XI. PADMASAMBHAVA

1. Rot

Das eigene Blut auf den Füßen und Händen, dunkle Sirupspritzer von hoher Viskosität, in schneller Gerinnung, mit den schwarzen Punkten der spintronischen Blocker darin, kleinen Marienkäferchen, zwischen den eigenen kleinen Krallen, so schlang sich das Reptilmädchen in der ewigen Schlacht um die anderen Echsen, die sich gegenseitig vom Hauptknoten wegschnitten und in die Beine bissen, aufeinander schossen, einander spießten und schlachteten; so schlängelte es sich durch die enge Furt, die ganz angefüllt war vom Schreien und Sterben, von Gledhill nordwestwärts nach Hellas Planitia hinein.

Das Echsenmädchen empfand nicht Angst noch Schmerz dabei, nur Lust und Neugier.

Diese sehr junge Kriegerin konnte im Kopf die Bücher abrufen, wenn sie etwas wissen mußte; die Seiten wurden von Schutzengeln aufgeblättert, da fand sie alles über die Signale der Hörner, über die Verlaufsaussichten der Scharmützel und die Ballistik der Geschosse. Bald fing sie eigene Einträge in die Bücher an. Denn so klein sie war, so wenig Fleisch ihre Zähne noch reißen konnten, so sehr sie angewiesen blieb auf Waffen zum Schneiden und Stechen, weil sie die anderen, mit denen man schießen mußte, noch nicht hätte benutzen können, da die einen Rückstoß verursachten, den ihre Knochen erst später vertragen würden, so sicher wußte sie andererseits, daß einmal viel von ihr die Rede sein würde als von einer großen Heldin, die sich schon kurz nach der Geburt aufs Schlachtfeld gewagt, zwischen allen Burgen, in allen Gräben überlebt und Kenntnisse erworben hatte, die in vielen Büchern Echos finden sollten.



Von Visniac, Liais und Rayleigh im Süden während dreimal zwei roten Jahren stritt sie sich durch bis hinauf nach Tikhow und Wallace, immer nach Westen, nach Norden. Die älteren Männchen mochten sie, das war ein Grund, warum sie durchkam. Viele andere Weibchen wurden totgebissen, geköpft oder verloren Gliedmaßen, wenn diese schweren Kerle ihnen begegneten. Bei der kleinen Echse aber zogen die ältern Männchen es vor, sich zu freuen:»Du bist ganz schön rot«, und jung und glatt und stark: Sie paarten sich mit ihr und waren danach oft so erschöpft, daß es der roten jungen Echse gelang, sie zu töten oder wenigstens zu bestehlen. Wenn das, was sie ihnen wegnahm, Waffen waren, die sie nicht selbst benutzen konnte — etwas zum Abfeuern mit Rückstoß, ein Plasmagewehr, ein spektraler Streuer oder einer jener schweren Lähmer, die den Körper des Feindes mit polykristallinen Metalloxidschichten überzogen, bis er erstickte —, trug sie die Ware gelegentlich in Nester zur Zwischenlagerung, in Nischen großer Schluchten oder auf Felshalden, manchmal auch gleich zu den Siedlungen der Erzspinnen, Dunkelbären, Solitonisten und Herzhunde, zu den Grenzgebieten, wo die Nashornkühe in großen, unbeherrschbar gefährlichen Herden auf den Flitterfeldern weideten, und verkaufte denen, was sie bei sich trug.

So kam sie bald zu großem Rüstungsreichtum, nämlich bionischem und anderem Gerät, das ihre Überlebenschancen stetig verbesserte: Druckminderer und Ventile aus Erzspinnenfabrikation schützten ihre Muskeln und Gelenke, ihre Augen konnten, verbessert von den Solitonisten im Tausch gegen Schocker, bald ultraviolettes und infrarotes Licht sehen und waren schließlich mit raffinierter diffraktiver Optik, wie sie das dritte Auge der Herzhunde aufwies, beidseitig bestückt. Unter ihrem Kiefer saßen solitonische Nahkampf-Diodenlaser; ihre Flügelverankerung, mit der sie auf die Welt gekommen war, wurde nach und nach durch feinsteuerbare Kleinflansch-Bauteile ersetzt, und an den Hinterbeinen steckten bald zwei große Gasentladungslampen, mit denen sie, wenn sie aus der Luft auf Beute niederschoß, Feinde kurzblitzend blenden konnte, bevor sie die erstach oder aufschlitzte.



«Du kennst die Welt gut«, sagte eine ältere Echse, ein Weibchen, das sie beim Jungekriegen in einem ausgetrockneten Flußbett überrascht hatte. Dies war ein Fluch, kein Kompliment.

Die Jungen verschlang die kleine rote Echse, die Mutter schonte sie und erklärte ihr das mit den Worten:»Gegessen habe ich schon, was soll ich dich jetzt töten? Wir könnten uns wiederbegegnen, dann schließen wir vielleicht ein Bündnis auf Zeit, weil du dich erinnerst, daß ich dir nur so viel genommen habe, wie ich brauchte.«

«Du kennst sie gut, die Welt«, wiederholte die Besiegte,»du redest wie ein Herzhund.«

Das fade Monster, dachte die kleine rote Echse, sie kennt niemand klügeren als die Herzhunde; sie weiß nicht, daß es droben in den Burgen Roboter, Fische und andere Geschöpfe gibt, gegen die der klügste und erfahrenste Ingenieur der Hundewanderschulen bloß ein einfacher Echsenkrieger ist.

Die kleine rote Echse leckte sich das Kinn und sagte:»Ich kenn die Welt gut, das stimmt. Und ich weiß, daß es nicht nur diese eine gibt, darum sehe ich mich immer nach allen Seiten um, auch nach oben, daß nicht am Ende einmal eine runterfällt und ich davon erschlagen werde.«

«Du meinst die Begleiter, Phobos und Deimos?«

Es wurde finster, hinter den Schaumweiden fingen die Riesengrillen an, ihre grausigen Geräusche zu machen.

Die kleine rote Echse sog Nachtluft durch die Nasenlöcher in den klaren Kopf und erwiderte:»Das sind doch keine Welten. Zwei Brocken totes Gestein, sonst nichts.«

Das arme Luder zweifelte daran:»Kann man da nicht auch wohnen?«

Die kleine rote Echse spuckte aus und sagte:»Wieso sollte man das wollen? Deimos hat nur fünfzehn Kilometer Durchmesser, Phobos nur siebenundzwanzig, und sie bringen nicht mal genügend Schwerkraft auf, eine oder einen von uns bei sich zu behalten — selbst eine Nashornkuh wär dort nicht nennenswert schwer. Wenn sie in die Luft springen würde, könnte es Minuten dauern, bis sie wieder zurück auf den Felsboden schwebt.«

«Minuten«, sagte die andere, glotzäugig und verträumt. Sie schleppte sich, als sie keine Antwort mehr erhielt, in den Schatten eines gespaltenen Sprossenbaums aus drei Stämmen, um nicht, wenn die kleine rote Echse sie verließ, von jemand anderem gefunden und gefressen zu werden.

Die kleine rote Echse sprang in die Höhe wie von Stahlfedern abgeschossen, dann rannte sie davon und warf sich wieder ins Unaufhörliche.

