Der in Weiß und Gold gekleidete Sklave berichtete, daß alle Vorzeichen günstig waren und daß das Ritual fehlerfrei durchgeführt worden war. Kaiser Claudius war daher wohlgelaunt und gnädig gesinnt. Er bewirtete die Faunuspriester in seinen eigenen Räumen und trug noch die Rangzeichen des obersten Priesters. Am Tor des Palatiums wurden wir auf verborgene Waffen untersucht, und Barbus mußte draußen bleiben, weil er sein Schwert an der Seite trug. Mein Vater wunderte sich darüber, daß man auch mich abtastete, obwohl ich doch noch unmündig war.

Narcissus, der Freigelassene und Privatsekretär des Kaisers, war Grieche, ein von Sorgen und einer ungeheuren Arbeitslast ausgezehrter Mann. Er empfing uns unerwartet freundlich, obwohl mein Vater ihm kein Geschenk geschickt hatte, und sagte sehr offenherzig, daß es in einer Zeit, in der sich allerlei Veränderungen ankündigten, dem Staat zum Vorteil gereiche, wenn man zuverlässige Männer in den Ritterstand erhöbe, die wüßten und sich später erinnerten, wem sie ihre Stellung verdankten. Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, suchte er in den Akten, die meinen Vater betrafen, entnahm ihnen ein zerknittertes Blatt, reichte es meinem Vater und sagte: »Diese Anmerkungen über deinen Charakter und deine Gewohnheiten aus Kaiser Tiberius’ Zeiten nimmst du am besten selbst in Verwahrung. Das sind vergessene Dinge, die heutzutage keine Bedeutung mehr haben.«

Mein Vater las das Blatt, errötete und steckte es rasch weg. Narcissus fuhr mit der gleichen Offenheit fort: »Der Kaiser ist stolz auf seine Gelehrsamkeit und seine Menschenkenntnis, aber er bleibt leicht an Einzelheiten hängen und kann manchmal einen ganzen Tag ununterbrochen über alte Geschichten reden, nur um sein gutes Gedächtnis unter Beweis zu stellen. Darüber vergißt er dann gern die Hauptsache.«

Mein Vater sagte verlegen: »Wer hat nicht in seiner Jugend einmal in Baiaes Rosenhainen gewacht! Für mich ist das alles vorbei und vergangen. Doch ich weiß nicht, wie ich dir danken soll. Man hat mir ja berichtet, wie streng Kaiser Claudius und im besonderen Valeria Messalina über die Sitten des Ritterstandes wachen.«

»Vielleicht lasse ich dich eines Tages wissen, wie du dich mir erkenntlich zeigen kannst«, erwiderte Narcissus mit einem bleichen Lächeln. »Ich bin als habgierig verschrien, aber begehe nicht den Fehler, mir Geld anzubieten, Marcus Manilianus. Ich bin ein Freigelassener des Kaisers. Daher gehört alles, was ich besitze, dem Kaiser, und alles, was ich tue, das tue ich, so gut ich es weiß und verstehe, zum Besten des Kaisers und des Staates. Doch wir müssen uns beeilen, denn der günstigste Augenblick, ein Anliegen vorzutragen, ist gleich nach einem Opfermahl, wenn sich der Kaiser auf seine Mittagsruhe vorbereitet.«

Er führte uns in den südlichen Empfangssaal, dessen Wände Malereien schmückten, die den Trojanischen Krieg darstellten. Mit eigener Hand ließ er den Lattenvorhang vor dem Fenster herunter, so daß die Sonne nicht so heiß in den Raum brannte. Kaiser Claudius erschien gestützt von zwei Sklaven, die ihn auf einen Wink von Narcissus auf den Thron setzten. Er summte die Faunushymne vor sich hin und blinzelte uns kurzsichtig entgegen. Als er saß, sah er würdevoller aus, denn da er gestanden war, obwohl sein Kopf hin und her pendelte und er sich beim Mahl mit Soßen und Wein bekleckst hatte. Er war übrigens nach seinen Statuen und den Abbildungen auf den Münzen leicht wiederzuerkennen. Der Wein hatte ihn offensichtlich für den Augenblick heiter gestimmt, und er war bereit, sich eifrig den Staatsgeschäften zu widmen, ehe ihn der Schlaf überkam.

Narcissus stellte uns vor und sagte rasch: »Der Sachverhalt ist klar. Hier sind die Nachweise über die Herkunft und das Vermögen sowie die Empfehlung des Zensors. Marcus Mecentius Manilianus hat sich als Mitglied des Rates der Stadt Antiochia ausgezeichnet und verdient volle Genugtuung für das Unrecht, das ihm angetan wurde. Er selbst strebt nicht nach äußeren Ehren, aber sein Sohn kann zu einem treuen Diener des Staates heranwachsen.«

Kaiser Claudius rollte die Akten auf, während er etwas über den Astronomen Manilius murmelte, den er in seiner Jugend gekannt hatte. Die Herkunft meiner Mutter erregte seine Aufmerksamkeit, und er versank in gelehrte Betrachtungen. »Myrina«, sagte er, »das war die Königin der Amazonen, die gegen die Gorgonen kämpfte, aber dann kam der Thraker Mopsos, den Lykurg in die Verbannung geschickt hatte, und tötete sie. Myrina heißt sie übrigens nur als Göttin. Ihr irdischer Name war Batieia. Es wäre passender gewesen, deine Gattin hätte diesen irdischen Namen getragen. Vermerke und verbessere das in den Akten, Narcissus.«

Mein Vater dankte dem Kaiser ehrerbietig für diese Berichtigung und versprach, sogleich dafür Sorge zu tragen, daß die Statue, welche die Stadt Myrina meiner Mutter errichtet hatte, auf Batieia umbenannt werde. Der Kaiser mußte den Eindruck gewinnen, meine Mutter sei in Myrina eine hochangesehene Frau gewesen, da die Stadt sie sogar durch eine Statue ehrte.

