Kapitel 10

Als ich am nächsten Tag, also am Mittwoch, auf der Rennbahn in Newbury ankam, zog Lance Kinship an der Spitze eines Gefolges von Kameraleuten, Tontechnikern und sonstigem Fußvolk durch die Gegend. Im Umkleideraum erfuhren wir, daß er mit dem Segen der Rennbahnleitung Probeaufnahmen für einen Film machte, und daß man von uns Jockeys Entgegenkommen erwartete. Wir brauchten nicht unbedingt bei jeder Gelegenheit in die Kamera zu grinsen, aber wir sollten darauf achten, die Leute nicht über den Haufen zu rennen, wenn sie uns zwischen die Beine kamen.

Ich hängte mir unter meinem Regenmantel die Nikon um den Hals und machte unauffällig ein paar Aufnahmen von dem Filmteam.

Eigentlich waren Kameras bei Rennen nicht erwünscht, es sei denn in den Händen anerkannter Fotografen, aber auf den meisten Rennbahnen störte man sich nicht weiter daran, wenn die Zuschauer Schnappschüsse machten, solange es nicht im Mitgliederbereich geschah. Da ich schon so lange fotografierte, ließen die meisten Rennplatzleiter mich großzügig gewähren. Nur in Royal Ascot gab es ein striktes Verbot für Amateurfotografen. Es war der einzige Ort, wo die Leute ihr Schießgerät am Eingang abliefern mußten, wie Revolverhelden, die in eine kugelfreie Stadt einritten.

Lance Kinship sah aus, als hätte er sich mit aller Kraft bemüht, nicht wie ein Filmregisseur auszusehen. Statt seiner olivgrünen Wildlederjacke, aus der vermutlich gerade in der Reinigung die Blutflecken entfernt wurden, trug er einen bräunlichen Tweedanzug, gekrönt von einem braunen Filzhut, den er in einem altmodischen Winkel aufgesetzt hatte, dazu ein kariertes Hemd, eine dezente Krawatte und ein Fernglas. Ich fand, er sah aus, als hätte er sich als Edelkomparse für seinen eigenen Film besetzt.

Er dirigierte seine Truppe mit wichtigtuerischer Stimme und unentschlossenen Gesten. Daß er überhaupt Autorität besaß, sah man nur an der Anspannung, mit der die Leute ihm zuhörten und ihm jedesmal, wenn er sprach, die Augen zudrehten. Ich machte ein paar Aufnahmen von diesem Phänomen: abgewandte Köpfe, die die Augen nach ihm verdrehten. Mir ging durch den Kopf, daß diese Bilder veranschaulichen könnten, wie Leute jemandem gehorchen, den sie nicht leiden können.

Bei den Sattelboxen, wo das Team filmte, wie die Trainer vor dem ersten Rennen die Sättel festschnallten, sah sich Lance Kinship dann genau in dem Moment um, als ich abdrückte, und starrte in meine Linse.

Er schlenderte zu mir hinüber und sagte ärgerlich:»Was machen Sie da?«, obwohl das ziemlich offensichtlich war.

«Ich seh mich nur um«, sagte ich harmlos.

Er musterte meine Stiefel, meine weißen Reithosen und mein rotgelbes Hemd, das ich unter dem Regenmantel trug.

«Ein Jockey«, sagte er wie zu sich selbst. Er beguckte sich durch seine schwarzgerahmte Brille meine Kamera.

«Eine Nikon. «Er hob den Blick und runzelte die Stirn, weil ihm mein Gesicht irgendwie bekannt vorkam.

«Wie geht’s der Nase?«sagte ich höflich.

Er grunzte, als er mich endlich einordnen konnte.

«Passen Sie auf, daß Sie nicht ins Bild kommen«, sagte er.»Sie sind nicht typisch. Ich kann keine Jockeys brauchen, die eine Nikon mit sich rumschleppen, das versaut uns das Filmmaterial. Klar?«

«Ich paß schon auf«, sagte ich.

Er schien drauf und dran zu sein, mich wegzuscheuchen, blickte dann aber von einer Seite zur andern, stellte fest, daß ein paar Rennbahnbesucher zuhörten, und besann sich eines besseren. Mit einem kurzen mißbilligenden Nicken wandte er sich wieder seiner Mannschaft zu, und kurz darauf zogen sie weiter und machten sich daran, die gesattelten Pferde aufzunehmen, die in den Führring einliefen.

Der Chefkameramann trug seine große Filmkamera auf der Schulter und machte fast alle Aufnahmen aus dieser Position. Ein Assistent lief mit einem Stativ in der Hand einen Schritt hinter ihm her. Ein Toningenieur trug das schwarzgraue, wurstförmige Mikrophon, und ein zweiter fummelte unablässig an den Reglerknöpfen eines Verstärkers herum. Ein junger Mann mit krausen Haaren bediente die Klappe, und ein Mädchen machte ausführliche Notizen. Sie zogen den ganzen Nachmittag durch die Gegend, kamen jedem ins Gehege und entschuldigten sich tausendmal, so daß keiner es ihnen übelnahm.