Manchmal war sie seltsam fröhlich bei dem Gedanken, daß es dem Mars mit ihr und den besten Exemplaren der am experimentum crucis beteiligten Arten so ging wie umgekehrt ihr mit der Heimatwelt: Je mehr der Mars mitbekam von denen, die er auf sich leben ließ, desto genauer wußte er, wie es sich anfühlte, der Mars zu sein.

Eine Welt, benannt nach einem Kriegsgott, dem die Wölfe heilig gewesen waren — Wölfe wie mein Vater, dachte die kleine rote Echse stolz —, vernarbte Frucht, rot und orange, mit weißem Mützchen, weißen Söckchen, mit sprudelnden Quellen, aus dem Permafrost befreit, großen dunklen Meeren, auch mit Vulkanen, Schluchtenmustern, eingekerbt zwischen Kratern und lichten Ebenen, halb so groß wie die Herkunftswelt, doppelt so groß wie die erste Stufe der Gente-Auswanderung, Luna, der alte Mond.

Kaum Schwerkraft hier, nur 38 Prozent der altirdischen. Das Jahr frißt 687 altirdische Tage, der Tag ist ein winziges bißchen länger als die Tage auf der Herkunftswelt: 24 Stunden und 40 Minuten.

Wußte der Mars das alles, wenn sie es wußte, wenn es die Bücher wußten, das Buch des Lebens und die übrigen? Wußte er, was sie über sich selbst lernte: daß das Blut an ihren Füßen und Händen nicht von alleine die Temperatur wechselte, wenn ihrem Leben danach war, sondern Sonnenhitze brauchte, um sich zu erwärmen, oder die Kühle von Eis, um sich zu beruhigen; und daß das bei ihren Eltern, bei Luchs und Wolf, anders gewesen war?

Sie schrieb ins Buch, was sie sah und wie sie es auffaßte:»Körper von andern Echsen, weniger schlau und weniger rot als ich, füllen die Gräben zwischen den Burgen, und die hungrigen Helden bleiben liegen und verwandeln sich in Sand. Sie haben spielen wollen, sie wußten nicht, daß es ernst ist, ich weiß es, deshalb überlebe ich. Sie tun nur so, dann sind sie weg. Sie rennen blind und beißwütig die Rillen und Zäune entlang, man hat sie mit der Blutflasche großgezogen, damit sie alles töten, was sie greifen, jetzt sind sie fort, weil sie nur Diener sein wollen statt Leute, Gente, richtig rot. Soldatenjunges, aus Ton gebrannt, jetzt bloß eine Hülle, keine zehn Jahre alt, jeder ein Einzelkind, brav dem experimentum gedient, zum Fressen erzogen, nicht zum Denken, macht alles, was man ihm sagt, jetzt ist Schluß, blöder Tod, nimm ihn mit, er war nichts besonderes. Zurück an die Front, mach weiter, aus Gründen, die noch weniger in Sätzen zu sagen sind als unsere Instinkte, zurück an die Front, du wirst sterben, wenn wir, die Vorfahren, dir sagen, daß du sterben sollst.«

Das Buch des Lebens war beeindruckt von der Drastik und Deutlichkeit, mit der sie ihre Sicht aufs Ganze in es eintrug. Es überlegte sich, ob es ihr, die schon so viel ahnte, so viel sah, hörte, roch und verstand, vielleicht verraten sollte, wie sie hieß und wer sie wirklich war.



In Öl und Blut gebadet rutschte sie durch die Passagen, nahm sich nie mehr aus den Flanken der Feinde, als sie zum Gesundbleiben brauchte, scherte auch manchmal aus den Linien aus, suchte keine Freundinnen und Freunde, keine Kameradinnen und Kameraden.



Einmal redete sie das Buch direkt an, aus einer unerklärlichen Laune:»Hör mal, Buch. Sei nett zu mir. Gib mir bloß genug Verstand, mich zu fragen, ob ich noch frei bin, auch wenn ich dem experimentum gehöre; erlaub mir das Staunen darüber, daß ich, anders als die Legionen, die hier straucheln, fallen, niedersinken und dabei nicht einmal wissen, wer sie sind, von mir selber reden und denken kann. Gib mir die Kraft, meinen Kopf hocherhoben zu tragen, und wenn sie mich beißen und kratzen, wenn sie mich auslachen und aus dem Kampf schubsen wollen, weil sie glauben, ich sei noch zu jung, kaum geschlüpft und nicht rot genug, dann gib mir die Kraft, ihnen ihre Beleidigungen ins Gesicht zurückzuspucken. Ich brauche keine Hilfe sonst; du mußt mir keinen Schlüssel geben, um die Tür zur Zukunft zu öffnen, und ich weiß, ich werde die Wälle der Burgen erklettern, man wird mich einlassen, nicht mit Stöcken schlagen, nicht mit elektrischem Strom verbrennen und nicht töten, sondern eine der Burgen wird mein Zuhause sein, und man wird mich zu den Aristoi zählen, und ich werde berichten können, vom Kampf, an dem ich teilgenommen und den ich überlebt habe, Amen.«



Natürlich mußte sie sich vorsehen, wenn sie lange Zwiesprache mit dem Buch hielt. Ein Teil ihrer Aufmerksamkeit und mehrere tragende Plattformen ihrer Spintronik waren dabei von den Reaktionen aufs Geschehen im Kampf abgezogen, das war kostspielig.

Nicht selten endeten ihre Unterhaltungen mit dem Buch daher damit, daß sie mit einer Lanze in der Schulter zu sich kam, oder mit Pfeilen im Rücken, mit abgerissenen Schuppen, freiliegendem Fleisch.

Sie kämpfte, wie man atmet, aber wie hastigen, flachen oder keuchenden Atem gibt es auch eine ungenügende Form des Kämpfens, die man nicht lange durchhält. Es war ihr immer ärgerlich, wenn sie sich danach aus dem Krieg aller gegen alle, den kleinen Duellen und den großen Kontinentalverschiebungen der breiten Fronten, für eine Weile entfernen mußte, indem sie die Schwingen ausbreitete, abhob, so hoch wie möglich nach oben strebte und direkt unter den silbernen Wolken im Gleitflug ausgefallene Körperteile regenerierte.



Schön war's, wenn auch peinlich, natürlich trotzdem, droben im milden Luftzug das Spannen und Ziehen zu spüren, wenn zwei lose Muskelenden verknüpft wurden, oder das langsame Aufblühen eines neuen Auges, durch das ein ausgestochenes ersetzt wurde. Gesundung, Erfrischung: eine Idee vom Frieden.

2. Ihr Name

Einmal fand sich die kleine rote Echse an einem der wenigen kühleren, zähen, ruhigen Punkte des ewigen Wogens. Sie marschierte ein Stück Wegs mit zwei Bannerträgern, deren Rücken brannten und denen niemand allzu nahe kam, weil sie Sektionsgrenzen abschritten, markierten und stabilisierten, ohne die es den Orbitalstationen nicht möglich gewesen wäre, den Verlauf des ewigen Krieges entsprechend den Programmvorgaben im experimentum crucis zu verfolgen und gegebenenfalls mit Raketenbeschuß oder chirurgischen Lasereingriffen die Frontverläufe zu korrigieren.

Die jüngste Eingabe der kleinen roten Echse ans Buch war eben angekommen, sie wurde bestätigt.

