Kapitel 11

Ich kam nicht bis zu den Stufen, die zur Haustür hinaufführten. Eine dunkle Gestalt, nur schwach in dem gleißend hellen Licht der Strahler wahrgenommen, stürzte sich wie ein angreifender Rugbyspieler von schräg hinten auf mich, traf mich wie eine Kanonenkugel, und als ich den Boden erreichte, sauste etwas sehr Hartes auf meinen Kopf herab.

Ich hatte nicht das Gefühl, daß mir die Sinne schwanden oder daß Zeit verging. In einem Augenblick war ich wach, und im nächsten war ich es auch, oder es schien mir doch wenigstens so, wobei ich aber auf ganz unbestimmte Art wußte, daß zwischen beiden ein Intervall lag.

Was ich nicht zu sagen vermochte, war, wo ich mich befand — nur, daß ich mit dem Gesicht nach unten im Gras lag. Ich war schon mehrfach in meinem Leben mit einer Gehirnerschütterung auf Gras erwacht, aber dies noch nie im Dunkeln. Sie konnten das Rennen doch nicht alle verlassen haben und nach Hause gegangen sein, mich da einfach die ganze Nacht auf der Bahn liegenlassend, dachte ich.

Ganz allmählich aber kehrte die Erinnerung daran, wo ich mich befand, wieder zurück. In Grevilles Vorgarten. Am Leben. Ein Hoch auf die kleinen Wohltaten!

Ich wußte aus Erfahrung, daß die beste Art und Weise, mit einem solchen k.o.-Schlag fertig zu werden, die war, nichts zu überstürzen. Andererseits war ich diesmal nicht

von einem Pferd geflogen, nicht auf Grevilles taschentuchgroßem Turf. Es mochte sehr wohl auch dringende Gründe geben, ganz schnell aufzustehen — wenn sie mir bloß einfallen würden!

Ich entsann mich plötzlich ganz vieler Dinge und stöhnte leise, zog dann die Knie unter mir an, zuckte zusammen und tastete nach meinen Krücken. Ich fühlte mich dumm und fuhr fort, dumm zu handeln, agierte schließlich nur mit fünfzigprozentiger Hirnleistung. Später auf die Ereignisse zurückblickend, wußte ich, was ich hätte tun sollen

— nämlich mich still aus der Pforte und zu einem Nachbarhaus stehlen, um von dort aus die Polizei anzurufen. Statt dessen schleppte ich mich zu Grevilles Haustür, und natürlich ging das Flutlicht wieder an, begann der Hund wieder zu kläffen — und ich stand wie angenagelt in Erwartung einer erneuten Attacke, schwankte unsicher an meinen Krücken, vollkommen kraftlos und elend.

Die Tür stand offen, wie ich nun sah, und im Hausflur brannte Licht. Und wie ich noch so unentschlossen dort stand, wurde die Tür von innen noch weiter aufgerissen, und der Rugbyspieler kam herausgeschossen, wieder wie eine Kanonenkugel.

Die Kanonenkugel war ein Motorradhelm, glänzend und schwarz, das durchsichtige Visier vor dem Gesicht heruntergeklappt. Das Gesicht hinter dem Visier schien ebenfalls schwarz zu sein, aber das war ein schwarzer, wollener Kopfschützer, dachte ich, und nicht schwarze Haut. Undeutlich nahm ich so etwas wie Jeans, Jeansjacke, Handschuhe, schwarze Turnschuhe wahr, alles in schneller Bewegung. Er wandte den Kopf ein ganz klein wenig zur Seite und mußte gesehen haben, wie unsicher ich dort herumstand, aber er hielt sich nicht damit auf, mich mit einem weiteren Stoß aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er hechtete über das Gartentor und lief dann die Straße hinunter, und ich blieb einfach da im Garten stehen, wo ich stand, und wartete darauf, daß mein Kopf noch ein wenig klarer werden und wieder zu arbeiten anfangen würde.

Als das in gewissem Maße geschah, ging ich die paar Treppenstufen hinauf und durch die Tür ins Haus. Die Schlüssel steckten, wie ich feststellte, noch im untersten Schloß — es war der kleine, nur aus drei Schlüsseln bestehende Bund, den Clarissa gehabt und den ich an Stelle von Grevilles größerem benutzt hatte, weil er viel weniger wog. Ich hatte es, ging mir durch den Kopf, dem Eindringling dadurch leicht gemacht, daß ich die Schlüssel bereits in der Hand gehalten hatte.

In panischem Schrecken faßte ich in meine Hosentasche, um festzustellen, ob mir Grevilles Schlüsselbund gestohlen worden war, aber zu meiner großen Erleichterung war er noch da, und die Schlüssel klirrten leise.

Ich schaltete die Scheinwerfer und den Hund ab und schloß in der plötzlich herrschenden Stille die Haustür. Dann ging ich in Grevilles kleines Wohnzimmer, das aussah, als sei ein Hurrikan hindurchgezogen. Ich besah mir das Chaos eher mit Zorn als mit Schrecken und hob dann das Telefon vom Boden auf, um die Polizei anzurufen. Ein Einbruch, sagte ich. Der Einbrecher sei fort.

Danach saß ich mit dem Kopf in den Händen in Grevilles Stuhl, sagte laut und mit tief empfundener Wut» Scheiße!«und befühlte vorsichtig die Beule, die auf meinem Schädel zu wachsen begann. Ein saublöder Punktelieferant, das war ich mal wieder gewesen, dachte ich. Wie schon am vergangenen Sonntag. Viel zu sehr wie am vergangenen Sonntag, um Zufall zu sein. Der Kanonenkugelstürmer hatte beide Male gewußt, daß ich nicht in der Lage sein würde, einen plötzlichen Ansturm in aufrechter Haltung zu überstehen. Ich nahm an, daß ich noch dankbar dafür sein mußte, daß er mir den Schädel nicht vollends eingeschlagen hatte, wo doch die Gelegenheit dazu durchaus gegeben gewesen war. Und auch diesmal kein Messer.