»Deine griechische Herkunft ist vornehm«, sagte er zu mir und betrachtete mich wohlwollend mit seinen rotgeäderten Augen. »Die Bildung ist das Erbe Griechenlands, Roms Stärke ist die Staatskunst. Du bist rein und schön wie eine meiner Goldmünzen, die ich mit einer lateinischen Inschrift auf der einen und einer griechischen auf der anderen Seite prägen ließ. Wie kann ein so schöner, stattlicher Knabe Minutus heißen! Das ist übertriebene Bescheidenheit.«

Mein Vater beeilte sich zu erklären, daß er den Tag meiner Mannesweihe hinausgeschoben hatte, damit mein Name gleichzeitig in die Ritterrolle im Tempel des Castor und des Pollux eingeschrieben werden könne. Es wäre eine große Ehre für ihn, fügte er hinzu, wenn Kaiser Claudius selbst mir einen passenden Zunamen gäbe. »Ich habe Güter bei Caere, und mein Geschlecht geht zurück in die Zeit, da Syrakus der Seeherrschaft Caeres ein Ende bereitete. Doch über diese Dinge weißt du mehr als ich, Clarissimus.«

»Dachte ich mir nicht, daß mir deine Züge bekannt vorkommen!« rief Claudius entzückt. »Ich habe dein Gesicht und deine Augen auf den alten etruskischen Grabmalereien gesehen, die ich in meiner Jugend studierte, obwohl sie durch Feuchtigkeit und mutwillige Hände schon arg beschädigt waren. Da du selbst Mecentius heißt, soll dein Sohn den Namen Lausus erhalten. Weißt du auch, wer Lausus war, Minutus?«

Ich antwortete ihm, daß Lausus der Sohn des Königs Mecentius gewesen sei, der mit Turnus gegen Äneas kämpfte. »So steht es in deiner Geschichte der Etrusker geschrieben, sonst wüßte ich es nicht«, sagte ich mit unschuldsvoller Miene.

»Hast du wirklich trotz deiner Jugend schon mein bescheidenes Buch gelesen, Minutus?« fragte Claudius und bekam vor Rührung den Schluckauf. Narcissus klopfte ihm leicht auf den Rücken und befahl den Sklaven, Wein zu holen. Claudius ließ auch uns Wein anbieten, ermahnte mich jedoch väterlich, keinen unvermischten Wein zu trinken, bevor ich nicht so alt sei wie er. Narcissus nützte diesen Augenblick und bat ihn, die Verleihung der Ritterwürde an meinen Vater durch seine Unterschrift zu bestätigen. Claudius schrieb bereitwillig seinen Namen nieder, obwohl er, wie ich glaube, schon vergessen hatte, worum es sich handelte.

Mein Vater fragte: »Ist es wirklich dein ausdrücklicher Wille, daß mein Sohn Lausus heißen soll? Wenn dem so ist, wird Kaiser Claudius selbst bei ihm Pate stehen, und das ist die höchste Ehre, die mir zuteil werden kann.«

Claudius trank mit wackelndem Kopf von seinem Wein und sagte mit besonderer Betonung: »Schreibe auch das auf, Narcissus. Und du, Mecentius, schicke mir nur einen Boten, wenn dem Knaben das Haar geschnitten werden soll. Ich will dein Gast sein, sofern mich nicht wichtige Staatsangelegenheiten hindern.«

Er stand entschlossen auf, stürzte beinahe, ehe die Sklaven vorspringen und ihn stützen konnten, und sagte nach einem kräftigen Rülpser: »Meine vielen gelehrten Beschäftigungen haben einen zerstreuten Menschen aus mir gemacht, so daß ich mich alter Begebenheiten besser erinnere als jüngst vergangener. Daher lasse ich sofort aufschreiben, was ich gelobe und was ich verbiete. Doch nun will ich meine Mittagsruhe halten und sehen, ob ich mich erbrechen kann, denn sonst bekomme ich Magenschmerzen von dem zähen Ziegenfleisch.«

Als er, wiederum von seinen Sklaven gestützt, den Saal verlassen hatte, riet Narcissus meinem Vater: »Laß deinen Sohn am nächstbesten günstigen Tag die Männertoga anlegen und gib mir Nachricht. Es ist möglich, daß der Kaiser wirklich an sein Versprechen denkt und bei ihm Pate steht. Zumindest kann ich ihn an den Namen und das Versprechen erinnern, und dann wird er so tun, als wäre es ihm selbst eingefallen.«

Tante Laelia hatte große Mühe, einige Vornehme ausfindig zu machen, die dem Geschlecht der Manilier zugerechnet werden durften. Einer der Gäste war ein uralter ehemaliger Konsul, der mich freundlich an der Hand hielt, als ich das Schwein opferte. Die meisten waren aber Frauen in Tante Laelias Alter, die wohl hauptsächlich die Aussicht auf eine gute Mahlzeit ins Haus gelockt hatte. Sie schnatterten wie eine Herde Gänse, während mir der Barbier das Haupthaar schnitt und den dünnen Flaumbart schor. Ich konnte mich ihrer kaum erwehren, als sie mir die Männertoga anlegten und mir dabei die Glieder streichelten und die Wangen tätschelten, und sie wußten sich vor Neugier nicht zu fassen, als ich um meines Gelübdes willen den Barbier mit in mein Zimmer nahm, damit er mir dort auch die Körperhaare abschere, die meine Mannheit bezeugten. Ich legte sie zusammen mit den Barthaaren in eine silberne Büchse, deren Deckel mit einem Mond und einem Löwen verziert war. Der Barbier schwatzte und scherzte, während er seine Arbeit verrichtete, und versicherte mir, es sei durchaus nichts Ungewöhnliches, daß vornehme Jünglinge, wenn sie die Männertoga bekamen, ihre Schamhaare der Göttin Venus opferten, um ihre Gunst zu gewinnen.

Kaiser Claudius kam nicht zu unserem Familienfest, aber er ließ mir durch Narcissus einen goldenen Ritterring schicken und erlaubte, daß in der Ritterrolle neben meinem Namen die Anmerkung gemacht wurde, daß er selbst mir den Zunamen Lausus verliehen hatte. Unsere Gäste folgten meinem Vater und mir zum Tempel des Castor und des Pollux. Mein Vater bezahlte im Archiv die vorgeschriebenen Eintragungsgebühren, und man steckte mir drei Goldringe auf den Daumen. Meine Festtoga mit der schmalen roten Borte war schon fertig. Eine solche Borte durfte ich sonst nur auf dem Untergewand tragen. Vom Archiv gingen wir dann in den Versammlungssaal der Ritter, wo wir die Genehmigung erkauften, uns Reitpferde aus den Ställen auf dem Marsfeld auszuwählen.

Als wir wieder daheim waren, schenkte mir mein Vater alles, was zur Ausrüstung eines römischen Ritters gehörte: einen aus Silber geschmiedeten Schild, einen versilberten Helm mit rotem Federbusch, ein langes Schwert und eine Lanze. Die alten Frauen redeten auf mich ein, ich solle meine Rüstung gleich anlegen, und ich konnte der Versuchung begreiflicherweise nicht widerstehen. Barbus half mir, das weiche Lederkoller umzuschnallen, und bald stolzierte ich in meinen roten Halbstiefeln, mit dem Helm auf dem Kopf und dem gezückten Schwert in der Hand, wie ein Hahn auf und ab.

