XV. VOR DER ABREISE

1. Frau Späths Fanfare

«Warum bist du gekommen? Was willst du?«

So aufzutreten hatte die rote Echse in der Politik gelernt: Man eröffnet möglichst feindselig, dann kann sich's nachher beruhigen. Die nackte Frau mit dem W-Kettchen um den Hals, die am geöffneten Fenster auf dem Fensterbrett saß, als lege sie es darauf an, hinauszustürzen, lächelte hinterlistig, rührte mit dem Zeigefinger den brühheißen Kaffee in der grünen Tasse um (mein bestes Porzellan; sie bedient sich, als gehöre ihr hier alles, dachte Padmasambhava, eher beeindruckt als erzürnt) und sagte gelassen, wie mit unterdrücktem Gähnen:»Dir beibringen, was du wissen mußt. Und dich dann losschicken, auf deine Reise.«

Der Finger im Kaffee: keine Brandverletzung — das soll mir sagen: Sie ist kein Mensch, auch wenn sie wie einer aussieht. Vielleicht trennt sie sogar noch mehr vom Menschsein als mich, als alle hier, als überhaupt alles, was heute lebt. Padmasambhava schnaubte, als wolle sie ihren Geist aushauchen, und blaffte dann die Langersehnte an:»Ich weiß schon alles, was ich wissen muß! Und reisen werd ich erstmal auch nicht. Ich bin zurückgekommen, um mich in meiner Kammer zu verkriechen und meinen Absturz aus dem Rampenlicht in die, Dings, wie heißt das? In die Verachtung auszukosten. «Der Kaffee, dachte sie dabei noch einmal: Sie trinkt ihn nicht. Der Rand der Tasse ist jungfräulich sauber. Sie dampft, die Brühe, aber obwohl der Finger es aushält, scheint die Frau innen (im Hals, im Magen) nicht ganz so feuerfest zu sein. Oder hat es einen andern Grund, daß sie nicht kostet, was da dampft? Egal, ich werde sie jetzt erst einmal abwimmeln:»Du bist hier falsch. Falsches Haus, falsche Person, falscher Zeitpunkt.«

«Pöh«, ein Laut ohne Bedeutung, und dann eine Fanfare aus sechstausend Tönen, in einer ultradichten Staffelung, deren Geometrie kein organisches Hirn begreifen konnte, unter Umgehung der Ohren wie auch der Spintronik direkt in Padmasambhavas Hörzentrum geschickt, daß die rote Echse unterm Sinnesdatenansturm zusammenklappte, sich auf den Hintern setzte und mit offenem Mund die Absenderin anstarrte. Padmasambhava brauchte fünf Minuten, um den eigenen Atemrhythmus und die richtige Pulsfrequenz wiederzufinden. Ihr Kinn fühlte sich danach an wie die weiche Windlade einer Orgel aus feuchter Seife, ihr Becken wie eine klingende Glasharmonika. Sie sah wie von ganz innen aus sich heraus, die Welt war umgekrempelt, die Sache tat auf elende Art sogar gut, oder auf köstliche Art weh. Padmasambhava schluckte trocken, hatte Angst und freute sich.

Sie atmete ein, aus, ein aus ein aus. Dann befühlte sie ihre Stirn und erkannte, daß sie in breiten Bächen schwitzte, von der Kopfhaut her, den Schläfen, auch den Wangen. Ein Reptil schwitzt? Wie das? Es tropfte ihr vom Kinn, lief in den Kragen. Die Flügel auf ihrem Rücken zuckten, sie wollten, was hier drin ganz unsinnig gewesen wäre: sich entfalten, zur vollen Spannweite — ein Fluchtreflex.

«Was… hast du mit mir gemacht?«fragte sie die Komponistin.

«Och, Musik. Etwas, das du noch lernen mußt. Erst lernst du das, dann lernst du tanzen.«

Padmasambhava schüttelte den Kopf:»Alle… roter Schreck… du hast wirklich… Ich weiß gar nichts. Ich hatte keine Ahnung.«

«Na ja«, Cordula Späth zuckte mit den Schultern und stellte die Kaffeetasse auf den Tisch (wieso Tisch? Warum saß sie jetzt rechts von der roten Echsenfrau auf einem Metallhocker, statt links von ihr im Fenster? Und wieso war es draußen dunkel, und weshalb war das Fenster geschlossen? Was war geschehen, in den fünf Minuten, zwölf Stunden, zwei Jahren, seit Padmasambhava das Haus betreten hatte?). Die Komponistin ging zu der Gestrauchelten und half ihr auf die Beine.

«So ganz fair war's ja nicht, von wegen keine Ahnung. Wer wirklich von Musik nichts wüßte, von den alten Künsten, den neuen und den zeitlosen, den, oder die… nein, eher den, ich seh, du bist schon weit mit der Transformation… whatever, einen Ahnungslosen hätte ich nicht so treffen können, mit meiner kleinen Demonstration. Ehre, wem Ehre gebührt, pi pi pa po. «Sie nahm die Echse in die Arme, spendierte ihr ein bißchen Körperwärme, hielt sie fest, bis das Zittern abklang.

Während Padmasambhava noch damit beschäftigt war, die wolligwuschlige Dankbarkeit zu begreifen, die sich in ihr regte, meldete sich der Kaffee zu Wort:»Hallo? Die Damen? Werde ich sitzengelassen, ausgeschlossen und ignoriert? Typisch Weiber: Man finanziert den Spaß, man läßt sich aussaugen, und dann wird man in irgendeine Tasse geschüttet und weggestellt. Bin ich ein Witz? Bin ich nicht der, den man angerufen hat, als, bitteschön, Gott, als rechtzeitig opfernden Priester des Opfers, als den, der dem Opfernden den besten Schatz verschafft, als den wirklichen Chauffeur der anderen Götter, als Dunkel-Erheller, als großen Flüssigmacher der benötigten Mittel, als den, der an sich selbst entzündet wird, als Flammenkranz und…«

«Ach halt die Klappe, Ryu«, ächzte die Komponistin,»du machst uns die ganze schöne vertrauensstiftende Maßnahme kaputt mit deinem Geseier.«

Padmasambhava streifte die Arme der Beschützerin nicht ab, aber sie blickte über ihre Schulter auf das schwarze Zeug in der Tasse:»Ryuneke Nirgendwo? Er ist hier? Nach tausend… nach über tausend Jahren?«

Cordula Späth führte sie zum Tisch, half ihr, sich auf einem scharlachfarbnen Sessel niederzulassen, der seine Form brav ihren Konturen anpaßte, und sagte im Konversationston:»Na, sie sind alle hier, wenn deine Definition von ›hier‹ erst mal stimmt. Präsenz ist ein reines Zeitproblem, und kein besonders kompliziertes.«

«Vor allem eins der Integrität«, quietschte die Brühe,»ich meine, die meisten, außer Cola und mir, haben längst vergessen, wer sie waren, sich in Partiale aufgespalten oder mehrere Persönlichkeiten in einer vereinigt — was willst du machen, tausend Jahre Migration zernagen das dichtestgeknüpfte…«

«Und Geschichte. Vergiß nicht, daß zumindest auf dem Mars«, die Komponistin lächelte entschuldigend,»seit ein paar Generationen wieder Geschichte statthat. Die ist bedrohlicher für eine langfristige Einheit der Person als die ausgedehnteste leere Dauer.«

«Du mußt's wissen. Ich hab mich jedenfalls mit am längsten gehalten — im Fluß bleiben, das ist das Geheimnis. Die meisten Sorgen der Leute, da ändert sich wenig, ob's Menschen sind, Gente, Aristoi, Minderlinge, Alt- oder Neudachse, haben mit Liquidität zu tun, natch!«Das Näseln des Fuchses wurde blasierter, während sich über der Tasse jetzt ein deutlich sichtbares Wölkchen bildete und dann ein Sprühnebel darunter: Zwischen Kaffeeoberfläche und weißem Bausch entstand Regen.

