Kapitel 7

Brad kam am Mittwoch schon sehr früh und fuhr mich nach Lambourn. Trotz Distalgesics schmerzte der Knöchel, behinderte mich an diesem Morgen aber doch nicht mehr ganz so, und ich hätte durchaus auch selbst fahren können, wenn ich mir Mühe gegeben hätte. Es ging mir unterwegs durch den Kopf, daß Brad zur Verfügung zu haben ein Luxus war, an den ich mich nur zu leicht gewöhnte.

Die Aufmerksamkeiten von Clarissa Williams hatten sich bis auf eine leichte Steifheit und einen dunkler werdenden Bluterguß in Gestalt eines Streifens zwischen Schulter und Ellbogen wieder verflüchtigt. Das, was geblieben war, machte mir nicht sonderlich viel aus, denn über weite Strecken des Jahres hatte ich mal hier und mal da blaue Flecken, die das Resultat der für Hindernisrennen gültigen Wahrscheinlichkeitsrechnung waren. Man stürzte ungefähr einmal pro vierzehn Rennen, manchmal auch öfter, und während einige Jockeys Körper hatten, die kaum je blaue Flecken zeigten, tat meiner dies gern und zur Genüge. Dafür heilte bei mir alles sehr schnell wieder — Knochen, Haut und Optimismus, eben alles.

Milo Shandy, der zwischen seinen Stallungen herumlief, als sei er absolut unfähig stillzustehen, kam zu meinem ausrollenden Wagen gerannt und riß die Tür auf der Fahrerseite auf. Die Worte, die er hatte sagen wollen, kamen irgendwie nicht heraus. Er starrte zuerst Brad an, dann

mich auf dem Rücksitz und meinte endlich:»Bei Gott, ein Chauffeur! Verhätschelst dich, was?«

Brad stieg aus, warf Milo einen Neandertalerblick zu und reichte mir wie üblich die Krücken.

Milo, dunkel, klein und untersetzt, beobachtete den Vorgang voller Abscheu.

«Ich möchte, daß du >Dattelpalme< reitest«, sagte er.

«Nun, das geht aber nicht.«

«Die Ostermeyers werden’s wünschen. Ich habe ihnen gesagt, daß du da sein wirst.«

«Gerry reitet >Dattelpalme< sehr gut«, sagte ich — Gerry war der Bursche, der das Pferd normalerweise und an den meisten Tagen der Woche bewegte.

«Gerry ist nicht du.«

«Er ist besser als ich mit meinem kaputten Fußgelenk.«

Milo blitzte mich an.»Willst du nun, daß das Pferd hier bleibt oder nicht?«

Das wollte ich natürlich.

Milo und ich verbrachten einen ansehnlichen Teil unserer Zeit mit Zankereien. Er war von Natur aus streitsüchtig und temperamentvoll, mit Ansichten schnell bei der Hand, die sich schon am nächsten Tag in ihr Gegenteil verkehren konnten, schulmeisterlich, dynamisch und direkt. Er vertraute einzig und allein seinem eigenen Urteil und war stets sicher, daß sich am Ende alles zum Guten wenden würde. Er verhielt sich den Pferdebesitzern gegenüber einigermaßen taktvoll, aber seinen Angestellten begegnete er mit Härte, und den Pferden, die er dutzendweise zu Siegern machte, mit Flüchen.

Ich war am Anfang, also vor drei Jahren, als ich für ihn zu reiten angefangen hatte, über die Art und Weise, wie er mit mir sprach, sehr erbittert gewesen. Eines Tages hatte ich die Beherrschung verloren und zurückgebrüllt, woraufhin er in ein Lachen ausgebrochen war und mir verkündet hatte, daß wir beide gut miteinander auskommen würden, was auch der Fall war, wenn auch nur selten an der Oberfläche.

Ich wußte, daß die Leute glaubten, wir paßten nicht zueinander — schließlich war ich gefällig und ruhig, er dagegen aufbrausend und unbeständig. Aber ich mochte seine Art, mit den Pferden zu arbeiten, die bereitwillig und gut für ihn zu laufen schienen, und so waren wir beide recht erfolgreich gewesen.

In diesem Augenblick trafen die Ostermeyers ein — auch sie mit Chauffeur, was Milo aber offensichtlich als selbstverständlich ansah. Er legte sein bullig-dickköpfiges Verhalten augenblicklich ab und ersetzte es durch den humo-rigen Charme, mit dem er die Besitzer regelmäßig zu verzaubern wußte. Der heutige Morgen bildete da keine Ausnahme. Die Ostermeyers sprachen sofort darauf an, sie mit einem neckischen Schlenkern der Hüften, er mit einem kräftigen Handschlag und breitem Grinsen.

Über meine Krücken waren sie nicht ganz so erfreut.

«O je«, rief Martha Ostermeyer mißbilligend aus.»Was haben Sie denn gemacht? Sagen Sie bloß nicht, daß Sie >Dattelpalme< nicht reiten können. Wir sind doch bloß hergekommen, wissen Sie, weil der liebe Milo uns gesagt hat, Sie würden da sein und das Pferd reiten.«

«Er wird’s auch reiten«, sagte Milo, noch bevor ich Martha Ostermeyer hatte antworten können, und sie klatschte erleichtert in ihre behandschuhten Hände.

«Wenn wir ihn kaufen sollen«, sagte sie lächelnd,»dann wollen wir ihn auch mit seinem richtigen Jockey im Sattel sehen und nicht mit irgendeinem von den anderen Burschen.«

Harley Ostermeyer nickte zustimmend und gütig mit dem Kopf.

Nicht so ganz meine Woche, dachte ich.