Das Buch fragte:»Hast du nicht endlich eine Frage, die wichtiger ist als die bisherigen, eine, die ein wenig Übersicht herstellt über alles, was du schon weißt, Neues und Altes, Dmitri Stepanowitsch und Lasara, die Eltern und die Kosmonauten der Gente?«

«Ich weiß, woher ich komme, wohin ich muß, was ich besitze und was ich brauche. Aber wenn ich mir's überlege, dann ist das alles noch nicht genug, um zu wissen, wer ich bin, richtig?«

«Richtig. Du brauchst einen Namen.«

«Wozu? Wenn ich von mir spreche, sage ich ›ich‹. Und wenn du von mir und zu mir sprichst, sagst du ›du‹. Das reicht doch.«

«Was machst du, wenn andere von dir reden? Woher weißt du, daß du es bist, die sie meinen, und nicht eine andere ›sie‹?«

«Stimmt.«

«Also?«Das Buch neckte sie gern.

«Ein Eigenname, wie in den ganz alten Geschichten, was sonst? Im Anfang war der Logos. «Sie kicherte bei sich und dachte an den Witz, von dem das Buch ihr vor dem letzten Getümmel am geknickten Krater erzählt hatte — wie da vor sehr langer Zeit bei den Menschen eine Lehre entstanden war, die das Wort, das Angeben von Gründen, die saubere Inferenz ganz zu Recht über alles andere gesetzt hatte, was zu denken war, und wie ein besonderes Kollektiv, eine winzige Population namens» die Griechen«, wohnhaft an irgendeinem Krater mit viel Wasser, eine ganze Kultur zusehends nach dieser Philosophie ausgerichtet hatte, bis es in deren Zeichen gelungen war, einen enormen memetischen Einfluß auf alle angrenzenden Populationen zu gewinnen. Und da war plötzlich — auch die alte Welt hatte bewegliche Schlachtverläufe gekannt — aus der Mitte einer Konkurrenzgruppe, die über einen eigenen Memepool verfügte, dessen Strukturen sich anhand der Vorstellung einer allerersten Ursache, also nicht nach Inferenzen und Schlußketten, sondern nach einer Grundregel gebildet hatten,»die Hebräer«, eine völlig unvorhersehbare Offensive unternommen worden. Es gelang den Angreifern, die memetischen Waffen der Griechen in ihr eigenes Arsenal zu überführen, indem sie das Wort, den Logos, einfach für inkarniert ausgaben, für einen fleischgewordenen Gott, oder, wie sie, an die Säugetiergenetik gefesselt, sich ausdrückten: für seinen Sohn. Die Angegriffenen waren ziemlich erstaunt gewesen und hatten dem nichts entgegenzusetzen gehabt — die kleine rote Echse konnte sich's gut vorstellen:»Was denn, wie denn, unsern Logos kann man doch nicht einfach zum Menschen erklären, das könnt ihr doch nicht machen…«

Die kleine rote Echse liebte solche Augenblicke, wenn die Lektionen des Buches ihr Einblick in eine Welt verschafften, in der es noch viel ältere und kompliziertere Kriege gab als den, in den sie hineingeboren war und der die ganze Südhalbkugel ihrer Welt seit unvordenklichen Zeiten beherrschte.

«Dein eigener Name also. Gut. Es gibt ihn längst, ich kenne ihn. Lasara hat ihn ausgesucht.«

«Dann sag ihn und quäl mich nicht. Sie greifen gleich wieder an, ich löse mich jetzt von den Bannerträgern. Es geht los, mit Eisen, mit Fackeln, mit Brandbeschleunigern aus Sprühdüsen. Ich hab keine Zeit für Spiele«.

«Du bist Padmasambhava. Ich freue mich, dir helfen zu dürfen.«



Die kleine rote Echse spürte, daß mit dieser Auskunft etwas Gefährliches in die Welt gekommen war.

Ihre Flügel schlugen mit großer Kraft, sie leckte sich ihre schwarzen Zähne ab, als wären die plötzlich größer geworden, und schwang sich in die Luft, statt zu kämpfen, und lachte.

So groß war ihre Freude, daß sie vergaß, den Empfang der Meldung des Buches zu bestätigen und sich selber abzumelden. Ihre Krallen zerrissen im Flug eins der Banner, unabsichtlich zwar, aber sie schämte sich nicht, sondern lachte, und der beraubte Bannerträger, der unter ihr sofort von andrängenden Räubern überwältigt wurde, blickte mit Entsetzen zu ihr auf, zu Padmasambhava, der Neuigkeit, Ungeheuerlichkeit.



Unten die Zirkel, die gruben, die Nahrungsketten und beweglichen Friedhöfe des Massensterbens, auf den großflächigen Niederungen die Haufenballungen der Leiber, die Feste von Kopulation und Sieg und Niederlage, nicht ohne Auswirkung auf die Albedo, waren ein Schauspiel für Padmasambhava, das sie jetzt wie zum ersten Mal sah. Ein Keil aus bräunlich-beigen Jungtieren, zu momentaner Allianz gegen die Älteren vereinigt, trieb in eine Bucht, lappte über die Ränder einer Reihe sich überschneidender Talkomplexe, bis jemand eine Boden-Boden-Rakete abfeuerte und der reinigende Einschlag den Großgraben erschütterte.

Weiße Rauchsäulen standen über dem Punkt, wo die Tagesentscheidung fiel, Positionen wurden erobert, andere geräumt, Kreischen fuhr aus rauhen Kehlen in die Höhe. Padmasambhava blickte auf den Vorgang, als beträfe er sie schon nicht mehr.

Sie stieg weiter empor, gelangte näher und näher an die Bäuche der silbernen Wolken, endlich mitten in sie hinein. Da segelte die Getaufte hoch in den Himmel und dachte: Ich habe es immer gewußt; es haben ja doch nur sehr wenige Flügel, es sind nur wenige so schnell, es überleben kaum welche je so lang wie ich, wenn sie so weite Reisen wagen, wie ich sie zurückgelegt habe. Aber das allein ist es nicht gewesen, immer habe ich auf mehr gewartet, mich gefreut, aber auch geängstigt, was das sein könnte.



Ein einziges Mal nur hatte sie unmittelbar erlebt, wie es war, wirklich zu den andern zu gehören, das Schlachten so zu erleben, wie die das tun, die nur dem Instinkt folgen und nichts denken: Da war ihr der Kiefer verrutscht, und so biß sie den Unterlegenen, mit dem sie sich erst in sexuelle Rangeleien und dann in einen Kampf auf Leben und Tod eingelassen hatte, aus Versehen statt in den Adamsapfel ins Gesicht. Irgendeine selbstreparierende Leitung im Zugang zu ihrer eigenen Spintronik hatte sich mit seiner falsch verknüpft, deshalb dachte sie plötzlich, ein paar Sekunden lang, mit dem Hirn des Sterbenden, auf dem sie hockte. Sein Denken war ihr sofort widerlich, viel weniger straff als ihr eigenes, seine Schlüsse schienen schlampig, die Sprache, die er hatte, war nur ein Stammeln, und was er für das Buch des Lebens hielt, mit dem er sich beriet, war ein erbärmlicher Dreck — fehlende Seiten, kaum Gerüche, falsch abgelegte Töne, eine poröse und flattrige Denkapparatur. Ihr wurde übel vom Haspeln und Rödeln da drin, ihr war, als könnte sie die Logikgatter beim Knarzen und Ächzen beobachten, von denen die Qubit-Spin-Photoneninteraktionen in diesem Holzkopf reguliert wurden.