Er regnet in sich selbst zurück, was ist das?

Padmasambhava hielt mit Mühe ein Lachen zurück, von dem sie wußte, daß es in Kreischen ausarten mußte, wenn sie es nicht beherrschte. Statt dessen zwang sie sich, zu tun, was die politische Arbeit sie gelehrt hatte: Sie lenkte die Verblüffung und Verstörung in produktive Bahnen, indem sie Cordula Späth bat:»Erklär's mir. Was meinst du mit der… Definition von ›hier‹?«

«Mumm hat sie«, freute sich der Kaffee, und Cordula Späth erwiderte:»Ort. Zeit. Die beiden grundlegenden Lektionen, nicht? Kausalität, der Mörtel des Universums, das kommt als Drittes dazu. Ursache und Wirkung — wie das Ganze auf das einzelne einwirkt und umgekehrt —, du warst nah dran, in deiner Rede unterm Baum. Wenn er noch Sprache hätte — sie — tja, Livienda hat sich bewußt dafür entschieden, zu vergessen. Ich nehm's ihr nicht krumm. So was passiert. Sie ist zufrieden, denke ich. Ihre Kinder leben, ihre Saat geht auf. Aber mit dem Individuum und der Geschichte verhält sich's wie bei der Schwerkraft: Die Raumzeit sagt der Materie, wie sie sich bewegen soll, und die Materie der Raumzeit, wie sie sich krümmen darf. Das Kollektiv und du, das Erbe und du, die Zukunft und du — bist ins Schwimmen gekommen, in der Rede, aber was du eigentlich sagen wolltest, ist, daß es sich um eine Wechselbeziehung handelt, nicht um was Einseitiges; ich meine, man kann ja rein logisch ebensogut sagen, der Messias ist für unsere Sünden gestorben, wie man sagen kann, wir begehen unsere Sünden aus Verzweiflung über sein Martyrium. Logisch — nicht moralisch.«

«Ich kann dir, entschuldige, überhaupt nicht folgen. Aber schön, daß du weißt, was ich eigentlich sagen wollte. Auch wenn ich es nicht mal wiedererkenne, wenn du es mir erzählst.«

«Wirst du, keine Sorge.«

Keine Sorge? Es klang eher wie: Wirst du müssen.

2. Erste Orientierung

Es gab raumartige und zeitartige Linien.

Mal waren sie Pulse von Oszilloskopen, dann Striche auf Notenpapier, immer hing ein Haken dran —»Was du am ersten Tag gehört hast, was dich auf den Boden geworfen hat, war das Gesamtwerk von Gustav Mahler, in eine Femtosekunde eingedreht. Nunc stans sagten die Alten dazu: der vollständige gegebene Moment. Ich wollte dir zeigen, wie ich existiere. Dazu mußtest du erst einmal den ersten der beiden Pole kennenlernen, die meine Spannung machen. Der andere ist, daß nicht nur die Zeit, sondern auch der Raum sich so zusammenziehen läßt — bis auf eine winzige Kugel, Durchmesser: die Plancklänge. Makromusik und Mikromusik. Hör zu!«—, immer ein Haken, um sie durch die Stimmführung zu ziehen, um die Konsonanzen und Dissonanzen zu organisieren, unter der Erde, über den Wolken, beim Springen zwischen den Orbitalstationen (»Hier drinnen sieht es aus wie in einem Walfisch, bei dem der Magen leuchtet«, fand Padmasambhava, und Cordula nickte:»Und du ahnst nicht mal, wie sehr das, was du da sagst, dieser Vergleich, alles bestätigt, was ich dir über nichtlokale holographische Erinnerung und Resonanzen beigebracht habe«).

Ebene, Kugel, Kleinsche Flasche, tausend mal tausend Topologien, immer wieder Haken und dann auch noch Ösen:»Das Kamel durchs Nadelöhr, eines der klügsten topologischen Gleichnisse aller Zeiten«, und Padmasambhava wurde das Kamel, Cordula Späth das Nadelöhr; dann krempelte sich die Szene um (»Involution, sieh zu, daß du dir ein paar Referenzpunkte im Gitter merkst, dann wird dir nicht schlecht«, mahnte Cordula), Padmasambhava wurde das Nadelöhr und die Komponistin das Kamel:»Du siehst, ob ich die Person im Zimmer bin oder das Zimmer um die Person, ist nur ein Betonungsunterschied — ob ich die betonten oder die unbetonten Silben im Lautgedicht zähle, ob ich von Generalpause zu Generalpause… hier, siehst du, da kommt die Twistorrechnung rein. «Die Echse fragte sich nicht selten, auf was für Prozessoren das alles bei der Komponistin eigentlich lief. Ihre eigene Spintronik, normalerweise zu 6 % ausgelastet, in Fällen umfangreicher Parallelrechnungen bei gleichzeitiger Konsultation des Buches des Lebens eventuell auch mal zu 20 %, stand bei den Übungen, die ihr jetzt auferlegt wurden, stets kurz vor der Gesamtauslastung.

Schließlich, man erfrischte sich gerade in einer sprudelnden Schauquelle am Fuß des Museums für Gentegeschichte in der Burg V, erkundigte die rote Echse sich direkt:»Womit arbeitest du? Worauf läufst du, was sind das für Prozessoren, die Jahrtausende überdauern? Ist das am Ende gar dein ursprüngliches Hirn, was mir hier beibringt, mich in mehrdimensionale Brezelformen zu verwurmen?«

«Okay«, sagte die Komponistin,»ich merk schon, du hörst einfach nicht zu, kiddo. Wer bist du überhaupt? Wer will das wissen, was du mich da fragst? Schließ mal die Augen. Hör mal… wie sagte man früher? In dich hinein.«



Weil das Verhältnis zwischen Lehrerin und Schülerin es erzwang, tat Padmasambhava, wie ihr aufgegeben war, und sah sich am Haken im Springkraut, sah sich als Auwald an ein Flußufer heranwachsen, hörte das Rauschen oben in den Blättern (war das nicht das Laub Liviendas, drüben in der andern Burg?), sah sich als Feenlämpchenspinne mit goldenem Glanz zwischen Glockengeläut herumkrabbeln, auf der Suche nach Komprimierungsmöglichkeiten für die Daten, die sie in ihren Netzen gesammelt hatte, sah sich als Zander, beim Anlegen von Verzeichnissen erlaubter Gametenpartnerschaften, nach einem Wurm schnappen, der wieder an demselben, dem immergleichen Haken hing, der einen Haken schlug, durch metonymische Ansteckung verführt, durchgehört, durchschaut, Fisch im Aquarium, der das Glas nicht sieht, hol mich raus aus dem Torus, gib mir eine Chance, hol mich an Land, hol mich hinauf in die Bäume, in den Amazonasdschungel, in die Wolken, das Gas in Streifen schneiden, mit der Identität rasseln;»Ich will die Welt…«, das Verb fehlte — kennenlernen? Sehen? Hören? Sein?



