XVIII. PARADISO

1. Rosen im Wald

Die beiden kamen zu sich im dornig Ausgeheckten.

Da waren Stacheln und Ranken, beides tat weh.

Sie hatten erwartet, auf einem freien Platz wie dem, den sie verlassen hatten, die Erde zu betreten. Von Freiheit keine Spur, nicht einmal richtiges Licht, nur Splitter davon. Ein betäubend intensiver Geruch von Rosen drang auf Feuer ein, nicht allein in die Nase, auch als Geschmack im Mund; sie atmete hastig und sackte zappelnd ab in Blüten, Zentifolien, wo Sanftes ihre Wangen und Hüften berührte; sie wand sich und stieß gegen Knäuel wie aus Stacheldraht, zog sich Verletzungen zu, fluchte:»Scheißdreck, was, wo ist denn was hier?«

Padmasambhava antwortete nicht, weil er keine Antwort wußte: Wo war denn was hier? Alles allseits.

Er versuchte, die eigene Beengung zu überwinden, indem er sich die Haken und Stacheln wegdachte, die an seiner Haut herumrissen, wann immer er sich drehte, rührte. Er faßte kratzend, scharrend nach unten, wo Mauerwerk war, bemoost, ganz grob und dunkelgrün. Aber er konnte das Dickicht nicht fortwünschen; es war dem Befehl nicht gehorsam, weil es über den Zugriff seines Kopfes auf die Techniken, die der von Cordula Späth erfahren hatte, irgendwie hinausreichte, um eine Ecke im Raum oder zwei, in eine höhere Region.



Richtig, die Ursprungswelt, die zu zahlreichen Dimensionen: Diesen Garten, diesen Rosenhag hatten wohl Keramikaner angelegt, auf Geheiß ihrer kalten Göttin.

Padmasambhava hörte, wie sich Feuer in den Schlingen und Dornenreißverschlüssen verstrickte, wie sie kämpfte, spuckte, leise aufschrie. Er nahm sich, den ersten Schrecken bezwingend, fest vor, den Kopf nicht zu verlieren: Gut, ich kann das hier nicht zerstäuben wie die falschen Affen auf dem Mars, aber den Gesetzen der Physik und Chemie muß es gehorchen wie alles andere, das in die Erfahrung hineinreicht. Also werd ich's verbrennen können.»Feuer? Schwester? Wieviel Hitze verträgst du?«rief er hinüber. Die immer noch Kämpfende lachte grimmig: Selbstredend, sollte das heißen, sehr viel.

Wir wissen solche Sachen sowieso voneinander, dachte Padmasambhava, überrascht und erfreut, und warum? Weil wir nicht nur je wir selbst sind, sondern irgendwie auch noch die und der andere.

Wir sind einander; falls dieser Satz so geht — er spürte, wie die alten Flügel zuckten, sich auseinanderfalten wollten, und wie die Krallen endlich Halt fanden an der Mauer unter ihm. Er wurde wärmer, aus Willensanstrengung. Bald glühte er, und dann glühten auch Gestrüpp und Spitzen, bis sie in Flammen standen. Das breitete sich aus, verzehrte die Hecke, ein kleiner Feuersturm, kontrolliert, in raschem Umsichgreifen, ein Zerplatzen in Asche, in vernichtendem Atem.

Die Kinder von Luchs und Wolf fielen aus weichem Staub in einen Kessel, an dessen Boden sich im Laufe weniger Minuten schwarz absetzte, was Padmasambhava wie Zunder hatte vergehen lassen.

Der Kessel war mit anderen Senken und Hebungen verbunden, auch Treppen, und an den Rändern war das alles gesäumt von teils eingerissenen, teils umgestürzten, teils schiefen, teils aber auch noch aufrecht stehengebliebenen Mauern: ein Isottatempel.

Padmasambhava atmete ein, kühlte ab, schuf einen Sog um sich, daß das Flackern und Tosen der Hitze erstarb auf den Terrassen und Erhebungen.

«Schau mal: Wie schön!«sagte Feuer und deutete im Aufstehen auf die Kathedralenbögen südlich und nördlich von ihnen, die der Brand nicht erreicht hatte, weil er von Padmasambhava vorher zurückgerufen worden war. Um die Säulen, auf den Mauervorsprüngen, an jeder Wand, die noch stand, blühten noch mehr Rosen im gelbroten Abendlicht: karmesinrote Blüten, die nach Pfeffer und Orange rochen, trotz dem Brandecho in der Luft deutlich wahrnehmbar; dicht gefüllte, rüschige Kelche von gedämpftem Pink, erdig, veilchensüß, meerig, moschusdunkel, andere in Cremerosa und Koralle und silbrigem Kirschrot, Hunderte, Tausende, süße und würzige.



Padmasambhava hob die Hand. Dann machte er etwas sehr Niedliches mit der Nase: Schnupper genauer!

Feuer nickte, freute sich, er sah, daß sie jetzt rote Backen hatte: Der Geruch der Blumen, die den Tempel schützten und aus dem Urwald rings heraushoben, trug Pherinfone.

Sie waren alt wie große Bäume; Fragmente von vergangener Archivzeit, im Zerfetzten, jetzt, da sie gerochen wurden, endlich entsühnt, herübergeweht vom Wetterspiel zwischen Abendkühle und wirbelndem Restwabern des gelöschten Flammenballs.»Garten des Yima auf dem Berg Hukairiya «sagte Feuer, indem sie eine der Botschaften aussprach,»Euphrat«, antwortete Padmasambhava.»Denn siehe«, sagten die Blumen,»ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, daß man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird. «Gewebe, ineinander statt durcheinander:»Ich hab ein wonniges Gefild im Traum gesehn«,»Es sollen keine Kinder mehr da sein, die nur einige Tage leben, oder Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen, sondern als Knabe gilt, wer hundert Jahre alt stirbt, und wer die hundert Jahre nicht erreicht, gilt als verflucht«,»I have tried to write Paradise / Do not move / Let the wind speak / that is paradise. / Let the Gods forgive what I / have made / Let those I love try to forgive / what I have made.«»Sie werden Häuser bauen und bewohnen, sie werden Weinberge bepflanzen und ihre Früchte essen. Sie sollen nicht bauen, was ein anderer bewohne, und nicht pflanzen, was ein anderer esse. Denn die Tage meines Volks werden sein wie die Tage eines Baumes, und ihrer Hände Werk werden meine Auserwählten genießen. Sie sollen nicht umsonst arbeiten und keine Kinder für einen frühen Tod zeugen, denn sie sind das Geschlecht der Gesegneten des HERRN, und ihre Nachkommen sind bei ihnen.«»Der Kommunismus ist das aufgelöste Rätsel der Geschichte.«»Wir haben auch Maschinen, die nur durch Bewegung Wärme erzeugen. Außerdem fangen wir an gewissen Stellen die starke Sonnenstrahlung auf. Andererseits verfügen wir über Örtlichkeiten unter der Erde, in denen auf natürlichem oder künstlichem Wege Wärme entsteht. Je nach Natur der Arbeitsaufgabe, die wir uns stellen, wählen wir von diesen verschiedenen Wärmequellen die passendste aus.«»Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott, wird mit ihnen sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein, denn das Erste ist vergangen.«



Wie alt mochten diese Botschaften sein? Wie war es ihnen, da sie doch sicher nicht von Katahomenleandraleal oder den Keramikanern stammten, gelungen, dem zu widerstehen, was über die Welt der Gente gekommen war?



