Kapitel 10

Sie hatte gewußt, daß ich dort sein würde, das stand fest. Wenn sie hätte verhindern wollen, daß ich herausfand, wer sie war, dann wäre ihr Zeit genug geblieben, sich eine strategische Krankheit zuzuziehen.

Sie sagte liebenswürdig:»Habe ich Sie nicht im Fernsehen den Gold Cup gewinnen sehen?«, und ich dachte daran, wie schnell sie mit diesem entsetzlichen Totschläger gewesen war, und an den Aufruhr ihrer Gefühle am Dienstag, also vor vier Tagen. Sie schien nicht zu fürchten, daß ich sie verraten könnte — und in der Tat, was konnte ich denn schon sagen? Hören Sie, Lord Knightwood, mein Bruder war der Liebhaber Ihrer Frau? Genau das richtige, um dieser fröhlichen Party zu einem guten Start zu verhelfen.

Der besagte Lord machte die Ostermeyers mit einem Physikprofessor bekannt, der augenzwinkernd bemerkte, daß man ihn, da er im akademischen Lehrkörper der einzige Aficionado von Pferderennen sei, in die Pflicht genommen habe und er die Fahne der Universität hochhalten müsse, obwohl draußen auf dem Platz auch noch fünfzig Studenten wären, die bereit seien, ihr letztes Paar Socken zu verwetten.

«Derek hat ein abgeschlossenes Studium«, sagte Martha munter und machte Konversation.

Die professoralen Augäpfel rollten forschend in meine Richtung.»Welche Universität?«

«Lancaster«, sagte ich trocken, was ein Gelächter auslöste. Lancaster und York hatten ja manch ein Jahr die Kriege der Rosen gefochten, der roten und der weißen.

«Und Fach?«

«Independent Studies.«

Seine flüchtige Aufmerksamkeit erhöhte sich sprunghaft.

«Was sind denn Independent Studies?«fragte Harley, der das Interesse des Professors bemerkt hatte.

«Der Student entwirft sich seinen eigenen Studiengang, wählt selbst sein Prüfungsfach«, sagte der Professor.»Die Uni von Lancaster ist die einzige, die einen solchen freien Studiengang anbietet, und man läßt nur ungefähr acht Studenten pro Studienjahr zu. Er ist nicht gerade für die Willensschwachen und geistig Minderbemittelten gedacht.«

Die Knightwoods und die Ostermeyers hörten schweigend zu, und mich berührte das alles peinlich. Damals war ich noch jung gewesen, dachte ich.

«Was haben Sie denn als Prüfungsthema gewählt?«fragte der Professor, dem jetzt wirklich an einer Antwort gelegen war.»Irgendwas mit Pferden?«

Ich schüttelte den Kopf.»Nein. äh. sondern >Wur-zeln und Resultate des Krieges<.«

«Mein lieber Freund«, sagte Lord Knightwood herzlich,»setzen Sie sich beim Essen neben den Professor. «Er schritt gütig davon, nahm seine Frau und die Ostermeyers mit, und der Professor, also zurückgelassen, fragte mich, wie die Rennen meiner Ansicht nach ausgehen würden.

Clarissa hielt sich während des ganzen Essens aus Zufall oder Absicht von mir fern, und ich versuchte auch meinerseits nicht, mich ihr zu nähern. Die Party löste sich während des ersten Rennens und danach langsam auf, wiewohl alle herzlich eingeladen waren, zum Tee wiederzukommen, und ich verbrachte den größten Teil des Nachmittages, wie ich so viele andere Nachmittage auch verbracht hatte, nämlich mit dem Beobachten von Pferden, die sich streckten und vorwärtsstürmten und liefen, wie es ihnen ihre jeweilige Natur diktierte. Der Wille zu siegen war ihnen allen eingeboren und angezüchtet, aber einige waren eben doch noch mehr darauf aus als andere — jene mit dem unüberwindlichen Impuls, eine wilde Herde anführen zu wollen, kämpften am härtesten und gewannen am häufigsten. Die Sportjournalisten neigten dazu, von Courage zu sprechen, aber das reichte viel tiefer, reichte hinab bis in die Gene, in den Instinkt, in die urzeitlichen Nebel, die auf der gleichen evolutionären Ebene zu finden waren wie die so leicht erregbare Streitlust des Homo sapiens — die Pfahlwurzel des Krieges.

Mir war der Gedanke nicht unvertraut, daß ich den Krieg auf dem Turf suchte, weil ich — obwohl mein Instinkt zu kämpfen und zu erobern durchaus stark ausgeprägt war — Schußwaffen verabscheute. Die Weisen würden das zweifellos Sublimierung nennen. Sowohl >Dattelpalme< als auch ich wollten auf der gleichen primitiven Ebene nur siegen.

«Worüber denken Sie nach?«fragte jemand neben mir.

Ihre Stimme, dachte ich, würde ich immer und überall erkennen. Ich drehte mich um und sah ihren halb ruhigen, halb ängstlichen Gesichtsausdruck, die soziale Sicherheit der Lady Knightwood, die in dem glatten Haar, den aristokratischen Gliedmaßen und dem Schnitt ihres Kleides deutlich zum Ausdruck kam, während die leidenschaftliche Frau nur eine Andeutung in ihren Augen war.

«Über Pferde«, sagte ich.

«Ich nehme an, daß Sie sich fragen, warum ich heute hierher gekommen bin, nachdem ich gestern abend erfahren habe, daß Sie nicht nur beim Rennen sein, sondern sogar zu unserem Lunch erscheinen…«Sie klang unsicher und verstummte.

«Ich bin nicht Greville«, sagte ich.»Denken Sie nicht an mich, als ob ich Greville wäre.«

Ihre Augenlider zuckten.»Sie sind wirklich verdammt scharfsichtig. «Sie lauschte eine Weile in sich hinein.»Also schön, ja, ich wollte in Ihrer Nähe sein. Das ist so eine Art Trost.«

Wir standen an der Umzäunung des Führringes und beobachteten die im nächsten Rennen an den Start gehenden Pferde, wie sie von ihren Stallburschen im Kreis bewegt wurden. Es war das Rennen vor der University Trophy, zwei vor jenem, in dem >Dozen Roses< lief, also für uns beide eine Zeit, in der uns nichts drängte. Wir waren umgeben von den Geräuschen einer großen Menschenansammlung und vom Getrappel der Pferdehufe, und wir konnten ganz unbesorgt miteinander sprechen, als befänden wir uns in der Oase eines abgeschiedenen Raumes.