«Ich bin… bin ich die alle?«staunte Padmasambhava und blickte an sich hinunter: Sie war jedenfalls nicht mehr die Alte, sondern ein anderer.»Wie… was ist überhaupt passiert«, denn der Neugeborene begriff viel zu spät, daß dieses Augenschließen eigentlich hätte unmöglich sein sollen: Er besaß doch gar keine Lider — er, nein, sie, wer denn nun?

«Siehst du«, Cordula zog amüsiert die Brauen hoch, als der Neugeborene zurückgefallen war, ins warme Wasser, und sich, erschöpft wie nach der Erklimmung einer Steilwand, einfach treiben ließ.»Jetzt verstehst du langsam, was das ist, die Musik.«

«Ein… ein Hilfsmittel, etwas zu bauen, ja?«

«Richtig. Und was genau?«

«Mich.«

«Wieder richtig. Dich, als Palast der Erinnerung der vielen, aus denen du zusammengesetzt bist. Und die Musik brauchst du…«

«…nicht als Ausdruckswerkzeug und nicht als Kommunikationsmittel, sondern als spintronischen…«

«Vorsicht, allgemeiner bitte.«

«Nein, nicht spintronischen, als… als computationalen Wandler, mit dem ein musterergänzendes Hirn wie meins bestimmte Klassen von inferentiellen Prozessen, betreffend die Beschaffenheit der Raumzeit und der richtigen Bewegung in ihr, behandeln lernt, die es andernfalls, also ohne die Musik, nicht einmal formulieren könnte.«

Padmasambhava merkte, während er sich noch so reden hörte, daß er jetzt wie das Buch klang, und als er versuchte, es anzurufen, meldete es sich zwar nicht, aber jedes Feld, jede Datei, jeder Pfad darin war ihm augenblicklich zugänglich.»Ich bin… in mein Buch rein. Es ist in mich gestürzt. Wir sind eins.«

«Ja. Siehst du? Wir sind ein Stückchen weiter: Erst kommt die Integration. Und jetzt zur Alloplastik.«

Padmasambhava mußte lachen:»Das klingt wie: Erst erkläre ich dir deine Hände, und dann bringe ich dir bei, wie man damit greift.«

«Oder Klavier spielt. Aber der Vergleich hinkt — ich bringe dir bei, wie du Dinge verändern kannst, auch im Sinne von ›Ortsveränderung‹, Bewegung, nicht indem ich dich und die Dinge einander gegenüberstelle, sondern indem ich dir zeige, daß du alle diese Dinge, oder Leute, oder Umstände selber sein kannst. Und wenn du sie bist, kannst du sie verändern, indem du dich veränderst.«

«Klingt einfach.«

«Hätten aber Organismen, oder Maschinen, nicht fertiggekriegt, bevor Ryu und sein Kumpel, der sich später Cyrus nannte, ihre… aber dafür ist es noch zu früh. Das kommt mit der zweiten Orientierung. Laß uns was anderes machen — gibt's hier irgendwo einen Park, kann man hier Federball spielen?«

3. Zweite Orientierung

Im sommerlich warmen Wind, am Rand der kommenden Aufgaben.

«Kann ich überallhin, in jede Zeit, an jeden Ort?«

«Blödsinn. Was ich dir zeige, ist nicht Zauberei. Rechne die Twistorkalküle durch, das sind immer noch die besten Näherungen. Oder schau's dir als Muster von Zellulären Automaten an, wie Izquierda das gemacht hat — du kannst überallhin, wo wir Ösen für deine Haken aufgestellt haben oder wo wir dir Haken besorgt haben, die zu den in der Natur vorhandenen Ösen passen, und sie in deine Musik integriert. Bildlich gesprochen.«

Cordula Späth räusperte sich.»Es gelten alle Erhaltungssätze, da kommst du nicht raus: Energie, Masse… mit den Brennzellen, die in deine Denkmurmel eingearbeitet sind, hätte man früher Kriege um die Weltherrschaft androhen, aber nicht ohne Verheerung der halben Biosphäre führen können. Im Ernst, Eidechse, wenn man dein inneres Marschgepäck in Masse umwandeln würde, könntest du eine hübsche Delle in unsern Mars hauen, oder Phobos und Deimos«, sie waren auf beiden Monden gewesen, in alten, seit Jahrhunderten verlassenen Stationen,»wie Billardkugeln aus ihren Umlaufbahnen schnicken.«

«Und das gleiche gilt für dich, nehme ich an, du bist auch so mächtig, nur viel schlimmer.«

Frau Späth lächelte:»Ich hab eben mehr Haken. Meine Reichweite ist ausgreifender als deine.«

«Wegen der natürlichen Ösen, in die du…«

«Du kannst, beispielsweise, deine, na, sagen wir, Persönlichkeit, wie eine ganz grundsätzliche Software für eine universale Turingmaschine, auf jedes Tier und ziemlich viele Pflanzen überspielen, die seit der Einführung der neuen Genetik, seit der Befreiung im Sonnensystem rumkrauchen. Das bedeutet aber wieder nicht, daß nicht irgendwo noch ein paar Käfer krabbeln oder Lurche schnorcheln, in die du keinen Zutritt hast ähm… zu denen du keinen Zugang findest, weil ein sozusagen rezessives Gesamtgenom sich in der betreffenden Nische irgendwie gehalten hat. Und in die Vergangenheit wirst du auf diese Weise, als purer Datenstrom, auch nicht ohne weiteres reisen können, denn die Tiere, und sowieso Pflanzen, die damals, also vor dem Löwen, existiert haben, sind nicht mit den Pfaden versorgt, die du bereisen könntest.«

«Aber die Architekturen hat man zunächst in der Naturgeschichte gefunden, bevor man…«

«Nein, siehst du, es war ein klassischer Dreischritt: Man hatte zunächst die Vorstellung, daß man das Prinzip ›Gebäude als Metapher für Erinnerung‹ auch auf die Anlage eines Gesamtbewußtseins übertragen kann. Methode der Loci, ars memoriae — eine mittelalterliche Mnemotechnik.«

«Mittel… während der Gente?«

«Nein, entschuldige, ich drücke mich immer noch menschlich aus… das war im zweiten Drittel der Langeweile. Die Menschen hatten manchmal Schwierigkeiten damit, daß sie so gute Geschichtenerzähler waren. Da mußte dann, damit der Erzählbrei nicht auseinanderlief, ein bißchen mehr Statik rein, oder Stärke, Rückgrat, Gerüst — wie du merkst, bin ich ihnen immer noch verbunden, vielleicht, weil ich die Menschenform so lange bewohnt habe, daß ich wirklich nicht mehr migrieren will. Geschichten: Das ist immer zwischen Skylla und Charybdis, denn jede wirklich gute Geschichte muß sehr persönlich sein — also gibt es keine universalen Regeln — und gleichzeitig um subjektübergreifende Geltung bemüht, um Zuhörer zu finden, ohne die eine Geschichte keine Geschichte ist. Sie machten sich ihre Köpfe zu Kathedralen, Palästen, in denen jede Erinnerung ihren Ort hatte. Als nun gegen Ende der Langeweile das Prinzip der computationalen Äquivalenz entdeckt wurde — weniger geschwollen: daß der öde Dualismus, hier Geist, dort Natur, ein reiner Blödsinn gewesen war, weil man sowohl Bewußtseins- wie Naturvorgänge einfach als das Ablaufen von Programmen beschreiben kann, als Rechenvorgänge im Rahmen gewisser Regeln, da war schon klar, daß man nur noch die, na, ehren wir die Relativitätstheorie, indem wir es Lorentztransformationen nennen — also, die Lorentztransformationen finden mußte zwischen den… Ebenen. Die allerdings nichts von den sogenannten psychophysischen Gesetzen haben durften, weil man das seit dem anomalen Monismus überwunden hatte — Epiphänomenalismus, Emergenz, das waren alles tastende Versuche gewesen, dem Problem der Verkörperung von sogenannter Intelligenz gerecht zu werden, aber eben immer von der fetischisierten Intelligenz her gedacht statt von der raumzeitlichen Körperlichkeit. Vom Kopf auf die Füße gestellt haben das dann die Gente, die Weissagung wurde erfüllt: Aus der richtigen Epistemologie läßt sich, per Inferenz, tatsächlich die richtige Ontologie schälen — an diesen Punkt gelangte man, als die Setzlingstechnologie erfunden wurde, dank Izquierda, Friede ihrer…«