Nach einer Weile sah ich mich müde im Zimmer um. Die Bilder hingen nicht mehr an der Wand, die meisten ihrer Gläser waren kaputt. Die Schubladen waren aus den Tischen herausgerissen und die Tische umgekippt worden. Die kleinen rosa und braunen Steinbären lagen am Fußboden verstreut, die Chrysanthemen und ihre Blumenerde waren in den Teppich gestampft, der dazugehörige Topf in den zersplitterten Bildschirm des Fernsehers eingebettet worden. Ich fand den Videorecorder aus seiner Halterung gerissen — er war einfach fallengelassen worden, und die Bänder mit den Aufzeichnungen der Rennen lagen, meterweise aus den Kassetten gezerrt, ruiniert herum. Die Gewalt, mit der das alles angerichtet worden war, erbitterte mich ebenso sehr wie das Gefühl, versagt und diesen Überfall nicht verhindert zu haben.

Viele Bücher waren aus dem Regal gerissen worden, aber ich bemerkte mit grimmiger Befriedigung, daß keines davon geöffnet am Boden lag. Auch wenn die hohlen Bände keine Diamanten enthielten, so hatte der Einbrecher doch wenigstens nicht entdeckt, daß solche ausgehöhlten Bücher überhaupt dabei waren. Ein schwacher Trost, dachte ich.

Schließlich und endlich traf auch die Polizei ein — einer der Beamten war in Uniform, der andere nicht. Ich ging durch den Flur, als sie an der Haustür läuteten, blickte prüfend durch den Spion, ließ sie herein und erklärte ihnen, wer ich sei und aus welchem Grunde hier. Sie hatten beide ungefähr mein Alter und schon eine ganze Menge Einbrüche gesehen.

Sich Grevilles Zimmer emotionslos betrachtend, zogen sie Notizbücher hervor und hielten meine Schilderung des Überfalls im Garten fest. (Ob ich wegen der Beule lieber einen Arzt aufsuchen wolle? Nein, das wollte ich nicht.) Dieses Haus sei ihnen schon bekannt, sagten sie. Der neue Besitzer, mein Bruder, habe all diese Gitter an den Fenstern anbringen und die Alarmanlage direkt mit dem Polizeirevier verbinden lassen, so daß jeder, der versucht hätte, das Gebäude auf diesem Weg zu betreten, sofort von ihnen geschnappt worden wäre. Polizeiexperten hätten bei der Installation beratend zur Seite gestanden und das Haus danach als so gut gesichert wie nur irgend möglich bezeichnet, was es ja auch gewesen sei — bis jetzt. Aber sollten da nicht auch noch Scheinwerfer an und Hundegebell zu hören sein? Das hätte alles ausgezeichnet funktioniert, bestätigte ich, aber ich hätte beides vor ihrem Eintreffen wieder abgestellt.

«Also gut, Sir«, sagten sie ziemlich uninteressiert,»und was ist nun entwendet worden?«

Das wisse ich nicht. Nichts Großes wohl, sagte ich, denn der Einbrecher habe beide Hände frei gehabt, als er über die Gartenpforte gesprungen sei.

So klein, daß es in die Tasche gepaßt habe, notierten sie.

Und das übrige Haus? Sei das in gleichem Zustand?

Ich sagte, daß ich das noch nicht habe feststellen können. Krücken. Schlag auf den Kopf und so. Sie erkundigten sich nach dem Grund für die Krücken. Gebrochenes Fußgelenk, sagte ich. Ob es mir vielleicht Schmerzen verursache? Nur ein bißchen.

Ich begleitete sie auf ihrem Rundgang durch das Haus und entdeckte, daß der Tornado überall durchgezogen war. Im großen Wohnzimmer im Erdgeschoß waren alle Bilder von den Wänden und alle Schubfächer aus den Kommoden und Tischen gezerrt worden.

«Der hat einen Safe gesucht«, sagte einer der Polizisten und drehte eines der ruinierten Bilder herum.»Hatte Ihr Bruder hier einen? Wissen Sie das?«

«Ich habe keinen gesehen«, sagte ich.

Sie nickten und gingen nach oben. Das schwarz-weiße Schlafzimmer war auf die gleiche Weise durchwühlt worden wie die unteren Räume, ebenso das Badezimmer. Überall lagen Kleidungsstücke verstreut. Im Bad war der ganze Fußboden übersät mit Aspirin und anderen Pillen. Eine Zahnpastatube war von einer Schuhsohle breitgetreten worden. Im Waschbecken lag eine Dose Rasiercreme, und ihr Inhalt war teilweise in Kringeln auf den Spiegel gespritzt worden. Die Polizisten gaben mir zu verstehen, daß ich noch recht glimpflich davongekommen sei, habe der Eindringling doch nicht alles mit Sprüchen und Exkrementen beschmiert.

«Der hat also nach was Kleinem gesucht«, sagte der Polizist in Zivil.»Ihr Bruder handelte mit Edelsteinen, nicht wahr?«

«Ja.«

«Haben Sie selbst hier irgendwo Juwelen vorgefunden?«

«Nein, das habe ich nicht.«

Sie schauten in das ebenfalls auf dieser Etage liegende, unbewohnte Zimmer hinein und stiegen dann die Treppe weiter nach oben, um sich auch dort umzusehen, kamen aber schon bald wieder herunter und berichteten, daß dort nichts zu finden sei als leerer Raum. Eine einzige, riesig große Dachkammer, erklärten sie, als ich ihnen gestand, noch nie dort oben gewesen zu sein. Sei vielleicht mal ein Atelier gewesen, meinten sie.