Die beiden Himmelskinder erkannten, daß sie jünger waren als zum Zeitpunkt ihres Aufbruchs, der doch in ihrer Erinnerung kaum ein paar Minuten zurücklag. Sie waren darüber glücklich genug, daß sie aufeinander zugingen und einander in die Arme nahmen. Schnell sank die Sonne, und in den sensiblen Nasen kam eine weitere alte Botschaft an:»Solch Sonnenstand gab diesseits beinah Abend / und jenseits Tag — hier dunkles Schwarz, dort brannte / Der Himmel, noch im Silberglanz sich labend«.

Flügel, Fittiche, Schwingen auf Balkonen, in den Gärten und auf den Terrassen der Semiramis, dachte Feuer und küßte den Bruder. Der sah nur Blüten, Blätter, Rosen und Schlingen. Sie sanken miteinander in die Asche, als es dunkler wurde, und liebten sich, bissen sich, spielten lang. Was sie sich nahmen und verschenkten, war eine zur Lust geläuterte Sehnsucht aus beiden Kindheiten. Aber es kam ihnen vor, als würde auch eine wichtige Arbeit geleistet dabei, ein Werk getan, etwas vervollständigt, umgebaut, zusammengesetzt, um endlich richtig zu funktionieren. Sie liebten sich, bis sie anständig verschmiert waren, verschwitzt und viel ruhiger. Es war jetzt Nacht geworden. Aber der Wald, dessen Schattenrißlandschaft hinter den titanischen Mauerbruchstücken ins Dunkel ragte, gab kein Geräusch von sich, das auf Wesen gedeutet hätte, die etwa im Finstern lebhaft wurden.



«Wir warten, bis es Morgen ist, um uns hier umzusehen«, sagte Padmasambhava, und Feuer schmiegte sich an ihn, es war da warm.

«Schau«, sagte die Schwester,»da oben, der… Nordamerikanebel, breiter als der Mond«— die Gasmasse im fernen Leerraum, nah bei Alpha Cygni im Sternbild Schwan, glich tatsächlich dem Umriß eines Kontinents, von dem die beiden nicht genau wußten, ob er noch auf irgendeiner Landkarte Platz hatte oder längst in Gedächtnisgrüften verschwunden war; beide hatten sie seine Umrisse als Teil ihrer Studien über die alte Welt kennengelernt.

Noch anderes im Weltall sahen sie mit ihren scharfen Augen, zählten ein paar Sterne, ordneten sie einander zu, wußten Namen und Geschichten, schnäbelten und kamen ins Erzählen, von der je eigenen Herkunft: der Berg mit den Scheinwerferaugen, der Vasch, die Freunde mit Fell, das experimentum, die Burgen, die Politik. Hunger litten sie keinen, Angst auch nicht.

Schließlich waren sie müde genug und schliefen ein, im grauen Blätterpulver.

«Geschenk! Geschenk!«rief etwas, das ein Vogel hätte sein können.

Das Licht um den Lärm war schon blaugrau, wie eisern, der Tag wollte anfangen. Padmasambhava mußte keine Lider öffnen, weil er keine hatte, aber das Hirn rief, vom Hörsinn geweckt, die Bilder jetzt zu sich und sah: Feuer, aufrecht stehend, mit Fäusten, die sie in den Himmel reckte, warum? Dort, am längsten alten Träger des zerstörten Tempels, hockte was Helles, das die Schwester offenbar als Bedrohung auffaßte.

Ein Vogel, tatsächlich — aber der hatte nicht gerufen, der sah nur auf sie beide hinunter in freischwebender Aufmerksamkeit, und etwas an ihm war nicht richtig. Rings um den Tempel, den letzten Ort, wo auf der alten Welt noch Rosen wuchsen, riefen Geschöpfe jetzt» rackackack«,»Eli, Eli «und» Geschenk, Geschenk!«, dann gab's viel Fauchen, Röhren. Ein Konzert als Weckruf. Padmasambhava trat von hinten an die Schwester, vorsichtig, geschmeidig, und flüsterte:»Wie lang ist der schon da? Der weiße Vogel, oben?«

«Ich weiß es nicht«, sagte die Schwester, den Blick nicht von dem seltsamen Gast wendend, dessen langer Hals zu feucht, zu glatt, zu wenig struppig wirkte, um gefiedert zu sein — jetzt riet Padmasambhava, aus der Erinnerung an die alte Zoologie:»Ein… das ist ein Kranich oder…«

«Eher ein Schwan. Aber die Farbmarken fehlen, am Schnabel, im Auge: Das ganze Tier ist weiß«, und beide wußten, warum das so war — ihr Beobachter, oder ihre Beobachterin, war nicht aus Fleisch, Blut und Daunen, sondern aus knochenfarbenem, Lichtreflexe aussendendem, kühlem, gebranntem Material.

Ein Hybride? Gente als Keramikaner?

Padmasambhava sah sich um, ob noch andere Überraschungen im frühen Licht sich regten. Der körperwarme Herdflecken, den sie sich mit den Bewegungen ihrer Leiber eingerichtet hatten, dampfte mild, und auch an andern Stellen in der verstreuten Topographie der Tempelanlage zog die Dämmerung Dunst aus dem Boden.

Padmasambhava war verunsichert: Er fühlte sich mit der Ruine nicht halb so verbunden wie mit den Gegenstücken dazu auf der Venus und dem Mars, er konnte sie nicht als Kompaß lesen, wußte nicht, wie er hier einen Ausweg wählen sollte — vielleicht wieder hinausspringen, den nächsten Schritt durch die Musik tun, vielleicht an eine andere, ebenso wichtige irdische Stätte –



«Nein, kein Kessel«, sagte der keramikanische Schwan mit singender, weiblicher Stimme,»nur ein Reservoir von Träumen. Euer Ankunftshafen.«

«Wovon redet…«, zischte Feuer und machte einen Buckel und schaute noch angriffslustiger drein als eben schon.

«Sie hat… sie weiß, was ich denke«, erklärte Padmasambhava halblaut und fragte sich gleichzeitig, warum er die Stimme gesenkt hatte, wenn denn der Vogel wirklich in seinen Kopf gucken konnte.

«Wer bist du? Was willst du?«Feuer war wütend, und der Vogel breitete die Flügel aus, nur um sie augenblicklich wieder zusammenzufalten, als habe er kurz sein eigenes Wappen darstellen wollen: eine formelle Begrüßung.

«Ihr könnt mich Comtesse nennen, dove sta memora

War das Spott, in der Stimme, oder sanfte Ermahnung, von der Feindseligkeit abzulassen?

