Kapitel 15

Ich fing an, alles auszudrucken, was in den Geheimdateien gespeichert war, da die Betriebsanleitung dies als die beste Methode nahelegte, um sich die darin enthaltenen Informationen in schöner Vollständigkeit liefern zu lassen, vor allem mit Blick auf die Datei KOSTENERFASSUNG.

Jede» Kategorie «mußte gesondert ausgedruckt werden, und der Miniaturprinter tickerte — nicht eben sehr schnell — Zeile um Zeile auf den Papierstreifen. Fasziniert beobachtete ich seine stete, ganz geschäftsmäßige Produktion, wobei ich hoffte, daß die kleine Papierrolle bis zum Schluß reichen würde, war sie doch die einzige, die ich hatte.

Die Memo-Datei, die ich zuerst drannahm, erbrachte nur eine knappe Notiz:»Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.«

Dann folgte eine lange Liste von Tagen und Daten, die mit absolut gar nichts in Verbindung zu stehen schienen. Montag, 30. Januar; Mittwoch, 8. März… Verwirrt sah ich zu, wie die Reihe immer länger wurde, und es fiel mir nur auf, daß es sich bei den Tagen zumeist um Montag, Dienstag oder Mittwoch handelte, fünf oder sechs Wochen auseinander, manchmal weniger, manchmal mehr. Die Liste endete fünf Wochen vor seinem Tod, und sie fing… und sie fing vier Jahre davor an, dachte ich verblüfft. Vor vier Jahren, als er Clarissa kennengelernt hatte.

Der Gedanke an Greville erfüllte mich mit einer unerträglichen Traurigkeit. Er hatte sich da in eine Frau ver-

liebt, die ihr Zuhause um seinetwillen nicht aufgeben wollte, die er nicht hatte kompromittieren wollen — und er hatte, da war ich mir fast sicher, jeden Tag festgehalten, den sie zusammen hatten verbringen können, und ihn versteckt, wie er so vieles versteckt hatte. Eine ganze Menge Rosen, dachte ich.

Der Terminkalender, den ich als nächstes in Augenschein nahm, enthielt Verabredungen, die sich nirgendwo sonst verzeichnet gefunden hatten, so auch die Lieferung der Diamanten an seine Londoner Privatadresse. Für seinen Todestag waren zwei Termine vorgemerkt — der erste Eintrag lautete:»Ipswich, Orwell Hotel, P. 15.30«, der zweite:»Ankunft Koningin Beatrix 18.30, Harwich«. Für den darauf folgenden Montag hatte er notiert:»Treffen mit C Kings’s Cross 12.10, Lunch bei Luigi«.

Treffen mit C King’s Cross… Er war nicht erschienen, und sie hatte bei ihm zu Hause angerufen und eine Nachricht auf seinem Anrufbeantworter hinterlassen. Und irgendwann am Nachmittag dann hatte sie auch in der Firma angerufen, um sich nach ihm zu erkundigen. Arme Clarissa. Am Montagabend hatte sie die zweite, in höchstem Maße beunruhigende Botschaft hinterlassen — und dann am Dienstag erfahren, daß er tot war.

Der Drucker schnurrte und förderte einen weiteren Eintrag zutage, nämlich für den Samstag danach:»C und Dozen Roses beide in York! Kann ich hin? Nicht klug. Aufzeichnung TV

Der Drucker hörte auf, wie Grevilles Leben aufgehört hatte — abrupt. Keine Termine mehr.

Nun druckte ich die Telefon- und Adressenverzeichnisse aus — PRIVAT, FIRMA, AUSLANDSGESCHÄFT. Die Datei PRIVAT enthielt nur Knightwood, die FIRMA überschriebe-ne war völlig leer, aber bei AUSLANDSGESCHÄFT erschienen, wie ich mit immer größer werdenden Augen sah, fünf Namen und Adressen in Antwerpen. Eine der Anschriften war die von Jacob van Ekeren, eine die von Guy Servi, die anderen waren mir bislang noch unbekannt. Der Jubel ließ das Luftholen fast schmerzen — ich konnte nicht glauben, daß Greville diese Adressen nur so und ohne jeden Zweck gespeichert hatte.

Jetzt druckte ich noch die Datei KOSTENERFASSUNG aus, diese als letzte, da sie wahrscheinlich die komplizierteste war und am wenigsten vielversprechend erschien. Aber schon der erste Eintrag, der zum Vorschein kam, elektrisierte mich.

Antwerpen sagt 5 der ersten

Partie von rohen sind Zr.

Möchte es nicht glauben.

Unendlich traurig.

Prioritätsstufe 1.

Treffen vereinbaren. Ipswich?

Unentschlossen. Verdammt!

Ich wünschte mir, er wäre expliziter gewesen, genauer, aber er hatte keine Veranlassung dazu gesehen. Es war schon erstaunlich, daß er überhaupt so viel geschrieben hatte. Seine Betroffenheit mußte sehr groß gewesen sein, sonst hätte er sie wohl nicht im Hexer festgehalten. Keine der folgenden Eintragungen enthielt weitere Hinweise. Da waren nur kurz Zahlungen an einen Kurierdienst namens» Euro-Securo «vermerkt, dessen Telefonnummer ebenfalls angegeben war. Mitten in dieser Liste war das Papier alle. Ich holte den Rest der Informationen auf den Bildschirm und ließ sie dort durchlaufen, aber es war nichts Beunruhigendes mehr dabei.