«Und die Keramikaner?«

«Ah, there's the rub, nicht wahr? Was die alles können, weiß keine und keiner. Nicht mal ich — ich war seither nicht mehr auf der Erde und nur ein Fingerhütchen Zeit in der Zukunft von Mars und Venus, wo sie nicht…«

«Aus Selbstbeschränkung? Hast du dir das auferlegt, oder sind die ähm Buchsen der Zukunft ab irgendeinem Zeitpunkt so wenig für deine Stecker geeignet, die Schlösser so unpassend für deine Schlüssel, die Ösen für deine Haken, wie die der Vergangenheit für mich?«

«Warum findest du das nicht selbst heraus? Ob ich absichtlich nicht ins übernächste Millennium getaucht bin oder ob es nicht geht? Du wirst da ja vermutlich noch around sein, in der, hm, einen oder anderen Form. «Padmasambhava ließ sich nicht ablenken:»Zu den Keramikanern noch mal…«

«Wir haben sie nie hinreichend präzise abhören können — nicht mal Livienda und ich, damals im Urwald, Wange an Wange mit Katahomenleandraleal. Katahomenleandraleal und die Keramikaner haben sich aus allem ausgeklinkt, was wir über Kommunikation… oder Musterprozessierung… sagen wir, als Oberbegriff: über Musik wußten. Izquierda hat richtig Angst gekriegt, so hatte ich sie noch nie… Wie war's denn vorher? Die meisten Tiere, die irgendwie in Sozialverbänden lebten, hatten die Fähigkeit, wenigstens ein paar spezifische auditorische, visuelle oder chemische Signale zu funken: Wal- und Vogelsang, Gesten, Farbzeichen wie die Pigmentierungswechsel bei den Oktopussen, Pheromone. Wir dachten zuerst, die Keramikaner könnten eine Art Elefanten sein — da hat man erst in den achtziger Jahren des vorletzten Menschenjahrhunderts rausgekriegt, daß die sich akustisch unterhalten, auf Frequenzen jenseits der menschlichen Hörschwelle. Aber der Witz war: Die Kommunikation der Keramikaner lief — und, wenn es sie noch gibt, läuft — nicht einfach jenseits der natürlichen Sinnesorgane ab, nicht einfach jenseits von dem, was Menschen und Gente sehen, hören oder riechen, sondern jenseits dessen, was sie denken können. Da wird's eng: Das Organ, das versagte, war nicht das Ohr oder das Auge, sondern das Hirn. Die Lage hat sich erst mit den Substraten für die Setzlinge geändert, gebessert, mit den ersten echten Hochleistungsquantencomputern, mit der embryonalen Spintronik… und indem ich ein bißchen Selbstanalyse betrieben habe, Selbstreflexion, denn ich war ja nun meinerseits schon auf dem nächsten Level, though I do not like to brag about it. At least not too much, he he — introspektiv kam jedenfalls raus, daß… Livienda, Lasara und ich, wir waren ein erstklassiges Team.«

«Ihr seid gemeinsam auf mich gekommen.«

«Und auf dein Geschwisterlein.«

4. Praxis

Die Komponistin brachte ihm bei, wie man schwimmt, richtig fliegt, instinktiv den Moment abpaßt, in dem die Atemluft aufhört, dem Organismus zuträglich zu sein, und also die Atmung einstellt, aber auch, wann sie wieder nötig, möglich, köstlich wird.

Sie wurden Freunde — er lernte, sie» Cola «zu nennen, ein Spitzname, mit dem sich manchmal Ryuneke in ihrer beider Unterhaltung einmischte, ein Titel, den sie nicht zu ertragen vorgab, aber heimlich genoß.

Schließlich schlief sie auch mit ihm.

Anfangs hatte er Schwierigkeiten dabei gehabt, seine neue» Verdrahtung«, wie sie's flapsig nannte, als seinen eigenen Körper zu verstehen. Wie ging denn das, ein Mann sein? Einmal küßte sie ihn, nach dem Sport, ein bißchen länger, weicher, feuchter und schöner als sonst, da bekam er eine Erektion, mit der sie ihn allein ließ, damit er rausfand, ob sie ihm gefiel. Das wiederholte sich bald öfter — manchmal reichte der Klang ihrer Stimme, wie sie ihm, von unterwegs, über Spintronicom» Guten Morgen «ins Ohr lachte. Beim ersten Mal aber war er zu verwirrt, zu glücklich und zu verliebt, um gleich so steif zu werden, wie er wurde, wenn er sie nur roch oder nah bei sich hielt.



Das Miteinanderschlafen fühlte sich auch sonst sehr anders an, als er's kannte: Kein Miteinanderspielen wie bei den Festen der Aristoi, sondern eine kühne Ernsthaftigkeit, nicht unfreundlich, aber oft hungrig ruppig, als hätte Cola in den rund anderthalbtausend Jahren ihres Lebens gelernt, daß man keine Witze macht, wo sie nicht hingehören.

«Ein Reptil willst du sein? Ach was, ein Knuffelhase bist du«, und immer Küsse.

«Sei froh, daß du nicht drüben bist, auf der Venus. Da herrscht die reine Barbarei. Das hängt eben nicht nur mit dem Produktivkraftstand zusammen, der ist drüben vielleicht sogar höher als hier, weil das Terraforming aufwendiger war, sondern mit den Verkehrsverhältnissen. Die stehen dort kurz vor der Renaissance; ihr immerhin im aufgeklärten Absolutismus, wobei die Zentralspintroniken der Kongresse den König ersetzen. Burgen sind Länder. Und die ganzen Sprachantiquitäten, die römischen Ziffern, die griechischen Namen… in der Französischen Revolution haben sich die Fortschrittlichsten ja auch für Griechen und Römer gehalten, von meiner lieben deutschen Klassik ganz zu schweigen.«

«Ich weiß nur sehr lückenhaft, wovon du redest, Cola. Tut mir leid.«

«Von Ur und Babylon, im Grunde. Von Wagadu und Ekbatana. Von Atlantis und Mu. Vergiß es.«