«Die bist du nicht«, erwiderte Padmasambhava kühl und legte einen Arm um die Schulter der zornigen Schwester, damit sie nichts Unbedachtes tat. Der Junge von der Venus wußte ebensoviel und ebensowenig über die älteren und ganz alten Zeiten wie das Mädchen vom Mars, deshalb sagte auch Feuer:»Die kannst du nicht sein: Du bist ein Versuch, uns zu täuschen — ein Imitat, ein Schatten.«

«Plato. Immer noch. Arme Herzen«, sagte das Weiße, und plötzlich sahen die letzten Kinder der Gente es doppelt, in Verschränkung: teils mit geöffneten Flügeln, teils mit geschlossenen, zur selben Zeit in verschiedener Haltung:»Andersherum: Die Comtesse, von der eure Geschichten berichten, war nur ein Schatten — und hat's gewußt, deshalb hat sie geschwiegen und ist verschwunden. Sie bleibt da, sie ist schon immer verschwunden, es ändert sich nichts, ob ihr verfallenes Biolabor überrannt wird oder ob sie tausend Jahre später in einem ebenso verfallenen Isottatempel wiederaufersteht, um euch dabei zu helfen, endlich das Wetzelchen zu finden.«

«Das sollen wir, ja?«maulte Feuer, ließ aber endlich die Fäuste sinken.»Uns ins Verschwinden ergeben, meine ich, wie sie?«

«Schh«, machte Padmasambhava; es würde keinen Kampf geben. Der Vogel war zu klug für solche Sachen.»Wir wissen viel, aber nicht alles«, sagte er der Schwester, als der Schwan den Kopf senkte, dann damit in Richtung Urwald nickte, sich in die Luft erhob und nach Nordosten davonglitt, auf den neuesten Winden, daß sie ihm folgten,»und ich fürchte, wir verstehen noch nicht die Hälfte von dem, was wir wissen.«



Mürrisch und schweigend ging sie mit dem Bruder, die aufsteigende Sonne im Rücken, aus der von großen und kleinen Epochen gesprengten und abgetragenen Anlage in eine bunte, taufeuchte Fülle, die nach eben ausgestandenem Gewitter roch, obwohl in der Nacht alles ruhig gewesen war.

Letzte Geruchsbotschaften nahmen sie noch auf, als sie den Rosenvorhang teilten.

Die Pherinfone träumten:»Und sie sangen ein neues Lied und sprachen: Du bist würdig, zu nehmen das Buch und aufzutun seine Siegel; denn du bist erwürgt und hast mit deinem Blut für Gott erkauft Menschen aus allen Geschlechtern und Sprachen und Völkern und Nationen und hast sie unsrem Gott zu Königen und Priestern gemacht, und sie werden herrschen auf Erden.«»Lieber ein lebendiger Hund als ein toter Löwe.«»Bien que la plupart des sites, surtout paléolithiques, visités par nous au cours de ces deux expéditions, n'aient fourni que des renseignements stratigraphiques insuffisants (soit parce qu'il s'agissait d'ateliers de surface, soit parce que l'analyse des terrasses n'a pas pu être poussée à fond), il nous paraît utile de donner l'essentiel de nos observations, et quelques conclusions provisoires sur le préhistorique d'une région riche en espérances, mais encore difficile d'accès, et par suite trop peu connue.«»Und ich sah, und siehe, das Lamm stand auf dem Berg Zion und mit ihm hundertvierundvierzigtausend, die hatten seinen Namen und den Namen seines Vaters geschrieben an ihrer Stirn.«



Der Mond verblaßte noch stundenlang nicht. Ihn und den Schwan hatten sie abwechselnd zu Zeichen.

Daran heftete sich immer wieder neue Entschlossenheit: Wir müssen weiter.

Wenn die meterhohen Bäume undurchdringlich vor ihnen standen, gab es stets ein Schlupfloch zwischen zwei Stämmen oder unter einem umgestürzten hindurch, da waren Fiamettina und Padmasambhava wie die gelben Schlangen, die ihnen hier und da vorauskrochen, wie die kleinen Nager mit den schwarzen neugierigen Augen, die geduckten pferdeartigen Läufer, die glucksenden Affen, die keckernden und kreischenden Vögel in allen Farben, seltsamsten Kostümen, unbekannten Stimmungen überall um sie her.

«Warum«, keuchte Feuer und wischte sich die schwarze Stirn mit dem Handrücken ab,»haben wir nichts gehört gestern, von diesen vielen Tieren? Wieso war der Wald so still?«

«Vielleicht schlucken die Rosen… alle Geräusche von außen, oder die Anlage selbst ist… hat ein Feld… noch mal: Wir verstehen die Technologie der Keramikaner nicht besser, als die Gente sie verstanden haben, vergiß das nicht.«

«Ist der Schwan das? Ein Keramikaner?«

«Eigentlich nicht, in Genteform sind damals keine von… das waren eher Menschenfrauen. Dem Bauplan nach, mein ich.«

«Eben«, sagte die Schwester, so endgültig wie mehrdeutig.



Ab und zu versuchten die Geschwister, einander neue Pläne zuzublinzeln oder etwas zu denken, was zwar der oder die andere mitdenken konnte, nicht aber der seltsame Vogel, der immer wieder geduldig auf dicksten Ästen sitzen blieb und nach ihnen schaute, wenn sie im Geschling versunken waren und sich, manchmal über Stunden, herauskämpfen mußten, um ihm folgen zu können.

Sie mochten die Raterei darüber nicht aufgeben, was hier eigentlich geschah, denn obwohl sie wußten, daß der Schwan hörte oder anders wußte, was sie dachten, funktionierte das umgekehrt nicht: Sie konnten nie erkennen, wer und was er war, und das machte ihnen angst — keine schrille, aber eine lauernde, fortdauernde.

Zwischen den Regenwaldbäumen behaupteten sich breite Farngewächse und noch mehr fremdartige Flora. Die beiden, die sich in irdischer Botanik eigentlich gut auskannten, wurden überrascht von Rotbuchen, die ungeheuer hochgewachsen waren und Kronen von bis zu 50 Metern Durchmesser hatten, von Erlen, Fichten, Tannen, an einem Hang sogar drei Palmen und etwas, das, wäre es kleiner gewesen, hätte Schilf heißen dürfen.

Als sie über einen hohen Felskamm gingen, der zur Rechten steil abfiel, hörten sie es rasseln und klirren, ein Wiehern im Tal, und hielten inne, spähten hinab. Da waren Menschen — keine Minderlinge, keine Aristoi: echte Menschen, Männer — außerdem Pferde, ein kleiner Treck: silberne Helme, Piken und bunte Kostüme mit Brustpanzern, geschmiedetem Schmuck, gesträubten Bärten.

Sie schraken zusammen, als der Schwan, der lautlos hinter ihnen auf einem Ast gelandet war, ihnen leise, aber bestimmt zuflüsterte:»Erschreckt sie nicht. Sie suchen bloß Gold.«

«Menschen?«Padmasambhava drehte sich nach der falschen Comtesse um.»Die gibt es wieder? Habt ihr sie rausgezüchtet aus dem alten Material, habt ihr sie…?«

«Sie sind weg!«rief Feuer und griff Padmasambhavas Arm. Der Bruder schaute nach unten und sah, wirklich, es stimmte — die Trampelspuren erkannte man noch, die geknickten großen Gräser und Sumpfgewächse, aber die Fährte riß ab, mitten im Dickicht.»Ein Kräuseleffekt«, sagte der Schwan, als ihn beide bedrängten, das Phänomen zu erklären.»Kleinste Wellen in der Zeit. Es ist noch nicht alles fertig, wißt ihr. Immer noch nicht, nach siebentausend Durchläufen — manchmal lecken die Kurven. Die Bänder.«

Padmasambhava fühlte sich an Arcana erinnert, die er von Cordula und Sankt Oswald über Musik gelernt hatte; aber Feuer schüttelte grimmig den Kopf:»Ich hab sie gesehen. Sie waren da. Wo sind sie hin? Das war keine Erklärung, du völlig verkehrter Vogel!«



«Es wird sich alles weisen«, sagte die feminine Stimme, und Feuer fiel auf, daß das Wesen dabei den Schnabel gar nicht bewegte — also hören wir's in unsren Köpfen; es ist kein Schall im Spiel.