«Sind Sie mir noch böse, weil ich Sie geschlagen habe?«fragte sie ein ganz klein wenig bitter, weil ich auf ihre vorige Bemerkung nicht eingegangen war.

Ich deutete ein Lächeln an.»Nein.«

«Ich habe tatsächlich geglaubt, Sie seien ein Einbrecher.«

«Und was hätten Sie der Polizei erzählt, wenn die nun gekommen wäre?«

Sie sagte reumütig:»Ich hoffe, ich hätte mich rechtzeitig gefangen und das Weite gesucht, bevor sie da gewesen wäre. «Sie seufzte.»Greville hat mir gesagt, daß ich, wenn ich je ernsthaften Gebrauch von dem Kiyoga machen müßte, sofort verschwinden und mich nicht darum kümmern sollte, was ich dem Angreifer angetan hätte. Aber an einen Einbrecher in seinem eigenen Haus hat er nie gedacht.«

«Es überrascht mich, daß er Ihnen eine solche Waffe gegeben hat«, sagte ich milde.»Sind diese Dinger nicht verboten? Und er als Friedensrichter!«

«Ich bin auch Friedensrichterin«, sagte sie und setzte mich damit in Erstaunen.»So haben wir uns kennengelernt, nämlich bei einem Friedensrichter-Kongreß. Ich habe mich nicht nach der Legalität von Totschlägern erkundigt. Wollte man mich wegen des Tragens und des Gebrauchs einer verbotenen Waffe anklagen, so wäre das, nun ja, sehr viel besser, als wenn ich das Opfer einer dieser grauenvollen Übergriffe werden müßte, mit denen wir uns allwöchentlich zu befassen haben.«

«Wo hat er diesen Kiyoga aufgetrieben?«

«In Amerika.«

«Haben Sie ihn jetzt auch bei sich?«

Sie nickte und berührte ihre Handtasche.»Ist mir schon zur zweiten Natur geworden.«

Sie mußte dreißig Jahre jünger sein als ihr Mann, dachte ich unzusammenhängenderweise — und ich wußte, wie sie zu ihm stand. Ich konnte nicht sagen, ob ich sie mochte oder nicht, aber ich erkannte, daß uns eine ganz merkwürdige Intimität verband, und daß ich nichts dagegen hatte.

Die Jockeys kamen herbei und umstanden in kleinen Gruppen die Besitzer. Nicholas Loder war da, stand mit dem Mann zusammen, mit dem er hereingekommen war — einem stämmigen, sehr kräftig aussehenden Menschen in dunklem Anzug, an dessen Revers das rosa Papierabzeichen des Clubs flatterte.

«>Dozen Roses<«, sagte ich und sah zu Loder hinüber, der mit dem Besitzer und seinem Jockey sprach,»ist das Pferd Ihretwegen so genannt worden?«

«O Gott«, sagte sie bestürzt.»Wie, um Himmels willen, kommen Sie.«

«Ich habe bei der Bestattung Ihre Rosen mit auf den Sarg gelegt«, sagte ich.

«O…«, murmelte sie, und es fiel ihr ganz offensichtlich schwer zu sprechen, denn ihre Kehle war wie zugeschnürt, und ihr Mund zuckte,»ich… ich kann nicht.«

«Erzählen Sie mir mal, wie die Universität von York dazu gekommen ist, ihren Namen für ein Rennen herzugeben. «Ich bemühte mich um einen leichten Konversationston, um ihr Zeit zu geben, sich wieder zu fassen.

Sie schluckte, rang um Beherrschung, versuchte, wieder gleichmäßiger zu atmen.»Entschuldigen Sie. Es ist nur, weil ich ja nicht mal um ihn trauern kann, allenfalls innerlich. Ich kann es niemandem außer Ihnen zeigen, und es kommt über mich, ich kann’s nicht verhindern. «Sie machte eine Pause und beantwortete dann meine unwichtige Frage.»Die Verwaltung der Rennbahn wollte gern die Stadt mit einbeziehen. Ein paar der Topleute der Uni waren gegen ein Engagement, aber Henry hat sie überredet. Er und ich sind gelegentlich zu Besprechungen hier gewesen. Wir machen das gern, mal einen Tag raus, ihn mit Freunden verbringen.«

«Ihr Mann unterrichtet aber nicht an der Universität, oder?«

«O nein, er ist nur eine Galionsfigur. Er ist Vorsitzender von einer ganzen Reihe von Dingen in York. Ist hier eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens.«

Durch Skandale verwundbar, dachte ich — wie sie, wie Greville. Sie und er mußten unerschütterlich diskret gewesen sein.

«Wie lange kannten Sie Greville schon?«fragte ich behutsam.

«Vier Jahre. «Sie schwieg eine Weile.»Vier wundervolle Jahre. Nicht genug.«

Die Jockeys schwangen sich in die Sättel und ritten davon, hinaus auf die Bahn. Nicholas Loder und der Besitzer gingen, in ein lebhaftes Gespräch vertieft, in Richtung der Tribüne.

«Darf ich mir das Rennen mit Ihnen zusammen anschauen?«fragte Clarissa.»Würde es Ihnen was ausmachen?«

«Ich wollte es mir von hier unten, vom Gras aus ansehen. «Ich sah entschuldigend auf meine Krücken.»Das ist einfacher.«

«Das Gras stört mich nicht.«

Da standen wir also nebeneinander im Gras vor der Haupttribüne, und sie sagte:»Immer, wenn wir Zusammensein konnten, kaufte er zwölf Rosen. Es war… nun…«Sie verstummte, mußte wieder schlucken.

«Mm«, sagte ich. Ich dachte an die Asche und an den roten Rosenbaum und beschloß, ihr das ein andermal zu erzählen. Es war ja dabei auch um ihn gegangen, nicht um sie.

