Gut, du hast meine Aufmerksamkeit. Der Löwe mochte Rechthaberei ganz allgemein, nicht nur die eigene.
«Dir geht's, das hast du klargemacht, um Haltung, um deinen… Standpunkt. Aber dieser Punkt, wie jeder, hat keine Dimension.«
Er mußte lachen.
«Ein Punkt, also, siehst du«, sie drehte den Kopf beim Überlegen, als bräuchte sie eine Lockerungsübung, erst nach links, dann nach rechts,»wenn man ihn auseinanderzieht, wenn man ihn, den nulldimensionalen Fixpunkt, in irgendeine Richtung von sich selbst wegzieht, hat man sofort etwas Eindimensionales: eine Linie. Zieht man die Line dann wieder von sich selber weg, orthogonal zu ihrem Insichselberliegen, entsteht, na, eine Fläche: zwei Dimensionen. Zieht man dann die Fläche von sich weg, in die Höhe, hat man den dreidimensionalen Raum. Und immer so weiter.«
Sein amüsierter Blick sagte: Fahr fort.
«Und in diesen unendlich vielen Richtungen, die es von da aus gibt, werden sie dir immer einen Schritt voraus sein. Das ist der Witz. Es gewinnt bei diesem Wettrüsten jedesmal der, der angefangen hat: Die Linie kann auf den Punkt zurückspucken, wer im Dreidimensionalen manövrierfähig ist, kann auf die Fläche zugreifen, ohne selbst je belangt zu werden…«
Der Löwe räusperte sich; er war nicht überzeugt:»Ich habe schon einmal ein wucherndes, exponentiell beschleunigtes Wachstum aufgehalten. Du hast es nicht erlebt: Übervölkerung, Zersiedlung, eine einzige Monokultur, dann die Klimascheiße…«
«Ja, aber damals war dein Häuflein nur quantitativ im Nachteil. Höhere Dimensionen, das ist ein qualitativer Sprung.«
«Wie die Befreiung«, er zeigte die Zähne.
«Ich weiß. Du willst und wirst eben nicht hören, was ich sage. Obwohl du könntest. Das macht ja die Tragödie aus, die wir erleben.«
«Ich denke, wir sind fertig.«
Es stimmte: Sie war losgeworden, was sie ihm hatte sagen wollen.
Lasara zuckte mit den schmalen Schultern:»Ich entferne mich also. Nichts anderes habe ich vorgehabt. Und zu nichts anderem wollte ich auch dir raten. Du läßt dir aber nicht raten. Daher gehst du unter. Wir werden uns deiner erinnern.«
Er lachte.
Sie verließ ihn.
2. In der Fertigung
Unweit der Klippen stellten sie Eisen in die grünen und grauen Täler, auch Aluminium und neue Öfen.
Hébert Loskauf, oben auf dem Gerüst, sagte zu Dmitri Stepanowitsch Sebassus, mit dem er die ganze gestrige Nacht lang kupfernen Schnaps gesoffen hatte:»Wir mußten das ja alles erst wieder lernen.«
Der Wolf nickte, sein Kopfweh wurde langsam besser.
Nieselregen kühlte ihm die Stirn.
Er blickte freundlich auf die große Werft, deren Hallen so atemberaubende Abmessungen hatten, daß jede davon das ganze Eisschiff der Kapitänin Rolfa Patel hätte fassen können.
Die Hallen waren aus dem weißen Felsen gesprengt worden und immer wieder von Fluten bedroht, gegen die Abertausende von Bibern täglich neue Dämme errichteten — nicht in der Art ihrer Vorfahren, sondern industriell, mit Baumaschinen statt mit Zähnen und Klauen, unter Verwendung zylinderförmiger Fertigteile aus leichtem synthetischen Material.
Wenn der Wolf daran dachte, daß die eigentlichen Raumschiffe erst draußen im All, am Lagrangepunkt Fünf, zusammengebaut werden sollten, kehrten die heftigen Kopfschmerzen der Frühe zurück.
Wie soll das rechtzeitig fertig werden? Was denkt sich Clea Dora nur?
Das Laufschwein gähnte:»Moooaa… wir haben die Karten von Izquierda gut genutzt. Die unterirdischen Basen hier… es war noch einiges intakt, was die Langeweile übriggelassen hat. Elektronische Computer — robuster, als wir dachten, das Zeug.«
«Komm«, sagte Dmitri,»gehen wir runter und schauen uns die Träger aus der Nähe an.«
In kurzem, tänzelndem, mitunter trippelndem Schritt gingen sie so durch die Haupthalle, am Schaft der ersten Rakete entlang, in Sichtweite der beiden weiteren.
«Ganz schöne Brummer«, sagte Dmitri und lauschte argwöhnisch dem andern Brummer, der sein Schädel war: Nahm der Ärger nun ab oder ruhte er nur?
«Tja, brute force eben«, sagte Hébert, der die klassischen Dialekte gern im Mund führte.»Sie sollen ja nichts leisten, was so kompliziert ist wie das, was sich die Menschenraumfahrt vorgenommen hatte, bevor sie abgeschafft wurde: keine Stationen, keine wiedereintrittsfähigen Module, keine umweltschonenden Antriebstechniken. Das hat ihnen die Arbeit fast unmöglich gemacht damals, daß diese ganzen Sonderwünsche der Gaiaspinner…«
«Gaiaspinner, hilf mir mal…«, der Wolf überlegte, ob man nicht einfach schleunigst weitertrinken sollte, am besten diesen sogenannten» Whisky«, den Lasaras Leute aus letzten Kellern in aufgegebenen nahen Siedlungen geborgen hatten.
«Man hat aus Aberglauben Atomantriebe nicht eingesetzt, weil gewisse Menschen, die in die Erde — Gaia — übertrieben verliebt waren, etwas dagegen hatten. Wir experimentieren wieder damit.«
«War das wirklich nur Spinnerei«, zweifelte der Wolf laut.»Gab es nicht, hemm, Unfälle, war das nicht sehr unsicher alles?«
«Natürlich, denn damals optimierte man Technik nach… Wurstelprinzipien statt nach Leistung.«
«Wurstel…«
«Schlamperei spart Arbeitsstunden. Und Arbeit war damals abstrakt, das heißt: ein Tauschgegendstand…«
«Sag's nicht, das ist wieder dieser, der Dings… der Produkt?«
«Profit.«
«Der Profit. Eine von diesen Religionen, die sie hatten. «Dmitri war wirklich durstig, es hätte jetzt auch Wasser sein dürfen, er hätte alles ausgetrunken.
«Just so. Und zwischen diesem Profit und seinen Zwängen auf der einen Seite sowie der abergläubischen Furcht vor allem, was nicht so, wie es war, von der Natur ausgespuckt wurde, auf der anderen Seite, war nicht viel Spielraum für ein vernünftiges Austesten der Möglichkeiten, schon gar nicht bei so was Heiklem wie Nukleartechnik. Hier, unser Modell Beta, da hinten hat's einen Kernreaktor…«
Eine Bar wäre Dmitri lieber gewesen. Er schlug mit dem Schweif nach Mücken, die es nicht gab, und fragte dann mehr pflichtschuldig als neugierig:»Also die Fertigung habt ihr nach Vorgaben aus der Langeweile…«
«Klar, was hinreichend Einfaches: Die Ladung, das wären bei uns die Datenbanken mit den Setzlingen und die biomechanoiden Aktuatoren. Dann das Zeug, das Ryuneke bezahlt hat: Terraforming-Piconiken, das muß vorne rein. Alles.«
«Weil wir ja in weit überwiegender Anzahl nicht leiblich fliehen. Nur als Software. Du, ich — sie geht davon aus, daß uns alle die Keramikaner fressen.«
Hébert zog die Schnauze schief:»Pessimismus ist hier Realismus. Wenn die Ladung weg ist, will Lasara in einer zweiten Phase anfangen, auch für unsere alten hiesigen Körper Fluchtvehikel zu bauen — aber dies hier ist einstweilen das schnellste Verfahren. «Der Wolf schwieg; er kannte Lasaras Vorlieben.
Hébert fuhr fort» Dann haben wir hier mittschiffs die Avionik, als fixer Rechner an Bord, die wird den Startstatus kontrollieren und die verschiedenen Flugstufen regulieren.«
«Und das da, das ist der Träger als solcher.«
«Ja, bei denen, die fossil laufen, der ersten und der dritten Rakete, sind hier die Tanks für die zweite Brennstufe, drunter den Motor für dieselbe, das eigentliche Triebwerk, dann ein bißchen Kram zur sachgemäßen Behandlung von ähm… unangenehmen Kontingenzen, weißt du, Laser gegen Meteore oder Trümmer von was auch immer, Schildfeldgeneratoren, eingemantelt dahinter die Tanks der ersten Flugstufe und das Triebwerk für dieselbe, so, fertig. Eine supersimple Rakete.«
«Darauf einen supersimplen Alkohol, bitte«, sagte der Wolf.
Hébert Loskauf fand die Idee glänzend.
3. Zeitgeschichte
Der Wind pfiff schaurig.
Die Bäume hier verloren rasch ihre Nadeln. Als schwarze Gerippe standen sie jetzt am Rand der Schlucht. Die Höhlen hatte man zum Einsturz gebracht, Izquierdas Leute abgezogen, ihre Vorrichtungen demontiert und nach Borbruck expediert, die Stellung geräumt, das Präferenzgebirge verloren gegeben.
Hier fanden auf ihrem langen Rückzug Tiger, Marder und Pferd den Maulesel Storikal. Der versuchte gerade, einen Schakal wiederzubeleben, der zurückgeblieben und an vergifteter Nahrung gestorben war, die er aus den Vorräten der Izquierda-Arbeitsgruppe geplündert hatte, ohne zu wissen, daß man vor dem Abzug Gift dazugetan hatte.
Storikal war untröstlich: Er hatte sich solche Hoffnungen gemacht, nun, da nach der Zwangstherapie seine Sprechdefekte auf ein Minimum geschrumpft waren.