Ich schaltete beide Minigeräte ab und las den langen, gerollten Ausdruck noch einmal von Anfang an durch, glättete ihn dann und faltete ihn so zusammen, daß er in die Brusttasche meines Hemdes paßte. Daraufhin zog ich mich an, packte meine Sachen, frühstückte, wartete auf Brad und fuhr hoffnungsvoll mit ihm nach London.

Die Telefonate mit Antwerpen mußten wegen der vorbeugenden Überprüfungen von den Büroräumen der Firma Saxony Franklin aus geführt werden. Mir wäre ein bißchen mehr Zurückgezogenheit, als sie Grevilles Büro bot, durchaus lieb gewesen, aber da war nichts zu machen. Immerhin war eines der ersten Dinge, nach denen ich Annette an diesem Morgen fragte, ob mein Bruder auch über eines dieser Geräte verfügt hatte, die einem anzeigten, ob jemand das Telefongespräch, das man gerade führte, an einem der anderen Apparate mithört. Alle Telefone der Firma waren miteinander verbunden.

«Nein, so etwas hatte er nicht«, sagte sie besorgt.

«Das hätte er aber sehr gut gebrauchen können«, sagte ich.

«Wollen Sie damit andeuten, daß wir ihm gegen seinen Willen zugehört hätten?«

«Nicht Sie«, versicherte ich ihr, als ich bemerkte, wie sehr sie mir schon den bloßen Gedanken verübelte.»Sonst aber — ja, ich glaube, es ist vorgekommen. Wie dem auch sei, ich möchte irgendwann an diesem Vormittag mal absolut sicher sein, daß niemand mithört. Vielleicht können ja, wenn dieses Gespräch zustande kommt, alle mal in den Lagerraum gehen und >Rule Britannia< singen.«

Annette machte niemals Scherze. Ich mußte ihr erklären, daß ich dies nicht wörtlich gemeint hatte. Sie sagte ziemlich verstimmt zu, wenn es soweit sei, alle Nebenstellen durchgehen und sicherstellen zu wollen, daß niemand lausche.

Ich fragte sie, warum Greville nicht auf alle Fälle einen privaten Anschluß habe legen lassen, und sie eröffnete mir, daß ein solcher sehr wohl da sei, daß sie ihn aber jetzt für das Telefax-Gerät benützten.

«Wenn er ganz ungestört sein wollte, dann ging er hinunter in den Hof und telefonierte vom Auto aus.«

Dort, so nahm ich an, war er wohl auch vor Leuten sicher gewesen, die sich hochempfindlicher Lauschgeräte bedienten — wenn er überhaupt den Verdacht gehabt hatte, daß so etwas auf ihn angesetzt war. Der Tatsache, daß er getäuscht wurde, war er sich jedenfalls bewußt gewesen, das stand zweifelsfrei fest.

Ich setzte mich an Grevilles Schreibtisch, nachdem ich die Tür hinter mir abgeschlossen hatte, und verglich die mir unbekannten Antwerpener Adressen aus dem Hexer mit der vollständigen, von June gelieferten Liste und fand sie dort alle vor.

Die ersten beiden erbrachten keine Resultate, aber bei der dritten erhielt ich, als ich erklärt hatte, wer ich war, die übliche Antwort, daß man in den Unterlagen nachschauen und zurückrufen wolle. Sie riefen zurück, aber die gestaltlose Stimme am anderen Ende war in beinah schon an Ablehnung grenzendem Maße vorsichtig.

«Wir hier bei Maarten-Pagnier sehen uns nicht in der Lage, irgend etwas mit Ihnen zu besprechen, Monsieur«, sagte mein Gesprächspartner.»Monsieur Franklin hat ausdrücklich angeordnet, daß wir mit niemandem von seiner Firma außer ihm sprechen.«

«Mein Bruder ist tot«, sagte ich.

«Das sagen Sie, Monsieur. Aber er hat uns gewarnt und gebeten, daß wir uns vor Versuchen anderer in acht nehmen sollten, Informationen über seine Angelegenheiten einzuholen, weshalb wir sie auch mit Ihnen nicht erörtern können.«

«Würden Sie dann bitte so gut sein und seine Anwälte anrufen, um sich bestätigen zu lassen, daß er tot ist und ich seine Geschäfte weiterführe.«

Nach einer kurzen Pause sagte die Stimme streng:»In Ordnung, Monsieur. Geben Sie uns bitte den Namen seiner Anwälte.«

Ich tat dies und mußte dann ewig warten, während drei Kunden telefonisch lange Bestellungen aufgaben, die ich notierte, wobei ich mich bemühte, keine mangelnder Konzentration zuzuschreibende Fehler zu machen.

Dann kam der hektische Anruf einer fast nicht zu verstehenden Frau, die dringend Mr. Franklin zu sprechen wünschte.

«Mrs. P.?«fragte ich vorsichtig.

Und es war Mrs. P. - Mrs. Patterson, wie sie nun sagte. Ich teilte ihr die schreckliche Nachricht mit und hörte mir an, wie sie mir erklärte, was für ein feiner und netter Herr mein Bruder gewesen sei und ob ich, o Himmel, sie fühle sich einer Ohnmacht nahe, die Unordnung im Wohnzimmer gesehen habe?

Ich brachte ihr bei, daß das ganze Haus so aussähe.»Aber lassen Sie’s bitte so«, sagte ich.»Ich räume das später auf. Wenn Sie danach dann kommen könnten, um zu saugen und Staub zu wischen, wäre ich Ihnen sehr dankbar.«

Sich ein wenig beruhigend, gab sie mir ihre Telefonnummer.