Nicholas Loders Zweijähriger gewann das Fliegerrennen mit überzeugendem Tempo, und ich erhaschte danach einen kurzen Blick auf den Besitzer, der überaus zufrieden dreinschaute, aber kein Lächeln zeigte. Wohl kaum eine Frohnatur, dachte ich.

Clarissa ging fort, um sich das Universitätsrennen zusammen mit ihrem Mann anzusehen, und während danach die obligaten Reden gehalten wurden, machte ich mich auf die Suche nach >Dozen Roses<, der noch im Führring herumgeführt wurde, bevor man ihn zum Aufsatteln in eine Box oder einen Stall brachte.

>Dozen Roses< sah gefügig bis dösig aus, dachte ich. Er war ein nicht eben bemerkenswerter Brauner und hatte weder etwas von dem guten Aussehen und der Präsenz von >Dattelpalme<, noch das wache Interesse eines Jagdpferdes an seiner Umgebung. Er war ein gutes Rennpferd, daran gab es gar keinen Zweifel, aber in diesem Augenblick machte er keineswegs den Eindruck eines Pferdes, das in einer halben Stunde mit kräftigem Antritt als Sieger einlaufen sollte. In jedem Falle entsprach er nicht ganz dem, was ich zu sehen erwartet hatte. War dies das muntere Füllen, das seine letzten drei Rennen so schwungvoll gewonnen hatte? War dies der junge Hengst, der hinter den Startboxen von Newmarket eine Stute zu bespringen versucht hatte?

Nein, stellte ich schockiert fest, das war er ganz und gar nicht. Ich schaute ihm etwas genauer unter den Bauch, weil das manchmal schwer zu erkennen war- aber es schien kein Irrtum möglich, daß er seines wesentlichen Werkzeugs beraubt, daß er tatsächlich kastriert worden war.

Ich war sprachlos und wußte nicht, ob ich lachen oder wütend werden sollte. Das erklärte so vieles — die Formkrise, als er mit seinen Gedanken mehr bei der Fortpflanzung als beim Rennen gewesen war, und die Rückkehr zur alten Schnelligkeit, nachdem man ihn von aller Versuchung befreit hatte. Es erklärte, warum die Stewards Loder nicht zu sich gebeten hatten, damit er ihnen die Unterschiede in der Leistung erkläre — Pferde wurden ja nach dieser Operation häufig leistungsstärker.

Ich schlug das Programmheft auf und schaute bei dem Rennen nach, bei dem >Dozen Roses< laufen sollte. Und da stand bei seinem Namen auch ganz eindeutig nicht H für Hengst oder S für Stute, sondern W für Wallach.

Nicht weit hinter mir ertönte Nicholas Loders zornbebende Stimme:»Das ist nicht Ihr Pferd. Bleiben Sie weg von ihm!«

Ich drehte mich um. Loder kam schnell auf mich zu, den Sattel von >Dozen Roses< über dem Arm und die Röte voll erblühter Wut im Gesicht. Der ungemein unfrohe Besitzer, den er aus irgendeinem Grunde noch immer im Schlepptau hatte, beobachtete den Vorgang verwirrt.

«Meines oder nicht meines, ich habe ein Recht, mir das Pferd anzusehen«, sagte ich.»Und ich habe es mir verdammt gut angesehen, und entweder ist das nicht >Dozen Roses<, oder Sie haben ihn gegen den ausdrücklichen Wunsch meines Bruders kastrieren lassen.«

Sein Mund öffnete sich und schnappte wieder zu.

«Was ist los, Nick?«sagte der Besitzer.»Wer ist das?«

Loder unterließ es, uns miteinander bekannt zu machen. Statt dessen sagte er heftig:»Sie können da gar nichts machen. Ich habe Handlungsvollmacht. Ich bin der registrierte Agent, der für dieses Pferd verantwortlich ist, und was ich entscheide, das geht Sie gar nichts an.«

«Mein Bruder war dagegen, daß seine Pferde kastriert würden, das wissen Sie sehr wohl. Sie haben seine Anweisung nicht befolgt, weil sie sicher waren, daß er es nie rausfinden würde, erschien er doch niemals zu den Rennen.«

Er starrte mich an. Ihm war völlig klar, daß er, wenn ich eine formelle Beschwerde einreichte, in arge Schwierigkeiten kommen würde, und ich dachte mir, daß er bestimmt fürchtete, ich könnte und würde als Testamentsvollstrecker meines Bruders mit hoher Wahrscheinlichkeit eben dies tun. Aber selbst wenn ich es nur anderen weitererzählte, würde ihm das schon schaden — das war genau die Art von Leckerbissen, auf die sich die Sportpresse gern stürzte, und die Besitzer all der königlichen Füllen in seinem Stall würden es mit der Angst zu tun bekommen, daß ihrem Eigentum ohne ihr Wissen und Einverständnis etwas ähnliches widerfahren könnte.

Das alles war ihm, so dachte ich, in dem Augenblick klar geworden, in dem ich ihm bei unserem Telefongespräch mitgeteilt hatte, daß ich derjenige sei, der >Dozen Roses< erben werde. Er wußte sogleich, daß ich, sollte ich das Pferd je zu Gesicht bekommen, auf der Stelle durchschauen würde, was da gespielt worden war. Kein Wunder, daß ihm seine tieferen Stimmresonanzen abhanden gekommen waren.

«Greville war ein Narr«, sagte er wütend.»Das Pferd war seit dem Eingriff sehr viel erfolgreicher.«

«Das ist zwar zutreffend«, sagte ich,»aber darum geht’s hier nicht.«

«Wieviel wollen Sie also?«fragte er grob.

Jetzt war ich damit an der Reihe, dachte ich, wie ein Fisch zu glotzen. Ich sagte schwach:»Es ist keine Frage des Geldes.«

«Alles ist eine Frage des Geldes«, erklärte er.»Nennen Sie mir Ihren Preis und verschwinden Sie.«

Ich blickte den dabei stehenden Besitzer an, der eher phlegmatisch denn gefesselt dreinschaute, sich aber vielleicht irgendwann einmal an diese Unterredung erinnern und sie wiedergeben konnte, und sagte nur:»Wir reden später darüber, in Ordnung?«, und bewegte mich langsam und ganz ohne Aggressionen von ihnen fort.

