Kapitel 21

Clare kam zwei Tage später mit dem Zug, um die Fotos aus meinem Aktenschrank herauszusuchen, die sie haben wollte: Für eine Mappe, sagte sie. Da sie jetzt meine Agentin sei, würde sie das Geschäft ankurbeln. Ich lachte. Es sei ihr Ernst, beteuerte sie.

Ich hatte an dem Tag kein Rennen. Ich hatte vereinbart, Jeremy vom Krankenhaus abzuholen und ihn nach Hause zu bringen, und Clare sollte mich begleiten. Außerdem hatte ich Lance Kinship angerufen, um ihm mitzuteilen, daß seine Abzüge schon ewig fertig seien, ich ihn aber nie gesehen hätte. Ich fragte ihn, ob es ihm recht sei, wenn ich sie ihm heute brächte, weil ich praktisch an seinem Haus vorbeikäme.

Das wäre nett, meinte er. Früher Nachmittag, schlug ich vor, und er sagte >Klar< und ließ das >r< weg. Und ich wolle ihn dann gern etwas fragen, und er sagte:»Ach? Nur zu. Was Sie wollen.«

Jeremy sah erheblich besser aus, seine Haut war nicht mehr so grau und feucht wie am Sonntag. Wir halfen ihm auf den Rücksitz meines Autos und wickelten ihn in eine Wolldecke, die er entrüstet abschüttelte. Er sei kein Invalide, sondern ein durch und durch lebenstüchtiger Anwalt.

«Und übrigens, mein Onkel ist gestern bei mir gewesen«, sagte er.»Schlechte Nachrichten für Sie, fürchte ich. Die alte Mrs. Nore ist Montagnacht gestorben.«

«O nein«, sagte ich.

«Sie haben’s ja gewußt«, sagte Jeremy.»War nur eine Frage der Zeit.«

«Ja, aber.«

«Mein Onkel hat mir zwei Briefe für Sie mitgegeben. Sie sind irgendwo in meinem Koffer. Suchen Sie sie raus, bevor wir losfahren.«

Ich fischte sie heraus und las sie gleich auf dem Krankenhaus-Parkplatz.

Einer war ein Brief, der andere eine Kopie des Testaments.

Jeremy sagte:»Mein Onkel hat erzählt, man habe ihn dringend ins Pflegeheim gerufen, um ihr Testament aufzusetzen, und der Arzt hat dann meinem Onkel klargemacht, daß die Zeit drängte.«

«Wissen Sie, was drinsteht?«fragte ich.

Er schüttelte den Kopf.»Mein Onkel hat nur gesagt, daß sie bis zur letzten Minute eine sture alte Frau war.«

Ich faltete die betippten Papierbögen auseinander.

Ich, Lavinia Nore, widerrufe hiermit im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte sämtliche vorherigen Testamente…

Es folgte eine Menge juristischer Quatsch und eine komplizierte Pensionsregelung für einen alten Koch und einen Gärtner, dann kamen die beiden letzten, recht einfachen Absätze:

>… Die Hälfte meines restlichen Vermögens an meinen Sohn James Nore…<

>Die Hälfte meines restlichen Vermögens an meinen Enkel

Philip Nore, zur freien Verfügung ohne Einschränkungen oder eiserne Absicherung.<

«Was ist los?«sagte Clare.»Du siehst so finster drein.«»Die alte Hexe… hat mich geschlagen.«

Ich öffnete den anderen Umschlag. Darin befand sich ein Brief in zittriger Handschrift, ohne Anrede und Schluß.

Er lautete:

Ich glaube, Du hast Amanda gefunden und hast es mir nicht erzählt, weil es mir keine Freude bereitet hätte. Ist sie Nonne?

Du kannst mit meinem Geld machen, was Du willst. Wenn es Dich zum Kotzen bringt, wie Du einmal gesagt hast… dann KOTZE.

Oder vermach es meinem Erbgut.

Scheußliche Rosen.

Ich reichte Jeremy und Clare das Testament und den Brief, und sie lasen beides. Wir saßen eine Weile nachdenklich da, und dann faltete Clare den Brief zusammen, steckte ihn in den Umschlag und gab ihn mir zurück.

«Was willst du machen?«sagte sie.