Sie befanden sich am Start, als ich auf einem verrückten Nachwuchs-Steepler für Harold antrat, und glücklicher-weise weitab vom achten Hindernis, an dem der Steepler die Vorderbeine auf der Absprungseite in den offenen Graben setzte und das Birkenried fast kopfüber überquerte. Irgendwann während dieses wilden Purzelbaums fiel ich aus dem Sattel, befand mich aber Gott sei Dank nicht unter der halben Tonne Pferd, als sie zu Boden krachte.

Es lag einen Moment lang da, erschöpft und keuchend, so daß ich genügend Zeit hatte, die Zügel zu packen und dem Pfleger die frustrierende Arbeit zu ersparen, es wieder einfangen zu müssen. Manche Pferde liebte ich, andere nicht. Das hier war ein ungeschickter, störrischer Gaul mit einem harten Maul am Anfang seiner vermutlich langen Karriere als schlechtes Springpferd. Ich hatte ihn in seinem Stall mehrere Male geschult und kannte ihn nur zu gut. Wenn er ein Hindernis gut erwischte, gab es keine Schwierigkeiten, aber wenn er falsch ankam, ignorierte er sämtliche Hilfen zur Schrittkorrektur; und jedes Pferd kam hin und wieder falsch am Hindernis an, wie geschickt sein Reiter auch sein mochte. Ich dachte, daß ich über jedes Rennen froh sein konnte, das er zum Abschluß brachte.

Resigniert wartete ich, bis er wieder auf den Beinen war und ein bißchen herumtänzelte, dann stieg ich wieder auf und ritt ihn zu den Tribünen zurück, wo ich für den niedergeschlagenen Besitzer ein paar aufmunternde und für Harold ein paar ehrliche Worte fand.

«Sag ihm, er soll seine Verluste abschreiben und sich ein besseres Pferd zulegen.«

«Das kann er sich nicht leisten.«

«Er verschwendet sein Geld fürs Trainieren.«

«Allerdings«, sagte Harold,»aber wir werden uns hüten, ihm das zu sagen.«

Ich grinste ihn an.»Hast recht.«

Ich trug meinen Sattel in den Waageraum, und Harold zog los, um mit dem Besitzer einen Trosttrunk zu nehmen. Harold brauchte das Geld, das er fürs Trainieren bekam. Ich brauchte das Geld, das ich fürs Reiten bekam. Der Besitzer bezahlte für einen Traum und betrog sich selbst. Das passierte im Pferderennsport jeden Tag, immerzu. Nur gelegentlich ging der Traum herrlich und ergreifend in Erfüllung, und wenn das geschah, konnte man die Augen der Besitzer wie Sterne funkeln sehen. Dem Himmel sei Dank für die Besitzer, dachte ich. Ohne sie gäbe es keine Rennen.

Als ich dabei war, meine Straßenkleidung wieder anzuziehen, kam jemand zu mir und sagte, daß draußen ein Mann nach dem Jockey mit der Kamera fragte.

Ich sah nach und erblickte Lance Kinship, der ungeduldig auf und ab lief.

«Da sind Sie ja endlich«, sagte er, als hätte ich ihn absichtlich warten lassen.»Wie heißen Sie?«

«Philip Nore.«

«Na, Phil, wie wär’s? Sie haben heute ein paar Fotos gemacht. Wenn Sie gut sind, kaufe ich Sie Ihnen ab. Was meinen Sie dazu?«

«Na ja. «Ich war verwirrt.»Ja, wenn Sie wollen.«

«Gut. Wo ist Ihre Kamera? Holen Sie sie schon, los! Das Team ist drüben beim Ziel. Machen Sie ein paar Aufnahmen davon, wie sie das Finish des nächsten Rennens filmen. Klar? Klar?«

«Ja«, sagte ich benommen.

«Na, dann los. Los doch.«

Ich holte die Kamera aus dem Umkleideraum und stellte fest, daß er immer noch nicht weg war, es aber offensichtlich eilig hatte. Ich sollte rübergehen und den besten Winkel suchen, erklärte er, und ich hätte nur eine Chance, weil die Truppe gleich zum Parkplatz hinausginge, um zu filmen, wie die Rennbahnbesucher nach Hause fuhren.

Er hatte offenbar versucht, einen regulären Rennbahnfotografen für die Aufgabe zu gewinnen, aber sie hatten ihm gesagt, sie seien zu beschäftigt.

«Da sind Sie mir eingefallen. Es ist einen Versuch wert, habe ich mir gedacht. Mit der Kamera werden Sie ja wohl ein scharfes Bild hinkriegen?«

Wir gingen schnell. Ab und zu verfiel er in eine Art Trab, und sein Atem wurde kürzer. Seine geistige Energie aber war unerschöpflich.

«Wir brauchen die Fotos für unsere Publicity. Klar?«

«Verstehe«, sagte ich.

Seine Worte und sein Gehabe standen dermaßen im Gegensatz zu seiner Aufmachung, daß das ganze Unternehmen mir reichlich unwirklich vorkam. Es paßte wahrlich nicht zu einem vielbeschäftigten Filmproduzenten (ob er nun Schnüffel-Partys mit Kokain versorgte oder nicht), wie ein Landjunker herumzulaufen, und nicht zu einem tweedtragenden Landjunker, die Vokale zu vernuscheln und die Konsonanten zu verschlucken. Das >klar?<, das er so gern benutzte, wurde ohne das abschließende >r< ausgesprochen.