Wir stiegen nun alle in das Zwischengeschoß im Keller hinab, wo wir in der Küche ein unbeschreibliches Chaos vorfanden. Jede einzelne Schachtel mit Cornflakes oder anderer Frühstückskost war ausgeleert, Mehl und Zucker ausgeschüttet und offensichtlich durch ein Sieb gegeben worden. Die Tür des Kühlschranks stand sperrangelweit offen, seine Innereien lagen ausgeweidet am Boden. Alle Flüssigkeiten waren in den Ausguß geschüttet worden, die Kartons und Flaschen lagen entweder leer oder in Scherben auf dem Abtropfbrett. Ich vermißte die Eiswürfel, aber die waren wahrscheinlich schon geschmolzen. Die Hälfte der auf dem Betonfußboden liegenden Teppichfliesen war weggerissen worden.

Die Polizisten gingen phlegmatisch umher, betrachteten sich alles, faßten aber nur wenig an, hinterließen nur ein paar Fußspuren in dem mehligen Staub.

Ich fragte unsicher:»Wie lange mag ich wohl bewußtlos gewesen sein? Wenn er das alles hier…«

«Zwanzig Minuten, würde ich sagen«, meinte der eine, und der andere nickte.»Er hat schnelle Arbeit geleistet, wie Sie sehen können. Am längsten hat er sich wahrscheinlich hier unten aufgehalten. Ich würde sagen, daß er gerade diese Teppichfliesen losgerissen und nach einem Fußbodensafe gesucht hat, als Sie den Alarm erneut auslösten. Ich schätze, er ist da in Panik geraten, hat sich gesagt, daß er sich schon zu lange hier aufgehalten habe. Und wenn Ihnen das was nützt — ich glaube außerdem, daß er, wenn er wirklich was Bestimmtes gesucht haben sollte, dies nicht gefunden hat.«

«Gute Nachricht, nicht wahr?«sagte der andere trocken und sah mich forschend an.

«Ja, natürlich. «Ich berichtete ihnen, daß am vergangenen Wochenende auch in die Büros der Firma Saxony Franklin eingebrochen worden war.»Wir konnten nicht mit Sicherheit feststellen, was sie da außer einem Adreß-büchlein noch geklaut haben. Wenn man das hier sieht«, sagte ich und deutete auf die Verwüstung,»wahrscheinlich gar nichts.«

«Einleuchtende Annahme«, sagte der eine.

«Wenn Sie wieder im Dunkeln herkommen«, riet der andere,»dann suchen Sie erst mit einer schön starken Taschenlampe den Garten ab, bevor Sie durch die Pforte gehen. Sieht ganz so aus, als habe er da auf Sie gewartet, im Schatten der Hecke versteckt und außerhalb der Reichweite von dem Mechanismus, der die Scheinwerfer einschaltet und der auf Körperwärme reagiert.«

«Danke«, sagte ich.

«Und schalten Sie die Alarmanlage wieder ein, wenn Sie gehen.«

«Ja.«

«Und ziehen Sie alle Vorhänge zu. Manchmal lungern Einbrecher weiter draußen rum, wenn sie nicht gefunden haben, worauf sie erpicht sind, und hoffen, daß die Hausbewohner, wenn sie nach Hause kommen, schnurstracks zu ihren Wertsachen laufen, um nachzusehen, ob sie noch da sind. Und dann kommen sie wieder, um sie zu stehlen.«

«Ich werde die Vorhänge zuziehen«, sagte ich.

Auf dem Weg nach draußen sahen sie sich noch im Garten um und fanden in der Nähe der Stelle, an der ich wieder zu mir gekommen war, einen halben Ziegelstein. Sie zeigten ihn mir. Er mache die ganze Angelegenheit zu einem Raubüberfall.

«Wenn Sie den Räuber erwischen«, sagte ich.

Sie zuckten die Achseln. So, wie die Dinge lägen, sei das nicht sehr wahrscheinlich. Ich dankte ihnen für ihr Kommen, und sie sagten, sie würden einen Bericht anfertigen, den ich den Versicherungen vorlegen könne, falls ich Schadensersatzansprüche geltend machen wolle. Dann zogen sie sich zu dem Polizeiwagen zurück, der draußen vor dem Tor in der zweiten Reihe geparkt stand, und fuhren davon, und ich schloß die Haustür, schaltete die Alarmanlage ein und fühlte mich deprimiert und dumm und kraftlos, wobei keine dieser drei Befindlichkeiten meiner normalen entsprach.

Die Polizisten hatten überall das Licht brennen lassen. Deshalb stieg ich langsam die Stufen zur Küche hinunter, um es zu löschen, aber als ich dann dort war, blieb ich eine Weile still stehen und dachte über die Unordnung und den möglichen Grund dafür nach.

Wer immer da gekommen war, war gekommen, weil seiner Ansicht nach die Diamanten irgendwo im Haus zu finden sein mußten. Ich nahm an, daß ich zumindest für diese Information dankbar sein sollte, und ich tendierte auch dazu, dem Polizisten Glauben zu schenken, der gemeint hatte, daß die Suche des Einbrechers nicht zum Erfolg geführt hätte. Ob ich wohl in der Lage wäre, zu finden, was er gesucht hatte, wenn ich etwas gründlicher nachschaute?

Ich hatte bei meinem ersten Besuch hier unten gar nicht so genau registriert, daß es sich bei dem roten Teppichboden eigentlich um Teppichfliesen handelte, waschbare Quadrate, die Geräusche besser dämpften und wärmer waren als herkömmliche Steinfliesen. Ich war im Haus meiner Eltern mit einem solchen Fußbodenbelag groß geworden.