«Ich weiß es nicht. Dafür sorgen, daß Amanda nie Hunger leiden muß, schätze ich. Davon abgesehen.«

«Freuen Sie sich darüber«, sagte Jeremy.»Die alte Dame hat Sie geliebt.«

Ich horchte auf die Ironie in seiner Stimme und fragte mich, ob es stimmte. Liebe oder Haß. Liebe und Haß. Vielleicht hatte sie beides auf einmal empfunden, als sie das Testament gemacht hatte.

Wir fuhren von Swindon Richtung St. Albans und machten einen kurzen Abstecher, um Lance Kinships Abzüge abzuliefern.

«Tut mir leid«, sagte ich,»aber es wird nicht lange dauern.«

Es schien ihnen nichts auszumachen. Wir fanden das Haus ohne große Schwierigkeiten. typisch Kinship: auf georgianisch gemacht, große imposante Fassade, Torbogen mit Säulen, magere Auffahrt.

Ich nahm das Päckchen mit den Fotos aus dem Kofferraum und klingelte an der Haustür.

Lance öffnete persönlich, heute nicht in Gutsherrenkluft, sondern in weißen Jeans, Espadrilles und einem rotweißen Ringel-T-Shirt. Internationaler Regisseuraufzug, diagnostizierte ich. Es fehlte ihm nur das Megaphon.

«Kommen Sie rein«, sagte er.»Ich bezahl sie Ihnen gleich.«

«O.k. Kann aber nicht lange bleiben, weil meine Freunde warten.«

Er sah kurz zu meinem Wagen hinüber, wo die interessierten Gesichter von Clare und Jeremy durch die Scheibe zu sehen waren, und ging dann hinein. Ich folgte ihm. Er führte mich in ein großes Wohnzimmer mit einer riesigen Parkettfläche und zu vielem schwarz lackiertem Mobiliar. Chrom- und Glastische. Art-deco-Lampen.

Ich überreichte ihm das Päckchen mit den Bildern.

«Werfen Sie mal einen Blick drauf«, sagte ich,»ob sie auch in Ordnung sind.«

Er zuckte die Achseln.»Warum sollten Sie nicht in Ordnung sein?«Trotzdem öffnete er den Umschlag und zog den Inhalt heraus.

Das oberste Bild zeigte ihn in seiner Landjunkertracht, direkt in die Kamera blickend. Brille. Trilby. Herrschergebaren.

«Drehen Sie es um«, sagte ich.

Er tat es mit erhobenen Augenbrauen und las, was Mrs. Jackson auf die Rückseite geschrieben hatte. Das ist der Steuerbeamte…

Von einem Moment zum anderen verwandelte er sich derartig, daß man den Eindruck hatte, eine völlig andere Person wäre in seine Haut geschlüpft; er streifte den aufgeblasenen, selbstsicheren Blender ab und wurde zum unberechenbaren labilen Wirrkopf. Die grelle Kleidung, die zu dem einen Charakter gepaßt hatte, wirkte an dem anderen grotesk — wie um eine Handgranate gewickeltes Geschenkpapier. Ich sah den Lance Kinship, von dessen Existenz ich nur etwas geahnt hatte. Nicht den ziemlich lächerlichen Poseur, der vorgab, etwas zu sein, was er nicht war, sondern den wirren Psychotiker, der alles tun würde, um den äußeren Schein zu wahren.

Wahrscheinlich lag die wirkliche Gefahr gerade in seiner Unzulänglichkeit. In seiner Entfremdung von der Realität. In seiner theatralischen Gedankenverwirrung, die einen Mord als Problemlösung zuließ.

«Bevor Sie etwas sagen, schauen Sie sich besser auch die anderen Sachen in dem Umschlag an«, sagte ich.

Mit zornigen Fingern ging er sie durch. Die bestellten Abzüge. und die glänzenden Schwarzweißreproduktionen von Dana den Relgans Drogenliste und den Brief, den ich auf dem Diazopapier gefunden hatte.

Sie waren die totale Katastrophe für ihn.

Er ließ die Bilder von dem großen Filmproduzenten auf den Boden fallen wie buntes Laub im Format zwanzig mal fünfundzwanzig, und behielt die drei Schwarzweißabzüge mit sichtbarem Grausen in der Hand.