Mittlerweile war es Abend geworden. Unser Haus erstrahlte in festlicher Beleuchtung, und draußen scharte sich eine Menge Volkes zusammen und begaffte die aus und ein gehenden Gratulanten. Plötzlich begrüßten die Zuschauer mit lauten Beifallsrufen eine prachtvoll ausgestattete Sänfte, die von kohlschwarzen Sklaven vor unsere Tür getragen wurde. Tante Laelia lief, über ihr Gewand stolpernd, hinaus, um den späten Gast zu empfangen. Aus der Sänfte stieg eine kleine rundliche Frau, deren seidenes Gewand allzu deutlich ihre üppige Gestalt enthüllte. Sie hielt ihr Gesicht unter einem violetten Schleier verborgen, den sie zur Seite schob, um sich von Tante Laelia auf beide Wangen küssen zu lassen, und ich sah, daß ihr Gesicht schön geschminkt war.

»Lieber Minutus!« rief Tante Laelia mit vor Rührung schriller Stimme. »Dies ist die hochwohlgeborene Tullia Valeria, die gekommen ist, um dir Glück zu wünschen. Sie ist Witwe, aber ihr letzter Gemahl war ein echter Valerius.«

Diese noch immer blendend schöne, wenn auch schon zu reiferen Jahren gekommene Frau streckte mir ihre weißen Arme entgegen und drückte mich samt Rüstung und Schwert an sich. »O Minutus Lausus!« rief sie. »Ich hörte, der Kaiser selbst gab dir deinen Zunamen, und es nimmt mich nicht wunder, wenn ich dein Gesicht betrachte. Wenn mein Glück und die Launen deines Vaters es zugelassen hätten, könntest du mein eigener Sohn sein. Dein Vater und ich waren einmal gute Freunde, aber gewiß schämt er sich heute seines Betragens mir gegenüber, da er mich bei seiner Rückkehr nach Rom nicht sofort aufsuchte.«

Sie drückte mich noch immer zärtlich an sich, so daß ich ihre weichen Brüste spürte und den betäubenden Duft ihrer Salben roch, während sie sich suchend umblickte. Als mein Vater ihr Gesicht erkannte, erstarrte er, wurde bleich und machte eine unwillkürliche Bewegung, als wolle er sich umdrehen und fliehen. Die schöne Tullia nahm mich an der Hand, trat mit einem strahlenden Lächeln auf meinen Vater zu und sagte: »Hab keine Angst, Marcus. An einem Tag wie heute verzeihe ich dir alles. Was gewesen ist, ist gewesen, und wir wollen Vergangenem nicht nachtrauern, obwohl ich deinetwegen so manches Tränenfläschchen gefüllt habe, du Herzloser!«

Sie ließ mich los, schlang ihm die Arme um den Hals und küßte ihn zärtlich auf den Mund. Mein Vater stieß sie heftig von sich. Er zitterte vom Kopf bis zu den Füßen und sagte, vor Überraschung stotternd: »Tullia, Tullia! Du solltest selbst besser wissen, was für deinen Frieden gut ist. Lieber hätte ich an diesem Abend hier in meinem Haus das Haupt der Gorgo erblickt als dein Gesicht!«

Aber Tullia legte ihm nur die Hand auf den Mund und sagte schelmisch zu Tante Laelia: »Marcus ist noch ganz der alte. Es wird Zeit, daß sich jemand um ihn kümmert. Wenn ich sehe, wie verwirrt er ist, und wenn ich höre, wie unvernünftig er daherredet, so reut es mich, daß ich meinen Stolz nicht überwunden habe und selbst zu ihm gegangen bin, da er sich schämte, zu mir zu kommen.«

Diese schöne, in Seide gekleidete, welterfahrene Frau bezauberte mich, so alt sie war, und ich beobachtete voll Schadenfreude, wie mein Vater in ihrer Gegenwart die Beherrschung verlor. Tullia richtete nun ihre Aufmerksamkeit auf die anderen Gäste und grüßte die einen freundlich, die anderen hochmütig. Die alten Frauen steckten die Köpfe zusammen und hatten viel zu tuscheln, aber sie kümmerte sich nicht um ihre bösen Blicke.

Sie wollte nur ein paar Süßigkeiten essen und ein wenig Wein trinken, bat mich jedoch, mich zu ihr auf das Sofa zu setzen, und sagte: »Daran ist nichts Unziemendes, auch wenn du nun ein Mann bist, denn ich könnte deine Mutter sein.« Dann streichelte sie mir mit ihrer weichen Hand den Hals, seufzte und sah mir auf eine Art in die Augen, daß ich ein Kribbeln am ganzen Körper verspürte. Mein Vater bemerkte meine Befangenheit. Er trat mit geballten Fäusten auf uns zu und sagte: »Laß meinen Sohn in Ruhe, Tullia. Du hast mir schon genug Unheil gebracht.«

Tullia schüttelte wehmütig den Kopf und seufzte: »Wenn je in deinen jungen Jahren jemand dein Wohltäter war und nach deinem Besten sah, so war wohl ich es. Sogar nach Alexandria bin ich dir einst nachgereist, aber glaube nur ja nicht, daß ich das ein zweites Mal tun würde. Nur deines Sohnes wegen bin ich gekommen. Ich warne dich, Marcus. Valeria Messalina ist beleidigt, weil Claudius deinem Sohn einen Namen gegeben und einen Ritterring geschickt hat, ohne sie zu fragen. Aus diesem Grunde gibt es einige, die auf dich und deinen Sohn sehr neugierig sind und gern ihre Gunst all denen zuwenden, mit denen diese schamlose Person Streit sucht. Du stehst vor einer schweren Wahl, Marcus.«

»Ich will mit alledem nichts zu schaffen haben und kein Wort von diesen Weiberränken hören!« rief mein Vater in großer Verzweiflung aus. »Und ich mag nicht glauben, daß du mich nach so vielen Jahren aufs neue in deine Intrigen verwickeln willst, so daß ich meinen guten Ruf, den ich eben erst mit knapper Not zurückgewonnen habe, gleich wieder verliere. Weh dir, Tullia!«

Die spöttische Tullia lachte entzückt, streichelte meinem Vater die Hand und rief: »Nun verstehe ich plötzlich, warum ich damals so in dich vernarrt war, Marcus. Kein anderer Mann hat meinen Namen je so bezaubernd ausgesprochen wie du.«