«Er, ja, er hat mir Arbeit versprochen, er wollte was gründen hier, ja, einen Handelsposten, ja, oder eine Botschaft, wenn die Keramikanischen kommen, ja, und ich kann's mir nicht aussuchen. Aber sie kamen, ja, sie waren ja hier sogar doch.«
Der Tiger und das Pferd wechselten einen Blick: Freilich waren sie hier, eine Vorhut jedenfalls, deshalb sind wir ja hergekommen, weil wir das Muster inzwischen kennen, nach dem sie vorrücken. Wir wollen ihre Spuren, die Folgen ihrer Schlachtfeste, dokumentieren und nach Hause übermitteln.
Das Frettchen fragte das Muli:»Was für Arbeit?«
«Er sagte, ja, es werde ein Archiv angelegt werden, wenn es gelingen könnte, einen Ort des Friedens hier, ja, draus zu machen. Ein, ja, Archiv, ja, der Verhandlungen. Er wollte, daß das der Platz wird, an dem die Polyarchen, wenn sie den Löwen gestürzt haben, ja, mit Katahomenleandraleal reden, jaja. Ich sollte das alles protokollieren und archivieren, ja, weil ich ja als Archivar auch nämlich ausgebildet bin, weil, ja, weil ich mich auf Geschichte verstehe. Ja, ja. Jajaja.«
«Alte Geschichte oder Zeitgeschichte?«wollte der Marder wissen, und am Gesichtsausdruck des armen Storikal war deutlich zu erkennen, daß er den Unterschied nicht wußte.
«Kennst du dich aus mit Dingen, die früher alles verändert haben, oder mit Dingen, die heute alles verändern?«
Storikal betrachtete den ausgeweideten Schakal und sagte, ohne den Kopf zu heben:»Ich weiß ja nicht, ja, warum sie ihn verschlungen und zerlegt und Teile mitgenommen haben, ja, mich aber nicht. Pfiddel.«
«Bitte?«
«Nichts. Ja.«
«Wir folgen ihnen seit vielen Monaten«, sagte die Tinkerstute,»und haben so etwas immer wieder gesehen — eine sechsköpfige Leopardenfamilie wird angegriffen, zwei läßt man in Frieden, vier werden ausgelöscht. Ein See wird durchkämmt, zwei Fischlein bleiben übrig, niemand weiß, wieso und warum gerade diese beiden. Eine Savanne wird verbrannt, ein Busch steht hinterher alleine da. Vielleicht hat es mit Geometrie zu tun. Mit Maßgaben, die wir nicht kennen.«
«Ja, na ja, ihr wißt es also nicht«, seufzte Storikal, als wäre das schlimmer als der Tod des Schakals und überhaupt die Entropie im Universum.
«Aber wir wissen auch wieder nicht nichts«, sagte Huan-Ti.»Wir haben Teile des Bildes verstanden. Wir sammeln Fetzen, die noch kein… Wie die Keramikaner gebaut sind, ahnen wir mittlerweile. Daß ihr Stoffwechsel so funktioniert, daß sie sich zum Beispiel sehr für Folsäure und Kalzium interessieren. Solche Sachen.«
«Ja aber was das erklärt, ja das wißt ihr nicht«, sagte Storikal und schaute die drei Freunde an, einen nach dem andern.
«Wir wollen es aber herausfinden«, erklärte der Marder Anubis.»Das ist mehr, als die meisten wollen.«
«Würdest du uns gern dabei helfen?«fragte Hecate.
Der Esel nickte.
«Dann«, sagte der Tiger,»komm mit.«
4. Verlust
Es gab nichts, was der Wolf hätte unternehmen können, das war das Schlimmste an Hébert Loskaufs schlimmem Ende. Eben noch waren sie zusammen wie die Jungtiere den mit feuchtem, saftigem Gras bewachsenen Abhang runtergaloppiert, um die Biber zu schockieren, die nie rasteten, immer schufteten und überhaupt viel zu ernst waren.
Danach standen sie am Bächlein, wo Dmitri zwischen Kieseln tollte und sich im Wasser schüttelte, während Hébert ihm vom Ufer aus zusah und rief:»Wer ist hier das Schwein, Herr Wolf?«
Und dann spaltete eine Lanze aus gebündelter, gleißender Hitze das Laufschwein mitten entzwei, vom Kopf her.
Dmitri brauchte Tage, bis er wieder sprechen konnte.
Er magerte ab und schlief schlecht; bekam Schuldgefühle, diffuse, unnütze, bitterste. Wäre er selbst gestorben, hätte er, so redete er sich ein, ja sozusagen vom Jenseits her, aus der ihm vermutlich längst bereiteten Hölle, noch einsehen können, daß ihn das Schicksal gestraft hatte, für den Verrat am Löwen zum Beispiel. Aber das Laufschwein, das doch Livienda und später Lasara gegenüber (Wo blieb die eigentlich die ganze Zeit? In Borbruck, wie man sich erzählte? Wozu?) stets loyal gewesen war?
Das Entsetzen unter den Bibern war groß, die Gerüchte wurden rasch so haarsträubend, daß man Wölfe brauchte, die Werftarbeiter wieder zu disziplinieren. Diese Wölfe waren anders als jene, die Dmitri aus seiner Jugend kannte: schweigsame, harte Burschen, von denen Hébert gesagt hatte, sie kämen aus der sogenannten» Taiga«, was immer das bedeuten mochte. Dmitri konnte sie nicht leiden.
Am dritten Tag der Wirren wurde zumindest ein Teil der Arbeit wiederaufgenommen.
Abends erschien endlich Lasara, zur Inspektion, um den Kopflosen Mut zu machen, den Standhaften ihr Vertrauen auszusprechen und die für den nächsten Tag angesetzte Trauerfeier vorzubereiten.
Als sie zu Dmitri ins Zelt trat, sagte der nur:»Du hast mir gefehlt.«
Lynxchen lächelte:»Natürlich, das ist das mindeste.«
«Das minde…«
«Ja. Daß du meine Liebe, wenn ich dich schon lieben muß und mich nicht dazu zwingen kann, es bleibenzulassen, wenigstens erwiderst.«
Sie liebten sich danach so unordentlich wie möglich, so ängstlich wie nötig, fast so lange wie früher.
Als die Sonne aufging, verriet sie ihm, daß es eine Seebestattung für Hébert Loskauf geben würde.
«Die Atlantiker, die Fische überhaupt, haben ihn gemocht, und er mochte die Fische. Ich glaube, am glücklichsten war er als Mutters offizielle Liaison für die Gruppe im Torus.«
Damals haben auch wir einander kennengelernt, dachte Dmitri. Da war alles einfach, wenn auch schon abenteuerlich gewesen. Sie legte ihren Kopf auf seine Brust, die Ohrenpinsel kitzelten sein Kinn.»Hast du gehört«, sagte sie leise,»der Torus ist jetzt eingerissen worden, glaubt man das? Sie haben das Wasser abgesaugt und auf die Felder geleitet, auf diese neuen riesigen Plantagen für ihren denkenden Mais. Die Rüstungsanstrengung frißt alles, sogar Vaters Vorliebe für den Erhalt historische Baudenkmäler. Kapseits schrumpft, die Agrarfläche wächst. Dasselbe in Borbruck. Und es wird alles nichts nützen.«
«Weil du, würde er sagen, gegen ihn arbeitest. Ein Haus, das…«, er kam nicht dazu, das Zitat zu beenden, sie knurrte:»Unfug. Mutter hat mir seinerzeit über den Zander ein paar Auszüge aus den Taktikprogrammen von Katahomenleandraleal geschickt — da sind sämtliche möglichen Konstellationen…«
«Sämtliche? Sämtliche möglichen…«
«Na ja, alle, die wir in erträglicher Zeit würden spieltheoretisch gegenrechnen können. Ein geeintes Löwenhaus wär längst nicht der Garant für stabilen Burgfrieden, den Vater sich wünscht. Die Polyarchen, die verschiedenen Kapitulanten… Es würden sofort andere, zum Teil ganz neue Fraktionen herausbrechen aus seinem Konsens, es gäbe Kollaborateure, die sich von Katahomenleandraleal was versprächen…«
«Gibt es wahrscheinlich auch so.«
«Ja, wahrscheinlich«, sie lächelte wieder dieses Lächeln, das er so bestrickend fand, weil es ihm immer auch ein bißchen Angst machte.»Aber man sieht jedenfalls, wenn man sich die Stemmata der möglichen Brüche und Koalitionen im Heerlager der Gente anguckt, daß das, was ich tue, noch das Sicherste ist, im Hinblick aufs Überleben wenigstens einer Minderheit.«
Er blies in ihre Härchen an den Ohren, sie ließ sich nicht ablenken:»Und da also Uneinigkeit bei der derzeitigen Situation sowieso entstehen muß, dann ist es noch das beste, wenn innerhalb dieser Uneinigkeit ein paar Einige…«
Er leckte ihren Nacken, sie schnurrte.
Eine Weile schwiegen sie, sachte atmend, dann fing Lasara, die keine Ruhe fand, erneut an, das Problem zu diskutieren:»Weißt du, er hat einfach nicht verstanden, daß er gar nicht mit dem Rücken zur Wand steht. Er glaubt, er muß kämpfen, weil ein Rückzug nur die Front verschieben würde. Er denkt, selbst wenn er gar nicht weiß, daß er so denkt, Katahomenleandraleal würde uns nachsetzen, wenn wir fliehen, und uns überall stellen, und in den lebensfeindlichen Umwelten, die ich uns als Ausweichort erschließen will, hätten wir viel weniger Manövrierraum, viel weniger Ressourcen…«
«Stimmt das denn nicht?«
«Es ist eine Fehleinschätzung, was Katahomenleandraleals Ziele anbelangt. Mein Vater denkt alles vom Territorialinstinkt aus — wie ein Tier vor der Befreiung. Schon lustig. Gerade er. Sie will aber gar nicht expandieren. Jedenfalls nicht nach außen, wie er das versteht. Nicht in die vierdimensionale Raumzeit.«
«Ah, Mathematikunterricht«, ächzte Dmitri, gespielt entnervt.
Sie gähnte, um abzuwiegeln.»Gar nicht. Aber… soviel nur: Was die Dimension im topologischen Raum ist, weißt du? Lebesgue? Der Mantel?«
«Na ja, ein Maß dafür, wie ein Gegenstand den Raum füllt«, quengelte der Wolf; er fühlte sich bei diesem Zeug nicht wohl und holte sich dergleichen Wissen, wenn er's denn überhaupt mal brauchte, meistens aus Pherinfonarchiven.