«Sie hat gesagt…«, setzte er heiser an.»Sie hat geschworen, daß Sie sie nicht haben. Sie hat geschworen, daß Sie nicht wußten, wovon sie redet.«

«Sie hat von den Drogen geredet, mit denen sie von Ihnen versorgt wurde. Komplett mit Datum und Preisen. Die Liste, die Sie in der Hand halten, eindeutig in ihrer Handschrift, auch wenn sie es ursprünglich nur auf Zellophan geschrieben hatte. Und natürlich erscheint Ihr Name, wie Sie sehen, dick und breit darauf.«

«Ich bringe Sie um«, sagte er.

«Nein, das lassen Sie schön bleiben. Sie haben Ihre Chance verpaßt. Jetzt ist es zu spät. Wenn das Gas mich getötet hätte, wären Sie davongekommen, aber es hat mich nicht getötet.«

Er sagte nicht:»Welches Gas?«Er sagte:»Alles ist danebengegangen. Aber es war nicht schlimm. Ich dachte… es sei nicht schlimm. «Er sah hilflos auf die Schwarzweißabzüge hinab.

«Sie haben gedacht, es sei nicht schlimm, weil Sie von Dana den Relgan gehört haben, daß ich die Liste nicht habe. Und wenn ich die Liste nicht hatte, hatte ich auch den Brief nicht. Was immer ich von George Millace haben mochte, die Liste und den Brief hatte ich offenbar nicht… Haben Sie das gedacht?… Wenn ich sie gar nicht hatte, gab es keinen Grund mehr, mich zu töten. Stimmt’s?«

Er antwortete nicht.

«Jetzt ist es dazu viel zu spät«, sagte ich,»weil ich diese

Schriftstücke noch x-mal abgezogen und verteilt habe. Es existiert auch ein weiterer Abzug von Ihrem. Bild, auf dem Mrs. Jackson sie erkannt hat. Eine Bank, Anwälte, verschiedene Freunde haben Anweisung, alles der Polizei zu übergeben, falls mir ein tödlicher Unfall zustoßen sollte. Sie haben von jetzt an großes Interesse daran, daß ich am Leben bleibe.«

Nur langsam begriff er, was meine Worte bedeuteten. Er blickte wiederholt zweifelnd von meinem Gesicht auf die Fotos und wieder zurück.

«George Millaces Brief…«, sagte er.

Ich nickte. George Millaces handgeschriebener Brief lautete:

Lieber Lance Kinship,

ich habe von Dana den Relgan eine außerordentlich interessante Liste von Drogen erhalten, mit denen sie in den letzten Monaten von Ihnen beliefert wurde. Ich bin sicher, daß ich richtig gehe in der Annahme, daß Sie ein professioneller Dealer dieser illegalen Substanzen sind.

Es ist in den einschlägigen Kreisen, in denen Sie zur Stärkung Ihres Selbstbewußtseins gerne verkehren, nur allzu bekannt, daß Sie dieses Privileg nur genießen, weil Sie sie sozusagen als Gegengabe mit Haschisch, Heroin und Kokain beliefern.

Ich könnte Dana den Relgans Drogenliste natürlich an geeigneter Stelle vorlegen. Ich werde Ihnen jedoch in Kürze telefonisch einen Alternativvorschlag machen.

Hochachtungsvoll George Millace

«Er war getippt, als ich ihn bekam«, sagte Lance Kinship matt.»Ich habe ihn verbrannt.«

«Hat George Millace Ihnen seinen Alternativvorschlag am Telefon gemacht?«sagte ich.

Der Schock legte sich allmählich und machte einer wachsenden Feindseligkeit Platz.

«Ich erzähle Ihnen gar nichts.«

Ich beachtete ihn nicht und sagte:»Hat George Millace gefordert, daß Sie damit aufhören sollen, Drogen zu verhökern… und daß Sie dem Fond für verletzte Jockeys etwas spenden sollen?«

Sein Mund ging auf und schnappte heftig zu.

«Hat er angerufen…?«fragte ich.»Oder hat er Ihnen seine Bedingungen gestellt, als er hier vorbeigekommen ist?«

Eisiges Schweigen.

«Haben Sie. etwas. aus Ihrem Vorratsschrank in seinen Whisky geschüttet?«

«Beweisen Sie es!«sagte er in abartigem Triumph.