Hinter mir sagte der Besitzer:»Was hatte das denn eigentlich alles zu bedeuten, Nick?«, und Loder antwortete:»Nichts, Rollo. Mach dir keine Gedanken«, und als ich mich ein paar Sekunden später umdrehte, sah ich sie beide zu den Boxen schreiten, gefolgt von >Dozen Roses< an der Hand des Stallburschen.

Trotz oder vielleicht gerade wegen Nicholas Loders besorgter Erzürntheit gewann für mich schließlich das Belustigende an der Sache die Oberhand. Ich selbst hätte das

Pferd sicher noch ein paar Monate eher als der Trainer kastrieren lassen, der es zweifelsohne aus nicht mehr erträglicher Frustration getan hatte — Greville war halt in diesem Punkt aus unangebrachtem Mitgefühl, aber auch, weil er nicht genug von Pferden verstand, ausgesprochen starrköpfig gewesen. Ich überlegte mir, daß ich noch an diesem Abend — ganz egal, wie das Rennen ausgehen würde — telefonisch meinen Frieden mit Loder machen würde, da mir, was diese so unsichere Angelegenheit anbetraf, durchaus nicht an einem Streit gelegen war. Wo doch schon von den Wurzeln des Krieges die Rede gewesen war, dachte ich gequält, kam man um die Feststellung nicht umhin, daß schon weit nichtigere Anlässe als die Kastration eines Vollblüters zu blutigen Auseinandersetzungen geführt hatten.

In York war es so, daß einige der Sattelboxen offen waren, so daß man hineinschauen konnte, andere aber mit Türen versehen. Nicholas Loder schien der Zurückgezogenheit den Vorzug zu geben, denn er brachte >Dozen Ro-ses< in eine von der letzteren Art und entzog ihn somit meinem Blick.

Harley und Martha Ostermeyer, die herbeikamen, um beim Satteln der Pferde zuzuschauen, waren voller strahlender Vorfreude. Sie hatten auf den Sieger der University Trophy gesetzt und den gesamten Gewinn nun auf mein, das heißt auf meines Bruders Pferd.

«Da werden Sie nicht soviel rausholen können«, warnte ich sie.»Er ist schließlich der Favorit.«

«Das wissen wir doch, mein Lieber«, sagte Martha glücklich und sah sich um.»Wo ist er? Welches ist’s denn?«

«Er ist in der Box da drin«, sagte ich und zeigte darauf.»Er wird gerade aufgesattelt.«

«Harley und ich hatten gerade eine wundervolle Idee«, sagte sie süß und mit funkelnden Augen.

«Aber Martha!«sagte Harley. Es klang leicht beunruhigt, so, als ob Marthas wundervolle Ideen nicht immer die allerbesten seien.

«Wir möchten, daß Sie mit uns zu Abend essen, wenn wir zurück in London sind«, beendete sie ihre Ankündigung.

Harley entspannte sich erleichtert.»Ja. Hoffe, es paßt Ihnen.«

Er wollte damit ganz eindeutig zum Ausdruck bringen, daß diese spezielle wundervolle Idee passabel sei, ja, sogar willkommen.

«London am Wochenende ist wie ein Friedhof.«

Innerlich grinsend akzeptierte ich die mir zugedachte Aufgabe, die Friedhofsatmosphäre aufzulockern, und sagte — auch im Sinne der guten Sache, nämlich einer weiteren Festigung der Ostermeyer-Shandy-Franklin-Beziehungen —, daß es mir eine große Freude sei, dieser Einladung zum Essen Folge zu leisten. Martha und Harley äußerten sich in einem Maße befriedigt, daß ich mich fragte, ob sie sich vielleicht, wenn sie mit sich allein waren, gegenseitig bis zum Verstummen langweilten.

>Dozen Roses< kam gesattelt aus seiner Box und wurde zum Führring geleitet. Er ging gut, dachte ich, seine schönen, geraden Fesseln ermöglichten eine ausgreifende Gangart, und er schien nun, da die Erregung des Rennens in der Luft lag, auch ein gut Teil munterer.

Hinter dem Pferd her eilten Nicholas Loder und sein Freund Rollo, und die Tatsache, daß sie ihm dermaßen zu Leibe rückten, war wohl der Grund dafür, daß sich >Dozen Roses< plötzlich zur Seite warf, den Stallburschen, der die Zügel hielt, ein Stück rückwärts zog und dann wieder nach vorn schnellte, wobei er Meister Rollo einen so derben Stoß versetzte, daß dieser in die Knie ging.

Spontanes Mitgefühl ließ Martha auf Rollo zustürzen, um ihm Beistand zu leisten, aber dieser rappelte sich mit einem Fluch schon wieder auf, der sie schockiert dreinblicken ließ. Trotzdem bückte sie sich, hob etwas auf, das wie ein blauer Gummiball aussah und ihm aus der Tasche gefallen war, und sagte:»Ich glaube, Sie haben das verloren.«

Er entriß ihr den Gegenstand unfreundlich, warf ihr einen unnötig wilden Blick zu, als ob sie das Pferd so erschreckt hätte, was ganz gewiß nicht der Fall gewesen war, und eilte hinter Nicholas Loder her in den Führring. Dieser bemerkte, als er sich umsah, daß ich noch immer da war, und reagierte darauf mit einem neuerlichen Wutausbruch.

«Was für absolut grauenvolle Leute«, sagte Martha und schnitt eine Grimasse.»Haben Sie gehört, was der Kerl gesagt hat? Widerlich! So was laut auszusprechen!«

Meine liebe Martha, dachte ich bei mir, dieses Wort gehört zum gängigen Vokabular der Rennplätze. Die nettesten Leute bedienten sich seiner, es machte niemanden zum Schurken. Sie klopfte eifrig Sand von ihren Handschuhen, als gelte es, sich von einer Verseuchung zu reinigen, und ich erwartete eigentlich fast, daß sie ganz im Stile der unbezwingbaren Amerikanerin zu Rollo hinmarschieren würde, um ihm zu empfehlen, sich das lose Maul mal mit Seife auszuwaschen.