«Nämlich?«neckte ihn Lasara.
«Öh, na, wenn es sozusagen viel Platz frißt, das Objekt, dann hat es eine höhere Dimensionszahl, als wenn es weniger…«
«Stimmt schon, aber, siehst du: Es gibt Dimensionen, die nicht ganzzahlig sind. Nicht eins wie eine Linie, zwei wie eine Fläche, drei wie ein Würfel…«
«Sondern anderthalb, oder sechs Siebenundzwanzigstel, oder…«
«Ja. Fraktale zum Beispiel. Ihre Hausdorffdimension ist verschieden von ihrer topologischen, und so haben wir dann etwa eine Kochsche Schneeflocke vor uns: Mit jeder Iteration nimmt der Umfang zu, weil die Flocke sich in sich selbst einkerbt, aber wenn man am Anfang einen Kreis um die äußersten Ecken der Flockengrundform zieht, wird die Flocke, obwohl sie immer weiter wächst, niemals mit irgendeiner neuen Spitze diesen Kreis überschreiten.«
«Öhm. Okay. Und du sagst, Kata…«
«So etwas wie das Wachstum der Flocke, ja. Das zeigt, wenn man sie zu lesen versteht, die ganze mehrdimensionale Konfiguration der Bewegung der Keramikaner auf der Sphäre, die unsere Erde ist.«
Der Wolf zog die Stirn kraus:»Das klingt, als wär's ein Naturprozeß. Gar kein Feldzug, sondern einfach eine zwanghafte Operation im Rahmen eines vorher festgelegten…«
«Ist es auch. Katahomenleandraleal denkt so logisch, daß sie es genausogut bleiben lassen könnte — für Denken im Sinne von willens- und launengesteuerten Prozessen ist da gar kein Platz, das passiert alles völlig ohne Haß auf uns, ohne Vernichtungswillen, den mein Vater dabei halluziniert. Katahomenleandraleal weiß, daß die Gentebiomasse im Grunde vernachlässigbar ist gegenüber den sonstigen Ressourcen für ihre Operationen, die der Planet ihr bietet. Sie wird uns ziehen lassen; sie hat genug, um ihre Reifung fortzusetzen.«
«Reifung. Klingt eklig.«
«Ist es vielleicht sogar, wenn du unbedingt wertende Begriffe brauchst. Aber wenn uns das nicht gefällt, sollten wir ihr einfach…«
«Aus dem Weg gehen. Ich verstehe.«
«Das unterscheidet dich vorteilhaft von meinem Vater.«
Sie stand auf, ging zum Wasserschälchen auf dem niedrigen Tisch, netzte ihre flinke Zunge. Dmitri streckte sich, sah ins Feuer und sagte:»Ich weiß nicht, ob du ihm nicht unrecht tust. Vielleicht sieht er doch noch ein bißchen weiter, als du glaubst. Vielleicht sogar weiter als du.«
«Ach?«Die Augenbrauen, das zitternde Barthaar: Skepsis, Amüsement.
«Na ja, du hast gesagt, das Ding wächst nach innen und bleibt im Erdkreis.«
«Schöner alter Ausdruck, wie in ›Stadt und Erdkreis‹…«
«Aber was passiert, wenn es… ausgereift ist, fertig gewachsen, so was setzt sich doch nicht bis in alle Ewigkeit…«
«Bei der derzeitigen Rate scheint Katahomenleandraleal alle Planungen, die man überschauen kann und die nichts mit einer neuen, anderen Stufe ihrer Selbstverwirklichung zu tun haben, auf mindestens zehntausend Jahre angelegt zu haben.«
«Woher…«
«Ein internes Memorandum der Keramikaner. Mutter hat's geknackt. Und mir zugespielt. Vor Monaten.«
«Zehntausend Jahre, puh. Andererseits: Geologisch gesehen keine besonders imposante Zeitspanne. Was passiert dann? Sollten wir nicht doch den Heimvorteil, den wir im Moment haben…«
«Ich hoffe, daß uns die neuen Herausforderungen da draußen ganz allgemein ein bißchen auf die Sprünge helfen.«
«Flucht als Erziehungsmaßnahme. Du suchst Selektionsdruck für die Gente.«
«Werd nicht schnippisch. «Sie war jetzt ungeduldig, entzog sich einem Kußversuch.»Ich kann gar nicht fassen, mein lieber Wolf, daß wir uns hier ernsthaft darüber unterhalten, ob man meinem Alten irgend etwas zugute halten darf. Dabei liegen, was ihn angeht, ganz andere Entscheidungen an, wenn du dir klarmachst, was er getan hat.«
«Getan?«
«Dein Freund Hébert zum Beispiel.«
Dmitri blinzelte verwirrt. Er brauchte einige Sekunden, die Implikation zu verstehen:»Du meinst… der Feuerstrahl? Ich dachte, das wäre Kata…«
«Warum sollte sie so was tun? Wir sind hier mit etwas beschäftigt, womit sie einverstanden ist, was ihr bestenfalls gleich sein kann: Wir bereiten unser Verschwinden vor. Eine Aussaat auf Felder, die sie nicht haben will.«
«Aber warum sollte dein Vater…«, es nahm ihm den Atem, den Satz auch nur zu denken.
Sie grunzte verächtlich, dann sagte sie:»Um mir zu zeigen, daß er's draufhat. Er hat sich da etwas zu Herzen genommen, das ich ihm gesagt habe: daß seine dahingegangene Fledermaus…«
«Izquierda? Sie ist tot?«
«Nicht unbedingt. Aber ihm weggerissen. Vom… Zeug im Urwald, wie er sagt. Ich gab ihm zu bedenken, daß so ein präziser Schlag von seiten der übermächtigen Gegnerin seine Tollkühnheit eigentlich dämpfen sollte.«
«Ach, und deshalb… zeigt er dir jetzt, wie wenig übermächtig sie ist? Wie gefährlich im Gegenteil nun er…«
«Orbitale Killersatelliten. Und das Dümmste: Damit wird er sie nicht aufhalten, das ist doch längst versucht worden, auf Georgescus Befehl. Wußtest du, daß er sogar Atomraketen abgefeuert hat? Von Izquierda gehackte alte Verteidigungssysteme, nur jedes vierzigste Ding hat überhaupt funktioniert… sie wurden abgefangen, alle. Verpufft, verschwunden, wie die Fledermaus. Noch mal: So wird er sie nicht aufhalten.«
«Aber uns.«
«Aber uns, wenn wir nichts unernehmen, richtig.«
«Unternehmen?«Dmitri Stepanowitsch sah einen neuen Glanz in ihren Augen, den er nicht kannte und der ihm sofort widerlich war. Dies hier hatte nichts mehr mit ihrer sexy Waghalsigkeit zu tun, ihrem reizend outrierten Benehmen; hier ging es um Verschwörung und Treubruch in einem Ausmaß, das alles überstieg, woran er Anteil haben wollte.
Er schwieg, sie aber sagte, was er so deutlich nie von ihr zu hören erwartet hätte:»Stell dich nicht zimperlicher, als du bist, mein Schöner. Es ist soweit. Der Löwe muß weg.«
5. Eingekreist
Am südlichsten Rand des dritten Erdteils, den sie an sich rissen, kam der Vormarsch der Keramikaner das erste Mal zum Stehen.
In Ballons hatte der Löwe hochgerüstete Dachsenheere an die voraussichtliche Front entsandt. Die waren gelandet, hatten Befestigungen gebaut und sich darin eingegraben. Erstaunlicherweise hielt die Front. Mit großen Flammenwerfern, die Feuerstöße von bis zu hundertfünfzig Metern Länge spuckten, mit Artillerie und Perrhobaktern beschoß man die Fresser. Zwar traf man selten direkt (das Ziel verschmierte, verwischte, war nicht einmal zu fotografieren), aber wenn man traf, blieben Schalen zurück und organische Teile, wie Gliedmaßen von Menschenfrauen. Waren die Keramikaner überrascht, vielleicht verblüfft von der Heftigkeit des Widerstandes, da sie nicht weiter vorwärtsdrängten? Die strategische Analyse stand noch aus. Izquierda hätte sie vielleicht schneller erstellen können. Aber Izquierda war nicht mehr da.
Hecate, Huan-Ti, Anubis und Storikal waren wochenlang vor den Horden zurückgewichen, bis sie, auf einem Landkeil, der zur Zeit der Befreiung Schauplatz schlimmer Schlachten gewesen war, in einem Ruinental voll gelber Steine beschlossen, abzuwarten, ob die neue Front tatsächlich stabil bestehen bleiben würde.
«Sie sind einfach nur verblüfft«, erklärte Huan-Ti,»sie haben nicht mehr damit gerechnet, daß man ihnen überhaupt etwas entgegenwirft — und schon gar keine Infanterie.«
Zur Sicherheit hatten die vier sich mit überlebenden Atlantikern verständigt, die ihre Weltmeere zu größten Teilen hatten verloren geben müssen und sich nun dort konzentrieren, wo die Menschen früher ein sogenanntes» Mittelmeer «befahren hatten. Das Abkommen sah vor, daß den Helden ein flugfähiges Fischheer als Geleitschutz aus der drohenden Einkreisung zu Hilfe kommen werde, wenn die Überwachung aus dem All einen Riß in der Front finden würde.
«Pherinfone«, sagte Hecate,»da, aus dem Strauch. Es heißt — riecht ihr's? — ja, es heißt… die vierzehnte Armee ist überrannt.«
Alle vier schwiegen lange.
Dann sagte Storikal:»Ja, das heißt ja die daß, daß die ja die Fische dann kommen und uns ja rausholen.«
Es war keine Frage.
Man wartete. Die Fische kamen nicht.
«Vielleicht, ja, kommen sie geschwommen statt, ja, geflogen? Bluntsch?«mutmaßte Storikal.
Aber auch der Kanal auf halber Abhanghöhe an der Westseite des Tals der gelben Steine blieb leer (und roch, wie Anubis fand,»verheerend, als ob erst vor kurzer Zeit was Großes drin gestorben sei«).