Ich fragte mich, warum er keinen eigenen Fotografen mitgebracht hatte, wenn er Publicity-Fotos brauchte, und sprach ihn darauf an.

«Stimmt«, sagte er.»Ich hatte einen organisiert. Aber der ist gestorben. Danach habe ich die Sache aus den Augen verloren. Wie ich Sie heute gesehen habe, ist es mir wieder eingefallen. Hab die Pressefotografen gefragt. Nichts drin. Hab an Sie gedacht, klar? Hab sie ausgefragt über Sie. Haben gemeint, daß Sie gut sind, daß Sie’s bringen könnten. Vielleicht sind Sie ’ne Niete. Wenn Ihre Bilder nichts taugen, kauf ich sie nicht, klar?«

Er schnaufte über die Rennbahn bis zum Ziel am anderen Ende, und ich fragte ihn, welcher Fotograf gestorben war.

«Bursche namens Millace. Kennen Sie den?«

«Ich habe ihn gekannt«, sagte ich.

«Er hat gesagt, er würde es machen. Ist bei einem Autounfall gestorben. So, da wären wir. Beeilung. Nehmen Sie auf, was Sie wollen. Sie haben doch einen Farbfilm drin?«

Ich nickte, und er nickte und wandte sich ab, um seiner Mannschaft Anweisungen zu geben. Sie hörten ihm wieder mit leicht zur Seite gedrehten Köpfen zu, und ich entfernte mich. Lance Kinship war nicht der Typ, den man auf Anhieb mochte, aber ich hatte erneut stark den Eindruck, daß seine Mannschaft eindeutig unzufrieden war. Fotos, die diese Haltung offenbarten, würde er auf keinen Fall kaufen, dachte ich trocken, also wartete ich, bis die Truppe ihn nicht mehr ansah, und lichtete sie bei ihrer Arbeit ab.

Lance Kinships Atmung normalisierte sich, und er verschmolz wieder mit dem Rennbahn-Ambiente, als wäre er

dort hineingeboren. Im Grunde seines Herzens ein Schauspieler, dachte ich; aber im Gegensatz zu einem Schauspieler spielte er seine Rolle im wirklichen Leben, was sonderbar erschien.

«Was für einen Film machen Sie?«fragte ich.

«Probeaufnahmen«, sagte er wenig mitteilsam.»Hintergrund.«

Ich gab es auf und umkreiste das Team, um brauchbare Blickwinkel ausfindig zu machen. Die Pferde kamen auf die Rennbahn, absolvierten den Aufgalopp, und der kraushaarige Knabe mit der Klappe, der zufällig neben mir stand, sagte plötzlich unerwartet heftig:»Man könnte meinen, er ist Gott der Allmächtige. Man könnte meinen, wir drehen hier einen Monumentalfilm, so wie der sich aufführt. Wir machen Werbespots. Halbe Sekunde auf der Leinwand und schon vorbei. Ha!«

Ich schmunzelte.»Was für ein Produkt?«

«Irgendein Brandy.«

Lance Kinship kam auf mich zu und erklärte mir, es sei wichtig, daß er auch auf die Fotos käme, und ich solle sie so aufnehmen, daß er deutlich zu sehen sei.

Der kraushaarige Knabe zog verstohlen eine Fratze, und ich versicherte Lance Kinship mit zitternden Lachmus-keln, aber festen Blicks, daß ich mein Bestes tun würde.

Glücklicherweise gelangen mir auch ein, zwei brauchbare Bilder, aber zweifellos hätte mich George Millace mit seinem inneren Auge und seiner motorisierten Kamera bei weitem übertroffen. Lance Kinship gab mir eine Visitenkarte mit seiner Adresse und sagte mir noch einmal, daß er die Bilder nur kaufen würde, wenn sie ihm gefielen. Klar?

Einen Preis nannte er nicht, und ich hatte keine Lust zu fragen.

Aus mir würde nie ein Geschäftsmann werden.

Wenn ich vom Fotografieren leben müßte, dachte ich kummervoll, würde ich innerhalb einer Woche am Hungertuch nagen.

Zu Hause knipste ich das Licht an, zog die Vorhänge zu, setzte mich an den Küchentisch und ging erneut George Millaces Abfallschachtel durch, dachte an sein Talent und seine Gefühllosigkeit und fragte mich, was er wohl an seinen tödlichen Fotos verdient hatte.

Es stimmte, daß ich jedes weitere Bild, das sich vielleicht noch in der Schachtel befand, entschlüsseln wollte. Der Drang, die Rätsel zu lösen, war übermächtig. Aber was sollte ich damit anfangen, wenn ich hinter weitere Geheimnisse kam… und was sollte ich mit denen machen, die ich bereits kannte?

Typischerweise beschloß ich, einfach nichts zu tun. Den Ereignissen ihren Lauf lassen. Abwarten, was passierte.