Und wirklich, als er ihren Namen sagte, lag ein Hauch Wehmut in seiner Stimme, nur konnte ich nicht begreifen, was eine so feine, vornehme Dame an meinem Vater fand. Tante Laelia trat kichernd zu uns, tätschelte meinem Vater die Wangen und sagte warnend: »Ihr sitzt hier beisammen und neckt euch wie junge Liebende. Wird es nicht Zeit, daß du endlich zur Ruhe kommst, liebe Tullia? Du hast immerhin vier Ehemänner gehabt und den letzten vor nicht allzu langer Zeit erst zu Grabe getragen.«

»Wie recht du hast, liebste Laelia. Es wird Zeit, daß ich zur Ruhe komme«, gab Tullia zu. »Deshalb bin ich so unsäglich froh darüber, daß ich Marcus wiedergefunden habe. Seine Nähe beruhigt mich so wunderbar.« Sie wandte sich an mich und fuhr fort: »Du aber, du neuer Achill mit deinem jungen Schwert, bringst mich um meine Gemütsruhe. Wäre ich nur zehn Jahre jünger, ich würde dich bitten, mit mir hinauszugehen und den Mond zu betrachten. In meinem Alter kann ich das leider nicht mehr. Geh also deines Wegs und suche dir deine Freuden anderswo. Dein Vater und ich haben mancherlei zu bereden.«

Als sie den Mond erwähnte, wurde ich unruhig. Ich ging in das obere Stockwerk hinauf, um meine Waffen abzulegen, und als ich mir mit der Hand über mein kurzes Haar und die glatten Wangen fuhr, fühlte ich mich plötzlich traurig und enttäuscht. So lange hatte ich auf diesen Tag gewartet, und nichts von dem, was ich mir dunkel erträumt hatte, war geschehen. Doch ich mußte nun das Gelübde erfüllen, das ich vor dem Orakel in Daphne abgelegt hatte.

Ich verließ das Haus durch die hintere Tür und nahm in der Küche den Segen der verschwitzten Sklaven entgegen, die ich zu essen und zu trinken bat, soviel sie vermochten, da keine Gäste mehr zu erwarten waren, sondern das Haus sich schon zu leeren begann. Draußen bei der Pforte sah ich pflichtgetreu nach den beinahe schon ganz niedergebrannten Fackeln und dachte wehmütig, daß dies nun vielleicht der größte und festlichste Tag meines Lebens gewesen sei. Das Leben selbst ist ja eine Fackel, die anfangs hell brennt und zuletzt in Rauch und Qualm verlischt.

Da trat mir plötzlich aus dem Schatten der Mauer eine weibliche Gestalt entgegen, die in einen braunen Mantel gehüllt war. »Minutus, Minutus«, flüsterte sie vorsichtig. »Ich will dir Glück wünschen, und diese Kuchen habe ich selbst für dich gebacken. Ich wollte sie den Sklaven übergeben, aber das Schicksal war mir günstig und ich traf dich selbst.«

Erschrocken erkannte ich Claudia, vor der Tante Laelia mich gewarnt hatte. Zugleich aber schmeichelte es mir, daß dieses sonderbare Mädchen sich nach meinem Festtag erkundigt hatte, um mir Glück wünschen zu können. Und als ich ihre dichten schwarzen Brauen, ihren großen Mund und ihre sonnengebräunte Haut sah, da durchströmte mich plötzlich eine tiefe Freude. Sie war so ganz anders als diese säuerlichen alten Frauen, die sich in unserem Haus versammelt hatten. Claudia war lebendig und natürlich und verstellte sich nicht. Und sie war meine Freundin.

Scheu legte sie mir eine Hand an die Wange und war lange nicht so übermütig und selbstsicher wie bei unserem ersten Zusammentreffen. »Minutus«, flüsterte sie. »Du hast gewiß Schlimmes über mich gehört, aber ich bin nicht so schlecht, wie die Leute sagen. Seit ich dir begegnet bin, mag ich überhaupt nur noch gute Gedanken denken, und auf diese Weise hast du mir wirklich Glück gebracht.«

Wir gingen nebeneinander her. Claudia zog mir die Toga am Hals zurecht, und dann aßen wir zusammen einen ihrer Kuchen, indem wir abwechselnd davon abbissen, ganz wie wir es damals in der Bibliothek mit dem Käse gemacht hatten. Der Kuchen war mit Honig und Kümmel gewürzt, und Claudia erzählte mir, daß sie selbst den Honig und den Kümmel gesammelt und in einer alten Handmühle die Weizenkörner gemahlen hatte.

Diesmal nahm sie beim Gehen nicht meinen Arm, sondern wich jeder Berührung mit mir scheu aus. Von meiner neuen Mannheit ganz erfüllt, ergriff ich selbst ihren Arm und führte sie zwischen den Menschengruppen auf der Straße hindurch. Sie seufzte glücklich, und ich faßte so viel Vertrauen zu ihr, daß ich ihr von meinem Gelübde berichtete und ihr sagte, daß ich nun mit meiner Opfergabe in einer Silberbüchse auf dem Weg zum Tempel der Mondgöttin war.

»Huh!« machte sie erschrocken. »Dieser Tempel hat einen schlechten Ruf. Nachts werden dort hinter verschlossenen Türen sittenlose Mysterien gefeiert. Wie gut, daß ich vor deinem Haus stand und auf dich wartete. Wenn du allein gegangen wärst, hättest du mehr dort drinnen gelassen als nur deine Opfergabe.«

Und nach einer kleinen Weile fuhr sie fort: »Ich selbst mag mir nicht einmal mehr die staatlichen Opfer ansehen. Die Götter sind nur Stein und Holz. Der Narr auf dem Palatin erweckt die alten Zeremonien wieder zum Leben, nur um das Volk noch fester mit den alten Fesseln zu binden. Ich habe meinen eigenen heiligen Baum und einen klaren Opferquell. Wenn mir traurig zumute ist, gehe ich hinauf zum Orakel auf dem Vatikanischen Hügel und betrachte den Vogelflug.«

»Du sprichst wie mein Vater«, sagte ich. »Der will nicht einmal, daß mir ein Seher aus einer Leber weissagt. Aber es gibt geheimnisvolle Mächte und Zauberei, das geben sogar vernünftige Menschen zu. Daher will ich mein Gelübde lieber erfüllen.«

Indessen waren wir vor dem tief in den Boden eingesunkenen Tempel angekommen. Zu meiner Erleichterung stand die Tür weit offen, und drinnen brannten einige kleine Öllampen, aber es war niemand zu sehen. Ich hängte meine Silberbüchse zwischen den anderen Tempelgaben auf. Wahrscheinlich hätte ich die Glocke läuten müssen, um die Priesterin zu rufen, aber ich hatte, offen gestanden, Angst vor ihr und wollte gerade in diesem Augenblick ihr leichenblasses Gesicht nicht sehen. Schnell tauchte ich die Fingerspitzen in das heilige Öl und strich es auf das schwarze steinerne Ei. Claudia lächelte belustigt und legte einen Kuchen als Geschenk auf den leeren Schemel der Priesterin. Dann liefen wir aus dem Tempel wie zwei mutwillige Kinder.