Die Ostermeyers waren ganz Güte und Verständnis, solange ihnen die Leute gefielen, und ich hatte es nie schwer gefunden, sie zu mögen. Aber mir war einmal auf dem Parkplatz einer Rennbahn auch Harley Ostermeyers versteckter Hang zu rücksichtsloser Bösartigkeit nicht entgangen — da hatte er einen Parkwächter zur Schnecke gemacht, der einen anderen Wagen so eingewiesen hatte, daß der seine eingeklemmt worden war und er eine halbe Stunde hatte warten müssen. Der Wachmann hatte wirklich verängstigt ausgesehen.»Gute Nacht, Derek«, hatte er gekrächzt, als ich dort vorbeigegangen war, und dann war Harley herumgeschnellt und hatte die Hälfte seines Ärgers dadurch abreagiert, daß er durch Schilderung seiner mißlichen Lage mein Mitgefühl zu erwecken trachtete. Harley Ostermeyer war sehr daran gelegen, daß man ihn für einen guten Kerl hielt — jedenfalls meistens. Er war, soweit ich das mitbekommen hatte, der Boß einer riesigen Supermarktkette. Martha Ostermeyer war selbst sehr wohlhabend, nämlich Bankiers-Multimillionärin in der vierten Generation. Ich war in den vergangenen Jahren oft für sie geritten und dafür gut entlohnt worden, denn Großzügigkeit gehörte zu ihren Vergnügungen.

Milo fuhr sie und mich in die Downs hinaus, wohin die Pferde schon gebracht worden waren, um bewegt zu werden. Der Tag war sonnig und kühl, der Himmel klar, die Downs erstreckten sich in Wellen bis zum Horizont, und das Fell der Pferde glänzte in der Sonne. Der ideale Tag, um einen Meisterschaftsjäger zu kaufen.

Milo schickte drei andere Pferde an den Anfang der Übungsstrecke und ließ sie diese dann entlanggaloppieren, damit die Ostermeyers wußten, wohin sie zu schauen hat-ten und was zu erwarten war, wenn erst >Dattelpalme< daherkam und an ihnen vorbeistob. Sie standen im Gras, blickten in die Richtung, in die Milo gezeigt hatte, und waren gespannt und glücklich.

Milo hatte in seinem großrädrigen Fahrzeug, das ungehindert durch den Schlamm und über die vielen Fahrspuren der Downs gerollt war, einen Ersatzhelm mitgebracht, und ich setzte ihn mit einem unhörbaren Seufzer auf. Das ganze Unterfangen war wirklich töricht, denn mein Bein war noch nicht wieder kräftig genug, und wenn irgend etwas Übles passierte, was >Dattelpalme< erschreckte, war nicht auszuschließen, daß er durchging, sich verletzte, und wir ihn auf die eine oder andere Weise verloren.

Andererseits war ich gelegentlich schon mit gebrochenen Knochen nicht nur Trainingsrunden, sondern richtige Rennen geritten, und ich kannte einen Jockey, der sich drei Knochen in einem Fuß gebrochen und doch mehrere Siege herausgeritten hatte — er hatte, den Fuß in einem Eimer mit Eis, zwischen den Rennen in seiner Kabine geruht und war dann buchstäblich zum Führring hinausgehüpft, von Freunden gestützt. Von behördlicher Seite waren später dann sehr strenge medizinische Vorschriften erlassen worden, um so etwas zu verhindern, war es doch den Wettern gegenüber nicht fair. Aber es war immer noch möglich, hin und wieder mal damit durchzukommen.

Milo sah mich mit dem Helm auf dem Kopf aus dem Fahrzeug rutschen, kam glückstrahlend herbei und sagte:»Ich wußte doch, daß du es machen würdest.«

«Mm«, sagte ich.»Wenn du mir in den Sattel hilfst, dann leg bitte beide Hände fest um mein Knie und paß gut auf, denn wenn mein Fuß umknickt, kommt’s zu keinem Verkauf.«

«Du bist mir vielleicht ein Schwächling«, sagte er.

Dennoch war er sehr vorsichtig, und ich landete ohne allzu große Probleme im Sattel. Ich hatte Jeans an und es an diesem Morgen zum ersten Mal geschafft, einen Schuh auch auf diesen Fuß zu bekommen — jedenfalls einen dieser weiten, weichen, schwarzen Ledermokassins, die ich als Hausschuhe benutzte. Milo schob den Steigbügel mit unerwarteter Sanftheit über den Mokassin, und ich fragte mich, ob ihm vielleicht in letzter Minute doch noch Zweifel an der Klugheit der ganzen Unternehmung gekommen waren.

Aber ein Blick auf die Gesichter der Ostermeyers vertrieb sowohl seine als auch meine Zweifel. Sie strahlten >Dattelpalme< bereits voller Besitzerstolz an.

>Dattelpalme< sah wirklich gut aus, stach ins Auge, wie man so sagt. Ein Brauner mit schwarzen Flecken, ausgezeichneter Kopf, kurze, stämmige Beine mit reichlich Knochen. Die Ostermeyers waren stets auf hübsche Tiere aus, weil sie selbst so hübsch waren, und >Dattelpalme< war darüber hinaus auch noch ein sehr wohlerzogenes Pferd, was einen Ritt mit ihm zu einem wahren Vergnügen machte.

Er und ich und noch zwei andere Pferde von unserer Koppel ritten nun im Schritt zum anderen Ende der Galoppstrecke los, fielen aber bald schon in einen leichten Trab, was mir nur dadurch möglich wurde, daß ich mich in den Bügeln aufstellte, alles Gewicht auf den rechten Fuß verlagerte und Milo wegen der Empfindungen in meinem linken phantasievoll verwünschte. >Dattelpalme<, der sehr genau wußte, wie Pferde zu reiten waren, nämlich nicht mit einer solchen Schlagseite, schüttelte heftig Kopf und Schweif, schien mir im übrigen dann aber doch zu vertrauen. Wir beide kannten uns schließlich sehr gut, war ich doch im Verlauf der vergangenen drei Jahre bei allen Rennen sein Jockey gewesen. Pferde hatten keine Mög-lichkeit, einem Wiedererkennen direkten Ausdruck zu geben, aber manchmal drehte er doch den Kopf zu mir hin und sah mich an, wenn er meine Stimme hörte, und ich meine auch, daß er mich an meinem Geruch erkennen konnte, denn er berührte zuweilen meinen Nacken mit dem Maul, und seine Nüstern machten dabei kleine, flatternde Bewegungen. In jedem Fall hatten wir eine sehr enge Beziehung zueinander, und das kam uns an diesem Morgen sehr zustatten.