Das Pferd sah den Tiger an und sagte:»Also rettet uns niemand. Es ist vorbei. Wir wollten Helden sein. Gut. Du hast die Pherinfone auch gerochen und kennst die taktischen Gegebenheiten besser als wir alle — wie lange, glaubst du, wird es dauern, bis sie hier sind?«
«Zwei Stunden«, sagte Huan-Ti.»Wenn die Sonne untergeht.«
«Ich weiß nicht, wie ihr's halten wollt«, pfiff Anubis und kletterte auf Hecates breiten Rücken,»aber ich werd bis zum Schluß beißen und kratzen, daß mein Angstschweiß und mein Blut in alle Richtungen von mir erzählen können, was ich für ein Kerl war.«
«Versteht sich«, sagte der Tiger,»wir sind Vorbilder.«
Das Maultier gab einen zustimmenden, wenn auch vage klagenden Laut von sich. Es hatte während der kurzen Zeit mit den Freunden vieles gelernt, das ihm im Archiv nie aufgegangen war, darunter einiges über Pflichten, Selbstachtung und Geschichte.
«Für wen eigentlich? Vorbilder?«fragte das Pferd niemand Bestimmten und trat auf eine der mächtigen Grabplatten. Dann ließ es sich von Anubis eine Zigarre anzünden.
«Für die Gente, die sich unsere Berichte antun, möchte ich meinen«, sagte der Marder und hob das kluge Köpfchen, um nach dem Chlorgeruch der herannahenden Vernichtung zu schnuppern.
Die Luft war schwül und drückend, der Saum des Himmels auf den Bergkämmen schwang wellig wie eine Gardine im Heißluftstrom. Bald empfing der Marder, der das feinste Gehör der vier Helden hatte, Echos der Ultraschallverständigung zwischen den Keramikanern:»Ist ihr Geschnatter, kein Zweifel. Ich verstehe es nicht, weil immer was fehlt und weil die Teile, die ich mitbekomme, schwer zu übersetzen sind. Aber sie sind's.«
«Also. «Das Pferd spuckte den Stumpen aufs Grabmal und erfand, mit dem Huf im Sand zeichnend, eine kleine Schlachtordnung: Hecate selbst stand in der Mitte, am tiefsten Punkt des Tals. Der Marder sollte möglichst rasch hin und her laufen, die Sensoren der Anrückenden nervös machen, ablenken, ihre Reihen verwirren. Der Tiger erhielt den Auftrag, für den Fall, daß Anubis Erfolg mit seiner Ablenkung hatte und welche aus den Formationen fallen würden, sie zu reißen und zu töten.
Das Muli sollte sich im Zedernwäldchen zur Verfügung halten, diejenigen zu treten, die Hecate nicht selbst unter die Hufe bekam.
«Ja, also man kann sie ja dann auch doch bekämpfen?«fragte Storikal hoffnungsvoll.»Obwohl sie ja in mehreren, uns ja fopp fremden Dimensionen…«
«Ihre Breite ist trotzdem breit, ihre Höhe trotzdem hoch, ihre Tiefe ausreichend tief und ihre Dauer, die dauert schon viel zu lang«, sagte der Tiger kampfeslustig.
Kaum hatten die vier ihre Positionen eingenommen, waren die Schrecklichen da.
«Sie sind schön«, dachte der Marder, davon überrascht. Die Leiber in den vordersten Reihen — konnte man das so sagen, waren das Leiber? — schienen aus Lichtgittern gemacht, in deren Lücken die Keramiklegierungen der Skelette arbeiteten wie Dampfmaschinen in Gelatine. Die Nesseln wirbelten aus den höheren Dimensionen herunter, der fünften und sechsten, oder herauf, es war schwer, den Richtungen Namen zu geben.
Auch Hecate dachte: Schön ist das. Was sie sah, war wie das Nachbild von Feuer, wenn man in Flammen geschaut hat und die Augen schließt. Ineinanderverschlungenheit von Nichtmassivem, Bewegung seitwärts durchs Wirkliche: Die Angreifer glichen Liebenden, die einander umarmten, in unendlicher Kette, einer die andre die nächste.
Das Muli wurde von unten gegriffen.
Die Monster waren schneller bei ihm als bei den andern. Er fiel ins Gebüsch, sie schlitzten es auf.
Der Marder hörte es schreien, bleckte die Zähne und stellte sich auf die Hinterbeine.»Feiglinge! Arschlöcher! Fotzen!«
Die Keramikaner wurden jetzt Schleier, bloße Abdrücke oder Schatten von dem, was sie eben gewesen waren, und ihr Sichrühren tat den Helden beim bloßen Zusehn in den Köpfen weh, weil es alle Intuitionen verletzte. Eine blutige Rippe brach aus dem Bauch des Esels; da sprang das Pferd, das seinen Posten vergaß, ihm zu Hilfe. Hecate traf sogar etwas wie einen Keramikanerkopf, daß das Knirschende, Giftige vor ihr zurückwich. Storikal aber hatte keine Hinterbeine mehr und zuckte und schwamm im Blut, das den Staub tränkte.
Hecate sah hinter sich: Der weiße Tiger war von Schmierlicht eingekreist. Nicht kräftig, nicht sicher, sondern blind und panisch wischte er mit den Pranken nach Unfaßbarem. Ein spitzes Etwas, heiß und nadeldünn, traf ihn im rechten Auge; es war zu sehen, wie Schmerz ihm als Leuchtspur durch sein Rückgrat fuhr.
Der Marder, zur Kugel zusammengerollt, fiel über Steine und Splitter den Abhang hinunter, drei Keile, die flimmerten, setzten ihm nach, spitzköpfig und voller Zähne.
Hecate trampelte, als wollte sie die Erde spalten.
Huan-Ti hatte eine Extremität zwischen die Zähne bekommen und biß so fest zu, als wäre sein Haupt eine Falle aus Stahl, die zusammenschnappte. Aber in seine linke Flanke fraß sich ein Bohrer, und sein gesundes Auge sah, wie dem Pferd schon ein Bein wegknickte.
Der Marder kreischte, wandte sich um wie ein Windchen und fuhr zwischen die Verfolger als haariger Blitz. Er kratzte und spuckte, wie er's angekündigt hatte, aber sie saßen bald auf ihm, drückten ihn in den trockenen Dreck. Storikal, im Sterben, dachte daran, was Huan-Ti ihm gesagt hatte: Die Bauart dieser Wesen beruht auf dem Ausgefallenen, Unverständlichen und schwer Anwendbaren.
Worauf, wollte Storikal schreien, beruhen wir?
Die Tinkerstute dachte, schöne Helden sind wir, und spürte, wie ihr schwindlig wurde, und riet, daß das vom Blutverlust kam, denn in ihrer knochigen Stirn klaffte eine lange Wunde.
Der Marder, bevor er das Bewußtsein verlor, schimpfte mit schmutzigen Flüchen und wünschte sich, die Fische wären gekommen und hätten sie alle abgeholt. Die Aussicht auf den Untergang im Kampf war, jetzt, da es wirklich geschah, nicht halb so nobel, wie Anubis geglaubt hatte.
Der Tiger Huan-Ti ergab sich seinem Zorn, stritt mit Geifer und Haß, schlug die Feinde gegeneinander wie wertloses Geschirr. Einiges davon zerbrach. Er hörte und spürte sie durch seinen eigenen Schmerz leiden, er brachte ihnen, das war also möglich, schwerste Verletzungen bei und dachte an die Büffel an der Wasserstelle, an die Löwen, an den König in Borbruck.
Sie rissen ihm die Ohren ab, sie fuhren ihm in den Skalp, sie versengten sein Fell mit Nesselbrand und Ätzendem. Noch immer gab er nicht auf. Es war, als wäre er zehn Tiger.
Huan-Ti hörte das Pferd im Zusammenbrechen wiehern, sah große Stücke aus dem Fleisch des Mulis durch die Luft fliegen wie Gänsedaunen. Sein geschlossenes Auge brannte, als ob man ihm mit einer chemischen Fackel in der Höhle herumbohrte, aber der weiße Tiger brüllte nicht, denn das hätte von ihm verlangt, loszulassen, was sein Biß faßte. Ins Rutschen kam er schließlich, die Hinterbeine verloren den Tritt. Hier war es jetzt schlammig und glitschig, vermutlich von seinem eigenen Leben, das sie aus ihm heraussaugten und — preßten.
Er wußte, daß er nicht mehr lange weitermachen konnte, und biß also noch fester zu. Dann schüttelte er, obwohl sie ihn festhielten, seinen Kopf heftig nach links und nach rechts, um das Körperglied, das er festhielt, aus seiner Verankerung zu drehen und zu brechen.
Plötzlich sirrte, jaulte, klirrte alles, und sprühte flüssiges eiskaltes Glas um ihn. Stark wie ein Elefant riß etwas an dem Hebel herum, den er festhielt. Sie wollten sich losreißen, nicht mehr ihn niederzwingen — warum, was geschah?
Die Masse der Ungreifbaren schien ihm auf unbestimmbare Art lichter zu werden, Punkte und kleine Klammern schossen zwischen den aufeinanderprallenden und untereinander wegtauchenden Keramikanern herum. Da verstand der weiße Tiger, dessen Schädel dröhnte wie eine Glocke, auf die man mit Schrapnell schoß, daß das Käfer waren, Bienen, kleine Insekten, und daß sie ihm halfen, daß sie den Keramikanern zusetzten und daß die mit so etwas nicht gerechnet hatten.
Ein Knacksen, ein Ruck, der ihn beinah in der Mitte durchtrennt hätte, dann ließ der Zug an dem Knochen- und Panzerbruchstück, das er zwischen den Zähnen hatte, mit einem Schlag nach: Es war abgerissen, er hatte es erbeutet und wollte lachen und sabberte zwischen dem Biß hindurch Speichel und Blut.
Huan-Ti drehte sich auf den Rücken; das tat ärger weh als alles, was er je gelitten hatte.
Über seiner Nase, am dunkler gewordenen Himmel, sah er jemanden auf- und abschwänzeln, tanzen und flattern, und brauchte ein Weilchen, bis ihm einfiel, wer das war: eine Berühmtheit, tatsächlich — diese Dame kannte jeder Diener des Löwen.