Harley hatte in der Zwischenzeit noch etwas anderes aus dem Gras aufgehoben und besah es sich hilflos.»Das hat er auch fallenlassen«, sagte er.»Glaube ich jedenfalls.«

Martha schaute sich das Ding an und nahm es ihm aus der Hand.

«O ja«, sagte sie, den Gegenstand erkennend,»das ist die andere Hälfte von dem Begießer. Sie nehmen es besser an sich, Derek, dann können Sie es ja diesem unangenehmen Freund Ihres Trainers wiedergeben, wenn Sie wollen.«

Ich betrachtete mit gerunzelter Stirn, was sie mir überreichte. Es war eine Plastikröhre, halb durchsichtig, hatte einen Durchmesser von etwa zweieinhalb und eine Länge von ungefähr zwanzig Zentimetern, war an der einen Seite offen und verengte sich an der anderen um die Hälfte.

«Das ist so ein Ding, das man dazu benutzt, um einen Braten mit Bratensaft zu übergießen«, sagte Martha.»Sie kennen so etwas, nicht wahr? Sie drücken den Gummiball, halten die Öffnung in die Flüssigkeit und lassen los, so daß sie eingesaugt wird, und besprühen dann das Fleisch damit.«

Ich nickte. Ich wußte, was ein Bratenbegießer war.

«Wie seltsam, so etwas mit zu einem Rennen zu nehmen«, sagte Martha.

«Mm«, stimmte ich ihr zu.»Das scheint mir überhaupt ein seltsamer Mensch zu sein. «Ich steckte die Plastikröhre in eine meiner Innentaschen, aus der ihr eines Ende ein paar Zentimeter herausragte, und dann gingen wir zum Führring hinüber, um dort >Dozen Roses< — nun mit seinem Jockey vereint — zu bewundern, und danach zur Tribüne, um ihn laufen zu sehen.

Der Jockey war Loders bester Mann, so befähigt, wie es ein Jockey nur sein konnte, und so redlich wie die meisten. Der Stall hatte eindeutig auf dieses Pferd gesetzt, dachte ich, als ich sah, wie sich an der Informationstafel der angezeigte Stand der Wetten von 2:1 zu 5:2 veränderte. Wenn ein am Spiel beteiligter Stall sein Geld nicht auf das favorisierte eigene Pferd setzte, dann fing sofort das Ge-raune an, und der Preis gab dramatisch nach. Dieses Ge-raune mußte heute, wo es darauf ankam, besagen, daß es Loder mit dem Sieg ernst und an Alfies niederträchtiger Unterstellung diesmal nichts dran sei.

Loders Stall zog — was in der Rennwelt wohlbekannt war

— auf Grund seiner alljährlichen Erfolge immer wieder Besitzer an, die echte Spieler, will sagen mehr am Gewinnen von Geld als am Gewinnen von Rennen interessiert waren. Das mag zwar wie eine Binsenweisheit klingen, ist es aber insofern nicht, als beispielsweise Besitzer, die sich bei Steeplechase-Rennen engagieren, im Normalfall weit eher darauf erpicht sind, die Rennen zu gewinnen. Sie machen nur hin und wieder mal Profit und gehen zumeist in realistischer Einschätzung der Lage davon aus, daß sie für ihr Vergnügen halt bezahlen müssen.

Ich fragte mich, ob es sich bei diesem Rollo wohl um einen der großen Spieler von Nicholas Loder handelte. Ich blätterte in meinem Programmheft zurück und sah seinen Namen nach, der neben jenem Pferd stand, das vorhin das Fliegerrennen gewonnen hatte. Besitzer: Mr. T. Rollway hieß es dort. Für seine Freunde kurz Rollo. Nie was von ihm gehört, dachte ich. Ob Greville ihn wohl gekannt hatte?

>Dozen Roses< galoppierte mit zumindest genausoviel Energie und Begeisterung zum Start wie die sieben anderen Pferde und ließ sich anstandslos in die Startbox führen. Die Strecke bis dorthin war er gut gegangen, fand ich, und hatte sich willig ins Zeug gelegt. Er war natürlich inzwischen auch schon ein alter Hase — genau wie ich, dachte ich trocken.

Ich war in meinen frühen Jahren als Amateur einige Flachrennen geritten und hatte dabei erfahren, daß das Anstrengendste und Überraschendste an dieser Hockstellung über dem Widerrist das Ausmaß war, in dem sie einem die

Lungen zusammenquetschte und damit das Atmen erschwerte. Die ersten Male war ich im Ziel aus Mangel an Sauerstoff fast vom Pferd gefallen. Das war lange her, dachte ich, während ich beobachtete, wie die Gitter aufflogen und die Boxen ihre Farben ausspuckten — lange her die Zeit, als ich noch jung war und alles noch vor mir hatte.

Wenn ich Grevilles Diamanten fände, ging mir durch den Kopf, würde ich in der Lage sein, mir irgendwann einen schönen, großen Hof in Lambourn zu kaufen und — frei von Darlehen und in bescheidenem Rahmen — als Trainer tätig zu werden, vorausgesetzt natürlich, ich könnte Besitzer dafür gewinnen, mir ihre Pferde zu überlassen. Ich zweifelte inzwischen nicht mehr daran, daß ich eines Tages, wenn mein Körper es aufgeben würde, schnell zu verheilen, wie das am Ende ja wohl jeder tat, mit einem solchen neuen Leben sehr zufrieden sein würde, auch wenn meine verzehrende Leidenschaft für die Rennreiterei durch nichts Zahmeres zu ersetzen war.

>Dozen Roses< lief mit der Meute — nach den ersten sechshundert Metern lagen alle Pferde noch dicht beieinander, flogen auf der gegenüberliegenden Geraden mit mehr als Reisegeschwindigkeit dahin, hatten aber durchaus noch Beschleunigungsmöglichkeiten in Reserve.