Die einzelnen Fliesen, die plan lagen und genau paßten, waren nicht auf dem harten Untergrund festgeklebt worden, so daß der Eindringling keinerlei Schwierigkeiten gehabt hatte, sie wegzuziehen. Er war nicht sicher gewesen, ob es da wirklich einen Safe gab, dachte ich, denn wenn er das gewesen wäre, hätte er nicht den Zucker durchgesiebt. Und wenn er doch Erfolg gehabt und einen Safe gefunden hatte — was dann? Er hatte sich nicht die Zeit genommen, weitere Schritte zu unternehmen. Er hatte mich nicht umgebracht. Hatte mich nicht gefesselt. Mußte gewußt haben, daß ich wieder zu mir kommen würde.

Das Ergebnis meiner Überlegungen war, daß seine Sucherei eine sehr hektische und planlose gewesen sein mußte — was aber weder die Beule auf meinem Kopf noch meinen erneut mißhandelten Knöchel weniger schmerzhaft machte. Fleischwölfe hatten auch keinen Verstand. Und das durchgedrehte Fleisch, dachte ich niedergeschlagen, ebensowenig.

Ich zog die Vorhänge zu, wie mir aufgetragen worden war, bückte mich und nahm eine weitere rote Teppichfliese vom Fußboden auf, wobei ich an Grevilles Sicherheitskomplex dachte. Es würde ihm durchaus ähnlich sehen, einen Safe in das Fundament des Hauses einzulassen und ihn dann in irreführender Weise zuzudecken. Einen Safe in Beton einzubetten, wie es in dem Merkblatt beschrieben war. Die Menschen neigten zu dem Glauben, Safes müßten immer in Wände eingelassen sein — da waren Fußböden weit weniger offensichtlich und deshalb sicherer, wenn auch nicht so leicht zugänglich. Ich zog noch ein paar Fliesen beiseite, an meinen Schlußfolgerungen ebenso zweifelnd wie an meiner Zurechnungsfähigkeit.

Mich ließ das gleiche Gefühl weitermachen, das ich auch im Tresorraum gehabt hatte. Ich erwartete gar nicht, irgend etwas zu finden, aber es erschien mir auch töricht, mich nicht trotzdem und für alle Fälle zu vergewissern. Diesmal brauchte es nicht drei Tage, sondern eine halbe Stunde, bis alle Teppichfliesen beiseite gezogen waren, mit Ausnahme eines kleinen Fleckchens unter einem Teewagen. Unter diesem Teppichquadrat fand ich, als ich den Teewagen weggeschoben hatte, ein flaches, rundes, silbrig glänzendes Stück Metall, das mit dem Beton bündig abschloß und in das ein Ring eingelassen war, an dem man es hochheben konnte.

Erstaunt und plötzlich unerträglich hoffnungsvoll kniete ich nieder, klappte den Ring hoch und zog daran — da kam das flache Metallstück frei, ging ab wie der Deckel einer Keksdose und ließ darunter eine weitere Metallschicht sichtbar werden, eine äußerst solide aussehende Stahlplatte von der Größe eines flachen Tellers, die ein Schlüsselloch und ebenfalls einen versenkbaren Griff zum Anheben aufwies.

Ich zog an diesem zweiten Griff. Ebensogut hätte ich versuchen können, das Haus mitsamt seinen Wurzeln aus dem Boden zu reißen. Ich probierte alle Schlüssel an Grevilles Bund durch, aber keiner paßte auch nur annähernd.

Selbst Greville, dachte ich, mußte diesen Schlüssel einigermaßen erreichbar verwahrt haben, aber die Aussicht, schon wieder nach irgend etwas suchen zu sollen, erfüllte mich mit Mattigkeit. Grevilles Angelegenheiten bildeten einen Irrgarten, in dem es mehr Sackgassen gab als in Hampton Court.

Dann erinnerte ich mich daran, daß ja auch in den hohlen Büchern Schlüssel verborgen lagen. Ich konnte also ebensogut auch bei denen anfangen. Ich zog nach oben und grub Mit dem Maultier durch Patagonien und die anderen aus und fand die beiden geschäftsmäßig aussehenden Schlüssel wieder, ferner den verzierten, der für einen vernünftigen Gebrauch viel zu extravagant aussah. Grevilles Gedankengängen entsprechend, war es dann genau dieser, dessen Bart leicht in das Schloß des Safes hineinglitt und auf leichten Druck hin dessen Mechanismus bewegte.

Auch dann wollte sich der runde Deckel jedoch nicht öffnen lassen. Zwischen Hoffnung und Frust schwankend, fand ich schließlich heraus, daß der ganze obere Teil des Safes, wenn man nicht an ihm zog, sondern ihn drehte, dieser Bewegung nachgab, bis er gegen eine Sperre stieß. Und das war der Punkt, an dem er endlich sein Widerstreben aufgab und sich von mir mühelos hochheben ließ.

Der Raum darunter war groß genug, um darin eine Kiste Champagner aufzubewahren, aber zu meiner großen Enttäuschung enthielt er keinen Notgroschen, sondern nur einen Stapel geschäftlich aussehender brauner Umschläge. Mit einem schweren Seufzer nahm ich die beiden zuoberst liegenden heraus und entdeckte, daß der erste die Besitzurkunde für das Haus und der zweite die Unterlagen enthielt, die zur Beantragung eines für seinen Kauf bestimmten Darlehens erforderlich gewesen waren. Ich las den entsprechenden Brief mit wachsender Resignation durch — Grevilles Haus gehörte im wesentlichen nicht mir, sondern einer Finanzierungsgesellschaft.