«Sagen Sie mir Bescheid«, willigte sie ein.»O je, o je.«

Schließlich meldete sich die Antwerpener Stimme wieder, und ich bat den Anrufer, sich einen Augenblick zu gedulden. Ich hüpfte zur Tür, rief Annette, übergab ihr die Bestellungen, die ich entgegengenommen hatte, und sagte ihr, daß der Augenblick gekommen sei, die Abwehrmaßnahmen zu ergreifen. Sie warf mir einen mißbilligenden Blick zu, als ich die Tür wieder schloß.

Auf Grevilles Platz zurückgekehrt, sagte ich:»Bitte sagen Sie mir, Monsieur, ob mein Bruder in irgendeiner geschäftlichen Beziehung zu Ihnen gestanden hat. Ich versuche hier, seine Angelegenheiten zu ordnen, aber er hat leider viel zu wenig an Unterlagen hinterlassen.«

«Er hat uns ganz speziell darum gebeten, nie irgendwelche schriftlichen Unterlagen über die Arbeiten, die wir für ihn ausführten, an seine Firma zu schicken.«

«Er hat, äh, was getan?«

«Er sagte, er könne nicht allen seinen Mitarbeitern so vertrauen, wie er sich das wünsche. Wir sollten alles, was unumgänglich sei, lieber an das Fax-Gerät in seinem Wagen schicken, aber auch das erst, nachdem er sich telefonisch gemeldet habe, um die Sachen abzurufen.«

«Hm«, sagte ich und blinzelte.»Ich habe das Fax-Gerät in seinem Auto gefunden, aber keinerlei Mitteilungen, Rechnungen oder dergleichen von Ihnen.«

«Ich glaube, daß Sie sie, wenn Sie bei seinem Steuerberater nachfragten, dort finden würden.«

«Du lieber Himmel!«

«Wie bitte, Monsieur?«

«Ich habe völlig vergessen, diesen Steuerberater mal zu befragen«, sagte ich bestürzt.

«Er meinte, aus steuerlichen Gründen.«

«Ja, ich verstehe. «Ich zögerte.»Was genau haben Sie eigentlich für ihn gemacht?«

«Monsieur?«

«Hat er Ihnen«, fragte ich ein ganz klein wenig atemlos,»hundert Rohdiamanten, Färbung H, Durchschnittsgewicht 3,2 Karat, zum Schleifen und Polieren geschickt?«

«Nein, Monsieur.«

«Oh. «Meine Enttäuschung mußte hörbar gewesen sein.

«Er hat uns zwar fünfundzwanzig Steine geschickt, aber fünf davon waren keine Diamanten.«

«Zirkon«, sagte ich wissend.

«Ja, Monsieur. Wir teilten das Mr. Franklin sofort mit, als wir es entdeckt hatten. Er meinte, wir irrten uns, aber das taten wir nicht, Monsieur.«

«Nein«, stimmte ich ihm zu.»Er hat eine Notiz hinterlassen, aus der hervorgeht, daß fünf Steine dieser ersten Partie Zirkon seien.«

«Ja, Monsieur. Er war in höchstem Maße betroffen. Wir stellten einige Nachforschungen für ihn an, aber er hatte die Steine bei einem Sightholder von untadeligem Ruf gekauft und die Steine ja auch selbst nachgemessen und — gewogen, als sie ihm an seine Londoner Privatadresse geliefert wurden. Er schickte sie uns dann in einem versiegelten Paket des Kurierdienstes Euro-Securo. Wir versicherten ihm, daß der Fehler nicht uns hier unterlaufen sei, und es war kurz danach, daß er uns bat, keine Sendungen oder Informationen mehr an irgend jemanden in seiner… Ihrer Firma zu schicken. «Er machte eine Pause und fuhr dann fort:»Er arrangierte mit uns die Übernahme der fertigen Steine, erschien dann aber nicht zu dem Treffen mit unserem Boten.«

«Mit Ihrem Boten?«

«Einer unserer Partner, um genau zu sein. Angesichts der fünf umstrittenen wollten wir die Steine lieber selbst an ihn übergeben, und Monsieur Franklin hielt das auch für eine ausgezeichnete Idee. Unser Partner fliegt nicht gern, und deshalb wurde vereinbart, daß er mit der Fähre übersetzen und dann auch auf diesem Wege hierher zurückkehren sollte. Er ist schon älter und hatte sich nicht auf eine längere Abwesenheit von zu Hause eingerichtet. Er war. nun, ungehalten darüber, daß er diese ermüdende Reise ganz umsonst hatte machen müssen. Er sagte, er wolle abwarten, bis er von Monsieur Franklin höre, neue Instruktionen von ihm bekomme. Wir haben dann gewartet, waren aber auch sehr verwirrt. Wir haben nicht versucht, Monsieur Franklin in seiner Firma zu erreichen, da er uns das ja untersagt hatte, aber wir dachten auch schon daran, jemand anderen zu bitten, den Versuch zu machen, für uns Verbindung mit ihm aufzunehmen. Die Nachricht von seinem Tod betrübt uns sehr. Das erklärt wirklich alles.«

«Ist Ihr Partner mit der Koningin Beatrix nach Harwich gereist?«

«So ist es, Monsieur.«

«Und er hatte da die Diamanten bei sich?«

«Jawohl, Monsieur. Und er brachte sie von dort wieder mit. Wir werden nun auf weitere Anweisungen von Ihnen warten.«

Ich holte tief Luft. Zumindest zwanzig der Steine waren in Sicherheit. Fünf fehlten. Fünfundsiebzig waren… ja, wo?