Philomena blinkte und sprühte.
Die um sie her sausten, Insekten alle, Zehntausende, die das Tal füllten wie eine lebendige Wolke, waren auf ihren Befehl hier, nahmen ihre Anweisungen entgegen. Als Philomena einsah, daß er sie nicht hören könnte, sandte sie dem Tiger ein dichtes Paket Pherinfone:»Deine Freunde — zwei sind noch am Leben. Den Esel können wir nicht retten, sie haben das Hirn gestohlen. Der Marder ist in kritischer Verfassung, er braucht Blut. Das Pferd hat ein Bein verloren, das wir leicht ersetzen können. Und du selbst — dich kriegen wir hin.«
Mich kriegen sie hin, dachte Huan-Ti und hätte lachen mögen. Aber noch immer ließ er das Beutestück nicht los. Selbst als der weiße Tiger wenige Sekunden später ohnmächtig wurde, gelang es den Insekten, die ihn auf die Seite drehten, um ihn ärztlich zu versorgen, nicht, das Keramikanerglied aus seinem Beißkrampf zu befreien.»Laßt es drin«, sagte die Libelle.»Man muß auch gönnen können.«
6. Abschied im Dschungel
«Schön, daß du hier bist«, sprach der Baum,»hab dich länger nicht mehr gesehen.«
«Yeah. Wenn's nach mir ginge, wär ich weg. Gruß, Kuß, riech an meinem Reifengummi. Ist aber nicht. Hab noch Verpflichtungen. «Frau Späth trug jetzt lange Haare, Blüten waren hineingeflochten.
«Du siehst hübsch aus«, lobte Lasaras Mutter.
«Bftz. Ich seh, du hast dich auch neu geschmückt«, erwiderte Frau Späth,»eine kleine Quelle zwischen Wurzeln. Springt ja lustig. Und neue Ranken. Dir war langweilig ohne mich?«
«Ich hatte noch andere Kontakte mit der Welt. Sogar mit der großen und weiten, wie man so sagt. Aber sie sind mir zu… riskant geworden. Ich könnte entdeckt werden, von der… Großgrundbesitzerin, in deren Schmutzeckchen ich lebe.«
Frau Späth lehnte sich an den Stamm, massierte sich die Schläfen mit geschlossenen Augen. Dann sagte sie:»Weißt du, Borkinchen, ich ahne ja immer noch nicht, was… deshalb bin ich auch ein Weilchen weggeblieben. Um meine Gedanken zu ordnen. Ich meine, was ist hier los? Wer bist du? Wieso, weshalb, wo's Pizza gibt, ist immer auch die Mafia. «Der Baum schwieg.
«Könnte ja sein, du hast mir nichts als Dreck erzählt. Was, wenn das alles einfach eine Ergebenheitsprüfung ist? Wenn du zu Katahomenleandraleal gehörst, als baumförmige Handpuppe, die mir eine mehr oder weniger triftige Geschichte erzählen soll, um mir das Versprechen zu entlocken, mit ihr gegen die dicke Mutter zu konspirieren…«
«Die dicke Mutter«, stutzte der Baum.
«Na, so nennt sie sich jetzt. Minus das ›dicke‹ natürlich. Mutter.«
«Das ist auch einer von den Ehrentiteln, die weniger wert sind, als sie früher waren.«
«Bist du eifersüchtig? Weil eine Maschine kann, was du auch kannst: Junge kriegen? Und sie hat sogar mehr Töchter als du. Dein Löwenkind…«
«Das ist es nicht. Verwandtschaftsrelationen sind nach der Befreiung ohnehin komplizierter als in den Epochen der authentisch sexuellen Fortpflanzung und des… reinen sexuellen Dimorphismus. Da ich in mir jede Menge genetisches Material des Löwen aufbewahre, so wie alle andern aus der zweiten Generation nach der Befreiung, könnte man mich sogar seine Tochter nennen, dann wäre Lasara eine Art Inzestprodukt und…«
«Eure Sache«, Frau Späth winkte ab,»ich will den Quark nicht wissen. Bin wahrscheinlich zu altmodisch dafür.«
Der Baum lachte trocken.
«Was ist daran witzig?«
«Du und altmodisch. Wo du dich von allen am meisten… du bist… eine Pionierin, Kind der ersten Generation, aber anders als die restlichen hundertvierundvierzigtausend hast du von der neuen Freiheit wirklich Gebrauch gemacht — während die andern sich vor lauter metamorphischen, orphischen und proteischen Gelüsten kaum lassen konnten, aber unter ihren Schuppen, Pelzen, Chitinpanzern, ja, auch Rinden und Borken eigentlich bis heute der alte Adam und die alte Eva geblieben sind, hast du nur noch die äußere Gestalt mit der Art gemein, die einmal den Planeten zu beherrschen wähnte.«
«Manchmal glaube ich, du willst mir mit diesen ganzen Schmeicheleien, und mit den Bitten um Hilfe, einfach nur das Wissen entlocken, was ich denn nun wirklich damals alles gemacht habe. Und wie. Außer dem Offensichtlichen: Wenn ich meine Telomere nicht entsprechend hätte beschnippeln lassen, noch bevor ich aus Opportunitätsgründen meinen Tod hab vortäuschen müssen, wär ich natürlich längst weg. Also die Zellalterung…«
«Uninteressant: Zellen, Hautgewebe, Alterung. Das Entscheidende ist doch, was im Neuronalen passiert ist. Wie du dein neues Bewußtsein, ja, soll ich sagen: komponiert hast? Und dabei zugleich das alte Material nicht einfach ausgeknipst, wie viele der Erstlinge und die meisten von uns Späteren, sondern es im Doppelwortsinn aufgehoben hast, um…«
Frau Späth grub die Zehen ins Erdreich, rülpste, streckte die Arme aus, rieb ihren nackten Hintern am Baum und sagte:»Wie soll das überhaupt funktionieren, dieser tote Winkel, dieser blinde Fleck? Daß sie dich nicht sieht, in ihrem eigenen Gärtchen? Je länger ich drüber nachdenke, desto sicherer bin ich, daß du nur eine Funktion, ein abgeleitetes Etwas bist, das zu Katahomenleandraleal gehört, wie meine Finger zu mir. Vielleicht weißt du es selber nicht und lügst mich also gar nicht an, das könnte ich dir zugute halten, wenn ich nett wär. Bin ich allerdings nicht. Nie gewesen. Und dieses ganze Gedöns, von wegen Pilze übertäuben den Geruch und stören den Schall, das würde sie doch merken, daß ihr da was fehlt.«
«Stell dich nicht naiv, Cordula.«
Wenn der Vorname die Angesprochene überraschen sollte, dann war das vergebliche Mühe: Sie schien's nicht mal gehört zu haben. Also fuhr Madame Baum fort:»Das funktioniert nicht anders als das Übertölpeln optoelektronischer Überwachungskameras zu deiner Zeit: Natürlich schwärzen die Pilze nicht einfach die Stelle — wie man damals eine Endlosschleife eingespeist hätte, auf der ein leerer Gang oder sonst ein statischer, verläßlicher Normalzustand zu sehen ist, zeigen die Pilze den Sensoren… der Mutter… einen Baum, wo wirklich einer ist, und manchmal sogar dich, wie du dich davorsetzt und meditierst. Es wird ediert, das ist alles. Filter, Zufallsgenerator, Unregelmäßigkeiten.«
«Ich laß mich mit dir nicht auf technische Erörterungen ein. Hat mich nie begeistert.«
«Ich weiß, du nutzt einfach die Wirkkraft der drei Clarkeschen Gesetze.«
Jetzt war es an Frau Späth, anerkennend zu kichern. Obskure Anspielungen, die meinen Eigenheiten entgegenkommen: Die Holztante macht Punkte.
Eine Weile hörten beide dem Scharren, Zwitschern, Tschilpen, Rascheln und Knacken des Dschungels zu.
Dann sagte die Menschenfrau:»Ich war ja ein sehr vergrübeltes Mädchen. In der Pubertät vor allem. Hing meiner Deutschlehrerin mit verbissener Treue an, seit die mir mal 'ne schlechte Note im Aufsatz verpaßt hatte, das fand ich unerhört toll, das war mir bis dahin überhaupt nie untergekommen, Deutschaufsatz, das ging sonst immer wie von selbst — und dann sagte die: Du kannst das besser, das ist schlampig, da fehlen halbe Sätze und… Ich meine, es war überhaupt keine Frage, ob hier mit mehrerlei Maß gemessen wurde, ich wußte ja, daß es viel schlechtere Aufsätze gab als den, den sie mir da verübelt hatte, und daß die zum Teil trotzdem bessere Noten kriegten. Aber es stimmte. Schlampig. Fehlendes, Wiederholungen… die andern Lehrer hatten immer drüber weggesehen, es höchstens mal verschämt erwähnt: Schade, Cordula… aber die waren so froh, daß eins von den Bälgern mal ein bißchen interessanter… und dann diese Frau. Du mußt von dir selbst alles verlangen, von anderen darfst du nichts fordern — so hat die mir das eingebimst, das war ihre Art von Elitismus. Harsch, in letzter Konsequenz auch alles andere als richtig — aber sehr hilfreich für eine überreizte Zicke, wie ich war. Das war mein eines, meine erstes Idol, diese Frau, die hat mich auch zur Musik geführt, das fing, da ich schon Klavier konnte, ganz naheliegend an, mit Skriabinplatten, Chopinplatten, dann auf einmal, rrrums, Schönberg, es lief über Gould. Glenn, nicht Stephen Jay.«
Das Gezweig knisterte.
Frau Späth fuhr fort:»Schnell weg vom Klavier, Orchestersachen verstehen lernen, Kammermusik zuerst, Webern kam, Berg auch bald, und danach, lustigerweise, nach diesen ernsten Initiationen, war alles offen, da sind wir dann direkt in die Gegenwart zusammen, Glass, Riley, und schließlich lief öhmtsss stockend und spotzend, aber immerhin, über gleichzeitiges Lernen in der Popmusik, das sie zu unterbinden versuchte, Gott segne die arme Frau, meine eigene Geschmacksbildung an. Zwar ist es mir dann sogar noch zweimal gelungen, Frau… Fuchs-Stockmann hieß sie, stimmt… zu beeindrucken, nämlich mit Robert Wyatt und mit irgendwas ähm auch Tüftlerischem, aber aus der Tanzecke, Elektronik — aber da drifteten wir schon auseinander. Lag auch an meinem zweiten Idol. Das war… Katja. Unfaßbar. Wer sie nicht kennengelernt hat, dem kann ich überhaupt nur den blassesten Begriff…«
Sie unterbrach sich selbst beim Reden, weil sie sich fragte, wem sie das erzählte und weshalb.