«Nein, Geduld hatten wir genug, wir sind dir nachgekraxelt«, wehrte sich Padmasambhava,»jetzt wollen wir, daß alles ein bißchen schneller geht, sonst«, ein Seitenblick auf die Schwester versicherte sich bei ihr, daß er das Recht hatte, für beide zu sprechen, sie nickte,»sonst bewegen wir uns überhaupt nicht mehr vom Fleck.«

Das glatte Geschöpf antwortete, indem es sich verdoppelte — Feuer tat einen Schritt zurück und wäre fast die Klippe hinuntergefallen, wenn Padmasambhava sie nicht festgehalten hätte. Zwei Schwäne näherten sich, schwebend, mit ausgebreiteten Schwingen, den Verblüfften.

Der eine hatte sich nicht so sehr vom andern abgenabelt, als daß sie vielmehr gleichzeitig auseinander hervorgegangen waren — es gab keinen Urschwan, sie waren einer wie der andre Ableger von etwas Drittem (oder Viertem, Fünftem), aus der höhern Welt geschnittene Kopien.



Padmasambhava hörte, wie auch Feuer, in seinem Hirn die Einladung.»Auf meinen… falsch: auf meine zwei Rücken. Dann geht es, wie du forderst: ein bißchen schneller.«

Über den Köpfen von Bäumen und Felskuppen flogen sie bis an den Rand des Waldes, wo eine Steppe begann, auf die eine Sandwüste folgte, flogen durch immer wolkenärmere Himmel, jetzt ohne Mond, aber mit stur strahlender Sonne. Manchmal fingen die Geschwister jetzt wispernde, wie Silberpapier knisternde Gedanken der Geleitschwäne auf, denn die zwei Vögel dachten aneinander, wie die zwei Geschwister selbst das taten. Es waren dies aber Rätsel statt Anweisungen: Holunder ist nah, sagte eine Idee, eine andere fand, die Imagination sei eine Rettung, wieder eine wollte bauen und bauen und bauen. Dann wurden Lieder draus, die sich in die Winde mischten und ihnen davoneilten, schöne Melodien im Wechsel, manchmal in schimmernd traurigen Farben:»Ist meine Julia wohl? Das frag ich wieder. Denn nichts kann übel stehn, geht's ihr nur wohl.«»O Trostesbringer! Wo ist mein Gemahl? Ich weiß recht gut noch, wo ich sollte sein, da bin ich auch. — Wo ist mein Romeo?«Und dann waren die Ideen kleine Wimpelchen, aufgesteckt zum Gedenken an Namen aus der Zeit, in der die Vorleben der Schwäne sich ereignet hatten: Adela Florence Nicolson, Anne Lister, Aphra Behn, Tswetajewa, Liane de Pougy…

Kalkbleich sah man am Horizont schließlich große Quaderfronten sich pyramidenähnlich gestaffelt aufeinandertürmen, und diesmal war es ein Bild statt einer Stimme, was den Geschwistern mitteilte, wer sie dort erwartete: ein Gittergerüst, ein Chassis, Verstrebtes, Verbautes, bis sie in den Gedächtnisstollen fanden, woran sie das erinnerte — es waren Katahomencopiava und Katahomenduende, die alte Zwillingsgottheit, abgemagert zum Skelett.

Ein Grabmal also, dieser Haufen großer weißer Steine.

Konnte das wahr sein?

Hatte der Schrecken, an dem die Gente zugrunde gegangen waren, den Geist aufgegeben?

2. Schädelstätte

Mit der Nähe nahm die Distanz zu — abstrus, aber wahr:»Als ich die Dinger noch nicht erkennen konnte«, sagte Feuer, eben abgestiegen, zu ihrem Bruder,»waren sie weniger einschüchternd, weniger… entrückt. Von ferne, weißt du, aus der Luft.«

Was wie große Klinker ausgesehen hatte, waren in Wirklichkeit Tierköpfe, stilisiert wie einst die menschlichen auf den Osterinseln, schmaler, geometrisch reduziert, jeder zwischen zwanzig und dreißig Metern hoch, zwischen zehn und fünfzehn breit, aus dem Sand in die Höhe gebaut, als wären die Körper in die gelben Dünen eingegraben; eine Stadt ohne Türen und Fenster.

Die Schwäne scheuten sich, tiefer in die Thanatopolis einzudringen, sie blieben am Eingang, zwischen den zwei Dachsenhäuptern. Als Padmasambhava und Feuer, die von Flügelbewegungen der Comtessen angehalten wurden, ins Innere des weitläufigen Monuments zu gehen, sich nach ihren Reittieren umsahen, war's wieder nur noch eines.



Tierhäupter: ein Löwe natürlich, aber buddhagleich vergeistigt, mit schwerer Braue, feinem Mund; ein Wolf, dessen stilisierte Zotteln wie aus Eis geschnitzt aussahen, ein Kaninchen, dessen Nase glänzte, heller als der Rest, war sie beschichtet, und womit? Feuer erwog bereits, an einem dieser Köpfe hochzuklettern, da stand, man wußte nicht, woher und wie, im Durchgang zwischen dem Hasen und dem Panther plötzlich eine Gestalt, die teils an einen weiblichen Menschen, teils an Zagreus, teils an die Gliederpuppe Sankt Oswald und, was die leichte weiße Panzerung anging, auch an die Schwäne erinnerte, die Feuer und Padmasambhava hergebracht hatten. Es nickte knapp, aus Höflichkeit, dann redete es die Geschwister an, wie der Schwan sie angeredet hatte, als körperlose, unmittelbar dem Gehörzentrum des Hirns gegebene Stimme:»Wir heißen euch im Namen des Kustosprogramms willkommen, Nachkommen von Lasara und Dmitri.«

«Ihr habt uns erwartet?«Feuer wollte und konnte das nicht glauben; es widersprach ihrem Sinn für die eigene Mission, den Auftrag der Freunde mit Fell, es ging ihr gegen die Kundschafterehre.