Am Anfang der Galoppstrecke angelangt, bereiteten meine beiden Mitreiter und ich die Pferde darauf vor, in gestrecktem Galopp zu Milo und den Ostermeyers zurückzureiten. Ich mußte vor allem dafür sorgen, daß ich auf deren Seite neben den Begleitpferden herritt, damit sie einen ungehinderten Blick auf die Ware werfen konnten, und daß ich am Ende die Nase vorn hatte, um sie davon zu überzeugen, daß dies auch in Zukunft so sein würde.

Langsam einen Kreis reitend, um >Dattelpalme< in die richtige Ausgangsposition zu bringen, redete ich leise mit dem Pferd, wie ich das oft tat. Wie viele andere Rennpferde auch, empfand es den Klang der menschlichen Stimme als beruhigend, denn sie ließ es irgendwie spüren, daß alles in Ordnung war. Vielleicht hörten Pferde ja die tieferen Schwingungen — man konnte nie wissen.

«Lauf einfach mal da rauf wie ein echter Profi«, sagte ich zu ihm,»weil ich dich ungern verlieren würde, alter Knabe. Ich möchte eines Tages das Grand National mit dir gewinnen, deshalb glänze, blende. Ach, gib dein Bestes, verdammt und zugenäht.«

Ich ruckte kurz am Zügel, die Pferde setzten sich in Bewegung — und tatsächlich zeigte sich >Dattelpalme< von seiner allerbesten Seite, hielt sich den größten Teil der Strecke bei seinen Begleitern, verlängerte erst seinen Schritt, als ich ihm das Signal dazu gab, löste sich dann von den anderen und schoß ruhig und mit gleichsam fließender Kraft an den Ostermeyers vorbei. Und wenn der Jockey die ganze Zeit über heftig stechende Schmerzen verspürte, so war das nur ein fairer Preis für das Ergebnis. Noch bevor ich das Pferd zum Stehen gebracht hatte, hatten es die Ostermeyers erworben, den Kauf mit einem Handschlag besiegelt.

«Die Vorlage eines einwandfreien veterinärärztlichen Attests vorausgesetzt«, sagte Harley gerade, als ich >Dat-telpalme< im Schritt zu der Gruppe zurückbrachte.»Sonst ist er wirklich großartig.«

Milos Lächeln sah so aus, als wolle es sein Gesicht zerteilen. Er hielt die Zügel, während Martha aufgeregt ihre Neuerwerbung tätschelte, und er hielt sie auch dann noch, als ich meine Füße aus den Steigbügeln zog, mich sehr behutsam zu Boden gleiten ließ und dann die paar Schritte bis zu der Stelle hüpfte, wo meine Krücken im Gras lagen.

«Was haben Sie mit Ihrem Fuß gemacht?«fragte Martha gänzlich unbesorgt.

«Verstaucht«, sagte ich und stützte erleichtert die Arme auf die Krücken.»Sehr langweilig.«

Sie lächelte, nickte und tätschelte nun meinen Arm.»Milo sagte, daß es nichts Schlimmes sei.«

Milo warf mir einen schauerlichen Blick zu, gab >Dattel-palme< an Gerry zurück und half den Ostermeyers in das großrädrige Fahrzeug, um nach Hause zu fahren. Wir holperten über die Fahrspuren, und ich nahm den Helm ab und strich mir mit den Fingern durchs Haar, wobei mir durch den Kopf ging, daß ich zwar nicht gern dauernd solche Ritte absolvieren, es aber durchaus wieder tun würde, wenn dies zu einem so positiven Ergebnis führte.

Wir kehrten nun alle bei Milo zum Frühstück ein, dort so sehr ein Ritual wie in anderen Rennställen auch, und Milo und die Ostermeyers besprachen bei Kaffee, Toast und Spiegeleiern mit Speck das weitere Programm von >Dattel-palme<, zu dem alle Spitzenrennen und natürlich auch ein erneuter Versuch gehören sollten, den Gold Cup zu holen.

«Was ist mit dem Grand National?« fragte Martha mit Augen wie Sternen.

«Nun ja, das müssen wir erst mal abwarten«, sagte Milo, aber auch seine Träume waren so deutlich sichtbar wie die Strahlen von Scheinwerfern. Er hatte als erstes nach unserer Rückkehr die vormalige Besitzerin von >Dattelpalme< angerufen, sich von ihr bestätigen lassen, daß sie mit dem Verkauf einverstanden und sehr angetan davon war — und seitdem war er fast wie ein mit Helium gefüllter Ballon, den man an der Schnur von der Decke auf den Boden zurückziehen mußte. Meine Begeisterung war aber auch nicht viel kleiner. >Dattelpalme< war wirklich ein Pferd, das einen zum Träumen bringen konnte.

Nach dem Essen und dutzendfachen Wiederholungen der Tugenden ihres Pferdes erzählte Milo den Ostermeyers, daß ich >Dozen Roses< geerbt hatte, die gerichtliche Bestätigung des Testaments vorausgesetzt, was sie sehr zu interessieren schien. Martha setzte sich aufrechter hin und rief:»Sagten Sie York?«

Milo nickte.

«Meinen Sie kommenden Samstag? Also so was, Harley und ich wollten nämlich jetzt am Sonnabend zum Rennen nach York fahren, nicht wahr, Harley?«

Harley sagte, daß dem in der Tat so sei.»Unsere lieben Freunde Lord und Lady Knightwood haben uns zum Lunch gebeten.«

Martha sagte:»Warum nehmen wir Derek nicht im Auto mit rauf, damit er sein Pferd laufen sehen kann? Was meinst du dazu, Harley?«

«Würde mich freuen, wenn Sie sich uns anschließen würden«, sagte Harley voller Aufrichtigkeit zu mir.»Lassen Sie uns bloß kein Nein hören.«

Ich sah in ihre freundlich-insistierenden Gesichter und sagte lahm:»Ich hatte eigentlich, wenn überhaupt, mit der Bahn fahren wollen.«

«Nein, nein«, sagte Martha.»Kommen Sie mit dem Zug nach London, und dann fahren wir zusammen rauf. Sagen Sie zu.«

Milo sah mich ängstlich an — die Ostermeyers zufriedenzustellen, das hatte noch immer absolute Priorität. Ich sagte, daß ich ihr freundliches Anerbieten sehr gerne annähme, und Martha, in deren Befriedigung sich plötzliche Unruhe mischte, sagte, sie hoffe doch sehr, daß meine Erbschaft mich nicht dazu bringen werde, keine Rennen mehr zu reiten.