5. Haß und Fortschritt

«Ich war dir aufrichtig ergeben, du hast mich lächerlich gemacht und meine Devotion beschmutzt«, sprach Lodas Osier zu einem Bild, das er sich vom schlechthin Bösen gemacht hatte,»aber ich fürchte dich nicht mehr. Ich war zu blind, die Wahrheit zu erkennen, wollte nicht wissen, wieviel du mir gestohlen hast. Noch immer gruselt's mich, denn ich erinnere mich, wie durch dich alles an mir gestorben ist, was unschuldig war. Du willst wissen, was dir geschieht? Ich werde keinen Frieden mehr geben. Du hast mich gezwungen, mich selbst zu beerdigen, bevor ich gestorben war, ich wollte nur deinen Segen, den Segen einer Fremden aus den Gräben, und eine Art Vergebung für das, was wir mit euch gemacht haben, und jetzt bin ich ein größerer Außenseiter als du: Ich finde nicht zu den Gelagen zurück, ich finde keinen Schlaf mehr, ich erkenne mich selbst nicht wieder. Ich verstehe jetzt, was ich tun muß. Du wirst eine Göttin und gleichzeitig ein Gott werden, wenn ich es nicht verhindere. Also muß ich es verhindern, bevor sie anfangen, dir mehr zu glauben, als du verdienst.«



Wenn Lodas Osier in Cordula Späths Wahrnehmung mehr gewesen wäre als ein Radarpünktchen an der äußersten Peripherie ihres Interesses für Padmasambhava, hätte sie ihn vermutlich einen» armem Hund «genannt, auch wenn das Fell auf seiner Brust und seinen Armen eigentlich das eines Bären war.

Seit der Trennung von der roten Echse, die jetzt ein roter Drache geworden war, rasierte er sich diese Haare täglich, er hatte Gefallen gefunden an der Vorstellung, so etwas wie ein aus einem anderen Jahrtausend in die Gegenwart Verschlagener zu sein, im Grunde ein Mensch, und beschäftigte sich mit der Geschichte, den Wissenschaften, den Künsten des homo sapiens.

So verfiel er endlich auf die Idee, er könnte der Held einer Tragödie sein. Denn tragische Helden werden schuldlos schuldig, und seine Schuld, so glaubte er, der sich von Padmasambhava verlassen wähnte, obwohl er sie verlassen hatte, bestand darin, daß er der einstigen Geliebten ihren politischen Wahnsinn nicht ausgeredet hatte, als noch Zeit dazu gewesen war.

Er hätte sie entschärfen müssen, diese Bombe, aber er war wie vom Donner gerührt gewesen — vielleicht hatte ihn ein banales Triebschicksal ereilt, vielleicht handelte es sich auch um ein größeres, abstrakteres Fatum, das ihn dazu verführt hatte, der Zerstörerin den Weg zu ebnen, zuerst mit seinem tatenlosen Zusehn, dann mit dem Entzug seiner Nähe, die sie doch vielleicht hätte erden, versöhnen können.

Ihr erster Streich gegen die festgefügte Burgenordnung war erfolgreich gewesen, aber dabei konnte sie es, nun, da Pandoras Büchse einmal geöffnet war, nicht bewenden lassen.

Jetzt erblickte Lodas Osier überall um (und sogar in) sich Zeichen des beschleunigten Verfalls.



Seit Jahrhunderten fix für anderes veranschlagte Anteile am Gesamtleistungsaufkommen der Burgengesellschaft wurden plötzlich von neugegründeten» Ausschüssen zur Vorbereitung etwaiger Verteidigungsmaßnahmen «halbseidenster Zusammensetzung (junge Kaufleute, diskreditierte Wissenschaftler, religiöse Eiferer, sogar aus den Gräben zugezogene Echsen) aus dem Rechenzeitpool abgezweigt, Foren zerbrachen daran, Cliquen, intimste Beziehungen.

Der Festkalender geriet durcheinander, als manche Burgen das offizielle Ende des experimentum crucis zu einem der Hohen Tage machen wollten (das wäre dann der siebte gewesen, oder, in den Burgen II und V, die immer noch Esprit begingen, den höchsten Feiertag der Hunde, der achte).

Die mit soviel Enthusiasmus gegründeten neuen Vereinigungen zur Verbesserung der Erforschung des energetischen Haushalts befanden sich, da dort viele Bewundererinnen und Anhänger Padmasambhavas auf Leute trafen, die noch immer Ressentiments wegen der (langsam nachlassenden) Beben hegten, schon wieder in Auflösung. Verdiente Geo- und Ökologen sprangen ab, Phantasten mit geschraubten Ideen von» militärischer Wetterforschung «kamen dazu und polarisierten die Übriggebliebenen erneut.



Aber nicht nur die Zerfallsprozesse und Verteilungskämpfe widerten Lodas Osier an. Fast noch verheerender fand er, daß im zunehmenden Chaos Ansätze einer neuen, anderen Ordnung erkennbar wurden, ein böses Erwachen, Vorschein von etwas, das sich am Ende zu (er mußte Wort und Vorgang lange suchen, bis er sie in Chroniken entdeckte) Parteien- und gar Staatenbildung auswachsen mochte: Die vier äquatornächsten Burgen schlossen sich zu einer neuen politischen Einheit zusammen, der ersten marsianischen Republik, deren leitende Körperschaft ein Dreierrat sein sollte, welchem ein Individuum namens Drower Bogdanov vorsaß, ehemals Robotwart bei einem jüngst in zwei virtuelle Partiale zerfallenen und dauerhaft ins spintronische Netz absorbierten Aristoigranden (solche exzentrischen Formen der Selbstentleibung kamen alle fünfzig Jahre gehäuft vor, schienen sich allerdings in letzter Zeit übers Gewohnte hinaus zu vermehren).

Schon redete der Kerl davon, daß Padmasambhava recht gehabt habe, daß man das gesellschaftliche Leben in den Burgen umwälzen, jedenfalls verjüngen müsse, auf zu erwartende Konflikte mit Katahomenleandraleals Erde ausrichten, und wenn sich sonst niemand bereit fände, weil die andern Burgen beschlossen hätten, die Zeitenwende» bei albernen Spielen zu verbummeln«, dann wollten er und seine Leute jedenfalls…

In den südlichen Burgen wurde ein Hintergrundrascheln leiser Paranoia vernehmbar, das von usurpatorischen Gelüsten des Herrn Bogdanov zu wissen glaubte, ihn einen» gefährlichen Emporkömmling «nannte und bereits die Tradition des Weltunterwerfungswahns wiederauferstehen sah, die auf der Erde, so Eon Nagegerg Bourke-Weiß, ein Anführer der Bogdanovgegner,»zu unterschiedlichen Zeiten von Ungeheuern wie Alexander, Cäsar, Rhodes, Hitler und Cyrus Golden «verkörpert worden sei.

Bis auf den Löwen hielt man die meisten dieser Schreckgespenster für größtenteils mythische Gestalten; bald befaßte sich vornehmlich die Unterhaltungssphäre mit ihnen, wie vormals mit Odysseus, Herakles, Jason und Ödipus.



Padmasambhava kam in den Netzen dagegen kaum mehr vor, sie schien Helfer zu haben, die ihr Bild löschten und sie abschirmten. Nur daß sie jetzt männlich war, beschäftigte die unseriöseren der Klatschforen ein Weilchen. Lodas Osier nahm das ohne Amüsement wahr. Er sah darin, obwohl Geschlechtswechsel im Burgenleben nicht wesentlich seltener waren als die einseitige Festlegung etwa auf Hetero- oder Homosexualität, einen verspäteten persönlichen Affront, zumal der neue Mann sich nicht Männern, sondern angeblich einer Frau zugewandt hatte.