«Natürlich«, bestätigte die Erscheinung,»wir haben für euch ein Einstiegsfenster in die Bänder geöffnet, als wir erkannten, wer ihr seid. Eure Genetik, eure Identitäten — nahe genug an den Mustern vor dem Beschluß zur Versiegelung, daß kein Schaden daraus entstehen kann, also haben wir euch akzeptiert, als Botschafter der späteren Zivilisationen.«

Padmasambhava hätte gern sein Buch des Lebens befragt, aber Feuer war ihm einen Schritt voraus:»Ihr seid — Nachlaßverwalter? Eurer Programm ist… alles, was übrig ist von Katahomenleandraleal.«

«Ja. Diener müssen sterben können; sie dürfen ihre Herren nicht lange überleben, wenn deren Andenken nicht geschmälert werden soll.«

«Es meint die Menschen«, sagte Padmasambhava, aber Fiamettina war abermals weiter:»Und die Erde… die Dimensionen, in denen hier… die Bänder: Das sind Reifen, nicht wahr, Kurven, zeitförmige… ihr habt die Geschichte geschlossen? Wie man eine Truhe versiegelt? Die Wirklichkeit der Erde ist… eine in sich selbst geschlossene zeitförmige Kurve geworden, das höherdimensionale Äquivalent einer Kleinschen Flasche in drei Dimensionen, oder eines Möbiusbandes in zweien?«

«Das Konstrukt, das Mahnmal, wird zusammengehalten von der Arbeit der Keramikaner. Sie sind diffundiert…«

«…in alle Phasen der Entwicklung hin zum Singularitätspunkt. In die Gentezeit, in die Langeweile… und wir, zwei Partiale der Gente, sind für euch deshalb Gäste von draußen. Die euer Museum besuchen.«

Daher die Menschen im Dschungel, dachte Padmasambhava: Das waren Conquistadoren gewesen, an anderem Ort, zu anderer Zeit, durch eine geplatzte Naht im Konstrukt der Keramikaner für ein paar Augenblicke in die Gegenwart gerutscht. Weil noch nicht alles dicht war, wie der Schwan angedeutet hatte, weil die Arbeit am Grabmal noch weiterging. Und diese Welt hier war der Schlußstein, die Erde im Zustand der Stasis, das Ende der Zeiten.



Die Wahrheit: keine Aufrüstung, kein großes Geheimnis, gegen das sich die Mächte der alten Welt abgedichtet hatten, daß die Sonden erblindeten; statt dessen die größtmaßstäbliche Fortsetzung des einst von Lasara erkannten Sichnachinnenfressens: Der Umfang der Geschichte blieb, aber die gebrochenen Längen zwischen den einzelnen Episoden ließen sich immer weiter zerbröseln, bis auf die feinste Körnung einer —»Moment mal, heißt das, wir können nicht mehr raus? Daß wir jetzt Teil sind eurer… Stasis, eures Grabmals«, fiel Feuer Padmasambhava in die Gedanken.



Daß die Fremde, Mundstück eines Kollektivs von Drohnen der Nachlaßverwaltung einer verstorbenen Göttin, darauf zunächst einmal schwieg, war beunruhigend.

Die feinsten Spürtaster der Geschwister versuchten, auf die Distanz, die sie nicht verringern wollten, Veränderungen an der Metakeramikanerin zu erkennen, aber da fand nicht einmal ein Wärmeaustausch mit der Umgebung statt; es war, als stünde sie dort gar nicht, als wäre da nur ein Loch in der Raumzeit, das ungefähr ihre Umrisse hatte.

«Vielleicht hält sie, ich weiß nicht, Rücksprache mit… diesem Kustosprogramm oder…«, riet Feuer.

«Oder mit dem Kollektiv der Keramikaner, dem gemeinsamen Hirn«, mutmaßte Padmasambhava und gestand sich zugleich ein, daß das Fehlen von Gesichtszügen bei der Botin sehr unheimlich war und eine geheime Korrespondenz zwischen den steinernen Tierhäuptern und der Vertreterin der Gastgeber anzudeuten schien.

Endlich äußerte sich die Stimme wieder:»Entschuldigt, aber die Berechnungen haben mehr Zeit in Anspruch genommen, als die Freundlichkeit gestattet. Ihr habt uns mißverstanden. Es ist nicht unsere Absicht, euch einzusperren. Ihr seid Gäste, ihr sollt euch umsehen, und wir werden eine… Abflugschneise? Ein Ausreisefenster öffnen, sobald wir können — aber das liegt nicht ausschließlich bei uns. Die Eigenzeitverschlingung hat ihre eigengesetzlichen Attribute, deshalb mußte ich mit den… vorhandenen Daten, die ihr mir liefert, unsere Bänderprojektion abgleichen, die mir verrät, wie lange, gemessen nach lokaler Dauer, ihr mindestens hier bleiben müßt, bevor wir euch ausschleusen können — es muß da vieles berücksichtigt werden, der Energieinflux der Sonne, den wir sozusagen quer durch die Epochen schleusen, damit hier die Illusion normaler Tage, Wochen, Monate, Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte, Jahrtausende entsteht, und dann die magnetischen…«

«Wie lange?«fiel Padmasambhava ihr ins Wort.

«Tausend hiesige Jahre.«

«Tausend irdische Jahre«, wiederholte Feuer die Auskunft leicht abgewandelt.

«Ja. So lange haben auch wir gewartet, nach irdischem Maß, bis ihr von euch habt hören lassen.«

Padmasambhava ging drüber hinweg:»Und die verbringen wir wie, wann? Als Touristen auf einer… abgesehen von Unfällen, von offenen Nähten… sprachlosen Welt voller Monumente und anderer Spuren, die das Wüten und dann das… konstruktive Wirken der Keramikaner hinterlassen hat? Oder dürfen wir ebenfalls… durch die Zeit tunneln? Alte Epochen kennenlernen? Das goldene Zeitalter der Gente, die… ich meine, ich habe ein paar Techniken gelernt, von der Komponistin.«

«Cordula Späth. Natürlich. Wir hätten wissen müssen, daß sie… Aber so einfach, leider, ist das nicht. Techniken — sicher, sonst wärt ihr beide nicht hier. Aber die alte, geheime Kunst ist mehr als das Technische daran, und das Tunnelsystem, das wir gebaut haben, ist ein Produkt dieser Kunst. Sich darin zu bewegen verlangt mehr, als ihr habt und seid.«

«Schade, daß wir mit dir… euch… einem Kollektiv über solche Sachen reden müssen«, sagte Feuer anzüglich.

«Du vergißt den Makel an der Idee — und Praxis — persönlicher Autorität: Die Herren oben, nach dem Alphatiermuster instituiert, wußten meistens am wenigsten und redeten sich immer heraus. Da haben wir beschlossen, die Welt lieber gleich dem Apparat zu schenken, der wir sind, und Katahomenleandraleal, die Stifterin des Apparats, zu begraben.«

Das klang nach Mord; die Kinder von Wolf und Luchs fragten lieber nicht nach.

«Grämt euch nicht. Und glaubt nur nicht, das, was auf euch zukommt, in den tausend Jahren, könnte öde sein — ihr seid so viele, ihr werdet, auf eure eigene Art, fruchtbar sein. Auch sind ja Tiere da: Wir haben eine planetare Ökotektur geschaffen, wie es sie seit Beginn der Langeweile nicht mehr gegeben hat — ein Jetzt, in dem niemand Sprache nötig hat. Pflanzen, Jäger und Wesen, die grasen — euer Garten, wenn man so will. Wir werden euch helfen, den Planeten kennenzulernen. Ihr selbst werdet die synchronen Pfade erkunden — vielleicht tatsächlich nie die Tunnel durch die Zeit, vielleicht nur fürs erste nicht, aber ihr werdet reisen. Mehr…«, ein Insichgehen, Überlegen, dann:»…mehr darf ich euch für jetzt nicht sagen. Wir sehen uns wieder.«

Schon war sie verschwunden.

Feuer sagte:»Was hat sie gemeint, wir sind… so viele?«

3. So viele

Viele Jahre blieben Padmasambhava und Feuer zusammen.