Einstweilen hatte ich nur die aufreizenden Schnipsel, die so belanglos aussahen.

Ich nahm den schwarzen lichtundurchlässigen Umschlag heraus, der ungefähr das gleiche Format wie die Schachtel hatte und ganz zuunterst lag. Ich schaute mir noch einmal seinen Inhalt an, wie ich es schon bei Steve Millace zu Hause getan hatte, und sah wieder das Stück durchsichtiges Plastik und außerdem zwei Papierbögen, die etwa die gleiche Größe hatten und die ich bislang nicht bemerkt hatte.

Ich sah sie mir kurz an und verstaute alles wieder in dem lichtundurchlässigen Schutzumschlag, weil ich die plötzliche Eingebung hatte, daß George die Sachen sicher nicht grundlos so aufbewahrt hatte. Das Plastik und das Papier trugen vielleicht unsichtbare Bilder, die ich möglicherweise schon zerstört hatte, weil ich sie dem Licht ausgesetzt hatte.

In meinen Augen sahen das Stück Plastik und die Papierbögen überhaupt nicht nach Fotomaterial aus. Sie sahen aus wie ein Stück Plastik und zwei Bögen Schreibmaschinenpapier.

Wenn sie unsichtbare Bilder trugen, wußte ich nicht, wie man sie sichtbar machen konnte. Wenn nichts darauf war, warum hatte George sie dann in einem lichtundurchlässigen Umschlag aufbewahrt?

Ich starrte mit trübem Blick auf die glatte schwarze Plastikhülle und dachte über Entwicklungsmöglichkeiten nach. Wenn man Bilder auf einer speziellen Film- oder Papiersorte sichtbar machen wollte, mußte man die entsprechende Entwicklersorte benutzen, die passende chemische Zusammensetzung, die dafür vorgesehen war. Ich konnte also nur weiterkommen, wenn ich die Sorte und das Fabrikat der Plastikfolie und der zwei Papierbögen kannte.

Leicht bedrückt schob ich den schwarzen Umschlag beiseite und nahm die leeren Negativstreifen auf, die zumindest nicht das zusätzliche Problem aufwiesen, noch lichtempfindlich zu sein. Sie waren bereits entwickelt. Sie sahen einfach so aus, als wären bei der Entwicklung keine Bilder zum Vorschein gekommen, weil keine darauf waren.

Es waren Farbnegative von einem Fünfunddreißig-Millimeter-Film, und zwar ganz schön viele, einige einfach leer und andere mit unregelmäßigen rötlichen Flecken hier und da. Fast alle Streifen bestanden aus sechs Negativen. Ich breitete sie alle aneinandergereiht aus und machte die erste interessante Entdeckung.

Alle gänzlich leeren Negative stammten von einem Film, und die mit den Magenta-Flecken von einem anderen. Die Bildnummern am oberen Rand jedes Streifens gingen jeweils lückenlos von eins bis sechsunddreißig. Zwei Filme mit je sechsunddreißig Bildern.

Ich erkannte das Filmfabrikat, weil jeder Hersteller die Bildnummern anders plaziert, aber das war wohl kaum von Bedeutung. Was allerdings von Bedeutung sein konnte, war die besondere Beschaffenheit von Farbnegativen.

Während Diafilme — Diapositive — dem Auge die echten Farben zeigen, sieht man auf dem Negativfarbfilm die Komplementärfarben, und um die echten Farben zu bekommen, muß man natürlich Abzüge von dem Negativ machen.

Die Primärfarben des Lichts sind Blau, Grün und Rot. Die Komplementärfarben, in denen sie auf dem Negativ erscheinen, sind Gelb, Magenta und Zyanblau. Demnach müßte auf den Negativen eigentlich eine Mischung aus Gelb, dunklem Rosa (Magenta) und dunklem Grünblau (Zyan) zu sehen sein. Da aber alle Hersteller ihre Negative mit einem blassen Orange überziehen, weil nur auf diese Weise gute Weißtöne und Glanzpunkte zu erzielen sind, zeigen Farbnegative am Rand eine deutliche, blasse Orangefärbung.

Das durchgängige Orange verdeckt außerdem die Gelbtöne, so daß alles, was auf dem Negativ gelb sein müßte, orange erscheint.

George Millaces Negative hatten durchgängig einen deutlichen, blassen, durchscheinenden Orangeschimmer.

Es könnte ja sein, dachte ich, daß sich unter dem Orange ein gelbes Bild befand, das im Moment nicht zu sehen war.

Wenn ich von diesen Negativen Abzüge machte, würde das Gelb zu Blau werden.

Ein unsichtbares gelbes Negativbild konnte sich auf dem Abzug in ein durch und durch sichtbares Bild in Blau verwandeln.

Einen Versuch wert, dachte ich. Ich ging in die Dunkelkammer, mischte die Entwicklerchemikalien und bereitete den Color-Prozessor vor. Man mußte eine halbe Stunde warten, bis die thermostatische Heizung die verschiedenen chemischen Bäder auf die richtige Temperatur erwärmt hatte, danach aber wurden die Abzüge in dem geschlossenen Prozessor automatisch durch Walzen von einem Bad zum andern befördert, wobei jedes Blatt Fotopapier vom Eingang bis zum Ausgang sieben Minuten brauchte.