Das war natürlich nicht möglich. George war eingeäschert worden, und man hatte sein Blut nur auf Alkohol untersucht. Nach anderen Drogen hatte man nicht gesucht. Zum Beispiel nicht nach Tranquilizern, die geschmacklos waren und den Fahrer bei genügend hoher Dosierung mit Sicherheit einschläfern konnten.

George hatte sich ein Opfer zuviel ausgesucht, dachte ich bedauernd. Hatte sich ein Opfer ausgesucht, das er für einen Wurm hielt, und nicht erkannt, daß es sich um eine Kobra handelte.

George hatte einen gewaltigen Fehler gemacht, falls er dieses eine Mal sehen wollte, wie sich sein Opfer wand, wenn er seine Bedingungen stellte. George wäre nicht im Traum darauf gekommen, daß dieser unfähige Schwächling zum Todesschlag ausholen würde, um seinen erbärmlichen Lebensstil zu bewahren; er hatte nicht wirklich begriffen, wie fanatisch Lance Kinship an seiner Tuchfühlung mit dem Jet-Set hing, der ihn bestenfalls tolerierte. George hatte Lance Kinships Raserei sicher mit Genuß gesehen. Sicher war er lachend davongefahren. Armer George.

«Haben Sie nicht damit gerechnet, daß George eine Kopie seines Briefs hinterlassen hat?«sagte ich.

Seinem Gesichtsausdruck nach war das nicht der Fall. Vermutlich hatte er impulsiv gehandelt. Um ein Haar hätte er damit richtig gelegen.

«Als Sie gehört haben, daß George andere Leute erpreßt hat… Dana eingeschlossen… ist Ihnen dann wohl der Gedanke gekommen, ich könnte Ihren Brief haben.«

«Ich hab’s gehört«, sagte er wütend.»Ich hab’s gehört… in den Clubs. Philip Nore hat die Briefe. er hat den Relgan ruiniert. dafür gesorgt, daß er aus dem Jockey Club flog. Haben Sie etwa gedacht. nachdem ich’s wußte. haben Sie wirklich geglaubt, ich würde warten, bis Sie zu mir kommen?«

«Unglücklicherweise bin ich jetzt zu Ihnen gekommen«, sagte ich langsam,»ob es Ihnen gefällt oder nicht.«

«Nein.«

«Doch«, sagte ich.»Ich sage Ihnen gleich, daß ich genau wie George kein Geld haben will.«

Er war mißtrauisch.

«Sie sollen auch wissen, daß es Ihr Pech ist, daß meine Mutter an Heroin gestorben ist.«

«Aber ich habe Ihre Mutter nicht gekannt«, empörte er sich.

«Nein, natürlich nicht. Und Sie haben sie ohne Frage nie mit Drogen versorgt… Ich habe nur seit langem ein gewisses Vorurteil gegen Drogendealer. Das können Sie ruhig wissen. Sie sollen ruhig verstehen, warum ich verlange., was ich verlange.«

Er machte impulsiv einen Schritt auf mich zu. Ich dachte an den flotten Karateschlag, den er den Relgan in Kempton versetzt hatte, und fragte mich, ob er auf seinen Schnursohlen auf dem Parkett genauso gut war. Fragte mich, ob er irgendwas richtig konnte. oder ob es sich einmal mehr um Augenwischerei handelte, um das Vakuum zu kaschieren.

Er wirkte albern, nicht gefährlich. Ein Mann, weder jung noch alt, Ansatz zur Glatze, Brillenträger. Strandkleidung im Dezember.

Ein Mann unter Druck. der töten konnte, wenn man ihn zu sehr unter Druck setzte. Nicht durch unmittelbare körperliche Gewalt, wenn man’s recht bedachte, sondern in seiner Abwesenheit, durch Drogen und Gas.

Er kam nie dazu, mir den blinden Racheschlag zu versetzen, den er beabsichtigt hatte. Er trat auf eins der zu Boden gefallenen Fotos, rutschte aus und fiel hart auf ein Knie. Diese Demütigung schien ihm sein letztes Restchen Selbstvertrauen zu rauben, denn als er zu mir aufblickte, sah ich weder Haß noch Trotz, sondern Furcht.