«Also muß ich deine Zukunft verhindern, bevor sie anfangen, dir mehr zu glauben, als du es verdienst«, wiederholte Lodas Osier vor dem Splitterbild der Echse, die er geliebt hatte, seinen verrückten neuen Eid.

Dann fuhr er fort:»Du gehst abgewandt von uns durch unsere Burgen, verhüllst dich, als littest du, aber du leidest nicht. Du bist Gift, und ich muß dich aus der Wunde saugen, die du uns zugefügt hast.«

Lodas Osier hatte nämlich beschlossen, daß seine Schuld war, was geschah.

Er wollte Buße tun, und das erforderte, daß er Padmasambhava und sich selbst beseitigte. Also begann er, eine Höllenmaschine zu bauen.



Später, als die gezündet worden war und die marsianischen Kommunikationskanäle monatelang von nichts anderem so sehr summten und glühten wie von den Auseinandersetzungen darum, wie er sie gebastelt und woher er die Rohmaterialien beschafft haben mochte, fand Sankt Oswald für die ästhetische Bewertung der Angelegenheit durchaus treffende Worte:»Das war, was die Alten eine herausragende Performance genannt haben würden. Kinder, eine Parton-Bombe, darauf muß man erst mal kommen — virtuelle Teilchen, Fluktuationen aus Quarks, Antiquarks und Gluonen, und dann in einer Art Judo… ganz abgesehen vom optomechanischen Auslöser: ein Kopf, der sozusagen… hochgeht, wenn er Padmasambhava die Straße runterstrolchen sieht, was für ein Gleichnis auf die Macht der Eifersucht. Was da explodiert ist, war die pure Ranküne — und es steckte nicht sehr viel weniger Verstand drin als in der Befreiung. Muß man sich mal vorstellen — dieselbe Menge Denkschmalz, der eine schafft ein neues biologisches und moralisches Universum, der andere will bloß seiner Ex eine reinhauen. Was Intelligenz doch für putzige Formen annehmen kann. Ich komme aus dem Staunen nicht heraus.«

«Dann bleib halt drin, du Seppel«, maulte Cola.

6. Du hast mich gerettet

Cordula Späth hatte jetzt mehr Zeit für ihren Schützling.

Padmasambhava kam bald der Verdacht, daß diese neue Zuwendung auf etwas wie einen Abschied hinauswollte.

Den Morgen des Tages, als es krachte, verbrachten sie gemeinsam.

Sie hatten schon die Nacht über beieinandergelegen, mal träge vögelnd, dann in matt glücklichen Umarmungen, gehalten beiderseits von sehr viel Liebe. Am Morgen gingen sie ins große Bad der Burg II, wo neuerdings auch Wohnen möglich war. Die das taten, nannten sich Meerjungfrauen oder Poseiniden und waren fischverwandt aus Überzeugung.

Cordula und Padmasambhava schwammen mit ihnen, bis sie alle Lieder kannten, die es dort gab.

Dann gingen sie, nicht abgetrocknet, raus an die Sonne, auf eine große blaue Wiese.

Padmasambhava erkannte den Verrückten gleich, als er sich, aus einem Gebüsch tretend wie ein alberner Räuber, ihnen näherte, die rasierten Arme ausgebreitet, um wen eigentlich zu umfangen, fragte sich Padmasambhava, mich, sie, alle beide?



Krankhafterweise sandte er ihr, an die Adresse ihres Buches des Lebens, von dem er wußte, daß es, wie die meisten sonstigen Schlaufen ihrer Spintronik, anders als ihr Biokörper die Druckwelle wahrscheinlich überstehen würde, in der letzten Viertelsekunde vor der Zündung einen gigantischen Schwall von Schnappschüssen, Vorwürfen, Szenen vom gemeinsamen Ausgehen auf den großen Parties, Streitigkeiten am Rande einer Ausstellung, Hickhack wegen der letztlich ausgebliebenen Instituierung eines gemeinsamen Arbeits- und Rechtsstundenkontos, als wolle er sich vor genau denselben Bewunderern und Anbeterinnen Padmasambhavas, denen gegenüber seine Tat ein Fanal sein sollte, im Ton des verschmähten Liebhabers rechtfertigen.



Padmasambhava hatte keine Zeit, den Qualster auch nur querzulesen.

Schneller als der Lichtblitz und das Zerreißen zahlreicher kosmischer Mikro- und Makrovorhänge, das die Zündung bewirkte, sie erreichten, fühlte sie Colas Hand an ihrem Arm und dann eine Entrückung, als zöge sie jemand seitlich aus dem Text. Erfahrung hatte draußen Gitterform, mit einer tiefen Senke, in der jetzt der Verbitterte verschwand, sprühende Splitter seines Hasses hinter sich herziehend, abtauchend in den Trichter, wie ein Komet seinem Schweif aus brennendem Dreck aufsitzt.

Cordula und Padmasambhava dagegen standen auf einer beträchtlichen Erhöhung, und die Stimme der geliebten Lehrerin erklärte ruhig:»Weißt du, wir haben das nicht nötig, uns von dieser lokalen Raumzeitscheiße ärgern zu lassen. Wir ummanteln uns oder packen uns aus, wie wir's mögen — wie ich dir's beigebracht habe. Wir tanzen oder stehen still, um alles andere an uns vorbeitanzen zu lassen. Alles, was mit ihm Zeit und Raum teilt, hätte er verbrennen können, aber nicht uns, die wir unterm Schutz der Künste stehen. Eine bessere Abschlußlektion hätte ich mir für dich gar nicht wünschen können.«

Padmasambhava verneigte sich und sagte:»Aber ich hab es nicht gemacht. Du hast es gemacht. Du hast mich gerettet. Du hast die Kausalkette zwischen seiner Tat und meinem Tod zerschnitten.«

«Nicht zerschnitten. Geknickt, und den unendlichen Teil davon als Rutschbahn zurechtgebogen, auf dem die Wirkung aus deiner Gegenwart dauerhaft verschwindet, schwups. In die Kruste hat er sich trotzdem gebohrt, und die Wiese ist Asche, das Bad ist verdampft. Die meisten Meerjungfrauen und Poseidoniden sind tot. Es wird eine Riesenuntersuchung geben, hab in der Zukunft grad schon nachgeguckt. Der Zores bringt unsere Abende ein Weilchen durcheinander, aber Folgen hat's sonst so gut wie keine. Außer, wie gesagt, daß du jetzt graduiert bist.«

«Noch mal: Ich hab es nicht gemacht.«

«Nein. Das stimmt. Aber wenn du es nicht ebensogut machen könntest wie ich, könntest du das hier alles«, eine großzügige Handbewegung, die das Gitter meinte und den Trichter und die beträchtliche Erhöhung,»gar nicht wahrnehmen.«

7. Lange her

«Wenn man erst einmal so alt geworden ist wie ich«, sagte Sankt Oswald bei Padmasambhavas letztem Besuch im traumtopologischen Turm,»erkennt man, wer wirklich wichtig war, schlicht daran, wie sehr man die jeweiligen Leute vermißt. Ich meine, es sind keine mehr im alten Sinne gestorben seit dem Exodus — da gab's ein Massensterben, das stimmt, und ich habe einen Teil davon sogar gesehen. Heute lösen sich die Leute nur noch freiwillig auf, oder vereinigen sich, so wie jetzt die Burgen. Was sollen sie auch sonst machen? Sterben mag niemand gern, verlöschen, aber allen wird irgendwann klar, manchen nach Jahrzehnten, anderen nach Jahrhunderten, daß echte Unsterblichkeit einfach nicht zu haben ist — die Entropie, der Lauf der Dinge, die Beschaffenheit des Universums sind dagegen. Irgendwann hört alles auf, da nimmt man doch besser eines Tages die Gelegenheit wahr, dieses Aufhören in eine… einigermaßen konstruktive Verwandlung zu überführen. Hmpf, nun, sie sind weg, oder nicht mehr dieselben, weil das so sein muß. Aber man vermißt dann eben die oder den, die man gekannt hat, wenn man länger währt als sie.«

Er saß auf einem Sessel aus engmaschig aufgezogenen Zufriedenheiten.