Da wußte ich, daß ich so nicht bin und nie sein werde.

Und jetzt kenne ich nicht nur die Welt, sondern mich selbst, Padmasambhava, in deren Name schon der Weg mit ausgeschrieben ist, der nicht nur aus den Gräben in die Burgen führt, sondern weit darüber hinaus, auf die andere Welt und sogar auf die alte.

Ich bin ein Grund zum Erschrecken, zum Jubeln.



Und ihr heißliebstes Schlachtfeld drunten, das klirrende Aufeinanderschlagen von Metall, das Zischen der Flammen, das Knacken der Knochen, alles das blieb zurück, für diesen Moment.

Sie stieg noch höher, durch die silberne Wolkenschicht hindurch. Oben war es kalt und klar, grünlich blau.

Als sie die Orbitalstationen erkannte, die lackschwarzen Kreisel in der Nacht, lachte Padmasambhava.

Die Stationen erkannten sie auch und sandten ihr Grüße aus der Vergangenheit, aus der Zukunft, von überall und immerher.

3. Ein Emigrant

Sankt Oswald klopfte mit hölzernen Fingerknöcheln auf seine ebenso hölzernen Beine; er wollte wissen, wie morsch er schon war.

Heute morgen stand eine neue Lieferung an, wie alle hundert Jahre — nun ja, ungefähr alle hundert: Er war nie bereit gewesen, die marsianische Zeitrechnung zu übernehmen; wie die meisten Aristoi, das heißt die meisten echten Überlebenden aus der Zeit der Gente und jene, die sich mit guten oder weniger guten Gründen als deren direkte Nachkommen darstellten, dachte er noch in den Tagen, Monaten, Jahren, Lustra, Dekaden und Jahrhunderten der Erde.

Das neue Holz würde, vereinbarungsgemäß, von dem Stamm genommen werden, der aus Liviendas letzter Saat gewachsen war. Der stand in der großen ersten Burg am Nordpol, eine Art Kreuz auf dem Reichsapfel.

Sankt Oswald hoffte — vergeblich, wie er bereits ahnte —, daß ihn die, die ihm das Holz bringen wollte, dabei nicht zu sehr mit ihren Aufträgen und indiskreten Fragen demütigen würde. Er hatte sich fest vorgenommen, nur diejenigen Teile seines verlebten Leibes von ihr ersetzen zu lassen, die es absolut nicht verschmerzen konnten, weiterhin unersetzt zu bleiben.

Die Lieferantin war ihm, der von sich und den anderen Aristoi manchmal schwermütig als von» den Emigranten «sprach, einerseits eine gute Freundin, andererseits aber ein Greuel. Er wünschte manchmal, er könnte sie, die weder Emigrantin war noch hier geboren, endlich vergessen.

Sankt Oswald sehnte sich überhaupt oft danach, etwas oder jemanden endlich vergessen zu können.

Bei seinen regelmäßigen Gedächtniswäschen tauchte immer wieder Schmutz aus dem Flusensieb der Jahrhunderte auf, der dort unter traumatischen Umständen hängengeblieben war. Manchmal schickte dieser Unrat sogar halluzinatorische Echos in den Alltag der Puppe — seit jüngster Zeit, das heißt, seit der letzten Generalüberholung seiner Spintronik, hörte Sankt Oswald in hypnagogischen und hypnopompischen Phasen sogar den Pudel wieder bellen, der einst Kurator von Sankt Oswalds Museumsheimat gewesen war, und selbst der Esel Storikal schaute ihm hin und wieder aus einer Tasse Kaffee dummdreist ins Gesicht.

Man soll, fand Sankt Oswald mittlerweile, nicht so alt werden, wie ich bin.

Unter lebensmüden Erwägungen wartete er auf Ersatz und Neuigkeiten und ließ dabei den müden Blick die Kopie der Kopie der Kopie eines Tausende Male restaurierten Gemäldes des Affen Stanz diagonal, längs und hochkant entlangwandern, die über seinem langen Eßtisch hing, guck hier, guck da, such den goldenen Schnitt.

Durch all die Restaurationen hindurch ist vermutlich kein einziges Atom mehr in dem Werk zu finden, das bei seiner Erschaffung durch den Maler dazu gehört hat. Und doch, sann Sankt Oswald, ist es dieselbe Arbeit, so wie ich, an Haupt und Gliedern viel zu oft erneuert, derselbe bin, der ich vor langer Zeit war.



Die große Standuhr auf dem Flur schlug siebenundzwanzigmal, furchtbar langsam.

Sankt Oswald fragte sich, ob er verrückt wurde, weil er mit dem Ding redete, als gälten die Schläge ihm, als müßte er die Zeit besänftigen:»Nu mhmpfh laß mal, ist ja gut, alte Uhr, doofe alte dumpfe Uhr, mit deiner ewigen andauernden saublöden verrinnenden Zeit, mit den Äonen und Epochen, und alles raffst du weg und nagst du klein. Ich aber, brr, ich sitze da, mit meinem ins Gesicht geschnitzten Grinsen, nein, will mich nicht beschweren, ist schon recht. Ich hab's vielleicht, was weiß denn ich, nicht so gemeint, blöde Uhr, blöde Zeit, obwohl, doch, genau so hab ich es gemeint, soll ich nicht lieber stille sein? Soll ich dir schmeicheln, Zeit? Das könnte dir so passen. Ein Lob, ein Preis der mächtigen Zeit, Mörderin wehrloser sterblicher Wesen. Nein, entschuldige mal, das war gemein. Obwohl mir ein bißchen Gemeinheit, mußt du verstehen, ganz guttäte. Ich habe, stell dir das nur vor, mindestens zweihundert Jahre lang nicht mehr dreckig gelacht — das war früher mein ganzer Lebensinhalt, das dreckige Lachen. Ich lache nicht mehr, aber ich respektiere dich, Zeit, weil du, wenn du lachen würdest, dreckiger lachen könntest als alle, da du nämlich eine große Sau bist, die mich zerquetschen kann wie einen Dings. Nein, falsch: Ich liebe dich, es sei denn, du willst das nicht, dann fürchte ich dich, weil ich dich hasse.«

Die Uhr war fertig mit ihren siebenundzwanzig Erwiderungen, alles schwieg.

Sankt Oswald sah benommen aus dem Fenster; das besserte zumindest seine Laune.



Er mochte die vielen da unten, von denen sich zwar kaum noch welche selbst als Gente sahen, und längst nicht alle als Aristoi. Aber sie hatten, wie hieß das? Format.

Da er in der Vorzeit großgeworden war, betrachtete er das Gewimmel als ein gutes Zeichen: so heidnisch unbekümmert wie nur je im alten Rom, eifrig, von einer Lebenskraft, welche man, um auch die ferne Herkunft aus den Genen der Gente nicht zu übersehen, durchaus» animalisch «finden konnte — keine Spur von der Melancholie, vom Stumpfsinn, nichts auch vom dekadent Ungesunden der letzten Tage von Landers, Kapseits und Borbruck, keine Spur der künstlichen Munterkeit in den Zwielichttagen der Mondsiedlung.

Kulturkraft, blühend: ein merkwürdiges Volk, eine seltsame Zeit.