Draußen küßten wir uns. Claudia hielt mein Gesicht zwischen beiden Händen und fragte eifersüchtig: »Hat dein Vater dich schon einer versprochen, oder hat man dir nur ein paar kleine Mädchen gezeigt, unter denen du dir eins aussuchen sollst? Das ist ja an einem Tag wie diesem der Brauch.«

Ich hatte den wahren Grund nicht vermutet, warum Tante Laelias alte Freundinnen einige kleine Mädchen mitgebracht hatten, die mich mit dem Finger im Mund anstarrten, und hatte angenommen, sie seien nur gekommen, um Backwerk und Süßigkeiten zu naschen. Daher sagte ich nun erschrocken: »Nein, nein, mein Vater hat nicht die Absicht, mich schon mit irgend jemandem zu verheiraten.«

»Ach, wenn ich nur meine Zunge im Zaum halten und dir in ruhigen, wohlgesetzten Worten sagen könnte, was ich denke«, sagte Claudia traurig. »Binde dich nur nicht zu früh, das bringt nichts als Unheil. Es gibt ohnehin schon genug Ehebrecher in Rom. Der Altersunterschied zwischen uns beiden kommt dir jetzt gewiß sehr groß vor, denn ich bin ja fünf Jahre älter als du, aber mit den Jahren und wenn du erst einmal deinen Waffendienst als Kriegstribun geleistet hast, wird dieser Unterschied immer geringer werden. Du hast einen Kuchen gegessen, den ich gebacken habe, und mich aus freiem Willen auf den Mund geküßt. Ich habe darum zwar keine Rechte auf dich, aber ich nehme es als ein Zeichen dafür, daß du mich nicht ganz unausstehlich findest, und daher bitte ich dich, bisweilen an mich zu denken und dich an keine andere zu binden, ehe du nicht mit mir darüber gesprochen hast.«

Ich dachte im Traum nicht daran, mich zu vermählen, und daher fand ich ihre Bitte ganz vernünftig. Ich küßte sie ja gerne, und es wurde mir so warm, wenn ich sie im Arm hielt. Daher sagte ich: »Das verspreche ich dir gern, nur darfst du nicht darauf bestehen, mir ständig nachzulaufen und überall mit dabeisein zu wollen. Außerdem habe ich mir nie etwas aus den albernen Mädchen in meinem eigenen Alter gemacht. Dich mag ich, weil du reifer bist und Bücher liest. Ich kann mich auch nicht erinnern, daß die Dichter in ihren Liebesliedern Hochzeitszeremonien beschreiben. Nein, sie schildern die Liebe als frei und ungebunden. Kein Wort von Heim und Herd, sondern nichts als Mondschein und Rosenduft.«

Claudia wurde unruhig und rückte ein wenig von mir ab. »Du weißt nicht, wovon du redest«, sagte sie tadelnd. »Warum sollte ich nicht an den feuerroten Schleier, den safrangelben Mantel und den Gürtel mit den zwei Knoten denken dürfen! Es ist der innigste Wunsch jeder wirklichen Frau, wenn sie einem Mann die Wangen streichelt und ihn auf den Mund küßt.«

Ihre Einwände reizten mich nur dazu auf, sie noch einmal fest in die Arme zu schließen, um ihren widerstrebenden Mund und ihren warmen Hals zu küssen. Aber Claudia riß sich los, gab mir eine schallende Ohrfeige und brach in Tränen aus, die sie sich mit der Hand fortwischte.

»Ich glaubte, du dächtest anders von mir«, sagte sie schluchzend. »Das ist nun also der Dank dafür, daß ich mir Zwang antat und nur Gutes von dir dachte. Du willst nichts anderes, als mich dort drüben bei der Mauer auf den Rücken werfen und mir die Knie auseinanderzwängen, um deine neugierigen Gelüste an mir zu stillen. Nein, so ein Mädchen bin ich nicht!«

Ihre Tränen ernüchterten mich, und ich sagte verdrossen: »Du bist stark genug, um dich zu wehren, und ich weiß nicht einmal, ob ich das, was du meinst, mit dir tun könnte. Ich habe nie mit Sklavinnen gespielt, und meine Amme hat mich auch nicht verführt. Du brauchst also nicht zu flennen, denn du bist in diesen Dingen bestimmt erfahrener als ich.«

Claudia starrte mich verblüfft an und vergaß zu weinen. »Ist das wirklich wahr? Ich habe immer geglaubt, Knaben seien die reinsten Affen. Je vornehmer sie sind, desto äffischer sind die Sitten, die sie sich angewöhnen. Aber wenn du die Wahrheit sprichst, habe ich um so mehr Grund, meinen zitternden Körper zu beherrschen. Du würdest mich verachten, wenn ich dir und mir selbst zu Willen wäre. Eine kurze Freude und ein langes Vergessen, mehr hätten wir nicht davon.«

Meine brennende Wange und die Enttäuschung, die ich in meinem ganzen Körper fühlte, ließen mich höhnisch antworten: »Das weißt du offenbar selbst am besten.« Dann drehte ich mich um und begann, ohne sie noch eines Blickes zu würdigen, heimwärts zu gehen. Sie zögerte einen Augenblick und kam dann langsam hinter mir her. Lange sprachen wir nicht ein Wort miteinander. Zuletzt aber mußte ich herzlich lachen, denn ich fand es zu spaßig, wie sie da demütig und bescheiden hinter mir herging.