«Ich kann dir nur schwer erzählen, was wir waren und wie wir so wurden. Aber es fällt mir immer noch leichter, als es dir gefallen wäre, mir damals zu erzählen, wer du heute bist, wenn du etwa durch ein Loch in der Geschichte in meine ferne Vergangenheit schlüpfen könntest. Denk dir doch, wie das ist, von etwas zu sprechen, das für dich Gegenwart ist und für den, der dir zuhört, unvorstellbar ferne Zukunft — es käme ihm, weil die dritte, vierte, fünfte Natur um dich, diese Räume, die deinen Alltag prägen, so viel Wissen sinnlich verkörpern, wahrscheinlich vor, als wärst du Wissenschaftlerin, als wäre deine ganze Welt und Zeit von Wissenschaft überwuchert wie ein altes Gemäuer von Efeu. Die technischen Ausdrücke, die du gebrauchen würdest, um auch nur deine selbstverständlichsten Verrichtungen zu beschreiben — es ist eben nicht so, wie die Kulturschnallen glauben, die ganz blasierten unter unsern Aristoi, daß man alles in alles übersetzen kann, was Sprache ist. Manche Worte sind nicht nur Elemente des Sprechens, sondern selber Gegenstände von Sprachhandlungen, und die Perspektiven, ach — man würde sich, wenn du deine Welt und Zeit darlegen müßtest, in dieser hypothetischen Vergangenheit als Zuhörer, als dumme junge Holzpuppe, die ich gewesen bin, andauernd fragen: Spricht sie von sich oder von andern, aus deren Innensicht oder von oben, ist das auktoriales Erzählen, ist das innerer Monolog, ist das allwissende Billardkugel — einfach, weil du ständig Dinge ganz selbstverständlich aussprechen könntest, die in Erfahrung zu bringen damals unmöglich gewesen wäre. Die denkenden Geschöpfe, das ist der einzige Fortschritt, den ich erkennen kann und der mir manchmal fast etwas wie Hoffnung plausibel macht, verstehen nicht nur die Natur und alle auf ihr aufsitzenden, von denkenden Geschöpfen gemachten Konstrukte immer besser, sondern vor allem einander. Von den Schmutzwörtern und den Heilandswörtern, von der Scheiße und der Transzendenz, von der Vollständigkeit der Sprachen, welche sie haben und einander geben können, einander göttlich wie nur Liebende, wie nur Romeo und… Die Langeweile hatte den ärmsten Begriff davon. Ein bißchen hilflos nannten sie es: Empathie. Ihre Literatur hat das nur langsam verwirklichen können. Im Epos kam's fast gar nicht vor, im psychologischen Roman schon eher. Heute…«

Er spielte mit den Fingern Klavier in der Luft, ein geistesabwesendes Klimpern, das die Gedanken über das Gefälle zwischen einst und jetzt, die ihn schon melancholisch stimmten, zerstreuen sollte.



Immer mehr Zeit verbrachte er jetzt im Sitzen, denn er wollte seine Beine nicht belasten, nun, da die Sezession der Nordburgen ihn fürs erste vom Holznachschub abgeschnitten hatte. Es würde zwar Jahrhunderte dauern, bis die Materialersetzung nötig werden mochte, aber Cordula Späth würde dann, wie sie ihm ehrlicherweise eingestanden hatte, nicht mehr hier sein, und ob aus den Burgen eventuell Staaten werden konnten, die einander nicht mehr über den Weg trauten, dazu hatte die alte Puppe ihre eigenen, nicht sonderlich optimistischen Ansichten. Die staubtrockene Hand des Uralten fuhr Padmasambhava durchs neue Haupthaar.

Der Schüler von Frau Späth, der seine Schülerin gewesen war, hatte sich einige menschliche Affektationen zugelegt, um Cordula ein bißchen ähnlicher zu sein, die das weder begrüßte noch entmutigte, dazu gehörte auch die Frisur.

«Wirklich wichtig… Und wer war das, in deinem langen Leben?«

Er lachte:»Ah, wenn ich davon anfinge! Ich habe sie fast alle gekannt, weißt du das? Die wichtigsten! Ich war mit Dmitri Stepanowitsch essen, dem alten Köter, der immer so aufs Asketische aus war — die Recherche zum Mord am Zander, die hat ihn ins Museum geführt, und um sich bei uns zu bedanken, beim Stab, wie man damals sagte, gab's ein Bankett. Er hatte so eine ganz zauberhafte Art, wenn man nicht hingesehen hat oder wenn er sich unbeobachtet glaubte, schelmisch zu gucken, fast als eine Art Gesichtsmuskelübung, als Ausgleichssport für die sonstige Seriosität, die er sich hat erarbeiten müssen, im Dienst des Königs. Dein Vater, ja.«

«Und meine Mutter?«

«Ah, in deren Kreisen, weißt du… da kam man nicht leicht ran, auch zum Schluß nicht, als immer mehr von den einstigen Loyalisten, ich auch, zu ihrer Partei übergelaufen sind, um die eigene Haut zu retten, was ja nur in den wenigsten Fällen tatsächlich physisch… sei's drum. Nein, ich hatte natürlich meinen kleinen Weiberpool, und Frauen waren bei Lasara gern gesehen, nicht wahr, darunter sogar welche vom Tempel in Kapseits, hättest du's geglaubt? Abychail hieß sie, Vogelköpfchen, wir haben stromstarke Stunden verbracht auf meinen großen Kissen, im Junggeselleneckchen, sie war… zeitweise persönliche Referentin der großen Elektrizitas, die damals die, he he, Gralssuche nach dem Wetzelchen offiziell ausgelöst hat mit ihrer Deklaration auf der Treppe.«

«Das Wetzelchen…«, früher hätte Padmasambhava an dieser Stelle das Buch befragt, aber jetzt wußte sie's einfach:»Das war diese… dieses Erlösungszeug, das hier in den Burgen noch mal…«

«Ja, es ist vor zwei-, dreihundert Jahren sang- und klanglos eingeschlafen«, sagte Sankt Oswald, mit hörbarem Bedauern in der Stimme,»weil man nicht übereinkam, ob das denn nun eigentlich eine Art Hirnausschlag gewesen ist — ein Fieber, das die zum Untergang bestimmten Gente befallen hat, eine Aberration — oder ein nützliches Instrument, vielleicht von Lasara geschmiedet und gebraucht, um die Gente zunächst mal wieder an transzendente, metaphysische, extrem langfristige Ziele und Projekte heranzuführen, erst einmal praktisch inhaltsfrei, nur als Einübung des Gedankens: Es muß etwas geben, das größer und wichtiger ist als wir selbst… und sobald diese Eingewöhnung dann erfolgt war, konnte man die Idee vom Exodus… oder eine Mischform von beiden, ein irrationaler Vorschein eines rationalen Plans, die Grenzen der Gentegesellschaft zu überschreiten — na, und daran hängten sich dann die ganzen Haarspaltereien auf, ob…«

«…ob das Wetzelchen, wenn man es in diesem Sinne als Symbol der Überschreitung versteht, denn nun eigentlich gefunden worden ist oder ob man es erneut suchen sollte.«

Padmasambhava machte ein leicht säuerliches Gesicht dazu, weil er wußte, daß auch unter den Akolyten der Padmasambhava-Verehrung einige behaupteten, die Rede unterm Liviendabaum sei nichts anderes gewesen als eben» die Erinnerung daran, daß wir das Wetzelchen noch nicht gefunden haben«, so jedenfalls der Wortführer dieser zwielichtigen Bewegung-in-der-Bewegung, ein Spinnen-Nashornkuh-Hybride mit dem reichlich geschmacklosen Namen» Little Kennedy Cyrus Georgescu Atlas Dmitri Summers«.