Der Herr in Antwerpen sagte:»Es ist überaus bedauerlich, daß Monsieur Franklin die geschliffenen Steine nicht mehr gesehen hat. Sie ließen sich gut bearbeiten. Zwölf Tropfen von großer Leuchtkraft, bemerkenswert vor allem bei dieser Färbung. Acht waren für Tropfen ungeeignet, wie wir Monsieur Franklin auch mitgeteilt haben, aber als Sterne sehen sie sehr hübsch aus. Was sollen wir nun mit ihnen machen, Monsieur?«

«Wenn ich mit dem Juwelier gesprochen habe, für den sie geschliffen wurden, werde ich Ihnen Bescheid geben.«

«Sehr wohl, Monsieur. Und unsere Rechnung? Wohin sollen wir die schicken?«Er nannte taktvoll den fälligen Betrag.

«An die Firma«, sagte ich, und die Aussicht ließ mich aufseufzen.»Schicken Sie sie an mich und kennzeichnen Sie den Brief als >persönlich<.«

«Sehr wohl, Monsieur.«

«Und ich danke Ihnen«, sagte ich.»Sie sind mir eine große Hilfe gewesen.«

«Stets zu Ihren Diensten, Monsieur.«

Ich legte langsam den Hörer auf die Gabel, um zwölf funkelnde Tropfen reicher, die dazu ausersehen waren, im Sonnenschein zu hängen und zu strahlen, und auch noch um acht Sterne, die vielleicht von einem Phantasiestück aus Bergkristall herab schimmern würden. Besser als gar nichts, aber nicht genug, um das Unternehmen zu retten.

Auf meine Krücken gestützt, begab ich mich auf die Suche nach Annette und bat sie, nach Prospero Jenks zu fahnden, wo immer er stecken mochte, und einen neuen Termin mit ihm zu vereinbaren, wenn möglich noch am heutigen Nachmittag. Dann ging ich — Grevilles Tip folgend — hinunter in den Hof und rief von meinem Autotelefon aus seinen Steuerberater an.

Brad, der in einer Zeitschrift für Golfer las, schenkte mir keine Beachtung.

Ob er denn Golf spiele, fragte ich ihn.

Nein, das tue er nicht.

Der Steuerberater bestätigte sehr entgegenkommend, daß er Umschläge sowohl von meinem Bruder als auch aus Antwerpen erhalten und weisungsgemäß ungeöffnet verwahrt habe und auf weitere Instruktionen warte.

«Sie werden sie für die Gesamtabrechnung brauchen«, sagte ich.»Würden Sie sie also bitte noch bei sich behalten?«

Das sei absolut kein Problem.

«Ich hab’s mir gerade noch mal überlegt«, sagte ich,»und möchte Sie doch bitten, alle Umschläge zu öffnen und mir zu sagen, von wem die Antwerpener Briefe stammen.«

Wiederum überhaupt kein Problem — die Briefe stammten alle entweder von Guy Servi, dem Sightholder, oder von Maarten-Pagnier, den Diamantschleifern. Nichts von einer anderen Firma. Also auch keine anderen, sicheren Häfen für fünfundsiebzig Steinchen.

Ich dankte ihm, betrachtete Brad, der sich einen gelehrten Vergleich zwischen Ballesteros und Faldo zu Gemüte führte, und dachte über Illoyalität und den Verfall von Freundschaft nach.

Es war sehr erholsam hier unten im Auto. Brad las weiter. Ich dachte an Raub mit Gewaltanwendung und an Gewaltanwendung ohne Raub, dachte daran, wie ich mit einem Ziegelstein flachgelegt worden war und wie ich Simms durch eine Kugel hatte sterben sehen, die eigentlich für mich bestimmt gewesen war — und ich fragte mich, ob jemand, angenommen ich wäre tot, das finden könnte, was ich jetzt suchte, oder ob der Betreffende vielleicht glaubte, er werde es nicht finden, solange ich noch am Leben sei.

Ich bewegte mich, fischte einen Scheck aus meiner Tasche, den ich schon oben ausgeschrieben hatte, und reichte ihn Brad.

«Was das denn?«sagte er und besah ihn sich.

Normalerweise zahlte ich ihm seinen Lohn bar aus, aber jetzt erklärte ich ihm, daß ich nicht mehr soviel dabei hätte, wie ich ihm schulde, daß auch Geldautomaten nicht soviel auf einmal ausspucken würden, und daß wir schon des längeren nicht mehr zu einer Zeit in Hungerford gewesen wären, zu der die Banken noch offen gehabt hätten, wie er vielleicht bemerkt habe.

«Geben Sie’s mir halt ’n andermal in bar«, sagte er und hielt mir den Scheck hin.»Und Sie ham mich auch doppelt bezahlt.«

«Für die letzte Woche und für diese«, sagte ich und nickte mit dem Kopf.»Wenn wir zur Bank kommen, tausche ich ihn gegen Bares ein. Aber Sie können ihn auch selbst hinbringen. Es ist ein Firmenscheck. Die Bank würde Ihnen das Geld auszahlen.«

Er sah mich lange an.

«Ist das wegen der Schießerei und so was? Für den Fall, daß Sie nie zur Bank kommen?«

Ich zuckte die Achseln.»So könnte man sagen.«

Er sah auf den Scheck, faltete ihn sorgfältig zusammen und steckte ihn ein. Dann nahm er die Zeitschrift wieder zur Hand und starrte mit leerem Blick auf die Seite, die er gerade gelesen hatte. Ich war für das Ausbleiben von Anmerkungen und Einwänden dankbar und sagte nach einer Weile in sachlichem Tonfall, daß ich mich noch ein bißchen nach oben begeben wolle und warum er nicht zum Mittagessen gehe.