«Nein«, sagte ich.

«Das klingt ausreichend entschieden«, sagte Harley mit Genugtuung.»Sie sind Teil unseres Handels, teurer Freund. Sie und >Dattelpalme< gehören zusammen.«

Kurz darauf fuhren Brad und ich nach London zurück, und ich war froh, daß er am Steuer saß.

«Büro?«fragte er, und ich sagte:»Ja«, und wir legten den Weg in schweigender Harmonie zurück.

Er hatte mir schon am gestrigen Abend berichtet, daß Grevilles Auto nicht in der Nähe seines Hauses geparkt stehe — beziehungsweise hatte er mir den Zettel mit Grevilles Autonummer zurückgegeben und gesagt:»Habs nich finden können. «Ich dachte, daß ich mich wohl lieber an die Polizei und andere Abschleppunternehmen in Ipswich wenden und außerdem besser damit anfangen sollte, mich über die Finanzen der Firma und auch die Grevilles zu informieren. Außerdem hatte ich noch zwei Drittel des Tresorraums zu überprüfen. Ich fühlte wieder den unerbittlichen Sog des Treibsandes.

Ich nahm die verwirrenden kleinen Spielsachen aus Gre-villes Haus mit nach oben ins Büro und zeigte sie June.

«Dies da«, sagte sie sogleich und zeigte auf die daumenlange Röhre mit dem Winselton,»ist ein Gerät, das Mük-ken vertreibt. Mr. Franklin sagte, das Geräusch sei das einer männlichen Mücke und es schrecke die blutsaugenden Weibchen ab. «Sie lachte.»Er sagte immer, jeder sollte so ein Ding bei sich haben.«

Sie nahm das andere Gerät in die Hand und runzelte die Stirn, drückte die rote Taste ohne jedes Ergebnis.

«Es hat eine Antenne«, sagte ich.

«O ja. «Sie zog sie voll aus.»Ich glaube…«Sie unterbrach sich.

«Er hatte mal so einen Sender, mit dem er aus einiger Entfernung sein Auto anlassen konnte. Da lief dann bei kaltem Wetter der Motor warm, bevor er das Haus verließ. Aber das Empfangsteil wurde ihm mitsamt seinem Porsche geklaut. Und dann kaufte er sich ja den alten Rover, und er meinte, daß es nur bei automatischem Getriebe oder Benzineinspritzung oder irgend so was funktioniere, was der Rover nicht habe.«

«Dann ist das also der Fernanlasser?«

«Also… nein. Dies hier macht nicht soviel. Der Fernanlasser hatte auch Knöpfe, mit denen man das Licht einschalten konnte. Da konnte man sehen, wo das Auto stand, wenn man es zum Beispiel auf einem unbeleuchteten Parkplatz abgestellt hatte. «Sie schob die Antenne wieder zusammen.»Ich glaube, dies Ding schaltet nur das Licht ein oder läßt das Auto pfeifen, wenn ich mich rich-tig erinnere. Er freute sich ungeheuer darüber, als er es bekam, aber ich hab’s schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Er hatte so viele Sachen, daß er sie schon nicht mehr alle mit sich herumtragen konnte, und ich glaube, er war es auch ein bißchen leid geworden, sie herumzuschleppen. Die meisten ließ er in seinem Schreibtisch liegen.«

«Sie haben sich gerade Ihre zwanzig Prozent Gehaltserhöhung noch ein zweites Mal verdient«, sagte ich.

«Wie bitte?«

«Lassen Sie uns doch mal sehen, ob die Batterien überhaupt noch gut sind«, sagte ich.

Sie öffnete das Batteriefach des Senders und entdeckte, daß es leer war. Als sei das reine Routine, öffnete sie ein Schubfach in einem der anderen Unterschränkchen des Schreibtisches, und zum Vorschein kam eine große, offene Schachtel, die mit Unmengen von Batterien der verschiedensten Größen gefüllt war. Sie nahm eine Packung heraus, öffnete sie, steckte die erforderliche Anzahl von Energiequellen in die dafür vorgesehene Kammer, und obwohl ein Druck auf die rote Taste noch immer kein Ergebnis zeitigte, war ich doch recht zuversichtlich, daß wir der Sache nähergekommen waren.

June sagte plötzlich:»Sie wollen das Ding mit nach Ipswich nehmen, nicht wahr? Um sein Auto zu finden, hab ich nicht recht?«

Ich nickte.»Lassen Sie uns hoffen, daß es funktioniert.«

«Oh, das muß es.«

«Es ist eine ziemlich große Stadt, und das Auto könnte überall stehen.«

«Ja«, sagte sie,»aber es muß doch irgendwo sein. Ich bin sicher, daß Sie’s finden werden.«

«Mm. «Ich sah in ihr strahlendes, intelligentes Gesicht.»Bitte erzählen Sie niemandem etwas von diesem Gerät, June«, sagte ich.