Ein weiterer Umschlag enthielt eine Kopie seines Testamentes, das genauso einfach war, wie seine Anwälte gesagt hatten, und in noch einem anderen steckten seine Geburtsurkunde sowie die Geburts- und Heiratsurkunden unserer Eltern. Ein Umschlag enthielt die Police einer Lebensversicherung, die er schon vor sehr langer Zeit abgeschlossen hatte, um sich im Rentenalter ein Einkommen zu sichern — leider hatte die Inflation ihren Wert ziemlich aufgezehrt, und er hatte ganz offensichtlich nie für eine Aufstockung gesorgt. Statt dessen hatte er, wie mir klar wurde, als ich mich dessen erinnerte, was ich über die Finanzen seines Unternehmens in Erfahrung gebracht hatte, seine Gewinne in die Firma investiert, um zu expandieren, und war so auf den Wogen der Inflation mitgeschwommen, so daß ihm ein stattliches Einkommen sicher gewesen wäre, wenn er die Firma bei seinem Rückzug in den Ruhestand verkauft hätte.

Ein guter Plan, dachte ich — bis er ihn durch die Aufnahme von 1,5 Millionen Dollar zunichte gemacht hatte, die zum Fenster hinausgeflogen waren. Aber das hatte er natürlich nicht absichtlich getan, sondern einen vernünftigen Plan gehabt, wie ein solider Gewinn zu erzielen war.

Ehrenhaft Handel treiben… Er hatte ein gutes Einkommen gehabt, ein sorgloses Leben geführt und seine Rennpferde laufen lassen — aber er hatte kein großes Privatvermögen angehäuft. Sein Wohlstand lag, wie immer man es auch betrachten wollte, in seinen Steinen.

Tod und Teufel, dachte ich. Wenn ich diese verdammten Diamanten nicht finden konnte, dann würde ich ihn damit ebenso enttäuschen wie mich selbst. Er würde sich nichts sehnlicher wünschen, als daß ich sie fände — aber wo, hol’s der Geier, hatte er sie hingetan?

Ich steckte die Umschläge in ihren Privatkeller zurück, behielt nur die Versicherungspolice draußen und legte den schweren, runden Deckel zurück auf die Öffnung. Drehte ihn, drehte den Schlüssel herum, legte das obere Metallstück an seinen Platz zurück und die Teppichfliesen obenauf. Das Versteck war ohne Zweifel feuersicher, hatte sich auch als einbruchsicher erwiesen, und ich hatte keine Ahnung, warum Greville es nicht zur Aufbewahrung von Edelsteinen benutzt hatte.

Mich geschlagen gebend, kletterte ich schließlich ins Schlafzimmer hinauf, wo ich meine Reisetasche — wie alles andere auch — umgedreht und ausgeleert fand. Das machte kaum noch etwas aus. Ich hob meinen Schlafanzug auf, zog meine Sachen aus und ihn an und ging ins Bad. Der Spiegel war noch halb mit Rasierschaum zugesprüht, und als ich den mit einem Waschlappen weggewischt und ein Distalgesic geschluckt und mir die Zähne geputzt und eine ganze Menge von den unter meinen Füßen knirschenden Trümmerstücken mit einem Handtuch zur Seite gekehrt hatte, war meine Tagesration an Energie mehr als verbraucht.

Obwohl Mitternacht schon längst vorbei war, konnte ich zunächst nicht einschlafen. Schläge auf den Kopf waren doch etwas sehr Seltsames, dachte ich. Es war schon vor-gekommen, daß ich noch eine ganze Woche dösig gewesen und oft mitten im Satz eingeschlafen war. Ein andermal war ich herumgelaufen und hatte mich offensichtlich meinem Arzt gegenüber sehr vernünftig geäußert, hatte mich aber schon eine halbe Stunde später an nichts mehr erinnern können. Diesmal, dort in Grevilles Bett, fühlte ich mich zittrig und aus dem Gleichgewicht gebracht. Ich dachte mir, daß dies wahrscheinlich ebensoviel mit dem Angriff auf mich zu tun hatte wie mit der dabei erlittenen Gehirnerschütterung.

Ich lag ganz still da und ließ die Stunden vergehen, dachte an Gut und Böse und darüber nach, warum Dinge geschahen — und fühlte mich am Morgen ruhig und schon wieder viel besser. Auf dem Klodeckel im Badezimmer sitzend, nahm ich mir den elastischen Verband ab und begab mich hüpfend und mich an Gegenständen festhaltend unter die dringend benötigte Dusche, duschte luxuriös lange, wusch mir die Haare und ließ den Staub und die Trümmer und die geistigen Anspannungen der Woche unter dem sanften Bombardement der Wassertropfen davonschwimmen. Danach saß ich, ein Handtuch um die Lenden geschlungen, auf dem schwarz-weißen Bett und unterzog die Knöchelszenerie einer eingehenderen Untersuchung.

Sie sah weit besser aus als noch vor sechs Tagen — das ließ sich mit Bestimmtheit sagen. Andererseits war das Gelenk noch immer schwarz, noch immer ziemlich geschwollen und noch immer sehr schmerzempfindlich. Immer noch durch Stöße verwundbar. Ich spannte meine Waden- und Fußmuskeln mehrfach an, und die Knochen und Bänder protestierten nach wie vor heftig, was aber nicht zu ändern war. Um stark zu bleiben, mußten sich Muskeln bewegen — dies und nichts anderes war entscheidend. Ich knetete die Wadenmuskeln ein wenig, um sie zu ermutigen, und überlegte, ob ich mir nicht von Milo ein

Gerät namens» Electrovet «ausleihen sollte, das irgendwo bei ihm herumstand und das er bei seinen Pferden einsetzte, wenn es galt, Schwellungen der Beinmuskulatur durch elektrische Impulse zum Abklingen zu bringen und die Tiere wieder fit zu machen. Was bei Pferden funktionierte, meinte ich, sollte doch wohl bei mir auch erfolgreich sein.