Ich sagte:»Ich will nicht das, was George wollte. Ich

verlange nicht von Ihnen, mit dem Drogenhandel Schluß zu machen. Ich will wissen, wer Sie mit Heroin versorgt.«

Er kam wackelig auf die Füße und machte ein entsetztes Gesicht.»Das kann ich nicht. Das… kann ich nicht.«

«Das ist doch wohl nicht weiter schwierig«, sagte ich milde.»Sie müssen doch wissen, wo Sie es herbekommen. Sie bekommen es in ziemlich großen Mengen, zum Verkauf, zur Weitergabe. Sie haben immer viel auf Lager, habe ich gehört. Demnach müssen Sie einen ständigen Lieferanten haben… oder? Den will ich haben.«

Die Quelle, dachte ich. Eine Quelle, die etliche Dealer versorgte. Das Drogengeschäft glich einer monströsen Kreatur mit vielen Fangarmen. Wenn man einen Fangarm abschnitt, wuchs an seiner Stelle ein neuer. Der Krieg gegen die Drogen war nicht zu gewinnen. aber er mußte geführt werden, wenn auch nur um der dummen Mädchen willen, die sich ihren Weg in die ewige Verdammnis schnupften. Für die Hübschen. Für Dana. Für Caroline. meine verlorene Schmetterlingsmutter, die mich vor der Sucht bewahrt hatte.

«Sie wissen nicht. «Lance Kinship schien die Luft wegzubleiben.»Es ist unmöglich. Ich kann es Ihnen nicht sagen. Es wäre… mein Tod.«

Ich schüttelte den Kopf.»Es wird ein Geheimnis zwischen uns beiden bleiben. Niemand wird je erfahren, daß Sie es mir erzählt haben. es sei denn, Sie selbst plaudern es aus, wie den Relgan in den Spielclubs.«

«Ich kann nicht«, sagte er verzweifelt.

«Wenn Sie es nicht tun«, sagte ich im Plauderton,»werde ich erstens den Polizisten, die den Mordanschlag in

meinem Haus untersuchen, erzählen, daß meine Nachbarin Sie eindeutig als angeblichen Steuerbeamten identifiziert hat. Das allein reicht natürlich nicht aus, Sie unter Anklage zu stellen, wird aber sicher dazu führen, daß Ermittlungen über Sie angestellt werden… wegen Zugangs zu Chemikalien und dergleichen.«

Ihm wurde übel.

«Zweitens werde ich dafür sorgen, daß es sich überall herumspricht, daß man trotz Ihrer kleinen Mitbringsel gut daran tut, Sie nicht mehr zu Partys einzuladen, weil man jederzeit mit einer Razzia rechnen muß. Illegaler Drogenbesitz ist immer noch ein Vergehen, glaube ich.«

«Sie. Sie.«

Ich nickte. Er fand kein Wort, das schlimm genug war.

«Ich weiß, wo Sie verkehren… in welchen Häusern. Jeder redet darüber. Man hat es mir erzählt. Ein Wort ins Ohr der Drogenfahndung. und Sie werden zum unerwünschtesten Gast in ganz England.«

«Ich… ich…«

«Ja, ich weiß«, sagte ich.»Der Zutritt zu diesen Häusern macht das Leben für Sie erst lebenswert. Ich will nicht, daß Sie nicht mehr dorthin gehen. Ich verlange nicht von Ihnen, daß Sie Ihre Geschenke nicht mehr verteilen. Sagen Sie mir nur, wo das Heroin herkommt. Nicht das Kokain, nicht das Haschisch, nur das Heroin. Nur die tödliche Droge.«

In seine verängstigten Augen stahl sich ein leicht gerissener Blick.

«Und glauben Sie nur nicht, Sie kämen mit irgendeiner dummen Lüge davon«, sagte ich wachsam.»Sie sollen ruhig wissen, daß Ihre Information an die Drogenfahndung weitergehen wird. Keine Sorge. auf derartigen Umwegen, daß nie jemand die Information mit Ihnen in Verbindung bringen wird. Aber Ihr gegenwärtiger Lieferant wird mit ziemlicher Sicherheit aus dem Verkehr gezogen werden. Wenn das geschieht, lasse ich Sie in Ruhe.«

Er zitterte, als würden ihm die Beine den Dienst versagen.