«Aber wieso denn nicht?«

«Weil jemand hier in dieses Büro eingebrochen ist«, sagte ich,»und etwas gesucht hat. Und weil wir nicht wissen, ob er’s gefunden hat. Sollte das nicht der Fall sein, weil sich das Gesuchte vielleicht in Grevilles Auto befindet, dann wäre es gut, wenn niemand mitbekäme, daß das Auto noch nicht gefunden worden ist. «Ich machte eine Pause.»Es wäre mir lieb, wenn Sie nichts sagten.«

«Auch nicht zu Annette?«

«Zu niemandem.«

«Aber das bedeutet ja, daß Sie glauben… Sie glauben.«

«Ich glaube im Grunde genommen gar nichts. Es ist nur um der Sicherheit willen.«

Sicherheit — das fand sie in Ordnung. Sie blickte weniger beunruhigt drein und war einverstanden, hinsichtlich des Autofinders Schweigen zu bewahren. Und ich hatte ihr nichts von dem Straßenräuber erzählen müssen, der mich niedergeschlagen hatte, um den Beutel mit Grevilles Sachen zu stehlen, was mir — rückblickend — immer weniger nach einem wahllosen Überfall und immer mehr nach einem ganz gezielten Unternehmen aussah.

Irgend jemand mußte gewußt haben, daß Greville sterben würde, dachte ich. Jemand, der einen Raubüberfall organisiert oder durchgeführt hatte. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wer das eine oder das andere getan haben könnte, aber es erschien mir durchaus möglich, daß einer von Grevilles Angestellten — ganz unwissentlich — in Hörweite empfindlicher Ohren geplaudert haben könnte. Was aber hätten seine Mitarbeiter ausplaudern können?

Greville hatte keinem von ihnen anvertraut, daß er Diamanten zu kaufen beabsichtigte. Und warum hatte er das nicht getan? Obwohl er verschwiegen war, waren Edelsteine nun einmal sein Geschäft gewesen.

Die Gedanken drehten sich nutzlos im Kreise, brachten mich nicht weiter. Der düsterste war der, daß sich irgend jemand nach dem Zusammenbruch des Baugerüstes auf die Suche nach Grevilles Auto begeben haben konnte — und daß ich vielleicht zwar Motor und Räder fand, das entscheidende Handschuhfach aber leer war.

Annette kam mit einer Hand voller Papiere herein, die, wie sie sagte, mit der Morgenpost gekommen seien und erledigt werden müßten — und zwar von mir, wie aus ihrem Verhalten deutlich zu ersehen war.

«Setzen Sie sich also zu mir«, sagte ich,»und erzählen Sie mir, worum es da jeweils geht.«

Da waren Briefe von Versicherungsfritzen, von Leuten, die um Spenden baten, von unzufriedenen Kunden, von Gemmologen, und ein Telegramm von einem Lieferanten in Hongkong, der mitteilte, daß er nicht mehr genug runde afrikanische Amethystkugeln der Größe 12 mm und der Qualitätsstufe AA vorrätig habe, und anfragte, ob wir statt dessen auch brasilianischen Amethyst nehmen würden.

«Was macht das denn für einen Unterschied?«fragte ich.»Ist das von Belang?«

Annette ließ angesichts meiner Ignoranz Kummerfalten sehen.

«Den besten Amethyst gibt es in Afrika«, sagte sie.»Der geht dann nach Hongkong oder Taiwan, wo er zu Kugeln geschliffen und poliert wird. Dann kommt er hierher. Der Amethyst aus Brasilien hat keine so schöne dunkle Färbung. Soll ich nun den brasilianischen Amethyst bestellen oder sollen wir warten, bis er mehr vom afrikanischen bekommt?«»Was meinen Sie?«fragte ich.

«Mr. Franklin hat immer entschieden.«

Sie sah mich ängstlich an. Es ist hoffnungslos, dachte ich. Ohne Wissen ist auch die einfachste Entscheidung unmöglich.

«Würden die Kunden denn statt des afrikanischen auch den brasilianischen akzeptieren?«fragte ich.

«Einige ja, andere nein. Der brasilianische ist viel billiger. Wir verkaufen jedenfalls auch eine Menge davon, in allen Größen.«

«Gut«, sagte ich,»wenn uns die afrikanischen Kugeln ausgehen, bieten wir den Kunden brasilianische an. Oder wir offerieren afrikanische in einer anderen Größe. Telegrafieren Sie dem chinesischen Lieferanten, daß er uns alle afrikanischen Kugeln AA/12 mm schicken soll, die er noch am Lager hat, und den Rest, sobald er kann.«

Sie sah erleichtert aus.»Genau das, was ich auch gemacht hätte.«

Und warum haben Sie’s dann nicht gesagt? dachte ich, aber es hatte gar keinen Sinn, sich zu ärgern. Wenn sie mir einen schlechten Rat gegeben hätte, hätte ich es ihr wahrscheinlich zum Vorwurf gemacht — von ihrem Standpunkt aus gesehen war es, wie ich annahm, wohl sicherer, sich nicht allzu weit vorzuwagen.

«Übrigens habe ich Prospero Jenks erreicht«, sagte sie.»Er meinte, er wäre heute um halb drei in seinem Geschäft in Knightsbridge, wenn Sie ihn zu sprechen wünschten.«

«Großartig.«

Sie lächelte.»Ich habe auch nichts von Pferden gesagt.«

Ich lächelte zurück.»Gut.«

Sie nahm die Briefe wieder an sich und mit in ihr Büro, um sie zu beantworten, und ich ging auf meiner Reise zum

Tresorraum von Abteilung zu Abteilung und sah allen eine Weile bei ihrer Arbeit zu. Alle waren befähigt und willig und dabei, sich dem Wechsel an der Führungsspitze langsam anzupassen, ihre Vorbehalte hinunterschluckend. Ich fragte, ob jemand so gut sein könne, mal zu Brad hinunterzugehen und ihm Bescheid zu sagen, daß ich ihn um zwei Uhr brauchen werde, vorher aber nicht — und schon lief June los und kam wie ein Bumerang wieder zurück.

Ich schloß den Tresorraum auf und fing beim Topas an — Tausende von glänzenden, durchsichtigen, glatten Steinen in den Farben des Regenbogens, manche größer als Eicheln, andere so klein wie Erbsen.

Keine Diamanten.

Danach jede nur denkbare Form und Größe von Granat, der, wie ich entdeckte, sowohl gelb und grün als auch rot sein konnte, und viele Schachteln voller Citrin.

Zweieinhalb Stunden faltete ich glänzende weiße Umschläge auf und wieder zusammen — und keine Diamanten.