Der Baum blieb aufmerksam, und noch erstaunlicher: Man konnte das spüren, ja gar nicht übersehen. Die Atmung durch die Lentizellen, der Wohlgeruch des Interesses rund um die Bruchstellen der alten Haut, das schnelle Fließen der Informationen durch die Adern der Blätter: Ich rede hier, dachte Frau Späth, offenbar von etwas, das sie sehr angeht, oder wovon sie zumindest glaubt, daß es dies tut.
Nun gut:»Es gab da vorher schon ein paar Freundinnen, in aller Unschuld, Kiki und Bettina und diese und jene. Aber Katja Benante: Dieser Wirbel, das kam… wie eine neue Linse, durch die man guckt — ich hab sie anfangs immer nur aus der Ferne bewundert, beim Tischtennisspielen gegen Sonja, beim Tanzen auf den Feten, wie die dunklen Locken geflogen sind, wie dieses lange Gesicht lachen konnte, und die Sommersprossen natürlich, die wie so Pünktchen bei Comicfiguren, wenn sie geschockt sind, mehr um das Gesicht rumzutanzen schienen als drauf fixiert zu sein… und dann war sie ja zum Glück so dermaßen promisk bei ihren Freundschaften, fast schon wahllos, ich mein, sie konnte nie genug kriegen, sie wollte mit allen alles unternehmen, und alle wollten das mit ihr. Mich hat sie anfangs, als sie merkte, daß ich ihre Nähe suchte, immer in den Pausen zum kleinen Kiosk geschleppt, den der Hausmeister betrieben hat. Der war bis mittags geöffnet, und in so einem Glaskasten, da wollte sie immer Duplos kaufen, und da das die andern Mädchen genervt hat, weil die auch nicht soviel Süßzeug immer essen wollten, figurbewußt nannte man das damals, schon bekloppt — Katja hat nie erkennbar zugenommen, sie war zwar nicht klapperdürr, aber halt… na ja stramm, verstehst du, blühendes Leben — wahrscheinlich hat sie die Extra-Energie, die sie sich in Form dieser Zuckerbomben reingetan hat, immer sofort wieder verbrannt mit dieser unfaßbaren Beweglichkeit, diesem Ganztagsfeiern, jeden Tag in jeder Woche. Sie hatte so eine Art, um die Ecke zu kommen… Johanna, die sie auch mochte, hat immer gesagt: Das kann sonst niemand, so um die Ecke wetzen, als ob es um jede Ecke rum gleich noch mal die ganze Welt gibt, als ob man da dringend hin muß. Das war so, pöh, wie soll ich sagen, befeuernd, man wollte ihr einfach gefallen — meine ersten Sachen, die ich selber geschrieben habe, kleine Popsongs, aber immer schon mit ›langen komischen Stellen‹ in der Mitte oder am Ende, wie Katja das nannte… die habe ich ihr zuliebe so gemacht, wie sie waren, weil sie beides mochte, wenn es catchy war und zum Mitpfeifen, aber eben auch diese sogenannten Stellen, diese atonalen oder… Zum Abi habe ich dann alle Sachen, die ich bis dahin komponiert hatte, einfach weggeschenkt, als eine Art absichtlicher Zäsur, die Tapes und die Notenblätter und die Dateien, alles, wie um zu sagen: Das ist mein Frühwerk, ob es verschollen ist oder nicht, liegt bei euch — und das längste, das Konzeptalbum, die erste Oper sozusagen, habe ich Katja geschenkt.«
«Was ist damit passiert?«
«Glaubst du das«, sie lachte,»die hat das verbummelt. So war sie. Obwohl wir da schon… ich meine, das war meine große Liebe, verstehst du, und nicht zuletzt deshalb, weil es ja dann schließlich sogar erwidert wurde. Ich erinnere mich an den Abend, als mir das zum ersten Mal aufging, daß es nicht dabei bleiben mußte, daß ich sie aus der nahen Ferne anhimmle, sondern daß da wirklich was gehen kann, mit uns. Wir hatten… es war ein Theaterabo, kollektiv, der ganze Leistungskurs, das hatte diese Frau Fuchs-Stockmann organisiert, und wir fuhren also nach Basel im Bus, als… das Stück, also das war grauenhaft, so ein abstrakt absurder Knetkram über das Elend des Menschen im fordistischen Dingsbums, es gab da diese eine Handbewegung, am Hebel, in der Fabrik, die immer gemacht werden mußte, von den Figuren, aber pantomimisch, das heißt, es war gar kein Hebel da und… ich habe es kaum ausgehalten, bis auf… ich habe Katja beobachtet, den ganzen Abend lang, wie sie das, ich meine, wenn schon ich, die ja eigentlich offen war für schwerste Kunstgenüsse, da Hummeln im Hintern hatte… wie würde so eine sprühende… und tatsächlich ist sie rumgerutscht, als säße sie in einem schwankenden Boot, es war wirklich ganz allerliebst, wie dieser superlebendige Körper sich dem Schwachsinn und der Verödung auf der Bühne zu entziehen suchte, bis sie schließlich sogar die Zurückhaltung aufgab, die uns verboten hat, den Kopf hin und her zu drehen — sie saß eine Reihe vor mir, schräg, drei Plätze weiter, und drehte sich um, und sah mich an, und sah, daß ich sie sah, und da wußte ich es, das war, wie wenn es wieder so um die Ecke gewetzt kommt, dieses, wie Johanna sie deswegen dann taufte: dieses Wetzelchen.«
7. Anschlag
Esprit war wieder einmal gekommen, der höchste Feiertag der Hunde, inzwischen ein alles andere als liebliches Fest. Die Ausrichtung trug Merkmale des Angebrannten, Überholten, Ungewollten. Der Zorn und die Angst der Gente nahm häßliche Züge an: Wo man an den Rändern der Städte noch Menschen fing, die es nicht in die ausgeschilderten Flüchtlingszonen geschafft hatten, wurden viele von diesen aus Anlaß des Jahrestages gebunden und öffentlich verbrannt. Der Gestank drohte mehrere Tage lang sogar die königlichen Pherinfone zu ersticken, von denen immer dieselbe Parole ausging: Wir werden sie aufhalten, wir werden sie abwehren.
Wer war» wir«?
Der König, den Dmitri heute aufsuchte, um eine ganz besondere Nachricht zu überbringen, hatte sich ins Sandelholzzimmer zurückgezogen, dessen Wände inzwischen ganz mit Schwingspiegeln ausgekleidet waren. Um ihn wucherten Satellitenaufnahmen wie exotisches Unkraut.
Er sah älter aus als je, aber längst nicht besiegt.
Dmitri ertappte sich dabei, wie ihm der Anblick hohe Achtung und etwas wie Liebe einflößte — vielleicht chemisch induziert, aber es fühlte sich aufrichtig an. Der Wolf mußte an seinen toten Freund, das Laufschwein, denken und fragte sich, ob der Löwe von hier aus zugesehen hatte, auf diesen Schirmen, als Hébert ermordet worden war. In die meteorologischen Aufnahmen waren Diagramme der beschleunigten genetischen Drift infolge des Feldzugs der Keramikaner eingeschaltet. Es sah alles trübe aus.
Als wäre er ein Mime auf dem Theater, begann der König, melodisch und durchdringend zu erläutern, wie sich der Zustand der Welt für ihn malte:»In alter Nomenklatur: Afrika haben sie ganz, China zu größten Teilen, die amerikanischen Kontinentalhälften ohnehin. Wir werden uns verschanzen, lustigerweise eben dort, wo die erste tellurische Technozivilisation, die menschliche, die wir vielleicht allzu flapsig die Langeweile getauft haben, vor Tausenden von Jahren ihren Anfang nahm. Der Feldzug…«
«Es ist kein Feldzug«, Dmitri hatte nicht vor, sich auf die hohltönende Propaganda länger einzulassen. Ihm war freies Geleit zugesichert worden, obwohl er in Georgescus Datenbanken als Deserteur geführt wurde. Die Werft, die ganze Insel und alle, die dort arbeiteten und lebten: Das war eigentlich in Acht und Bann. Er nicht: Zeitlebens, dachte er, bin ich Diplomat.
«Kein Feldzug?«Der Löwe schmunzelte, er wußte immer noch, wie man den Eindruck erzeugte, mehr zu wissen als alle anderen.
«Jedenfalls nicht mehr, als das Verschimmeln von altem Brot ein Feldzug des Schimmels gegen das Brot ist.«
Der König atmete laut aus und sagte:»Verstehe. Sie hat dich beschwatzt. Schimmel. Ein Bild — man kann das so sagen, aber ein passenderes fände ich das von der Verkrebsung lebenswichtiger Organe. Ich bestehe nicht darauf, daß das Karzinom gegen den Organismus Krieg führt. Aber ich glaube nicht, daß der Körper vor dem Krebs davonlaufen sollte. Oder daß das überhaupt geht. Sie glaubt das. Ihr Vorrecht.«
Sie: Das war die in den zwei verbliebenen Städten mittlerweile Unaussprechliche, Lasara.
«Ich sehe, man steckt hier«, erwiderte der Wolf,»immer noch alle Ressourcen«, ein Blick auf die Laufbänder im unteren Drittel der Spiegel, wo Ziffern der Munitionsfabrikation und der Aufmärsche in Listen entlangliefen,»in die Vorbreitung einer Gegenoffensive.«
«Ich habe mich nun mal den Dachsen verschrieben. Sie haben tapfer um Landers gekämpft.«
«Siebenunddreißig Millionen Tote oder Verschwundene, Zivilisten alle, zu den gefallenen Dachsen, und der Schutzherr spricht von Tapferkeit.«
«Wovon soll ich denn sprechen? Du bist zu jung, Wölfchen. Du kannst nicht urteilen. Georgescus neue Doktrin gefällt mir: unglaublich weit zurückziehen und dann vernichtend schlagen. Und währenddessen darf ich zusehen, wie alles vernichtet wird, was aus dem Samen der Hundertvierundvierzigtausend sich zu so hoher Blüte und Macht hat aufschwingen können.«
«Drei Städte. Dann zwei. Bald eine. Endlich keine mehr.«
Der König griff sich in den Kinnbart, wühlte darin herum, betrachtete den Wolf sehr lange.