«Wohlgemerkt«, sagte ich mit Bedacht,»wenn ein Lieferant aus dem Verkehr gezogen ist, müssen sie sich womöglich nach einem anderen umsehen. Und in einem Jahr könnte ich Sie nach dessen Namen fragen.«

Der Schweiß stand ihm auf der Stirn, er konnte es nicht fassen.»Heißt das… es wird immer so weitergehen… immer weiter.«

«Genau das.«

«Aber das können Sie nicht machen.«

«Ich glaube, daß Sie George Millace umgebracht haben. Sie haben mit Sicherheit versucht, mich umzubringen. Sie hätten um ein Haar meinen Freund umgebracht. Warum sollte ich also keine Vergeltung wollen?«

Er starrte mich an.

«Ich verlange sehr wenig«, sagte ich.»Ein paar Worte auf Papier… dann und wann.«

«Nicht in meiner Handschrift«, sagte er entsetzt.

«Natürlich in Ihrer Handschrift«, sagte ich schließlich,»damit alles richtig geschrieben ist und so weiter. Aber keine Sorge, Ihnen wird nichts passieren. Ich verspreche Ihnen, daß nie jemand herausfinden wird, wo der Tip

herkam. Niemand wird je erfahren, daß er von mir kam. Weder mein Name noch Ihrer wird je erwähnt werden.«

«Sind Sie. sind Sie sicher?«

«Absolut.«

Ich zog einen kleinen Notizblock und einen Filzstift hervor.»Schreiben Sie jetzt«, sagte ich.»Ihr Lieferant.«

«Nicht jetzt«, sagte er wankend.

«Warum nicht?«sagte ich ruhig.»Bringen wir es doch hinter uns. Setzen Sie sich.«

Er setzte sich an eins seiner verchromten Glastischchen, wirkte völlig benommen. Er schrieb einen Namen und eine Adresse auf den Notizblock.

«Und unterschreiben«, sagte ich beiläufig.

«Unterschreiben…«

«Natürlich. Nur Ihr Name.«

Er schrieb: Lance Kinship. Und darunter mit einem Schnörkel Filmregisseur.

«Sehr gut«, sagte ich ohne besondere Betonung. Ich nahm den Notizblock auf und las, was er geschrieben hatte. Ein ausländischer Name. Eine Adresse in London. Ein Fangarm unter der Axt.

Ich verstaute das kleine Dokument, das ihn fürs nächste Jahr… und fürs übernächste und überübernächste… ins Schwitzen bringen würde, in einer Jackentasche. Das Dokument, das ich fotografieren und sicher aufbewahren würde.

«Ist das… alles?«sagte er wie betäubt.

Ich nickte.»Vorläufig ja.«

Er stand nicht auf, als ich ging. Saß einfach da, auf seinem schwarzen Lackstuhl in seinem T-Shirt, den weißen Hosen, sprachlos ins Leere starrend.

Über kurz oder lang würde er sich wieder aufblasen, dachte ich. Angeber konnten gar nicht anders.

Ich ging hinaus zu Clare und Jeremy, die auf mich warteten, und blieb kurz in der Winterluft stehen, bevor ich ins Auto einstieg.

Ich dachte, daß das Leben der meisten Leute nicht weiter weltbewegend war. Es drehte sich um Probleme aus ihrer unmittelbaren Umwelt. Es ging nicht um die Errettung der Menschheit, sondern darum, im eigenen Umkreis Ordnung zu halten, um kleine Korrekturen und Ausgleichsmaßnahmen.

Weder mein Leben noch das von George Millace würde je das Schicksal von Nationen beeinflussen, aber unsere Handlungen konnten das Leben von Individuen ändern; und sie hatten es bereits getan.

Die Ablehnung, die ich ihm gegenüber empfunden hatte, als er noch am Leben war, war nicht der Rede wert im Vergleich zu der Verbundenheit, die ich nun, da er tot war, ihm gegenüber empfand. Ich kannte seine Gedanken, seine Absichten, seine Überzeugungen. Ich hatte seine Rätsel gelöst. Ich hatte seine Schüsse abgefeuert.

Ich stieg ins Auto.

«Alles in Ordnung?«fragte Clare.

«Ja«, sagte ich.

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