Einmal wirbelte June mit einer umfangreichen Bestellung facettierter Steine herein, die sie mir kommentarlos reichte, und ich erinnerte mich daran, daß ja nur Greville und Annette Steine aus dem Tresorraum versandfertig gemacht hatten. Ich ging auf die Suche nach Annette und fragte sie, ob sie etwas dagegen habe, wenn ich ihr zuschaue. Das hatte sie nicht, und so beobachtete ich, wie sie sich durch die lange Liste durcharbeitete, aus zwanzig und mehr Schachteln heraussuchte, was verlangt wurde, und alles auf einem Regalbrett zusammentrug. Sie arbeitete schnell und sicher, wußte genau, wo alles zu finden war. Es sei ganz leicht, sagte sie, um mir Mut zu machen. Ich würde den Dreh schon bald raus haben. Mit Gottes Hilfe, dachte ich.

Nach einem weiteren von Junes Sandwich-Mittagessen ging ich um zwei Uhr zum Wagen hinunter und nannte

Brad die Adresse von Prospero Jenks in Knightsbridge.»Ein Geschäft irgendwo in der Nähe von Harrods«, sagte ich und stieg ein.

Er nickte, wand sich durch das Verkehrsgewühl und fand den Laden.

«Hervorragend«, sagte ich.»Diesmal werden Sie wohl ans Autotelefon gehen müssen, denn hier können Sie ja nirgends parken.«

Er schüttelte den Kopf. Er hatte sich diesem Ansinnen schon mehrfach widersetzt.

«Aber ja doch«, sagte ich.»Es ist wirklich ganz einfach. Ich schalte es Ihnen jetzt ein. Wenn es klingelt, heben Sie ab und drücken auf diesen Knopf hier, und schon können Sie mich hören. Klar? Ich rufe Sie an, wenn ich bereit zum Aufbruch bin, und dann kommen Sie einfach hierher zurück und holen mich wieder ab.«

Er sah das Telefon an, als sei es verseucht.

Es war ein herausnehmbarer, tragbarer Apparat, also kein fest eingebauter, und deshalb nahm er keine Gespräche auf, wenn man ihn nicht einschaltete, was ich ziemlich oft zu tun vergaß und manchmal auch mit Absicht unterließ. Ich stellte nun das Gerät eingeschaltet auf den Beifahrersitz, um ihm die Sache zu erleichtern, und erhoffte das Beste.

Das Schaufenster von Prospero Jenks wurde von jenem intensiven Licht durchflutet, das Schmuck zum Funkeln bringt, wohingegen die Buchstaben seines Namens über dem Fenster klar und schnörkellos waren, als sei dort irgendeine Form von Prachtentfaltung nur Verschwendung.

Ich schaute mit einer Neugier in das Schaufenster hinein, die ich noch vor einer Woche nie und nimmer verspürt hätte, und sah, daß es nicht mit der üblichen Ansammlung von Ringen und Armbanduhren gefüllt war, sondern mit lustigen Spielereien — da gab es kleine Modellautos und — flugzeuge, Skiläufer, Rennjachten, Fasane und Pferde, alles Gold und Emaille und glitzernde Edelsteine. Ich bemerkte auch, daß so gut wie jeder Passant stehenblieb und in das Fenster blickte.

Mich mühselig durch die schwere Glastür des Geschäfts schiebend, gelangte ich in einen Raum, der mit dickem Teppich ausgelegt war und wo vor jeder Vitrine bequeme Stühle bereitstanden. Abgesehen von dieser Plüschigkeit war es eigentlich ein ganz gewöhnlicher Laden, nicht sehr groß, ruhig in der Ausstattung, erregend allein die vielen Klunker.

Außer mir war niemand da, und ich humpelte zu einem der Verkaufstische, um mir näher anzuschauen, was dann ausgestellt war. Ringe, wie ich sehen konnte, aber nicht diese schlichten runden Kreise. Die Ringe hier waren riesig, viele von ihnen asymmetrisch, jeder für sich ein farbiger Blickfang.

«Womit kann ich dienen?«fragte eine Stimme.

Ein unscheinbarer Herr mittleren Alters in schwarzem Anzug trat aus einem Durchgang im rückwärtigen Teil des Geschäftes.

«Mein Name ist Franklin«, sagte ich.»Ich hätte gern Prospero Jenks gesprochen.«

«Einen Augenblick bitte.«

Er zog sich zurück, kehrte dann mit einem halben Lächeln wieder und forderte mich auf, ihm in die privateren Räumlichkeiten hinter dem Durchgang zu folgen, die den Blicken der Kunden durch eine Trennwand entzogen waren. Eigentlich war es nur ein einziger, sehr großer Raum, der als Büro und Werkraum diente und einen furchteinflößenden Safe und Schränkchen mit vielen kleinen Schubfächern beherbergte, wie ich sie von Saxony Franklin her kannte. An einer der Wände hing ein großes, gerahmtes Schild, auf dem stand: DREHE KUNDEN NIEMALS DEN RÜCKEN ZU. BEHALTE STETS IHRE HÄNDE IM AUGE. Ein hübsches Eingeständnis mangelnden Vertrauens, dachte ich amüsiert.

Vor einer der Werkbänke saß gebeugt, eine Juwelierslupe in ein Auge geklemmt, ein Mann in einem rosa und weiß gestreiften, kurzärmeligen Hemd auf einem Schemel und bastelte konzentriert an einem kleinen Goldobjekt herum, das in einen Schraubstock eingespannt war. Das Vorhandensein von Geduld und handwerklichem Können war deutlich zu sehen.

Der Mann nahm mit einem Seufzer die Lupe aus dem Auge, erhob sich und wandte sich mir zu, um mich vom Scheitel bis zur Sohle mit wachsender Überraschung zu mustern. Wen immer er erwartet haben mochte — ich war es nicht.