Dann sagte er:»Nun, Städte… Sie haben für unsere Feindin den Vorzug, daß deren Bewohner nicht weglaufen können. In Landers… haben sie ein altes Archiv mit Geschichten aus der Langeweile gefunden, die Keramikaner. Nanokonserviertes Schichtpapier, alterungsbeständig. Sie haben es ins Wasser geworfen, im großen See. Es quoll auf. Sie haben damit ihre Wunden versorgt. Das heißt also, sie hatten Wunden. Sie leben, man kann ihnen Wunden schlagen, sie können sterben. Ja, ich rede von Tapferkeit.«
«Ich nehme nicht an«, Dmitri gab sich Mühe, sarkastisch zu klingen, und schämte sich zugleich ein bißchen deswegen,»daß hier viel darüber nachgedacht wird, daß auch wir — Lasara, ich, die andern, die an der Arche arbeiten — Verteidigungsanstrengungen unternehmen müssen, die unser knappes Budget belasten. Aber nicht etwa gegen Katahomenleandraleal, sondern…«
Der König winkte ab:»Ach, gegen mich, ich weiß«, er gab sich keine Mühe mehr, die schwere Erschöpfung und sein großes Angewidertsein zu verbergen. Er hat Größe, es ist wahr, dachte der Wolf und erinnerte sich, daß er gern Diener dieses Herrn gewesen war.
Nicht mehr: Jetzt mußte ein anderer, schwerer Auftrag erfüllt werden.
Der offizielle, mit dem er sich angemeldet hatte, einen Waffenstillstand mit dem Löwen auszuhandeln, war nur Vorwand. Er schuldete es dem Monarchen —»er ist kein König, das sind romantische Flausen, er ist ein Diktator auf sehr lange Lebenszeit «hatte Lasara geschimpft —, daß er die Wahrheit sagte:»Ich bin hergekommen, um…«
«Mich zu töten, ich weiß. Was willst du tun, Wölfchen? Mich mit Mikrokokken angreifen, Vibrionen, Perrhobaktern, die auf mein verbessertes Immunsystem zugeschnitten sind? Mich mit Laserstrahlen versengen, mit Napalm besprühen, mich ersticken, garrotieren, schneiden, schlachten, spießen oder rösten?«
Der Wolf schwieg, preßte die Zähne zusammen.
Was fehlt diesem Herrscher? Sertsa. Seele. Die hat er nicht. Es ist, als gäbe es ihn gar nicht, nein, komplizierter: Als habe er sich womöglich sich selbst nur ausgedacht und sei eigentlich ein anderer, kleinerer, engerer.
Der Löwe fing an, zu lachen.»Natürlich. So ist sie. Selbstverständlich. Alle Achtung. Evolution: Das liebt sie, daran glaubt sie, das hat sie von ihrer Mutter.«
Der Wolf atmete schneller. Der Löwe sagte:»Warum nicht, also ein Zweikampf. Ein altmodisches Attentat. Der Schnellere, Stärkere, Zähere… der… Bessere gewinnt.«
«Ich kann es schnell erledigen. Es muß nicht weh tun«, sagte der Wolf gepreßt und fragte sich, woher er solche absurden Sätze nahm, wie er hier hereingeraten war und wie das alles enden sollte.
«O nein, so nicht. «Der König tänzelte leichtfüßig von ihm fort, sah ihn dabei unverwandt an; der Blick behielt etwas Hypnotisches.»Du wirst das ordentlich erledigen, wie man's dir aufgetragen hat. Wir werden uns aneinander messen. Du wirst mich hier, in meinem Sanctum, anspringen wie ein notgeiler Bock, du wirst dich mit mir auf diesem glatten Boden wälzen, wir werden unsere Zähne in die Körper schlagen. Und wenn du es schaffst, mein dummer Junge, dann wird sie es austragen. Wenn nicht, wird sie es töten, denn dann ist dein Erbgut nicht nach ihrem Geschmack.«
«Es aus…«
Der Löwe schüttelte die Mähne, als er sah, daß Dmitri gar nicht wußte, wovon er redete.»Dein Kind, du ganz mißratener Schwiegersohn! Sie hat's dir nicht verraten? Was sie unterm Herzen trägt? Mir hat sie es gezeigt, in meiner Lichtkammer, wo man so etwas nicht fälschen kann. Sie hat mich nicht absichtlich drauf hingewiesen, aber sie wußte, daß ich alles sondieren lasse. Sie blieb sehr lange stehen, unter den Bildnehmern, bevor sie abgerauscht ist, mit ihrem ganzen Frondeurshofstaat.«
Der Wolf wußte nicht, ob er das glauben sollte, ob es eine freche Lüge war, um seine Entschlossenheit zu prüfen, um ihn zu verstören — aber eins war richtig: daß er den Löwen jetzt anspringen mußte, daß er ihm die Kehle herausreißen mußte, als wäre der König ein jämmerlicher Mensch. Er duckte sich, trat zwei Schritte zurück und knurrte.»Laß mich nur weiter raten, es macht so großen Spaß«, spottete der König,»in deinem Blut und Speichel ist etwas, nicht wahr? Eine noxische, toxische… auf mich abgestimmt, durch die Wunde sofort in mein System damit, alle Filter und Schutzstoffwechsel überwindet es… Du hättest dich nie auf das Biest einlassen sollen. Denk, solange du noch lebst, an meine Worte: Man flieht die, die einen gemacht haben, sonst werden sie einen zerstören. Du hättest nicht mit deiner Mutter schlafen sollen, kleiner Hund.«
«Meiner…«
Der Löwe brüllte.
Dmitri wich zurück.
Cyrus Iemelian Adrian Vinicius Golden lachte:»Ein Wolf? Ein Schäfchen! Was glaubst du, wie sie zu meiner Tochter wurde? Sie war die erste der dritten Generation, ganz einfach — ich selbst und ihre verdammte Mutter, wir haben unsere genetische Signatur in sie geschrieben, Kalligraphie, und dann hat sie uns dabei geholfen, die übrigen Quasispezies und Individuen der dritten Generation zu erschaffen, die himmlischen Heerscharen: die neuesten Wölfe und dich und die bunten Dachse und alle andern späten Warmblüter, die jetzt vor Undankbarkeit kaum gerade stehen können.«
Der Wolf zog die Oberlippe hoch, entblößte die Reißzähne. Die beiden Gegner hatten begonnen, einander mit gemessenen, kraftvollen Schritten zu umkreisen. Wochenlang hatte man den Wolf auf diesen Moment vorbereitet, seine Muskeln mit elastischen Piconiken verstärkt, sein Skelett angepaßt, ihn in eigens eingerichteten pherinfonischen Kampfumwelten mögliche Choreographien üben lassen. Lasara war besorgt gewesen, aber zuversichtlich:»Wenn ich nicht glauben würde, daß du das schaffst, hätte ich mir einen andern gesucht.«
«Sie hat den Zeitpunkt gut gewählt. Ich bin's sehr müde, für euch Pack zu sorgen. Lange, sehr lange hat es mir gefallen, Jahrhunderte, daß ich bestaunt war und geliebt und gefürchtet, es hat mir, kleiner Hund, soviel Alltagsmühe abgenommen. Jetzt wird es fade, und nicht einmal die Angst um alles, was ich geschaffen habe, kann mein Interesse halten. Ich sehe auf der Welt, in Borbruck, in Kapseits und sogar da, wo die Keramikaner wüten, nur einen Abklatsch herumlaufen, einen Schatten der alten Literatur, der Schönheiten und Scheußlichkeiten, von denen wir gelesen haben, als wir Kinder waren. Verbannt auf die Insel des Doktor Moreau, verraten von den sprechenden Bestien des John Crowley, im Stich gelassen von den Fischen David Brins. Die alten Bücher sind nicht mehr, die alten Filme — ich bin der schwarze Monolith gewesen, aus Stanley Kubricks ›2001‹, ich habe versucht, euch aus den gedankenlosen Tiefen herauszureißen, ich war der Makler eurer Transzendenz — und wen schickt man, um mein Leben zu beenden? Den besten Freund des Menschen, zum zweiten Mal domestiziert. Sie sind wieder da, die Hunde des Herrn, domini canes, und suchen bald überall das Wetzelchen, wie die Artusritter den Gral.«
«Ich weiß nicht«, zischte Dmitri,»wen dein Geschwätz früher interessiert hat, aber ich bin sicher, sie sind alle tot.«
Der König grinste.
Mit einem Satz war Dmitri bei ihm und auf ihm. Statt seinen Hals zu schützen, biß der Herrscher nur zweimal schwach nach dem Attentäter, wie unkonzentriert, klappernd, als wäre sein Kiefer aus schlecht geöltem Holz. Ein schlampiger Prankenhieb traf den Wolf auf der Wange und war bei aller Ungezieltheit stark genug, daß Dmitri Stepanowitsch schwarz und rot vor Augen wurde. Aber noch im Taumel biß er zu und hörte den überraschten Löwen gurgeln, glucksen — er hat wirklich nicht geglaubt, daß ich es wagen würde.
Der Kampf währte lang.
Die Dachse draußen, allesamt gekauft oder erpreßt, mußten sich beherrschen, sich bei dem gewaltigen Lärm nicht auf eine Seite zu schlagen und einzugreifen, als Mörder oder Retter.
Es ging dem Löwen ans Leben, und als er das begriff, wehrte er sich mit Wut.
Es nützte nichts.