Als ich Kontaktabzüge machte, stellte sich umgehend heraus, daß sich hinter dem Orange tatsächlich Blau verbarg, aber keine blauen Bilder. Einfach Blau.

Es gab so viele Variablen bei der Herstellung von Farb-abzügen, daß die Suche nach einem Bild auf einem leeren Negativ einem Gang durch den Wald mit verbundenen Augen glich, und obwohl ich jedes Negativ gesondert ab-zog und alle mir bekannten Methoden durchprobierte, war ich nur teilweise erfolgreich.

Ich hatte zu guter Letzt sechsunddreißig säuberliche blaue Rechtecke im Format zehn mal zwölf, jeweils vier auf einem Blatt, und sechsunddreißig weitere mit vereinzelten grünlichen Flecken.

Als ich sie unter fließendem Wasser wässerte, dachte ich bei mir, daß eigentlich nur feststand, daß George bestimmt nicht für nichts und wieder nichts zweiundsiebzig blaue Rechtecke aufgenommen hätte.

Ich trocknete einige der Abzüge und inspizierte sie ge-nauestens, und es kam mir so vor, als zeigten einige schwache dunklere Markierungen. Man sah nichts Genaues, aber man sah etwas.

Als mir viel zu spät dämmerte, was George gemacht hatte, war ich zu müde, um noch einmal von vorne zu beginnen. Ich reinigte den Prozessor und alles andere und ging ins Bett.

Jeremy Folk rief früh am nächsten Morgen an und fragte, ob ich bei meiner Großmutter gewesen sei.

«Lassen Sie mir Zeit«, sagte ich, und er meinte, daß ich genug Zeit gehabt hätte, und ob ich mich an mein Versprechen erinnerte.

«Na ja… ich werde hingehen«, sagte ich.»Am Samstag, nach Ascot.«

«Was haben Sie denn die ganze Zeit gemacht?«fragte er vorwurfsvoll.»Sie hätten diese Woche jeden Tag hingehen können. Vergessen Sie nicht, daß sie jederzeit sterben kann.«

«Ich habe gearbeitet«, sagte ich.»Und Abzüge gemacht.«

«Aus der Schachtel?«sagte er argwöhnisch.

«Mmhm.«

«Lassen Sie das bleiben«, sagte er, und dann:»Was ist dabei rausgekommen?«

«Blaue Abzüge. Blaue Bilder.«

«Was?«

«Blau in Blau. Reines tiefes Blau. Siebenundvierzig B.«

«Was haben Sie gesagt? Sind Sie nüchtern?«

«Ich bin wach und gähne«, sagte ich.»Hören Sie zu. George Millace hat einen tiefblauen Filter vor sein Objektiv geschraubt und es auf ein Schwarzweißbild gerichtet, und dieses Schwarzweißbild hat er durch den blauen Filter auf einen Farbfilm aufgenommen. Siebenundvierzig B ist der stärkste Blaufilter, den man bekommen kann, und ich wette, daß er den benutzt hat.«

«Sie reden chinesisch.«

«Ich rede Millace. Verzwicktes Millace. Eng verwandt mit Kauderwelsch.«

«Sie sind wirklich betrunken.«

«Unsinn, sowie ich heraushabe, wie man das Blau auseinanderklamüsern kann, werde ich es tun, und die nächste fesselnde Millace-Folge wird in unsere Hände fallen.«

«Ich meine im Ernst, daß Sie das Zeug verbrennen sollten.«

«Kommt nicht in Frage.«

«Sie sehen es als Spiel an. Es ist kein Spiel.«

«Nein.«

«Seien Sie um Himmels willen vorsichtig.«

Ich versprach es. So was ist leicht gesagt.

Ich fuhr nach Somerset zu den Rennen in Wincanton und ritt zweimal für Harold und dreimal für andere Leute. Es war ein trockener Tag, und ein scharfer Wind wehte, der einem die Tränen in die Augen trieb. Tränen, die einem keineswegs vergingen, wenn man sich das Niveau des Rennens vor Augen führte. Alle guten Pferde hatten kurzfristig abgesagt und waren stattdessen nach Newbury oder Ascot gezogen, so daß die blind drauflosstolpernde Mehrheit auch einmal eine Chance hatte. Ich fummelte und trat mich fünfmal sicher über die Runden, und beim Nachwuchs-Jagdrennen lief ich einsam und allein als Erster durchs Ziel, nachdem fast das ganze Feld beim ersten offenen Graben übereinandergestürzt war.

Der kleine dünne Trainer meines Pferdes empfing mich bei meiner Rückkehr mit einem gewaltigen Grinsen, tränenerfüllten Augen und einer blauen, tropfenden Nase.

«Heiliger Bimbam, Junge, gut gemacht. Heiliger Bimbam, ist das kalt. Rein mit Ihnen zum Wiegen. Stehen Sie nicht rum. Heiliger Bimbam, das war vielleicht was, wie die alle übereinander gefallen sind.«

«Sie haben Ihren bestens geschult«, sagte ich und zog den Sattel herunter.»Er ist fantastisch gesprungen. «Es zerriß ihm schier den Mund vor lauter Begeisterung.