Dieser Eindruck beruhte, so dachte ich, wohl auf Gegenseitigkeit. Er war vielleicht fünfzig, sah aber auf eine an Peter Pan erinnernde Weise jünger aus. Ein jungenhaftes Gesicht mit wachen blauen Augen und einer Fülle von Furchen, die sich in seine Stirn einzugraben begannen. Ziemlich hellblondes Haar, kein Bart, kein Schnurrbart, kein persönliches Erkennungszeichen. Ich hatte jemanden erwartet, der modischer, extravaganter, eigenwilliger aussah.

«Grevs Bruder?«sagte er.»Was für eine Überraschung. Also, da hatte ich doch gedacht, Sie hätten sein Alter, seine Größe. «Er kniff die Augen zusammen.»Er hat nie erwähnt, daß er einen Bruder hat. Woher weiß ich, daß alles mit rechten Dingen zugeht?«

«Seine Assistentin, Annette Adams, hat diesen Termin mit Ihnen vereinbart.«

«Ja, das ist richtig. Gut. Erzählte mir auch, daß Grev tot ist, lang lebe der König. Sagte, sein Bruder übernähme nun das Geschäft, das Leben ginge halt weiter. Aber ich sage Ihnen, wenn Sie nicht über das gleiche Wissen wie Grev verfügen, dann wird’s schwierig für mich.«

«Ich bin hergekommen, um mit Ihnen darüber zu reden.«

«Sieht alles nicht nach frohen Botschaften aus«, sagte er und sah mich mit klugen Augen an.»Wollen Sie sich setzen?«Er wies auf einen Bürostuhl und nahm selbst wieder auf seinem Schemel Platz. Seine Stimme klang nach allem anderen als nach geschliffenem Glas. Eher nach dem Osten Londons, für den Westen gereinigt — die Art, die ohne alle Privilegien aus dem Nichts daherkam und auf Grund bloßer, unleugbarer Begabung ganz nach oben gelangte. Er hatte das selbstsichere Betragen, das auf lang anhaltendem Erfolg basiert — ein kreativer Geist, der zugleich Geschäftsmann war, ein origineller Künstler ohne Allüren.

«Ich bin erst noch dabei, das Geschäft zu erlernen«, sagte ich vorsichtig.»Ich werde tun, was ich kann.«

«Grev war ein Genie«, erwiderte er impulsiv.»Keiner war so gut wie er, was Steine angeht. Er brachte eigentümliche und einmalige Stücke aus aller Welt an, und ich fertigte Schmuckstücke daraus…«Er schwieg und breitete die Arme aus.»Sie finden sie in Palästen«, fuhr er dann fort,»und in Museen und in den Villen von Palm Beach. Nun ja, das ist mein Geschäft. Ich verkaufe an die, die das Geld haben. Ich habe zwar auch meinen Stolz, aber der steckt in den Schmuckstücken. Sie sind gut, ich bin teuer, das bringt’s.«

«Stellen Sie alles selbst her, was Sie verkaufen?«fragte ich.

Er lachte.»Nein, nicht ich persönlich, das würde ich nie schaffen. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich entwerfe das alles zwar, aber ich habe eine Werkstatt, die die Sachen dann anfertigt. Ich mache nur die besonderen Stücke selbst, die einmaligen. Zwischendurch entwerfe ich auch Schmuck für den Massenmarkt. Grev sagte mal, er hätte einiges an schönem Spinell da, haben Sie den noch?«

«Hm«, sagte ich.»Rot?«

«Rot«, bestätigte er.»Drei, vier oder fünf Karat. Ich nehme alles, was Sie haben.«

«Wir schicken es Ihnen morgen.«

«Durch Boten«, sagte er.»Nicht mit der Post.«

«In Ordnung.«

«Und einen Klumpen Bergkristall so groß wie der Eiger. Grev hat mir ein Foto davon gezeigt. Ich habe den Auftrag zu einem Phantasie stück erhalten… Schicken Sie mir auch den Kristall.«

«In Ordnung«, sagte ich wieder und verbarg meine Zweifel. Ich hatte nirgends einen Klumpen Bergkristall gesehen. Aber Annette würde wohl Bescheid wissen, dachte ich.

Beiläufig sagte er:»Was ist mit den Diamanten?«

Sehr beherrscht atmete ich aus und wieder ein.

«Wieso, was soll mit ihnen sein?«fragte ich.

«Grev wollte mir welche besorgen. Er hatte sie sogar schon erstanden, jedenfalls hat er mir das gesagt. Er wollte einen Posten zum Schleifen schicken. Sind sie schon zurückgekommen?«

«Noch nicht«, sagte ich und hoffte, daß ich nicht krächzte.

«Sprechen Sie von den Diamanten, die er vor ein paar Monaten bei der CSO gekauft hat?«

«Gewiß doch. Er hat auf meine Veranlassung hin bei einem Sightholder Anteile an einem Sight gekauft. Ich führe noch immer diese großen, klotzigen Ringe und Ketten, mit denen ich mir mal einen Namen gemacht habe, besetze inzwischen aber einige mit größeren Brillanten, denn das bringt höheren Profit pro Stück, und der Markt gibt’ s her. Ich wollte, daß Grev sie mir besorgt, weil ich ihm vertraute. Vertrauen ist in dieser Branche wie Goldstaub, obwohl Diamanten ja eigentlich gar nicht sein Fach waren. Aber Sie würden zwei- bis dreikarätige Steine auch nicht von jedem kaufen, selbst wenn es nicht um solche der Klasse D oder E, das heißt makellose, ginge, nicht wahr?«

«Da, äh, haben Sie recht.«

«Na ja, deshalb kaufte er also einen Teil von diesem Sight und läßt die Steine nach meinen Vorgaben in Antwerpen schleifen, wie Sie, wie ich annehme, wissen.«

Ich nickte. Ich wußte das, aber erst, seitdem er es mir erzählt hatte.