Er nickte.

«Haben Sie noch genug Geld für das Mittagessen?«

«Wollja.«

«Sie könnten mal aufschreiben, was Sie ausgegeben haben. Dafür ist noch genug da.«

Er nickte wieder.

«Also gut«, sagte ich.»Wir sehen uns später.«

Oben sagte mir Annette, daß sie die eingegangene Post geöffnet und zur Erledigung hingelegt habe. Und sie habe Prospero Jenks erreicht, der mich in seinem Geschäft in Knightsbridge erwarte, jederzeit zwischen drei und sechs.

«Großartig.«

Sie runzelte die Stirn.»Mr. Jenks wollte wissen, ob Sie ihm die Sachen mitbringen würden, die Mr. Franklin für ihn besorgt hätte. Also Grev — er nennt Mr. Franklin immer Grev. Ich wünschte, er unterließe das… Ich habe ihn gefragt, was das für Sachen seien, aber er sagte nur, das wüßten Sie schon.«

«Er spricht von Diamanten«, sagte ich.

«Aber wir haben doch…«Sie schwieg einen Augenblick und fuhr dann mit einer Art verzweifelter Heftigkeit fort:»Ich wünschte, Mr. Franklin wäre da. Nichts ist mehr so, wie es war, so ohne ihn.«

Sie warf mir einen Blick zu, in dem ihre ganze Unsicherheit und ihre Zweifel an meinen Fähigkeiten lagen und stapfte in ihren eigenen Herrschaftsbereich davon, während mir durch den Kopf ging, daß ich angesichts all dessen, was vor mir lag, dankbarer gewesen wäre, wenn sie mir das Vertrauen ausgesprochen hätte — und auch ich wünschte mir Greville von ganzem Herzen zurück.

Die Polizei von Hungerford, die meine Nummer von Milos Sekretärin bekommen hatte, rief an und wollte wissen, ob ich mich noch an das Auto erinnern könne, das der bewaffnete Gangster gefahren habe. Sie hätten die Leute mit dem Kombi gefragt, ob sie sich an das Fabrikat und die Farbe des letzten Autos erinnern könnten, das ihnen entgegengekommen sei, bevor sie um die Kurve gebogen und in den Daimler gekracht seien, und eines der Kinder, ein Junge, habe ihnen eine Beschreibung geliefert. Sie wären auch in der Zeit, in der die Feuerwehrleute und andere versucht hatten, mich zu befreien, die Reihen der Leute abgegangen, die angehalten hatten, um zuzuschauen, und hätten die gefragt, ob sich jemand an das letzte entgegenkommende Fahrzeug erinnern könne. Nur die ersten beiden Fahrer hätten sich überhaupt entsinnen können, daß ihnen ein Auto entgegengekommen sei, hätten sonst aber keine hilfreichen Angaben machen können. Ob ich irgendeine auch noch so vage Erinnerung habe, denn sie versuchten, alle Eindrücke, die sie zusammentragen könnten, zusammenzufügen.

«Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen«, sagte ich,»aber leider unterhielt ich mich gerade mit Mr. und Mrs. Ostermeyer und achtete überhaupt nicht auf die Straße. Sie ist ein bißchen kurvig, wie Sie ja wissen, und ich glaube, Simms hatte auf eine Strecke gewartet, wo er das Auto vor uns überholen konnte, aber alles, was ich Ihnen dazu wie schon am Sonntag sagen kann, ist, daß der Wagen eine ins Graue gehende Farbe hatte und ziemlich groß war. Vielleicht ein Mercedes. Das ist aber nur ein Eindruck.«

«Das Kind aus dem Kombi meint, daß es ein grauer Volvo war, der sehr schnell fuhr. Der Busfahrer meint, der fragliche Wagen sei ziemlich langsam gefahren, bevor der Daimler versucht habe, ihn zu überholen, und er habe ebenfalls vorgehabt, an ihm vorbeizukommen und deshalb Gas gegeben, weshalb er ja dann den Daimler mit solcher Wucht gerammt habe. Er sagt, das Auto sei silbergrau gewesen und mit hohem Tempo davongefahren, was zu der Aussage des Jungen paßt.«

«Hat der Busfahrer die Pistole oder die Schüsse bemerkt?«fragte ich.

«Nein, Sir. Er achtete da nur auf die Straße und auf den Daimler, nicht auf den Wagen, den er überholen wollte. Dann scherte der Daimler plötzlich aus und prallte von der Mauer zurück, genau in seinen Weg. Er habe den Zusammenstoß nicht vermeiden können, sagt er. Können Sie das bestätigen, Sir?«

«Ja. Alles ging so wahnsinnig schnell. Er hatte wirklich keine Chance.«

«Wir fragen in der ganzen Gegend herum und bitten, daß sich alle melden, die an diesem Sonntagnachmittag eine graue, viertürige Limousine, möglicherweise einen Volvo, auf dieser Straße beobachtet haben, aber bislang haben wir nichts Neues erfahren. Wenn Ihnen noch etwas dazu einfallen sollte, und seien es auch nur geringfügige Kleinigkeiten, dann rufen Sie uns doch bitte an.«

Das wolle ich gern tun, sagte ich.