Am Ende waren die Augen voll Blut, die diese Welt gesehen hatten, bevor sie geboren war. Geifer und Seiber flogen, es stank nach Umsturz. Dmitri dachte, kaum noch keuchend, den Alten anzuklagen: Monarch über Götter und Dämonen, und aller Seelen sonst außer deiner Tochter, schau auf den Spiegeln die hellen, rotierenden Welten an, die heute, hier nur du und ich mit unsern kranken Augen sehen, alle zusammen, alle auf einmal, in diesem Raum — was ist die übrige Erde der Gente noch, die wimmelt von deinen Sklaven, die du dir großgezogen hast, damit sie vor dir auf den Knien rutschen, dich vergöttern und loben und all ihre Arbeit tun, und Hekatomben von gebrochenen Herzen schlagen für dich, in Angst und Selbstverachtung und unfruchtbarer Hoffnung. Und ich, dein Feind, der dich kaum noch erkennen kann, aber die Welten um dich, mich hast du jetzt gezwungen, mich noch höher zu stellen, auch ein Herrscher, und ein Richter, und ein König meines eigenen Elends.
Der Wolf, mit zerschlagener Schnauze, sprach das nicht aus, sondern sank nach hinten, dann auf die Seite, als der Löwe zusammengebrochen war. Dmitri keuchte, stöhnte, war Sieger. Spiegel rauchten, ein Vorhang hing in breiten schrägen Fetzen. Der Löwe versuchte zu sprechen, grinste schwach, wie ein Irrsinniger, dann hörte er auf zu atmen.
Dmitri blieb mehrere Minuten liegen, spürte, wie sein Verräterherz in Panik schlug.
Ein Kind. Lasara ist schwanger. Er fragte sich, verwirrt, voll Scham und ganz abstraktem Glück, ob er es heimlich nicht doch gewußt hatte, ob es nicht sogar dieses Wissen gewesen war, das ihn zu dem gemacht hatte, der imstande war, seinen Wohltäter zu töten. Das Kind, soviel wußte der Wolf, wäre niemals in Sicherheit gewesen, Keramikaner hin, Katahomenleandraleal her, solange der Herrscher noch lebte. Habe ich es deshalb getan, aus Beschützerinstinkt? Gibt es Instinkte überhaupt noch, leiten sie mein Tun?
Er zwang sich wieder auf die Beine, als die Flügeltüren auseinanderglitten und die Bestochenen mit Ärzten hereingerannt kamen. Sie beachteten ihn kaum. Das wichtigste war, den Tod des Königs festzustellen.
Ein blauer Dachs mit Mundschutz sandte schon Pherinfone los, die den Staatstreich vollenden würden.
Es gab bereits einen vorläufigen Geschäftsführer des Staates, der an Fäden hing, die fest in Lasaras Hand lagen; das war der Affe Stanz.
Dmitri Stepanowitsch ging schwankend beiseite, die breiten leeren Stufen des großen Wandelgangs hinunter, zu den Gastgemächern, wo er nur schlafen wollte, lange schlafen. Er blieb unbehelligt, man mied ihn wie eine Krankheit. Als er seine Tür erreichte, hörte er in seinem Kopf die Stimme des Löwen.
Es war keine Erinnerung, sondern ein Pherinfoplex mit verzögerter Wirkung, den er sich beim Austausch von Blut im Kampf zugezogen haben mußte. Die Lähmung, die als heimtückisches Agens an es gebunden war, setzte bereits ein, so daß der Mörder nicht einmal mehr die Nervenkraft besaß, von dieser Stimme entsetzt zu sein:»Sie wird eine Halbwaise großziehen müssen, kleiner Hund. Es tut mir leid«, Dmitri fiel gegen den Türrahmen, ihm war entsetzlich schwindlig, ein heftiger Würgreflex setzte ein,»denn ich habe dich immer gemocht. Ich mag auch meine Tochter — ich besitze, wie jeder gute Gründer einer mächtigen Dynastie, viel Familiensinn. Aber die Gesetze, die ich für mich und die mir Nächsten erlasse«, Dmitri versuchte, sich zu erbrechen, es gelang nicht, er bekam keine Luft mehr,»dulden keine Ausnahmen. Ich habe mir nun einmal, auch wenn ich einsehe, daß ich meinen Nutzen fürs Tierreich erschöpft habe und daß es richtig ist, mich gerade jetzt zu beseitigen, um meinem Werk eine neue Chance zu geben, dennoch geschworen, daß niemand, der mich umbringt, das Recht haben soll, mich lang zu überleben.«
Dmitri konnte nicht anders, er mußte, während er ins Nichtsein hinüberglitt, noch einmal wehmütig lächeln, in alter Bewunderung.
Das letzte, was er hörte, war die Stimme einer Habichtsfrau — Elektrizitas Pulsipher, so lange verschwunden, rannte die Stufen zum Sandelholzzimmer hoch und schrie:»Laßt mich durch! Ich muß zum König, schnell, laßt mich durch! Wir haben uns geirrt! Ein furchtbarer Fehler! Das Wetzelchen, wie schrecklich, ach, ich weiß jetzt, wo es ist!«
8. Ratschluß, verdunkelt
Die Gefilde der Gente verfielen in Jammer.
Aus jedem Haus drang der Kummer über das Ende des Löwen.
Hier war eine Zivilisation in ihrer innersten Ordnung getroffen, die, wenn sie unterging, kein Archäologe als so weit fortgeschritten hätte erkennen können, wie sie war: So gut wie nichts mehr gab es, das von Maschinen gestützt war, und kaum etwas, das man sicher überhaupt als Maschine hätte identifizieren können.
Der Wind erwachte hinter den gekalkten Kühlwänden im Rücken der riesigen Archivkathedralen, als er erkannte, daß das endlose Vorspiel zum Geschwisterzwist zwischen den Arglistigen und den Einfältigen unter den Erben der Langeweile zu Ende war.
Der auf Jahrzehnte ausgedehnte Nachmittag des kostspieligen Friedens ging in einen unruhigen Abend über, und der Wind, der sich wieder regte, wußte schon von der Nacht, die folgen sollte. Die Gente, die sich zu fragen begannen, ob sie nicht doch bloß wilde Tiere waren, gingen in Behausungen, die wieder zu Höhlen wurden, und legten sich, vom Weinen erschöpft, auf ihre Lager.
Der wiedererwachte Wind fuhr zwischen die verunsicherten Architekturen. Wo Erde gewesen war, hatten die Gente aus Erde gebaut, die Wände polymerisiert, die Quartiere gesichert, die Dächer gedeckt. Wo es Wälder gegeben hatte, waren Bauten aus Holz entstanden, und manchmal waren existierende Menschentürme und Hallen der Überwundenen belassen worden, wie sie gewesen waren, manchmal auch ausgeschlachtet wie Steinbrüche.
Auf das alles kam es nun nicht länger an.
Aus seinen Kammern kam der Sturm und von Norden die Kälte. Im Odem eines vergessenen Gottes kam Eis, und die weiten Wasser der Atlantiker lagen erstarrt. Die Wolken beschwerte der rächende Gott mit Wasser, und aus jeder Wolke brach der Blitz. In den Blechdosen rund um die Mündungen rostiger Regenrohre kicherten die Knüttelfeuerchen nicht mehr; sie waren vor Angst gestorben.
Aus einem dieser Regenrohre aber tropfte der Fuchs als silbernes Öl und gebot dem Orang-Utan Sdhütz Arroyo, sich respektvoll zu den Nachrichten zu verhalten, die als großer Lärm aus dem Regierungsviertel auf alle Straßen und Gassen drangen.
«Was heißt respektvoll, ich gehe doch bereits gebeugt.«
«Hättest du Schuhe an, würde ich dir sagen, du sollst sie ausziehen. Trügest du einen Hut, so müßtest du ihn abnehmen. Denn deine Füße gehen auf verfluchtem Boden seit dem Mord, und deinen Kopf trägst du unter einem zerrissenen Himmel spazieren.«
«Warum«, zweifelte der alte Affe,»nur weil kein Löwe mehr…«
«Es gab nie einen Löwen«, sagte das silberne Öl und nahm sich, am verfluchten Boden auftreffend, zusammen, als exakt kreisrunde Pfütze,»das solltest du inzwischen wissen.«
«Du warst es, mein Chef, nicht wahr? Es hat keinen Herrscher gegeben, nur dich, den Finanzier, und einige deiner Personae.«
«Personae«, sagte die schillernde flüssige Scheibe,»das klingt nicht richtig. Es waren keine Masken, sondern… Partiale, sagen wir es so. Die Handelnden des Stücks, das wir hier leben, sind wenige — eine kleine Familie im Grunde und deren Partiale. Der Vater, die Mutter, der Sohn, die Tochter, die Amme. Nicht alle heterosexuell, nicht alle verheiratet, nicht alle… nun ja.«
«Wenn ein Dachs ein Wal sein kann, und ich hab das gesehen, dann darf mich das wohl nicht mehr wundern. Was soll ich jetzt tun, was schulde ich dir noch?«
Kräuseln auf der Scheibe, wie ein ironisches Lächeln.
«Was?«fragte der Affe, gereizt, aber nicht zu frech im Ton.
Die Pfütze antwortete wie ein Teufel, dem die Engel leid tun:»Laß die Waffen, letzter Held, aus den letzten Händen…«
Der Affe kratzte sich am Rücken. Die Wolken oben stießen jetzt zusammen, es donnerte sehr.
Der Fuchs sagte:»Das Ganze ist eine Verwechslung. Kürzungen im Text, Kopierfehler… unbedachtes Durcheinanderschmeißen von Leviathan und Behemoth. Beide Monster sind aus Einzellern entstanden, weißt du. Aber ihre Art, zu jagen und zu töten, ist grundverschieden.«
Der Affe zuckte mit den Schultern.
«Gut«, sagte der Fuchs,»zum Geschäft: Du wirst für mich erneut eine Reise tun.«
Blitze blitzten, die bemoosten Wände leuchteten algengrün.
Nüchtern und nicht ohne Ehrfurcht sagte der Affe:»Natürlich. Wohin?«
«Zu den neuen Welten. Zum nächsten Versuch. Wir wollen sehen, ob sich meine Investitionen nicht doch noch rechnen.«
Sdhütz Arroyo nickte, beugte sich über die Pfütze und sog seinen neuen Marschbefehl durch geweitete Nasenlöcher ein, als der blutige Regen ringsum zu schäumen begann.