Und wenn ich Grevilles Diamanten nicht fände, dachte ich, würde ich alles zusammenkratzen, was ich hatte, und mir den Rest pumpen, um auf alle Fälle einen Hof zu kaufen und die Zukunft in Angriff zu nehmen. Aber noch nicht jetzt, noch nicht.

>Dozen Roses< und die anderen Pferde schwenkten nach links in die weite Kurve am anderen Ende der Rennbahn ein, und der Kurvenlauf brachte es mit sich, daß nun das dichte Feld auseinanderfiel. Beim Einbiegen in die Zielgerade, tausend Meter vom Einlauf entfernt, lag >Dozen Ro-ses< an vierter Stelle und machte keine großen Fortschritte. Ganz plötzlich wollte ich, daß er das Rennen gewänne, und mich überraschte die Intensität dieser Empfindung — ich wollte, daß er für Greville siegte, dem das nichts bedeutete, und vielleicht auch für Clarissa, der sehr wohl daran lag. Sentimentaler Narr, sagte ich zu mir. Wie dem auch sei — als die Menge anfing, ihre jeweiligen Favoriten mit lautem Geschrei ins Ziel zu treiben, da schrie auch ich für den meinen, was ich, soweit ich mich erinnern konnte, noch nie getan hatte.

Was immer sich jedoch Nicholas Loder gedacht haben mochte — aus einem Sieg würde nichts werden. >Dozen Roses< kämpfte sichtbar, als er sich zweihundert Meter vor dem Ziel mit großer Geschwindigkeit auf die zweite Position vorschob, hätte aber das Rennen nie und nimmer für sich entscheiden können, wenn nicht das mit einer halben Länge führende Pferd, gleichermaßen voll ausgeritten und erschöpft, im letzten Augenblick kurz von der geraden Linie abgewichen und mit ihm zusammengestoßen wäre.

«O je«, rief Martha traurig aus, als die beiden Pferde den Zielpfosten passierten.»Zweiter. Na ja, ist auch nicht so schlecht.«

«Sie werden Protest einlegen, und er kriegt das Rennen«, sagte ich.»Und das ist besser als gar nichts, nehme ich an. Ihr Gewinn ist Ihnen sicher.«

«Meinen Sie wirklich?«

«Ja, verlassen Sie sich drauf«, sagte ich, und unmittelbar darauf verkündeten die Lautsprecher, daß das Ergebnis durch die Stewards überprüft werde.

Langsamer, als mir lieb war, stiegen wir drei zu dem Platz vor dem Raum hinab, in dem die Jockeys gewogen wurden, zu dem Platz, auf dem das Pferd, das nicht mein Pferd war, stand und als Zweiter des Rennens abgesattelt wurde. Über seinen Rücken war eine Pferdedecke gelegt worden, und von seinem schweißnassen Fell stiegen Dampfschwaden auf. Er bewegte sich ruhelos hin und her, wie das Pferde oft nach sehr großen Anstrengungen tun, und sein Stallbursche hielt ihn fest am Zügel, versuchte, ihn zu beruhigen.

«Er ist ein großes Rennen gelaufen«, sagte ich zu Martha, und sie sagte:»Wirklich, mein Lieber?«

«Er hat nicht aufgegeben. Und das ist das, was zählt.«

Von Nicholas Loder keine Spur — er war wahrscheinlich bei der Rennleitung und legte seinen Protest ein. Die Stewards würden sich die Aufnahmen der verschiedenen Zielkameras anschauen und wahrscheinlich jeden Augenblick…

«Ergebnis der Überprüfung«, sagten die Lautsprecher.»Die Einlaufreihenfolge der beiden Erstplazierten wird umgekehrt.«

Kaum gerecht, aber unumgänglich — das schnellere Pferd hatte verloren. Nicholas Loder kam aus dem Wiegeraum und sah mich mit den Ostermeyers zusammenstehen, aber bevor ich noch die ersten tröstenden Worte wie etwa» Gut gemacht «sagen konnte, hatte er mir schon einen erbosten Blick zugeworfen und war in die entgegengesetzte Richtung verschwunden. Kein Rollo in seiner Begleitung, wie ich bemerkte.

Martha, Harley und ich kehrten, der Tee-Einladung der Universität folgend, in den Speisesaal des Clubs zurück, wo sich die Knightwoods wieder als liebenswürdige Gastgeber betätigten und Clarissa bei meinem Anblick erneut Schwierigkeiten mit ihren Tränendrüsen bekam. Ich verließ die Ostermeyers, die gerade Tassen und Untertassen von einer Bedienung entgegennahmen, und bewegte mich langsam zu ihr hinüber.

«So was Albernes«, sagte sie ärgerlich und blinzelte heftig, während sie mir ein Sandwich anbot.»Aber war er nicht großartig?«

«Das war er in der Tat.«

«Ich wünschte…«Sie verstummte. Ich wünschte das auch. Es bedurfte keiner Worte. Aber Greville war ja nie zu den Rennen gegangen.

«Ich bin ziemlich oft in London«, sagte sie.»Darf ich Sie anrufen, wenn ich wieder dort bin?«

«Ja, wenn Sie möchten. «Ich schrieb meine Privatnummer auf meine Rennkarte und gab sie ihr.»Ich wohne in Berkshire«, sagte ich,»nicht in Grevilles Haus.«

Sie sah mich verwirrt an.

«Ich bin nicht Greville«, sagte ich.

«Mein lieber Junge«, sagte ihr Mann dröhnend und blieb neben uns stehen,»bin hocherfreut, daß Ihr Pferd noch gewonnen hat. Obwohl es natürlich im eigentlichen Sinne gar nicht Ihr Pferd ist, wie?«

«Nein, Sir.«

Ein durchaus gescheiter Bursche, dachte ich und sah ihm in seine bei aller Jovialität intelligenten Augen. Nicht leicht an der Nase herumzuführen. Ich fragte mich flüchtig, ob er geahnt hatte, daß seine Frau einen Liebhaber hatte, selbst wenn ihm nicht bekannt gewesen war, um wen es sich handelte. Ich dachte, daß er mich, wenn er gewußt hätte, wer es gewesen war, wohl kaum zum Lunch gebeten hätte.