Sie machte sich meinen Stimmungsumschwung rasch zunutze, legte mir die Hand auf die Schulter und bat: »Versprich mir noch etwas, lieber Minutus. Lauf nicht geradewegs ins nächste Freudenhaus oder um der Venus zu opfern, wie es die meisten tun, sobald sie die Toga bekommen haben. Wenn du einmal unwiderstehliche Lust auf so etwas verspürst, und ich weiß ja, wie zügellos die Männer sind, dann sprich auch darüber zuerst mit mir, und ich sage das, obwohl du mir damit großen Kummer bereiten wirst.«

Ich versprach ihr auch das, da sie mich so eindringlich bat. Ich selbst dachte in Wirklichkeit nur daran, was für ein Pferd ich wohl bekommen würde, und in diesem Augenblick hätte mir nicht einmal Kleopatra mehr Interesse abzugewinnen vermocht als ein Pferd. Ich lachte, als ich Claudia mein Versprechen gab, und sagte, sie sei ein sonderbares und ein wenig verrücktes Mädchen. Wir nahmen lächelnd und als gute Freunde voneinander Abschied, und mir war danach sehr froh zumute. Als ich nach Hause kam, stieg mein Vater gerade in Tullias Sänfte, um sie höflich heimzubegleiten. Sie wohnte auf dem Virinal, am anderen Ende der Stadt, auf der Grenze zwischen den Vierteln Altasemita und Esquilina. Mein Vater starrte mich aus großen, leblosen Augen an und fragte mich nicht, wo ich gewesen sei. Er bat mich nur, mich zeitig schlafen zu legen. Ich argwöhnte, daß er sehr viel Wein getrunken hatte, aber seinem Gang merkte man nichts an.

Ich schlief tief und lange und war sehr enttäuscht, als ich am Morgen feststellen mußte, daß mein Vater nicht zu Hause war. Ich hatte gehofft, wir würden uns unverzüglich zu den Ställen auf dem Marsfeld begeben, um ein Pferd für mich auszusuchen. Das Haus wurde nach dem Fest aufgeräumt, und Tante Laelia klagte über Kopfweh. Ich fragte sie, wohin mein Vater schon in aller Frühe gegangen sei, aber sie antwortete mir nur zornig: »Dein Vater ist alt genug, um selbst zu wissen, was er tut. Er hatte mit seiner Jugendfreundin viel zu besprechen. Wahrscheinlich ist er bei Tullia geblieben. Sie hat Schlafgelegenheiten für mehr Männer als nur ihn.«

Barbus und ich vertrieben uns die Zeit, indem wir unter den Büschen im Garten würfelten, während sich im Haus die Putzfrauen mit ihren Bürsten und Eimern zu schaffen machten. Es roch schon ganz nach Frühling. Gegen Mittag kam endlich mein Vater zurück, stoppelbärtig und mit rotgeäderten Augen. Er verbarg sein Gesicht in einem Zipfel seiner fleckigen Toga und war von einem Advokaten mit Schreibzeug und Papierrollen begleitet. Barbus stieß mich in die Seite und bedeutete mir, daß es das beste – für mich sei, mich ganz still zu verhalten.

Ganz gegen seine Gewohnheit trat mein sanftmütiger Vater gegen die Scheuereimer und brüllte die Sklaven an, sie sollten ihm schneller als der Blitz aus den Augen verschwinden. Nach kurzer Beratung mit dem Advokaten rief er mich zu sich. Tante Laelia weinte wie ein Springbrunnen, und ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und fragte meinen Vater stotternd, ob er nun Zeit hätte, mit mir zu den Ställen zu gehen, um ein Pferd auszuwählen.

»Du und dein Pferd, ihr habt mich ins Verderben gestürzt!« schrie er. Sein Gesicht war vor Wut so entstellt, daß ich plötzlich sehr gut verstehen konnte, daß er in seiner Jugend jahrelang mit verwirrten Sinnen umhergewandert war. Er bereute jedoch sogleich seinen Zorn und rief: »Nein, nein, ich selbst bin an allem schuld. Meine eigene Schwachheit richtet mich zugrunde. Ein schweres Unglück hat alle meine Pläne vereitelt, und ich muß unverzüglich nach Antiochia zurückreisen. Ich habe daher bestimmt, daß die Erträge einiger meiner Güter bei Caere und die Mietshäuser hier in der Stadt auf dich überschrieben werden. Auf diese Weise hast du mehr als die zwanzigtausend Sesterze jährliche Einkünfte, die ein Ritter nachweisen muß. Tante Laelia kümmert sich um das Haus, das nun dein Heim bleiben wird. Ich habe ihr übrigens eine Leibrente angewiesen. Du brauchst nicht zu weinen, Minutus. Mein Advokat wird dein Vormund sein. Er stammt aus altem Rittergeschlecht. Ihr könnt gehen und euch das Pferd aussuchen, wenn ihr wollt, aber ich muß nach Antiochia reisen, ohne einen Augenblick zu verlieren.«

Er war so verstört, daß er so, wie er war, auf die Straße hinausstürzen wollte, um seine Reise zu beginnen, aber der Advokat und Tante Laelia hielten ihn zurück, obwohl er zuerst ungeduldig versicherte, man brauche ihm weder seine Kleider einzupacken noch einen Mundvorrat zu richten, denn er könne beim Stadttor einen Wagen nach Puteoli mieten und sich unterwegs alles Nötige besorgen. Ein trauriges Durcheinander herrschte nun nach dem fröhlichen Fest des Vortages plötzlich in unserem Haus, und da wir ihn nicht wie einen Flüchtigen scheiden lassen konnten, der sich mit verhülltem Antlitz davonschleicht, begleiteten wir ihn alle – Tante Laelia, der Advokat, Barbus und ich. Zuletzt kamen die Sklaven, die seine hastig zusammengepackten Habseligkeiten trugen.

Als mein Vater vor dem Capuanischen Tor unterhalb des Caelius angekommen war, atmete er erleichtert auf und begann sich von uns zu verabschieden, indem er sagte, daß er jenseits des Tores schon die goldene Freiheit winken sehe und daß er Antiochia nie hätte verlassen dürfen. Am Tor trat uns jedoch ein Ädil mit seinem Amtsstab in der Hand und zwei Ordnungswächtern im Gefolge entgegen.

»Bist du der römische Ritter Marcus Mecentius Manilianus?« fragte er meinen Vater. »Wenn du es bist, so hat eine hochgestellte Dame in einer wichtigen Angelegenheit mit dir zu reden.«

Mein Vater wurde zuerst feuerrot und dann kreideweiß im Gesicht. Er blickte zu Boden, behauptete, er habe mit niemandem etwas zu regeln, und versuchte, durch das Tor zu entkommen. Der Ädil warnte ihn: »Solltest du die Mauern Roms verlassen wollen, habe ich Befehl, dich vor den Stadtpräfekten zu bringen, und es wäre meine Pflicht, dich festzunehmen, um dich an der Flucht zu hindern.«