«Heiliger Bimbam, Junge, der könnte glatt in Aintree antreten, so wie der heute losgegangen ist. Rein mit Ihnen. Rein mit Ihnen.«

Ich ging hinein und wog mich und zog mich um und wog mich wieder und ritt und kam zurück und zog mich um und wog mich.

Es hatte einmal eine Zeit gegeben, als alles neu für mich war, da hatte mein Herz jedesmal wie verrückt geschlagen, wenn ich vom Umkleideraum zum Führring ging und wenn ich im Aufgalopp zum Start ritt. Nach zehn Jahren beschleunigte sich mein Herzschlag nur noch, wenn es um Großes ging, das Grand National und so weiter, und dann auch nur, wenn mein Pferd eine reelle Siegeschance hatte. Aus der einstigen höllischen Erregung war Routine geworden.

Schlechtes Wetter, lange Fahrten, Enttäuschungen und Verletzungen hatte ich zunächst als >Teil des Jobs< abgetan. Nach zehn Jahren begriff ich, daß all das den Job ausmachte. Die Höhepunkte, die Siege waren die Zugaben.

Das Handwerkszeug meines Berufes war eine Vorliebe für Geschwindigkeit und für Pferde sowie die Kraft, diese beiden Neigungen zu verbinden. Dazu kamen harte Knochen, die Fähigkeit, auf die Füße zu fallen, und die Veranlagung, schnell zu genesen, wenn das einmal nicht gelang.

Nichts von diesem Handwerkszeug, abgesehen von der Vorliebe für Pferde vielleicht, würde mir als Fotograf auch nur das geringste nützen.

Am Ende des Nachmittags ging ich gereizt zu meinem Auto hinaus. Ich wollte kein Fotograf werden. Ich wollte Jockey bleiben. Ich wollte bleiben, wo ich war: im Altvertrauten. Nicht unwiderruflich in eine unbestimmte Zukunft treten. Ich wollte, daß alles so weiterging wie bisher und sich nicht veränderte.

Am frühen Morgen des nächsten Tages erschien Clare Bergen auf meiner Schwelle, in Begleitung eines jungen

Mannes, dessen Fingerspitzen beim Händedruck geradezu vor Energie vibrierten. Ich hatte die verschwommene Vorstellung gehabt, Verleger seien stattliche Vaterfiguren. Eine weitere altmodische Illusion war dahin.

Clare trug eine leuchtende Wollmütze, einen leuchtenden Schal, eine afghanische Lammfelljacke, gelbe Satinskihosen und gewaltige Lammfellstiefel. Na schön, dachte ich, sie würde nur die Hälfte der Pferde erschrecken. Die nervöse Hälfte.

Ich fuhr die beiden in dem Landrover, den Harold mir zu diesem Zweck geliehen hatte, in die Downs, und wir sahen etwas bei der Koppelarbeit zu. Dann fuhr ich sie im Dorf herum und zeigte ihnen, wo welcher Trainer wohnte. Anschließend brachte ich sie wieder zu meinem Haus zurück, zum Kaffeetrinken und Nachdenken.

Der Verleger sagte, er würde gern etwas zu Fuß durch die Gegend streifen, und ging. Clare trank ihre zweite dampfende Tasse Kaffee und meinte, wie wir es um alles in der Welt in diesem Wind aushalten könnten, der einen praktisch mittendurch sägte.

«Es ist hier eigentlich fast immer windig«, stimmte ich nachdenklich zu.

«All diese kahlen Hügel.«

«Gut für Pferde.«

«Ich glaube, ich habe noch nie ein Pferd angefaßt. «Der Gedanke schien sie etwas zu überraschen.»Fast alle meine Bekannten verachten Leute, die mit Pferden zu tun haben.«

«Jeder fühlt sich gern erhaben«, sagte ich ungerührt.»Besonders, wenn er keinen Grund dazu hat.«

«Autsch«, sagte sie.»Das hat gesessen,«

Ich lächelte.»Sie würden sich wundern, was für ein Haß sich oft gegen Pferde richtet. In allen Abstufungen von Hohn bis Hysterie.«

«Und das macht Ihnen nichts aus?«

«Was die Leute empfinden, ist deren Problem, nicht meins.«

Sie sah mich aus ihren großen grauen Augen offen an.

«Was kann Sie denn verletzen?«sagte sie.

«Leute, die sagen, ich wäre über Bord gesprungen, wenn ich in Wirklichkeit mit dem Schiff untergegangen bin.«

«Äh… was?«

«Leute, die sagen, daß ich runtergefallen bin, wenn das Pferd gestürzt ist und mich mitgerissen hat.«

«Und das ist ein Unterschied?«

«Ein ganz wesentlicher.«

«Sie nehmen mich auf den Arm«, sagte sie.

«Ein bißchen. «Ich nahm ihre leere Tasse und stellte sie in die Spülmaschine.»Und was kann Sie verletzen?«

Sie blinzelte, aber nach einem Zögern antwortete sie.