Schließlich legte ich den Verband wieder an, nicht ganz so ordentlich wie der Orthopäde, aber, so hoffte ich, doch wenigstens so wirkungsvoll. Dann zog ich mich an, wobei ich mir von Greville ein sauberes weißes Hemd borgte, ging hinunter ins kleine Wohnzimmer und rief Nicholas Loder an.

Er schien nicht erfreut, meine Stimme zu hören.

«Gratuliere zum Erfolg von >Dozen Rosesc.«

Er knurrte.

«Um die Besitzfrage endgültig zu klären«, fuhr ich fort,»habe ich mich um einen Käufer bemüht.«

«Jetzt hören Sie mal!«fing er wütend an.»Ich…«

«Ja, ich weiß«, unterbrach ich ihn,»Sie würden ihn am liebsten einem Ihrer Besitzer verkaufen und in Ihrem Stall behalten, wofür ich durchaus Verständnis habe. Aber Mr. und Mrs. Ostermeyer, die Herrschaften, mit denen ich gestern in York war, haben mir zu verstehen gegeben, daß sie das Pferd gern kaufen würden.«

«Ich protestiere ganz entschieden«, sagte er.

«Die Ostermeyers wollen ihn zu Milo Shandy geben, damit er ihn für Hindernisrennen trainiert.«

«Sie sind es mir schuldig, das Pferd bei mir zu lassen«, sagte er störrisch.»Vier Siege hintereinander… es wäre schlicht und einfach unehrenhaft, es wegzuholen.«

«>Dozen Roses< eignet sich zum Springpferd, jetzt, wo er doch kastriert ist. «Ich sagte das ganz ohne jeden drohenden Unterton, aber er wußte auch so, daß er sich in einer unangenehmen Situation befand. Er hatte nicht das Recht gehabt, das Pferd kastrieren zu lassen. Zudem gab es nichts, was Grevilles Testamentsvollstrecker daran hätte hindern können, das Pferd an jeden zu verkaufen, der ihm genehm war — wie Milo ja für mich herausgefunden und was Nicholas Loder selbst zweifellos auch schon eruiert hatte. Und was die rennsportliche Welt im allgemeinen anbetraf, so dürfte ihr wohl ein Verkauf an die Ostermeyers als sehr sinnvoll erscheinen, würde ich das Pferd auf diese Weise, wenn schon nicht besitzen, so doch wenigstens reiten können.

Ich sagte in Loders anhaltendes Schweigen hinein:»Wenn Sie jedoch einen Käufer für >Edelstein< finden, dann werde ich einem Verkauf zustimmen.«

«Er ist nicht so gut.«

«Nein, aber auch nicht ganz nutzlos. Sie werden zweifelsohne eine Provision verlangen, wogegen ich keine Einwände erheben würde.«

Er knurrte wieder, was ich als Zustimmung deutete, aber er fügte dann auch noch mit Entschiedenheit hinzu:»Erwarten Sie bloß nicht, daß ich Ihnen je wieder einen Gefallen tue.«

«Immerhin habe ich Ihnen einen getan«, betonte ich,»indem ich nämlich keine Beschwerde eingereicht habe. Wie dem auch sei, ich bin mit Milo und den Ostermeyers zum Mittagessen verabredet, und bei der Gelegenheit werden wir den Verkauf besiegeln und den Papierkram erledigen. Milo dürfte also wohl irgendwann in dieser Woche einen Wagen schicken, um >Dozen Roses< abzuholen. Er wird sich bestimmt noch bei Ihnen melden, um den genauen Termin mit Ihnen abzusprechen.«

«Gehn Sie doch zum Teufel«, sagte er.

«Ich wünsche keinen Streit.«

«Sie lassen’s aber verdammt darauf ankommen. «Er warf seinen Hörer auf die Gabel, und mich verblüffte einmal mehr seine anhaltende Ungehobeltheit. Alle Trainer verloren dauernd Pferde, wenn nämlich ihre Besitzer sie verkauften — und wie er ja selbst gesagt hatte, war es doch nicht so, daß >Dozen Roses< etwa eine der ganz großen Hoffnungen des Turfs gewesen wäre. Der Stall von Nicholas Loder beherbergte weit aussichtsreichere Pferde als diesen fünfjährigen Wallach, mochte er auch noch so oft gesiegt haben.

Achselzuckend hob ich meine Reisetasche vom Boden auf und fühlte mich vage schuldig, weil ich ein solches Chaos im Haus zurückließ. Ich hatte im Obergeschoß ein Minimum an Aufräumungsarbeiten geleistet, hatte Grevil-les Anzüge und Hemden und so weiter wieder aufgehängt und weggelegt und ein paar andere Dinge mehr getan, weil es ganz den Anschein hatte, als würde ich noch ein paar weitere Nächte dort zubringen, aber alles übrige war für mich physisch kaum zu bewältigen und mußte auf die anonyme Mrs. P. warten, auf diese arme Frau, die ein übler Schock treffen würde.

Ich fuhr mit dem Taxi zum Hotel der Ostermeyers und traf sie wieder in Sektlaune an — und es war auch wieder Simms, irgendwo um die vierzig und mit Schnurrbart, der als Chauffeur erschien. Als ich anmerkte, daß er ja auch samstags und sonntags arbeite, lächelte er matt und sagte, er sei über die Möglichkeit froh, sich etwas dazuverdienen zu können, montags bis freitags entwickle er Filme im Du-stern.

«Filme?«fragte Martha.»Meinen Sie Kinofilme?«

«Familienfotos, Madam, in einem Fotoladen mit Ein-stunden-Service.«»Oh. «Martha klang, als könne sie sich ein solches Leben überhaupt nicht vorstellen.»Wie interessant.«

«Nicht sonderlich«, sagte Simms resigniert und fädelte sich in den dünnen Sonntagsverkehr ein. Er fragte mich, als wir uns Lambourn näherten, wie er fahren müsse, und wir gelangten ohne Verzögerung vor Milos Tür, wo dieser mich mit der Nachricht begrüßte, daß Nicholas Loder mich bitte, ihn sofort anzurufen.