«Aus einigen werde ich Sterne machen, die von dem Bergkristall herabscheinen…«Er brach ab, zuckte, sein eigenes Verhalten mißbilligend, mit den Schultern und sagte:»Und ich mache ein Mobile aus Brillanten an feinem Golddraht, das sich schon beim leisesten Lufthauch bewegt. Es soll an einem Fenster hängen und im Sonnenlicht funkeln. «Wieder der Selbsttadel, diesmal von einem Lächeln begleitet.»Brillanten sind einfach hinreißend im Sonnenlicht, sie kommen darin am allerbesten zur Geltung, und all die Snobs der Gesellschaft dieser Stadt schreien rum, daß es so entsetzlich ordinär ist, Liebling, diamantbesetzte Ohrringe und Armbänder bei hellem Tageslicht zu tragen. Es macht mich ganz krank, um ehrlich zu sein. Was für eine Verschwendung!«

Ich hatte noch nie über Brillanten im Sonnenlicht nachgedacht, obwohl ich dies, wie abzusehen war, in Zukunft wohl würde tun müssen. Perspektiven, die sich einmal aufgetan haben, lassen sich nicht wieder schließen, wie Greville gesagt hätte.

«Ich habe leider noch nicht alles aufgearb eitet«, sagte ich, und das war die Untertreibung des Jahrhunderts.»Sind von diesen Brillanten schon welche an Sie geliefert worden?«

Er schüttelte den Kopf.»Ich hatte es bisher auch nicht so eilig damit.«

«Und. äh. um wieviele geht es?«

«Etwa einhundert. Wie ich schon sagte, nach den geltenden Maßstäben nicht die beste Färbung, aber manchmal können sie zusammen mit Gold wärmer aussehen, gerade wenn es nicht ultrablauweiße Steine sind. Ich arbeite meistens mit Gold. Ich mag das Gefühl.«

«Wieviel«, sagte ich langsam und rechnete,»wird diese Bergkristallphantasie kosten?«

«Geschäftsgeheimnis. Aber, nun ja, Sie sind ja wohl jetzt im Geschäft. Es ist eine Auftragsarbeit, ich habe einen Vertrag über eine viertel Million, wenn sie’s mögen. Wenn nicht, bekomme ich das Stück zurück, verkaufe es anderweitig, nehm’s wieder auseinander, was weiß ich. Im schlimmsten Fall verliere ich nur die Zeit, die ich auf die Herstellung verwendet habe, aber keine Sorge, sie wer-den’s schon mögen.«

Seine Sicherheit beruhte auf Erfahrung, war absolut.

Ich sagte:»Wissen Sie zufällig den Namen der Diamantschleiferei in Antwerpen, an die Greville die Steine geschickt hat? Ich denke, das steht auch in unseren Unterlagen im Büro, aber wenn ich schon weiß, nach wem ich fahnden muß…«Ich machte eine Pause.»Ich könnte ja versuchen, die Leute ein wenig zur Eile anzutreiben, wenn Sie das wünschen.«»Das täte ich schon, aber ich weiß leider nicht genau, wen Grev dort kannte.«

Ich zuckte die Achseln.»Ich werde halt nachschauen.«

Wo aber, so fragte ich mich, sollte ich nachschauen? Nicht in dem verschollenen Adreßbüchlein, soviel war mal sicher.

«Wissen Sie den Namen von diesem Sightholder?«fragte ich.

«Auch nicht.«

«Da liegt tonnenweise Papier im Büro«, sagte ich erläuternd.

«Ich werde mich durchwühlen, so schnell ich kann.«

«Grev sagte nie etwas, wenn er nicht mußte«, sagte Jenks ganz unverhofft.»Ich redete, er hörte zu. Wir kamen gut miteinander aus. Er sah, was ich besser als jeder andere konnte.«

Traurigkeit in der Stimme — das war wohl allgemein die höchste Auszeichnung für meinen Bruder, dachte ich. Man hatte ihn gemocht. Man hatte ihm vertraut. Man würde ihn vermissen.

Ich stand auf und sagte:»Ich danke Ihnen, Mr. Jenks.«

«Nennen Sie mich Pross«, sagte er leichthin.»Alle tun das.«

«Ich heiße Derek.«

«Gut«, sagte er lächelnd.»Ich werde auch weiterhin Geschäfte mit Ihrer Firma machen, durchaus, aber ich werde mir einen anderen Reisenden vom Schlage Grevs suchen müssen, mit einem Auge wie dem seinen… Er hat mich beliefert, seit ich mich selbständig gemacht habe, er hat mir Kredit gegeben, wenn die Banken ihn mir verweigerten, er hat an mein Können geglaubt. Irgendwann in meiner Anfangszeit brachte er mir mal zwei Turmaline, säulige Aggregate, die über fünf Zentimeter lang waren und halb rosa, halb grün, von unten nach oben ging eins ins andere über. Durchsichtig, wenn das Licht durch sie hindurchschien, und in der Farbe wechselnd, während man hineinsah. Es wäre eine Sünde gewesen, sie für Schmuck zurechtzuschleifen. Ich faßte sie in Gold und Platin, damit man sie ins Sonnenlicht hängen und sich darin drehen lassen konnte. «Er lächelte sein mißbilligendes Lächeln.»Ich mag es, wenn Edelsteine Leben haben. Ich brauchte Grev diese Turmaline nie zu bezahlen. Das Stück machte mich bekannt, es wurde in den Zeitschriften besprochen und gewann Preise, und er meinte nur, die Geschäfte, die wir miteinander machen würden, wären sein Lohn. «Er schnalzte mit der Zunge.

«Ich rede und rede.«

«Ich höre gern zu«, sagte ich. Ich sah durch den Raum zu seiner Werkbank hinüber und fragte:»Wo haben Sie das alles gelernt? Wie fängt man so etwas an?«

«Ich habe in den Metallverarbeitungskursen auf unserer Gesamtschule angefangen«, antwortete er offen.»Dort faßte ich kleine Glassplitter in vergoldeten Draht und schenkte diese Stücke meiner Mama. Dann wollte deren Freundin auch so was.

Und als ich schließlich von der Schule abging, zeigte ich ein paar meiner Sachen einem Schmuckhersteller und fragte ihn, ob er einen Job für mich habe. Sie produzierten dort Modeschmuck, und bald machte ich die Entwürfe für sie und von da an ging es halt immer weiter.«

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