Ich legte auf und stellte mir dabei die Frage, ob wohl die von Vaccaro niedergeschossenen Piloten die Marke der Autos erkannt hatten, die ihren Tod ausgespieen hatten. Alle, die Zeuge dieser Morde geworden waren, hatten wohl, so nahm ich an, mit verständnislosem Grauen auf die zusammenbrechenden Opfer geschaut und waren nicht auf die Straße gesprungen, um einem schnell entschwindenden Nummernschild nachzustarren.

Niemand hatte an jenem Sonntag irgendwelche Schüsse gehört. Niemand, so hatte die Witwe Greville erzählt, hatte Schüsse gehört, als ihr Mann getötet worden war. Ein Schalldämpfer auf einer Pistole in einem fahrenden Auto… ein schnelles Pffft… Vorhang zu.

Vaccaro konnte Simms nicht erschossen haben. Vaccaro ergab keinen Sinn. Eher jemand mit den gleichen antisozialen Gewohnheiten wie die Leute in Nordirland oder anderswo. Ein gedankenloser Nachahmer. Präzedenzfälle gab’s mehr als genug.

Milos Sekretärin war sehr aktiv gewesen und hatte auch Phil Urquhart meine Londoner Nummer gegeben, der als nächster anrief, um mir mitzuteilen, daß bei >Dozen Ro-ses< keine Barbiturate nachzuweisen seien und daß er nun mit Blick auf den Verkauf eine Gesundheitsbescheinigung ausstellen werde.

«Gut«, sagte ich.

«Ich bin heute morgen noch mal zu einer Untersuchung des Pferdes dagewesen. Es ist noch immer ziemlich fromm. Das scheint sein natürlicher Zustand zu sein.«

«Mm.«

«Höre ich Zweifel?«

«Er ist jedenfalls jedesmal aufgeregt genug, wenn er zum Start galoppiert.«

«Natürliches Adrenalin«, sagte Phil.

«Wenn’s ein anderer als Nicholas Loder gewesen wäre.«

«Er würde so was nie riskieren«, sagte Phil, mir zustimmend.

«Aber wissen Sie… es gibt Stoffe, die die Wirkung des Adrenalins verstärken, also zum Beispiel Koffein. Bei den im Rennsport üblichen Tests wird danach nicht gesucht, weil diese Stoffe nicht als Stimulantien gelten. Es ist Ihr Geld, das für die Analysen draufgeht, die ich für Sie habe machen lassen. Wir haben noch was von der Urinprobe übrig. Wollen Sie, daß ich noch weitere veranlasse, wir nach was suchen, was wir im Normalfall nicht weiter beachten? Ich meine, glauben Sie wirklich, daß Nicholas Loder dem Pferd irgendwas gegeben hat, und wenn ja, möchten Sie wissen, was?«

«Es war einer seiner Besitzer, ein Mann namens Rollway, der dieses Bratendings dabeihatte, nicht Loder.«

«Gleiche Entscheidung. Möchten Sie noch etwas mehr Geld ausgeben oder die Sache auf sich beruhen lassen? Es könnte ja sein, daß das Geld zum Fenster rausgeschmissen ist. Und wenn die Tests zu einem Ergebnis führen, was dann? Sie wollen doch nicht, daß das Pferd disqualifiziert wird, das wäre wohl kaum sinnvoll.«

«Nein… wäre es nicht.«»Was macht Ihnen dann noch Kopfzerbrechen?«fragte er.

«Ich hör’s doch an Ihrer Stimme.«

«Die Angst«, sagte ich.»Nicholas Loder hatte Angst.«

«Oh. «Er schwieg einen kurzen Augenblick.»Ich könnte die Tests natürlich auch anonym machen lassen.«

«Ja. Lassen Sie sie machen. Ich möchte vor allem verhindern, daß den Ostermeyers eine Zitrone verkauft wird, wie sie sagen würden. Wenn >Dozen Roses< nicht auf Grund seiner ureigensten Stärken siegen kann, dann werde ich ihnen den Gedanken ausreden, ihn in ihren Besitz zu bringen.«

«Sie wollen also um ein negatives Resultat beten.«

«In der Tat.«

«Als ich heute morgen bei Milo war«, sagte er,»da telefonierte er gerade mit den Ostermeyers in London, erkundigte sich nach ihrem Befinden und wünschte ihnen eine gute Reise. Sie waren immer noch ein bißchen angeschlagen, wie’s schien.«

«Es wäre überraschend, wenn sie’s nicht wären.«

«Sie kommen aber wieder nach England, um >Dattel-palme< im Hennessy laufen zu sehen. Was macht Ihr Fußgelenk?«

«Bis dahin wieder so gut wie neu.«

«Na, dann also mal tschüß. «Ich konnte sein Lächeln förmlich hören.»Machen Sie’s gut.«

Er legte auf und ließ mich mit dem Gedanken allein, daß es immer noch gute Dinge auf dieser Welt gab, beispielsweise das Vertrauen der Ostermeyers und meine Teilnahme am Hennessy, und ich stand auf und stellte meinen linken Fuß auf den Boden, um auf diese Weise einen Bericht über seine Fortschritte zu erhalten.

Alles gar nicht so übel, solange ich ihn nicht belastete, aber gegen jeden Versuch zu gehen erhob er noch immer stechend schmerzenden Protest. Na schön, dachte ich und setzte mich wieder hin, dann gib ihm halt noch ein oder zwei Tage. Der Knöchel hatte ja auch nicht gerade eine therapeutische Woche hinter sich und gab ganz ohne Frage sein Bestes, gegen alle Widerstände. Am Donnerstag, dachte ich mir, würde ich mich von den Krücken trennen. Spätestens am Freitag. Und dann würde ich wieder laufen können. Immer optimistisch! Es war der Glaube, der heilte.