«Hören Sie«, sagte dieser mit Überzeugungskraft,»ich habe da einen Besitzer, der sehr an >Dozen Roses< interessiert ist. Er sagt, daß er jedes Angebot der Ostermeyers zu überbieten bereit sei. Was sagen Sie dazu?«

Ich antwortete nicht sogleich, und er sagte mit Nachdruck:»Sie erzielen auf diese Weise einen hübschen Gewinn. Es gibt doch keine Garantie dafür, daß das Pferd mal gut springen wird. Und deshalb können Sie keinen zu hohen Preis dafür fordern. Mein Besitzer wird über das Angebot der Ostermeyers hinausgehen und noch einen Bonus für Sie persönlich drauflegen, in bar. Nennen Sie Ihren Preis.«

«Hm«, sagte ich langsam,»dieser Besitzer sind nicht zufällig Sie selbst, wie?«

Er sagte scharf:»Nein, bestimmt nicht.«

«Das Pferd, das da gestern in York gelaufen ist«, sagte ich noch langsamer,»gehörten das und der Paß von >Do-zen Roses< eigentlich zusammen?«

«Das ist Verleumdung!«

«Nein, eine Frage.«

«Die Antwort lautet ja. Das Pferd ist >Dozen Roses<. Reicht Ihnen das?«

«Ja.«

«Also gut«, sagte er und klang erleichtert,»dann nennen Sie Ihren Preis.«

Ich hatte mit Martha und Harley noch gar nicht über Zahlen gesprochen und erst einen mit Vollblütern handelnden Freund um eine grobe Schätzung bitten wollen. Das sagte ich Nicholas Loder, der sich aufgebracht anhörte, als er wiederholte, daß sein Besitzer mehr bieten würde — und dazu noch ein steuerfreies Bestechungssümmchen für mich.

Ich war fest entschlossen, >Dozen Roses< an die Ostermeyers zu verkaufen, und kein Bonbon, wie immer das aussehen sollte, würde mich davon abbringen können.

«Bitte sagen Sie Ihrem Besitzer, daß ich bedaure«, sagte ich,»aber die Ostermeyers haben >Dattelpalme< gekauft, wie ich Ihnen ja bereits sagte, und ich fühle mich ihnen verpflichtet. Die Loyalität ihnen gegenüber hat Vorrang. Ich bin ganz sicher, Sie werden für Ihren Besitzer ein Pferd finden, das genauso gut wie >Dozen Roses< ist.«

«Was, wenn er doppelt soviel zahlen würde wie das, was Sie von Ostermeyers kriegen?«

«Es geht hier nicht ums Geld.«

«Jeder ist zu kaufen«, sagte er.

«Nein. Bedaure, es bleibt beim Nein.«

«Überlegen Sie sich’s nochmal«, sagte er und schleuderte wieder den Hörer auf die Gabel. Ich fragte mich amüsiert, wie oft er die wohl kaputt machte. Sonst hatte er mich natürlich kein bißchen amüsiert, und die Situation insgesamt gab nicht den geringsten Anlaß zur Freude. Ich würde immer und immer wieder auf den Rennplätzen mit ihm zusammentreffen, wenn ich selbst erst einmal als Trainer tätig war, und mir war durchaus nicht an chronischen Fehden gelegen.

Ich ging auf den Hof hinaus, wo sich Milo, als er mich erblickte, bei den Ostermeyers entschuldigte, die sich an >Dattelpalme< weideten, der zu ihrer Erbauung auf dem Kies herumgeführt wurde.

«Was wollte Loder?«fragte er und trat zu mir.

«Er bot das Doppelte von dem, was ich von den Ostermeyers für >Dozen Roses< haben will.«

Milo riß die Augen auf.»Das Doppelte! Ohne zu wissen, wieviel das ist?«

«Stimmt.«

«Was wirst du tun?«

«Was glaubst du wohl?«fragte ich.

«Wenn du darauf eingegangen bist, dann schlag ich dich nieder.«

Ich lachte. Schon zu viele Leute hatten mich in der vergangenen Woche niedergeschlagen, und zweifellos konnte es Milo, was das anbetraf, mit jedem aufnehmen.

«Nun?«sagte er streitlustig.

«Ich habe ihm gesagt, er könnte mich mal.«

«Gut.«

«Mm, vielleicht. Aber du sorgst besser dafür, daß das Pferd sofort hergeholt wird. Wie wär’s mit morgen vormittag? Denn wir wollen doch nicht, daß er einen häßlichen Unfall hat und beim Pferdeschlächter landet, oder was meinst du?«

«Um Himmels willen!«Er war ganz entsetzt.»Das würde er nicht machen! Nicht Nicholas Loder.«

«Wohl nicht. Aber es kann auch nicht schaden, dafür zu sorgen, daß er gar nicht erst in Versuchung gerät.«

«Nein. «Er sah mich aufmerksam an.»Bist du okay?«fragte er plötzlich.»Du siehst nicht allzu gut aus.«

Ich erzählte ihm kurz, wie ich in Grevilles Garten niedergeschlagen worden war.»Diese Telefonanrufe, die du für mich entgegengenommen hast, waren nur dazu bestimmt sicherzustellen, daß ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort auftauchen würde. Und ich bin auch prompt in den Hinterhalt hineingelaufen und fühle mich, wenn du’s wissen möchtest, wie ein Riesenidiot.«

