Zweiter Satz: Luchs, wach über mein Feuer (Scherzo)

Cy:… weshalb ich mich oft gefragt habe, ob diese Parole — die Abschaffung der Arten — nicht auch eine Einfallspforte war für alle möglichen Varianten weltfremder Träumerei, voluntaristischer Abweichungen, phantastischer Irrlehren…

Iz: Und antileonischer Ideologien.

Cy: Nun ja. Wir haben nicht nur gelehrt, daß jedem Zeichen eine Bedeutung nur insoweit zukommt, als es eine Rolle spielt in einer Kette von Schlüssen — als Folgerung oder Voraussetzung —, sondern daß das, was für Zeichen gilt, auch für Information, wie die genetische, gelten muß. Das Genom enthält implizit alle Taxa, die von ihm ausgehend begründet werden können, und ist selbst Resultante eines adaptiven Prozesses. Wer ich bin, das enthält den Implex, der ich erst werden muß. Der Löwe sein, das ist selber schon antileonisch, diese Autorität verlangt ihre Aufhebung.

Iz: Subtiler Punkt, Majestät. Daß alles nur nach Schlüssen zählt — das ist ein sehr radikaler…

Cy: Inferentialismus, ich weiß. Aber mit seiner Hilfe haben wir alles fungibel gemacht — es gab die Arten noch, nach der Befreiung, natürlich, als Merkmalsbündel von Bauplänen, als phänotypische Kürzel, als Zeichen im inferentiellen Prozeß der Evolution. Man konnte sich das zwar jetzt aussuchen, aber ein Hund war ein Hund, ein Spatz ein Spatz…

Iz: Eine Rose war eine Rose war eine…

Cy: Aber die Genotypen, die waren Bestandteil der Domäne des Willens geworden, und so von da aus alle anderen Ordnungseinheiten, Familien, Klassen, Stämme, die höheren Taxa, an deren alten Verbindungen sich doch so gründlich der große naturgeschichtliche Zusammenhang hatte lernen lassen, die Nichtzufälligkeit, das alles, an dem sich der Verstand schön schärfen ließ. Daß es eine reiche, lebendige Welt gibt, in der alles kausal zusammenhängt und mit rechten Dingen zugeht, verstehbar, ohne daß irgendeine unheimliche Hand es lenkt.

Iz: Während jetzt Eure Pfote…

Cy: Aber ich wollte mich eben von einem Grundsatz leiten lassen, der mir immer sehr gefallen hat: Daß man das zufällig Gewordene studieren und ernst nehmen soll, aber nicht verehren. Im Gegenteil, wer es verehrt, ist verrückt — so hat mir das die Komponistin beigebracht, mit einem ihrer schönsten Sätze:»Blutsverwandtschaft ist eine Geisteskrankheit.«



Aus den Löwengesprächen, III/18

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