Sankt Oswald betrachtete, versunken ins Bedauern, die Kopie der Kopie der Kopie der Kopie eines Bildes, das der Affe Stanz gemalt hatte. Padmasambhava wollte ihn schon danach fragen, da sagte die Puppe:»Du hättest sie sehen sollen… auf den Außenmauern von Kapseits… wie sie zusammengearbeitet haben, wie sie Ketten bildeten, als die Banner flatterten, mit dem Löwenzeichen drauf — die meisten hatten schon ihr Ticket eingelöst, für den Exodus, als Kopien, Setzlinge, Partiale. Glorreich, ich weiß kein anderes Wort. Die Fahnen, die Schwüre, die Arbeit an der Tapferkeit, der Ruhm im Untergehen, die Würde unterm Fallbeil tödlicher Bedrohung. Sie wußten: Ich werde hier sterben, nur ein kleiner Teil der Gente wird körperlich auf den Mond geschossen. Sie wußten, sie würden nicht überleben, aber sie waren versöhnt damit, ihre Seelen befanden sich auf halbem Weg in den Himmel — und da haben sie dann dem Feind die Stirn geboten, die großen Pandas mit Flammenwerfern, die wilden Yaks mit ihren Hörnern, die als erste einen Ausfall riskierten und mit ihrer riesigen Stampede sogar Schneisen in den Keramikanerkeil schlugen. Die Tiger, die schönen Gazellen, die Elefanten… ich war noch während der Kämpfe dabei, vor dem Start der dritten Rakete. Ich habe die Explosionen gesehen, hab die Erde zittern gespürt, man hat mich erst in letzter Minute rausgeholt. Ich habe sogar mitgekämpft, glaubt man das? Ich half Geschütze laden. Es dauerte Wochen, fast zwei Monate, selbst als sie schon in der Stadt waren — jede Straßenecke, jeder Zugang zu jedem Gebäude, nichts haben wir… nichts haben die Gente freiwillig hergegeben. Es klingt kindisch, aber… weißt du, so viel Zeit hatte ich mit Geschichte verbracht, mit den alten Büchern und Datenträgern, und erst damals, erst als Kapseits fiel, habe ich begriffen: Die Seite, die verliert, muß deshalb nicht die falsche Seite gewesen sein. Die Keramikaner waren stärker, aber das gibt ihnen nicht recht. Wir… wir Gente«, er hatte sich also doch noch durchringen können, das, was er immer empfunden hatte, zu bekennen,»wir Gente waren… schöner. Wir waren schön: Wir haben gut gekämpft, mutig, wir haben uns nicht einfach hingelegt, sind nicht bloß gestorben oder gefressen worden. Wir wußten, wie man sich wehrt — auch nach dem Tod des Königs, denn was an ihm je königlich gewesen war, hatte ihm nie allein gehört. Die Etruskerspitzmaus mit dem kleinen Nadelgewehr, das Geschosse durch die Luft flitzen ließ, die beim Aufprall hell wie ein Stern explodierten, der Wieselmaki, der stundenlang im schwersten Kriegslärm Batterien um Batterien von Boden-Boden-Geschützen bedienen konnte, ohne zu ertauben, ohne zu erlahmen, ein so geschwindes Hinundhereilen, ein Greifen, Laden, Schießen, die Brillenbären mit den klassizistisch-hellenischen Helmen, den Magnetlanzen, die sich aus verschütteten Kellern noch am siebten Tag der bereits vollständigen Stadtbesetzung erhoben und die Keramikaner aus mehreren Oststadtbezirken wieder vertrieben, die Schneeleoparden, die Uhus mit den Funkpeilnetzwerken, die Waldsalamander und Rotaugenfrösche, die Panzergürtelschweife, Felshüpfer, Krabbentaucher, Fischotter, Elefanten, Kolibris und… Das waren wir alle, wir Gente.«

Sie schwiegen eine Weile.

Dann sagte die Puppe:»Du hast mehr davon als die andern hier, das ist für mein altes Herz eine Wohltat. Sie schickt dich morgen los?«

Padmasambhava brauchte nicht zu antworten.

«Du wirst sie vermissen, ich habe sie schon oft vermißt, das ist die Art, wie man sie liebt.«

«Warum ist sie so anders als wir andern alle?«wollte Padmasambhava wissen, selbst erstaunt über die Frage.»Anders als Menschen, Aristoi, Echsen, Gente… wer, was ist sie?«

Sankt Oswald schüttelte sachte den Kopf:»Cordula Späth… sie ist, glaube ich, die einzige, die nicht an Gott glauben muß, weil sie ihn kennt. Für sie ist Gott nicht was, das man annimmt oder ablehnt, zu dem man sich als Atheistin oder Gläubige verhält — sie kennt alle Fallen. Sie ist die Frechste und die Frömmste.«

«Gott?«fragte Padmasambhava.

«Man redet selten drüber, seit den Gente. Wir sind vorsichtiger geworden, als die Menschen waren — man kommt so leicht ins Delirieren und erlaubt sich Übergriffe, die schwer geahndet werden.«

«Geahndet von…«

«Mach das Feuerchen heißer. Schür es ein bißchen. Ich glaube, ich kriege Rheuma, wenn ich nicht aufpasse. Tausend Jahre, zig Krankheiten überstanden, aber wird man weniger anfällig? Man wird nicht weniger anfällig. Man wird nur immer undankbarer. Ich hab versucht, den Freunden Freund zu sein, die wußten, wie man Freund ist.«

Er beugte sich vor, küßte den alten Freund auf die Stirn.

Sie sahen einander an, im Wissen, daß es wirklich ein Abschied war.

8. Aufbruch

Keine Kaffeetasse diesmal, sondern ein Reagenzglas.»Der Witz ist fad, Ryu«, maulte Cordula,»du könntest wirklich mal aufhören mit diesen Anspielungen auf Jekyll und Hyde.«

Blaß blattgrün schimmerte der Fuchs und schwieg.

«Was soll ich…«, zögerte Padmasambhava, aber die Komponistin nickte nur:»Du mußt ihn trinken, doch. Für den finalen boost. Die Information, mehr noch die irre Energie… daher die Hitze immer, weißt du: Er konzentriert Ungeheures auf engstem Raum, sein Volumen gibt nur eine… verniedlichte Vorstellung davon, was er ist. Der letzte Schub, Padma. Bevor du den größten Sprung tun kannst, alleine, ohne mich.«

«Wohin?«

«Na deine Schwester abholen, auf der Venus, was sonst?«

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