«Derek!«Er war sprachlos, aber dachte natürlich gleichzeitig auch sehr praktisch.»Das bedeutet doch nicht etwa, daß sich deine Rückkehr in den Sattel verzögert?«

«Nein, keine Sorge.«

«Hast du es auch den Ostermeyers erzählt?«

«Nein, behellige sie damit bloß nicht. Sie mögen es gar nicht, wenn ich nicht fit bin.«

Er nickte in vollstem Einverständnis. Für Martha — und in geringerem, aber immer noch beträchtlichem Maße auch für Harley — schien der Besitz des Jockeys genauso wichtig zu sein wie der des Pferdes. Ich war dieser Sicht der Dinge schon ein paarmal begegnet und hatte sie nie unterschätzt — sie waren die besten Besitzer, die man sich als Jockey wünschen konnte, auch wenn sie zu den for-derndsten gehörten. Eine solche» Liebe «konnte aber sehr schnell vergehen, ja, sich in eine schädigende Abneigung verwandeln, wenn man ihr nicht absoluten Vorrang einräumte, weshalb ich nie und nimmer wegen eines möglichen Profits beim Verkauf von >Dozen Roses< meinen Platz im Sattel von >Dattelpalme< aufs Spiel setzen würde. Es war rationaler handelnden Menschen nur schwer zu erklären, aber ich ritt — wie wohl jeder Steeplechase-Jockey

— diese Rennen nicht, um dadurch zu Geld zu kommen, obwohl das Geld schon ganz nett und im übrigen auch wohlverdient war.

Als Martha und Harley schließlich die Fragen zu und die Bewunderung von >Dattelpalme< ausgingen, kehrten wir alle ins Haus zurück, nahmen zu Drinks in Milos behaglichem Wohnzimmer Platz, riefen meinen mit Vollblutpferden handelnden Freund an, um seine Meinung einzuholen, und einigten uns endlich auf einen Preis, der unter dem von ihm vorgeschlagenen blieb. Milo strahlte. Martha klatschte vor Freude in die Hände. Harley zog sein Scheckheft hervor und schrieb sehr sorgfältig» Saxony Franklin Ltd. «hinein.

«Alles vorbehaltlich eines veterinärmedizinischen Attests«, sagte ich.

«Aber ja doch, mein Lieber«, stimmte Martha lächelnd zu.»Als wenn Sie uns je eine Niete andrehen würden.«

Milo holte die den Besitzerwechsel besiegelnden Urkunden herbei, die Martha und Harley und ich unterzeichneten, und versprach, die Veränderung gleich morgen früh bei Weatherby eintragen zu lassen.

«Gehört >Dozen Roses< jetzt uns?«fragte Martha mit glänzenden Augen.

«So ist es«, sagte Milo.»Vorausgesetzt, daß er am Leben und in einwandfreier Verfassung ist, wenn er hier eintrifft. Wenn nicht, ist der Kaufvertrag gegenstandslos, und er gehört weiterhin Saxony Franklin.«

Ich fragte mich kurz, ob er wohl versichert sei. Hätte das nicht gern erst auf die harte Tour herausgefunden.

Da das Geschäftliche erledigt war, fuhr Milo mit uns allen zum Lunch in ein nahegelegenes Restaurant, das wie üblich mit Leuten aus Lambourn gefüllt war — Martha und Harley hielten als die neuen Besitzer des Gold CupGewinners >Dattelpalme< glanzvoll Hof und hatten ganz rosige Gesichter vor lauter Zufriedenheit über die Komplimente, die man ihnen ihres Kaufes wegen machte.

Ich beobachtete diese angeregten Gesichter — ihres rund geworden, aber immer noch hübsch unter dem blond getönten Grauhaar, seines auf eine gröbere Weise attraktiv, zeigte sein kantiger Kiefer doch Ansätze zu Hängebäckchen. Beiden waren ihre sechzig und mehr Jahre durchaus anzusehen, aber beide legten eine Begeisterung und Freude an den Tag, die fast etwas Kindliches hatten, was der müden alten Welt keineswegs zum Schaden gereichte.

Nach dem Mittagessen fuhr uns Milo zurück zum Daimler und zu Simms, der in einem Pub etwas gegessen hatte, und Martha gab Milo einen Kuß, halb flirtend, halb aus echter Zuneigung. Er hatte die Ostermeyers mit Banden des Charmes an seinen Stall gefesselt, und alles, was wir jetzt noch brauchten, war, daß die Pferde weiterhin siegten.

Milo sagte kurz» Danke «zu mir, als wir ins Auto stiegen, aber in Wahrheit wollte ich ja auch, was er wollte, war der geglückte Versuch, die Ostermeyers seinem Stall zu erhalten, ein Joint Venture gewesen. Wir fuhren aus dem Hof hinaus, und Martha winkte und machte es sich dann unter Gemurmel und leisen Bekundungen der Freude in ihrem Sitz bequem.

Ich beschrieb Simms den Weg nach Hungerford, wo er mich absetzen sollte, und das Auto schnurrte mit sonntagnachmittäglicher Schläfrigkeit dahin.

Martha sagte irgend etwas, das ich nicht genau verstehen konnte, und ich blickte zwischen den beiden Kopfstützen hindurch nach hinten, sah zu ihr hin und bat sie, es mir zu wiederholen. Ich bemerkte, wie blitzartig das nackte Entsetzen in Harleys Gesicht trat, und schon schoß der Wagen, außer Kontrolle geraten, mit einem Knall und lautem Krachen über die Straße auf eine Mauer zu, und plötzlich war überall Blut und zersplittertes Glas, und wir prallten von der Mauer ab und wurden zurück auf die Straße geschleudert, genau vor einen fünfzigsitzigen Reisebus, der hinter uns gefahren war und jetzt über uns kam wie ein herabstürzender Felsbrocken.

Загрузка...