Die Gente, die Lasaras Plan damals zugestimmt hatten, waren davon ausgegangen, daß man sich an sie als an Götter erinnern würde. Hatten die Aristoi Götter?

Wenn ja, dann keine, in deren Furcht man sich selbst zu vergessen gehalten war. Mit Versmaß und Zeitmaß und Gesetz ausgestattete Götter? Nichts da, hier wurden keine Epen mehr gedichtet, nicht einmal Romane, nur eine lange, vielfältig verästelte zweite Naturgeschichte, nachdem das Epos der gentilen Unnatur seinen unnatürlichen Gang gegangen war.



«Ist sie schon da? Durch den Bogen gekommen?«

Die Roboter schwiegen, und Sankt Oswald wußte, daß das immer nein bedeutete (er hatte sie selbst so programmiert, das sparte Energie). Sie war volle dreieinhalb Stunden zu spät dran; eine extreme Unverschämtheit für diese Person, da sie ja eigentlich nicht an den normalen Fluß der Zeit gebunden war.

Um sie (als wär das möglich) wenigstens zu beschämen, saß Sankt Oswald immer noch beim Frühstück: Wolframglühdrähte, Blätter, Musik aus der Langeweile; damit sie nicht sah, daß er heute morgen nichts Besseres zu tun hatte, als auf sie zu warten. Langsam aber war er bis zum Platzen voll, weitere Aufnahme von Stärkungsmitteln empfahl sich nicht, konnte sogar schädlich sein. Bevor er noch zu einer Entscheidung darüber gelangen konnte, was er mit der restlichen Wartezeit anfangen sollte, klingelten endlich Glasglöckchen unter den Tragbalken, neben den Quecksilberschwingspiegeln und sogar über den Weinflaschen auf seinem Tisch. Unwillig wedelte er mit der zarten Marionettenhand:»Sicher, schön, bissige Scheiße, was denn jetzt noch?«

Ein konischer Bedienter rollte nah heran und sagte:»Wir haben eine Anmeldung, eine Eintragung in den Besuchsbüchern vorliegen — Raphaela Dictioniga Römer und Eon Nagegerg Bourke-Weiß haben ihr Kommen annonciert, sie möchten ein bißchen spielen, schmuddeln, reden und…«

«Fein, ich geruhe gleich zu kotzen«, rülpste Sankt Oswald ungehalten. Er haßte, bei aller Liebe zur Gattung an sich, alle Aristoi aus diesen beiden Familien, mit ihrer Wagenburgmentalität gegenüber dem, was zwischen den Burgen war, mit ihrem ewigen pikierten Schweigen übers experimentum crucis, er haßte es im Grunde, daß sie Aristoi waren, fiel ihm plötzlich auf, ja, es war ihm zuwider, daß sich überhaupt irgendwelche Leute Aristoi nannten statt Gente, der paar mickrigen Verbesserungen wegen, die sie spazierenführten. Gerade hatte er sie geliebt, jetzt haßte er sie, so war das im höchsten Alter. Es ekelte ihn an, daß sie den Mars neuerdings» Ares «nannten, es schauderte ihn vor den mythologischen Mätzchen, mit denen sie ihre Wichtigtukultur ausschmückten: daß man jetzt Stücke spielte, Filme programmierte und Algorithmen Literatur verfassen ließ über Aphrodite und Ares und darüber, wie der Schmied Hephaistos zwischen diese beiden Götter geraten war.



Wozu der Schnokus?

Um damit phantastisch zu überhöhen, was seit den letzten Nachrichten von der Erde die Furcht aller Marsbewohner war, nämlich daß das harmonische, gegeneinander restlos gleichgültige, inzwischen bis auf sehr wenig Funkverkehr mit den sogenannten Siebenvierern der andern Welt praktisch vollständig kommunikationsfreie Nebeneinanderherexistieren der beiden Geschwisterzivilisationen in Gefahr geraten könnte, weil sich die Erde, der Schmied Hephaistos eben, erneut bemerkbar machte, und zwar auf die unangenehmste Art, auf die man sich bemerkbar machen kann, durch völliges Verstummen?



Sankt Oswald verabscheute, jetzt endlich wurde ihm das bewußt, schlankweg die gesamte angeblich so hochverfeinerte, in Wahrheit rohe, abgeschmackte Manier, in der Leute wie diese Raphaela und dieser Eon ihre dürren Mores so zurechtbogen, daß sie sich vor ihrer historischen und politischen Verantwortung verstecken konnten.

Am Allerobszönsten fand er, daß Raphaela Dictioniga Römer und Eon Nagegerg Bourke-Weiß seine Nähe suchten, um ihn in ihre faden reenactments hineinzuziehen:»Ich bin Phobos, er ist Deimos«, quakte Raphaela dann gern, oder Eon sagte:»Sie ist Aneros, ich bin Eros«, und Sankt Oswald durfte den Doppelstecker geben, das Scheibchen Geist zwischen zwei Hälften Fleisch, oder man übertrug ihm die Regie, wenn die beiden Abstoßenden aus so einer Sache wieder einmal einen Film zu machen begehrten, vielleicht sollte er beißwütige Kinder aus den Gräben zwischen den Burgen besorgen, Echsen und dergleichen, für Mißbrauch, Unzucht, Schabernack.

Die brachten sich dann in Käfigen rings um die erotisch ineinanderverschlungenen Aristoi gegenseitig um, unter Geschrei, in das sich das unaufrichtige Gestöhn der beiden Widerlichen mischte, weil das nun einmal deren törichte Vorstellung von Verworfenheit war…

Pfui, diese Aufdringlichkeit, mit der sie nach der Frau fragten, weil die, das ewige Gerücht auf zwei Beinen, laut überall in den beknackten Kreisen geflüsterten Vermutungen, so oft wußte, wie es weiterging: Was an politischen, meteorologischen oder langfristig klimatischen Beränderungen auf dem Mars anstand, wer demnächst sterben würde, wer geboren würde, um ein Held zu sein, was für Kunst in den Burgen die nächsten Sommer dominieren würde — von Seherinnen wie ihr ging in allen Burgen längst die Rede, sie mischten sich in alles mögliche ein; nur Sankt Oswald wußte, daß es immer dieselbe war, nämlich eben die, die er kannte.



Eon und seine Schnatze ließen bei aller Neugier nie auch nur das geringste Anzeichen merken, daß sie seine Behauptung, er sei einer der wenigen, die von einer der Seherinnen (nun ja) Besuche erhielten, für bare Münze nahmen. Aber Löcher fragten sie ihm trotzdem in den Bauch: Wird Prangel noch mehr rote Filme machen, die man kaum erträgt, wird es sehr heiß werden, wann ist das neue Kristallbecken fertig?



«Was soll ich den Herrschaften antworten?«begehrte der Konische zu wissen.

Sankt Oswald ächzte, befangen, zermürbt:»Aaah Dreckpapier. Sag ihnen halt, heut ist es schlecht, ich warte auf… äh, bäh: einen ganz besonderen Gast«, wenn schon widerlich, dann richtig.

Der Konische rumpelte davon und ließ Sankt Oswald mit dem Gedanken zurück: Ich hab den Kopf voll Stroh / und das gehört sich so.