«Wenn mich jemand für einen Idioten hält.«

«Das ist eine bestechend ehrliche Antwort.«

Anscheinend verlegen wandte sie den Blick von mir ab und sagte, das Haus und die Küche gefielen ihr und ob sie mal das Bad benutzen dürfe. Sie kam bald wieder heraus, ohne die Wollmütze und mit frisch geschminkten Lippen, und wollte wissen, ob der Rest des Hauses entsprechend sei.

«Wollen Sie’s sehen?«sagte ich.

«Gerne.«

Ich zeigte ihr das Wohnzimmer, das Schlafzimmer und schließlich die Dunkelkammer.»Und das wär’s«, sagte ich.

Sie drehte sich langsam von der Dunkelkammer zur Diele um, wo ich stand.

«Sie haben gesagt, daß Sie fotografieren.«

«Stimmt.«

«Aber ich hab gedacht, Sie meinten. «Sie runzelte die Stirn.»Meine Mutter meinte, ich hätte Sie vor den Kopf gestoßen, als Sie angeboten haben… aber ich hatte keine Ahnung, daß.«

«Macht nichts«, sagte ich.»Schon in Ordnung.«

«Tja… kann ich sie mal sehen?«

«Wenn Sie wollen. Sie sind da drüben in dem Aktenschrank.«

Ich zog eine Schublade auf und ging die Mappen durch.»Da haben wir’s: Lambourn.«

«Und was ist in all den andern?«sagte sie.

«Einfach Fotos.«

«Wovon?«

«Von fünfzehn Jahren.«

Sie sah mich scharf an, als würde ich dummes Zeug reden, also fügte ich hinzu:»Seit ich eine eigene Kamera habe.«

«Ach so. «Sie überflog die Etiketten der Mappen und las dabei laut:»Amerika, Frankreich, Kinder, Harolds Farm, Jockeyleben.«

«Was heißt >Jockeyleben

«Der Alltag eben, wenn man Jockey ist.«

«Kann ich das mal sehen?«

«Klar.«

Sie zog die prall gefüllte Mappe aus der Schublade und

spähte hinein. Dann trug sie sie in Richtung Küche, und ich folgte mit den Fotos von Lambourn.

Sie legte die Mappe auf den Küchentisch, öffnete sie und ging den umfangreichen Inhalt Bild für Bild durch, sah sich eins nach dem andern mit gerunzelter Stirn an.

Keinerlei Kommentar.

«Kann ich >Lambourn< sehen?«sagte sie.

Ich gab ihr >Lambourn<, und sie sah sich diese Bilder ebenfalls schweigend an.

«Ich weiß, daß sie nicht berühmt sind«, sagte ich schüchtern.»Sie müssen Ihr Gehirn nicht nach einer netten Bemerkung zermartern.«

Sie sah ernst zu mir auf.»Sie lügen. Sie wissen ganz genau, daß sie gut sind.«

Sie klappte die Lambourn-Mappe zu und trommelte mit den Fingern darauf.»Spricht nichts dagegen, daß wir die verwenden«, sagte sie.»Aber das ist natürlich nicht meine Entscheidung.«

Sie wühlte in ihrer großen braunen Handtasche herum und förderte Zigaretten und ein Feuerzeug zutage. Sie steckte sich eine Zigarette in den Mund und zündete sie an, und ich bemerkte überrascht, daß ihre Finger zitterten. Was zum Teufel hatte sie wohl so nervös gemacht? Irgend etwas hatte sie zutiefst durcheinandergebracht, denn die glänzende, extrovertierte Oberfläche war völlig verschwunden, und was ich vor mir hatte, war eine dunkelhaarige Frau, die sich voll und ganz auf die Gedanken in ihrem Kopf konzentrierte.

Sie nahm ein paar tiefe Züge und starrte mit leerem Blick auf ihre Finger, die immer noch zitterten.

«Was ist los?«sagte ich schließlich.

«Nichts. «Sie warf mir einen raschen Blick zu, sah wieder weg und sagte:»So was wie Sie hab ich gesucht.«

«So was?«wiederholte ich verblüfft.

«Mhm. «Sie klopfte die Asche ab.»Meine Mutter hat Ihnen doch erzählt, daß ich Verlegerin werden möchte.«

«Ja, hat sie.«

«Die meisten Leute lächeln darüber, weil ich noch so jung bin. Aber ich arbeite jetzt schon fünf Jahre in der Branche. und ich weiß, was ich tue.«

«Ich zweifle nicht daran.«

«Schön… aber ich brauche… ich möchte… ich muß ein Buch machen, mit dem ich mir in der Verlagswelt einen Namen machen kann. Ich muß bekannt werden als diejenige, die das und das Buch herausgebracht hat. Ein sehr erfolgreiches Buch. Dann ist meine Zukunft im Verlagsgeschäft gesichert. Verstehen Sie?«

«Ja.«

«Nach diesem Buch suche ich jetzt schon an die zwei Jahre. Und verzweifle schier, weil ich etwas ganz Außergewöhnliches haben will. Und jetzt…«, sie holte tief Luft,»jetzt hab ich’s gefunden.«