Er kicherte.»Der Professor sagt, Sie hätten ihm gute Tips gegeben und drei Sieger genannt.«

«Ein Wunder.«

«Er ist sehr beeindruckt. «Er blickte mich gnädig an.»Schauen Sie mal bei uns rein, mein Bester. «Das war die

Form von unbestimmter Einladung, die nicht dazu gedacht war, daß man ihr Folge leistete, sondern die in gewisser Weise nur die Bekräftigung milder Anerkennung darstellte.

«Ich danke Ihnen«, sagte ich, und er nickte, wohl wissend, daß er verstanden worden war.

Martha Ostermeyer kam herbei, um schwärmerisch zu äußern, wie wunderbar dieser ganze Tag gewesen sei, und danach fing — wie das immer so ist — die Party der Universität an, sich langsam aufzulösen.

Ich schüttelte Clarissa die mir zum Abschied gereichte Hand und auch die ihres Mannes, der neben ihr stand. Sie sahen gut aus zusammen, waren bei oberflächlicher Betrachtung ein ideales Paar.

«Wir sehen uns wieder«, sagte sie zu mir, und ich fragte mich, ob nur ich ihre unterdrückte Verzweiflung zu hören vermochte.

«Ja«, sagte ich fest.»Bestimmt.«

«Mein lieber Junge«, sagte ihr Mann.»Jederzeit.«

Harley, Martha und ich verließen den Rennplatz und stiegen in den Daimler. Simms folgte der Gewohnheit Brads und verstaute meine Krücken.

Martha meinte vorwurfsvoll:»Ihr Knöchel ist gebrochen, nicht verstaucht. Einer der Gäste hat es uns erzählt. Ich sagte, Sie hätten uns am Mittwoch was vorgaloppiert, und er wollte uns das einfach nicht glauben.«

«Das Gelenk ist so gut wie verheilt«, entgegnete ich schwach.

«Aber Sie werden >Dattelpalme< bei diesem Rennen am kommenden Samstag nicht reiten können, nicht wahr?«

«Nein, wohl nicht.«

Sie seufzte.»Sie sind sehr unartig. Jetzt müssen wir abwarten, bis Sie soweit sind.«

Ich schenkte ihr ein schnelles Lächeln größter Dankbarkeit. Es gab nicht viele Besitzer, die auch nur im Traum daran gedacht hätten, sich zu gedulden. Kein Trainer würde das tun — sie konnten sich das allerdings auch gar nicht leisten. Milo setzte im Augenblick einen meiner Erzrivalen in den Sattel der Pferde, die sonst ich ritt, und ich konnte nur hoffen, daß ich sie alle zurückbekommen würde, wenn ich wieder fit war. Das Hauptproblem bei Verletzungen war nicht so sehr die Verletzung selbst, sondern die Gefahr, daß man seine Pferde an andere Jockeys verlor. Und das manchmal auf Dauer, nämlich dann, wenn diese anderen siegreich waren.

«Und nun«, sagte Martha, als wir uns südwärts in Richtung London in Bewegung setzten,»habe ich noch eine wirklich wundervolle Idee gehabt, und Harley ist ganz meiner Meinung.«

Ich blickte mich zu Harley um, der hinter Simms saß. Er nickte nachsichtig. Diesmal war er frei von Befürchtungen.

«Wir wollen«, sagte sie glücklich,»auch >Dozen Roses< erwerben und zu Milo geben, damit er einen Steepler aus ihm macht. Das heißt«, fügte sie lachend hinzu,»wenn der Testamentsvollstrecker Ihres Bruders ihn uns verkauft.«

«Martha!«Ich war sprachlos und benutzte gedankenlos ihren Vornamen, obwohl ich sie bisher doch, wenn überhaupt, immer mit Mrs. Ostermeyer angeredet hatte.

«Da«, sagte sie, mit meiner Reaktion zufrieden,»ich hab doch gesagt, daß es eine wundervolle Idee ist. Was meinen Sie?«

«Dem Testamentsvollstrecker meines Bruders fehlen die Worte.«

«Aber Sie werden ihn uns verkaufen?«

«Gewiß werde ich das.«»Dann lassen Sie uns mal zum Autotelefon greifen und Milo anrufen, um es ihm zu sagen. «Sie war in bester Laune und nicht in der Stimmung zu warten, aber als sie Milo schließlich erreicht hatte, fing dieser offensichtlich nicht gleich Feuer. Mit einem Stirnrunzeln reichte sie mir den Hörer und sagte:»Er möchte mit Ihnen sprechen.«

«Hallo Milo«, sagte ich,»wo fehlt’s?«

«Das ist doch ein Hengst. Die springen nicht gut.«

«Es ist ein Wallach«, versicherte ich ihm.

«Du hast mir doch gesagt, daß dein Bruder das nie machen lassen wollte.«

«Nicholas Loder hat’s ohne seine Zustimmung getan.«

«Du machst Witze!«

«Nein«, sagte ich.»Im übrigen hat das Pferd heute sein Rennen auf Grund einer Schiedsrichterentscheidung gewonnen. Aber es ist ordentlich gelaufen und fit.«

«Ist es schon jemals gesprungen?«

«Das glaube ich nicht. Aber ich werd’s ihm schon beibringen.«

«Also gut. Gib mir noch mal Martha.«

«Leg nicht auf, wenn ihr fertig seid, ich hab nämlich noch etwas.«

Ich reichte Martha den Hörer, die mit nun wiederkehrender Begeisterung zuhörte und sprach, und schließlich war ich wieder dran.

«Wozu«, fragte ich,»trägt wohl einer von Nicholas Lo-ders Besitzern bei den Rennen so einen Bratenbegießer mit sich herum?«

«Einen was?«

«Einen Bratenbegießer. So ein Ding, das man in der Küche braucht. Du hast auch einen und benutzt ihn als Zerstäuber.«»Einfach und wirkungsvoll.«

Er benutzte ihn, ging mir durch den Kopf, bei den seltenen Gelegenheiten, wo es sich als die einfachste Methode erwies, einem Pferd ein Medikament zu verabreichen. Man verdünnte die Medizin oder löste sie in Wasser auf und füllte sie in den Gummiball des Bratengießers. Dann steckte man die Plastikröhre wieder drauf, schob diese dem Tier in eine seiner Nüstern und drückte den Gummiball mehrfach kräftig zusammen. Die Flüssigkeit wurde so direkt und sehr effektiv auf die Schleimhäute gesprüht, von wo sie sofort in die Blutbahn gelangte. Auch Puder ließ sich mit gleichem Ergebnis zerstäuben. Es war der schnellste Weg, ein Arzneimittel zur Wirkung zu bringen.