Bevor er Gelegenheit fand, sich gänzlich in Reue aufzulösen, fuhr ihm Klavierkrach aus dem Musikzimmer in die hölzernen Glieder — eine Visitenkarte, nicht mißzuverstehen: Die saumselige Seherin war eingetroffen.

4. W

Wie üblich alterslos — Anfang zwanzig, Mitte dreißig? — , weißhaarig, barbusig — immerhin nicht nackt, wenn auch ohne Schuhwerk, sie trug eine schmutzige Uniformhose, die freie Haut war verschmiert mit Ruß und Asche, glänzte auch, als hätte sie sich in der Nähe eines umluftintensiven Ofens aufgehalten —, wie üblich mit dem silbernen Kettchen um den Hals, an dem, mit kleinsten Diamanten besetzt, ein Schmuckstück hing, ein altes Symbol — das Lautzeichen» W «in einer der alphalinearen Schriften der untergegangenen Menschheit —, so sah Sankt Oswald beim Eintreten ins Musikzimmer seine Wohltäterin am Flügel sitzen, wo sie mit ungeheuer flinken, sensiblen, aber starken und gelenkigen Fingern ihre Witze mit dem älteren Erbe trieb.

Der heutige Mumpitz begann mit einer gehässigen, aber sehr lustigen Parodie der Art und Weise, wie Glenn Gould die Bachschen Goldbergvariationen als junger Mann zu spielen pflegte, setzte sich fort in ein paar Takten Debussy, ging zu Jazz und Gershwin über, dann Fragmenten aus Nocturnes von Chopin, und zum Abschluß, als die ausgestopfte Clownspuppe, der dieser Flügel gehörte, sich räusperte, um Frau Späth darauf aufmerksam zu machen, daß der Hausherr seinen Anspruch aufs Zurkenntnisgenommenwerden anmeldete, fummelte die Komponistin, jetzt merklich lustloser, an ein paar Volksmelodiekleinigkeiten von Witold Lutos|lawksi aus jenem denkwürdigen Jahr herum, als die vorletzte der Hypermachien der Langeweile zu Ende gegangen war.

«Na, alter Krauter, wacklig auf den Knien?«begrüßte sie ihn und stand auf.

Ein Roboter servierte ihr ein Glas gekühlten Tee mit zwei Zitronenscheiben.

«Ich brauche wirklich wieder Holz von Livienda, wenn Sie das meinen.«

«Ah, shit, yeah, tut mir leid. Fuck you, fuck your parole officer. Hab ich vergessen. Hm, nee, also, bring ich noch — das heißt, ich werd's gestern gebracht haben, sonst kommt mein itinerary komplett durcheinander — frag mal deinen Hausmeister, das geht dann… wird dann klargegangen sein.«



Die Puppe faßte sich wie geistesabwesend an den Hals, legte einen empfindlichen Schalter um und flüsterte in eine kopfintegrierte Wechselsprechanlage. Der Apparat bestätigte, daß Frau Späth gestern nacht bereits getan hatte, was hier eben erst als Entschluß gefaßt worden war: Die Scheite und Zweige lagen, in ein schwarzes Samttuch eingeschlagen, auf dem Balkon des zweitobersten Stockwerks von Sankt Oswalds Wohnturm.

«Na schönen Beinschienenbruch und vielen Dank auch«, verbeugte der sich steif,»dann wird das ja ein kurzer Besuch, von wo auch immer her Sie heute zu mir kommen, in diesem… leicht besengten Zustand.«

Die Komponistin kippte den Eistee auf Ex, wischte sich mit dem Handgelenk den Mund, zwinkerte der Puppe zu und sagte:»Pföh, sei mal lieber froh, Kasperle, daß ich dich nicht als meinen Leibwächter auf solche Touren mitnehm. Obwohl's noch eine ganze Weile hin ist, würde dir die Zeit nicht reichen, dich innerlich vorzubereiten auf das, was ich gestern nacht… oder in zweihundert Nächten, wenn wir dein Maß zugrundelegen… erlebt habe, öhm, oder erleben werde… erlebt haben werden werde? Grammatik, du liebe Zeit.«

Wirklich neugierig war er nicht, aber eine Art ausgeleierter Ergebenheit der Frau gegenüber hielt ihn dazu an, artig nachzufragen:»Und was sind das so für Erlebnisse, die Sie… gewesen… sein… was… wird werden…? Sie sehen aus, als wären Sie mitten ins experimentum gestolpert.«

Beim Näherkommen fiel ihm auf, daß er den Schmutz auf ihrer Haut nicht ganz richtig gedeutet hatte: Es handelte sich nicht allein um Ruß oder zerstäubte Ascheflocken, da waren auch Blessuren, blaue Flecken, Schrammen, ein paar Blutergüsse. Sie bemerkte seinen Blick und bleckte die strahlend weißen Zähne:»Ins was? Ins Ex… ach so, na, ihr Marsmännchen und euer verrückter Kleintierzoo. Dabei kann man hier gar nicht entscheiden, ob die Evolution nun… gerichtet ist oder nicht, denn das, was hier passiert, ist doch sowieso alles gerichtet — hat 'nen klaren Zweck: Den Samen, wie man biblisch gesagt hätte, zu bewahren, bis er aufgeht, weil er ja aufgehen muß, denn sonst… Und dieser Zeitpunkt, der des Aufgehens, nicht, merke, mene, und mene, und ähm tekel auch noch, ist natürlich jetzt gekommen, klar. Deshalb bin ich hier, deshalb bin ich dort, deshalb rüttel ich mich, deshalb schüttel ich mich, und deshalb werf ich mein Säcklein dann wohl auch demnächst hinter mich. Ach so, und übermorgen hol ich der Königin ihre zwei beknackten Kinder.«

Er hatte nur ein Wort verstanden, das wiederholte er fragend, beklommen:»Dort? Wo, dort?«

«Da geht's hoch her, im Weißen Tiger — ein Riesenaffe hat die Stadt zerlegt, und ich war da, um die zwei Königskinder zu beschützen, um aufzupassen und gegebenenfalls… einzuspringen, wenn sie sich in Lebensgefahr…«

«Die zwei Kö…«

«Feuer und Padmasambhava, Prinz und Prinzessin, oder umgekehrt, von mir aus, na, die letzten Sprossen auf der Schlangenleiter, die… na ja, derentwegen das hier alles«, sie machte eine weit ausholende Geste mit dem schlanken Arm, das W zwischen ihren Brüsten glitzerte,»irgendwie… ist. Oder sein… gewesen sein wird. Mmpf.«

Er hatte keine Silbe verstanden:»Also bitte, Sie waren wo, in einem Tiger drin?«

«Mensch, Alter. Was denn? In einer Stadt. Die Witzfiguren drüben, auf der Venus, haben versucht, die drei Städte wieder… ah, es hätten vier sein sollen, der Gerechtigkeit halber — erinnerst du dich noch an den Esel Storikal? Die vier Helden? Bevor es dann wieder nur die drei Helden wurden, vor der Revision, vor der Kosmonauten-Triade, die euch alle, Gente und Entourage, auf den kalten Felsen gelockt hat, als Trittblock zum…«

«Huan-Ti. Hecate. Anubis«, nickte die Gliederpuppe.