Der Advokat eilte an die Seite meines Vaters, verlangte, daß der Ädil die Gaffer, die sich bereits um uns versammelten, zerstreue, und fragte, wessen mein Vater angeklagt sei. »Eine einfache, abgeschmackte Geschichte«, antwortete der Ädil. »Die Senatorenwitwe Tullia Valeria behauptet, Manilianus habe ihr in der vergangenen Nacht in Gegenwart von Zeugen ein gesetzlich bindendes Eheversprechen gegeben und ihr darauf de facto beigewohnt. Da sie aus dem einen oder anderen Grunde an seinen ehrlichen Absichten zweifelte, ließ sie ihn durch einen ihrer Sklaven überwachen, denn er hatte ihr Haus ohne Abschied verlassen. Als Tullia Valeria die Gewißheit hatte, daß er zu fliehen beabsichtigte, wandte sie sich an den Stadtpräfekten. Wenn Manilianus sich aus der Stadt entfernt, wird er wegen betrügerischen Eheversprechens, Notzucht und Diebstahls einer kostbaren Halskette aus Tullia Valerias Besitz verurteilt, und letzteres ist für einen Ritter gewiß schimpflicher als der Bruch eines Ehegelöbnisses.«

Mein Vater tastete mit steifen Händen unter dem Mantel nach seinem Hals, zog eine mit Edelsteinen in verschiedenen Farben besetzte Goldkette hervor und sagte mit gebrochener Stimme: »Tullia hat mir mit ihren eigenen Händen diese verfluchte Kette umgelegt, und in der Eile vergaß ich, sie wieder abzulegen. Dringende Geschäfte erfordern meine Anwesenheit in Antiochia. Ich gebe ihr die Kette selbstverständlich zurück und stelle jede gewünschte Sicherheit, aber ich muß sofort abreisen.«

Der Ädil schämte sich für meinen Vater und fragte: »War es nicht vielmehr so, daß ihr miteinander die Ketten tauschtet, um euer Treuegelöbnis und das Eheversprechen zu bekräftigen?«

»Ich war betrunken und wußte nicht, was ich tat«, erwiderte mein Vater.

Der Ädil zweifelte an dieser Behauptung und sagte: »Nein, im Gegenteil, du machtest viele Worte und nanntest eine ganze Reihe Beispiele, wonach Philosophen eine rechtsgültige Ehe allein dadurch eingehen können, daß sie in Gegenwart von Zeugen ein Versprechen abgeben. Soll ich dich etwa so verstehen, daß du nur in betrunkenem Zustand deine Scherze triebst, um eine ehrbare Frau ins Bett zu locken? Wenn dem so ist, verdienst du um so schwerere Strafe für deine Tat. Ich gebe dir Gelegenheit, dich mit Tullia Valeria im Guten zu einigen. Solltest du aber durch das Tor gehen, lasse ich dich festnehmen, und deine Angelegenheit wird vor Gericht bereinigt.«

Der Advokat beschwor meinen Vater, nun wenigstens zu schweigen, und versprach ihm, er werde mit ihm zu Tullia Valeria gehen, um mit ihr zu verhandeln. Müde und übernächtigt, wie er war, begann mein Vater zu weinen und sagte: »Überlaßt mich nur meinem Elend. Ich gehe lieber ins Gefängnis, gebe meine Ritterwürde zurück und zahle die Geldbuße, als daß ich dieses falsche Weib noch einmal sehen muß. Bestimmt hat sie mir Gift gegeben und irgend etwas Schändliches in meinen Wein getan, sonst hätte ich nicht so von Sinnen sein können. Ich erinnere mich wirklich nicht mehr, was alles geschehen ist.«

»Man wird es in Erfahrung bringen«, versicherte der Advokat und versprach, meinen Vater vor Gericht zu verteidigen. Da mischte sich Tante Laelia ein, stampfte auf den Boden und rief mit brandroten Flecken auf den Wangen: »Ein zweites Mal wirst du den ehrlichen Namen der Manilier nicht durch einen schimpflichen Prozeß besudeln, Marcus! Sei endlich ein Mann und steh zu deinen Taten!«

Ich schloß mich weinend Tante Laelia an und rief, ein solcher Prozeß könne auch mich in ganz Rom zum Gespött machen und meine Zukunft zerstören. Wir sollten alle zusammen sogleich zu Tullia gehen, sagte ich und versprach, neben meinem Vater vor dieser schönen, vornehmen Dame auf die Knie zu fallen und um Vergebung zu bitten.

Mein Vater vermochte uns nicht zu widerstehen. Zusammen mit dem Ädil und den Ordnungswächtern gingen wir auf den Virinal. Die Sklaven folgten uns mit dem Gepäck meines Vaters, denn in der Aufregung dachte niemand daran, sie nach Hause zu schicken. Tullia Valerias Haus und Garten waren ungeheuer groß und prächtig. Im Säulengang des Atriums trat uns ein hünenhafter, in Grün und Silber gekleideter Türhüter entgegen. Er grüßte meinen Vater ehrerbietig und rief: »Willkommen, Herr, in deinem Haus. Meine Herrin erwartet dich schon voll Ungeduld.«

Nach einem letzten verzweifelten Blick in die Runde bat uns mein Vater mit schwacher Stimme, im Atrium zu warten, und ging allein weiter. Eine ganze Schar Sklaven kam herbei und bot uns Früchte und Wein aus silbernen Gefäßen an. Tante Laelia sah sich erfreut um und bemerkte: »Es gibt offenbar Männer, die sich nicht auf ihren eigenen Vorteil verstehen. Ich begreife nicht, was Marcus an einem Haus wie diesem auszusetzen hat!«

Kurz darauf kam Tullia Valeria selbst, um uns zu begrüßen. Sie trug nur eine durchsichtige Seidentunika, war aber kunstvoll gekämmt und schön geschminkt. Strahlend rief sie: »Ich weiß mich nicht zu fassen vor Freude darüber, daß Marcus so schnell zu mir zurückgekehrt ist und gleich seine Sachen mitgebracht hat. Nun braucht er dieses Haus gar nicht mehr zu verlassen, und wir können hier glücklich zusammen leben bis ans Ende unserer Tage.«

Sie bat ihren Schatzmeister, dem Ädilen als Entgelt für seine Mühe einen Beutel aus weichem rotem Leder zu geben, und sagte reuevoll: »Natürlich habe ich Marcus in meinem Herzen nicht einen Augenblick mißtraut, aber eine alleinstehende Witwe kann nicht vorsichtig genug sein, und in seinen jungen Jahren war Marcus recht wankelmütig. Ich sehe zu meiner Freude, daß er einen Advokaten mitgebracht hat, so daß wir gleich den Ehevertrag aufsetzen können. Ich hätte nicht geglaubt, daß du so bedachtsam sein würdest, Marcus, so unbedacht warst du heut nacht in meinem Bett.«