«Aber >Lambourn< ist nichts Neues«, sagte ich verwirrt.»Und ich dachte, es ist ohnehin das Buch von Ihrem Chef.«

«Das doch nicht, Sie Dussel«, sagte sie.»Das hier. «Sie legte die Hand auf die» Jockeyleben«-Mappe.»Die Bilder hier. Die brauchen keinen Text. Die sprechen für sich. «Sie zog an ihrer Zigarette.»In der richtigen Reihenfolge angeordnet… präsentiert als Lebensstil… als Autobiographie, als Sozialkritik, als Einblick in die menschliche Natur… und gleichzeitig in die Funktionsweise einer Industrie… wird das eine spektakuläre Alternative zu Blumen und Fisch.«

«Die Blumen haben sich millionenfach verkauft, oder?«

«Sie glauben mir nicht, stimmt’s?«fragte sie.»Sie verstehen einfach nicht. «Sie unterbrach sich und runzelte die Stirn.»Von den Fotos sind doch noch keine veröffentlicht worden? In Zeitungen oder Zeitschriften oder sonstwo?«

Ich schüttelte den Kopf.»Nirgendwo. Ich hab mich nie darum bemüht.«

«Sie sind unglaublich. Sie haben so viel Talent und nutzen es nicht.«

«Aber… jeder fotografiert.«

«Natürlich. Aber nicht jeder fotografiert serienweise Bilder, die einen ganzen Lebensstil widerspiegeln. «Sie streifte die Asche ab.»Da ist alles drin. Die harte Arbeit, die Hingabe, das schlechte Wetter, die Eintönigkeit, die Triumphe, der Schmerz… Ich habe die Bilder nur einmal durchgesehen, und auch noch völlig ungeordnet, und ich weiß, was für ein Leben Sie leben. Ich kenne es von Grund auf, weil Sie es so fotografiert haben. Ich kenne Ihr Leben von innen. Ich sehe, was Sie gesehen haben. Ich sehe die Begeisterung bei den Pferdebesitzern. Ich sehe die unterschiedlichen Typen. Ich sehe, was Sie den Stallburschen verdanken. Ich sehe die Sorgen der Trainer, es liegt alles drin. Ich sehe das Lachen, das in den Jockeys steckt, und ihren Gleichmut. Ich sehe, was Sie empfunden haben. Ich sehe, was Sie von den Leuten begriffen haben. Ich sehe die Menschen mit anderen Augen als zuvor, weil ich sie durch Ihre Augen sehe.«

«Ich wußte nicht, daß diese Bilder so aufschlußreich sind«, sagte ich.

«Sehen Sie sich das letzte hier mal an«, sagte sie und zog es heraus.»Diese Aufnahme von einem Mann in einem Overall, der dem Knaben mit der gebrochenen Schulter den Stiefel auszieht… Man braucht keine Worte, um zu erklären, daß der Mann so sanft wie möglich zieht oder daß es weh tut… man sieht das alles, in jeder Linie der Körper und Gesichter. «Sie legte das Bild in die Mappe zurück und sagte ernsthaft:»Ich werde einige Zeit brauchen, bis ich alles so geregelt habe, wie ich es mir vorstelle. Können Sie mir die Zusage geben, daß Sie die Bilder nicht an jemand anderen verkaufen?«

«Natürlich«, sagte ich.

«Und erwähnen Sie es bitte mit keinem Wort meinem Chef gegenüber, wenn er zurückkommt. Es soll mein Buch werden, nicht seins.«

Ich schmunzelte.»In Ordnung.«

«Sie haben vielleicht keinen Ehrgeiz«, sagte sie scharf,»aber ich.«

«Ja.«

«Und mein Ehrgeiz tut Ihnen nicht weh«, sagte sie.»Wenn das Buch ein Knüller wird… und es wird einer… bekommen Sie Tantiemen. «Sie besann sich.»Sie können jedenfalls einen Vorschuß haben, sobald der Vertrag unterzeichnet ist.«

«Vertrag.«

«Natürlich Vertrag«, sagte sie.»Und bitte verwahren Sie die Bilder sicher. Ich werde ihretwegen bald wiederkommen, und zwar allein.«

Sie überreichte mir die Mappe, und ich legte sie in den Aktenschrank zurück, so daß ihr energiegeladener junger Chef bei seiner Rückkehr nur die Bilder von Lambourn zu sehen bekam. Er meinte ohne große Begeisterung, daß sie brauchbar seien, und kurz danach trugen er und Clare sie davon.

Als sie weg waren, dachte ich, daß Clares Sicherheit in bezug auf ihr Buch sich wieder verflüchtigen würde. Ihr würde einfallen, daß fast alle ihre Bekannten Leute, die mit Pferden zu tun hatten, verachteten. Sie würde zu dem Schluß kommen, daß ein Buch mit Fotos, die ein Jockey über sein Leben gemacht hatte, nur einen sehr begrenzten Kreis von Leuten ansprechen würde, und sie würde mir entschuldigend oder ohne Umschweife mitteilen, daß sie nun doch, nach reiflicher Überlegung…

Ich zuckte die Achseln. Ich hatte keinerlei Erwartungen. Wenn der Brief kam, war die Sache eben erledigt.

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