Es dauerte nicht lang, bis sie wußten, was die Kustosstimme gemeint hatte: Sie fanden in Bruder und Schwester den Wolf und den Dachs, den Zander und den Affen, immer dicht unter der Oberfläche der Inferenzen, oder in kleinen Gesten und Spuren alter Sprachen, und schließlich nahmen sie, aus den Nahrungsmitteln der alten Welt und den Düften, die Stoffe auf, die benötigt wurden, um auch die Körper zu verwandeln — nicht zu sehr, es wurde nie etwas anderes daraus als das geflügelte rote Reptil und das Mädchen mit den langen Armen und Beinen, aber ein bißchen Fell hier und da, andere Ohren, bessere Sicht, schnellere Zungen stellten sich ein und verschwanden wieder, zusammen mit Erinnerungen:»Hier war die Tepperebene. In deiner kurzen Urlaubszeit damals bist du hier gestanden und hast dich gefragt, ob du je glücklicher warst als im Dienst des Löwen.«»Ja, ich erinnere mich. Und dann habe ich dich in der Höhle getroffen, bei der Arbeit an den ersten Speichern für die großen Setzlingshabitate. Danach bin ich weiter in die Stadt, und dort warst du Lasara.«»Und damit deine Tochter, denn du warst nicht nur der Wolf, sondern auch der König, spürst du das? Ich hör's, wenn du laut lachst.«

Am Ende wurde es schwer, die Vielstimmigkeit zu ertragen, die Geschichte, die sie ausleben sollten, und da trennten sie sich,»für eine Weile wenigstens«, sagte Padmasambhava.



Feuer erforschte die Ökotekturen und verliebte sich allmählich in die Werke der Keramikaner: Fein, fast schamhaft waren die Verbesserungen, die sie der Biotik zugemutet hatten — Mutationen an bestimmten Blüten, die wie schon bei den Sondergeburten im Petunien- und Löwenmäulchenreich die Grundordnung der Organe anders arrangiert hatten, um damit wiederum die Bienen zu verändertem Verhalten, neuen Sorten von kollektiver Intelligenz anzuhalten; Sicherungen gegen den Quecksilberausstoß bei brennenden Regenwaldhölzern durch Veränderung der Chemie der Bäume — siebzig Prozent der ausgedehnten Wälder auf der Erde hatten jetzt Regenwaldcharakter; neue Sorten von Muschelschalen, Seeigelstacheln, Kalkskeletten; Zähne bei Tieren aus holzhaltigem Material; überhaupt Hybride zwischen Tier und Pflanze, Tier und Mensch — sie fand Zentauren in den Steppen ums versunkene Borbruck, und Schmetterlinge mit Menschengesichtern; wilder Weizen, der sich nicht mehr nur in Erde, sondern sogar in Felsen bohren und dort überleben, sogar gedeihen konnte.



Padmasambhava untersuchte unterdessen Flüssigkeiten — sammelte Regen in Blättern, schnitt in Pflanzen, ließ Tiere bluten und stellte allen dieselbe Frage, die nicht beantwortet wurde, bis eines Morgens, als er aus wüsten Träumen zu sich kam, auf einer Lichtung im tiefsten Tannholz das Mundstück des Kustosprogamms wieder vor ihm stand, spektral fahl, eine Mahnung in Frauengestalt:»Such nicht mehr, Padmasambhava. Er ist nicht hier — wir hatten ein Abkommen. Wir wollten es, auch wenn er lange unsere versteckte Liaison bei den Gente war, ohne den Fuchs versuchen. Er fügte sich und organisierte den Exodus, zusammen mit Lasara.«

«Aber Spuren von Lasara, die sind überall — warum nicht Spuren von ihm?«

«Wir haben die Zeit angehalten, und Zeit ist Geld, deshalb bleibt Ryuneke aus unserem Rayon verbannt.«

Padmasambhava blieb nichts anderes übrig, als das zu glauben; aber da er in der langen Sehnsuchtsspanne der Trennung von Fiamettina nichts Befriedigenderes gelernt hatte als eben das Suchen, machte er sich nun auf die Suche nach ihr.

Sie aber war es, die ihn fand, und beide freuten sich.

«Wir werden wieder älter, hast du das gemerkt?«fragte die Schwester.»Langsam, sehr langsam, aber der Prozeß ist…«

«Ich nehme an, sie erlauben das aus Gründen. Die Kustoswesen. Damit wir ein Maß bekommen, für den Eigenzeitablauf.«



Gemeinsam reisten sie an Orte, die sie zuvor allein erkundet hatten; meistens zu Fuß, da sie nie in Eile waren.

Ganz selten erlaubten sie sich kleinste Sprünge in der Musik, nie zeitförmig (vor einer Berührung mit den Bändern hatten sie Angst), immer nur im Raum.

Zu ihrer Erleichterung stellten sie fest, daß sie sich jetzt besser miteinander verstanden als in den ersten gemeinsamen Jahren.»Es war wahrscheinlich«, spekulierte Fiamettina eines Abends am Lagerfeuer im Hochgebirge, am Ufer eines klaren, spiegelglatten Sees,»die Absicht unserer Eltern, daß wir…«,»… der Mutter wohl eher, die war«, nickte Padmasambhava,»immer sehr gut in Absichten. Er… hat sich eher treiben lassen«, und Feuer stimmte zu, nach allem, was sie in sich von den beiden wußte.»Ja. Nun, sie dachte wohl, der Geschlechterwechsel mit Eintritt in die… Reifezeit würde uns das Einanderkennenlernen, Einanderverstehen erleichtern, aber so simpel geht das halt doch nicht. Man kann nicht einfach Mann oder Frau werden, wenn man vorher das andere war, und dann auch noch gleich verstehen, was man ist. Was eine Person tut, ist, was sie ist — wir mußten so leben, eine Weile, bevor wir wurden, was wir waren.«

«Yeah«, sagte Padma vage, aber liebevoll, ein hohes Wort in der klassischen Sprache.

Dann küßte sie ihn, damit er sich nicht so anstellte, nur wegen dem bißchen Offenbarung.

Manchmal beobachteten sie Keramikaner der letzten, sechzigmillionsten Generation, manchmal wurden sie von denen beobachtet. Ein lebendiges Totem der Vergangenheit aber, so eins wie der Schwan bei ihrer Ankunft, tauchte nie wieder auf.

Die Comtesse war wohl einzig.

4. Planetarische Abstraktion

Nichts hätte sie darauf vorbereiten können, keine Simulation, keine gefilmte Erinnerung, keine Geruchskonserve, keine Lektion im Innern des Walbauchs, keine Hilfe vom Klappstuhldachs Zagreus oder der Puppe Sankt Oswald: was der Ozean war, wie sich das ausnahm, dieses Meer, vorn fernhin in Weiten, Urmedium des Lebendigen, Mutter, gewaltige planetarische Abstraktion.

«Genug Wasser, um vom Anblick blind zu werden«, fand Padmasambhava.»Genug, um reinzuspringen und drin rumzuschwimmen«, widersprach Feuer, und das war ein so praktischer Vorschlag, daß der Venusjunge sich ergab. Sie faßte seine Hand und zog ihn, bis sie rannten, bis sie sich in die Wellen werfen konnten, unter einem Himmel, der dank dem Spiegel der See darunter noch viel größer geworden war, ins Blaue und Grüne.