Mein Vater räusperte sich und schluckte, brachte aber kein Wort hervor. Tullia führte uns in ihre großen Säle und ließ uns die Mosaikfußböden, die schön eingeteilten Wandfelder und die Wandmalereien bewundern. Auch in ihr Schlafzimmer ließ sie uns einen kurzen Blick werfen, tat dabei jedoch so, als schämte sie sich, hob einen Arm vors Gesicht und rief: »Nein, tretet lieber nicht ein. Es ist von der Nacht her noch alles in Unordnung!«

Mein Vater fand endlich die Sprache wieder und rief: »Beim einzigen allmächtigen Gott, du hast gewonnen, Tullia, und ich füge mich in mein Schicksal! Aber schick nun endlich den Ädilen fort, damit er meine Erniedrigung nicht länger mit anzusehen braucht.«

Prachtvoll gekleidete Sklaven bemühten sich um uns und sorgten nach bestem Vermögen für unser Wohlbehagen. Sogar zwei kleine Knaben sprangen nackt im Haus umher und stellten Liebesgötter dar. Ich fürchtete zuerst, sie könnten sich erkälten, aber dann entdeckte ich, daß die Steinböden in diesem verschwenderisch eingerichteten Haus durch Warmwasserleitungen erwärmt wurden. Der Ädil und der Advokat meines Vaters berieten sich noch eine Weile und kamen zu dem Schluß, daß ein in Gegenwart von Zeugen abgelegtes Ehegelöbnis auch ohne öffentliche Trauung rechtskräftig sei. Der Ädil entfernte sich mit seinen Begleitern, nachdem er sich vergewissert hatte, daß mein Vater bereit war, den Ehevertrag ohne Einwände zu unterzeichnen. Der Advokat beschwor ihn, über die Sache zu schweigen, aber sogar ich mit meinem geringen Verstand begriff, daß ein Mann in seiner Stellung es sich unmöglich versagen konnte, eine so leckere Skandalgeschichte weiterzuverbreiten.

Aber war es denn wirklich ein Skandal? War es nicht eher schmeichelhaft für meinen Vater, daß eine so vornehme und offensichtlich ungeheuer reiche Dame sich um jeden Preis mit ihm vermählen wollte? Bei all seiner Anspruchslosigkeit und Bescheidenheit mußte mein Vater verborgene Eigenschaften besitzen, die ich nicht kannte und die in ganz Rom Neugier erwecken konnten, und ein wenig von dieser Neugier galt dann gewiß auch mir. Zudem konnte sich diese Heirat selbst auch für mich sehr vorteilhaft auswirken. Sie zwang jedenfalls meinen Vater, in Rom zu bleiben, so daß ich in dieser großen Stadt, in der ich mich noch verloren fühlte, nicht allein meinem Schicksal ausgeliefert war.

Was aber fand die schöne, verwöhnte Tullia an meinem Vater? Einen Augenblick dachte ich argwöhnisch, daß sie vielleicht ein leichtsinniges Leben führte und bis über die Ohren in Schulden steckte, so daß sie ihn des Geldes wegen nahm. Doch dann bedachte ich, daß mein Vater für römische Verhältnisse gar keine so großen Reichtümer besaß, wenngleich seine Freigelassenen in Antiochia und anderen Städten des Ostens vermögend waren. Völlig zerstreut wurde mein Mißtrauen, als mein Vater und Tullia beschlossen, den Ehevertrag so abzufassen, daß auch in Zukunft ein jeder für sich über sein Eigentum verfügte.

»Wenn du aber Zeit und Lust hast, lieber Marcus«, sagte Tullia sanft, »dann möchte ich dich bitten, daß du mit meinem Schatzmeister sprichst, meine Eigentumsverzeichnisse durchsiehst und mich bei meinen Geschäften berätst. Was versteht schon eine einfache Witwe von diesen Dingen! Ich habe mir sagen lassen, daß du ein sehr tüchtiger Geschäftsmann geworden bist, was wohl keiner je für möglich gehalten hätte, der dich als jungen Mann kannte.«

Mein Vater erwiderte gereizt, daß nun, da dank Kaiser Claudius und seinen Freigelassenen Friede und Ordnung im Reiche herrschten, ein vernünftig angelegtes Vermögen sich ganz von selbst vermehre. »Aber mein Kopf ist leer, und ich kann nicht einen klaren Gedanken fassen«, sagte er und kratzte sich am Kinn. »Ich muß zu einem Barbier und in ein Bad gehen, um auszuruhen und mich zu sammeln.«

Tullia führte uns jedoch an Marmorstandbildern und Springbrunnen vorbei durch den großen Innengarten, in dessen hinterem Teil sie uns ihr eigenes Bad mit Kalt- und Warmwasserbecken und einem Abkühlraum zeigte. Dort warteten schon ein Barbier, ein Masseur und ein Badesklave darauf, uns zu bedienen.

»Du brauchst nie wieder einen einzigen Denar für den Kleiderwächter in einem öffentlichen Bad auszugeben oder dich dem Gedränge und dem Schweißgeruch der Menge auszusetzen«, sagte Tullia. »Solltest du nach dem Bad eine Vorlesung, Gedichtvorträge oder Musik wünschen, so gibt es für diesen Zweck einen eigenen Raum. Nun geht und badet, Marcus und Minutus. Ich werde unterdessen mit meiner lieben Freundin Laelia beraten, wie wir in Zukunft unser Leben einrichten wollen. Wir Frauen verstehen uns auf dergleichen ja besser als ihr ungeschickten Männer.«

Mein Vater schlief bis Sonnenuntergang. Als wir die neuen Gewänder anzogen, die der Kleiderverwalter für uns bereitgelegt hatte, füllte sich das ganze große Haus plötzlich mit Gästen. Die meisten waren junge, fröhliche Menschen, aber es fanden sich auch einige schmerbäuchige Greise von liederlichem Aussehen darunter, die ich nicht achten konnte, obwohl sie Senatoren waren. Mit einem Oberzenturio von den Prätorianern konnte ich wenigstens über Pferde sprechen, aber zu meiner Verwunderung zeigte er weit größeres Interesse für die Frauen, die, nachdem sie Wein getrunken hatten, ohne Scham die Kleider öffneten, um freier atmen zu können.

Als ich bemerkte, welchen Verlauf dieses Hochzeitsfest nahm, suchte ich Barbus auf, den die Diener reichlich bewirtet hatten. Er hielt sich den Kopf und sagte: »Ich habe in diesem Haus größere Gastlichkeit erfahren als je zuvor in meinem Leben und wäre sogar im Handumdrehen verheiratet worden, wenn ich es als alter Veteran nicht verstanden hätte, mich in acht zu nehmen. Dieses Haus ist nicht der richtige Ort für dich, Minutus, und auch für mich taugt es nicht, obwohl ich ein alter Krieger bin.«

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