«Bei den Rennen?«sagte Milo.»Ein Besitzer?«

«Genau. Sein Pferd siegte beim Fliegerrennen über tausend Meter.«

«Der muß verrückt sein. Bei jedem Rennen machen sie bei zwei Pferden eine Dopingkontrolle, wie du weißt. Fast immer beim Sieger und dann noch bei einem beliebigen anderen Pferd. Kein Besitzer wird sein Pferd bei einem Rennen mit Drogen vollpumpen.«

«Ich weiß auch nicht, ob er das getan hat. Er hatte halt nur so einen Bratenbegießer bei sich, das ist alles.«

«Hast du das den Stewards gesagt?«

«Nein, das habe ich nicht. Nicholas Loder war mit dem Besitzer zusammen und wäre explodiert, wo er doch schon wütend genug auf mich war, weil ich die kleine Veränderung an >Dozen Roses< entdeckt hatte.«

Milo lachte.»Das ist es also, was die ganze letzte Woche für eine solche Aufregung gesorgt hat?«

«Du sagst es.«

«Wirst du Stunk machen?«»Wahrscheinlich nicht.«

«Du bist zu weich«, sagte er.»Ach ja, fast hätte ich es vergessen. Da kam eine telefonische Nachricht für dich. Wart eine Sekunde, ich hab’s notiert. «Er verschwand eine Weile, kam dann wieder.

«Da haben wir’s. Irgendwas wegen der Diamanten deines Bruders. «Er klang unsicher.»Kann das stimmen?«

«Ja. Was ist mit ihnen?«

Er mußte das Drängende in meiner Stimme gehört haben, denn er sagte:»Es ist nicht viel. Nur daß jemand versucht hat, dich gestern den ganzen Abend und heute den ganzen Tag anzurufen. Ich hab ihm aber gesagt, daß du in London übernachtet hast und heute nach York gefahren bist.«

«Wer war es?«

«Hat er nicht gesagt. Nur, daß er eine Nachricht für dich hätte. Dann machte er hm und äh und sagte, daß ich dir, wenn ich mit dir telefoniere, weitersagen solle, er würde dich im Haus deines Bruders anrufen, für den Fall, daß du dorthin gingest, und zwar so gegen zehn oder später. Es könnte auch eine sie gewesen sein. Schwer zu sagen. Eine von diesen mittellagigen Stimmen. Ich habe gesagt, ich wüßte nicht, ob du mich anrufen würdest, aber daß ich’s dir ausrichten würde, wenn ich könnte.«

«Gut, vielen Dank.«

«Ich betreibe keinen Botendienst«, sagte er unwirsch.»Warum schaltest du nicht wie jeder andere Mensch auch deinen Anrufbeantworter ein?«

«Das tue ich manchmal.«

«Nicht oft genug.«

Ich schaltete das Telefon mit einem Lächeln ab und fragte mich, wer mich da wohl zu erreichen versucht hatte. Es mußte jedenfalls jemand sein, der wußte, daß Greville Diamanten gekauft hatte. Es könnte auch Annette gewesen sein, dachte ich — ihre Stimme hatte so eine mittlere Lage.

Ich wäre gern unmittelbar nach unserer Rückkehr nach London zu Grevilles Haus gefahren, aber ich mußte wohl Marthas wundervoller Idee Rechnung tragen und der Einladung zum Essen Folge leisten. Also aßen wir drei zusammen, und ich versuchte, so lieb zu ihnen zu sein, wie sie lieb zu mir gewesen waren.

Martha verkündete während des Essens sogar noch eine weitere wundervolle Idee. Sie und Harley würden Simms oder einen anderen Chauffeur des Mietwagenunternehmens anheuern, damit er uns alle am folgenden Tage nach Lambourn fahre, wo wir dann Milo zum Essen ausführen würden, und sie >Dattelpalme< ein letztes Mal sehen könnten, bevor sie am Dienstag in die Staaten zurückflögen. Anschließend könnten sie mich bei meinem Haus absetzen und weiterfahren, um noch ein Schloß in Dorset zu besichtigen, das sie bei ihrem letzten Aufenthalt nicht mehr geschafft hatten. Harley sah schicksalsergeben drein. Wie ich wohl sehen konnte, war es Martha, die stets die Entscheidungen traf, was vielleicht der Grund dafür war, daß der unterdrückte Teil von ihm gelegentlich auf Parkplatzwächter einprügeln mußte, die nicht zu verhindern gewußt hatten, daß er eingeklemmt wurde.

Milo sagte mir, als ich ihn anrief, daß er zu so gut wie allem bereit sei, was den Ostermeyers Freude bereite, ein sonntägliches Mittagessen ganz entschieden eingeschlossen. Er erzählte auch, daß sich der Anrufer wieder gemeldet und er ihm/ihr gesagt habe, daß mich seine/ihre Botschaft erreicht habe.

«Danke«, sagte ich.

«Dann also bis morgen.«

Ich dankte den Ostermeyers in unzulänglicher Weise für alles und fuhr mit dem Taxi zu Grevilles Haus. Ich wollte den Taxifahrer erst bitten, wie Brad so lange zu warten, bis ich die Lage erkundet hätte, aber das Haus lag still und dunkel hinter seinen undurchdringlichen Gitterstäben, und da dachte ich, er würde mich wohl für einen Spinner oder Feigling oder beides halten, weshalb ich ihn bezahlte und, die Schlüssel aus der Tasche ziehend, das Tor in der Hek-ke öffnete. Dann ging ich den Pfad entlang zum Haus hin, bis die Lichter aufflammten und der Hund zu kläffen anfing.

Jeder macht mal einen Fehler.

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