«Ja, eins mit Stern, aber sag mal, Männchen, hast du Früchte hier? Oder Fleisch? Bißchen was vom Schwein, ein paar spare ribs…«

«Sie wissen doch, daß diese Arten…«

Sie winkte ab:»Geschenkt, aber gibt's nicht irgend…«

Er war leicht verärgert, der penetranten Duzerei wegen, ließ sie das aber nicht direkt spüren, sondern blieb höflich:»Ich könnte Ihnen ein Stück Nashornkuh, nun, ein paar Rinden vielleicht…«

«Abgemacht«, sagte Frau Späth und folgte ihm an seinen Frühstückstisch.



Da wurde recht viel aufgetragen, Gang um Gang, bis sie die Hand hob,»ordentlich vollgefressen«, wie sie sagte, hübsch verschmierten Mundes:»Gesottenes, Gebratenes und fruchtige Erfrischungen. Ihr habt einen Himmel beieinander, der sich gewaschen hat, so sieht's aus.«

Er seufzte.

Sie winkte ab:»Bene. Bene Gente. Jetzt kann ich mal zur Sache kommen, nicht? Also: Das Programm, eher: die letzte Stufe, ist gezündet. Die Kleinen sind, wie vorgesehen, genau in dem Moment geschlüpft, als das sonnensystemweite Nachrichtensystem, der ganze alte Relaiskrempel, zu der Überzeugung gelangt war, daß die Transformation der Erde fürs erste… abgeschlossen ist. Sie sollen jetzt nach dem Rechten sehen, die zwei, Padmasambhava und Feuer.«

«Nach dem Rechten.«

«Als Kundschafter der Erben der Gente, als Vorhut auch, als lebendige Archen, was du willst. Hör mal, das hab ich dir doch alles längst«, er nickte, etwas zu eifrig vielleicht, aber die Geschichte war ihm immer schon ominös gewesen, er wollte sie nicht öfter hören als absolut unvermeidlich.

«Und deshalb, siehst du, muß ich mich um sie jetzt kümmern — die beiden werden ja irgendwann die Geschlechter wechseln, damit die ganze abgeschmackte Oper ihre Form wahrt, wie sie sich der Löwe und der Fuchs damals für mich ausgedacht haben, als zwei Seiten derselben Person, zwei Personen derselben Seite, aber der Einfachheit halber red ich von den kids jetzt mal so, wie sie grad sind — er, wie gesagt, ist untergebracht bei den Dachsen, das heißt dem, was auf der Venus aus den Jungs und Mädels von Georgescu wurde. Aber sie, die Kleine, ist noch nicht richtig auf dem Gleis, um die müssen wir uns persönlich kümmern.«

«Das heißt, jetzt ist der Zeitpunkt da, an dem ich Ihnen zur Hand gehen soll, ja?«

«Ich kann's schlecht selber machen. Zu viele Orte, zu viele Zeiten, wo ich verlangt werde, seit ich den Deal mit Livienda abgeschlossen habe, ihren äh Nachlaß zu verwalten, bis der ganze Mist… bis sich die Erzählung schließt. Ich nehm so was sehr ernst, mein Wort geb ich nicht jedem, wenn's mal gegeben ist, wird's auch gehalten, pacta sunt servanda. Andererseits: Man muß delegieren können, und deshalb hab ich dich all die saecula schön am Leben gehalten, lieber Pinocchio.«

«Ich soll mich…«, sie sah aus dem Fenster, schien zu träumen, er wurde lauter:»Frau Späth?«

«Ah? Presente. Ja. «Sie blinzelte, als wäre sie mit den Gedanken tatsächlich bereits weiter weg gewesen, als irgend jemand sonst zu denken wagte (was wahrscheinlich stimmte, gruselte er sich).

Sankt Oswald sagte:»Das heißt, ich werde nun… Pram…«

«Padmasambhava, right. Eine kleine rote Echse. Hör mal, also du wirst folgendes machen«, sie lehnte sich nach vorn. Er bewunderte die Schönheit ihrer Schultern und achtete auf jedes Wort der Instruktion:»Du wirst ein paar Roboter mieten, um für eins deiner doofen Spiele mit diesen Zuddelköpfen da…«

«Meine Spiele sind das nicht…«, wehrte er schwächlich ab, sie ging drüber hinweg:»… für eins davon ein paar Echsen zu fangen. Aber du wirst die Fänger so vorbereiten, daß sie nur mit einer einzigen Echse zurückkommen. Mit ihr. Dann aber wirst du sie nicht etwa bei dir aufnehmen — tust du das, traut sie dir nicht und läuft dir weg, sie ist ein bißchen widerborstig, das hat sie von ihrer Mutter —, sondern du schenkst sie einem deiner Nobelfreunde… diesem, wie heißt der Trottel, Eon vielleicht?«

Er zog ein starrkrampfartiges Gesicht, sie nickte knapp,»Genau, na bitte. Und der wird's natürlich komplett vermasseln mit ihr… ich meine, er wird schnell begreifen, daß sie für seinen Zirkusquatsch zu außergewöhnlich ist, und also wird er sich in den Kopf setzen, sie zu erziehen, sie bei den Aristoi einzuführen, ist ja schon vorgekommen…«

Sankt Oswald schnaufte schwer — in der Tat, das war der beliebte Stoff von sehr viel Kitsch und schlechter Kunst in den Burgen: Wie wir die wertvollen Späne, die manchmal aus dem Flammenmeer des experimentum crucis fliegen, bei uns bergen, wie wir Echsen zu Aristoi machen…



«Und dann wird sie ihm aus dem Ruder laufen. Da schlägt deine Stunde. Du fängst sie ab. Sammelst sie ein. Und erziehst sie, bildest sie, aber richtig, gemäß einem curriculum, das ich dir übermitteln werde.«

«Wann?«fragte er, um wenigstens durch Ungeduld ein bißchen Eigenständigkeit zu demonstrieren.

«Alles zu seiner… eher: meiner Zeit, es ist wie bei der Musik«, sie lächelte,»eine Frage des Taktes, nicht. And I'll be a friend to my friends who know how to be friends. Und jetzt hätte ich mich gern geduscht — erzähl mir nicht, daß ihr in euren fabelhaften Schlössern kein fließendes Wasser habt?«

«Mit Duft- und Reinigungszusätzen«, flötete er säuerlich.

«Prächtig, Brettchen«, schmatzte die Unbegreifliche und schlug ihm im Aufstehen die flache Rechte ins Kreuz, daß er dachte, er müßte zersplittern.

5. Entrée

Wenn man der späteren Schönfärberei der offiziellen Quellen nicht auf den Leim gehen will, dann darf man über Padmasambhavas Ankunft in der schönsten der Burgen eigentlich nicht sagen, die Echse habe sich dort durchgesetzt oder einen Kampf um Anerkennung und Zutritt gewonnen, auch wenn ihr selbst, erzogen zur agonalen Auffassung vom Leben durch Jahre des Tötens, eine solche Wertung naturgemäß nahelag.

Sie bewegte sich in Wirklichkeit zu keinem Zeitpunkt zielstrebig auf die Burg VII in Hellas Planitia zu; es handelte sich eher um eine Art Drift.



Als sie schließlich vor den Toren jener Burg in einer Kurzkoalition mit etwa sieben anderen Echsen einer anstürmenden Übermacht von zweiundvierzig weiteren trotzte, unter die sich außerdem ein halbes Dutzend opportunistischer Herzhunde gemischt hatte, drei Tage lang, heldenhaft, aber wie bei allen derartigen Widerstandsakten fast völlig sinnlos, näherten sich von den Zinnen der Burg her plötzlich neun schwarzglänzende Kampfroboter, unter gewaltigem Rotorenlärm. Erst nahmen sie Padmasambhavas Feinde unter Sperrfeuer, bis deren kümmerlicher Resthaufe sich vom Schlachtplatz zurückzog.