5. Biberauge

Eines Morgens, weit landeinwärts, Padmasambhava schlief noch, wusch sich Feuer im eisig klaren Strom zwischen großen Pilzen, als plötzlich zahlreiche Soldaten mit Gewehren den Fluß überquerten, keine zehn Meter weit von da, wo Feuer stand. Alle folgten lauten, rauhen Befehlsrufen, manche strauchelnd, andere wild entschlossen, viele verwundet, alle gehetzt — ein, zwei Dutzend, die, sobald sie das andere Ufer erreichten, sämtlich wieder im Gewesenen verschwanden.

Feuer war, als der Lärm begann, hinter einem glitschig grauen Stein in Deckung gegangen, jetzt, als sie den Kopf wieder zu heben wagte, erschrak sie über ein Pelztier, das auf der andern Seite des Steins genauso abwartend wie eben noch sie selbst verharrte.

Es hob den Kopf, es sah sie an — in seinen Augen war, wie ging das zu, ein Zeichen von Erkennen, Schrift? Pictoglyphen, Intelligenz, der prometheische Funke? Das Tier zog den Mund schief, als wollte es verlegen grinsen. Feuer sah es an und sagte:»Sie haben sich geirrt, was? Die Keramikaner. Sie irren sich. Es ist alles viel komplizierter.«

Der Biber zuckte mit den Schultern, wie ein Mensch das getan hätte, glitt ins Wasser und schwamm davon.

Zurück am Lager fragte Padmasambhava, was Feuer denn Unheimliches begegnet war,»du hast ja eine Gänsehaut«.

«Ich dachte nur gerade«, wich Feuer aus, weil sie zu wissen glaubte, daß das, was sie jetzt wußte, ein Geheimnis bleiben mußte,»daß die Keramikaner auch nicht alles steuern können. Daß sie gegen ihre eigene Erkenntnis davon verstoßen, wie Ökotekturen sich in der Zeit verhalten. Daß es ihnen früher oder später, was immer das in sieben und mehr Dimensionen heißt, so gehen wird wie den Gente, wenn sie nicht begreifen, daß… wenn man etwas einmal gesehen hat, dann kann man es nicht mehr ungesehen machen.«

Sie dachte an die Zeichen im Biberauge, das Alphabet, das Alphabiest, die unbesiegbare Alphabestialität von gestern, heute, übermorgen.

6. Ein Wiedersehen

Tief im Grasland fanden sie die Frau, den letzten Menschen.

Sie saß oben auf einem Hügel unter einem Baum, an den sich eine Art Unterstand lehnte, ein halb hölzernes, halb steinernes Hüttchen. Es gab hier, aber auch sonst überall auf der späten Welt, viele derartige kleine Bauten, von Geisterhand hinterlassen, manchmal über Nacht wieder abgetragen; bisweilen in Form ausgehöhlter Granitblöcke, mitunter auch als schlichtes Dach auf freier Fläche: Schreine, Klausen ohne Bewohnerinnen und Bewohner. Irgendein schwer lesbares Verhaltensmuster der Keramikaner hielt sie dazu an, diese Konstrukte zu errichten.

Cordula Späth schaute einer Schafherde beim Grasen zu.

«Sie ist Hirtin geworden«, staunte Feuer, die sie nur aus Erzählungen des Bruders kannte, und Padmasambhava sah im Näherkommen, daß das nicht das einzige war, was sich verändert hatte: Die Komponistin lächelte mit schärferen Zähnen; aus ihrer Oberlippe sproß Luchsenschnurrhaar, ein apartes Bärtchen.

«Setzt euch her und eßt mit mir«, lud sie die beiden ein.

In einem Korb lagen Käse, Wein und andere Andenken an ältere Gewohnheiten.

Cordula machte mit dem rechten Arm eine weit ausgreifende Bewegung:»Ist mein Läuterungsberg hier. Gefällt's euch?«Am besten schmeckte Feuer und Padmasambhava das Gebackene, grob zwar und kreisrund, wie freihändig gezeichnet, aber knusprig zwischen den Zähnen und körnig —»Ja, das hat der alte Adam im Schweiße seines Angesichts zusammensammeln und zubereiten müssen, das ist das sogenannte Brot, meine Damen und Affen. Aber ihr wißt ja nix, wenn ihr's nicht mit Tränen gegessen habt.«»Mit Tränen?«wunderte sich Feuer.

«Hör mir am besten gar nicht zu, ich spinne nämlich komplett«, winkte Cordula ab und reichte ihr Radieschen.»Ich leb in längst verwitterten Geschichten aus dem Äon, als es noch Sünde gab.«

«Sünde, hm?«kaute Padmasambhava schmatzend, und die Komponistin schüttelte den Kopf:»Ich hätt's ja besser wissen sollen. Ihm davon abraten, wißt ihr. Er hat — das war nun wirklich eine große Sünde, da braucht man nicht erst katholisch werden, um das einzusehen — die ganze Menschheit ausgerottet, um die Bühne freizumachen für eine Aufführung seiner — und, in geringerem Umfang, meiner — Leidens- und Liebesgeschichten. Macht man ja eigentlich nicht. Was noch am Leben war, oder neu lebendig wurde, sollte dazu dienen, ein bombastisches, mit verteilten Rollen gespieltes… es war ein Kunstwerk, im wesentlichen. Hat man dann vergessen, aber der Ausdruck ›Langeweile‹ zum Beispiel, für das Überwundene, das ist eine schwer ästhetisch belastete Kategorie, da spricht der Dandy, der er war, oder der zu sein er von seinem Lover Ryu gelernt hatte. Eine Vierecksgeschichte: Die hundertvierundvierzigtausend der ersten Gentegeneration, mit genetischem und neuronalem Gedächtnis an ihn und seine Liebe, mich und meine Liebe… die Frage, ob man aus zwei homosexuellen Pärchen, einem glücklichen und einem verfehlten, eine planetenweite Zivilisation machen kann. Also: Man kann, nicht wahr. Möchte nur wissen, wer etwas davon hat.«

«Und ist sie gesühnt worden? Die Sünde?«

«Pföh, schwere Frage. Es gelang ihm nicht, sicherzustellen, daß seine Truppe nicht ihr eigenes Stück schuf, aus seinem. Sie hat es zerstreut, sie hat in den ein, zwei Themen, die er ihr setzte, alle andern Themen entdeckt und sie rausgekitzelt — daß er ein Welttheater geschaffen hat, war Hybris, von wegen, alles, was atmet, muß denken und empfinden, in den von ihm gesetzten Grenzen. Daß sich das Ding dann in alle Himmelsrichtungen, alle Dimensionen, fünf, elf, tausend Dimensionen selbst neu auslegt, das war die Buße, die Sühne. Ich meine, wer erinnert sich denn noch daran, was das Wetzelchen war, was die Parallele darstellen sollte, von seiner Liebe, die erfüllt wurde, und meiner, die nie zum Zuge kam? Lust oder Sehnsucht, Zusammenleben oder nach der Geliebten verschmachten — beides kann zu großen Kulturtaten motivieren. Aber wenn die getan werden, nehmen sie ein Eigenleben an: Auferstehung, wenn du so willst. Und die Pointe: Die Menschen mußten sterben, damit die Menschheit eine Chance hat. Denn das waren die Gente ja: die erste realisierte Menschheit.«

«Die erste«, sagte Feuer skeptisch und trank einen großen Schluck Wein, direkt aus der Flasche.