Das stets geschäftige Telefon klingelte erneut, und ich meldete mich schon routinemäßig mit» Saxony Franklin?«

«Derek?«

«Ja«, sagte ich.

Es war ganz unverkennbar Clarissas Stimme, die sagte:»Ich bin in London. Können wir uns treffen?«

Ich hatte sie noch nicht so bald erwartet. Ich sagte:»Ja, natürlich. Wo?«

«Ich dachte… vielleicht… bei Luigi. Kennen Sie Luigis Bar und Restaurant?«

«Nein«, sagte ich gedehnt,»aber ich werd’s schon finden.«

«Es ist in der Swallow Street in der Nähe des Piccadilly Circus. Wäre es Ihnen recht, wenn wir uns auf einen Drink träfen, sagen wir um sieben?«

«Und Abendessen?«

«Nun.«

«Und Abendessen«, sagte ich.

Ich hörte sie seufzen.»Ja, gut. «Dann legte sie auf, und ich saß da und konnte verstehen, daß sie einerseits den unwiderstehlichen Drang verspürte, mich dahin zu lotsen, wo sie sich mit Greville verabredet hatte, sich andererseits aber auch im klaren darüber war, daß sie das vielleicht besser nicht tun sollte.

Ich hätte nein sagen können, dachte ich. Das hätte ich, hatte es aber nicht. Ein wenig Selbstbeobachtung offenbarte, daß auch meine Reaktion auf sie nicht eindeutig war — so schien ich zum Beispiel unentschieden, ob ich sie trösten oder von ihr getröstet werden wollte.

Um halb vier war ich mit der Schreibtischarbeit fertig, stellte eine Bestellung von Perlen und eine von Türkisen zusammen, schloß den Tresorraum ab und brachte Annette dazu, wieder zu lächeln, wenn auch nur schwach. Um vier hielt Brad vor dem Geschäft von Prospero Jenks in Knightsbridge, und ich stellte das Telefon für ihn an, damit ich ihn wissen lassen konnte, wann meine Besprechung zu Ende war und er mich wieder abholen konnte.

Prospero Jenks war da, wo ich ihn schon beim letzten Mal angetroffen hatte, das heißt, er saß in Hemdsärmeln an seiner Werkbank. Der diskrete Herr im dunklen Anzug, der im Geschäft Kunden bediente, nickte mir kurz zu und gab damit den Weg nach hinten frei.

«Er erwartet Sie, Mr. Franklin.«

Pross erhob sich mit einem Lächeln auf seinem jugendlich-alten Peter-Pan-Gesicht und streckte mir die Hand hin, ließ sie aber wieder fallen, als ich ihm meine nicht reichte, sondern statt dessen nur das Griff stück meiner einen Krücke grüßend hin und her bewegte.

«Erfreut, Sie zu sehen«, sagte er, bot mir einen Stuhl an und wartete, bis ich mich gesetzt hatte.»Haben Sie mir meine Diamanten mitgebracht?«Er setzte sich wieder auf den Schemel an seiner Werkbank.

«Nein, leider nicht.«

Er war enttäuscht.»Ich dachte, das sei der Grund Ihres Besuches hier.«

«Nein, nicht eigentlich.«

Ich blickte mich in dem langgestreckten Arbeitsraum mit den vielen Schränkchen voller ungefaßter Steine um und dachte an die Wunderdinge, die er da herstellte. Der an der Wand stehende Spruch lautete noch immer: DREHE KUNDEN NIEMALS DEN RÜCKEN ZU. BEHALTE STETS IHRE HÄNDE IM AUGE.

Ich sagte:»Greville hat fünfundzwanzig Rohdiamanten nach Antwerpen geschickt, um sie dort für Sie schleifen zu lassen.«

«Das ist richtig.«

«Fünf davon waren Zirkone.«

«Aber das gibt’s doch nicht!«

«Haben Sie«, fragte ich,»die Steine vertauscht?«

Das halbe Lächeln erstarb auf seinem Gesicht, das steif und ausdruckslos wurde. Die hellen blauen Augen sahen mich unverwandt an, und die Falten auf seiner Stirn vertieften sich.

«Das ist doch Unsinn«, sagte er.»So etwas Törichtes würde ich niemals tun.«

Ich antwortete nicht sogleich, und das schien ihm Kraft zu geben.

«Sie können doch nicht einfach hier hereinspaziert kommen und völlig haltlose Beschuldigungen von sich geben. Los, Sie verschwinden besser. «Er stand halb auf.

Ich sagte, ohne mich zu rühren:»Als die Diamantschleifer Greville mitteilten, daß es sich bei fünf der Steine um Zirkon handele, da war er am Boden zerstört. Sehr verletzt.«

Ich griff in die Brusttasche meines Hemdes und zog den Papierstreifen heraus, den mir der Hexer geliefert hatte.

«Wollen Sie’s sehen?«fragte ich.»Lesen Sie mal das da.«

Nach kurzem Zögern nahm er das Papier, setzte sich wieder und las den Eintrag:

Antwerpen sagt 5 der ersten Partie

von rohen sind Zr.

Möchte es nicht glauben.

Unendlich traurig.

Prioritätsstufe 1.

Treffen vereinbaren. Ipswich?

Unentschlossen. Verdammt!