Dann belegten sie die bereits vorschnell triumphierenden Bündnispartner der kleinen roten Echse mit schnellem und dichtem Beschuß. Die sanken hin, wurden zerfetzt, aber die Feuerleittechnik der Burgenroboter war so präzise, daß Padmasambhava nichts geschah. Sie überlegte, ob sie fliehen sollte, rechnete ihre Optionen durch, wählte sogar, in diesem Chaos ein ganz besonders tollkühnes Manöver, das Buch des Lebens an, um mit ihm Zwiesprache zu halten. Zum ersten Mal antwortete es nicht.



Padmasambhavas rechter Flügel war gebrochen.

Der linke hing, von den Feinden verletzt, in blutigen Streifen von ihrer Schulter. Dazu lahmte das linke Bein, und ein paar Zähne waren auf der linken Seite, vornehmlich am Unterkiefer, von einem Schwertknauf eingeschlagen. Die fehlenden würden noch stundenlang nicht nachwachsen, Biß hatte sie keinen mehr. So warf sie ihre losen Waffen von sich, stellte sich aufrecht hin, faltete die Schwingen vor Gesicht und Brust zusammen und wartete, was geschehen würde.



Die Roboter putzten den Rest der Schützengräben und der übrigen, mehr oder weniger gut befestigten Stellungen aus. Dann erst verstand Padmasambhava, die bislang damit gerechnet hatte, daß das Ganze einfach eine ungeheuer brutale Säuberungsaktion werden würde, mit der man die Grabenbewohner daran erinnern wollte, daß sie den Burgen nicht zu nahe kommen sollten, was hier tatsächlich geschah:

Man schießt nicht auf mich. Die Maschinen fliegen im Kreis, es wird überlegt, wo man landen kann und mich aufnehmen. Man will mich lebendig.



«Bist du stolz darauf, daß sie dich holen wollen?«Es war das Buch.

«Ich weiß nicht. Ist das hier ein… Zwischenergebnis fürs experimentum

«Sag du es mir.«

«Na, ich habe überlebt — survival of the fittest, wie's in der alten Sprache heißt. Sie werden mich wohl reinbringen, um mich zu untersuchen und von mir zu lernen.«

«Du meinst, ob die eine, die andere oder die dritte Schule recht hat, läßt sich ausgerechnet am Lebensweg und Schlachtenglück einer kleinen roten Echse aufweisen?«



Um darauf antworten zu können, ging Padmasambhava in einem alten Ordner ihrer Spintronik noch einmal durch, was sie über die drei Schulen wußte, zwischen deren Lehrmeinungen das experimentum crucis entscheiden sollte.

Die ersten beiden waren Vertreter des noch in der Langeweile entstandenen» Darwinismus «gewesen, einer Theorie von Replikation, Variation und Selektion, aus der die erste dieser zwei Schulen das Prinzip der adaptiven Komplexität abgeleitet hatte: Alle Eigenschaften, die sich als materielle oder Softwaredispositive einer evolutionär stabilen Strategie sowohl auf onto- wie auf phylogenetischer Ebene bewährten, trugen nach dem Muster des Wegs des geringsten Widerstands kumulativ zu einer irreversiblen Höherentwicklung, nämlich einem ständigen Komplexitätszugewinn durch neu auftretende Spezies bei.

Die zweite Schule glaubte an keinen derartigen Fortschritt, sondern betonte das löchrige, nur von Katastrophen punktierte Gleichgewicht, in dem sich die evolutionär stabilen Attribute der diversen Spezies im synchronen Vergleich stets befänden, und hielt einige neu aufkommende Eigenschaften fürs Ergebnis eben nicht einer Adaption, sondern einer Exaption, einer Nutzung von aus ganz anderen, ziemlich beliebigen Gründen einmal aufgekommenen Veränderungen durch Individuen oder Populationen, ohne daß dieser Vorgang irgendwie gerichtet wäre: reine Glücks- oder Unglückssache.



Die erste Schule warf der zweiten Blindheit gegen den Zeitpfeil und die Feinmechanik der Auslese vor; die zweite der ersten orthogenetische Romantik und Perfektibilismus.



Erst als die dritte aufkam und eine Synthese von Biologie und Informatik versprach, am äußersten späten Ende der Langeweile, hatte die Streitfrage das Niveau erreicht, auf dem es sich lohnte, einen Riesenversuch zur Klärung zu unternehmen,»und zwar am besten auf dem Mars, denn wenn wir jungfräuliche Welten schon neu besiedeln, dann wollen wir dabei doch auch was lernen«(so die Erfinderin des Plans).

Die dritte Schule hielt Selektion an sich für etwas, das weder adaptive noch exaptive Komplexität mit Notwendigkeit hervorbrachte, ja für ein im Grunde marginales Phänomen. Ihre Vertreter glaubten, ein paar basale computationale Prinzipien, besonders im Bereich einfacher Automaten, entdeckt zu haben, nach denen aus bestimmten Grundregeln der Reproduktion zwangsläufig bestimmte hochorganisierte Komplexitätsformen entspringen mußten.



Der Ursprung der Sezession der dritten Schule vom darwinistischen Hauptstrom der Entwicklungslehre hatte mit Muschelformen zu tun.

Ein kluger Vertreter einer der ersten beiden Schulen hatte mathematisch zu demonstrieren versucht, daß es zwar Tausende potentieller Muschelformen gab, aber nur sechs davon tatsächlich vorkamen, ein Beweis, so glaubte er, für die Macht der Selektion. Darauf hatte ein anderer Mensch, nämlich der Hauptbegründer der späteren dritten Schule, mit einer anderen mathematischen, an primitiven elektronischen Computern durchgerechneten Demonstration geantwortet, deren Ergebnis lautete: Der Kollege hat einen Fehler gemacht, es gibt tatsächlich nur sechs wirklich mögliche Formen, und alle existieren in der Natur.

Man braucht also, so das hieran anschließende Argument, die Zusatzannahmen der Selektionslogik nicht, um im Laufe eines Entwicklungsgangs bei den robusten Bauplänen anzukommen, die bekannt sind. Organismen, so die dritte Schule, entwickeln sich seitwärts, vorwärts, rückwärts, um alle möglichen Gestalten anzunehmen, die nach den Regeln der Automaten überhaupt in Frage kommen, deren Konkretion sie sind.

Gilt das, was die dritte Schule lehrt, auch für meinen Weg in die Burg?

Ist der so eine Form, so ein Muster?

Padmasambhava beschloß, sich auf diese Debatte nicht einzulassen.

Zwei der neun Flugmaschinen feuerten weiterhin in die Ebene, um nunmehr nachdrängende Kriegerinnen und Krieger abzuhalten, während eine dritte Maschine sich jetzt, leicht schwankend, wie eine große Himmelsschaukel vor der kleinen roten Echse im Sand niederließ, ihr Maul öffnete und mit Lichtern blinkte, die der Überlebenden bedeuteten, sie sei innen willkommen.

Padmasambhava nahm die Einladung an.

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