«Natürlich, was sonst? Weitere müssen folgen, und tun's schon. Auf euren zwei Sternen zum Beispiel«, sagte Cordula Späth und sprang auf, ein Schäfchen zu holen und zur Herde zurückzutragen, das in den Bach gestolpert war und nicht wußte, was es dort wollte.



Als sie wiederkam, sagte Padmasambhava:»Die Hütte hier — wir haben so was oft gefunden, einmal sogar als Floß, auf dem Ozean treibend — sind die alle für dich?«

Cordula legte den Kopf in den Nacken und schüttelte sich, als wäre sie naß und wollte trocken werden; dann fletschte sie die Zähne, funkelte die beiden an und sagte verschwörerisch:»Die wissen, glaub ich, gar nicht, daß ich hier bin. Bin ja auch nicht hier. Bin immer und überall, jedenfalls immerer und überallerer als Ryuneke, den sie gar nicht reinlassen. Ich weiß, wie's weitergeht. Ich kenn den Anfang nach dem Ende. Ich habe die Löcher und Tunnels genommen und fortgeschleppt, die sie gebaut haben, ich spinn das Sonnensystem ein und mehr, die halbe Galaxis, neue Netzwerke — ich kenne die dritten Gente, die zweite Menschheit, ich habe die Sonne sterben gesehen — na, guckt nicht so. Und doch zieht es mich immer wieder her, denn für mich, wißt ihr, gilt ja die Barriere nicht, die sie errichtet haben, die Regel, die euch tausend Jahre in die Warteschleife bannt. Die Hüttchen, hmpf — ja, vielleicht baut die Erde sie selbst, die Zeit oder wer, vielleicht sind's nicht mal die Keras. Obwohl Leute aus meiner… Leute in meinem Alter — pff, als ob's noch mehr davon gäbe — ja vermuten müßten, daß solche spontanen Behausungen der Toten oder Ungeborenen, mitten in der dritten Natur, viel mehr nach Henry Moore oder Frank Lloyd Wright oder wenigstens öhm Hundertwasser aussehen sollten.«

Padmasambhava und Feuer mußten in den Archiven reichlich blättern und kramen, bevor sie die Namen zugeordnet hatten. Cordula sah ihnen schweigend zu, amüsiert, mehrere Sekunden lang, mit gehobener rechter Braue, dann sagte sie:»Brav, daß ihr das alles in euren eigenen Köpfen nachguckt. Früher, eure Eltern, die wären einfach ins Pherinfonnetz getaucht und hätten es rausgezogen — na, und ich selber beschwöre den alten Kram wohl nur deshalb, weil ich dadurch… es gibt mir das Gefühl, sie wären alle noch da, versteht ihr? Die Menschen, unter denen ich gelebt habe. Die Langweiler, die so waren, wie ich war: langweilig eben, aber irgendwie doch ganz liebenswert, wer immer strebend sich bemüht… Schwan drüber. Entschuldigung: Schwamm.«

Sie herzte das Lämmchen, wog es auf den Armen, redete ihm freundlich zu, sagte:»Hast gar kein Geld, kleiner Depp, hmm? Niemand hier hat Geld, niemand vermißt's, schon lustig, du Schaf du! Gutes Schaf, braves Schaf! Ich könnt dich fressen, aber weißt du was, ich laß es bleiben!«

Etwas an diesem Anblick kam Padmasambhava erstaunlicher vor, als wenn das Lämmchen bei einem Löwen gelegen hätte. Diese Frau war gefährlicher als alles, was er in den Gräben überlebt hatte — sie und das Universum, die duzen sich wahrscheinlich, dachte er.

Ich hoffe, daß ich lange genug leben werde, um sagen zu dürfen, ich sei mit ihr befreundet.

Die Komponistin hielt das Lämmchen Feuer hin, und die begann, es zart zu kraulen, nahm es und beschäftigte sich gerade damit, ihm Schmutz aus dem Fell zu zupfen, als Cordula Späth mit einem Blinzeln verschwand.

7. Wenn das so ist

Nach fünfhundert Jahren, der Hälfte der ihnen zugemessenen Zeit, hatten sie wieder Lust, einander Lebwohl zu sagen, um die Sehnsucht neu anzufachen und neue Prüfungen zu bestehen.

Er wollte versuchen, eine Karte der unsicheren Nähte anzulegen: Wo hatten sie Menschen gesehen, wie sah die Verteilung aus, welchen Epochen entstammten die Leute, welche Kostümdramen führten sie auf?

Ihr ging es anders, sie wollte an den Strom zurück, wo sie den Biber getroffen und seine Seele gesehen hatte.

Auf den Gedanken war sie gekommen, weil sie sich neuerdings als Zugvogel fühlte:»Als ob mich wer ruft, oder als ob ich den Magnetlinien folgen wollte. Ich mag das, gerufen werden ist schön.«

Was sie ihm nicht verraten wollte, war, daß sie glaubte, einmal, unter Vögeln am Euphrat, den wiedergesehen zu haben, der die Geschwister nach ihrer Ankunft begrüßt hatte, von der Wand mit den Rosen herunter.

Ryu gab es hier nicht und auch sonst keine Vorfahren. Die Toten hielten sich fern, aus Respekt vor den Lebenden, die hier hausten und allem Anschein nach keine Sprache hatten. Aber vielleicht gab es andere in der Ökotektur, die nie gestorben waren und sich jetzt hier heimisch fühlten; andere, denen die Keramikaner nichts hatten anhaben können.

«Also stehst du auf von unserm gemeinsamen Lager«, sagte Padmasambhava,»weil du den Rhythmus hörst. Weil man dich ruft, weil du in die Musik tiefer hineingehen willst.«

«Ja, ich denke, das ist der Grund«, sagte sie und berührte ihn mit dem Zeigefinger an der Nase, weil er eine Nase hatte und sie einen Zeigefinger und weil es lustig war, auf diese Umstände besonders hinzuweisen. Für alle Hinweise, alle Zeichen und alle Deutungen auf der alten Welt waren ja nur noch sie beide zuständig.



Die Kinder von Dmitri und Lasara hatten schließlich eine andere Aufgabe gefunden als die, von der sie geglaubt hatten, daß ihr ganzer Weg sie darauf vorbereitet hatte. Sie mußten nicht Kundschafter sein, es würde zu keinem Krieg kommen, so kleinlich war die Geschichte nach der Geschichte gar nicht.

Die Zweifel der Zukunft richteten sich auf Interessanteres als das nackte Überleben.

Die Gente wären stolz gewesen; der Löwe hätte sich bedankt.

Zwei Lebende, eng befreundet, einander versprochen.

Jedes konnte für sich und andere werden, was es gern sein würde, fünfhundert kommende Jahre lang, bis zur Stunde der Abreise. Sie hatten das Erbe, es beherrschte sie nicht. Die Wolken zogen weiter, sie wollten nirgends hin. Die Sonne war für alle da, für Erde, Mars, Venus und mehr Orte, wo man wohnen konnte.

«Wenn das so ist«, sagte Padmasambhava,»dann möchte ich ein Wolf sein.«

«Und ich ein Rabe«, sagte Feuer.

So geschah es; und damit fingen Leben an, wie es sie nie zuvor gegeben hatte.

Shantih shantih shantih

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