«Greville pflegte seine Gedanken in einem Notizbuch festzuhalten«, sagte ich.»Dort findet sich auch der Satz: >Unendlich traurig ist, wenn man einem alten Freund nicht mehr vertraut.««

«Na und?«

«Seit Grevilles Tod«, sagte ich,»hat jemand versucht, die Diamanten zu finden, sie mir zu stehlen. Dieser Jemand mußte jemand sein, der wußte, daß sie existierten und ergo auch gefunden werden konnten. Greville hielt aus Sicherheitsgründen die Tatsache, daß er Diamanten gekauft hatte, weitgehend geheim. Aber Sie wußten natürlich Bescheid, denn für Sie hatte er sie ja schließlich erstanden.«

Er sagte wieder:»Na und?«

«Wie Sie sich vielleicht erinnern werden«, sagte ich, immer noch im Plauderton,»brach nach Grevilles Tod jemand in sein Büro ein und stahl so Sachen wie ein Adressbuch und einen Terminkalender. Ich fing an zu glauben, der Dieb habe auch noch andere Papiere gestohlen, die ihm vielleicht den Weg zu den Diamanten weisen würden, also etwa Briefe oder Rechnungen. Aber ich weiß jetzt, daß Papiere dieser Art dort nicht zu finden waren, weil sich Greville von seinem Mißtrauen leiten ließ. Dieses Mißtrauen ging auf den Tag zurück, an dem ihm die Antwerpener Diamantschleifer mitgeteilt hatten, daß fünf der Steine Zirkone seien, und das war ungefähr drei Wochen, bevor er starb.«

Grevilles Freund Pross sagte nichts.

«Greville kaufte die Diamanten«, fuhr ich fort,»von einem Sightholder mit Sitz in Antwerpen, der sie ihm durch Boten an seine Londoner Privatadresse schickte. Dort überprüfte er Größe und Gewicht und quittierte dann den Empfang. Nun erscheint es sinnvoll anzunehmen, daß er sie daraufhin Ihnen, seinem Kunden, zeigte. Oder vielleicht auch nur fünfundzwanzig davon. Dann schickte er fünfundzwanzig per Euro-Securo-Kurier zurück nach Antwerpen. Fünf Diamanten waren auf wunderbare Weise zu Zirkonen geworden, und ja, es war wirklich dumm, so was zu machen, weil doch der Tausch so gut wie sofort entdeckt werden mußte, und Sie wußten auch ganz genau, daß er entdeckt werden würde. Mußte. Sie rechneten fest damit, würde ich sagen, daß Greville Sie niemals verdächtigen, sondern schwören würde, daß die fünf Steine nur von einem Mitarbeiter des Kurierdienstes oder aber von den Diamantschleifern in Antwerpen vertauscht worden sein konnten. Und daß er eben zu gegebener Zeit die Versicherungssumme kassieren würde und die Sache damit dann erledigt sei. Sie hätten fünf Diamanten gewonnen, und er nichts verloren.«

«Das können Sie nicht beweisen«, sagte er ausdruckslos.

«Nein, das kann ich nicht beweisen. Aber Greville war sehr bekümmert und mißtrauisch, und warum hätte er das sein sollen, wenn er der Ansicht gewesen wäre, daß Fremde die Steine an sich gebracht hatten?«

Ich sah, ein wenig von Grevilles Traurigkeit empfindend, Prospero Jenks an. Ein sympathisches, unterhaltsames Genie, das meinen Bruder sehr und dauerhaft gemocht hatte und dessen Trauer angesichts seines Todes echt gewesen war.

«Ich möchte meinen«, sagte ich,»daß er nach der langen Freundschaft mit Ihnen, nach all den Schätzen, die er Ihnen herbeigeschleppt hatte, nach dem rosa und grünen Turmalin und Ihrem ungeheuren Erfolg Ihren Verrat kaum zu ertragen vermochte.«

«Hören Sie auf«, sagte er scharf.»Es ist schlimm genug…«

Er schloß den Mund, schüttelte den Kopf und schien in sich zusammenzusinken.

«Er hat mir verziehen«, sagte er dann.

Er schien zu denken, daß ich ihm nicht glaubte.

Er sagte unglücklich:»Ich habe so gut wie von Anfang an gewünscht, ich hätte es nicht getan, wenn Sie’s wissen wollen. Es war einfach so ein Impuls. Er ließ die Diamanten hier, während er ein paar Einkäufe machte, und ich hatte zufällig ein paar rohe Zirkone von der richtigen Größe in diesen Schubfächern da liegen, wie meistens, weil ich immer abwarte, bis ich weiß, was für einen Schliff ich brauche, und hab… sie einfach ausgetauscht. Wie Sie sagten. Ich dachte, er würde dadurch keinen Verlust erleiden.«

«Aber er wußte es«, sagte ich.»Er kannte Sie, und er wußte als Richter, der er war, eine Menge über Diebe. Ein anderer Gedanke, den er mal niedergeschrieben hat, lautet: >Wenn sich Gesetze als störend erweisen, dann ignoriere sie, sie gelten nicht für dich.««

«Hören Sie auf, hören Sie doch auf. Er hat mir vergeben.«»Wann?«

«In Ipswich. Ich fuhr hin, um mich dort mit ihm zu treffen.«

Ich hob den Kopf.»Ipswich. Orwell Hotel, P. 15.30«, sagte ich.

«Was? Ja. «Er schien nicht überrascht, daß ich das wußte. Er schien vielmehr in sich hinein und auf eine unerträgliche Szenerie zu blicken.

«Ich sah ihn sterben«, sagte er.

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